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Gymnasium Damme
Nordhofe 1
49401 Damme
 05491/ 6701- 0
Facharbeit
Im Leistungskurs Geschichte
Der Vertrag von Rapallo
Weg aus der Isolation, oder aggressiver Revisionismus?
Verfasser: Christina Hardinghaus
Fachlehrerin: Frau Wilhelm
Abgabetermin: 28.03.2003
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung..............................................................Seite
1
2. Hauptteil
2.1 Das Problem der Reparationsfrage und die
Erfüllungspolitik...................................................Seite
2-3
2.2 Die innenpolitische Stimmung um 1921/ 22........Seite
3-5
2.3 Der Weg zum Vertragsabschluss von Rapallo....Seite
5-7
2.4 Warum die Sowjetunion als Vertragspartner?.....Seite
8-9
2.5 Der Inhalt des Vertrages..................................... Seite 9-10
2.6 Die Rolle Maltzans, Wirths und Rathenaus.........Seite 10-12
2.7 Die Haltung Frankreichs und Englands gegenüber
Deutschland vor und nach dem Vertrag von
Rapallo................................................................Seite 13-15
2.8 Die innen- und außenpolitischen Folgen des
Rapallo Vertrages...............................................Seite 15-16
3. Fazit......................................................................Seite 17-18
4. Literaturverzeichnis...............................................Seite
19
5. Erklärung...............................................................Seite
20
1. Einleitung
Das übergeordnete Thema der Facharbeit lautet „Die Weimarer
Republik“. Ich befasse mich auf den folgenden Seiten mit der
Frage, ob der Vertrag von Rapallo als Weg aus der Isolation,
oder aggressiver Revisionismus verstanden werden kann.
Wobei das Wort „Revisionismus eine Bemühung darstellt, die
bestehenden politischen oder völkerrechtlichen Verhältnisse zu
verändern“
(Meyers Lexikonredaktion. Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden. Mannheim
1998. Band 18. S. 139 ).
Um diese Frage zu beantworten, müssen mehrere Aspekte
beleuchtet werden, die direkt bzw. indirekt einen Einfluss auf
den Vertragsabschluss genommen haben könnten.
Meine weitere Vorgehensweise wird deshalb sein, dass ich als
Erstes versuche die Gewichtigkeit der Reparationsfrage und
dessen unmittelbare Folgen für Deutschland zu klären. Womit
dann auch schon der zweite Punkt folgt, und zwar die
innenpolitische Stimmung der Jahre 1921/ 22, aus der sich eine
mögliche Motivation für diesen Vertrag ablesen ließe.
Des weiteren werden noch die Gesichtspunkte auf dem Weg
nach Rapallo bzw. Genua, warum die Sowjetunion als
Vertragspartner und die Rolle Maltzans, Wirths und Rathenaus,
aufgeführt, die die persönliche Einstellung der beteiligten
deutschen Politiker, sowie der Sowjetunion, aber auch die
Beweggründe für eine Zusammenarbeit wiederspiegeln sollen.
Zudem wird ebenfalls ein Blick auf den Inhalt des Vertrages
geworfen, ob dieser rein inhaltlich besorgniserregend oder
sogar provozierend wirkte.
Zum Schluss wird geklärt, wie die Alliierten, England und
Frankreich, den Vertragsabschluss der Deutschen zwischen
den Sowjets aufgenommen haben, und in wie weit sie darauf
ihre bisherige Haltung gegenüber Deutschland veränderten.
Dieser Punkt läuft dann nahtlos über in die innen- und
außenpolitischen Konsequenzen des Vertrages für das Reich
und was er letztlich überhaupt bewirkt hat.
2.1
Das
Problem
der
Reparationsfrage
und
die
Erfüllungspolitik
Die Reparationsfrage galt in der Nachkriegszeit des Ersten
Weltkrieges als das wichtigste außenpolitische Problem, über
das die Alliierten verhandelten.
Die Siegermächte und Deutschland konnten sich lange Zeit
über keine für beide Seiten annehmbare Summe einigen.1
Fest stand nur, dass Deutschland sich im Versailler Vertrag
verpflichtet hatte für die Schäden an der zivilen Bevölkerung
aufzukommen, ohne dass eine konkrete Höhe der
Kriegsentschädigung festgelegt wurde. Somit wurden die
Reparationen zur Hauptstreitfrage, die auf insgesamt
zweiundzwanzig Konferenzen versucht wurde zu lösen.2
Deutschland
weigerte
sich
kontinuierlich
die
Zahlungsverpflichtungen
anzuerkennen
und
wies
die
Forderungen der Reparationskommission im März 1921 in
London von über 226 Milliarden Goldmark zurück. Daraufhin
drohten die Alliierten, ausgehend von Frankreich, mit der
Besetzung der Städte Duisburg, Ruhrort und Düsseldorf, um
dort
durch
Zollerhebungen
einen
Teil
der
Reparationszahlungen einzutreiben. Doch Deutschland folgte
dem Ultimatum nicht und die Drohung wurde umgesetzt.3
Die Reparationen wurden vor allem von Frankreich als
politische Waffe gegen Deutschland eingesetzt, um den alten
„Erzfeind “ auf unbestimmte Zeit finanziell geschwächt zu
halten, damit Frankreich seine Vormachtstellung auf dem
europäischen Kontinent ausbauen konnte. Es kam daher zu
keiner Integration der deutschen Wirtschaft in die
Weltwirtschaft, so dass die wirtschaftliche Entwicklung
gehemmt wurde und die Inflation stieg.4
In Deutschland hatten zudem die unangemessene Höhe der
Zahlungen, sowie die Sanktionen eine psychologische
vgl. Niedhart, G. Internationale Beziehungen 1917-1947. München 1989. S. 49-51.
vgl. Graml, H. Europa zwischen den Kriegen. München ³1976. S. 96- 97.
3
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 49.
4
vgl. Michalka, W.,Niedhart, G. Die ungeliebte Republik. München 2002. S. 99-100.
1
2
Wirkung, die das Gefühl einer ungerechten Behandlung in der
Bevölkerung hervor riefen.5
Erst nach einem weiteren Ultimatum am 5. Mai 1921 in London,
in dem die Besetzung des gesamten Ruhrgebietes ab dem 12.
Mai angedroht wurde, gab die neue Regierung Wirth schließlich
nach und verpflichtete sich, die bereits auf 122 Milliarden
Goldmark herabgesetzte Reparationssumme in jährlichen
Raten zu zahlen.6
Mit dieser Bereitschaft den Forderungen der Alliierten
nachzukommen, setzte die Phase der Erfüllungspolitik ein, die
den guten Willen Deutschlands zur Zusammenarbeit
demonstrieren sollte. Allerdings war die Erfüllungspolitik nicht
als Selbstzweck gedacht, sondern sollte laut des damaligen
Ministers für Wiederaufbau Rathenau die Unerfüllbarkeit der an
Deutschland gerichteten Forderungen verdeutlichen. Außerdem
erhoffte man sich so auf Dauer die Revision einzelner
Beschlüsse des Versailler Vertrages, sowie die Rückkehr zu
einem in Europa gleichberechtigten Staat.7
Außenpolitisch gesehen war die Erfüllungspolitik die einzige
Alternative, den voranschreitenden Sanktionen weitestgehend
entgegen zutreten.
Doch innenpolitisch stieß die Politik der Kooperation auf
Widerstand, vor allem im Lager der politischen Rechten. Sie
arbeiteten gegen die Regierung an, indem sie in der
Bevölkerung die Auffassung vertraten, man müsse sich den
Forderungen der Alliierten widersetzen.8
2.2 Die innenpolitische Stimmung um 1921/ 22
Die innenpolitische Stimmung der Jahre 1921 bis 1922 war
durch zwei außenpolitische Ereignisse stark geprägt.
Zum Einen, der neuerlich angestrebte Kurs der Erfüllungspolitik,
der so ganz im Gegensatz zur bisherigen Haltung Deutschlands
zu den Alliierten und deren Forderungen stand, und deshalb
von der Opposition, die sich ohnehin als Gegner der Regierung
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 105.
vgl. Niedhart. Beziehung. S. 49.
7
vgl. ebda. S. 50.
8
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 107.
5
6
verstand, scharf verurteilt wurde.9 Für sie bedeutete die
scheinbare Annäherung der amtierenden Regierung an die
Reparationsforderungen die freiwillige Anerkennung des
Versailler Vertrages und somit die Angleichung und
Unterwerfung Deutschlands gegenüber den Westmächten und
vor allem Frankreichs.10
Eng verbunden mit der Erfüllungspolitik war die stetige
Zunahme der Geldentwertung, gegen die bewusst nichts
unternommen wurde. Es galt nicht die Theorie, mit einer
stabilisierten Währung die aufgezwungenen Zahlungen zu
begleichen, sondern die „vollständige Liquidierung der
Reparationen oder ihrer Finanzierung über eine internationale
Anleihe als Vorraussetzung der Währungsstabilisierung“ zu
erreichen.11
Die Folge war, dass das ohnehin geringe Ansehen des Staates
zunehmend verfiel und die Stimmen gegen die Republik, die
nicht nur von der politischen Rechten, sondern auch von der
Linken her tönten, immer lauter wurden.12 Das an Macht und
Prestige gewöhnte Deutschland konnte die Kriegsniederlage
nicht verarbeiten. Deshalb sorgte die Legende, dass die
deutschen Truppen im Krieg durch die demokratischen
Vorhaben in der Heimat, wie durch einen Dolch kampfunfähig
gemacht worden waren, dafür die Republik für die
außenpolitische Isolation zu Verantworten. Angesichts dieses
Vorwurfs und der Tatsache der voranschreitenden Inflation,
konnte es zu keiner innerpolitischen Stabilität kommen.13
Das zweite, weitaus emotionaler um sich greifende Ereignis war
die Teilung Oberschlesiens durch die Entscheidung des
Völkerbundes. Hauptstreitpunkt war dabei der Verbleib des
Industriegebietes, das sowohl Deutschland, wie auch Polen für
sich beanspruchten. Auch eine Volksabstimmung in der
betroffenen Region, die in ihrer Gesamtheit für ein Verbleiben
beim Reich war, aber gleichzeitig starke regionale
Abstimmungsschwankungen vorwies, brachte keine Einigung.
vgl. Michalka, Niedhart. Ungeliebte Republik. S. 75.
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 137.
11
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 133.
12
vgl. Michalka, Niedhart. Ungeliebte Republik. S. 75.
13
vgl. ebda. S. 122.
9
10
Die Angelegenheit wurde deshalb dem Völkerbund übertragen,
um eine unabhängige Entscheidung für diese Frage zu finden.14
Zur Überraschung der Deutschen wurde der größte Teil des
Industriegebietes Polen zugesprochen. Diese Nachricht
erreichte Berlin am 20. Oktober 1921 und sorgte für einen
Schockzustand, weil niemand mit so einem Ergebnis gerechnet
hatte, sogar die Regierung vertrat öffentlich die Meinung, dass
sich die Kommission für die deutsche Seite aussprechen
werde.15 Um so größer war der Proteststurm und das Gefühl
nach dem Versailler Vertrag erneut gedemütigt zu werden. Es
war für viele einfach unbegreiflich, dass es zu einer Teilung
kam, obwohl sich die Mehrheit der Oberschlesier für ein
Verbleiben beim Reich ausgesprochen hatte. Die Tatsache,
dass durch den erfolgreichen Abstimmungskampf wenigstens
die vorläufige Abtrennungsabsicht für ganz Oberschlesien
verhindert werden konnte, nahm zu dem Zeitpunkt in
Deutschland niemand wahr. Vielmehr machten sich Unmut und
Wut breit, weil man glaubte, dass Oberschlesien durch die
nachgiebige Haltung Berlins in der Reparationsfrage bei
Deutschland bleiben würde, doch nun musste man einem
weiteren Machtverlust ins Auge sehen.16
Das war der Grund, warum die Erfüllungspolitik als deutscher
Beitrag zum „Abbau der europäischen Spannungen“17 als
gescheitert empfunden wurde.18 Die Regierung Wirth trat
daraufhin am 22. Oktober zurück und kam als zweites Kabinett
Wirth, ohne die Demokratische Partei zurück.19
Statt die Bevölkerung allmählich auf die unvermeidlichen
Folgen eines verlorenen Krieges für Deutschland vorzubereiten,
weigerten sich die Vertreter der Republik einen klaren
Trennungsstrich zur Vergangenheit zu ziehen. Damit setzten
sie die Republik und ihre Vorhaben zunehmend unter den
Druck einer entente- und völkerbundsfeindlichen öffentlichen
Meinung.20
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 135-136.
vgl. ebda. S. 136.
16
vgl. Küppers, H. Joseph Wirth. Stuttgart 1997. Seite 126-129.
17
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 115.
18
vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 122.
19
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 135.
20
vgl. ebda. S. 113, 136- 137.
14
15
2.3 Der Weg zum Vertragsabschluss von Rapallo
Im Sommer 1921 nahm die Erfüllungspolitik vor allem für das
Auswärtige Amt, die Heeresleitung und die bürgerlichen Mittelund Rechtsparteien erschreckende Ausmaße an. Denn die von
Rathenau geleitete Erfüllungspolitik überschritt ihre eigentlichen
Grenzen. Sie war nicht mehr nur eine Entlastung der deutschen
Westgrenze durch einige Reparationszahlungen, sondern
tendierte zu einer Annäherung an Frankreich.21
Die Anhänger einer Revisions- und Restraurationspolitik, unter
anderem der Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes,
Reichskanzler Wirth, sowie General von Seeckt aus der
Heeresleitung, sahen ihre Ziele einer Korrektur der
Kriegsergebnisse als stark gefährdet an.22
Für sie war schon seit langem klar, dass Deutschlands
Rückkehr zur alten Stärke eine aktive Außenpolitik erfordern
werde. Unter diesem Begriff verstanden die Wortführer eine
aktive und gleichzeitig intensive Annäherung an Russland, die
den eingeschlagenen Weg in Richtung Völkerbund und
Anerkennung des Versailler Vertrages blockieren sollte.23
Da aber weite Teile des Parlamentes vor einer Kooperation mit
dem kommunistischen Staat zurück schreckten, und ansonsten
auch die bei einer Zusammenarbeit durch Frankreich
drohenden Interventionen nicht gerade förderlich waren, um
das Parlament von der Notwendigkeit eines bilateralen deutschsowjetischen Abkommens zu überzeugen, arbeitete Maltzan mit
gewagten Mitteln.24 Er erfand das Gerücht, dass Russland und
Frankreich sich in der Frage über die russischen Kriegs- und
Vorkriegsschulden einigen würden , und dass Russland dann
vom Artikel 116 des Versailler Vertrages gebrauch machen
würde, um von Deutschland Reparationen für die eigene
Schuldenbegleichung zu fordern.25 Was allgemein allerdings
nicht bekannt war, war die Tatsache, dass Maltzan mit
vgl. ebda. S. 137.
vgl. ebda. S. 137- 139.
23
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 138.
24
vgl. ebda. S. 142.
25
vgl. ebda. S. 142.
21
22
Absprache Wirths bereits begonnen hatte, die Weichen auf eine
ostorientierte Außenpolitik zu verstellen. Im Geheimen und
ohne Wissen des Reichspräsidenten geschweige denn des
Außenministers
wurden
ebenfalls
schon
militärische
26
Beziehungen zu Moskau gesponnen.
Selbst Rathenau, der optimistisch eine Revision des Versailler
Vertrages in Zusammenarbeit mit den Alliierten anstrebte,
wurde letztlich durch dieses Gerücht verunsichert und
schwankte bis zur Konferenz von Genua am 10. April 1922
zwischen Erfüllungs- oder Ostpolitik.27
Daher kam es schon vor der Konferenz zu diplomatischen
Unterredungen in Berlin mit Moskau, die Rathenau gewähren
ließ und bei denen die Grundrisse des späteren deutschsowjetischen Vertrages ausgearbeitet wurden.28
Für eine Unterzeichnung war Rathenau noch nicht bereit, denn
er hatte bereits eine deutsche Beteiligung am internationalen
Konsortiums zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Russlands
zugesagt, von dem er sich erhoffte, dass es für Deutschland
unter anderem ein weiteres Entgegenkommen der Alliierten in
der Reparationsfrage bedeuten könnte.29 Außerdem wollte
Rathenau den britischen Premier Lloyd Georges nicht vor den
Kopf stoßen, der aufgrund seiner Appeasement Politik ständig
versuchte
Frankreichs Sanktionsbestrebungen gegenüber
Deutschland zu zügeln.30
So lauerte eine kleine Gruppierung in der deutschen Delegation
um den taktisch geschickt vorgehenden Maltzan und den
Reichskanzler Wirth auf eine geeignete Chance, um mit einem
„Misserfolg der Konferenz das Ende der Kontinentalpolitik Lloyd
Georges zu besiegeln“, und sich so aus der kontinuierlichen
Bevormundung zu befreien.31
Diese Chance bot sich schon bald an, denn die Konferenz
entwickelte sich gerade in den Augen Rathenaus, aber auch
der russischen Delegation nicht sehr vielversprechend. Schon
vgl. Helbig, H. Die Träger der Rapallo- Politik. Göttingen 1958. S. 59.
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 145- 146.
28
vgl. ebda. S. 145.
29
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 62, 85.
30
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S 130, 146.
31
vgl. ebda. S. 147.
26
27
nach einiger Zeit wurde den deutschen Vertretern gezeigt, dass
sie keineswegs, wie vorerst angenommen, gleichberechtigte
Verhandlungspartner waren. So weigerte sich Frankreich
überhaupt über die Reparationen zu verhandeln, was natürlich
Rathenaus besonderes Anliegen darstellte. 32
Mehrere Faktoren, wie beispielsweise die von den
Westmächten geforderte Anerkennung der russischen
Kriegsschulden und die isolierten Verhandlungen der Alliierten
mit den Russen, unter Ausschluss deutscher Beteiligung
sorgten im Laufe der Konferenz dafür, dass Deutschland und
Russland wieder engeren Kontakt zueinander aufnahmen.33
Die Folge war, dass Rathenau sich von Maltzan überzeugen
ließ, seine westlich orientierte Außenpolitik aufzugeben.34
Der Abschluss dieser Verhandlungen wurde in Rapallo, wo die
russische Delegation residierte, in der Nacht auf den
Ostersonntag am 16. April 1922 durch den Vertrag von Rapallo
besiegelt.35
2.4 Warum die Sowjetunion als Vertragspartner?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich vor Augen
führen, dass sowohl Deutschland, wie auch Russland in ihrer
außenpolitischen Handlungsfreiheit eingeschränkt waren.36
Doch beide Staaten hatten außenpolitische Ziele, die sie
durchsetzen wollten. So forderte Russland für sich die
Anerkennung der Revolutionsregierung und Deutschland
strebte die verlorene Machtposition in Europa an.37
Es entstand die Vorstellung einer deutsch- russischen
„Schicksalsgemeinschaft“38, ausgehend von den restaurativen
Kräften in Deutschland, die von den Bestimmungen des
Völkerbundes umklammert wäre und nur gemeinsam zu
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S 84, 86.
vgl. ebda. S. 84.
34
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 54.
35
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 89.
36
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 52.
37
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 127.
38
Schnieder, Th. zit. nach; Graml. Zwischen den Kriegen. S. 138.
32
33
sprengen sei.39 Die Teilung Oberschlesiens bot letztlich für die
Anhänger einer aktiven Russlandpolitik die Chance, die
zunehmende Verstimmung in Deutschland gegen die
Ententegemeinschaft für ihre Zwecke zu nutzen. Sie erklärten
Polen zu einem gemeinsamen deutsch- russischen Problem,
um die Hemmungen gegen ein Bündnis mit Russland zu
senken.40
Die Sowjetunion erwies sich überdies als entgegenkommender
Partner , mit dem Hintergedanken, das innen- und
außenpolitisch
geschwächte
Deutschland
aus
der
kapitalistischen Einheitsfront des Westens herauszubrechen
und eine kommunistische Revolution loszutreten, die ihre
Ideologie in Europa verbreiten sollte.41 Außerdem befürchteten
die Sowjets durch den Syndikatsplan Englands, der den
Wiederaufbau der russischen Wirtschaft in Form eines
internationalen Konsortiums für die Schaffung eines neuen
Absatzmarktes vorsah, einen erheblichen Eingriff der
kapitalistischen Welt in ihre Souveränität.42
Das deutsche Verhältnis zu Moskau war weniger auf
wirtschaftlichen Interessen
begründet, da man mit dem
internationalen Konsortium gleichermaßen wirtschaftliche
Beziehungen hätte aufbauen können.43 Es war vielmehr der
Militärstaat
Sowjetunion,
der
machtpolitisch
gesehen
vielversprechende Anknüpfungspunkte bot. Einer davon war die
gemeinsame Basis einer antipolnischen Stoßrichtung, die den
deutschen „Traum, das Kriegsergebnis zu korrigieren und zu
jener kontinental- wie weltpolitischen Bewegungsfreiheit
zurückzukehren“44, erfüllen sollte.45
Trotz der misstrauischen Haltung vieler Parlamentarier
gegenüber dem kommunistischen Staat, entwickelte sich
aufgrund der Argumentationen von Politikern wie Maltzan ein
Bild der Sowjetunion als unabdingbarer Bündnispartner.46
vgl. ebda. S. 138.
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 136- 137.
41
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 51- 52.
42
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 148.
43
vgl. ebda. S. 138- 139.
44
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 141.
45
vgl. ebda. S. 141.
46
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 52.
39
40
2.5 Der Inhalt des Vertrages
Der Inhalt des Vertrages von Rapallo war in 6 Artikeln
festgehalten, wobei die gröbsten inhaltlichen Fragen bereits
schon auf der halbwegs geheimen Verhandlung in Berlin, im
Vorfeld der Konferenz von Genua, geregelt wurden.47
Die bedeutenden Artikel waren unter anderem Artikel 1, in dem
das Deutsche Reich und die Sowjetunion gegenseitig auf den
Ersatz ihrer Kriegskosten, sowie den Ersatz der Kriegsschäden
verzichteten, und Artikel 3, der die sofortige Wiederaufnahme
der diplomatischen und konsulatischen Beziehungen zwischen
den beiden Nationen vorsah.
Des weiteren der Artikel 4, der die allgemeine Regelung der
beidseitigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen über das
Prinzip des Meistbegünstigungsrechts festschrieb, das
garantierte, dass keine der beiden Regierungen einen dritten
Staat wirtschaftlich günstiger stellte als den Vertragspartner.
Der Artikel 5 erweiterte den Artikel 4 noch einmal mit dem
Einverständnis der beiden Länder, den wirtschaftlichen
Bedürfnissen des anderen in wechselseitiger Gunst
entgegenzukommen. Allerdings war bei einer Regelung dieser
Frage auf internationaler Ebene eine vorrausgehende
Verständigung von Nöten.48
Rein inhaltlich sah der Vertrag eigentlich nur den gegenseitigen
Verzicht der Kriegskosten für die im Krieg entstandenen
Schäden, sowie die Aufnahme diplomatischer, konsulatischer
und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden
Nationen vor und keine militärische Zusammenarbeit.49
2.6 Die Rolle Maltzans, Wirths und Rathenaus
Diese drei Persönlichkeiten in der nach Genua entsandten
deutschen Delegation stellen den Dreh- und Angelpunkt für das
Zustandekommen des Rapallo Vertrages dar. So werden Wirth
vgl. Michalka, Niedhart. Ungeliebte Republik. S. 141- 142.
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 80- 81.
49
vgl. Niedhart, G. Die Außenpolitik der Weimarer Republik. München 1999. S. 15.
47
48
und Maltzan als die Initiatoren für das „politische Ergebnis von
Rapallo “gesehen.50
Denn schon lange vor der Konferenz von Genua, waren Wirth
und Maltzan von der Vorstellung überzeugt, dass die
außenpolitische Klammer Versailles nur durch einen Ausbruch
nach Osten gesprengt werden könne.51
Maltzan galt als Verfechter einer aktiven Russlandpolitik, zu
dessen Stabschef er sich im Laufe der Zeit entwickelte.52 Auch
Wirths Bestrebungen zu festen politischen Beziehungen mit der
Sowjetunion
sind
früh
anzusetzen,
denn
als
Reichsfinanzminister um 1920 förderte er durch Geldmittel die
von General von Seeckt ausgehende Zusammenarbeit mit der
Roten Armee. Diese Aktion wurden der Öffentlichkeit, sowie
dem Reichspräsidenten und dem Außenminister bewusst
vorenthalten.53
Als spätere „Zentralfigur“54 der russophilen Bemühungen hat
Maltzan kontinuierlich auf das Ziel eines deutsch- russischen
Vertrages hingearbeitet, möglichst ohne der britischen
Neutralität gegenüber dem Reich durch eigenmächtige
außenpolitische Handlungen vor den Kopf zu stoßen.55
Er war sich, wie alle Vertreter der aktiven Russlandpolitik, der
Gefahr des Scheiterns bewusst, wenn sie ihre gegen den
Westen gerichteten Bestrebungen zu früh aufdeckten.56
Im Sommer 1921 kam es dann zwischen Wirth und Maltzan zu
einer
„Waffenbrüderschaft“57,
bei
der
die
weitere
außenpolitische Vorgehensweise besprochen wurde, mit dem
Ziel das am 6. Mai 1921 unterzeichnete Handelsabkommen zu
einem Vertrag mit Russland auszubauen.58
Die weiteren Schritte zu den Verhandlungen mit Moskau
übertrug Wirth an Maltzan, weil er als Reichskanzler davon
offiziell nichts wissen durfte.59
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 93.
vgl. ebda. S. 57.
52
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 140.
53
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 57- 58.
54
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 141.
55
vgl. ebda. S. 140.
56
vgl. ebda. S. 140.
57
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 57.
58
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 57.
59
vgl. ebda. S. 57.
50
51
So kam es, dass Maltzan auf Veranlassung Wirths
Verhandlungen mit den Sowjets führte, ohne den
Reichspräsidenten noch den Außenminister davon zu
unterrichten.60
Allerdings intensivierte Maltzan seine Bemühungen um eine
deutsch- sowjetische Verständigung erst um die Jahreswende
1921/ 22, da er als Taktiker auf eine geeignete Chance wartete,
die einen separaten Vertrag zwischen den beiden Staaten
quasi herausforderte.61
Diese Chance bot sich nach der Teilung Oberschlesiens, nach
der die innenpolitische Stimmung gegen die Entente auf einem
Höchstpunkt angelangte. Außerdem zeigte sich Russland
aufgrund des Syndikatsplanes der Engländer, der für die
Sowjets der Gefahr einer Einverleibung durch den
kapitalistischen
Westen
gleichkam,
zunehmend
vertragswilliger.62
Aber auch bei Wirth, der nicht abgeneigt gewesen wäre, das
Handelsabkommen vom 6. Mai auch militärisch auszubauen,
standen die Zeichen auf Sturm. Er erklärte Polen zum Feindbild
und fasste zum ersten Mal den Gedanken eines antipolnisch
ausgerichteten Zusammenspiels mit Moskau.63 Wirths Neigung
zur Kabinettspolitik und Geheimdiplomatie waren nicht neu,
doch nach der Regierungskrise 1921 suchte der
„parlamentscheu“64
gewordene
Wirth
verstärkt
die
Zusammenarbeit mit der Reichswehr, die eine von Grund auf
revanchistische Einstellung zur Außenpolitik pflegte.65
So wurde Maltzan immer mehr zur „treibenden Kraft “66, die das
abgesteckte Ziel Wirths einer antipolnischen Stoßrichtung in
Kooperation mit den Sowjets, verwirklichen sollte.67
Rathenau wusste bei seinem Amtsantritt als Außenminister im
zweiten Kabinett Wirth, also nach der Regierungskrise, nichts
von den bereits begonnen Verhandlungen mit Russland,
vgl. ebda. S. 58.
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 141- 142.
62
vgl. ebda. S. 142.
63
vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 127- 128.
64
vgl. ebda. S. 136.
65
vgl. ebda. S. 136.
66
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 59.
67
vgl. ebda. S. 59.
60
61
genauso wenig wie von den Verbindungen der Reichswehr mit
der Roten Armee. Sein außenpolitisches Konzept sah zwar
auch eine Revision des Versailler Vertrages vor, aber er wollte
dieses Ziel im Einvernehmen mit den Westmächten erreichen.68
Die Erfüllungspolitik war eng mit dem Namen Rathenaus
verbunden, der 1921 noch Minister für Wiederaufbau und ab
1922 dann Außenminister war. Für ihn bedeutete die
Erfüllungspolitik die Möglichkeit eines Konfliktabbaus mit den
Westmächten, um so einen „friedlichen Wandel des Versailler
Systems “69 einzuleiten.70
Eine Einigung mit den Sowjets war für Rathenau nicht
grundsätzlich ausgeschlossen, er hatte sich sogar eine
Vermittlerrolle zwischen der Sowjetunion und den Westmächten
vorgestellt, die eine internationale Aufwertung für Deutschland
hätte bedeuten können. Folglich begrüßte er die
Konsortiumspläne der Engländer, ungeachtet von den
Vertragsplänen Maltzans im Vorfeld der Konferenz von
Genua.71
Doch Maltzan schaffte es, Rathenau durch das Gerücht einer
Annäherung Russlands an Frankreich, stark zu verunsichern
und er setzte ihn auch auf der Konferenz weiter mit der
Nachricht einer baldigen Einigung zwischen den Westmächten
und der Sowjetunion zu ungunsten Deutschlands unter Druck.72
Diese Behauptung war aus der Luft gegriffen, und Maltzan war
dies wohl bewusst, da ihm unter anderem die Ideologie und
Denkweise der Bolschewiki bekannt waren, die sich nicht so
schnell vom kapitalistischen Westen hätten bestimmen
lassen.73
Trotzdem verschwieg er seinem Minister diese Tatsache, weil
er sich selbst mit Nachdruck für den Vertrag einsetzte.74 Denn
dieser Vertrag sollte nach den Plänen Maltzans „das Versailler
System aus den Angeln heben“.75
vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 67.
vgl. Niedhart. Außenpolitik. S. 13.
70
vgl. ebda. S. 13.
71
vgl. ebda. S. 14.
72
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 54.
73
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 143.
74
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 54.
75
vgl. ebda. S. 52.
68
69
2.7 Die Haltung Frankreichs und Englands gegenüber
Deutschland vor
und nach dem Vertrag von Rapallo
Nach dem Abschluss des Versailler Vertrages waren sich
Frankreich, aber auch England bewusst, welche Gefahr von
einem nach Revision des Kriegsergebnisses greifenden
Deutschland ausging. Doch die Lösungsansätze der beiden
Nationen für dieses Problem sahen durchaus unterschiedlich
aus.76
Frankreich war stark von Sicherheitsängsten geplagt77, und
empfand Deutschland als „chronisches Problem “ .78
Aus dieser Tatsache heraus versuchte Frankreich, die nach
dem Krieg neugewonnene kontinentale Hegemonialherrschaft
in Europa durch Bündnisse, beispielsweise mit Polen, auf jeden
Fall gegen Deutschland zu verteidigen.79
Das Ziel der französischen Außenpolitik war es, Deutschland an
einem Wiedererstarken zu hindern.80
Die Mittel für dieses Vorhaben boten die Reparationen, auf
deren „Totalerfüllung“81 vor allem Poincare´, der spätere
französische Ministerpräsident um 1921/ 22, unnachgiebig
bestand.82 Er war ein absoluter Gegner Deutschlands, für den
nur eine „Zerstörungspolitik“83 in Frage kam.84 Daher sahen
Politiker, wie Poincare´ in den Reparationen, deren Höhe im
Versailler Vertrag nicht festgelegt wurde, hauptsächlich die
„politischen Möglichkeiten “85, den rechtsrheinischen Nachbarn
zu unterdrücken. So sollte Deutschland gezielt durch die Höhe
der Reparationen gereizt werden, denn bei einer
Nichtbegleichung der Schulden sah sich Frankreich in die Lage
versetzt, Sanktionen zu verhängen, die unter anderem die
Besetzung deutscher Gebiete vorsahen. Die Absicht, die
vgl. Graml. Zwischen dem Kriegen. S. 83.
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 50.
78
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 83.
79
vgl. ebda. S. 93- 94.
80
vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 139.
81
vgl. ebda. S. 139.
82
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 96.
83
vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 137.
84
vgl. ebda. S. 137.
85
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 97.
76
77
dahinter steckte, war die im Friedensvertrag nicht
durchgesetzte Forderung einer Verschiebung der französischen
Grenze bis zum Rhein, zu korrigieren.86
Bei der britischen Regierung standen jedoch vor allem die
wirtschaftlichen Aspekte im Mittelpunkt, die Deutschland für
Englands Marktwirtschaft bot.87
Sie beobachteten deshalb mit Besorgnis die französische
Deutschlandpolitik, die der Regeneration der europäischen
Wirtschaft entgegen wirkte.88
So durfte nach Ansicht der Engländer weder die Kaufkraft, noch
die industrielle Produktion in Deutschland Schaden erleiden,
weil dies unmittelbare Folgen auf den für die Insel wichtigen
Export und auf die Aussicht auf Reparationszahlungen nehmen
würde.89
Doch
die
Vorraussetzung,
die
Deutschland
als
„zahlungsfähigen Handelspartner“90 sicherte, war die Rückkehr
zur politischen Ebenbürtigkeit Deutschlands.91
Lloyd George, der britische Premierminister, strebte eine
„britischen Interessen gemäße“92 Appeasement- Politik an, die
zur Stabilisierung Europas beitragen sollte.93 Die Konferenz von
Genua war der Versuch Lloyd Georges, unter Einbezug
Deutschlands
und
Russlands,
den
wirtschaftlichen
Wiederaufbau und die politische Befriedigung „Europas vom
Atlantik bis zum Ural“94 vorzubereiten.95
Nach dem Scheitern der Konferenz durch den deutschsowjetischen Vertrag, wurde Poincares grundsätzliche Absicht,
die Besetzung linksrheinischer Gebiete , erheblich erleichtert.
Denn in Frankreich kam das Bündnis zwischen Deutschland
und der Sowjetunion einer Kriegserklärung gleich, die das
vgl. ebda. S. 97.
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 50.
88
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 95.
89
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 50- 51.
90
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 126.
91
vgl. ebda. S. 127.
92
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 51.
93
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 128.
94
George, L. zit. nach. Niedhart. Beziehungen. S. 51.
95
vgl. ebda. S. 51.
86
87
französische Sicherheitsbedürfnis abermals aufflammen ließ,
und die Bevölkerung zunehmend beeinflusste.96
Obwohl der Vertrag als antipolnische Strömung gewertet wurde,
war London immer noch gegen die französischen Vorhaben.
Doch konnten die Franzosen davon ausgehen, dass die Briten
nicht eingreifen würden, weil diese sich weiterhin von einem
französisch- britischen Sicherheitspakt distanzierten.97
London hielt zwar nach wie vor an seiner Entspannungspolitik
fest,
doch
die
Entschlossenheit,
die
französische
98
Sanktionspolitik zu stoppen, schwand zunehmend.
2.8 Die innen- und außenpolitischen Folgen des Rapallo
Vertrages
Der Abschluss des Vertrages von Rapallo zog innen- wie
außenpolitische Konsequenzen nach sich.
Obwohl der Vertrag inhaltlich kaum Veranlassung zur
Beunruhigung bot, lag seine Wirkung vor allem im
psychologischen Bereich, da man den Vertrag als „Gespenst
einer deutsch- russischen Verschwörung gegen die
Westmächte“99 empfand.
Der Vertrag brachte keinen Wandel in der Frage des
Reparationsproblems.100 Ganz im Gegenteil sogar, er bewirkte,
dass nun die Mehrheit der französischen Bevölkerung hinter
Poincares „ sicherheitspolitischer Instrumentalisierung der
Reparationen“101 stand, und zerstörte so die ohnehin von
Poincare´ bekämpfte europäische Entspannung. Frankreichs
Streben nach Erfüllung der totalen Sicherheit war nur noch eine
Frage der Zeit und der Gelegenheit, die in der Ruhrbesetzung
endete.102
Die außenpolitische Bewegungsfreiheit Deutschlands wurde
durch das revisionspolitisch verstandene Bündnis zur
Sowjetunion erheblich beeinträchtigt, da man eine Brüskierung
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 152.
vgl. ebda. S. 153.
98
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 55.
99
Bournazel. zit nach. Kolb, E. Die Weimarer Republik. München 62002. S. 220.
100
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 53- 54.
101
vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 152.
102
vgl. ebda. S. 153- 154.
96
97
des neuen Vertragspartners vermeiden musste, denn jede
diplomatische Verhandlung mit dem Westen konnte im
Widerspruch zu Rapallo gewertet werden.103
Aber auch innenpolitisch gab es Folgen, da die „
verfassungsrechtlich mehr als bedenkliche Kabinetts- und
Geheimdiplomatie“104 Wirths, durch die der Vertrag zustande
kam, das Parlament und den Reichspräsident in ihrer Aufgabe
der Willensbildung übergingen.105
Der Vertrag traf in Deutschland zwar weitestgehend auf
Zustimmung106, doch führte er unmittelbar zu einer Spaltung der
Koalition, da vor allem die sozialdemokratische Führung um
den Reichspräsidenten Ebert von vorneherein gegen eine
Zusammenarbeit mit den Sowjets war.107
Außerdem wurde Walther Rathenau, der Jude war, am 24. Juni
1922 durch antisemitische Rechtsradikale der illegalen
Organisation Consul ermordet, da diese ihn beschuldigten mit
dem Bolschewismus zu sympathisieren.108
vgl. ebda. S. 156.
vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 160.
105
vgl. ebda. S. 160.
106
vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 15.
107
vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 139.
108
vgl. Benz, W., Graml. H. Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik.
München 1988. S. 262- 263.
103
104
3. Fazit
Es ist nicht ganz einfach zu klären, ob der Vertrag von Rapallo
als Weg aus der Isolation, oder doch als aggressiver
Revisionismus verstanden werden muss.
Sicher ist nur, dass sich Deutschland nach dem Krieg von den
Beschlüssen des Versailler Vertrages außenpolitisch eingeengt
und sich durch die nicht gelöste Reparationsfrage vor allem von
Frankreich bedroht fühlte. Dies spiegelt sich alles in der
innenpolitischen Stimmung der Jahre 1921/ 22 wieder.
Daher würde der Schluss nahe liegen, dass der Vertrag rein
aus dem Zeitgeschehen heraus entstand, um Deutschland aus
der Isolation der Nachkriegszeit zu befreien.
Doch diese Sichtweise wäre sehr einseitig, wenn man damit
argumentiert, dass Deutschland sich nur aus seiner Isolation zu
befreien versuchte, schließlich strebten die Deutschen eindeutig
eine Revision des Versailler Vertrages an! Auch Rathenaus
Erfüllungspolitik zielte im engeren Sinne auf dieses Ziel hin.
Daher kann also ausgeschlossen werden, dass die
Revisionsbestrebungen an sich schon als provokant gegenüber
den Westmächten gesehen werden dürfen. Es ist nicht der
Gedanke, sondern die Vorgehensweise, die entscheidet, ob
aggressiv oder nicht. Doch diese Vorgehensweise wurde
maßgeblich von einer kleinen Gruppierung von Politikern, wie
Maltzan und Wirth bestimmt. Ihre Motivationen und ihre
dadurch zu erklärende, fragwürdige Vorgehensweise im Vorfeld
von Genua, sind auf jeden Fall zu berücksichtigen!
Denn die Stimmung gegen die Entente wurde nicht zuletzt von
ihnen erst so richtig angeheizt. Sie brauchten eine breite
Zustimmung in der Bevölkerung, damit sie ihre weitere,
durchaus verfassungswidrige Vorgehensweise rechtfertigen
konnten. Diese Tatsache zeigt zum einen die aggressive
Einstellung der Initiatoren, zum anderen weist aber auch die
Zusammenarbeit mit der Reichswehr indirekt auf die eigentliche
Funktion des Vertrages mit den Sowjets hin. Natürlich kam in
dem Vertrag selbst kein Artikel vor, der die militärische
Kooperation zwischen Deutschland und der Sowjetunion
regelte. Das wäre zu offensichtlich gewesen und hätte das
Vorhaben sofort scheitern lassen. Stattdessen ging von dem
Vertrag implizit eine Bedrohung aus, die auf die Alliierten eine
nervenzerreibende Wirkung ausübte.
Der Vertrag ist in meinen Augen halb als Weg aus der Isolation,
aber auch als aggressiver Revisionismus zu werten. Denn die
Klammer der Isolation, die vom Versailler Vertrag ausging,
sollte zum einen durchbrochen werden, damit Deutschland
seine außenpolitische Handlungsfreiheit wieder erlangt.
Andererseits waren die Motive von Politikern, wie Maltzan und
Wirth, stark revisionistischer Natur, die sie mit allen Mittel
durchsetzen wollten.
Die Befreiung aus der Isolation wurde durch den Vertrag
ermöglicht, allerdings nur in eine Richtung, und zwar nach
Osten, doch das war gewollt! Denn die Sowjetunion als
Vertragspartner sollte Rückendeckung gewährleisten, um ein
Stück machtpolitischen Spielraumes zurückzuerobern, der sich
gegen das Versailler System richtete mit dem Ziel, sich ihm zu
entziehen.
Literaturverzeichnis
Benz, W., Graml, H. Biographisches Lexikon zur Weimarer
Republik. München 1988.
Graml, H. Europa zwischen den Kriegen. München 31976.
Helbig, H. Die Träger der Rapallo- Politik. Göttingen 1958.
Kolb, E. Die Weimarer Republik. München 62002.
Küppers, H. Joseph Wirth. Stuttgart 1997.
Michalka, W., Niedhart, G. Die ungeliebte Republik. München
1980.
Niedhart, G. Internationale Beziehungen 1917- 1947. München
1989.
Niedhart, G. Die Außenpolitik der Weimarer Republik. München
1999.
Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbstständig
angefertigt, keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel
benutzt und die Stellen der Facharbeit, die im Wortlaut oder im
wesentlichen Inhalt anderen Werken entnommen wurden, mit
genauer Quellenangabe kenntlich gemacht habe.
Neuenkirchen, den 27.03.03
Christina Hardinghaus
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