Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Kurt Bräuer Institut für Theoretische Physik Universität Tübingen Letztes Update: Oktober 2012 Inhalt 1. Zahlenbereiche ................................................................................................ 1 2. Koordinaten und Vektoren............................................................................ 15 3. Grenzwerte, Folgen und Reihen ................................................................... 29 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen ......................................... 37 5. Differentialrechnung...................................................................................... 51 6. Integralrechnung ........................................................................................... 69 7. Vektorfunktionen und Felder ........................................................................ 82 Lösungen zu den Übungsaufgaben finden Sie unter www.kbraeuer.de bei 'Skripte und Einführungen – Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium …' www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 Vorwort Ziel des Kurses Der 'Mathematische Vorbereitungskurs zum Studium der Physik' hat in Tübingen eine fast 40jährige Tradition. Er soll den Physikneulingen den Einstieg in das Physikstudium erleichtern, indem eine mathematische Basis für die integrierten Physikkurse der ersten drei Semester geschaffen wird. Der Kurs umfasst zum Grossteil Inhalte, die vom Abitur her bekannt sein sollten, jedoch einer Auffrischung bedürfen. Die mathematische Darstellung ist auf einem etwas höheren Niveau als dem der Schulen gehalten. Sie ist jedoch eher den Bedürfnissen der Physik als dem der Mathematik angepasst. Der Kurs hat auch eine wichtige soziale Aufgabe. Die Studenten können sich 10 Tage lang ohne Leistungsdruck an das Umfeld der Universität gewöhnen und sich gegenseitig kennen lernen. In den Kursleitern haben Sie Ansprechpartner, die selber mitten im Physikstudium stehen und mit den Problemen der Studienanfänger bestens vertraut sind. Geschichte des Skriptes Das ursprüngliches Skript wurde bereits in den 70'er Jahren von Prof. F. Wahl erstellt und von Prof. P. Kramer und Prof. H. Sohr weiterentwickelt. Um den Hilfskräften des Instituts für Theoretische Physik die doch immense Mühe des Kopierens von bis zu 300 Exemplaren pro Kurs zu ersparen, entschlossen wir uns, ein aufgearbeitetes Skript in Buchform zu veröffentlichen. Daraus entstand die 'Einladung zur Physik – Eine mathematische Einführung und Begleitung zum Studium der Physik und Informatik', erschienen 2002 beim Logos-Verlag Berlin. Eine verbesserte Neuauflage erschien 2005. Das Buch geht inhaltlich weit über den Stoff des Vorbereitungskurses hinaus. Es zeichnet sich vor allem durch umfangreiche Veranschaulichungen und Erklärungen aus, die in den üblichen Lehrbüchern sehr kurz kommen. Über das vorliegende Skript Das neue Skript entstand zum einen aus der Notwendigkeit heraus, den Inhalt des Vorbereitungskurses den gewandelten Bedürfnissen der Integrierten Kurse der ersten Physiksemester und an den neuen Bachelor-Studiengang anzupassen. Zum anderen erscheint es heute angemessen, den Studenten ein begleitendes Online-Manuskript anzubieten, das die wesentlichen Lehrinhalte übersichtlich darstellt. Es beinhaltet im Wesentlichen die Tafelaufschriebe und sollte als Lehrmaterial nur in Verbindung mit dem Kurs oder dem oben erwähnten Lehrbuch 'Einladung zur Physik …' verwendet werden.. An Themen umfasst es Vektoren, Ableiten und Integrieren, was den angehenden Studenten in Grundzügen bekannt sein sollte und im Studium vorausgesetzt wird. Das letzte Kapitel des Skripts befasst sich darüber hinaus mit Vektorfunktionen und Feldern, also mit Bahnkurven, Gradienten, Wegintegralen und ähnlichem. Diese mathematischen Mittel zur Beschreibung physikalischer Zusammenhänge werden im Integrierten Physikkurs I behandelt und in den höheren Kursen vertieft. Sie stellen im Grunde eine Kombination der Kursthemen Vektoren, Ableiten und Integrieren dar. So werden am Ende des Vorbereitungskurses die Grundinhalte vertieft und die Stofffülle des Integrierten Kurses I aufgelockert. In das vorliegende Skript nicht aufgenommen wurden Themen wie Divergenz, Rotation, Krummlinige Koordinaten und Matrizenrechnung. Diese spielen im Integrierten Kurses I nicht wirklich eine Rolle. Dank Zu den Vorbereitungskursen der letzten Jahre fanden regelmäßig Besprechungen der Kursleiter statt, aus denen viele konstruktive Gedanken in das neue Skript eingeflossen sind. All den Kursleitern danke ich für ihre Beiträge. Tübingen, im Februar 2009 www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 1 1. Zahlenbereiche Natürliche, ganze, rationale, reelle und komplexe Zahlen Vorbemerkung Ursprünglich kommt man zu Zahlen und zum Rechnen, indem man Dinge oder Weltinhalte abzählt. Die Anzahl beschreibt man durch Symbole 1, 2, 3,…. Das Abzählen wird dann mehr und mehr ins Gedankliche verlagert und man stellt sich die abzuzählenden Dinge nur noch vor. So kommt man etwa zu negativen Zahlen, die die Anzahl fehlender Dinge meinen, oder zu einem Symbol '0' für das Nichts oder zu '∞', was es in der dinglichen Welt nicht gibt. Das Rechnen wird mehr und mehr abstrakt und von dem ursprünglichen Abzählen von Dingen entkoppelt. Man hat reine Symbole und wendet Regeln auf diese an. Rechnen auf der Basis des Abzählens von Objekten mit natürlichen Zahlen: Abzählen: Addieren : Subtrahieren: (1-1) Das Wort 'Welt' hat 4 Buchstaben 'Hallo Welt' hat 5 + 4 = 9 Buchstaben 'Hallo' hat 9 - 4 = 5 Buchstaben Multiplizieren: 'Hallo Hallo' hat 2 ⋅ 5 = 10 Buchstaben Teilen: Halbes Wort 'We' hat 4 / 2 = 2 Buchstaben Potenzieren: 'Welt Welt Welt Welt' hat 4 ⋅ 4 ≡ 42 = 16 Buchstaben Radizieren: 'Welt' hat 16 = 4 Buchstaben Gedanklich kann man mit Zahlen mehr machen, als Dingen abzuzählen: Subtrahieren: 'We' hat 2-4 = −2 Buchstaben mehr als 'Welt' Teilen: 'We' hat 2/4=1/2 soviel Buchstaben wie 'Welt' Radizieren: Die Zahl 2 multipliziert mit sich selbst ergibt die Anzahl 2 (1-2) −2, 1/ 2 oder 2 sind keine natürlichen Zahlen, sie symbolisieren nicht die Anzahl existierender, abzählbarer Dinge. Sie sind aber zum Rechnen sehr nützlich. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13/02/2013 2 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Natürlichen Zahlen Als natürliche Zahlen bezeichnet man die Symbole 1,2,3,… für die entsprechende Anzahl von Objekten. Man fasst diese Symbole als Elemente einer Menge auf. Menge der natürlichen Zahlen: ℕ ≡ {1, 2, 3,...} (1-3) Ordnungsstrukutur m und n stehen jeweils für eine natürliche Zahl. n > m : n symbolisiert eine größer Anzahl von Objekten als m n < m : n symbolisiert eine kleinere Anzahl von Objekten als m n ≤ m : n symbolisiert eine kleinere oder gleiche Anzahl von Objekten wie m (1-4) n ≥ m : n symbolisiert eine größere oder gleiche Anzahl von Objekten wie m Grundrechenarten in ℕ Man kann zwei Mengen von Dingen zusammenbringen und abzählen oder aus einer Menge einen Teil entfernen. Beim Abzählen von mehreren gleich großen Mengen kann man das Abzählen vereinfachen. Addition: Subtraktion: für n, m ∈ ℕ ist n + m = k ∈ ℕ für n > m ∈ ℕ existiert ein k ∈ ℕ, so dass m + k = n (1-5) ( oder n - m = k ∈ ℕ ) Multiplikation: für n, m ∈ ℕ ist n ⋅ m = k ∈ ℕ Die Symbole '0' und '∞': Ein Wort mit Null Buchstaben ist kein Wort! Zum Zählen braucht man keine '0'. Trotzdem ist es sinnvoll, für das Nichts ein Symbol '0' einzuführen. Ich sage etwa: 'In meinem Geldbeutel sind 0 €', oder 'Die Anzahl von Buchstaben in 'Welt' und 'Ball' unterscheidet sich um 0 Buchstaben. Zu jeder natürlichen Zahl 'n' gibt es eine größere Zahl, etwa 'm=n+1'. Die Anzahl der Zahlen ist unbegrenzt. In unserer Welt gibt es jedoch nur endliche viele Dinge, die man abzählen kann. Beim Rechnen betrachtet man allerdings manchmal Zahlen, die sehr groß sind. Es spielt dann keine Rolle spielt, ob man noch etwas dazu zählt oder sie multipliziert. Dafür verwendet man das Symbol '∞'. Dafür gilt etwa n + ∞ = ∞, oder n ⋅ ∞ = ∞ (1-6) Das sind nicht mehr die Rechenregeln für Zahlen und somit ist das Symbol ∞ auch keine Zahl. 1. Zahlenbereiche 3 Ganze Zahlen Ganze Zahlen erhält man durch die Verallgemeinerung und Abstraktion der Subtraktion. Man kann aus einem Sack nur so viele Kartoffeln herausnehmen, wie auch drin sind. Man kann allerdings unter Umständen mehr Geld ausgeben, als man hat. Subtraktion in ℕ: für n > m ∈ ℕ existiert ein k ∈ ℕ, so dass m + k = n Verallgemeinerung: für alle n, m ∈ ℕ existiert ein k , so dass m + k = n (1-7) für n < m ∈ ℕ ist k = n − m ∈ {−1, −2, −3...} Ganze Zahlen: ℤ ≡ {..., -2, −1, 0,1, 2,...} Ordnungsrelationen: die Bedeutung von >, <, ≥, ≤ ergibt sich aus der Reihenfolge der ganzen Zahlen + k , für k > 0 k = sonst −k -n ist das Symbol für das Fehlen von n Objekten. Betrag: Rationale Zahlen Rationale Zahlen erhält man durch Verallgemeinerung oder Abstraktion des Teilens. Man teilt einen Kuchen in 5 Stücke und isst davon 2. Diesen Teil des Kuchens kann man durch einen Bruch beschreiben. Die Menge aller Brüche bilden die rationalen Zahlen. (1-8) Zähler Bruch: p , mit p, q ∈ ℤ und q ≠ 0 q Nenner Kürzen und Erweitern: für p, q, r , s ∈ ℤ gilt : weitere Regeln: Beispiele: Rationale Zahlen: p r = genau dann, wenn p ⋅ s = q ⋅ r q s p 0 = p, =0 1 q 3 6 9 −12 2 , = = = =2 2 4 6 −8 1 p ℚ ≡ , mit q, p ∈ ℤ und q ≠ 0 q Rechenregeln: Zum Abzählen von zwei Stücken eines dreigeteilten Kuchens und einem Stück eines halben Kuchens muss man die einzelnen Stücke weiter teilen und so zu gleichgroßen Stücken kommen. Man bringt sie auf den Hauptnenner. Die gleich großen Stücke kann man dann zusammenzählen, also 2/3=4/6 und 1/2=3/6. Zusammen hat man also (4+3)/6=7/6 oder einen ganzen Kuchen und 1/6 Stück. Ähnlich überlegt man sich das Multiplizieren und Teilen von Brüchen. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 4 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium für p1 , p2, q1 , q2 ∈ ℤ, q1 , q2 ≠ 0 : Addition, Subtraktion: p1 p2 p1q2 ± p2 q1 ± = q1 q2 q1q2 Multiplikation: p1 p2 p1 ⋅ p2 ⋅ = q1 q2 q1 ⋅ q2 Division: p1 p2 p1 ⋅ q2 / = q1 q2 q1 ⋅ p2 Ordnungsrelation: p q ≤ p2 q1 für q1 ⋅ q2 > 0 und p1 p2 ≤ ist gleich 1 2 q1 q2 p1q2 ≥ p2 q1 für q1 ⋅ q2 < 0 (1-9) Dezimaldarstellung rationaler Zahlen Wir sind gewohnt, rationale Zahlen als Dezimalzahlen darzustellen und zu verwenden. Sie ergeben sich aus der Dezimalbruchzerlegung. d 0 ∈ ℕ 0 ( Menge der natürlichen Zahlen und der '0') Mit: d1, d 2 , d3 ,... ∈ {0,1, 2,...,9} d d d p Dezimalbruchzerlegung: = d 0 + 1 + 2 + 3 + ... q 10 100 1000 Dezimalzahl: d 0 , d1d 2 d3 ... (1-10) Die Umwandlung eines Bruches in eine Dezimalzahl ist eine der vier Grundrechenarten und wird als 'Teilen' bezeichnet. Wie die Umwandlung praktisch geschieht, lernt man in der Grundschule. Beispiele: (1-11) 1 1 1 = 0,3333... ≡ 0, 3, = 0, 2000... ≡ 0, 20, = 0, 090909... ≡ 0, 09 3 5 11 Die Querstriche bezeichnen die Periode, also die ständige Wiederholung derselben Sequenz. Man kann zeigen, dass alle rationalen Zahlen eine solche Periode haben. Reelle Zahlen Zu reellen Zahlen kommt man durch Verallgemeinerung oder Abstraktion des Wurzelziehens aus positiven rationalen Zahlen. Für das Symbol q soll gelten: q q = q Wurzelziehen: Für Qudaratzahlen oder p r gilt p = r ⋅ r und q = s ⋅ s, dann ist = q s Brüchen aus Quadratzahlen: (1-12) Im Allgemeinen gibt es für eine Wurzel jedoch keine rationale Zahl. Wir versuchen es mal mit der Wurzel aus 2. Welche Zahl muss man mit sich selbst multiplizieren, um 2 zu erhalten? Wir berücksichtigen dabei, dass bei einem geraden Quadrat einer natürlichen Zahl auch die natürliche Zahl selber gerade ist. 1. Zahlenbereiche 5 für n ∈ ℕ gilt: ist n2 ∈ 2ℕ, dann ist auch n ∈ 2ℕ Beispiele: n 1 2 3 4 5 6 7 8 n 2 n 2 4 1 16 9 36 25 64 49 (1-13) 9 … … ∈ 2ℕ 81 … ∈ 2ℕ + 1 Damit zeigt man, dass ein Bruch, dessen Quadrat die Zahl 2 ergibt, beliebig oft durch 2 gekürzt werden könnte. Das ist natürlich Unsinn und bedeutet, dass es diesen Bruch nicht geben kann. dann wäre p p ⋅ = 2 ist q q p 2 = 2q 2 ∈ 2ℕ ( ≡ Menge der geraden Zahlen ) dann wäre dann wäre p ∈ 2ℕ, also p = 2m mit m ∈ ℕ p 2 = 4m 2 = 2q 2 dann wäre q 2 = 2m 2 , also q 2 ∈ 2ℕ Annahmen: es gäbe p, q ∈ ℕ, so dass (1-14) q = 2 n, n ∈ ℕ p 2m m = also: 2= = q 2n n m 2r r 2t t 2= = = = = = ... ( mit r , s, t , u ∈ ℕ ) Wiederholung: n 2 s s 2u u Der Bruch könnte also beliebig oft mit 2 gekürzt werden, was keinen Sinn macht. Eine rationale Zahl für die Wurzel aus 2 kann nicht existieren. Dieser Beweis stammt von Euklid. Pythagoras ließ einen Schüler, der dies als erstes herausfand, zum Tod durch Ertränken verurteilen. Er wollte nicht akzeptieren, dass eine Zahl wie die Wurzel aus 2 keine Entsprechung in der Welt der abzählbaren Dinge hat. Das Wurzelsymbol hat eine ausschließlich gedankliche oder abstrakte Bedeutung. dann wäre Zum praktischen Messen und Rechnen verwenden wir in der Regel Zahlen in der Dezimaldarstellung mit einer endlichen Anzahl von Stellen hinter dem Komma. Sie haben die Periode '0' und gehören damit zu den rationalen Zahlen. Eine Bruchdarstellung lässt sich leicht angeben: 75 25 ⋅ 3 3 = = 100 25 ⋅ 4 4 31415 6283 oder: 3.1415= = 10000 2000 Wir ziehen die Dezimaldarstellung zur Definition der reellen Zahlen heran. etwa: 0.75= Die Menge der reelle Zahlen ℝ umfasst alle 'Zahlen' mit (1-15) (1-16) einer Dezimaldarstellung, auch solche ohne Periode Die Menge der reellen Zahlen umfasst also auch 'Zahlen' die nicht wirklich zählen. Wir haben damit einen Begriff für etwas geschaffen, der in der dinglichen Welt keine Entsprechung hat. In Mathematik und Physik sind die reellen Zahlen jedoch unverzichtbar. Sie führen allerdings zu einem, wie Goethe es ausgedrückt hat, naturwissenschaftlichen Illusionismus. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 6 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Reelle Zahlen dienen etwa als Koordinaten zur Beschreibung von Raum- und Zeitpunkten. Mathematisch wird so eine absolute Raum-Zeit konstruiert und wir glauben heute, in einer solchen Raum-Zeit zu existieren. Tatsächlich ist eine solche Raumzeit nicht mit Messungen der Lichtgeschwindigkeit in verschiedenen Bezugssystemen verträglich. In der Einsteinschen Relativitätstheorie findet man daher, dass diese absolute Raum-Zeit nicht wirklich existiert. Raum und Zeit sind nur als relative Bezüge zwischen Objekten sinnvoll. Bahnkurven sind die Grundlage der gesamten klassischen Physik. Tatsächlich ist jedoch weder die genaue Position eines Objektes noch seine genaue Geschwindigkeit messbar. Bahnkurven sind reine Vorstellungen. Das wird bereits in der Chaostheorie deutlich, wo sensible Zusammenhänge untersucht werden. Theoretisch kommt es dann auf alle unendlich vielen Stellen einer Positionsangabe an. Hier müssen Bahnkurven durch Attraktoren ersetzt und die Idee langfristiger Vorhersage eines Systemverhaltens, etwa beim Wetter, aufgegeben werden. In der Quantenmechanik behandelt man dann die Ungenauigkeit oder Unschärfe von Positionsund Geschwindigkeitsangaben statistisch. Die Ausbreitung von Wirkungen wird durch einen Wahrscheinlichkeitsstrom beschrieben. Dadurch werde die Atome erklärt. Das Plancksche Wirkungsquantum, eine der wenigen Konstanten der Physik, gibt die minimale Unschärfe der Wirkungen an. Die Verwendung der reellen Zahlen zur Naturbeschreibung schafft also zunächst die Illusion einer absoluten und berechenbaren materiellen Welt in Raum und Zeit als Grundlage unserer Existenz. In der gibt es keine Möglichkeit für Spiritualität. Die moderne Physik überwindet diese Illusion und öffnet unser Weltbild hin zum Unbegreiflichen. Die Zahlengerade Aus mathematisch praktischen Gründen ordnet man gedanklich jeder reellen Zahl einen Punkt auf einer Geraden zu. Man kann das veranschaulichen, indem man Punkte auf eine Gerade einträgt. Praktisch kann man die Punkte wegen ihrer Ausdehnung allerdings nur sehr grob setzen. Wir konstruieren diese Zahlengerade so: Start: Markierung zweier beliebiger Punkte als 0 und 1 Natürliche Zahlen: Vervielfachung der Strecke 01 → 1, 2,3, 4,5,... Ganze Zahlen: Spiegelung der Punkte 1, 2,3, 4,5,... an '0' → -1,-2,-3,-4,-5,... Rationale Zahlen: q ' ter Teil von 01 wir p mal abgetragen → Reelle Zahlen: Annäherung durch rationale Zahlen p q (1-17) 1. Zahlenbereiche 7 Abbildung 1-1: Zahlengerade mit natürlichen, ganzen, rationalen und irrationalen Zahlen Komplexe Zahlen Komplexen Zahlen erhält man durch Verallgemeinerung und Abstraktion des Wurzelziehens. Wurzeln Eine reelle Zahl a bezeichnet man als Wurzel aus x, wenn a mit sich selbst multipliziert die Zahl x ergibt. a = x , wenn (1-18) a2 = x offensichtlich: x > 0 Hat man fünf mal fünf Äpfel, so sind das 25 Äpfel. Auf keinen Fall fehlen dann Äpfel. Die Wurzel macht zunächst nur für positive Zahlen x einen Sinn. Die imaginäre Einheit 'i' In der Welt der abzählbaren Dinge kann man die Wurzel nur aus positiven Zahlen ziehen. Beim Rechnen mit quadratischen Gleichungen stößt man jedoch auch auf Wurzeln aus negativen Zahlen. Beispiel: x 2 − 1 = 0 → x 2 = 1 → x = ±1 aber x 2 + 1 = 0 → x 2 = −1 → ? (1-19) In letzterer Gleichung kann x mit nichts aus der Welt der abzählbaren Dinge in Zusammenhang gebracht werden, es handelt sich um etwas Imaginäres. Man führt daher die imaginäre Einheit i ein: Definition: x 2 = −1 → x = ±i mit i 2 = −1 (1-20) Damit kann man ganz allgemein mit Wurzeln aus negativen Zahlen rechnen. Eine 'Imagination' dazu entwickeln wir mit Hilfe der komplexen Zahlenebene im nächsten Abschnitt. Beim Rechnen mit Wurzeln aus negativen Zahlen muss man jedoch vorsichtig sein! Beispiel: − 1 ⋅ − 4 = i 2 ⋅ 4 = − 2, ( − 1 ⋅ −4 = ( − 1) ⋅ ( − 4 ) = 4=2 ) (1-21) Mit der imaginären Einheit i definiert man nun die www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 8 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Menge der komplexe Zahlen ℂ ≡ { z = a + ib, mit a, b ∈ ℝ} (1-22) a : Realteil von z b : Imaginärteil von z Rechenregeln Addition: Subtraktion: z1 ± z2 = ( a1 + ib1 ) ± ( a2 + ib2 ) = ( a1 ± a2 ) + i ( b1 ± b2 ) = z =a (1-23) =b Multiplikation: z1 ⋅ z2 = ( a1 + ib1 ) ⋅ ( a2 + ib2 ) = a1a2 − b1b2 + i ( a1b2 + a2b1 ) = z =a Division: z1 a + ib1 a1 + ib1 = 1 = z2 a2 + ib2 a2 + ib2 z2 ≠ 0! ⋅ =b a b −ab a2 − ib2 a1a2 + b1b2 = 2 + i 2 21 12 2 = z 2 a2 − ib2 a2 + b2 a2 + b2 =1 =a =b Beispiele: (1 − i ) = 1 − i 1 1 −i 1 = = −i, = i i ⋅ ( −i ) 1 + i (1 + i ) ⋅ (1 − i ) 2 2 (1-24) Die komplexe Zahlenebene Zur Veranschaulichung ordnen wir gedanklich jeder komplexen Zahl z=a+ib einen Punkt in der Ebene zu. Abbildung 1-2: Die komplexe Zahlenebene Die komplexe Zahlenebene wird auch als Gaußsche Zahlenebene bezeichnet. Addition und Subtraktion komplexer Zahlen sind in dieser Zahlenebene einfach das aneinanderfügen der parallelverschobenen Pfeile (Vektoren). 1. Zahlenbereiche 9 Abbildung 1-3: Addition und Subtraktion komplexer Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene Komplexkonjugation Die Komplexkonjugation ändert das Vorzeichen des Imaginärteils einer komplexen Zahl: (1-25) Komplexkonjugation: für z = a + ib ist z = a − ib In der Gaußschen Zahlenebene wird die komplexe Zahl so an der reellen Achse gespiegelt. Abbildung 1-4: Komplexkonjugation und Betrag komplexer Zahlen, veranschaulicht in der Gaußschen Zahlenebene. Der Absolutbetrag komplexer Zahlen Mit der Komplexkonjugation lässt sich die Länge oder der Betrag einer komplexen Zahl elegant angeben: für z = a + ib ist der Betrag: z ≡ a 2 + b2 = (1-26) ( a + ib)( a − ib ) = zz Die Interpretation des Betrages als Länge des Pfeils in der Gaußschen Zahlenebene ergibt sich nach dem Satz von Pythagoras (|z|2=a2+b2). www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 10 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Das Argument komplexer Zahlen In der Gaußschen Zahlenebene kann eine komplexe Zahl durch Betrag |z| und Winkel zur reellen Achse oder Argument α dargestellt werden: Abbildung 1-5: Darstellung einer komplexen Zahl durch Betrag |z| und Argument α cos α = x / z mit sin α = y / z ist z = x + iy = z cos α + i z sin α = z ( cos α + i sin α ) (1-27) Der Winkel α ist nur bis auf ein Vielfaches von 2̟ festgelegt. Man definiert daher den Hauptwert von z: Hauptwert: Arg z ∈ (−π , π ] Argument: α = Arg z + 2nπ , n ∈ ℤ Abbildung 1-6: Argument der komplexen Zahl z (1-28) 1. Zahlenbereiche 11 Die Eulersche Formel Wir betrachten die komplexen Zahlen auf dem Einheitskreis in der Gaußschen Zahlenebene, also die komplexen Zahlen vom Betrag 1. Einheitskreis: zˆ ≡ cos α + i sin α , ( zˆ = 1) (1-29) zˆ α = 0 = cos ( 0 ) + i sin ( 0 ) = 1 zˆ für α = 0 =1 =0 dzˆ = − sin α + i cos α = i ( cos α + i sin α ) = izˆ dα d n zˆ n'te Ableitung: = i n zˆ n dα Vergleiche: eiα = e0 = 1 1. Ableitung: α =0 iα de = ieiα dα d n eiα n'te Ableitung: = i n eiα n dα Wie sich mit dem Satz von Taylor (Kapitel 5) auch streng beweisen lässt, sind zwei Funktionen identisch, wenn ihre Ableitungen überall gleich sind und wenn sie an einer Stelle denselben Funktionswert haben. Damit lassen sich zum Beispiel trigonometrische Formeln sehr elegant herleiten: 1. Ableitung: Eulersche Formel: Moivresche Formel: eiα = cos α + i sin α ( ) e i α +β = = cos (α + β ) + i sin (α + β ) iα e (1-30) ⋅ iβ e = = cosα + i sin α cos β + i sin β Realteil: cos (α + β ) = cos α cos β − sin α sin β Imaginärteil: sin (α + β ) = cos α sin β + sin α cos β also: Exponentialschreibweise komplexer Zahlen z = z ( cos α + i sin α ) = z eiα = z eiArg z (1-31) Damit lässt sich zum Beispiel die Multiplikation zweier komplexer Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene veranschaulichen. z1 = z1 eiα1 komplexe Zahlen: iα 2 z2 = z2 e www.kbraeuer.de (1-32) Produkt: z ≡ z1 ⋅ z2 = z1 eiα1 z2 eiα 2 = z1 z2 e ( i α1 +α 2 ) also: z = z1 z2 α = α1 + α 2 speziell: zz = z 2 Tübingen, den 13.02.2013 12 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Übungsbeispiele Bestimmen Sie die Dezimalzahlen: 7 1. zu r = und 8 2 2. zu r = 7 (1-33) (Die nächste Aufgabe kann im MVK ausgelassen werden) 3. Die Umwandlung einer Dezimalzahl in eine rationale Zahl kann durch die r = d1 + d2 + 'continued fraction representation' erfolgen: (1-34) 1 , di ∈ ℕ 1 1 ... d4 d3 + r3 ≡ 1 1 = − d3 d 4 + r4 r2 r2 ≡ 1 1 = − d2 d3 + r3 r1 r1 ≡ r − d1 = Zum Beispiel ist für die Zahl r = 3.245: 1 1 1 r1 = r − d1 = r2 = − d2 = d +r r d +r 3.245 2 3 4 1 2 33 0.245= also: r = 3+ 1 4.082 1 4+ 1 1 12 + 4 49 649 = 3+ = 200 200 4.082 = 3+ 0.082 = 1 4+ 4 ⋅12 + 1 4 = 3+ 1 1 1 − d3 = r3 = − d 3 = 0 r d 4 + r4 r 2 12 2 4 r3 = 12.25 1 12.25 1 4+ 1 d 2 + r2 4 49 0.25 = = 3+ 1 4 4 49 49 = 3+ 4 ⋅ 49 + 4 4 ⋅ 49 + 4 160 + 36 =196 48 Führen Sie das Verfahren für die Zahl r = 0.5 durch. Verwenden Sie dabei 1 = 1.8 und 0.5 1 = 1.25. Können Sie für diesen Fall einen direkteren Weg zum Ergebnis angeben? 0.8 4. Bestimmen Sie für die komplexe Zahl z = 3 + i die Inverse, das Quadrat, das Absolut 1 π quadrat und die Exponentialdarstellung. Es ist arctan = . 3 6 (1-35) 1. Zahlenbereiche 13 5. Bestimmen Sie für die komplexen Zahlen z1 = 1 + 2i, z2 = 2 + i das Produkt z1 z2 und den Quotient (1-36) z1 . z2 6. Geben Sie die folgenden komplexen Zahlen in der Exponentialform an: (1-37) a) 2i, b) −1 − i, c) 3 − i 3 7. Welche reellen und komplexen Lösungen hat (1-38) a) z = 81, b) z = 3 − i 3 c) z − 2iz + 3 = 0 4 3 2 Zeigen Sie: 8. ( cos x + i sin x )3 = cos 3x + i sin 3x 9. (1-39) eix + e − ix cos x = 2 ix − ix sin x = e − e 2i 10. a 2 = b 2 + c 2 − 2bc cos ( ∢ ( b, c ) ) , ( Kosinussatz ) mit Hilfe komplexer Zahlen ( Betrachten Sie für z = be 1 www.kbraeuer.de iα1 , z2 = ceiα 2 , z = aeiα ≡ ( z1 − z2 ) den Ausdruck für z 2 ) Tübingen, den 13.02.2013 2. Koordinaten und Vektoren Messgrößen in der Physik Messen geschieht zunächst durch Vergleich mit einem Maßstab. Messbare Grundgrößen der klassischen Mechanik sind räumliche Abstände, zeitliche Abstände und Kräfte. Interessant ist, dass auch zeitliche Abstände und Kräfte zunächst über Ortsmessungen durchgeführt werden (Lauf der Gestirne, Sanduhr, Pendeluhr, Quarzuhr, Federwaage,…). Andere physikalische Größen werden indirekt gemessen (Geschwindigkeit, Ladung, Massen, …). Strom oder Spannung misst man beim Spuleninstrument auch über räumliche Lageveränderung des Zeigers. Raumerfahrung und Objektivierung des Raumes Raum ist Grundlage unserer bewussten Welterfahrung. Alle Bewusstseinsinhalte sind räumlich, also nebeneinander, hintereinander oder übereinander angeordnet. Das Raumerleben hat sich beim Menschen in den letzten paar tausend Jahren entwickelt und diese Entwicklung durchläuft jeder Mensch beim Erwachsenwerden aufs Neue. Die Raumerfahrung wird mit Hilfe von Maßstäben objektiviert, etwa mit einem Meterstab oder Lineal. Man misst Abstände durch Vergleich mit dem Maßstab. Maßstäbe bilden die Basis der Raumbeschreibung. Abstände werden mit reellen Zahlen in Form von Koordinaten mit Bezug auf einen Maßstab oder die Basis angegeben. 1. Stufe der Raumerfahrung (Kleinkind) Topologie (Nachbarschaft: neben- hinter- übereinander). 2. Stufe der Raumerfahrung (Schulkind) Objektivierung der Raumerfahrung durch Messung: Maßstab e : ( beliebiges Objekt, Lineal ) Koordinate x : Strecke L = x ⋅ e (2-1) 3. Stufe der Raumerfahrung (Erwachsener) 3-dimensionaler, relativer Raum: Richtungsmaßstäbe ( Basis ) eˆx , eˆ y , eˆz : 3D-Bezug zwischen zwei Punkten P1 , P2 : ( P1 , P2 ) Koordinaten x, y , z : R = xeˆx + yeˆ y + zeˆz (2-2) Die Richtungsmaßstäbe im mehrdimensionalen Raum bezeichnet man als Basisvektoren, die Überlagerung zur Beschreibung räumlicher Beziehung zweier Punkte als Vektoren. Wir kennzeichnen Basisvektoren durch ein '^' und Vektoren durch einen Pfeil. 4.Stufe der Raumerfahrung (Erwachsener) 3-dimensionaler, absoluter Raum (Raum als unabhängiger Behälter für Objekte, Raum wird selbst zum Objekt): Richtungsmaßstäbe ( Basis ) eˆx , eˆy , eˆz : Absoluter Punkt im Raum: Koordinaten x, y , z : ( P ,O ) = xeˆx + yeˆ y + zeˆz P≡R Bezugspunkt O : (2-3) 16 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Koordinantensysteme und objektiver Raum Basis, Koordinaten und Bezugspunkt oder Ursprung bilden ein Koordinatensystem. Damit kann man räumliche Bezüge quantifizieren und in Diagramme eintragen. So entsteht ein objektives Bild räumlicher Bezüge. Raum ist selber zum Objekt geworden. Wir erleben eine objektive Welt in einem objektiven Raum. Abbildung 2-1: Punkt P im absoluten Raum, dargestellt mit Basisvektoren e und Koordinaten x, y, z. Vektoren P ,P R ( 1 2 ) beschreibt die räumliche Beziehung zwischen den Punkten P1 und P2 mit Hilfe einer Basis und Koordinaten. Konstruktionen wie R ( P1 , P2 ) nennt man Vektoren. Wie wir gleich sehen werden, kann man verschiedene Vektoren miteinander addieren oder mit einer Zahl multiplizieren. Die Wahl des Koordinatensystems ist willkürlich. Die räumliche Beziehung zwischen den Punkten hängt jedoch von dieser Wahl nicht ab. Wie wir später sehen werden, ergeben sich daraus konkrete Transformationsgleichungen für den Wechsel von einem Koordinatensystem zu einem anderen. Für eine kompaktere Schreibweise ersetzt man x , y , z gerne durch x1 , x2 , x3 oder durch xi , i ∈ {1, 2,3} . 3 P ,P R ( 1 2 ) = xeˆx + yeˆ y + zeˆz ≙ x1eˆ1 + x2 eˆ2 + x3eˆ3 = ∑ xi eˆi . i =1 (2-4) entspricht Es ist oft nicht nötig, die Basisvektoren mit aufzuschreiben, man definiert Spalenvektor x ˆ ˆ ˆ Koordinatentripels: y ≡ xex + yey + zez z Zeilenvektor oder ( x, y, z ) ≡ xeˆx + yeˆy + zeˆz Damit kann man etwa schreiben (2-5) 2. Koordinaten und Vektoren 17 eˆx = (1, 0, 0 ) , eˆy = ( 0,1, 0 ) , eˆz = ( 0, 0,1) (2-6) Rechenregeln: Alle Regeln folgen unmittelbar aus der Bedeutung von Koordinaten als Skalierung des Maßsstabes. Addition für a ≡ ( a1 , a2 , a3 ) , b ≡ ( b1 , b2 , b3 ) , c ≡ ( c1 , c2 , c3 ) : Addition: a + b = ( a1 + b1 ) eˆ1 + ( a2 + b2 ) eˆ2 + ( a3 + b3 ) eˆ3 (2-7) = ( a1 + b1 , a2 + b2 , a3 + b3 ) Subtraktion: a − b = ( a1 − b1 , a2 − b2 , a3 − b3 ) Kommutativgesetz: a + b = b + a Assoziativgesetz: a +b +c = a + b +c ( ) ( ) Abbildung 2-2: Veranschaulichung der Addition und Subtraktion, des Kommutativ- und des Assoziativgesetzes Multiplikation mit Skalar Multiplikation mit Skalar: λ a ≡ ( λ a1 , λ a2 , λ a3 ) ; Distributivgesetz: λ a + b = λ a + λb ; Assoziativgesetz: ( λµ ) a = λ ( µ a ) . ( www.kbraeuer.de (2-8) ) Tübingen, den 13/02/2013 18 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 2-3: Veranschaulichung der Multiplikation von Vektoren mit einem Skalar Inneres Produkt oder Skalarprodukt Die Basisrichtungen sollen unabhängig voneinander sein, was durch ein so genanntes inneres Produkt ausgedrückt werden kann. Inneres Produkt oder Skalarprodukt: 1 für i = j; = δ ij ≡ 0 für i ≠ j. Inneres Produkt eˆi ⋅ eˆ j oder Skalarprodukt (2-9) Kroneckersches -Deltasymbol Skalarprodukt zwischen Vektoren: Das Skalarprodukt '⋅' für die Basisvektoren in (2-9) führt unmittelbar auf das Skalarprodukt zwischen Vektoren. (2-10) Skalarprodukt: a ⋅ b = ( a1eˆ1 + a2 eˆ2 + a3eˆ3 ) ⋅ ( b1eˆ1 + b2 eˆ2 + b3eˆ3 ) = 3 ∑ ab i , j =1 i j eˆi ⋅ eˆ j δ ij = a1b1 eˆ1 ⋅ eˆ1 + a1b2 eˆ1 ⋅ eˆ2 + … a3b2 eˆ3 ⋅ eˆ2 + a3b3 eˆ3 ⋅ eˆ3 1 0 0 1 3 = a1b1 + a2b2 + a3b3 = ∑ ai bi i =1 Länge eines Vektors: Nach dem Satz des Pythagoras ergibt sich, dass das Quadrat der Länge eines Vektors die Summe über die Koordinatenquadrate ist. Wir definieren daher 2. Koordinaten und Vektoren Länge des Vektors r : r ≡ r ≡ r ⋅ r = 19 (2-11) 3 ∑ xi2 = x 2 + y 2 + z 2 i =1 Abbildung 2-4: Länge eines Vektors nach dem pythagoreischen Lehrsatz. Interpretation des Skalarprodukts zwischen zwei Vektoren: Projektion auf x-Achse: a ⋅ eˆx = ax = a cos α ; (2-12) a Projektion auf den speziellen Vektor b ≡ beˆx : a ⋅ ( beˆx ) = ab cos α ; b Unabhängig vom Koordinatensystem: a ⋅ b = ab cos α . In (2-12) haben wir eine sehr interessante Verallgemeinerung vorgenommen. Im mittleren Ausdruck stehen Größen die weder von den Basis-Vektoren noch den Koordinaten abhängen, also Vektoren, Längen und Winkel. Der Ausdruck muss also ganz allgemein gelten, obwohl er für den speziellen Vektor b = beˆx formuliert wurde. Diese Methode wird in der Physik oft angewendet. Man kann zur Ableitung allgemeiner Zusammenhänge spezielle Basisvektoren wählen, mit denen die Ableitung besonders einfach ist. Den Zusammenhang zwischen verschiedenen Koordinatensystemen mit verschiedenen Basisvektoren schauen wir uns gleich noch genauer an. Abbildung 2-5: Skalarprodukt als Produkt der Vektorenlängen und dem Cosinus des eingeschlossenen Winkels. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13/02/2013 20 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Rechenregeln für das Skalarprodukt ( ) ( ) Multiplikation mit Skalar: λ a ⋅ b = ( λ a ) ⋅ b = a ⋅ λ b λ a b ( ) ∑ i i λ ∑ ai bi ∑ ai ( λbi ) Kommutativgesetz: a ⋅ b = b ⋅a ∑ ai bi ∑ bi ai Distributivgesetz: a + b ⋅ c = a ⋅ c + b ⋅c ∑ ai ci ∑ bi ci ∑ ( ai +bi )ci ( (2-13) ) Einheitsvektoren Die Grundeinheiten des Koordinatensystems (2-3) sind durch die Basis bzw. die Richtungsmaßstäbe eˆi gegeben. Wir können sie als Vektoren der Länge 1 auffassen. Das ist ja eine wesentliche Grundlage des Skalarproduktes in (2-9). Jeder beliebige Vektor r kann nun auf die Länge 1 'normiert' werden und wird dann bezeichnet als r rˆ ≡ = r Einheitsvektor: (2-14) ∑ eˆ x i i i ∑x 2 i i insbesondere gilt: rˆ = rˆ ⋅ rˆ = 1 und rˆ ⋅ r = r 2 Basistransformationen Die Basisvektoren werden willkürlich ausgewählt. Man kann ganz andere Richtungen wählen, was jedoch die durch sie beschriebenen räumlichen Beziehungen nicht beeinflusst. Man sagt, ein Vektor hat verschiedene Darstellungen. Da alle Darstellungen jedoch denselben Vektor meinen, gibt es eine Beziehung oder Transformation zwischen ihnen, die so genannten Basistransformationen. (2-15) R = xeˆx + yeˆy + zeˆz = x′eˆ′x + y′eˆ′y + z ′eˆ′z = R′ Gleichheit von übliche Schreibweise ursprüngliches Koordinatensystem transformierter Koordinatensystem Vektoren, nicht von Zahlen! für Vektor in transformierter Basis Obwohl ein Vektor unabhängig von der Basis ist, kennzeichnet man ihn in der transformierten Basis aus praktischen Gründen doch gerne mit einem Strich. In der transformierten Basis müssen die Richtungen wieder unabhängig voneinander sein. Dies schränkt die möglichen Transformationen ein. Basistransformation: (2-16) 3 eˆi′ = ∑ Tik eˆk k =1 Bedingung: also: δ ij = eˆi′ ⋅ eˆ j′ = 3 ∑T T k =1 ik jk = δ ij 3 ∑ Tik eˆk ⋅ T jl eˆl = k ,l =1 3 3 ˆk ⋅ eˆl T jl = ∑ Tik T jk ∑ Tik e k ,l =1 k =1 =δ kl 2. Koordinaten und Vektoren 21 T beschreibt eine so genannte Basistransformation, genau dann, wenn die untere Gleichung von (2-16) erfüllt ist. Daraus ergibt sich auch, wie die Koordinaten transformiert werden müssen. 3 3 (2-17) 3 ! xi′ eˆi′ = ∑ xi′Tik eˆk = ∑ ∑ xk eˆk Forderung k =1 i =1 i , k =1 3 = ∑ Tik eˆk aus: k =1 3 xk = ∑ xi′Tik folgt: i =1 3 3 3 3 3 oder umgekehrt: x′j = ∑ xi′ δ ij = ∑ xi′Tik T jk = ∑ T jk ∑ xi′Tik = ∑ T jk xk i =1 i , k =1 k =1 i =1 k =1 3 xk ∑ Tik T jk k =1 Beispiel: Austausch zweier Achsen Transformationsmatrix: 1 für ( i, j ) ∈ {(1, 2 ) , ( 2,1) , ( 3, 3)} Tij = 0 sonst (2-18) 3 ∑ T1 jT j1 = 0 + 1 + 0 = 1, j =1 3 ∑ T2 jT j 2 = 1 + 0 + 0 = 1, j =1 3 T T = 0 + 0 + 1 = 1, 3 j j3 ∑ j =1 3 3 T T = T T = ... = 0 ∑ ∑ j j 1 2 1 j j3 j =1 j =1 Transformierte Koordinaten: x1′ = 0 ⋅ x1 + T12 ⋅ x2 + 0 ⋅ x3 = x2 x2′ = T21 ⋅ x1 + 0 ⋅ x2 + 0 ⋅ x3 = x1 x′ = 0 ⋅ x + 0 ⋅ x + T ⋅ x = x 1 2 33 3 3 3 Zur Übung können wir noch überprüfen, dass das Skalarprodukt zwischen zwei Vektoren tatsächlich nicht von der Basis abhängt. Bedingung für Basis-Tranf. 3 a′ ⋅ b′ = ∑ a′j b′j = j =1 3 ∑T j , k ,l =1 jk ak T jl bl = 3 3 ∑ab k ,l =1 k l ∑T T jl j =1 jk 3 = ∑ ak bk = a ⋅ b (2-19) k =1 δ kl ( Transformationsbedingung ) Für das Skalarprodukt ist es also egal, welche Basis man wählt, wenn nur die Transformationsbedingung (2-16) erfüllt ist. Wir sehen somit, dass die Länge eines Vektors und der Winkel zwischen zwei Vektoren wirklich nicht vom Koordinatensystem abhängen. Kreuzprodukt oder Vektorprodukt Neben der Abbildung zweier Vektoren auf einen Skalar oder eine Zahl mit dem inneren Produkt kann man noch ein weiteres Produkt für Vektoren definieren, das aus zwei Vektoren einen macht, das Kreuz- oder Vektorprodukt. Hilfsgröße: www.kbraeuer.de Tübingen, den 13/02/2013 22 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Antisymmetrischer Fundamentaltensor oder Levi-Civita-Tensor: ε ijk 1 für ijk zyklisch (123,231,312 ) ; = -1 für ijk antizyklisch ( 321,213,132 ) ; 0 sonst; also ε ijk = −ε jik ( antisymmetrisch ) (2-20) und ε iik = −ε iik = 0. Kreuzprodukt für Basisvektoren: (2-21) 3 Definition: eˆi × eˆ j ≡ ∑ ε ijk eˆk k =1 z.B.: eˆx × eˆy = eˆz , eˆy × eˆz = eˆx , eˆx × eˆz = −eˆy , eˆx × eˆx = 0 Symmterie: eˆi × eˆ j = −eˆ j × eˆi ( antisymmetrisch ) (2-22) Abbildung 2-6: Symmetrie des Kreuzproduktes. Austausch der Faktoren führt zu Vorzeichenwechsel des Ergebnisses (antysimmetrisch) Kreuzprodukt zwischen Vektoren: Aus dem Kreuzprodukt zwischen den Basisvektoren ergibt sich sofort das 2. Koordinaten und Vektoren 23 Kreuzprodukt: a ×b = 3 3 ∑ a eˆ × b eˆ = ∑ a b i , j =1 i i j j i i , j =1 (2-23) 3 ˆ ˆ ˆ j ei × e j = ∑ ε ijk ai b j ek i , j ,k =1 ε ijk eˆk = ( a y bz − az by ) eˆx + ( az bx − ax bz ) eˆy + ( ax by − a y bx ) eˆz a y bz − az by = az bx − ax bz a b −a b y x x y Interpretation des Kreuzproduktes Betrag: ( a × b ) 2 ∑ (ε = i , j , k , m , n ,o = ijk aib j eˆk ) ⋅ ( ε mno ambn eˆo ) = δ ko 3 ∑ (2-24) ai amb j bnε ijk ε mno eˆk ⋅ eˆo i , j ,k ,m,n,o ∑ ∑ε ai am b j bn = ∑ ( ai ai b j b j − i, j ε ijk mnk k =1 i , j ,m,n a δ imδ jn −δ inδ jm 2 b 2 ( zykl .− zykl . ( zykl .− antiz . antizykl .− antiz .) antiz .− zykl .) ( ai bi a j b j ( ) ) 2 2 a ⋅b = a 2 b 2 ( cos α ) ) = a 2b 2 1 − ( cos α ) 2 ( sin α )2 also: für α ∈ [ 0,π ] a × b = a b sin α Der Betrag des Kreuzproduktes entspricht also genau Inhalt des durch die beiden Vektoren aufgespannten Parallelogramms. Richtung: c = a ×b ⊥ a, b (2-25) steht senkrecht auf da: ∑ a eˆ ⋅ ε a ⋅c = i i jkl a j bk eˆl i , j , k ,l = ∑ ai a j bk ε ijk i , j ,k = ∑ − a j ai bk ε jik i , j ,k also = ∑ −a a b ε ε ijk =− ε jik i , j , k = i j k jik ∑ −a a b ε i j k ijk Umbenennung i , j , k i → j , j →i a ⋅ c = −a ⋅ c = 0 x =− x ⇒ x =0 a ⋅ c = ac cos α = 0, α = π / 2 ( rechter Winkel ) analog: b ⋅ c = 0 Das Kreuzprodukt steht also senkrecht auf dem durch die beiden Vektoren aufgespannten Parallelogramm. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13/02/2013 24 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 2-7: Das Kreuzprodukt zweier Vektoren a,b bildet einen Vektor c, der senkrecht auf dem durch a und b aufgespannten Parallelogramm steht und dessen Länge dem aufgespannten Flächeninhalt entspricht. Das Spatprodukt gibt den Inhalt des durch die Vektoren a,b und c aufgespannten Spatkristalls an Spatprodukt Volumen des Spatkristalls: V Volumen = F h ; (2-26) Fläche Höhe a × b = Feˆz ; eˆz ⋅ c = h; V a , b , c = Fh = Feˆz ⋅ c = a × b ⋅ c . 'Orientierte Fläche': Höhe: ( Volumen=Spatprodukt: ) ( ) Hinweis: Das Koordinatensystem wurde so gewählt, dass die Fläche in der x-y-Ebene liegt und damit der Vektor c in z-Richtung zeigt. Rechenregeln für das Kreuzprodukt ( ) ( ) Multiplikation mit Skalar: λ a × b = ( λ a ) × b = a × λ b ˆ ε λ a b e ( ) ∑ ijk i j k ∑ ε ijk ai ( λb j )eˆk λ ∑ ε ijk ai b j eˆk i , j ,k i , j ,k i , j ,k Antisymmetrie: a ×b = − × a ( Kommutativgesetz gilt nicht!) b ∑ ε ijk ai b j eˆk ∑ − ε jik b j ai eˆk i , j ,k Distributivgesetz: ( (2-27) i , j ,k ) wegen ε ijk = -ε jik a + b × c = a × c + b ×c ∑ ε ijk ai c j eˆk ∑ ε ijk bi c j eˆk i , j ,k ∑ ε ijk ( ai +bi )c j eˆk i , j ,k i , j ,k Geraden und Ebenen im Raum Vorausgehend haben wir die räumliche Beziehung zwischen zwei Punkten bzw. zwischen einem Bezugspunkt und einem weiteren Punkt durch Vektoren beschrieben. Wir beschreiben nun eine gerade Linie oder ein Geradenstück, die oder das zwei vorgegeben Punkte a und b verbindet: 2. Koordinaten und Vektoren 25 { ( } ) Gerade Linie ( Geradenstück ) : L ≡ x = a + λ b − a , mit λ ∈ [ 0,1] also: x = a für λ = 0 x = b für λ = 1 (2-28) Diese gerade Linie kann man gedanklich nach beiden Seiten gerade verlängern und kommt zur (2-29) Geraden G ≡ x = a + λ b − a , mit λ ∈ ℝ { ( } ) In einer genialen Vereinfachung der Verhältnisse kann man mit so einer Geraden zum Beispiel die Bewegung eines Objektes im kräftefreien Raum beschreiben. Messen kann man so eine Gerade jedoch nur näherungsweise! Genau genommen findet man solche Geraden in der Körperwelt nicht. Abbildung 2-8: Gerade G, aufgespannt durch zwei Vektoren im Raum Durch einen weiteren Punkt c kommt man zu den drei Geradenstücken { ( ) } { ( ) } L1 ≡ x = a + λ1 b − a , mit λ1 ∈ [ 0,1] L2 ≡ { x = a + λ2 ( c − a ) , mit λ2 ∈ [ 0,1]} L3 ≡ x = b + λ3 c − b , mit λ3 ∈ [ 0,1] (2-30) Diese bilden ein Dreieck im Raum. Wir sehen darin eine Fläche oder ein Ebenenstück und erweitern dieses wieder zu einer gedanklich unendlichen (2-31) Ebene: E ≡ x = a + λ1 b − a + λ2 ( c − a ) , mit λ1 , λ2 ∈ ℝ { ( ) } Abbildung 2-9: Ebene E, aufgespannt durch drei Vektoren a,b,c im Raum www.kbraeuer.de Tübingen, den 13/02/2013 26 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Als eine erste Anwendung überlegen wir, wie man den Schnittpunkt einer Geraden mit der Ebene berechnen kann. (2-32) Schnittpunkt: S ≡ x = aG + λG bG − aG und x = a + λ1 b − a + λ2 ( c − a ) Bedingung: aG + λG bG − aG − a − λ1 b − a − λ2 ( c − a ) = 0 b − a ⋅ a + λ b − a − a − λ b − a − λ ( c − a ) = 0 G G G G 1 2 G G Skalare b − a ⋅ aG + λG bG − aG − a − λ1 b − a − λ2 ( c − a ) = 0 Gleichungen: ( c − a ) ⋅ aG + λG bG − aG − a − λ1 b − a − λ2 ( c − a ) = 0 { ( ( ( ( ) )( )( ( ( ( ( ) ( ) ) ) ( ) ( ( ( } ) ) ) ) ) ) ) Man erhält so drei Gleichungen für λG, λ1, und λ2. Es genügt, λG zu bestimmen und in die Geradengleichung einzusetzen. Übungsaufgaben: 1. Seien a = ( 3, 2,1) , b = ( 2, −3, −4 ) , c = ( 5, −1, −3) Vektoren. Berechnen Sie a) a , b , c b) a + b + c , a + b − c , a − b + c , a − b − c c) a ⋅ b , a × b d ) cos ∢ a , b , sin ∢ a , b , ∢ a , b ( ( ) ( ) ) ( ) 2. Zeigen Sie, dass die Vierecke ABCD Parallelogramme sind a) (2-33) A = ( −2,1) , B = ( 4, −1) , C = ( 7, 2 ) , D = (1, 4 ) und (2-34) A = ( 3, 2,1) , B = ( 6,3, 4 ) , C = ( 5, −1, 2 ) , D = ( 2, −2, −1) b) Wie groß sind die Flächeninhalte der Parallelogramme? 3. Beweisen Sie mit Hilfe der Vektorrechnung den a) Kosinusatz: a = b + c − 2bc cos (α ) und den 2 b) Sinussatz: 2 (2-35) 2 a b c = = sin α sin β sin γ 4. Gegeben seien die Punkte P = (1, 2,3) und Q = ( 2,1, 0 ) . a ) Geben Sie die Gleichung der durch die Punkte P und Q gehenden Geraden an b) Bestimmen Sie den Punkt M , der die Verbindungsstrecke PQ halbiert (2-36) 2. Koordinaten und Vektoren 27 5. a) Gegeben Sie die Parameterdarstellung der Ebene E an, die durch die drei Punkte P = ( 4, 2, −1, ) , Q1 = ( 3, 4, −1) und Q2 = ( 3,3,3) geht! (2-37) b) Bestimmen Sie den Normaleneinheitsvektor nˆ von E c) Liegt der Punkt X = ( 5,3, −13) in E ? www.kbraeuer.de Tübingen, den 13/02/2013 3. Grenzwerte, Folgen und Reihen Folgen Indem wir jeder natürlichen Zahl n eine Zahl an zuordnen, bilden wir eine Folge ( an ) : also: n ∈ ℕ → an ∈ ℝ (3-1) ( an ) ≡ a1 , a2 , a3 ,... komplexe Folge: an ∈ ℂ Beispiele: 1) an = ( −1) (3-2) n 2) an = 2i + 3 − 2 n Abbildung 3-1: Konvergente und divergente Folge nach (3-2) Konvergente Folgen Eine komplexe Folge (an) konvergiert gegen den Grenzwert a, also a = lim an n →∞ (3-3) , wenn zu jeder positiv reellen Zahl ε eine natürliche Zahl nε existiert, so dass a − an < ε für alle n > nε (3-4) ist. Schlägt man also in der Gaußschen Zahlenebene um a einen Kreis mit beliebig kleinem Radius ε, so lässt sich für eine konvergente Folge immer ein nε finden, so dass alle weiteren Folgeglieder in diesem Kreis liegen. Betrachten wir die im rechten Bild von Abbildung 3-1 dargestellte Folge. 30 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Folge: Grenzwert: ( an ) = 2i + 3 − a = 2i + 3 2 n (3-5) Beweis: Bedingung für nε ∈ ℕ : nε ≥ 2 ε a − an = damit: 2 2 < < ε für alle n > nε n nε Vor allem ist die Folge (an)=1/n konvergent. Folge: Grenzwert: ( an ) = 1 n a = 0 ( Nullfolge ) (3-6) Beweis: Bedingung für nε ∈ ℕ : nε ≥ damit: 1 ε a − an = 1 1 < < ε für alle n > nε n nε Als Gegenbeispiel dient der linke Teil von Abbildung 3-1. Legt man etwa einen Kreis vom Radius ε=1 um 1 oder -1, so liegt das nächste Folgenglied unweigerlich außerhalb des Kreises. Divergente Folgen Eine Folge, die keinen Grenzwert besitzt, heißt divergent. Ein Beispiel dafür ist die Folge (an) = ((-1)n) =-1,1,-1,… im linken Teil von Abbildung 3-1. Eine reelle Folge heißt bestimmt divergent, wenn für jede 'noch so große' positive reelle Zahl A eine natürliche Zahl N existiert, das dass alle an mit n>N größer als A (oder kleiner als –A) werden. Die Folge besitzt dann den 'uneigentlichen Grenzwert +∞ (oder -∞)'. bestimmt divergente Folge: Grenzwert: divergente Folge: Grenzwert: ( an ) = ( 2n ) = 2, 4,8,16,... (3-7) lim an = ∞ n →∞ ( an ) = ( ( −2 ) n ) = −2, +4, −8, +16,... lim an existiert nicht n →∞ Rechenregeln zur Bestimmung von Grenzwerten Addiert, subtrahiert, multipliziert oder dividiert man bei zwei konvergenten Folgen immer die entsprechenden Glieder, so erhält man eine neue Folge, deren Grenzwert gleich Summe, Differenz, Produkt oder Quotient der Grenzwerte der ursprünglichen Folgen ist. Durch '0' darf man jedoch auch hier nicht teilen: 3. Grenzwerte und Reihen 31 (3-8) Beispiele: 1 1 lim 2 + = lim 2 + lim = 2 + 0 = 2 n →∞ n →∞ n n n→∞ 1 1 1 + lim1 + lim n +1 n = n→∞ n→∞ n = 1 + 0 = 1 lim = lim n →∞ 3n + 2 n →∞ 2 1 3+ 2⋅0 3 3 + lim 3 + 2 lim n →∞ n n n→∞ Reihen Wir betrachten die komplexe Folge (an) und die Folge von Partialsummen Sn: ( an ) Folge: (3-9) N Partialsummen: S N = ∑ an n =1 neue Folge: ( SN ) existiert lim S N = ∑ an ≡ S , ∞ N →∞ n =1 dann nennen wir S eine konvergente Reihe Beispiele für Reihen Reihe: ∞ ∑ 4n n =1 N ∞ 1 2 3 4 1 ... 3 5 7 9 2 0.3 0.40 0.428571 0.4 ... 0.50 SN = Grenzwert: 1 1 1 1 = + + + + ... 2 − 1 3 15 35 63 1 2 3 4 ... (3-10) 1 S= 1 2 Beweis: Aufspalten: 1 4n − 1 2 = 1 1 1 = − ( 2n − 1)( 2n + 1) 2 2n − 1 2n + 1 1 neu zusammenfassen: 1 ∞ 1 1 1 1 1 1 1 1 1 − ∑ = 1 − + − + − + − ... 2 n =1 2n − 1 2n + 1 2 3 3 5 5 7 7 1 = 2 www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 32 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium ∞ Harmonische Reihe: 1 1 1 1 (3-11) ∑ n = 1 + 2 + 3 + 4 + ... n =1 2 3 4 5 ... ∞ 3 11 25 137 ... ∞ 2 6 12 60 1.50 1.83 2.083 2.283 ... ∞ N SN = ( divergiert bestimmt ) Potenzreihen ∞ Potenzreihe: ∑α n =1 n xn , αn , x ∈ ℂ (3-12) Beispiele Geometrische Reihe: ∞ ∞ n =1 n =0 ∑ x n−1 = 1 + x + x 2 + x3 + ... = ∑ x n (3-13) für jedes x ∈ ℂ mit x < 1 ist Grenzwert: ∞ ∑x n = n =0 1 1− x Beweis: (1 − x ) ⋅ (1 + x + x 2 + ... + x N −1 ) = (1 − x + x − x 2 + x 2 ... − x N −1 + x N −1 − x N ) = 1− xN also: S N = 1 + x + x 2 + ... + x N −1 = und S = lim S N = für x = -1: ∑ ( −1) , N →∞ ∞ n 1 − lim x N N →∞ 1− x = 1− xN 1− x 1 1− x für x < 1 divergiert unbestimmt, siehe Abbildung 3.1 links n =0 Mit Fakultät: ( 0! ≡ 1) n ! = 1⋅ 2 ⋅ 3 ⋅… n, (3-14) ∞ Exponentialreihe: xn x2 x3 = 1 + x + + + ... ∑ 2 2⋅3 n =0 n ! Konvergenz: für jedes x ∈ ℂ ist mit e=∑ ∞ ∞ xn = ex ∑ n =0 n ! 1 = 2.71828182846... n =0 n ! ( Exponentialfunktion ) ( keine Periode!) Der Konvergenzbeweis kommt gleich beim Quotientenkriterium. Mit der Exponentialreihe lässt sich auch das 3. Grenzwerte und Reihen 33 Multiplikationstheorem e x e y = e x + y , ∀ x, y ∈ ℂ (3-15) 'für alle' e = cos x + i sin x, ∀x ∈ ℝ ix und beweisen. Mit Binominalkoeffizienten: α α ⋅ (α − 1) ⋅ (α − 2 ) ⋅… (α − ( n − 1) ) ≡ n! n ∞ Binominalreihe (α >0 ) : α (α − 1) 2 α α 1 + x = x + ... ( ) ∑ xn = 1 + α x + 2 n =0 n (3-16) x <1 konvergiert für jedes Beispiel α = 1/ 2: 1 + x = (1 + x ) 1/ 2 = 1+ 1 1 1 x − x 2 + x 3 + ... 2 8 16 Die Reihe konvergiert sehr schnell, die Glieder werden sehr schnell klein. Man kann daher mit (3-16) auch krumme Potenzausdrücke sehr gut annähern. Konvergenzkriterien (3-17) Majorantenkriterium Reihe: ∞ ∑a n =1 konvergente Reihe: ∞ ∑ b , mit b n =1 Kriterium: n n n > 0 ∀n ∈ ℕ ∞ an < bn dann konvergiert ∑ an gilt für fast alle n: n =1 'bis auf endlich viele Ausnahmen' Beweis: www.kbraeuer.de S − SN = ∞ ∑ n = N +1 an ≤ ∞ ∑ n = N +1 an ≤ ∞ ∑b n = N +1 n → 0 für N →∞ Tübingen, den 13.02.2013 34 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium (3-18) Quotientenkriterium: ∞ ∑a n =1 n konvergiert, divergiert, wenn fast immer 'bis auf endlich viele Ausnahmen' wenn fast immer an +1 ≤ δ < 1 ist an an +1 ≥ δ > 1 ist an Beweis: aus an +1 ≤δ an folgt a2 ≤ δ ⋅ a1 , Majorante: ∞ ∞ a3 ≤ δ ⋅ a2 ≤ δ 2 ⋅ a1 ,… , an ≤ δ n ⋅ a1 ∑ an ≤ ∑ an ≤ a1 n =1 n =1 ∞ ∑δ n n =1 = a1 1−δ konvergiert Anwendung des Quotientenkriteriums: Exponentialreihe: x ∞ x n e =∑ n =0 n ! Konvergenz: x n +1 (3-19) ( n + 1)! = n ! x n+1 = x ≤ δ < 1 ∀n ≥ x − 1 an +1 = xn an δ ( n + 1)! x n n + 1 n! Übungsaufgaben: 1. Berechnen Sie die Grenzwerte folgender Folgen ( falls sie existieren ) a) b) c) 1 + 2 + 3 + ... + n n 1 + 2 + 3 + ... + n n − n+2 2 n i in d) n e) n ( n +1 − n ) (3-20) 3. Grenzwerte und Reihen 35 2. Berechnen Sie 3 in 2. Ordnung einer Reihenentwicklung ( Trick: 3 = 2 1 − 14 ) 3. Was läßt sich mit Hilfe des Quotientenkriteriums über Konvergenz oder Divergenz der harmonischen Reihe sagen? 4. Beweisen Sie mit Hilfe der Binomialreihe, dass n 1 lim 1 + = e n →∞ n ist. ∞ 5. Aus xn = ex ∑ n=0 n ! und e x ⋅ e y = e x + y ∞ ( x + y) xn ∞ yn folgt ∑ ⋅ ∑ =∑ n! n =0 n ! n =0 n ! n =0 Rechnen Sie dies bis zu Termen 4. Ordnung nach! n ∞ ( D.h. nur Terme x k y l mit k + l ≤ 4 sollen berücksichtigt werden ) 6. Beweisen Sie die Konvergenz der Binomialreihe (1 + x ) α www.kbraeuer.de ∞ α = ∑ xn n=0 n für x < 1 und α > 0 Tübingen, den 13.02.2013 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen Reellwertige Funktionen Eine Funktion oder Abbildung ordnet jedem Punkt aus dem Definitionsbereich genau einen Punkt in einem Wertebereich oder Bild zu: Definitionsbereich: x∈M ⊂ ℝ (4-1) Teilmenge reelle Funktionswerte: Wertebereich: allgemeiner Abbildungsbegriff: y = f ( x) f ( M ) = { y ∈ ℝ, mit y = f ( x ) , x ∈ M } f :M →ℝ Funktion f bildet den Definitionsbereich M auf die reellen Zahlen ℝ ab Geometrische Interpretation Die Funktion f kann durch Punkte in einem Koordinatensystem als Graph dargestellt werden. (4-2) Graph oder Kurve von f : ( x, f ( x ) ) , mit x ∈ M Vektor Oft bildet die Menge aller dieser Punkte eine zusammenhängende Kurve. Man spricht dann von einer stetigen Funktion. Abbildung 4-1:Veranschaulichung der Funktion f als Graph oder Kurve in einem Koordinatensystem Physikalische Beispiele Bei einem Fallexperiment lässt man einen Körper vor einem Maßstab fallen. Eine Kamera macht alle 0.1 Sekunden ein Bild. Auf den Bildern kann man dann zu jedem Zeitpunkt t=0, 0.1, 0.2, … die Fallhöhe auf 2 cm genau ablesen. 38 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium (4-3) Messwerte: t ( Min ) h ( Max ) h 0 .1 .2 .3 .4 .5 .6 .7 .8 .9 1 sek 80 0 cm 500 500 480 460 420 380 320 260 180 100 0 cm 480 480 460 440 400 360 300 240 160 h ( t ) = 500cm − 500 ⋅ t cm / sek 2 Funktion: 2 Die Funktion h(t) ist so gewählt, dass sie zu jedem Messzeitpunkt t=0, 0.1, …sek durch das gemessene, 20 cm große Intervall geht. Abbildung 4-2: Physikalische Verwendung einer Funktion h(t) zur Beschreibung von Höhenmesswerten bei einem Fallexperiment. Aus den Messwerten kann man auf die mittlere Geschwindigkeit des Körpers zwischen zwei Messzeitpunkten schließen. Da die Messung der Fallhöhe jedoch mit einer Ungenauigkeit oder Unschärfe behaftet ist, erhält man aus der Messung nur eine Abschätzung über die minimale und maximale mittlere Geschwindigkeit zwischen zwei Messpunkten. (4-4) Mittlere Geschwindigkeiten: vn ,n +1 t ( Min ) v v( Max ) ( Min ) h( Min ) ( tn +1 ) − h( Max ) ( tn ) v ≡ h ( tn +1 ) − h ( tn ) n ,n +1 ∆t ≡ , Max ) ( ∆t h tn +1 ) − h( Min ) ( tn ) ( ( Max ) vn ,n +1 ≡ ∆t 0.0 − 0.1 − 0.2 − 0.3 − 0.4 − 0.5 − 0.6 − 0.7 − 0.8 − 0.9 − 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.0 200 −0 −0 −600 −600 −800 −200 −200 −400 −400 −200 −400 −400 −600 −600 -800 -800 sek cm / sek -1000 -1000 -1000 cm / sek Funktion: v ( t ) = −1000 ⋅ t cm / sek 2 Wieder kann man eine Funktion der Zeit angeben, diesmal für die Geschwindigkeit v. 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen 39 Physikalische Verwendung einer Funktion v(t) zur Beschreibung der Geschwindigkeit eines Körpers bei einem Fallexperiment. Messungen sind immer mit einem Messfehler oder einer Unschärfe behaftet und können nur zu endlich vielen Zeitpunkten stattfinden. Durch die Beschreibung des Fallvorganges mit Funktionen wird der raum-zeitlich Prozess des Fallens zu der Bewegung auf einer Bahnkurve idealisiert. Das ist die Grundlage der gesamten klassischen Mechanik. Auf ihr lassen sich sehr viele Probleme lösen. Abbildung 4-3: Wir haben nun die Vorstellung entwickelt, dass sich der fallende Körper tatsächlich auf einer solchen 'Bahnkurve' bewegt, die wir durch die Funktionen h(t) und v(t) beschreiben. Tatsächlich kann in der Natur eine solche Bahnkurve grundsätzlich nicht beliebig genau beobachtet werden. Es gibt eine Naturkonstante, das Plancksche Wirkungsquantum h, das die maximale Genauigkeit einer solchen Messung angibt. Es gilt Grundsätzlich Ortsunschärfe ⋅ Geschwindigkeitsunschärfe ⋅ Masse ≥ (4-5) ℏ Plancksches Wirkungsquantum geteilt durch 2π Beim obigen Fallexperiment kann das ignoriert werden, bei einem Elektron in einer Brownschen Röhre wie im Praktikum allerdings nicht. Die prinzipielle Unschärfe physikalischer Phänomene ist Grundlage etwa für die Atomstrukturen, das Periodische System der Elemente, die Gesetze der Chemie oder die Halbleiterelektronik. Bahnkurven zur Beschreibung von Bewegungsabläufen sind ein geniales mathematisches Hilfsmittel, das die tatsächlichen Gegebenheiten jedoch nur annähernd wiedergibt. Als weiteres Beispiel zur Beschreibung physikalischer Zusammenhänge betrachten wir eine Fahrradpumpe, bei der wir den Gasaustritt zuhalten und dann mit Kraft den Kolben hineindrücken. Der notwendige Druck P hängt vom Volumen V des Gases ab und kann nach Van der Waals unter bestimmten Bedingungen durch die Funktion p (V ) = c a − 2 , a, b, c konstant V −b V (4-6) beschrieben werden. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 40 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Physikalische Verwendung von Funktionen P(V) zur Beschreibung des Drucks auf den Kolben einer zugehaltenen Fahrradluftpumpe. Der Zusammenhang (4-6) gilt bei konstanter Temperatur des Gases im Kolben. Das Minimum des Druckes kommt daher, dass sich beim Zusammendrücken des Gases ab einem bestimmten Volumen zuerst die Anziehung der Atome und dann ihre Abstoßung bemerkbar machen. Abbildung 4-4: Eigenschaften von Funktionen Stetigkeit Eine reelle Funktion f heißt stetig in einem Punkt x aus M, wenn für alle Folgen x1, x2, x3, ... aus M, die x zum Grenzwert haben, auch die Bildfolgen f(x1), f(x2), f(x3), …alle denselben Grenzwert f(x) haben. Ist dies für alle x aus M erfüllt, so heißt die Funktion stetig auf M. f heißt stetig an der Stelle x, wenn für jede Folge ( xn ) in M mit lim xn = x gilt: n →∞ Abbildung 4-5: (4-7) lim f ( xn ) = f ( x ) n →∞ Funktion mit einer unstetigen Stelle bei x=X. Die Folge f(x'n) konvergiert gegen einen anderen Grenzwert als die Folge f(xn). Umkehrbarkeit (4-8) f heißt umkehrbar, wenn es für jedes y ∈ N genau ein x ∈ M gibt mit y = f ( x ) Umkehrfunktion oder Inverse: f -1 : N → M , y → x = f −1 ( y ) Graphisch bedeutet die Umkehrung das Vertauschen der beiden Achsen. 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen 41 Abbildung 4-6: Beispiel einer umkehrbaren Funktion und einer nicht umkehrbaren Funktion. Durch Einschränkung des Definitionsbereichs auf a≤x≤c wird auch die Funktion rechts umkehrbar. Die Gleichung für die Umkehrfunktion erhält man durch Auflösen von y=f(x) nach x. Beispiel: f: y= 1 4 (x 2 + 2 ) , mit 0 ≤ x ≤ 4 f −1 : x = 4 y − 2, mit 1 2 ≤ y≤ (4-9) 9 2 Monoton wachsend und fallend f heißt monoton wachsend, wenn für alle x1 < x2 auch f ( x1 ) ≤ f ( x2 ) ist f heißt streng monoton wachsend, wenn für alle x1 < x2 auch f ( x1 ) < f ( x2 ) ist (4-10) für alle x1 < x2 auch f ( x1 ) ≥ f ( x2 ) ist für alle x1 < x2 auch f ( x1 ) > f ( x2 ) ist f heißt monoton fallend, wenn f heißt streng monoton fallend, wenn Zusammengesetze Funktionen Eine Funktion kann in mehreren Schritten aufgebaut werden: 1. Schritt: 2. Schritt: g : z = g ( x) h : y = h( z) ( (4-11) ) Zusammen: y = f ( x ) = h ( g ( x ) ) ≡ ( h g )( x ) Es sind natürlich auch mehr als zwei Verknüpfungen möglich. Beispiele: 1. 2. g ( x ) = x , h ( x ) = x 3 f ( x ) = g ( h ( x ) ) = x 3 = x 3/ 2 g ( x) , h ( x ) = g −1 ( x ) g ( x ) = sin ( x ) 3. , 1 h ( x) = x www.kbraeuer.de (4-12) f ( x ) = g ( g −1 ( x ) ) = x 1 f ( x ) = g ( h ( x ) ) = sin x Tübingen, den 13.02.2013 42 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 4-7: Die Funktion f(x)=sin(1/x) oszilliert bei x=0 unendlich oft Elementare Funktionen Polynome Polynom n'ten Grades: x ֏ P ( x ) = a0 + a1 x + a2 x 2 + ... + an x n = ∑ ak x k , an ∈ ℝ (4-13) Fundamentalsatz der (4-14) n k =0 Algebra: also: Jedes Polynom n ' ten Grades hat n komplexe Nullstellen Es existieren λk ∈ ℂ, k = 1...n, so dass P ( λk ) = 0 ist n daher: P ( x ) = an ( x − λ1 ) ⋅ ( x − λ2 ) ⋅ ... ( x − λk ) = an ⋅ ∏ ( x − λk ) k =1 Mehrfache Nullstellen: λm = λn mit m ≠ n Komplexe Nullstellen: wenn λm = a + ib Nullstelle, dann auch λn = λm = a − ib ( P ( a + ib ) = 0 ⇒ P ( a − ib ) = 0 ) Beispiele: b P1 ( x ) = ax + b = a x + a ( Gerade ) b − b 2 − 4ac b + b 2 − 4ac P2 ( x ) = ax 2 + bx + c = a x + ⋅ x + ( Parabel ) 2 a 2 a 3 2 P3 ( x ) = ax + bx + cx + d ( Kurve 3. Ordnung ) (4-15) 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen 43 Abbildung 4-8: Die Graphen der Gerade P1, Parabel P2 und Kurve 3. Ordnung P3 Rationale Funktionen (4-16) Rationale Funktion: x ֏ R ( x) = Pn ( x ) Qm ( x ) , ( Pn , Qm echt gebrochen: m>n unecht gebrochen: n ≥ m, sind Polynome vom Grade n und m ) (4-17) dann: R ( x ) = p ( x) = ri ( x ) + k Qm ( x ) Polynom q ( x) l Pn ( x ) echt gebrochen Pol k-ter Ordnung: Qm ( x0 ) = 0 und Pn ( x0 ) ≠ 0 ⇒ lim R ( x0 ) = ∞ x → x0 k'fache Nullstelle Asymtotik: für m > n 0 lim R ( x ) = endlich für m = n x →∞ ±∞ für m < n Beispiel: Hyperbel: R ( x ) = ax + b cx + d (4-18) Pol 1. Ordnung: x = Asymtotik: www.kbraeuer.de -d c lim R ( x ) = x →∞ a c Tübingen, den 13.02.2013 44 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 4-9: Der Graph der Hyperbelfunktion Irrationale Funktionen Sie entstehen zum Beispiel bei der Umkehrung von Polynomen Beispiel Funktion y = xn , Irrationale Umkehrfunktion: x = n ( x > 0) (4-19) y Abbildung 4-10: Die Graphen einfacher irratonaler Funktionen nach (4-19) Transzendente Funktionen Exponentialfunktion und Logarithmus Sie lassen sich nicht durch die Anwendung endlich vieler elementarer Rechenoperationen definieren, sondern nur durch unendliche Reihen. 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen 45 (4-20) Exponentialfunktion: ∞ exp ( x ) ≡ ∑ n =0 xn n! exp ( 0 ) = 1 exp (1) = e = 2.71828182846... Potenzgesetze: exp ( x ) ⋅ exp ( y ) = exp ( x + y ) Inverse: exp ( x ) ⋅ exp ( − x ) = exp ( 0 ) = 1 ⇒ exp ( − x ) = 1 exp ( x ) Schreibweise bietet sich an: exp ( x ) ≡ e x 1 e x ⋅ e y = e x + y , e0 = 1, e1 = e, e − x = x e Rechenregeln für Potenzen! Umkehrfunktion der Exponentialfunktion Exponentialfunktion: y = exp ( x ) > 0 (4-21) Umkehrfunktion ( Logarithmus ) : x = exp −1 ( y ) ≡ ln ( y ) −1 ≠ exp ( y ) = mit 1 ! exp( y ) y > 0! ln ( x ⋅ y ) = ln ( x ) + ln ( y ) x ln = ln ( x ) − ln ( y ) y Umrechnung in andere Grundzahl als e: e→ a: a x = ( eln a ) = eα x , mit α = ln a (4-22) x Logarithmus zur Basis a : a log x = a log eln x = a log e ⋅ ln x Zehnerlogarithmus : log x ≡10 log x Abbildung 4-11: Die Graphen von Exponentialfunktion und Logarithmusfunktion www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 46 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Trigonometrische Funktionen ∞ sin ( x ) ≡ ∑ ( −1) n n =0 ∞ cos ( x ) ≡ ∑ ( −1) n =0 Eulersche Formel: und ( i ) + ( ii ) : 2 ( i ) − ( ii ) : 2i n x 2 n+1 x 3 x5 = x − + − ... 3! 5! ( 2n + 1)! x2n x2 x4 = 1 − + − ... 2! 4! ( 2n ) ! x 2 x3 x 4 ix cos ( x ) + i sin ( x ) = 1 + ix − − =e i + 2! + i3 3! i4 4! +i2 cos ( x ) − i sin ( x ) = e− ix (4-23) (i ) ( ii ) 1 ix − ix (e + e ) 2 1 sin ( x ) = ( eix − e− ix ) 2i cos ( x ) = Abbildung 4-12: Die Graphen der sin- und cos Funktion sin ( x + n ⋅ 2π ) = sin ( x ) Periode: für n ∈ ℤ : cos ( x + n ⋅ 2π ) = cos ( x ) sin ( - x ) = − sin ( x ) ( antisymmetrisch ) Symmetrie: cos ( - x ) = + cos ( x ) ( symmetrisch ) (4-24) Ein Punkt auf dem Einheitskreis hat die Koordinaten x = cos φ y = sin φ (4-25) 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen 47 Abbildung 4-13: Sinus und Cosinus als Koordinaten eines auf dem Einheitskreis umlaufenden Vektors Weitere trigonometrische Funktionen Tangens: tan ( x ) ≡ Kotangens: cot ( x ) ≡ sin ( x ) cos ( x ) (4-26) cos ( x ) 1 = sin ( x ) tan ( x ) 1 x −x x3 x5 e − e ) = x + + + ... ( 2 3! 5! 1 x2 x4 Kosinus Hyperbolicus: cosh ( x ) ≡ ( e x + e− x ) = 1 + + + ... 2 2! 4! Sinus Hyperbolicus: sinh ( x ) ≡ Abbildung 4-14: Die Graphen der Exponential- und Hyperbelfunktionen Trigonometrische Umkehrfunktionen arcsin ( x ) ≡ sin −1 ( x ) x ∈ [ −1,1] arctan ( x ) ≡ tan −1 ( x ) x∈ℝ arccot ( x ) ≡ cot −1 ( x ) x∈ℝ (4-27) arccos ( x ) ≡ cos −1 ( x ) x ∈ [ −1,1] www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 48 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 4-15: Die Graphen der Umkehrfunktionen des Sinus und des Kosinus Übungsaufgaben 1. Suchen Sie die Nullstellen der folgenden Polynome und skizzieren Sie (4-28) die zugehörigen Graphen: 2. 3. a) f ( x) = 2x + 2 b) f ( x ) = x2 − x − 2 c) f ( x ) = −x2 + 2x −1 d) f ( x ) = 12 x 2 − x + 1 e) f ( x ) = x3 − x Skizzieren Sie für die Funktionen aus Aufgabe 1 die Graphen von 1 f ( x) 3x 2 − 7 x + 1 als Summe eines Polynoms x −1 und einer echt gebrochenen rationalen Funktion Schreiben Sie die Funktion 4. Skizzieren Sie die Graphen von a) f ( x) = 1− x, b) f ( x ) = 1 − x2 , f ( x) = e (4-30) (4-31) ( x ≤ 1) ( x ≤ 1) 5. Skizzieren Sie den Graphen der in Physik und Statistik wichtigen Gaußfunktion −λ x2 (4-29) für λ = 1 und λ = 4 (4-32) 4. Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen 49 6. Skizzieren Sie die Graphen von a) b) (4-33) f ( x ) = tan ( x ) f ( x ) = cot ( x ) Diskutieren Sie die Periodizität, Symmetrie und Stetigkeit dieser Funktionen 7. Beweisen Sie mit der Eulerschen Formel die Additionstheoreme (4-34) a) sin ( x + y ) = sin ( x ) ⋅ cos ( y ) + cos ( x ) ⋅ sin ( y ) b) cos ( x + y ) = cos ( x ) ⋅ cos ( y ) − sin ( x ) ⋅ sin ( y ) c) Was erhält man in beiden Fällen für y = - x 8. Beweisen Sie die Formeln a) b) (4-35) log x = log e ⋅ ln x 1 a log e = ln a a a 9. Drücken Sie die Funktionen arcsinh=sinh -1 und arccosh=cosh -1durch die Logarithmus- und Wurzelfunktionen aus. Bestimmen Sie dazu die Funktionen ( ) ( (4-36) ) f und g mit sinh ln ( f ( x ) ) = x und cosh ln ( g ( x ) ) = x. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 5. Differentialrechnung Begriff der Ableitung Verwendete Begriffe Graph: (5-1) Eindimensionale, gekrümmte Linie Sekante: Gerade durch zwei Punkte eines Graphen Tangente: Gerade, die einen Graphen in einem Punkt berührt Sekante einer Funktion, Differenzenquotient f : x → f ( x) Punkte auf dem Graphen: P1 = ( x0 , f ( x0 ) ) , P2 = ( x0 + ∆x, f ( x0 + ∆x ) ) Sekante durch P1 und P2 : ( x, g s ( x ) ) x ∈ ℝ Funktion: { (5-2) } f ( x0 + ∆x ) − f ( x0 ) mit gs ( x ) = f ( x0 ) + es gilt: g s ( x0 ) = f ( x0 ) + f ( x0 + ∆x ) − f ( x0 ) x0 − x0 ) = f ( x0 ) ( ∆x ∆x ( x − x0 ) =0 g s ( x0 + ∆x ) = f ( x0 ) + f ( x0 + ∆x ) − f ( x0 ) x0 + ∆x − x0 ) = f ( x0 + ∆x ) ( ∆x =∆x Zuwachs von f ( x0 ) zu f ( x0 + ∆x ) : ∆y ≡ f ( x0 + ∆x ) − f ( x0 ) ∆y Steigung der Sekante: ( Differenzenquotient ) ∆x (5-3) Tangente einer Funktion, Differentialquotient wenn Tangente in x0 : lim ∆x → 0 f ( x + ∆x ) − f ( x ) existiert: ∆x {( x, g ( x ) ) | x ∈ ℝ} t mit g t ( x ) ≡ lim g s ( x ) Steigung der Tangente: dy ∆y ≡ lim dx ∆x →0 ∆x ∆x → 0 ( Differentialquotient ) (5-4) 52 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 5-1: Schaubild einer Funktion mit Sekante und Tangente 1. Ableitung der Funktion f f ( x + ∆x ) − f ( x ) in x, ∆x → 0 ∆x f ( x + ∆x ) − f ( x ) dann bezeichnet man f ′ ( x ) ≡ lim ∆x → 0 ∆x als erste Ableitung der Funktion f in x. existiert (5-5) lim Verschiedene Schreibweisen für die erste Ableitung: lim ∆x → 0 f ( x + ∆x ) − f ( x ) ∆x ≡ f ′( x) ≡ dy df ( x ) d d d ≡ ≡ f ( x) ≡ f ( x) ≡ f dx dx dx dx dx ≡ dx f ( x) x (5-6) Die Brüche meinen dabei nicht wirklich Quotienten, sondern sind reine Symbole oder Kurzschreibweisen für den Grenzwert! Die erste Ableitung im Punkt x ist gleich dem Tangens des Winkels zwischen der Tangente in x und der Abszisse f ′ ( x ) = tan α Abbildung 5-2: Schaubild einer Funktion mit Tangente (5-7) 5. Differentialrechnung 53 Gegenbeispiele für die Existenz einer Ableitung Abbildung 5-3 zeigt zwei Funktionen, in denen der Differenzenquotient in x0 keinen eindeutigen Grenzwert hat. Abbildung 5-3: Schaubild von Funktionen, für die die 1. Ableitung in x0 nicht definiert ist Höhere Ableitungen 2. Ableitung: n. Ableitung: f ′′ ( x ) ≡ f ( f ( n) ( x ) ≡ 2) ( x) ≡ d f ( x) ≡ dx 2 2 d df ( x ) dx = dx (5-8) f ′ )′ ( x ) ( ( Ableitung der 1. Ableitung ) ′ f ( ) ) ( x) ( n −1 ( Ableitung der ( n -1). Ableitung ) Geschwindigkeit als Ableitung einer Bahnkurve (5-9) innerhalb des Zeitinveralls Gemessene Geschwindigkeit: [t0 ,t0 +∆τ ] zurückgelegter Weg xt0 +∆t − xt0 v[t0 ,t0 +∆t ] ≡ ∆ t ≡ ∆x ∆t für den Weg ∆x benötigte Zeitspanne Interpolation des Weges durch Bahnkurve: xt0 , xt0 +∆t → x : t → x ( t ) Funktion Definition der Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t : x ( t + ∆t ) − x ( t ) ∆t → 0 ∆t ≡ x′ ( t ) ≡ xɺ ( t ) v ( t ) ≡ lim Schreibweise für Zeitableitungen Die Ableitungen nach der Zeit bezeichnet man üblicherweise mit einem Punkt über der Funktion. Es wird klar, dass die Geschwindigkeit in einem Punkt reine Definition ist, also ein mathematisches Hilfsmittel der Physik. Wirklich beobachtbar oder messbar sind nur mittlere Geschwindigkeiten. Die Geschwindigkeit in einem Punkt oder die Position ist prinzipiell mit einer Unschärfe behaftet. Das wird in der Quantenmechanik wichtig und erklärt zum Beispiel die Eigenschaften von Atomen. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 54 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Beispiele für Ableitungen f ( x ) = xn : f ( x + ∆x ) − f ( x ) ( x + ∆x ) − x n = lim ∆x → 0 ∆x →0 ∆x ∆x Terme mit ∆x n , n ≥ 2 n n −1 x + nx ∆x + O ( ∆x 2 ) − x n = lim = lim ( nx n −1 + O ( ∆x ) ) = nx n −1 ∆x → 0 ∆x → 0 ∆x n (5-10) lim f ( x ) = sin ( x ) : Abschätzung: f ( x + ∆x ) − f ( x ) sin ( x + ∆x ) − sin ( x ) = lim ∆x → 0 ∆x →0 ∆x ∆x siehe 1. Kapitel ( Folgerung aus Moivreschen Formel ) →1 cos ( x ) sin ( ∆x ) + sin ( x ) cos ( ∆x ) − sin ( x ) = lim ∆x → 0 ∆x sin ( ∆x ) = cos ( x ) lim ∆x → 0 ∆x mit sin α ≤ α ≤ tan α, (α < π / 2 ) lim (5-11) siehe Einheitskreis also α 1 ≤ sinα cos α ist 1≤ und 1 = lim1 ≤ lim1 also ∆x =1 ∆x → 0 sin ( ∆x ) α →0 α →0 α 1 ≤ lim ≤1 sinα α →0 cos α lim sin′ ( x ) = cos ( x ) und analog cos′ ( x ) = − sin ( x ) Abbildung 5-4: Winkel im Einheitskreis zur Abschätzung: sinα<α<tanα (5-12) 5. Differentialrechnung 55 ∞ xn f ( x ) = ex = ∑ : n=0 n ! (5-13) Nach Definition von e x in Kap. 3 Terme mit ∆x n , n ≥ 2 Nebenrechnung: lim also: 1 + ∆x + O ( ∆x 2 ) −1 e −1 = lim =1 ∆x →0 ∆x → 0 ∆x ∆x d x e x +∆x − e x e x e ∆x − e x e ∆x − 1 x e = lim = lim = e x lim =e ∆x → 0 ∆x →0 ∆x → 0 dx ∆x ∆x ∆x ∆x Rechenregeln der Differentation Aus den beiden Funktionen f : x → f ( x), g : x → g ( x ) , differenzierbar für alle x∈ M (5-14) 'x aus Definitionsbereich von f' werden neue Funktionen gebildet Summenregel d (α f ( x ) + β g ( x ) ) ≡ α f ′ ( x ) + β g ′ ( x ) , (α , β ∈ ℝ konstant ) dx Beweis: d α f ( x + ∆x ) + β g ( x + ∆x ) − (α f ( x ) + β g ( x ) ) α f ( x ) + β g ( x ) ) = lim ( ∆x → 0 ∆x dx f ( x + ∆x ) − f ( x ) g ( x + ∆x ) − g ( x ) = α lim + β lim ∆x → 0 ∆x → 0 ∆x ∆x = α f ′( x) + β g′( x) Beispiele: www.kbraeuer.de d 4 x 3 + x + 3) = 12 x 2 + 1 ( dx d 10 x + 2 ) = 10 x 9 ( dx d 3 x + x 2 + x + 1) = 3 x 2 + 2 x + 1 ( dx (5-15) (5-16) Tübingen, den 13.02.2013 56 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Kettenregel (5-17) d f ( g ( x)) = f ′ ( g ) g′ ( x) dx Beweis mit ∆g = g ( x + ∆x ) − g ( x ) : f ( g ( x + ∆x ) ) − f ( g ( x ) ) f ( g + ∆g ) − f ( g ) ∆g d f ( g ( x ) ) ≡ lim = lim ∆x → 0 ∆x → 0 dx ∆x ∆g ∆x = lim f ( g + ∆g ) − f ( g ) ∆g ∆g → 0 lim g ( x + ∆x ) − g ( x ) ∆x ∆x → 0 = f ′ ( g ) ⋅ g′ ( x) (5-18) Beispiele: d sin ( x 2 ) = sin ′ ( g ) ⋅ g ′ ( x ) = cos ( g ) ⋅ 2 x = cos ( x 2 ) ⋅ 2 x dx 2 g ( x)= x d sin ( cos ( x ) ) = sin ′ ( g ) ⋅ g ′ ( x ) = cos ( cos ( x ) ) ⋅ ( − sin ( x ) ) dx g ( x ) = cos ( x ) ( ) d sin cos ( sin ( x ) ) = sin ′ ( u ) ⋅ cos′ ( v ) ⋅ sin ′ ( x ) dx u ( x ) = cos ( sin ( x ) ) v ( x ) =sin ( x ) ( )( ) d d d sin ( x ) ⋅ cos ( x ) = sin ( x ) ⋅ cos ( x ) + sin ( x ) ⋅ cos ( x ) dx dx dx = cos cos ( sin ( x ) ) ⋅ − sin ( sin ( x ) ) ⋅ cos ( x ) 2 2 3 3 2 3 Produktregel d d = sin ′ ( g ) ⋅ x 2 ⋅ cos ( x 3 ) + sin ( x 2 ) ⋅ ( cos′ ( u ) ) ⋅ x 3 dx dx 2 3 g ( x )= x ( u ( x )= x ) = cos ( x 2 ) ⋅ 2 x ⋅ cos ( x 3 ) + sin ( x 2 ) ⋅ − sin ( x 3 ) ⋅ 3 x 2 5. Differentialrechnung 57 Produktregel (5-19) d f ( x) ⋅ g ( x) = f ′ ( x) g ( x) + f ( x) g′ ( x) dx ≡ Beweis: df ( x )⋅ g ( x ) d ( f ( x )⋅ g ( x ) ) ≡ dx dx f ( x + ∆x ) g ( x + ∆x ) − f ( x ) g ( x ) d f ( x ) ⋅ g ( x ) ≡ lim ∆x → 0 dx ∆x =0 f ( x + ∆x ) g ( x + ∆x ) − f ( x ) g ( x + ∆x ) + f ( x ) g ( x + ∆x ) − f ( x ) g ( x ) = lim ∆x → 0 ∆x f ( x + ∆x ) − f ( x ) g ( x + ∆x ) − g ( x ) = lim g ( x + ∆x ) + f ( x ) lim ∆x → 0 ∆x → 0 ∆x ∆x = f ′ ( x) g ( x) + f ( x) g′ ( x) Beispiele: (5-20) d 2 d d x = x x + x x = 2x dx dx dx =1 =1 d n d d d x = x x ⋅ x …+ x ⋅ x x ⋅ x …+ x ⋅ x ⋅ x x ⋅ x … + … = nx n −1 dx dx dx dx xn−1 xn−2 xn−3 =1 =1 =1 2 d sin ( x ) ) = 2 sin ( x ) sin ′ ( x ) = 2sin ( x ) cos ( x ) ( dx d 2 x cos x = − x 2 sin ( x ) + 2 x cos ( x ) dx Quotientenregel d f ( x ) f ′ ( x ) f ( x) g′ ( x) f ′ ( x) g ( x) − f ( x) g′ ( x) = − = 2 2 dx g ( x ) g ( x ) g ( x) g ( x) Beweis: (5-21) f ′( x) d f ( x) d 1 1 d 1 ′ = f ′( x) + f ( x) = + f ( x) g ( x) dx g ( x ) g ( x) dx g ( x ) g ( x ) du u Produktregel =− 1 u2 ( Kettenregel, g ( x ) =u ) = www.kbraeuer.de f ′( x) f ( x) g′( x) − 2 g ( x) g ( x) Tübingen, den 13.02.2013 58 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium d 2 d x + 1) ( x 2 + 1) ( x 4 − 2 ) ( x 2 + 1) 4 x3 d x 2 + 1 dx ( 2x dx = − = − 2 dx x 4 − 2 x4 − 2 x 4 − 2 ( x 4 − 2 )2 ( x4 − 2) Beispiele: = tan′ ( x ) = ( 2x 5 − 4 x ) − ( 4 x5 + 4 x 3 ) (x 4 − 2) cot ′ ( x ) = −2 x5 − 4 x3 − 4 x (x 4 − 2) 2 d sin ( x ) sin ′ ( x ) sin ( x ) ⋅ cos′ ( x ) cos ( x ) sin ( x ) ⋅ ( − sin ( x ) ) = − = − 2 2 cos ( x ) dx cos ( x ) cos ( x ) cos ( x ) cos ( x ) cos ( x ) + sin ( x ) 2 = 2 = (5-22) cos ( x ) 2 2 = 1 cos ( x ) 2 d cos ( x ) 1 =… = − 2 dx sin ( x ) sin ( x ) ( x) f ( x) ′( x ) ( x) f g g ( 2 x cos ( x ) − x 2 sin x ) ⋅ sin 2 ( x ) − x 2 cos ( x ) ⋅ 2sin ( x ) cos ( x ) ′ 2 d x cos ( x ) = dx sin ( x )2 sin ( x ) 4 Inversenregel mit y = f −1 ( x ) ist Beweis: y = f −1 ( f ( y ) ) 1= (5-23) d −1 1 f ( x) = dx f ′( y) d d −1 y= f ( f ( y ) ) = f −1′ ( x ) ⋅ f ′ ( y ) dy dy Kettenregel mit x = f ( y ) f −1′ ( x ) = also: 1 f ′( y) (5-24) Beispiele: y y∈ − π , π 2 2 = arcsin ( x ) : arcsin′ ( x ) = x∈[ −1,1] x) : ( y = arccos y∈[ 0,π ] y x∈[ −1,1] = arctan ( x ) : y∈ − π2 , π2 1 1 1 1 = = = 2 sin′ ( y ) cos ( y ) 1 − x2 1 − sin ( y ) arccos′ ( x ) = 1 1 1 −1 = = = cos′ ( y ) − sin ( y ) − 1 − cos ( y )2 1 − x2 arctan′ ( x ) = cos ( y ) 1 2 = cos ( y ) = 2 tan′ ( y ) sin ( y ) + cos 2 ( y ) 2 cos ( y ) 1 1 = = = 2 2 2 cos ( y ) + sin ( y ) 1 + tan ( y ) 1 + x 2 2 1 n y= x = xn : x >0 − n −1 1 −1 d n 1 1 1 x n xn x= = n −1 = = = n −1 d n ny dx n n nn x y dy 5. Differentialrechnung 59 Die Definitionsbereiche der inversen Funktionen müssen sorgfältig berücksichtigt werden Abbildung 5-5: Funktionen und Inversen aus (5-24) Differentiation von Potenzreihen ∞ Allgemein: wenn ∑a x n =0 n n (5-25) < ∞, ist ∞ ∞ d ∞ an x n = ∑ nan x n −1 = ∑ ( n + 1) an +1 x n ∑ dx n = 0 n =1 n =0 Beispiele: ∞ d x d xn e = = ∑ dx dx n =0 n ! 1+ x + www.kbraeuer.de x 2 x3 x4 + + +... 2 2⋅3 2⋅3⋅4 x n −1 n ∑ ( n)! n =1 ∞ ∞ x n −1 xn = ∑ = ex n =1 ( n − 1) ! n=0 n ! ∞ =∑ x x2 x3 0 +1+ 2 + 3 + 4 +... 2 2⋅3 2⋅3⋅4 Tübingen, den 13.02.2013 60 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium sin′ ( x ) = 2n ∞ ∞ d ∞ x 2 n +1 x 2n n n n x 1 1 2 n 1 1 − = − + = − ( ) ( ) ∑ ( ) ( 2n + 1)! ∑ ∑ ( ) ( 2n ) ! dx n =0 2n + 1) ! n = 0 ( n=0 ′ x3 x5 x7 − +... x − + 2 ⋅ 3 2 ⋅ 3 ⋅ 4 ⋅ 5 2 ⋅ 3 ⋅ 4 ⋅ 5 ⋅ 6 ⋅ 7 1− (5-26) x2 x4 x6 x8 + − + ... 2 2⋅3⋅4 2⋅3⋅4⋅5⋅6 2⋅3⋅4⋅5⋅6⋅7⋅8 = cos ( x ) cos′ ( x ) = 2n ∞ ∞ d ∞ x 2 n −1 x 2 n +1 n n n x − 1 = − 1 2 n = − − 1 ( ) ( ) ∑ ∑ ( ) ( 2n ) ! ∑ dx n =0 2n ) ! ( ( 2n + 1)! n =1 n =0 x2 x 4 ′ x6 − +... 1− + 2 2 ⋅ 3 ⋅ 4 2 ⋅ 3 ⋅ 4 ⋅ 5 ⋅ 6 − x+ x3 x5 x7 − + −... 2⋅3 2⋅3⋅4⋅5 2⋅3⋅4⋅5⋅6⋅7 = − sin ( x ) sinh′ ( x ) = ∞ d ∞ x 2 n +1 x 2n = = cosh ( x ) ∑ ∑ dx n =0 ( 2n + 1) ! n =0 ( 2n ) ! cosh′ ( x ) = ∞ d ∞ x2n x 2 n +1 =∑ = sinh ( x ) ∑ dx n =0 ( 2n ) ! n = 0 ( 2n + 1) ! Der Satz von Taylor Funktion f: x → f ( x ) sei für alle x ∈ ]a, b[ n mal stetig differenzierbar ' x aus offenem Intervall' ( also a < x <b ) Entwicklungspunkt: x0 ∈ ]a, b[ Satz von Taylor: (5-27) zu jedem x ∈ ]a, b[ existiert eine Zwischenstelle z ( x ) ∈ ] x0 , x[ , so dass f ′′ ( x0 ) 2 ( x − x0 ) + … 2! (n) ( n −1) f ( x0 ) x − x n −1 + f ( z ( x ) ) x − x n …+ ( 0) ( 0) n! ( n − 1)! f ( x ) = f ( x0 ) + f ′ ( x0 )( x − x0 ) + Taylor-Polynom: f ′′ ( x0 ) 2 ( x − x0 ) + … 2! n − 1 f ( ) ( x0 ) f ( n ) ( x0 ) n −1 n …+ ( x − x0 ) + ( x − x0 ) n! ( n − 1)! pn ( x ) ≡ f ( x0 ) + f ′ ( x0 )( x − x0 ) + n f ( ) ( x0 ) anstatt n f ( ) ( z ( x ) )! n =∑ k =0 f ( k ) ( x0 ) k ( x − x0 ) k! Nach Taylor kann man die Funktion f(x) also durch ihre Funktionswerte und Ableitungen im beliebigen Entwicklungspunkt x0 ausdrücken. Nur im letzten Term tritt die Funktion z(x) auf. 5. Differentialrechnung 61 Wählt man z(x)=x0, kommt man zum Taylor-Polynom, mit dem man Funktionen sehr gut annähern kann. Wegen 1/k! werden höhere Glieder der Summe in der Regel sehr klein. Eigenschaften des Taylor-Polynoms Unabhängig vom Entwicklungspunkt x0 sind die Funktionswerte und die Ableitungen des Taylorpolynoms und der Funktion in x0 gleich: Taylor-Polynom: f( n pn ( x ) = ∑ k! k =0 Funktionswert in x0 : ( x0 ) k) f( n pn ( x0 ) = ∑ k) ( j ≤ n ): pn( j) ( x0 ) k! k =0 j. Ableitung in x0 , ( x − x0 ) n f ( x0 ) = ∑ (k ) (5-28) k (x 0 − x0 ) = f ( x0 ) k =δ k 0 ( x0 ) ⋅ k ⋅ x0 − x0 ) ( k − 1) ⋅ ... ⋅ ( k − j + 1) ⋅ ( k− j k! k =0 =δ kl pn( ) = 1 n ∑ k f ( ) ( x0 ) k =1 = f( = f j) ⋅k ⋅( x0 − x0 ) k −1 , 2 pn( ) = n ∑ k =2 k f ( ) ( x0 ) k! ⋅k ⋅( k −1)⋅( x0 − x0 ) k −2 ,... ( x0 ) ⋅ j ⋅ j! ( j) k! ( j − 1) ⋅ ...2⋅1 j! ( x0 ) Taylorentwicklung 1. Ordnung Die Funktion f(x) wird durch eine lineare Funktion approximiert. Das ist in einer kleinen Umgebung von x0 sinnvoll und wird oft gemacht. Die Taylorentwicklung 1. Ordnung entspricht der Tangentialgeraden gt. Taylor-Entwicklung 1. Ordnung: Abbildung 5-6: www.kbraeuer.de f ( x ) ≃ f ( x0 ) + f ′ ( x0 ) ⋅ ( x − x0 ) (5-29) Die Funktion f(x) wird in einer Umgebung durch das Taylor-Polynom 1. Ordnung sehr gut angenähert Tübingen, den 13.02.2013 62 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Taylor-Entwicklung höherer Ordnungen Beispiel: Entwicklung der Cosinus-Funktion um x0=0 (5-30) Ableitung der cos-Funktion: cos ( 0 ) cos′ ( 0 ) = (0) cos (3) ( 0 ) 4 cos( ) ( 0 ) cos( 2) = − sin ′ ( 0 ) − sin ( 0 ) = = 1 0 = − cos ( 0 ) = −1 = − cos′ ( 0 ) = sin ( 0 ) = 0 sin ′ ( 0 ) cos ( 0 ) = 1 = = ⋮ ⋮ ∀ n ∈ 2ℕ + 1 0 ungerade n n cos( ) ( 0 ) = n n ∈ 2 ℕ ( −1) 2 ∀ gerade n Entwicklung der cos-Funktion um x = 0 : cos ( x ) ≃ n ∑ cos( k) ( 0 ) xk k! k =0 1 0 3 1 4 1+ 0⋅ x − x 2 − x + x +... 2 2⋅3 2⋅3⋅4 ( −1) x 2 k =∑ k = 0 ( 2k ) ! n k 1 1 4 1− x 2 + x +... 2 2⋅3⋅4 ( Entspricht der abgebrochenen Potentialreihe der cos-Funktion ) Die Güte der einzelnen Entwicklungsstufen ist Abbildung 5-7 abzulesen. Abbildung 5-7: Taylor-Entwicklungen (durchgezogenen Linien) der Cosinus-Funktion (gepunktete Linien) um x0=0 in verschiedenen Ordnungen Mittelwertsatz der Differentialrechnung f : x → f ( x ) stetig und differenzierbar für alle x ∈ ]a, b[ Funktion: Mittelwertsatz: für beliebige x1 < x2 ∈ ]a, b[ : es existiert eine Zwischenstelle z ( x1 < z < x2 ) , so dass f ′( z) = f ( x2 ) − f ( x1 ) x2 − x1 (5-31) 5. Differentialrechnung 63 (5-32) Beweis: nach Satz von Taylor für n = 1: f ( x2 ) = f ( x1 ) + f ′ ( z )( x2 − x1 ) also: f ′( z) = f ( x2 ) − f ( x1 ) x2 − x1 Abbildung 5-8: Zwischentangente parallel zur Sekante (links) und lokales Maximum (rechts) Folgerungen: Monotonie-Satz f ′ ( x ) > 0 ∀x ∈ ]a, b[ ⇒ f ′ ( x ) < 0 ∀x ∈ ]a, b[ ⇒ (5-33) f wächst monoton f fällt monoton Beweis: nach Taylor: f ( x2 ) − f ( x1 ) = f ′ ( z ) ⋅ ( x2 − x1 ) also: Vorzeichen ( f ′ ( z ) ) = Vorzeichen ( f ( x2 ) − f ( x1 ) ) >0 für alle x1 , x2 ∈ ]a, b[ und x1 < z < x2 Lokale Minima und Maxima Definition Intervall: I ≡ [ x0 − δ , x0 + δ ] , δ >0 (5-34) f hat ein lokales Minimum in x0 , wenn ein δ > 0 existiert und für alle x ∈ I gilt: f ( x ) ≥ f ( x0 ) f hat ein lokales Maximum in x0 , wenn ein δ > 0 existiert und für alle x ∈ I gilt: f ( x ) ≤ f ( x0 ) www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 64 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Existenzkriterien f sei im offenen Intervall I zwei mal stetig differenzierbar und x0 ∈ I Notwendig für lokales Minimum in x0 : Notwendig für lokales Maximum in x0 : f ′ ( x0 ) = 0, f ′ ( x0 ) = 0, Hinreichend für lokales Minimum in x0 : Hinreichend für lokales Maximum in x0 : f ′′ ( x0 ) ≥ 0 f ′′ ( x0 ) ≤ 0 f ′ ( x0 ) = 0, f ′ ( x0 ) = 0, f ′′ ( x0 ) > 0 f ′′ ( x0 ) < 0 (5-36) Beweis für hinreichende Kriterien: f ( x ) , f ′ ( x ) , f ′′ ( x ) stetig in x0 f ′ ( x0 ) = 0, f ′′ ( x0 ) > 0 Annahmen: f ′′ ( x0 ) stetig ⇒ es existiert ein δ > 0 mit f ′′ ( x ) > 0 für alle x mit x - x0 > δ Satz von Taylor ⇒ 1 2 f ( x ) = f ( x0 ) + f ′ ( x0 )( x − x0 ) + f ′′ ( z )( x − x0 ) , z ∈ [ x0 , x ] 2 =0 also: Annahmen: analog: ⇒ (5-35) f ( x ) > f ( x0 ) für alle x ∈ I f hat ein lokales Minimum in x0 >0 >0 f ′ ( x0 ) = 0, f ′′ ( x0 ) < 0 f hat ein lokales Maximum in x0 (5-37) Beweis für notwendige Kriterien: Notwendig für Minima und Maxima: f ′ ( x0 ) = 0, für f ′ ( x0 ) ≠ 0 wäre f in I monoton wachsend Notwendig für Maximum: Notwendig für Minimum: oder fallend, hätte also keine Minima oder Maxima f ′′ ( x0 ) ≤ 0, für f ′′ ( x0 ) > 0 hätte f ja in x0 ein Minimum f ′′ ( x0 ) ≥ 0, für f ′′ ( x0 ) < 0 hätte f ja in x0 ein Maximum 5. Differentialrechnung 65 (5-38) Beispiele: f ( x ) = x 4 in x0 = 0 : also: f ′ ( x ) = 4 x3 , f ′ ( 0) = 0 2 f ′′ ( x ) = 12 x , f ′′ ( 0 ) = 0 Notwendige Bedingungen für Minimum sind erfüllt Hinreichende Bedingungen für Minimum sind nicht erfüllt Tatsächlich liegt ein Minimum vor, da für alle x ≠ 0 gilt: x 4 > 0 f ( x ) = x3 in x0 = 0 : also: f ′ ( x ) = 3x 2 , f ′′ ( x ) = 6 x, f ′ ( 0) = 0 f ′′ ( 0 ) = 0 Notwendige Bedingungen für Minimum sind erfüllt Hinreichende Bedingungen für Minimum sind nicht erfüllt Tatsächlich liegt kein Mimimum vor ( sondern ein Sattelpunkt ) Wendepunkte Bei einem Wendepunkt ändert der Graph einer Funktion sein Krümmungsverhalten, die zweite Ableitung einer Funktion ändert also das Vorzeichen. f hat in x0 einen Wendepunkt, wenn f ′ in x0 ein Extremum hat Eine notwendige Bedingung ist also: (5-39) f ′′ ( x0 ) = 0 Regel von de l'Hospital Sind f und g stetig diffenrenzierbar in ]a, b[ (5-40) und ist lim f ( x ) = lim g ( x ) = 0 x →a so gilt: lim x →a f ( x) g ( x) x →a = lim x →a f ′( x) g′ ( x) Beweis: f ( x) − f (a) f ( x) f ( x) − f ( a) x−a wegen f ( a ) = g ( a ) = 0 : = = g x g ( x) g ( x) − g ( a) ( ) − g ( a) x−a f ( a + ∆x ) − f ( a ) f ( x) f ′( x) ∆x = lim mit ∆x = x − a : lim = lim x→a g ( x ) ∆x →0 g ( a + ∆x ) − g ( a ) x →a g ′ ( x ) ∆x www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 66 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium (5-41) Beispiele: sin ( x ) cos ( x ) = lim =1 x →0 x →0 x 1 1 − cos ( x ) sin ( x ) cos ( x ) 1 lim = lim = lim = 2 x →0 x → 0 x → 0 x 2 x 2 2 lim Regel von l'Hospital 2. mal anwenden e x − e− x e x + e− x = lim =2 x → 0 sin x x → 0 cos x lim Das Differential einer Funktion In (5-4) wurde der Differentialquotient definiert. (5-42) ∆y ≡ f ( x + ∆x ) − f ( x ) dy ∆y Differentialquotient: ≡ lim ∆ x → 0 dx ∆x Für viele Zwecke ist es sinnvoll, den Zähler allein zu betrachten und so vom Zuwachs zum Differential überzugehen. Damit meint man den Zuwachs der Tangente im Punkt x. Man berücksichtigt also nur die Steigung der Funktion und lässt die Krümmung außer Acht. Zuwachs: Formal kann man ∆x und ∆y durch hdx und hdy ersetzen und h sehr klein werden lassen: also: ∆y → lim hdy ≡ lim f ( x + hdx ) − f ( x ) h→0 und dy = lim h →0 f ( x + hdx ) − f ( x ) h→0 Differential von f : h = lim (5-43) f ( x + hdx ) − f ( x ) hdx →0 hdx dx = f ′ ( x ) dx df ( x ) = f ′ ( x ) dx Diese Formulierung erlaubt in Kapitel 7 die Erweiterung auf das Differential von Feldern. Beispiele: f ( x ) = 2 x 3 − 1, df ( x ) = 6 x 2 dx (5-44) f ( x ) = cos ( x ) , df ( x ) = − sin ( x ) dx Das Differential einer Funktion kann auch als Taylorentwicklung 1. Ordnung ihres Zuwachses aufgefasst werden. 5. Differentialrechnung 67 Übungsaufgaben Berechnen Sie die Ableitungen der folgenden Funktionen: 1. 2. 3. 4. 5. y = e ⋅ cos ( bx ) (5-45) ax x π y = ln tan + 2 4 π y = x ⋅ cos ln ( x ) − 4 x a ⋅ tan 2 + c y = arctan 2 a − c2 a − b ⋅ cos ( x ) y= a + b ⋅ cos ( x ) 6. y = arctan ( m ⋅ tan ( x ) ) 7. y = x tan ( x ) 8. y= x⋅ 3 1 arctan 2 3 1− x 9. y= a ⋅ sin ( x ) + b ⋅ cos ( x ) a ⋅ sin ( x ) − b ⋅ cos ( x ) 10. y = 1 2a ⋅ x − x 2 2 a⋅x +b 2 b a⋅x +b + b ⋅ ( ln ( x ) − 2 ) + ln , b > 0 a a a⋅x +b − b a −b 2 x 12. y = arctan ⋅ cot 2 a 2 − b2 a+b 11. y = sin ( x ) 13. y = ( cos ( x ) ) Berechnen Sie die n'te Ableitungen der folgenden Funktionen: (5-46) x a +b⋅ x 15. y = x 2 ⋅ e x 14. y = 16. Zeigen Sie, daß für y = tan ( x ) gilt: y′′ = ( y 2 )′ www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 68 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium 17. Entwickeln Sie die Funktionen a ) sin ( x ) nach Taylor bis zur 3. Ordnung um x0 = 0. b) eix c) Vergleichen Sie die Entwicklung aus b) mit der Entwicklung von (5-47) cos ( x ) + i sin ( x ) 18. Entwickeln Sie f ( x ) = ln (1 + x ) bis zur 5. Ordnung um x0 = 0. (5-48) Geben Sie auch den Definitionsbereich der Funktion an! 19. Bestimmen Sie die Taylor − Reihe ( Entwicklung bis zur Ordnung n = ∞ ) für f ( x ) = x −1 um x0 = 1! (5-49) Geben Sie auch den Definitionsbereich der Funktion an! x2 −1 x2 + 1 die Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen und 20. Bestimmen Sie für die Funktion f ( x) = 3 (5-50) den Winkel zwischen Tangente und x − Achse an diesen Stellen 21. Haben die folgenden Funktionen an der Stelle x0 = 0 ein lokales Extremum oder einen Wendepunkt? a) f ( x ) = x4 − 2 x3 + 2 x2 − 1 b) f ( x ) = x4 − 2 x + 1 c) f ( x ) = x3 + x (5-51) 6. Integralrechnung Der Integralbegriff Geometrische entspricht das Integral über einer Funktion f dem Flächeninhalt zwischen dem Graphen von f und der x-Achse. Beiträge zum Flächeninhalt unterhalb der x-Achse sind dabei negativ. Man spricht von einem orientierten Flächeninhalt. Die Integration erweist sich als Umkehrung der Differentiation. Das Integral einer Funktion f kann in der Regel als so genannte Stammfunktion F(x) aufgefasst werden. Die Ableitung dieser Funktion führt zurück zu f. Das bestimmte Integral im Riemannschen Sinne Funktion: f: a, b[ ] →ℝ (6-1) ={ x a < x <b} Integrationsgrenzen: x0 , x ∈ ]a, b[ Zerlegung von [ x0 , x ] : Beliebige Zahlen x1 , x2 ,..., xm −1 , xm mit x0 < x1 < ... < xk −1 < xk < ... < xm < x Zwischenpunkte: zk ∈ [ xk , xk +1 ] , k ∈ {0,1,..., m} , Integralsumme: I ( m) = ( xm+1 ≡ x ) ≡ xm+1 m ∑( x − xk ) f ( zk ) k =0 k +1 ( x1 − x0 ) f ( z0 )+( x2 − x1 ) f ( z1 ) +...+( x − xm ) f ( zm ) Abbildung 6-1: Mögliche Integralsumme für die Funktion f Durch Verfeinerung der Zerlegung von [x0,x] nähert sich die Integralsumme dem gesuchten Flächeninhalt an. Das Integral wird dann durch einen gedanklichen Übergang zu einer unendlichen Verfeinerung der Zerlegung definiert. 70 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Größte Länge eines Teilintervalls: L( m ) = max ( xk −1 − xk ) (6-2) k = 0,1,..., m Folge von feineren Zerlegungen: L( ) > L( ) > L( ) ... mit lim L( 1 2 m m) m →∞ =0 x Integral: I ≡ ∫ f ( t ) dt ≡ lim I ( m ) f heißt integrierbar über [ x0 , x ] , f ist integrierbar über [ x0 , x ] , m →∞ x0 wenn alle möglichen Folgen von feineren Zerlegungen zum selben Grenzwert I führen wenn f auf ]a, b[ stetig oder monoton ist ( Beweis folgt später ) Weitere Begriffe: Integrationsgrenzen: (6-3) x , x 0 obere untere Grenze Grenze f (t ) t Integrand: Integrationsvariable: ∞ Uneigentliche Grenze: ∫ x f ( t ) dt ≡ lim ∫ f ( t ) dt x →∞ x0 x0 Beispiele Integral: (6-4) x ∫ tdt = ? 0 Nebenrechnung: m −1 ∑ k = 0 + 1 + 2 + ... + ( m − 2 ) + ( m − 1) k =0 = 1 + ( m − 1) + 2 + ( m − 2 ) + … = m −3 =m Zerlegung: also: =m = 2 ⋅m ( m − 1) m 2 4⋅5 m =5: 0 +1+ 2 + 3+ 4 = 4 + 4 + 2 =10 = 2 z.B.: m = 6: 0 +1+ 2 +3+ 4 + 5 =5 + 5 + 5 =15 = 5⋅6 2 x x , t k = k ∆t , z k = t k = k m m zk ∆t x m −1 m −1 x x 1 zk ∆t = lim ∑ k = x 2 lim 2 ∑ ∫0 tdt = mlim →∞ m →∞ m →∞ m mm k =0 k =0 ∆t = m −1 k ∑ k = 0 = ( m −1) m 2 → = m2 2 x2 2 6. Integralrechnung 71 −1 x m m →∞ 0 k =0 x em −1 lim m →∞ x m k x = ( e − 1) k =0 m x m →∞ m z t ∫ e dt = lim ∑ e k ∆t = lim ∑e x m m x e m −1 e x −1 = x = x e m −1 e m −1 ( Geometrische Reihe ) lim m→∞ ∞ ∑ n! m n=1 1 x (6-5) n −1 −1 ∞ 1 x n−1 = lim x m→∞ n=1 n! m m −1 x = lim 1+O =1 m→∞ m ∑ = ex − 1 ∞ analog nach vorausgehendem Beispiel ∫e −t x −x ( e − 1) −t dt = lim ∫ e dt = lim x →∞ 0 x →∞ 0 x k −1 ∫ t dt : Zerlegung: tk = x m , zk = tk 1 1 1, x m ,..., x x (6-6) m −1 ,x m k m km+1 m1 m − = x x lim x − 1 ∑ m →∞ k =0 m→∞ k =0 1 ln x = lim m x m − 1 = lim m e m − 1 m →∞ m →∞ 2 ln x 1 ln x 1 ln x 3 = lim m 1 + + + + ... − 1 m →∞ m 2! m 3! m = ln x m −1 ∫ t dt = lim ∑ x 1 = −1 − k m Nur in günstigen Fällen kann das Integral direkt durch die Integralsumme berechnet werden. Man kann aber unbekannte Integrale auf bekannte zurückführen. Wie, lernen wir etwas später mit Hilfe der Partiellen Integration, der Substitutionsmethode, der Partialbruchzerlegung und der Reihenentwicklung. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 72 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Rechenregeln für Integrale x Additivität: x x x0 x0 ∫ ( f ( t ) + g ( t ) ) dt = ∫ f ( t ) dt + ∫ g ( t ) dt x0 x Homogentiät: (6-7) x ∫ λ f ( t ) dt = λ ∫ f ( t ) dt x0 Aufspaltung des Integrationsintervalles: x ∫ x0 x x0 y f ( t ) dt = ∫ f ( t ) dt + ∫ f ( t ) dt x0 Umkehrung der Grenzen: y mit y ∈ ]a, b[ x x0 x0 x ∫ f ( t ) dt = − ∫ f ( t ) dt Die Regeln ergeben sich einfach aus der Definition des Integrals. Stammfunktion und Unbestimmtes Integral Wir können das Integral als eine Funktion F von der oberen Integrationsgrenze x auffassen und als Stammfunktion bezeichnen. Ist diese Funktion differenzierbar, so ist ihre Ableitung gleich dem Integranden. Wir nennen eine Funktion F : I → ℝ eine Stammfunktion für f : I → ℝ wenn und (6-8) F differenzierbar ist F ′ ( x ) = f ( x ) gilt. Dann ist auch G ( x ) = F ( x ) + c eine Stammfunktion, wenn c konstant ist Satz über Stammfunktionen: Jede auf einem Intervall I stetige Funktion f besitzt dort Stammfunktionen. Man erhält für jedes c∈I eine Stammfunktion F durch das x unbestimmte Integral F ( x ) = ∫ f ( t ) dt c (6-9) 6. Integralrechnung 73 Beweis: Zerlegung: xk = a + k ⋅ h, h = Stammfunktion: x−a , lim ≜ lim N h →0 entspricht N →∞ (6-10) N F ( x ) = lim ∑ f ( xk ) h h →0 k =0 N +1 lim F ( x + h ) = lim ∑ f ( xk ) h h →0 h →0 k =0 N F ( x + h) − F ( x) h N +1 = lim ∑ f ( xk ) − ∑ f ( xk ) h →0 h →0 h h k =0 k =0 = lim f ( x + h ) = f ( x ) Ableitung: F ′ ( x ) = lim h →0 G ( x ) = F ( x ) + c ⇒ G′ ( x ) = F ′ ( x ) = f ( x ) und also ist G ( x ) Stammfunktion Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Wenn die reelle Funktion f ( x ) im Intervall [ x0 , x ] stetig ist, (6-11) so gilt für alle x1 ∈ [ x0 , x ] und für jede Stammfunktion G ( x ) : x1 G ( x ) ∫ f ( t ) dt = G ( x ) − G ( x ) ≡ x1 1 0 x0 Beweis: x1 ∫ x0 Schreibweise x1 a x1 x0 a x0 a a f ( t ) dt = ∫ f ( t ) dt + ∫ f ( t ) dt = ∫ f ( t ) dt − ∫ f ( t ) dt = F ( x1 ) − F ( x0 ) x0 =0 = F ( x1 ) + c − c − F ( x0 ) = G ( x1 ) − G ( x0 ) Aus jeder Stammfunktion kann man also den Wert eines bestimmten Integrals bestimmen. Stammfunktionen findet man für sehr viele Funktionen. Die unterschiedlichen Methoden lernen wir im nächsten Abschnitt kennen. Es gibt aber auch Funktionen f, für die keine Stammfunktion existiert. (6-12) Beispiele für Funktionen f , für die es keine Stammfunktion gibt: f ( x) = sin ( x ) , x cos ( x ) f ( x) = , x sin ( t ) x3 x5 x7 dt = x − + − + ... ≡ Si ( x ) ∫0 t 3 ⋅ 3! 5 ⋅ 5! 7 ⋅ 7! Sinusintegral x cos ( t ) x2 x4 x6 dt = C + ln x − + − + ... ≡ Ci ( x ) ∫0 t 2 ⋅ 2! 4 ⋅ 4! 6 ⋅ 6! Eulersche Cosinusintegral x Konstante f ( x) = exp ( x ) , x x t e x x2 x3 dt = C + ln x + + + + ... ∫−∞ t 1⋅1! 2 ⋅ 2! 3 ⋅ 3! Eulersche Konstante www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 74 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Integration durch Umkehrung der Differentiation Man kann jede stetige Funktion als Stammfunktion auffassen und durch Ableiten auf den Integranden schließen. So kommt man auf folgende Beispiele: 1. α ∫ x dx = 1 α +1 x + c , α ∈ ℝ, c ist eine sog. Integrationskonstante + 1 α (6-13) 1 α +1 ′ α x +c = x α +1 a) 1 n +1 x + c, ∫ x dx = n +1 n n = 0,1, 2,... 1 n+1 ′ n x +c = x n +1 b) ∫ 2 3 x +c 3 xdx = 2 3 / 2 ′ 1/ 2 x +c = x 3 c) ∫ 1 dx = 2 x +c x ′ −1/ 2 1/ 2 (2x 3 d) ∫ x 2 dx = ) +c = x 2 5 x +c 5 2 5 / 2 ′ 3 / 2 x +c = x 5 Partielle Integration Folgt aus der Produktregel der Differentiation. Voraussetzungen für f bei allen x ∈ ]a, b[ : (6-14) f kann in ein Produkt von zwei stetigen Funktionen aufgespalten werden f ( x) = g ( x) ⋅ h ( x) g hat eine stetige Ableitung für alle x ∈ ]a, b[ Stammfunktion H von h ist bekannt dann gilt: ∫ f ( x ) dx = ∫ g ( x ) ⋅ h ( x ) dx = g ( x ) ⋅ H ( x ) − ∫ g ′ ( x ) ⋅ H ( x ) dx + c (6-15) Beweis: g ( x ) H ( x ) = ( g ( x ) ⋅ H ( x ) )′ dx − c = ∫ ( g ′ ( x ) ⋅ H ( x ) ) dx + ∫ g ( x ) ⋅ h ( x ) dx − c ∫ Stammfunktion g ′ ( x ) ⋅ H ( x ) + g ( x )⋅ h ( x ) ∫ f ( x ) dx 6. Integralrechnung 75 (6-16) Also: x x ∫ g ( t ) ⋅ h ( t ) dt = g ( t ) ⋅ H ( t ) x − ∫ g ′ ( t ) ⋅ H ( t ) dt , x 0 x0 x0 , x ∈ ]a, b[ x0 (6-17) Beispiel: ∫ x cos ( x ) ) − ∫ 1 ( − cos ( x ) ) dx + c ( x ) dx = x (− x sin x g ′( x ) g ( x) g( x) h( x ) H ( x) H ( x) 0 = − x cos ( x ) + ∫ cos ( x ) dx + c = − x cos ( x ) + sin ( x ) + c sin ( x ) Substitutionsmethode Folgt aus der Kettenregel für die Differentiation. (6-18) Voraussetzungen: F : u → F ( u ) = ∫ f ( u ) du + c, für alle u ∈ ]a, b[ ϕ : x → ϕ ( x ) ∈ ]a, b[ , für alle x ∈ ]α , β [ ϕ ′ stetig (6-19) Es gilt: ∫ f (ϕ ( x ) ) ⋅ ϕ ′ ( x ) dx = ∫ f ( u ) ⋅ du Beweis: Kettenregel: F ′ ( u ) u =ϕ Integration: = F ( u ) u =ϕ +c ⋅ ϕ ′ ( x ) = F ′ (ϕ ( x ) ) u =ϕ ( x ) u =ϕ ( x ) +c du ∫ f (ϕ ( x ) ) ⋅ ϕ ′ ( x ) dx = F (ϕ ( x ) ) + c = F ( u ) u =ϕ www.kbraeuer.de ( x) F ′ ( u ) ⋅ ϕ ′ ( x ) dx = ∫ F ′ ( u ) ⋅ du = ∫ f ( u ) ⋅ du = F ( u ) ∫ f (u ) also: ( x) u =ϕ ( x ) ( x) + c = ∫ f ( u ) ⋅ du +c u =ϕ ( x ) Tübingen, den 13.02.2013 76 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium (6-20) Für bestimmte Integrale: x ∫ f (ϕ ( t ) ) ⋅ ϕ ′ ( t ) dx = x0 ϕ( x) f ( u ) ⋅ du ∫ ϕ ( x0 ) u =ϕ ( x ) = F ( u ) u =ϕ u =ϕ ( x ) ( x0 ) +c 1. Art der Anwendung Voraussetzungen: (6-21) 1. Der Integrand f ( x ) ist ein Produkt 2. Man findet ein ϕ ( x ) , so dass f ( x) = g ( x) ⋅ h ( x) f ( x ) = g (ϕ ( x ) ) ⋅ ϕ ′ ( x ) 3. Man kennt die Stammfunktion von g: G ( x ) = ∫ g ( x ) dx g (ϕ ( x ) ) ϕ ′ ( x ) dx = ∫ g ( u ) du ∫ f ( x ) dx = ∫ Dann ist g (u ) du u =ϕ ( x ) = G (ϕ ( x ) ) (6-22) Beispiel: xdx = ∫ u du x cos ∫ sin ( ) 3 3 u =sin x du =u ′dx = cos xdx u ( x ) = sin ( x ) x oder ∫ sin t cos tdt = ∫ 3 x0 1 4 + c = sin ( x ) + c 4 u =sin x sin ( x ) u 3du u ( x0 ) = sin ( x0 ) u =sin x ( 1 1 4 4 = u4 = sin ( x ) − sin ( x0 ) 4 sin( x0 ) 4 ) 2. Art der Anwendung Man betrachtet das Integral dass ∫ f ( u ) du und sucht eine Funktion ϕ ( x ) = u so, ∫ f (ϕ ( x ) ) ⋅ ϕ ′ ( x ) dx berechnet werden kann = f ( u ) du ∫ Voraussetzung: 1. Man findet ein ϕ ( x ) mit bekannter Stammfunktion G ( x ) = ∫ f (ϕ ( x ) ) ⋅ ϕ ′ ( x ) dx g ( x) 2. Umkehrfunktion x = ϕ -1 ( u ) muss im vorgeschriebenen Intervall existieren (6-23) 6. Integralrechnung 77 (6-24) Beispiele: au ) ∫ cos ( u=x / a −1 du = ∫ cos ( x ) a dx = sin ( x ) a du =u ′dx = a −1dx = sin ( au ) x = au a x = au sin ( x ) sin ( au ) − sin ( au0 ) oder ∫ cos ( au ) du = ∫ cos ( x ) a dx = = a a x0 = au0 u0 u0 = x0 / a u=x / a u −1 2 1 − u 2 du = ∫ 1 − sin x cos xdx = ∫ u =sin x cos xdx x + 1 − sin ( x ) sin x 2 = = 2 = ∫ cos ( x ) dx sin ( x ) cos( x ) = ∫ ( sin ( x ) cos( x ) )′ dx 2 2 = ∫ cos( x ) dx − ∫ sin ( x ) dx 2 2 = ∫ cos( x ) dx − ∫ (1− cos ( x ) ) dx 2 = 2 ∫ cos( x ) dx − x 2 x + cos x sin x 2 (6-25) x = arcsin u arcsin u + 1 − u 2 u 2 x = arcsin u oder x = arcsin (1) =π / 2 1 1 − u 2 du = ∫ ∫ 2 2 4 x0 = arcsin 0 =0 0 ( betrachte den Graphen von cos ( x ) ) π cos ( x ) dx = Hälfte des Rechtecks π /2⋅1 Partialbruchzerlegung Alle rationalen Funktionen können geschlossen integriert werden! Ganze rationale Funktionen ∫ (c 1 1 1 2 p −1 + c p x p ) dx = c + c0 x + c1 x 2 + ... + c p −1 x p + c p x p +1 0 + c1 x + c2 x + ... + c p −1 x p p +1 2 (6-26) Echt gebrochene rationale Funktionen Können auf zwei Grundintegrale zurückgeführt werden mit a, b, c, A, B ∈ ℝ : (6-27) 1 Grundintegral 1: ∫ ( x - a) Grundintegral 2: ∫ ( ax n ln ( x − a ) + c, für n = 1 1 dx = 1 − + c für n > 1 n − 1 ( x - a )n −1 Ax + B 2 + 2bx + c ) n dx Das Grundintegral 2 kann weiter reduziert und in mehreren Schritten gelöst werden. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 78 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Unecht gebrochene rationale Funktionen Sie können durch Division in eine ganze und eine echt gebrochene rationale Funktion verwandelt werden. Numerische Integration Vorausgehend haben wir nun sehr viele Integrale gelöst. Das darf darüber aber nicht hinwegtäuschen, dass man immer wieder mit Integralen konfrontiert wird, für die man keine Stammfunktion findet. Man kann dann mit dem Computer die Integralsumme I(m) nach (6-1) für eine geeignete Zerlegung berechnen und erhält so in der Regel Ergebnisse von ausreichender Genauigkeit. b−a , xn = a + n∆x, f n = f ( xn ) N b Untersumme: ∫ f ( x ) dx ≃ ∆x ( f0 + f1 + ... + f N −2 + f N −1 ) (6-28) mit ∆x = a Obersumme: b ∫ f ( x ) dx ≃ ∆x ( f + f 2 + ... + f N −1 + f N ) 1 a Trapezregel: ∆x b ∫ f ( x ) dx = 2 ( f + 2 f + 2 f + ... + 2 f + 2 f ( Mittelwerte ( Obersumme,Untersumme ) ) 0 1 2 N −2 N −1 + fN ) a Simpson-Regel: b ∫ f ( x ) dx = a Allgemein: b ∫ a ∆x ( f0 + 4 f1 + 2 f 2 + 4 f3 + 2 f 4 + ... + 2 f N −2 + 4 f N −1 + f N ) 3 ( N ∈ 2ℕ !) f ( x ) dx = ∆x w Gewichtsvektor ∈ℝ N +1 ⋅ f ( f0 , f1 ,..., f N ) 6. Integralrechnung 79 (6-29) Beispiel: Funktion: f ( x) = 4 1 π 1 + x2 1 Integral: ∫ f ( x ) dx = 1 0 1 6 4 144 18 16 36 144 2 Funktionsvektor: f = , , , , , , π 37π 5π 5π 13π 61π π Untersumme: w = (1,1,1,1,1,1, 0 ) , ∆x w ⋅ f = 1.05... Obersumme: w = ( 0,1,1,1,1,1,1) , ∆x w ⋅ f = 0.94... 1 1 Trapez: w = ,1,1,1,1,1, , ∆x w ⋅ f = 0.998... 2 2 1 4 2 4 2 4 1 Simpson: w = , , , , , , , ∆x w ⋅ f = 0.9999997... 3 3 3 3 3 3 3 Stützstellen: N = 6, ∆x = Abbildung 6-2: Vergleich verschiedener Integrationsmethoden für N=6 www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 80 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Übungsaufgaben 1. Geben Sie die Integrale an, für die die Funktionen F ( x ) Stammfunktionen sind a) b) (6-30) ln ( x ) + c für alle x > 0 und ln ( − x ) + c für alle x < 0 F ( x ) = ex + c c) F ( x) = d) F ( x ) = sin ( x ) + c, F ( x ) = − cos ( x ) + c, 1 β x + c, ln β ( für alle x ∈ ℝ und β > 0, β ≠ 1) , F ( x ) = sinh ( x ) + c, F ( x ) = cosh ( x ) + c e) F ( x ) = arctan ( x ) + c f ) F ( x ) = arcsin ( x ) + c, für alle x ∈ ]−1,1[ g) F ( x ) = arccos ( x ) + c, für alle x ∈ ]−1,1[ 2. Berechnen Sie durch partielle Integration a )..c) ∫ ( x ) dx, x cos g( x) h( x ) d ).. f ) x sin ( x ) dx, ∫ x ∫ ( ) 2 g x (6-31) 2 cos ( x ) dx h( x ) ∫ xe dx, ∫ x e dx, ∫ x e dx x 2 x 3 x g )..i ) ∫ sin ( x ) cos ( x ) dx, ∫ sin ( x ) j )..l ) ∫ ln ( x ) dx, ∫ x ln ( x ) dx, ∫ x ln ( x ) dx 2 ∫ cos ( x ) dx, 2 dx n 3. Berechnen Sie durch Substitution der 1. Art (6-32) a)...d ) ∫ sin ( x ) cos ( x ) dx, ∫ sin ( x ) dx, ∫ xe e)... f ) ∫x g )...i ) ( ) ϕ( ) ∫ f ( x ) dx, ∫ (ϕ ( x ) ) ϕ ′ ( x ) dx, ∫ a ϕ ′ ( x ) dx j )...l ) ∫ sin (ϕ ( x ) ) .ϕ ′ ( x ) dx, ∫ 1 + ϕ ( x ) 3 3 x 2 − a 2 dx in x ∈ [ −a, a ] , f′ x x2 x ∫ 1 − x2 k dx, ∫x x 2 + a 2 dx dx, in x ∈ [ −1,1] x ϕ′( x) 2 dx, ∫ ϕ′ ( x) 1−ϕ ( x) 2 dx 6. Integralrechnung 81 4. Berechnen Sie durch Substitution der 2. Art: a )...b) (6-33) 2 u du , ∫ du 1 + u3 ∫ ue u2 u= x du = 1 2 x dx u = x1/3 1 du = x −2/3 dx 3 c)...e) ∫ sin u ⋅ cos u ⋅ du, ∫ tan u ⋅ du, ∫ ln u ⋅ du = ∫ x ⋅ e dx f )...i ) ∫t x 2 www.kbraeuer.de cos ( t 3 ) dt , ∫ 1 − t 2 dt , 1 ∫ y ln ydy Tübingen, den 13.02.2013 7. Vektorfunktionen und Felder Vektorfunktionen sind Vektoren, wobei jede Komponente eine Funktion der Zeit, der Bogenlänge oder sonst eines Parameters ist. Unter einem Feld versteht man in der Physik die eindeutige Zuordnung einer physikalischen Größe wie Kraft, Masse, Ladung oder Wahrscheinlichkeit zu den Punkten in einem Koordinatensystem. Bemerkung Die folgenden Themen sind eine Vorschau auf die mathematischen Inhalte des Integrierten Kurses I in Physik. Der Übersichtlichkeit wegen ist die mathematische Formulierung etwas einfacher gehalten als in den vorausgehenden Kapiteln. Bahnkurven als Beispiel für Vektorfunktionen Bahnkurven sind die Grundlage der klassischen Mechanik (Hamiltonsches Prinzip). Es sind Idealisierungen, sie sind nicht beobachtbar! Jedem Objekt (Massepunkt, Punkt in kontinuierlicher Masseverteilung) wird zu jedem Zeitpunkt t ein Ort r ( t ) zugeordnet. Beispiele für Bahnkurven (s ist Bahnparameter, z.B. Zeit t, Bogenlänge, …) Gerade im Raum: Waagrechter Wurf: Schraubenkurve: vx s r0 + r cos ( s ) r2 ( s ) = v y s r3 ( s ) = r0 + r sin ( s ) 2 1 vz s z0 − 2 gs Unter Umständen entspricht v der Geschwindigkeit. r1 ( s ) = r0 + vs Gerade im Raum Waagrechter Wurf Schraubenkurve Abbildung 7-1: Verschiedene Bahnkurven im dreidimensionalen Raum (7-1) 7. Vektorfunktionen und Felder 83 Stetigkeit von Vektorfunktionen (7-2) f ( x ) = ∑ fi ( x ) eˆi ist stetig, wenn alle Koordinaten i ( oder Vektorkomponenten ) fi ( x ) stetig sind Dann ist (7-3) lim f ( x ) = lim ∑ fi ( x ) eˆi = ∑ fi ( x0 ) eˆi = f ( x0 ) x → x0 x → x0 i i Ableitung vektorwertiger Funktionen Ableitung nach dem Bahnparameter: df ( x ) f ( x + ∆x ) − f ( x ) f ( x + ∆x ) − f i ( x ) df ( x ) ≡ lim = lim ∑ i eˆi = ∑ i eˆi ∆x → 0 ∆x → 0 ∆x ∆x dx dx i i (7-4) df ( x ) df 2 ( x ) df 3 ( x ) = 1 , , dx dx dx Zeilenvektor df ( x ) Der Vektor liegt in x tangential an der Kurve an. Die Bahnkurve ändert sich ja genau dx entlang der Bahnkurve. Höhere Ableitungen: d n f ( x ) d d n −1 f ( x ) ≡ ( rekursive Definition ) dx n dx dx n −1 (7-5) Geschwindigkeitsvektor Für die Bahnkurve r ( t ) ( Ort als Funktion der Zeit ) ist dr ( t ) = v ( t ) die Geschwindigkeit des Objekts zur Zeit t dt r ( t + ∆t ) − r ( t ) Messbar sind jedoch immer nur mittlere Geschwindigkeiten v ≡ . ∆t www.kbraeuer.de (7-6) Tübingen, den 13.02.2013 84 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Rechenregeln: Summenregel: Produktregel 1: Produktregel 2: Produktregel 3: Kettenregel: Quotientenregel: ( ) d d d d a + b = ∑ ( ai + bi ) eˆi = ∑ ai eˆi + bi eˆ dx dx i dx i dx d d = a + b, dx dx d d d d a ⋅ b = ∑ ai bi = ∑ ai bi + ai bi dx dx i dx i dx d d = a ⋅b + a ⋅ b , dx dx d d d a × b = ∑ ε ijk ai b j eˆk + ∑ ε ijk ai b j eˆk dx dx dx ijk ijk d d = a ×b + a × b , dx dx d d d ab = a b + a b , dx dx dx da ( b ) db ( x ) d d , a ( b ( x ) ) = ∑ ai ( b ( x ) ) eˆi = dx dx i db dx ( ) ( ) (7-7) ( ) d d a b − ba d a dx dx = dx b b2 Tangentenvektor, Normalenvektor und Krümmung Bogenlänge: Für die Bogenlänge s gilt: ds= dr (7-8) Dann ist der (7-9) dr ( s ) Einheitstangentialvektor tˆ ≡ ds Wie oben begründet liegt jede Ableitung der Bahnkurve nach dem Kurvenparameter im entsprechenden Punkt tangential an der Kurve an. Ferner ist nach (7-8), also nach der Definition der Bogenlänge s tˆ = dr ( s ) ds (7-10) =1 Der Tangentialvektor bleibt bei kleinen Änderungen von s in Tangentialrichtung gleich 1 (Normierung). Er ändert sich genau senkrecht zur Tangente, also ist der Einheitsnormalenvektor nˆ ≡ dtˆ ( s ) −1 dtˆ ( s ) ds ds Normierung (7-11) 7. Vektorfunktionen und Felder Krümmung: 85 κ≡ Krümmungsradius: ρ ≡ Abbildung 7-2: dtˆ ( s ) ds (7-12) ist ein Maß für die Krümmung der Raumkurve 1 κ Die Änderung des Ortsvektors dr tangiert in x die Kurve und definiert so den Tangetialvektor t. Die Änderung des Tangetilavektors dt steht in x senkrecht auf der Kurve. Beispiel: ( ) Kreisbahn mit Radius R: r ( s ) = R cos ( f ( s ) ) , R sin ( f ( s ) ) , 0 , Bestimmung von f : dr ( s ) = − sin ( f ( s ) ) , cos ( f ( s ) ) , 0 Rf ′ ( s ) ds 2 2 Betrag: ( sin ( f ( s ) ) ) + ( cos( f ( s ) ) ) =1 ( ! dr ( s ) = Rf ′ ( s ) ds = ds ⇒ ) f = s R also: s s r ( s ) = R cos ,sin , 0 R R Tangentialvektor: s s tˆ = r ′ ( s ) = − sin , cos , 0 R R Normalenvektor: 1ˆ 1 s s t′ = − cos ,sin , 0 κ κR R R r (s) s s = − cos ,sin , 0 = − R R R 1 κ= R ρ=R Krümmung: Krümmungsradius: (7-13) nˆ = Vektorenfunktionen und Felder Wir betrachten hier folgende Vektorstrukturen: www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 86 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium 3 Koordinaten für Position im Raum Vektor r ∈ ℝ3 : 3 Vektorwertige Funktion r ( t ) :ℝ → ℝ : Schar von Vektoren, Kurvenparameter ist Zeit, Bogenlänge, ... 3 Skalare Funktion von Skalarfeld: ϕ ( r , t ) : ℝ × ℝ → ℝ : Ort und Zeit (Vektoren) 3 3 Vektorwertige Funktion von Vektorfeld: F ( r , t ) : ℝ × ℝ → ℝ : Ort und Zeit (Vektoren) (7-14) Skalare Felder: Gravitationspotential, elektrisches Potential, Temperaturfeld, Massenfeld, Wahrscheinlichkeitsfeld,… Vektorielle Felder: Kraftfeld, Geschwindigkeitsfeld, Elektrisches- und Magnetisches Feld, … Beispiele: Zentralpotential: 1 ϕ (r ) ∝ − = − r 1 x2 + y 2 + z 2 Kräfte im Zentralfeld: ( x, y , z ) rˆ r F (r ) ∝ 2 = 3 = 3/ 2 r r ( x2 + y 2 + z 2 ) (Schwerefeld, (7-15) elektrisches Potential ) (Schwerkraft, elektrisches Feld ) Bemerkung zur Realität der Felder: Felder sind mathematische Hilfsmittel zur Beschreibung physikalischer Phänomene aufgrund kausaler Zusammenhänge. Felder sind nicht beobachtbar oder messbar! Wir beobachten zum Beispiel, wie ein Ball durch die Luft fliegt, oder wie sich Eisenspäne auf einer Glasplatte über einem Magneten orientieren. Schwerefelder oder magnetische Felder treten dabei nicht in Erscheinung, aber die beobachteten Phänomene können mit ihrer Hilfe berechnet werden. Felder sind real im Sinnen gedanklicher Vorstellungen, nicht im Sinne physikalischer Objekte. Das gleiche gilt auch für Raum und Zeit. Partielle Ableitung Felder hängen in der Regel von drei Raumkoordinaten und einer Zeitkoordinate ab. Beim partiellen Ableiten werden alle bis auf eine, nach der abgeleitet wird, festgehalten: 7. Vektorfunktionen und Felder 87 (7-16) Partielle Ableitung: ∂ϕ ( r , t ) ϕ ( r + heˆi , t ) − ϕ ( r , t ) = lim h→0 ∂xi h ∂ϕ ( r , t ) ϕ ( y + h) −ϕ ( y) = lim , x, z , t sind konstant etwa h →0 ∂y h ∂ϕ ( r , t ) ϕ (r ,t + h) −ϕ (r ,t ) = lim h→0 ∂t h oder: ∂F ( r , t ) F ( r + heˆi , t ) − F ( r , t ) = lim h →0 ∂xi h F (r ,t + h) − F (r , t ) ∂F ( r , t ) = lim h →0 ∂t h Nach einer Variablen xi oder t wird also abgeleitet und die anderen Variablen werden dabei festgehalten. Beispiele für partielle Ableitungen: ∂r Ableitung des Ortsvektors, z.B.: = ∂ y ( xeˆx + yeˆy + zeˆz ) = eˆy ∂y ∂r ∂ oder allgemein: =∑ x j eˆ j = eˆi ∂xi j ∂xi (7-17) δ ij Ableitung des Abstandes: ∂r ∂ = x2 + y 2 + z 2 = ∂y ∂y Kettenregel mit u = x 2 + y 2 + z 2 ( ) ∂u u ( ∂ yu ) = 1 1 = 2 u 2r =2 y = y r Richtungsableitung: Partielle Ableitungen nach (7-16) geben die Steigung eines Feldes in Richtung der Raum- und Zeitkoordinaten an. Für die Berechnung der Steigung in einer beliebigen Richtung ergibt sich www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 88 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Richtung uˆ : (7-18) uˆ = ∑ ui eˆi , uˆ = 1 i Richtungsableitung: ϕ ( r + huˆ ) − ϕ ( r ) ∂ uˆϕ ( r ) ≡ lim h→0 h f ( ε ) ≡ϕ ( r +ε u ) f (ε + h ) − f (ε ) = lim h→0 h ˆ = lim ϕ ( r + ( h + ε ) uˆ ) − ϕ ( r + ε uˆ ) h→0 h ε =0 ε =0 ε Kettenregel r ( ) ≡ r +ε uˆ ∂ d d d = f ( ε ) ε =0 = ϕ ( r + ε uˆ ) ε = 0 = ∑ (ε ) ϕ r (ε ) ri(ε ) dε dε dε i ∂ri ε =0 = ui = ∑ eˆi ⋅eˆ j u j j ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) = ∑ u j eˆ j ⋅ eˆi = uˆ ⋅ , , ∂xi ∂x2 ∂x3 i, j ∂x1 Man kann die Ableitung auch verallgemeinern für nicht normierte Vektoren und erhält ( ) ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) ∂ ϕ (r ) = u ⋅ , , = u ∂ uˆϕ ( r ) ∂x2 ∂x3 ∂x1 (7-19) u Gradienten: Der Vektor mit den Ableitungen des Feldes ϕ unten (7-18) ist in der Physik sehr wichtig und wird als Gradient bezeichnet. ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) ∂ϕ ( r ) ∂ ϕ (r ) Gradient: ∇ϕ ( r ) ≡ , , = ∑ eˆi ∂y ∂z i ∂xi ∂x Die Bezeichnung 'Gradient' ergibt sich aus der Interpretation des Vektors. (7-20) Beispiel: ∑ x2j j 1 −1/ 2 Gravitationspotential, elektrisches Potential: ϕ ( r ) = − = − u ( r ) r ∂ −1/ 2 1 −3/ 2 ∂ Gradient: ∇ϕ = −∑ eˆi u (r ) = −∑ eˆi − u ( r ) x 2j ∑ ∂xi ∂xi j 2 i i u ( r )≡ r 2 = ∂u −1/ 2 ∂u ∂u ∂xi ∑ eˆ x i i = 3/ 2 (r 2 ) i r rˆ = 3= 2 r r 2 xi (7-21) 7. Vektorfunktionen und Felder 89 Rechenregeln Summenregel: ∂ ∂ ∂ ∇ (ϕ + ψ ) = ∑ eˆi (ϕ +ψ ) = ∑ eˆi ϕ + eˆi ψ ∂xi ∂xi ∂xi i i = ∇ϕ + ∇ψ (7-22) ∂ ∂ ∂ ∇ (ϕψ ) = ∑ eˆi ϕψ = ∑ eˆi ϕ ψ + ϕ ψ ∂xi i i ∂xi ∂xi = ∇ϕ ψ + ϕ ∇ψ Quotientenregel: ϕ ∇ϕ ϕ∇ψ ∇ = − 2 Produktregel: ( ) ψ ψ = Kettenregel: ( ) ( ψ ( ∇ϕ ψ − ϕ ∇ψ ψ ) ) 2 df (ϕ ) ∂ ∂ ∇f (ϕ ) = ∑ eˆi f (ϕ ) = ∑ eˆi ϕ ∂xi dϕ ∂xi i i df (ϕ ) = ∇ϕ dϕ Differential und Interpretation des Gradienten: Am Ende von Kapitel 5 wurde das Differential einer Funktion eingeführt. Es ergab sich durch Linearisierung des Zuwachses dx, dy : ∆x ≡ lim hdx, ∆y ≡ lim hdy . h →0 h →0 Nun betrachten wir ganz analog das Feld ϕ als Funktion mehrer Variablen. Zuwachs: ∆ϕ ( r ) ≡ ϕ ( r + ∆r ) − ϕ ( r ) Linearisierung: ∆ϕ ( r ) → lim hdϕ ( r ) = lim ϕ ( r + hdr ) − ϕ ( r ) h →0 h →0 Differential: ϕ ( r + hdr ) − ϕ ( r ) dϕ ( r ) = lim h →0 h ∂ϕ ( r ) = ∂ dr ϕ ( r ) = ∇ϕ ( r ) ⋅ dr = ∑ dxi ∂xi i (7-23) Richtungsableitung Interpretation des Gradienten Das Differential dϕ gibt an, wie sehr sich das Feld ϕ bei einer Änderung des Ortes d r linear ändert. Speziell entlang von Äquipotential- oder Höhenlinien ändert sich das Differential gar nicht: (7-24) Äquipotentiallinien: 0=dϕ ( r ) = ∇ϕ ( r ) ⋅ dr ⇒ ∇ϕ ⊥ dr Gradient senkrecht auf Ortsänderung Daraus ergibt sich die Bedeutung. Der Gradient eines skalaren Feldes gibt die Richtung und das Maß des größtmöglichen Anstieges des Feldes an. Beschreibt das Feld etwa die Höhendaten eines Berges, dann zeigt der Gradient entgegen der Falllinie. Die Länge des Gradienten drückt dann aus, wie Steil es an der Stelle des Berges ist. www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 90 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Beispiel elektrisches Potential eines Dipols: 1 1 − r −a r +a r = xeˆx + yeˆ y , a = aeˆx ϕ (r ) = Abbildung 7-3: Äquipotentiallinen (Linien) und Gradientenfeld (Pfeile) eines Dipols. Ableitungen höherer Ordnung1 Existieren die partiellen Ableitungen eines Feldes überall, so sind diese ebenfalls Funktionen von r und können gegebenenfalls wieder partiell differenziert werden. So kommt man zur Partiellen Ableitung höherer Ordnung: ∂ kϕ ∂ ∂ ∂ ϕ (r ) r = ... k ( ) ∂xi ∂xi ∂xi ∂xi (7-25) k − mal Differenziert man ein paar Mal nach verschiedenen Variablen, schreibt man entsprechend ∂ kϕ ∂ kn ∂ k2 ∂ k1 r = ... ϕ (r ) ( ) kn k1 kn k2 k1 ∂xn ...∂x1 ∂xn ∂x2 dx1 (7-26) Wichtig ist, dass die Reihenfolge der Ableitungen keine Rolle spielt, solange alle Ableitungen stetig sind. Etwa für die 2. Ableitungen ist ∂ ∂ ∂ 1 ϕ (r ) = lim (ϕ ( r + heˆi ) − ϕ ( r ) ) h → 0 ∂x j ∂xi ∂x j h 1 = lim lim ϕ ( r + leˆ j + heˆi ) − ϕ ( r + heˆi ) −ϕ ( r + leˆ j ) + ϕ ( r ) l →0 h →0 lh 1 = lim lim ϕ ( r + leˆ j + heˆi ) − ϕ ( r + leˆ j ) −ϕ ( r + heˆi ) + ϕ ( r ) l →0 h →0 lh ∂ 1 = lim ϕ ( r + leˆ j ) − ϕ ( r ) ∂xi l →0 l ( = 1 ∂ ∂ ϕ (r ) ∂xi ∂x j Kann im MVK weggelassen werden ) (7-27) 7. Vektorfunktionen und Felder 91 Taylor-Entwicklung für Felder2 Mit Hilfe der Richtungsableitung nach (7-18) wird die Taylor-Entwicklung ganz zwanglos auf Felder erweitert: (7-28) r − r0 ) ( ˆ Taylor-Entwicklung von ϕ um r0 mit d ≡ r − r0 , d = : r − r0 n N dˆ ⋅∇ ϕ dn ϕ (r ) = ∑ n! n =0 ( ) r = r0 = ϕ ( r0 ) + dˆ ⋅∇ϕ r = r0 d+ ( ) Beispiel: Entwicklung von r − a um 0. Ordnung: r −a r =0 ( 1 ˆ 2 1 ˆ d ⋅∇ ϕ d 2 +…+ d ⋅∇ N! 2 r = r0 ) N ϕ d n + Restglied r = r0 r =0 =a (7-29) 1. Ordnung: u ( r )=( r − a ) xi ∂ =∑ u (r ) i , j r ∂xi rˆ ⋅∇ r − a = rˆ ⋅∇ (r − a ) 2 2 2 xi 1 x ∂ 1 xj − aj ) = ∑ i ( 2 ( xi − ai u ( r ) ∂xi i, j r i, j r 2 u ( r ) r −a = rˆ ⋅ r −a rˆ ⋅ a also −a rˆ ⋅∇ r − a = rˆ ⋅ =− r =0 a a r − a 2 2. Ordnung: rˆ ⋅∇ r − a = rˆ ⋅∇ rˆ ⋅∇ r − a = rˆ ⋅∇rˆ ⋅ r −a =∑ ( ) ( ) ) u ( r ) = ( r − a ) .v ( r ) = r xj (xj − aj ) x ∂ =∑ i = ... v (r ) u (r ) i , j r ∂xi 2 2 Anderer Weg: Wir wenden einen Trick an, um das Feld eindimensional zu entwickeln: 2 Kann im MVB weggelassen werden www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 92 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium x x2 3 + = r − a = a 2 − 2r ⋅ a + r 2 = a 1 x a 1 + − + O ( x ) 2 4 r 2 − 2 r ⋅a x≡ (7-30) a2 r 2 − 2r ⋅ a 1 r 2 − 2r ⋅ a 2 3 = a 1 + − + O r ( ) 2a 2 8 a2 2 2 r ⋅ a r2 (r ⋅ a ) r ⋅ a r2 (r ⋅ a ) 3 = a 1 − 2 + 2 − + O (r ) = a − + − + O ( r3 ) 4 3 a 2 a 2 a a 2 a 2 a 2 r ⋅ a r2 (r ⋅ a) r −a = a− + − + O (r3 ) 3 a 2a 2a Insgesammt: (7-31) Wegintegrale Einfache Integration über einen Weg bei konstantem Integranden (hier =1) r1 r r r r r0 r0 r0 r0 r0 1 1 1 1 ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ∫ dr = ∫ ( dxex + dyey + dzez ) = ∫ dxex + ∫ dyey + ∫ dzeˆz (7-32) = ( x1 − x0 ) eˆx + ( y1 − y0 ) eˆy + ( z1 − z0 ) eˆz = r1 − r0 ( Relativvektor des direkten Weges ) Integral über ein skalares Feld Das geht nicht so ganz analog, weil die Funktion ja im Allgemeinen von allen Koordinaten abhängt. r1 r r0 r0 r1 1 ϕ r ( ∫ ) dr = ∫ ϕ ( x, y, z ) ( dxeˆx + dyeˆy + dzeˆz ) (7-33) = ∫ (ϕ ( x, y, z ) dxeˆx + ϕ ( x, y, z ) dyeˆy + ϕ ( x, y , z ) dzeˆz ) = ??? r0 Man muss also angeben, welcher Wert von x zu einem bestimmten Wert von y oder z gehört. Man muss den Weg parametrisieren: (7-34) Parametrisierung: r = r ( s ) ( s ist etwa Bogenlänge, Differential: Für Zeit t : Damit ist Zeit oder ein anderer Parameter ) ∂r dr = ds = r ′ds ∂s ∂r ɺ dr = dt = rdt = vdt ( v ist Geschwindigkeit ) ∂t 7. Vektorfunktionen und Felder 93 r1 ∫ ϕ ( r ) dr = r0 s ( r1 ) ∫ s ( r0 ) (7-35) ϕ ( r ( s ) ) r ′ ( s ) ds Beim Einsetzen der Funktionen ergibt sich ein gewöhnliches, bestimmtes Integral. Beispiel Konstante Beschleunigung: v ( t ) = v0 + at r1 (7-36) t t Wegintegral: 1 1 1 2 2 dr = v t dt = ( ) ∫r ∫t ∫t ( v0 + at ) dt = v0 ( t1 − t0 ) + 2 a ( t1 − t0 ) 0 0 0 = r1 − r0 ( siehe oben ) also: 1 r1 = r0 + v0 ( t1 − t0 ) + a ( t12 − t02 ) 2 Integral über ein Vektorfeld Sehr fundamental! (7-37) Arbeit = Kraft × Weg: dA = F ⋅ dr r1 also: t1 A = ∫ F ⋅ dr = ∫ F ⋅ r ′ ( s ) ds r0 t0 Beispiele: Abbildung 7-4: Wege in Kraftfeldern. Links führt der Weg Γ1 entlang der x-Achse ins unendliche und der Weg Γ2 von einem Punkt auf einer Äquipotentiallinie zu einem anderen. Rechts betrachten wir zwei geschlossene Wege, Γ1 liegt neben dem Zentrum des Wirbels, Γ2 umfasst es. Linkes Bild in Abbildung 7-4: rˆ r Kraftfeld: Fa = 2 = 3 r r www.kbraeuer.de (7-38) Tübingen, den 13.02.2013 94 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Weg 1 ( s ∈ [ 0,1]) : Arbeit 1: R + ( x0 − R ) s x0 − R ′ r1 = lim 0 0 , r1 = xlim x0 →∞ →∞ 0 0 0 1 1 r 1 A1 = ∫ F ⋅ dr = lim ∫ 3 ⋅ r ′ds = lim ∫ x − R ) ds 2 ( 0 x0 →∞ r x0 →∞ Γ1 0 0 ( R + ( x0 − R ) s ) → x0 →( R + x0 s ) 1 = lim x0 ∫ x0 →∞ 0 1 x0 s ) (R+ 2 ds = lim R + x0 → x0 x0 →∞ ∫ R (7-39) 2 1 1 du = − lim 2 x0 →∞ u u x0 R u , ds = du / x0 1 1 1 = − lim − = x0 →∞ x 0 R R Wir erhalten das Potential ϕ. Weg 2 ( s ∈ [ 0,1]) : (1 − s ) −1 ′ r2 = s , r2 = 1 0 0 1 − s s 0 Arbeit 2: A2 = ∫ F ⋅ dr = Γ2 ∫ Γ2 ( (7-40) −1 ⋅ 1 dt 3/ 2 2 2 0 (1 − s ) + s ) Integration mit Substitution u = 2 s − 2 s +1 −1+ 2 s = 12 u ′ u ′ds u (1) 1 s − 1) + s ( 1 1 1 =∫ ds = ∫ 3/ 2 du = − 1/ 2 3/ 2 2 2 u 2 u ( 0) u 0 (1 − s ) + s 2 ( ) 1 1 (1−2 s + 2 s )=u 2 =0 Hier bewegen wir uns von einem Punkt auf einer Äquipotentiallinie zur anderen. Rechtes Bild in Abbildung 7-4: rˆ × eˆ r × eˆ Kraftfeld: Fb = 2 z = 3 z r r (7-41) Eine Rechnung zeigt, dass Weg 1: A1 = ∫ Fb ⋅ dr ≠ 0 Weg 1 Weg 2: A2 = ∫ Fb ⋅ dr = 0 Weg 2 Der Unterschied zwischen den beiden Wegen ist klar: (7-42) 7. Vektorfunktionen und Felder 95 Auf Weg 1 bewegt man sich um die Singularität herum (etwa mit einer Ladung um einen stromführenden Leiter). Die Kraft kommt vorwiegend aus der Bewegungsrichtung. Auf Weg 2 bewegt man sich an der Singularität vorbei. Die Kraft wechselt ihre Richtung und die Komponenten kompensieren sich. Konservative Kraftfelder. Die Eigenschaft der Wegunabhängigkeit der Arbeit ist sehr elementar. Wenn man einen Berg besteigt, hängt die Potentielle Energie am Gipfel nicht vom Weg ab. Das Kraftfeld der Gravitation hat ein Potential: rˆ (7-43) r Für das Kraftfeld F= 2 = 3 r r existiert ein Potential ϕ mit F = −∇ϕ allgemeiner: (7-44) Für ein konservatives Kraftfeld F gilt ∫ a) das Wegintegral ist unabhängig vom Weg: F ⋅ dr = Γ1 ( r0 → r1 ) Γ 2 ( r0 →r1 ) ∫ F ⋅ dr ≡ ∫ b) das Integral auf jeder geschlossenen Bahn F ⋅ dr ∫ F ⋅ dr = 0 Γ( r →r0 ) Γ 0 ∇ × F ( r ) =0 ∇ϕ = − F c) für alle r ist die Rotation d ) es existiert ein Potential ϕ mit ∇ Die Aussagen a-d sind äquivalent und definieren den Ausdruck 'konservativ'. In den obigen Beispielen ist das Feld Fa offensichtlich konservativ, das Feld Fb nicht. Flächen- und Volumenintegrale Stützstellen: xi = x0 + ( i -1) ∆x, N = N x1 i =1 x0 xN − x0 ∆x (7-45) Fläche unter der Kurve: A = lim ∑ f ( xi ) ∆x ≡ ∫ dxf ( x ) ∆x → 0 Man berechnet hier eine Fläche (2D-Volumen), und das kann man in x und y auch symmetrisch schreiben: xN − x0 ∆x f ( xi ) y j = y0 + ( j -1) ∆y, N y , xi = ∆y Stützstellen: xi = x0 + ( i -1) ∆x, N x = Fläche unter der Kurve: x1 f ( x ) x1 N x N y , xi A = lim ∑ ∑ ∆x∆y ≡ ∫ ∫ dy dx ≡ ∫ ∆x → 0 x0 0 x0 ∆y →0 i =1 j =1 www.kbraeuer.de (7-46) f ( x) ∫ dydx 0 Tübingen, den 13.02.2013 96 Abbildung 7-5: K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Integration als Flächenberechung. Links wird die genannte Obersumme gebildet, indem die x-Koordinate in infinitesimale Abschnitte unterteilt wird. Rechts wird zusätzlich auch die y-Koordinate in infinitesimale Abschnitte unterteilt. Dies führt auf die Verallgemeinerung zu Volumenintegralen. Die Äquivalenz von (7-45) und (7-46) sieht man leicht: x1 f ( x ) (7-47) x1 ∫0 dy dx = x∫ f ( x ) dx x0 0 A= ∫ f ( x) y0 Dies wird nun zum Volumenintegral verallgemeinert: x1 V = ∫ dxdydz = ∫ dx V x0 y1 ( x ) ∫ z1 ( x , y ) ∫ dy y0 ( x ) (7-48) dz z0 ( x , y ) Die Reihenfolge der Integrationen richtet sich nach der Geometrie (siehe folgendes Beispiel). Bezeichnungen: ∫ dxdydz = ∫ dV = ∫ d r 3 V V V z . B . im Intgrierten Kurs Physik (7-49) 7. Vektorfunktionen und Felder 97 Beispiel Pyramide Abbildung 7-6: Pyramide, deren Volumen in (7-50) berechnet wird. Integrationsbereiche: x = −1 + z …1 − z , Volumen: 1 V = ∫ dV = ∫ dz V 0 1− z ∫ −1+ z y = −1 + z …1 − z , 1 z = 0…1; 1 dydx = ∫ dz x −1+ z y −1+ z = ∫ dz ( (1 − z ) − ( −1 + z ) ) 1 1− z 1− z 0 2 0 2 0 1 = 4 ∫ dz (1 − z ) = 4 ∫ dz ( z 2 − 2 z + 1) = 4 ( 13 z 3 − z 2 + z ) = (7-50) 0 1 0 4 3 Teilchendichte Anzahl von Teilchen im Volumen ∆Vk : nk , k ∈ {1… K } Teilchendichte: ρ ( rk ) = Anzahl N von Teilchen im Gesamtvolumen: N = ∑ nk = ∑ ∆Vk (7-51) nk ∆Vk K K k =1 k =1 nk → ∫ dV ρ ( r ) ∆Vk V Massendichte: Masse im Volumen ∆Vk : Massendichte: m ⋅ nk , k ∈ {1… K } m ⋅ nk ρɶ ( rk ) = ∆Vk K K k =1 k =1 Masse im Gesamtvolumen: M = ∑ m ⋅ nk = ∑ ∆Vk (7-52) m ⋅ nk → ∫ dV ρɶ ( rk ) ∆Vk V Ladungsdicht geht analog. Schwerpunkt (Integration über Vektorfeld) 1 Schwerpunkt: R ≡ M K 1 rk m ⋅ nk = ∑ M k =1 m ⋅ nk 1 ∆Vk → ∫ dVrk ρɶ ( rk ) k MV ∆Vk k =1 K ∑r (7-53) Beispiel Geodreieck (konstante Massendichte) www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 98 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium Abbildung 7-7: Geodreieck, dessen Schwerpunkt in (7-54) berechnet wird. (7-54) Dichte: ρɶ ( rk ) = Schwerpunkt: 1− y d 1 1 1 ɶ R= dVr r = dz dy dx ( xex + yey + zez ) ρ ( ) k k ∫ ∫ ∫ ∫ MV d 0 0 −1+ y M M = V d d 1 1 2 2 1 = ∫ dz ∫ dy 2 (1 − y ) − ( −1 + y ) ex + 2 (1 − y ) ye y + 2 (1 − y ) zez d 0 0 =0 ( ) d 1 2 1 − 1 e + 2 1 − 1 ze = 1 1 de + 1 d 2 e dz ( (2 (3 y 2 z) z 3) y 2) d ∫0 d 1 1 3 0 = 13 1d 2 = Übungsaufgaben 1. Berechnen Sie die partiellen Ableitungen bis zur 2. Ordnung für folgende Funktionen: a ) f ( x, y ) = 2 x + 3 y , b) f ( x, y ) = sin ( x + 3 y ) , 2 c ) f ( x, y ) = e (x 2 + y2 2 ) , ( ) d ) f ( x, y ) = ln x 2 sin ( x + y ) 2 sin ( x ) ≡sin ( x ) sin ( x ) sin 2 ( x ) ≡sin ( sin ( x ) ) 2 2. Berechnen Sie die gemischten partiellen Ableitungen 2. Ordnung der Funktion x2 − y 2 x2 + y 2 Wie verhalten sich die Funktion und die gemischten partiellen Ableitungen f ( x, y ) = 2. Ordnung beim Vertauschung der Variablen ( x, y ) → ( y, x ) (7-55) 7. Vektorfunktionen und Felder 3. 99 Berechnen Sie für die Bahnkurve r ( t ) = ( 2t , t 2 + 1, t − 1) : a ) den Geschwindigkeitsvektor v ( t ) = rɺ ( t ) b) den Beschleunigungsvektor a ( t ) = ɺɺ r (t ) c) 4. (7-56) Geben Sie die Komponenten von Geschwindigkeit und Beschleunigung in Richtung u = (1, −2, −2 ) an Wir betrachten die Bahnkurve r ( t ) = ( 3cos ( t ) ,3sin ( t ) , 4t ) a ) Welcher Bahn oder geometrischen Form entspricht diese Kurve b) Bestimmen Sie die Bogenlänge s ( t ) und geben Sie die Bahnkurve in der Form r ( s ) an c) Bestimmen Sie den Tangentenvektor, den Normalenvektor, die Bahnkrümmung, und den Krümmungsradius (7-57) Berechnen Sie mit konstantem a und r = ∑ xi eˆi : 5. ear a ) den Gradienten ∇ r 1 b) den Gradienten ∇ , r -a c) 6. 1 die Richtungsableitung ∂ ( r -a ) r -a Wir betrachten das Kraftfeld F ( x, y ) = (1 + y, x ) a ) Berechnen Sie die Arbeit A = P2 = ( 0,1) ∫ (7-58) ds ⋅ F entlang drei verschiedener Wege P1 = (1,0 ) 1.Weg: P1 → P2 entlang einer Geraden 2.Weg: P1 → P = (1,1) → P2 entlang zweier Geraden 3.Weg: P1 → P2 entlang eines Kreisbogens mit Radius R = 1 und Mittelpunkt M = 0 b) Berechnen Sie das Potential V ( r ) , für das also ∇V = − F ist 7. Berechnen Sie die Doppelintegrale 2 3 2 y a ) ∫ ∫ xy ( x − y ) dydx, b) ∫ ∫ xdxdy, c) ∫ 0 0 1 0 (7-59) 1 2− y 0 ∫ y 2 dxdy y 8. Berechnen Sie den Flächeninhalt einer Ellipse mit den Halbachsen a und b. Die Ellipsengleichung ist x2 y 2 + = 1. Zeigen Sie, dass die Ellipse auch durch a2 b2 x a cos ( t ) , t ∈ [ 0, 2π ] parametrisiert wird. Nutzen Sie die Symmetrie y = b sin ( t ) der Ellipse. 9. Berechnen Sie Mittels eines Doppelintegrals die Fläche eines gleichseitigen Dreiecks der Seitenlänge a www.kbraeuer.de Tübingen, den 13.02.2013 100 K. Bräuer Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium 10. Berechnen Sie die Lage des Flächenschwerpunkts eines Dreiecks, dessen Eckpunkte durch die Koordinaten ( 0, 0 ) , ( a, 0 ) , ( a, b ) gegeben sind 11. Berechnen Sie die Masse eines Kreiskegels mit Grundflächeradius R und Höhe H Die Dichte des Materials wächst dabei vom Wert ρ0 an der Grundfläche bis zum Wert 5 ρ 0 an der Kegelspitze linear 12. Ein Tetraeder mit Kantenlänge a0 hat eine homoge Ladung konstanter Dichte ρ0 . a) Wie groß ist die Gesamtladung Q? b) Wie groß wäre die Flächenladungsdichte σ , wenn diese Gesamtladung gleichmäßig auf der Oberläche des Tetzraeders verteilt wäre? Hinweis: Berechnen Sie dazu entsprechend den Zeichungen ( ) den Abstand g einer Ecke zur Grundflächenmitte cos ( 300 ) = 3 / 2 , die Höhe h ( a ) des Tetraeders als Funktion der Kantenlänge a, den Abstand b einer Kante zur gegenüberliegenden Ecke, den Inhalt A ( a ) einer Seitenfläche und das Volumen V als Integral von A ( h ) über h=0..h ( a 0 ) . Damit können Sie a) und b) beantworten. Abbildung 7-8: Tetraeder zu Aufgabe 12 Lösungen zu den Übungsaufgaben finden Sie unter www.kbraeuer.de bei ‚Skripte und Einführungen – Mathematischer Vorbereitungskurs für das Physikstudium …’ Index Ableitung...... 19, 51, 52, 53, 65 Ableitung vektorwertiger Funktionen ....................... 83 Ableitungen höherer Ordnung ......................................... 90 Absolutbetrag ......................... 9 Argument komplexer Zahlen 10 Bahnkurve ...................... 39, 53 Bahnkurven als Beispiel für Vektorfunktionen ............. 82 Basistransformationen .......... 20 Beispiel . 11, 21, 25, 30, 39, 41, 53 Beispiele:........ 8, 29, 41, 42, 66 Bestimmung von Grenzwerten ......................................... 30 Betrag ................... 9, 10, 11, 23 Cosinus..................... 19, 47, 62 Dezimaldarstellung ............ 4, 5 Differentation ....................... 55 Differential ........................... 66 Differential und Interpretation des Gradienten.................. 89 Differentialquotient ........ 51, 66 Differenzenquotient ....... 51, 53 Divergente Folgen ................ 30 Druck ................................... 39 Ebenen ................................. 24 Eigenschaften von Funktionen ......................................... 40 Einheitskreis ....... 11, 46, 47, 54 Einheitsvektoren .................. 20 Elementare Funktionen ........ 42 Eulersche Formel ................. 11 Exponentialfunktion ....... 44, 45 Exponentialfunktion und Logarithmus ..................... 44 Exponentialschreibweise ...... 11 Flächen- und Volumenintegrale ............. 95 Folgen ...................... 29, 30, 40 Ganze Zahlen ......................... 3 Geometrische Interpretation . 37 Geraden ................ 6, 24, 25, 26 Geschwindigkeit . 6, 15, 38, 39, 53 Gradienten ........................ 4, 88 Grundrechenarten ............... 2, 4 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung .............. 73 Hauptwert ............................. 10 Höhere Ableitungen ............. 53 Hyperbelfunktion ................. 44 imaginäre Einheit ...................7 Inneres Produkt .................... 18 Integral im Riemannschen Sinne ................................. 69 Integralbegriff....................... 69 Integration durch Umkehrung der Differentiation ............ 74 Inversenregel ........................ 58 Irrationale Funktionen .......... 44 Kettenregel ........................... 56 Komplexe Zahlen ...................7 komplexe Zahlenebene ...........8 Komplexkonjugation ..............9 Konservative Kraftfelder ...... 95 Konvergente Folgen ............. 29 Konvergenzkriterien ............. 33 Koordinantensysteme ........... 16 Kreuzprodukt ...... 21, 22, 23, 24 Krümmung ..................... 66, 84 Länge eines Vektors . 18, 19, 21 Logarithmus ......................... 44 Maxima ................................ 63 Messfehler ............................ 39 Messungen..............................6 Minima ................................. 63 Mittelwertsatz ....................... 62 Monoton ............................... 41 Monotonie-Satz .................... 63 Naturkonstante ..................... 39 Natürlichen Zahlen .................2 Normalenvektor .................... 84 Numerische Integration ........ 78 objektiver Raum ................... 16 Objektivierung ...................... 15 Ordnungsstrukutur ..................2 Partialbruchzerlegung ........... 77 Partielle Ableitung................ 86 Partielle Integration .............. 74 Physikalische Beispiele ........ 37 Plancksche Wirkungsquantum ...................................... 6, 39 Polynome.............................. 42 Potenzreihen ................... 32, 59 Produktregel ......................... 57 Pyramide .............................. 97 Quotientenregel .................... 57 Rationale Funktionen ........... 43 Rationale Zahlen ....................3 Raumerfahrung ..................... 15 Rechenregeln für Integrale .. 72 Reelle Zahlen ..................... 4, 6 Regel von de l'Hospital ........ 65 Reihen .......................29, 31, 44 Richtungsableitung .............. 87 Satz von Taylor.............. 11, 60 Sekante .....................51, 52, 63 Skalar ........................17, 18, 21 Skalare Felder ...................... 86 Skalarprodukt .....18, 19, 20, 21 Spatprodukt.......................... 24 Stammfunktion .................... 72 Stetigkeit .............................. 40 Stetigkeit von Vektorfunktionen ............. 83 Substitutionsmethode........... 75 Summenregel ....................... 55 Tangente ...................51, 52, 66 Tangentenvektor .................. 84 Taylor .......................60, 61, 62 Taylorentwicklung ......... 61, 66 Taylor-Entwicklung für Felder ......................................... 91 Taylor-Polynom ................... 61 Transzendente Funktionen ... 44 Trigonometrische Funktionen ......................................... 46 Trigonometrische Umkehrfunktionen ........... 47 Übungsaufgaben ..3, 26, 34, 48, 67 Umkehrfunktion der Exponentialfunktion ........ 45 Unbestimmtes Integral ......... 72 Unschärfe ..............6, 38, 39, 53 Van der Waals ..................... 39 Vektoren ....4, 8, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25 Vektorenfunktionen und Felder ......................................... 85 Vektorielle Felder ................ 86 Vektorprodukt...................... 21 Volumen ........................ 39, 40 Wegintegrale........................ 92 Wendepunkte ....................... 65 Wurzeln ................................. 7 Zahlenbereiche ...................... 1 Zahlenebene ..7, 8, 9, 10, 11, 29 Zahlengerade ..................... 6, 7 Zusammengesetze Funktionen ......................................... 41