Begleitmaterial für Pädagogen zu Arsen und Spitzenhäubchen von Joseph Kesselring Deutsch von Helge Seidel Fassung von Ullrich Waller, Peter Jordan und Leonhard Koppelmann am Schauspiel Dortmund Spielzeit 2012/13 Premiere: 30.12.2012 Besetzung: Hr. Harper, Pastor: Frank Genser Abby Brewster: Eva Verena Müller Teddy Brewster: Uwe Schmieder Sergeant Brophy: Ekkehard Freye Sergeant O`Hara: Sebastian Graf Martha Brewster: Caroline Hanke Elaine Harper: Bettina Lieder Mortimer Brewster: Christoph Jöde Mr. Gibbs, beinahe Untermieter Nr. 13: Ekkehard Freye Dr. Einstein: Frank Genser Jonathan Brewster: Andreas Beck Inspektor Rooney: Uwe Schmieder Mr. Witherspoon: Ekkehard Freye Regie: Peter Jordan und Leonhard Koppelmann Bühne: Daniel Roskamp Kostüme: Michael Siebenrock- Serafimowitsch Kostümassistenz: Nejla Kalk Originalmusiken: Paul Wallfisch Licht: Sibylle Stuck Dramaturgie: Anne-Kathrin Schulz 1. Kurzbiografie Joseph Kesselring 2. Inhalt des Stückes 3. Film und Varianten 4. Die Dortmunder Inszenierung, Pressestimmen 5. Textausschnitte 6. Anthologie des schwarzen Humors Kontakt und theaterpädagogische Begleitung: Sarah Jasinszczak, Theaterpädagogin Schauspiel, Kuhstr. 12, 44137 Dortmund 0231/5022555 oder [email protected] 1 Kurzbiographie Joseph Kesselring Joseph Kesselring wurde am 21. Juli 1902 als Sohn deutschstämmiger Eltern in New York City geboren. Von 1922 bis 1924 war er Professor für Musik am Bethel College in North Newton, Kansas, und danach von 1925 bis 1926 musikalischer Leiter und Direktor eines Amateurtheaters in Niagara Falls, New York. Anschließend betätigte er sich als Schauspieler, Autor und Regisseur verschiedener Unterhaltungsstücke und als Verfasser von Kurzgeschichten und Gedichten. Ab 1933 verdiente er sich endgültig als freiberuflicher Autor und Bühnenschriftsteller sein Brot. In diesem Jahr heiratete Kesselring in New York die Pianistin Charlotte Elsheimer. 1939 schrieb Kesselring Arsen und Spitzenhäubchen (Arsenic and Old Lace).Das Stück war Kesselrings einziger Erfolg unter seinen insgesamt zwölf Stücken und brachte ihm unerwarteten Reichtum ein. Es lief nach der Broadway-Premiere am 10. Januar 1941 dort dreieinhalb Jahre lang vor allabendlich ausverkauftem Haus und war auch in London ähnlich erfolgreich. Die Hollywood-Verfilmung des Stücks durch Frank Capra mit Cary Grant, Priscilla Lane, Raymond Massey und Peter Lorre, die 1944 in die Kinos kam, erwies sich als bis heute unverwüstlicher Filmklassiker. Auf amerikanischen und europäischen Bühnen immer wieder gespielt, entwickelte sich das Stück zu einem Evergreen des schwarzen Humors. Joseph Kesselring starb am 5. November 1967 in Kingston im Bundesstaat New York. Postum erschien 1973 seine in Versform abgefasste Autobiographie. 2 Inhalt des Stückes Brooklyn, New York, zur Zeit des 2. Weltkriegs. In einer harten Umgebung und einer chaotischen Zeit bildet das Haus der ältlichen Schwestern Abby und Marha Brewster eine Oase des friedlichen Glücks. Die außerordentliche Gastfreundschaft der Schwestern, der selbst gemachte Holunderwein, die Kekse und die Quittenmarmelade zieht viele Gäste an, vom örtlichen Pfarrer bis hin zur Polizei sind hier alle gerne zu Gast. Und dann sind da noch die beiden Brewster- Neffen: Der geisteskranke Teddy, der sich für den amerikanischen Präsidenten hält und im Keller den „Panama-Kanal“ gräbt, und der Theaterkritiker Mortimer, der kurz vor seiner Hochzeit steht. Als dieser eines Abend seine Tanten besucht, entdeckt er im Haus eine Leiche – seinen Tanten kann dieser Fund den Humor allerdings nicht verderben, im Gegenteil, sie scheinen nicht sonderlich überrascht. Als dann noch der dritte Neffe Jonathan auftaucht, ein gesuchter Schwerverbrechen mit einem Toten im Gepäck, gibt es schon zwei Leichen im scheinbar so harmonischen Haus der Brewster- Schwestern. Mindestens zwei... www.theaterdo.de/spielplan Die Handlung dieses Klassikers des Schwarzen Humors besteht im Wesentlichen darin, dass eine Menge Leute versucht, eine Menge Leichen durch ein Haus zu manövrieren, ohne es einander merken zu lassen. Das Arsen macht dem Zuschauer dabei keine Angst, es sind die Spitzenhäubchen, die ihn amüsiert das Fürchten lehren. Denn das Gruselige sind nicht die Mordtaten, sondern die entsetzliche Normalität und Biederkeit der Täter(innen), der Horror der kleinbürgerlichen Überschaubarkeit und dessen, was dahinter lauert. 3. Film und Varianten Julius Eppstein adaptierte Arsen und Spitzenhäubchen für den Film, die Komödie wurde bereits 1941 produziert, kam allerdings erst 1944 in die Kinos. Die Produzenten Warner & Bros. hatten sich vertraglich verpflichtet, mit der Uraufführung des Filmes bis zur Absetzung des Theaterstücks am Broadway zu warten. Die Rolle des Mortimer spielte in der Filmversion Gery Grant, die beiden Tanten und Teddy wurden von denselben Schaupielern wie in der Uraufführung der Theaterfassung gespielt, Josephine Hull, Jean Adair und John Alexander. Da diese Schauspieler/innen nur acht Wochen von ihren Broadwayverpflichtungen freigestellt wurden, musste der Film binnen zwei Monaten gedreht werden. Im Bühnenstück spielte Boris Karloff den Jonathan Brewster. Er war Produzent und Geldgeber des Bühnenstücks. Im englischen Original des Films (wie auch im Theaterstück) ist daher ein zentraler Gag, wenn sowohl die Tanten als auch Mortimer sagen, Jonathan erinnere sie an Boris Karloff. In der deutschen Synchronisation wurde daraus Frankensteins Monster. Auch im deutschsprachigen Raum war und ist das Stück ein großer Erfolg. Neben der hochdeutschen Übertragung von Annemarie Artinger existieren unter dem Titel Arsenik un ole Spitzen auch eine niederdeutsche Fassung von Konrad Hansen, eine alemannische Mundartbearbeitung als Gift un Spitzehüübli sowie unter dem Titel Freude herrscht eine schweizerdeutsche Dialektbearbeitung von Roger Thieret. 4. Dortmunder Inszenierung - Pressestimmen "Die ‚alten’ Damen sind – dem jugendlichen Alter der beiden hervorragenden Schauspielerinnen Eva Verena Müller (Abby) und Caroline Hanke (Martha) geschuldet – eher skurril als ‚tüddelig’, die Regisseure Peter Jordan und Leonhard Koppelmann rücken sie mit schwarz umränderten Augen, schrägen Frisuren und ebensolchen Gewändern (herrliche Kostüme: Michael Sieberock- Serafimowitsch eher in die Nähe der Gothic- Szene. Sie leben in einem Haus, dessen vergehende Pracht – Putz und Tapeten blättern von den Wänden, das einst elegante Mobiliar weist deutliche Gebrauchsspuren auf (Bühne: Daniel Roskamp) – von einst besseren Zeiten zeugt. Insgesamt ein herrlicher Spaß mit vielen großen und auch kleinen Gags, bei dem die 145 Minuten Aufführungsdauer wie im Fluge vergehen." Westfälische Rundschau, 02.01.2013 „In Peter Jordans und Leonard Koppelmanns Dortmunder Inszenierung von Joseph Kesselrings schwarzer Komödie feiert sich das Theater für etwa drei Stunden selbst. Schon Daniel Roskamps Bühne mit der riesigen Treppe, den abblätternden Tapeten, den gotischen Fenstern und der in den Leichenkeller der Brewsters führenden Bodenklappe, aus der immer wieder Nebel hervorströmt, macht keinen Hehl aus dem selbstreferentiellen Spiel, das hier getrieben wird. Es ist fast so, als hätten sich Tim Burton und Ed Wood für eine Theaterinszenierung zusammengetan. Als mörderische Brewster-Schwestern, die einsame alte Herren mittels ihres selbstgemachten Holunderweins von ihrem traurigen Schicksal erlösen, erinnern Eva Verena Müller und Caroline Hanke nicht nur äußerlich Burtons Muse Helena Bonham Carter. Mit ihrem grandios Herzblut und Ironie vereinenden Spiel geben sie die Richtung für das ganze Ensemble vor. Der Irrsinn hat eben nicht nur im Haus der Brewsters, das auch noch Abbys und Marthas Neffen Teddy beherbergt, der sich für den Präsidenten Teddy Roosevelt hält, Methode. Er gehört auch auf der Bühne dazu. Also geben sich neben Uwe Schmieder als staatstragendem Verrückten vor allem Bettina Lieder als naiv-verruchter Marilyn Monroe-Verschnitt Elaine und Andreas Beck als Mortimers mörderischer Bruder Jonathan ganz dem nackten Wahnsinn dieser Aufführung hin.“ Kulturkenner.de, 02.01.2013 Als Schwarzer Humor wird Humor bezeichnet, der normalerweise als ernst betrachtete oder makabre Themen wie Verbrechen, Krankheit und Tod in satirischer oder bewusst verharmlosender Weise behandelt. Schwarzer Humor bedient sich häufig paradoxer Stilfiguren. Nicht selten ist er Gegenstand von Kontroversen, bei denen es um die Frage geht, ob man sich über bestimmte Dinge lustig machen darf und wo die Grenzen des guten Geschmacks liegen. 5. Textausschnitt JONATHAN: MARTHA: ABBY & DR. EINSTEIN: JONATHAN: ABBY MARTHA DR. EINSTEIN: MARTHA: ABBY: JONATHAN: ABBY: DR.EINSTEIN: JONATHAN: MARTHA: ABBY: JONATHAN: DR. EINSTEIN: JONATHAN: DR. EINSTEIN: JONATHAN: DR. EINSTEIN: JONATHAN: DR. EINSTEIN: JONATHAN: DR. EINSTEIN: JONATHAN: DR. EINSTEIN: JONATHAN: Nimm die Füße. Er und Mr. Spenalzo werden sich gut miteinander vertragen. Sie sind beide tot. Er meint Mr. Hoskins. Mr. Hoskins? Ihr wisst was da unten los ist? Aber natürlich. Er ist einer von unseren Gentlemen. Und wir dulden nicht das ein Fremder in unserem Keller begraben wird. Aber Mr. Hoskins? ...ist kein Fremder. Außerdem gibt’s gar keinen Platz mehr für Mr. Spenalzo. Der Keller ist schon überfüllt. Überfüllt? Womit? Es sind jetzt zwölf Gräber da unten. Zwölf Gräber? Soll das heißen, dass du und Tante Martha, ihr habt zwölf… Wir haben es aus reiner Nächstenliebe getan. Und Barmherzigkeit. Also raus mit eurem Mr. Spenalzo. Ihr habt das ganz allein gemacht, hier in diesem Haus… Jonny, uns hat man dafür um die ganze Welt gejagt – sie sind hier in Brooklyn geblieben und haben genau dasselbe getan. Was? Du hast zwölf – und sie haben zwölf. Ich habe dreizehn. Nein, Jonny, zwölf. Dreizehn! Mit Spenalzo. Also der Erste in London, zwei in Johannesburg, einer in Sydney, einer in Melbourne, zwei in San Francisco, einer in Phoenix, Arizona – Phoenix? An der Tankstelle. Drei in Chicago und dann noch der in Südamerika. Das macht dreizehn. Aber den in Phoenix darfst du nicht mitzählen. Der ist an einer Lungenentzündung gestorben. Die hätte er nicht gekriegt, wenn ich ihn nicht angeschossen hätte. Nein Jonny. Du hast zwölf und sie haben zwölf… Deine beiden alten Damen sind genauso gut wie du. Ach, sind sie das? Das lässt sich schnell korrigieren. Ich brauch’ nur noch einen… Nur noch einen mehr. 6. Anthologie des schwarzen Humors Als die „Anthologie des schwarzen Humors“ 1940 zum erstenmal erschien, nur wenige Tage vor dem Fall von Paris und der französischen Kapitulation, hielt die Regierung Pétain die "Anthologie des Schwarzen Humors" für einen schlechten Scherz und reagierte humorlos: Das Buch, eine inzwischen in die Literaturgeschichte eingegangene Manifestation des Surrealismus, wurde verboten. Der Surrealismus hatte 1940 schon 16 Jahre auf dem Buckel, André Bretons Manifest des Surrealismus war 1924 erschienen. Ganz instinktlos war das Verbot freilich nicht; denn der Surrealismus wollte nie nur eine ästhetische Revolte sein, sondern zugleich menschliche Existenz und gesellschaftliche Strukturen verändern - in den Manifesten Andre Bretons definierte er sich als revolutionäre Bewegung. Breton war der Erfinder des Begriffs Schwarzer Humor. Er leitete ihn unter anderem aus Freuds Theorie des Witzes ab und illustrierte ihn am treffendsten mit jenen letzten Worten eines zum Tode Verurteilten, der an einem Montag zum Galgen geführt wird: "Na, diese Woche fängt gut an!" Solche Nähe des "schwarzen" Lachens zu Angst und Verzweiflung ist in fast allen Texten der Breton-Sammlung spürbar: von Swift über de Sade und Lichtenbergs "höheren philosophischen Blödsinn" bis zu Kafka und Jacques Prévert. Unter dem Etikett Schwarzer Humor versammelt Breton sehr unterschiedliche Autoren. Gleich nach Swift darf der legendäre D.A.F. de Sade seine Aufwartung machen. Poe fehlt ebenso wenig wie Baudelaire. Lewis Carrol ist mit seiner „Hummer-Quadrille“ aus Alice im Wunderland vertreten, Friedrich Nietzsche schreibt einen irren Brief an Jacob Burckhardt und der ansonsten sehr liebenswürdige Alphonse Allais, Wegbereiter der abstrakten Kunst, zeigt sich hier einmal von seiner dunklen Seite. Weitere Repräsentanten „Schwarzen Humors“: Picasso, Kafka, Jakob von Hoddis , Duchamp, Dalí und viele andere, deren Namen man vielleicht hier zum ersten Mal lesen wird. Es sprechen auch die Biographien der meisten zitierten Autoren für sich: Kaum einer von ihnen ist sanft entschlafen" aber mancher ist im Irrenhaus gestorben, mancher hat sich totgesoffen oder selbst umgebracht. Erarbeitung des Materials: Sarah Jasinszczak (Theaterpädagogin Schauspiel Dortmund)