Leitfaden 11-10 11.7. Potenz-Reihen. Definition: Es sei (a0 , a1 , a2 , . . . ) eine Folge reeller Zahlen (wir beginnen hier mit dem Index t = 0). Ist x ∈ R, so kann man die Folge (a0 , a1 x, a2 x2 , a3 x3 , . . . ) und die Folge der Partialsummen (s0 (x), s1 (x), s2 (x), . . . ) mit sn (x) = Xn t=0 a t xt bilden. Wenn dies eine konvergente Folge ist, so erhält man die Reihe X∞ t=0 a t xt (als Limes der Folge der Partialsummen). Betrachtet man hier x als Variable, so nennt man dies eine Potenzreihe. Beispiel: Sei ai = 1 für i = 0, 1, 2, . . . . Wir erhalten die Potenzreihe X∞ t=0 xt , für |x| < 1 ist dies wirklich eine konvergente Reihe, nämlich eine geometrische Reihe. Satz (Konvergenzsatz für Potenzreihen) 0 , a1 , a2 , . . . ) eine Folge reeller P∞ Sei (a t Zahlen. Sei ζ ∈ R. Konvergiert die Reihe t=0 at ζ , so gilt für jedes x ∈ R mit |x| < |ζ|: die Reihe X∞ a t xt t=0 konvergiert absolut. Beweis: [fehlt. Es sollte aber darauf hingewiesen werden, dass man beim Beweis die Konvergenz der geometrischen Reihen verwendet.] Zusatz: Der Konvergenzsatz beschäftigt sich nur mit Zahlen x mit |x| < |ζ|. Ist |x| = |ζ|, so zeigt der Unterschied zwischen Konvergenz und absoluter Konvergenz, dass man keine allgemeine Aussage erwarten kann. Es gibt nun offensichtlich drei verschiedene Fälle: P∞ • Die Reihe t=0 at xt konvergiert nur für x = 0. Dann ist diese Potenzreihe völlig uninteressant und wird nicht weiter betrachtet. Es gibt derartige Beispiel, zum Beispiel at = t!. P∞ • Die Reihe t=0 at xt konvergiert für ein zeta 6= 0, und es gibt ein ζ ′ , für das die Reihe nicht konvergiert. Dann muss natürlich |zeta| ≤ ζ ′ | gelten und es gibt dann eine positive reelle Zahl r mit folgender Eigenschaft: P∞ t Die Reihe t=0 at x konvergiert für alle x mit |x| < r und sie divergiert für alle x mit |x| > r. Man nennt dann r den Konvergenzradius, und ] − r, r[ das Konvergenz-Intervall. 11-11 Funktionen P∞ • Die Reihe t=0 at xt konvergiert für alle x ∈ R. Dann sagt man der Konvergenzradius is unendlich. Bisher haben wir nur reelle Koeffizienten ai betrachten. Aber man kann genau so gut Potenzreihen mit komplexen Koeffizienten betrachten. Die Aussagen entsprechen sich völlig, auch die Beweise sind die gleichen: Satz (Konvergenzsatz für Potenzreihen) Sei (a0 , a1 , a2 , . . . ) eine Folge komP∞ plexer Zahlen. Sei ζ ∈ R. Konvergiert die Reihe t=0 at ζ t , so gilt für jedes x ∈ C mit |x| < |ζ|: die Reihe X∞ a t xt t=0 konvergiert absolut. Beweis: [fehlt wieder]. Es gibt wieder die drei Fälle: P∞ • Die Reihe t=0 at xt konvergiert nur für x = 0, wieder ist die Potenzreihe völlig uninteressant. P∞ • Die Reihe t=0 at xt konvergiert für ein zeta 6= 0, und es gibt ein ζ ′ , für das die Reihe nicht konvergiert. Dann muss natürlich |zeta| ≤ ζ ′ | gelten und es gibt dann eine positive reelle Zahl r mit folgender Eigenschaft: P∞ t Die Reihe t=0 at x konvergiert für alle x mit |x| < r und sie divergiert für alle x mit |x| > r. Man nennt dann r den Konvergenzradius, und die Menge {x ∈ C | |x| < r} den Konvergenz-Kreis. P∞ • Die Reihe t=0 at xt konvergiert für alle x ∈ R. Dann sagt man wieder: der Konvergenzradius is unendlich. Stetigkeit von Potenzreihen. P∞ Satz. Ist f (x) = t=0 at xt eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r > 0, so ist f (x) auf dem Intervall ] − r, r[ stetig. Diese Aussage wird sofort verschärft: Differenzieren von Potenzreihen. P∞ Satz. Ist f (x) = t=0 at xt eine Potenzreihe mit Konvergenzradius so ist P∞ r > 0, ′ t−1 f (x) auf dem Intervall ] − r, r[ differenzierbar und es gilt f (x) = t=1 tat x und diese Potenzreihe hat ebenfalls den Konvergenzradius r. Die Formel für die Ableitung ist also genau die, die man von Polynomen her kennt. P∞ Induktiv sehen wir: Ist f (x) = t=0 at xt eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r > 0, so ist f (x) auf dem Intervall ] − r, r[ beliebig oft differenzierbar. Leitfaden 11-12 Insbesondere gilt: f (t) (0) = t!at , also at = 1 (t) f (0). t! Das heißt: Die Ableitungen an der Stelle x = 0 bestimmen eindeutig die Funktion! Man nennt die Potenzreihe die Taylor-Entwicklung von f (x), die Partialsumme n X n X 1 (t) f (0) at x = t! t=0 t=0 t nennt man das n-te Taylor-Polynom. Zur effektiven Berechnung von Funktionswerten verwenden Taschenrechner üblicherweise die Taylor-Entwicklung. Beispiele: X∞ 1 1 1 xt = 1 + x + x2 + x3 + . . . t=0 t! 2! 3! X∞ 1 1 1 t 2t+1 sin(x) = (−1) x = x − x3 + x5 − + . . . t=0 (2t + 1)! 3! 5! X∞ 1 1 1 (−1)t x2t 1 − x2 + x4 − + . . . cos(x) = t=0 (2t + 1)! 2! 4! exp(x) = Beweis für exp(x): betrachte die rechte Seite f (x) = denn gliedweises Differenzieren liefert f ′ (x) = 1 t t=0 t! x . P∞ Es ist f ′ (x) = f (x), X∞ 1 X∞ 1 txt−1 = xt−1 . t=1 t! t=1 (t − 1)! und zusätzlich gilt natürlich: f (0) = 1. Die einzige auf ganz R differenzierbare Funktion f (x) mit f ′ (x) = f (x) und f (0) = 1 ist aber f (x) = exp(x) = ex . Anderer Beweis: Die Funktion exp(x) ist beliebig oft differenzierbar, und es ist f (t) (0) = 1 für alle t Es gibt nun Kriterien, die besagen, wann eine Funktion in eine Taylor-Reihe entwickelbar ist, dies ist hier der Fall, also gilt die Behauptung. Entsprechend argumentiert man bei Sinus und Cosinus. Hier ist alles ganz unproblematisch, weil alle Ableitungen beschränkte Funktionen sind... Diese Reihenentwicklungen liefern Funktionen C → C, die man ebenfalls mit exp, sin, cos bezeichnet. Satz. Es gilt für alle komplexen Zahlen x, y exp(x + y) = exp(x) exp(y). 11-13 Funktionen Beweis: ∞ X 1 (x + y)t t! t=0 ∞ t X 1 X t r t−r = x y t! r=0 r t=0 exp(x + y) = ∞ X t X 1 1 xr y t−r = r! (t − r)! t=0 r=0 ! ∞ ! ∞ X X 1 1 r = x ys r! s! r=0 s=0 = exp(x) exp(y) Warnung: Das Multiplizieren von Reihen bereitet manchmal Schwierigkeiten, zumindest dann, wenn Reihen zwar konvergent, aber nicht absolut konvergent sind. Die hier betrachteten Reihen sind absolut konvergent, insofern ist alles in Ordnung. Wir betrachten nun den Spezialfall z = α + βi mit α, β ∈ R. exp(α + βi) = exp(α) exp(βi). Hier ist exp(α) ∈ R+ . Was ist exp(βi)? Satz: Für jede reelle Zahl β gilt exp(βi) = cos(β) + i sin(β). Beweis: 1 1 1 1 1 1 exp(βi) = 1 + (βi) + (βi)2 + (βi)3 + (βi)4 + (βi)5 + (βi)6 + (βi)7 + . . . 2 3! 4! 5! 6! 7! 1 2 1 3 1 4 1 5 1 6 1 7 = 1 + βi − β − β i + β + β i − β − β i + − . . . 2 3! 4! 5! 6! 7! = cos(β) + i sin(β). Insgesamt sehen wir: Die Darstellung exp(α + βi) = exp(α) exp(βi) ist gerade die trigonometrische Darstellung der komplexen Zahl exp(α + βi). Statt exp(z) schreibt man auch für z ∈ C ez = exp(z) Leitfaden 11-14 Insbesondere sehen wir für t ∈ R eti = cos(t) + i sin(t). Zum Beispiel gilt also für t = π die Euler’sche Gleichung: eπi = −1 oder auch eπi + 1 = 0 (denn cos(π) = −1, und sin(π) = 0). Dies Gleichheit wird von vielen Menschen als die schönste mathematische Formel überhaupt angesehen: Sie ist knapp und prägnant, alle Rechenarten kommen vor: das Addieren, das Multiplieren, das Potenzieren, und neben der Zahl 1 spielen hier die (merkwürdigen, aber wichtigen) Zahlen e, π, i eine Rolle. Und wir sehen: Die in der reellen Analysis so unterschiedlichen Funktion exp, sin, cos besitzen über die komplexe e-Funktion eine innere Verwandtschaft.