Unterrichtspraktische Materialien zu op. 34 von J. Brahms Vorbemerkung Die folgenden Materialien wurden für Fortbildungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe zu op. 34 von J. Brahms im Mai 2013 konzipiert und anschließend geringfügig überarbeitet. Ihr Ziel ist es, unterrichtspraktische Zugänge zum Schwerpunktfeld vorzustellen, die den Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler mitberücksichtigen. So wird z.B. eine auf youtube eingestellte graphische Visualisierung des 1. Satzes einbezogen, es werden Modelle zur Improvisation über zentrale Harmonien und zum Einsatz von Standbildern gegeben sowie ein Arrangement des 2. Satzes für das Klassenmusizieren im vierstündigen Kurs vorgestellt. Die Arbeitsblätter zur Entwicklung der Sonatenhauptsatzform gehen von der Erfahrung aus, dass zu Beginn der Kursstufe oft nur rudimentäre Kenntnisse dieser Form bei Schülerinnen und Schülern vorhanden sind. So soll die Möglichkeit gegeben werden, vor der Analyse von op. 34 eventuelle Lücken zu schließen und an einfacheren Beispielen zur Analyse eines komplexen Werkes wie op. 34 hinzuführen. Insgesamt bilden die Arbeitsblätter keinen systematischen Zusammenhang nach Art eines Lehrgangs, sondern zeigen unterschiedliche Möglichkeiten der Erarbeitung des Schwerpunktfeldes auf. Deshalb gibt es teilweise inhaltliche Überschneidungen zwischen den Arbeitsblättern der einzelnen Autoren, die es ermöglichen, auszuwählen. Weder müssen die Materialien vollständig erarbeitet werden noch beanspruchen sie, alle denkbaren Aspekte erfasst zu haben. Sie verstehen sich als Hilfe für den Einstieg in das Schwerpunktfeld und als Anregung für die weitere Arbeit daran. Karlsruhe, im Juli 2013 Ronald Hecht, Dr. Eva Hirtler, Thomas Kalmbach, Gerhard Meyer Übersicht über den Inhalt der einzelnen Ordner Ordner 1 Allgemeine Aspekte der Analyse – Entwicklung der Sonatenhauptsatzform mit Beispielen – 1. Satz op. 34 Ordner 2-3 2. Satz – 3. Satz Ordner 4 4. Satz – historisches Umfeld Analyse? wozu? - zur Problematik der "musikalischen Analyse“ Einführung „Through cognition we bring meaning to sound.” [zitiert nach Prof. Wilfried Gruhn, Vortrag bei einer Fachberater-Tagung im Januar 2013] Das griechische Wort "analysis" bedeutet „Auflösung in Bestandteile" - Das wäre wohl das schlimmste, was man Musik antun könnte! Selbstverständlich kann es uns bei der musikalischen Analyse nicht darum gehen, ein Musikstück nur in Bestandteile aufzulösen. Trotzdem ist musikalische Analyse wichtig, denn sie soll zu einem tieferen Verständnis, zu einer höheren Wertschätzung und letztendlich zu einem intensiveren Hören führen. Was war und was ist Analyse? Musik bewegt, sie ist angenehm oder verstörend, von kolossaler Wucht oder still und intim, […]- muss dies analysiert werden? Nein. Aber es kann. Es kommt darauf an, was man durch eine Analyse erreichen will. Über Jahrhunderte hinweg war das Komponieren von Musik eher ein Handwerk, untersucht wurden dessen „Produkte" allenfalls von denen, die dieses „Tonsetzer"-Handwerk neu erlernen wollten, nicht aber von den Adressaten, den Zuhörern. Das änderte sich erst vor ca. 200 Jahren. Die Anfänge dessen, was man heute im Allgemeinen unter „musikalischer Analyse" versteht, liegen in dieser Zeit. Unter dem Einfluss der romantischen Kunstauffassung entstanden autonome Kunstwerke, den Gipfel der musikalischen Kunst sahen viele in der „reinen", von allen äußeren Zwecken freien Instrumentalmusik. Für sie wurde auch der Begriff „absolute Musik" geprägt […]. Sie galt als höchste Stufe der Kunst überhaupt und genoss z. T. eine fast religiöse Verehrung. Als Inbegriff solcher Musik erschienen die Sinfonien und Streichquartette BEETHOVENS. […] Schriftsteller schrieben - aus Begeisterung und um dem Hörer den inneren Reichtum und den „Sinn" nahe zu bringen - Interpretationen von Werken dieser Art. Dabei bedienten sie sich auch analytischer Mittel, den Schwerpunkt bildete aber ein literarischer und philosophisch Zugang […] Unter dem Einfluss des naturwissenschaftlichen Denkens erhielt die Analyse von Musik dann allmählich - vor allem im 20. Jahrhundert einen größeren Eigenwert. Eine Analyse sollte verdeutlichen, was ein Werk „zusammen hält", was es ausmacht. Demgegenüber trat die eher philosophisch orientierte Interpretation in den Hintergrund - oder wurde gar vehement abgelehnt. Analysen konnten nun teilweise den Eindruck erwecken, sie seien nur „technisch". Bei aller Unterschiedlichkeit ist den neueren Ansätzen von Analyse eines gemeinsam: Sie wollen Musik - gemeint ist künstlerisch gestaltete, komponierte, „anspruchsvolle" Musik aus sich selbst heraus verstehen, weitgehend unabhängig davon, ob sie „gefällt" oder nicht. [Werkimmanente Analyse] […] Seit es Analyse von Musik gibt, ist nicht nur die Art und Weise, sondern zunehmend auch das Ziel von Analyse umstritten. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Sichtweisen und Methoden der neu entstandenen Disziplinen Musikpsychologie und Musiksoziologie an Bedeutung gewonnen und dazu beigetragen, dass nicht mehr (nur) der Wert, die handwerkliche Qualität oder die „Aussage" eines Werkes im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. So traten neben die werkimmanente Analyse die der Rezeption und der Funktion […]. Die Erkenntnisse, die man durch Analyse zu gewinnen hofft, können sich heute somit auf drei Bereiche beziehen: • auf ein konkretes Musikstück; • auf dessen Wirkung auf Einzelne oder Gruppen (dazu gehört auch dessen Bedeutung im biografischen und zeitgeschichtlichen Kontext des Komponisten); • auf dessen bewusste oder unbewusste Funktionalisierung für bestimmte Zwecke. […] Ziele der Analyse Analyse ist kein Selbstzweck, sondern auf ein Ziel hin gerichtet: auf eine genauere Wahrnehmung, auf intensiveres Hören von Musik, auf vertiefende Erkenntnisse, auch auf eine Epoche oder einen Komponisten bezogen - und damit auf Interpretation. […] Darüber hinaus kann sich der Analysierende selbst als Hörer reflektieren, der im Kontext seiner Zeit, seiner Biografie und seiner aktuellen Befindlichkeit steht, wenn er ein Musikstück hört. Dessen Analyse kann ihn ein Stück weiter bringen in der Erkenntnis dessen, was ihn selber ausmacht: Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, Wünsche. (nach Soundcheck SII, Braunschweig, Schroedel, 2008, Seite 50) Nicht immer »alles« Analyse heißt nicht: immer »alles«. Der Drang, »vollständig« sein zu wollen oder zu müssen, schadet der Sache eher: Ein enzyklopädischer Ehrgeiz (oder eine analytische Pedanterie), auch noch jede Kleinigkeit anzusprechen, würde das musikalische Geschehen verschütten unter einem Wust angehäufter Details. Nicht Lückenlosigkeit ist erstrebenswert, sondern gewichtende Beschränkung, um den abgestuften Rang von Ereignissen zu erkennen oder Musik womöglich auf den Punkt zu bringen. […] (aus: Clemens Kühn, Analyse lernen, Kassel: Bärenreiter 1993) Christoph Richter: Analyse von Musik als „sinnvolles Unternehmen“ Die Einsicht, dass das Analysieren von Musik nur dann ein sinnvolles Unternehmen genannt werden kann, wenn es von einer bestimmten Absicht motiviert und durch ein spezielles Interesse geleitet ist, kann heute nach langen Diskussionen über Sinn und Unsinn der musikalischen Analyse - als Gemeinplatz gelten. Auch über den speziellen Sinn der Analyse in der musikpädagogischen Arbeit ist schon viel nachgedacht worden (Dahlhaus 1970, Ehrenforth 1979, Forchert 1979, Richter 1978, 1979 a, 1979 b). Das Zergliedern von Musik mit verschiedenen handwerklichen Methoden und auf der Grundlage der von der Musiktheorie bereitgestellten Muster ist, wenn es um seiner selbst willen und als bloße Technik betrieben wird, allenfalls als propädeutische Übung zu akzeptieren. Aber auch das notwendige Lernen und Üben der Techniken und Kunstgriffe des Analysierens sollte nicht von der Überlegung getrennt werden, wozu sie im Einzelfall dienen. Beachtet man diese Dienststellung und die propädeutische Funktion des Analysierens nicht, so setzt sich unbemerkt ein vertrackter Prozess durch: Das Analysieren als eine selbstzweckliche, quasi-objektive Tätigkeit konstituiert und definiert unversehens die Musik, ihr Hören und ihr Verstehen. Die selbstzweckliche Analyse macht aus dem Werk eine bestimmte Hör-, Erlebens- und Struktur-Wirklichkeit, im schlimmsten Fall ein bloßes Exemplar eines Musters oder ein Übungsfeld für die Suche nach Motiven, Akkorden, Kompositionstechniken u. a. Sie tritt an die Stelle des Werksinns in allen seinen Dimensionen, des Verstehens und Erlebens. Um dem zu entgehen, seien für den folgenden Versuch einer Annäherung an die 4. Sinfonie von Johannes Brahms mit analytischen Mitteln sogleich Absicht und Interesse genannt: Meine Absicht ist es, einige Anregungen für das Hören zu geben; für ein Hören, welches nicht so sehr Formen, Inhalte oder Zusammenhänge nur registriert oder identifiziert, sondern das vielmehr einen individuellen Prozess in Gang setzt, in dem die (mitgebrachten) Kenntnisse, Hörgewohnheiten, -fähigkeiten und -interessen in eine Auseinandersetzung mit dem zu Hörenden geraten. […] (Christoph Richter, Johannes Brahms: IV. Sinfonie e-Moll (Hör-Anregungen) in: Werkanalyse in Beispielen, Hg. Siegmund Helms und Helmut Hopf, Regensburg: Bosse, 1986.) Carl Dahlhaus zur Analysetechnik: „Brahms und die Tradition der Kammermusik“ „Dass eine Analysetechnik, die von Erfahrungen mit der Musik Schönbergs und Weberns ausgeht, um in Werken von Beethoven und Brahms ein Geflecht von latenten oder halb verdeckten Motivbeziehungen zu entdecken, prinzipiell der Gefahr ausgesetzt ist, sich in Wahnsysteme zu verlieren, soll nicht geleugnet werden. Doch lässt es sich nicht als bloßer Zufall abtun, sondern muss als Zeichen eines kompositionsgeschichtlichen Traditionszusammenhangs aufgefasst werden, dass gerade bei Beethoven und Brahms, im Unterschied zu Schubert oder Bruckner, die Suche nach „Substanzverwandtschaft“ wie Hans Mersmann sie nannte - nicht selten zu plausiblen Resultaten führt.“ (Carl Dahlhaus (Hrsg.),Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Bd. 6, 2. Aufl., Laaber: Laaber-Verlag 1983, S. 215) (zusammengestellt von StD Thomas Kalmbach) Dr. Eva Hirtler, StD’ Arbeitsblatt H1-1 Aspekte der Entwicklung der Sonatenhauptsatzform A Der Sonatensatz in der Frühklassik Erster Teil: Die Melodik besteht aus rhythmisch prägnanten, meist zweitaktigen Einheiten, die vorwiegend Dreiklangsbrechungen und Skalenausschnitte aufweisen. Zunächst wird die Tonika befestigt, dann findet ein Übergang in die Dominante statt mit anschließender Abkadenzierung in der Dominante. Zweiter Teil: Das musikalische Geschehen bewegt sich zunächst im Wesentlichen in der Dominanttonart, oft unter Verwendung von Motiven des ersten Teils. Dann wird der erste Teil in der Tonika wieder aufgenommen, im weiteren Verlauf fällt die Spannung zwischen Tonika und Dominante weg; die Tonika wird bestätigt. Beispiele: J. Haydn, Sonata Nr. 3, Hob. XVI/9 (siehe Arbeitsblatt 2); M. Clementi, Sonatine C-Dur op. 36, 1 (auch wenn diese Sonatine später entstand, weist sie doch typische Merkmale der frühklassischen Sonate auf). Weitere frühklassische Sonaten z.B. J. Haydn Sonata Nr. 1, Hob. XVI / 8 (vergl. dazu Kühn, Cl.: <9/2010, S. 135-136>), und Sonata Nr. 4, Hob. XVI /G1. B Das Modell der klassischen Sonatenhauptsatzform, insbesondere bei Beethoven a) Ähnlichkeiten zur frühen Form: Im ersten Teil findet eine Entwicklung aus der Tonika in eine nah verwandte Tonart statt (bei Haupttonart Dur in die Dominante, bei Haupttonart Moll in die Tonikaparallele). Der zweite Teil beginnt in der neuen Tonart und endet normalerweise in der Dominante. Von da aus wird der erste Teil wieder aufgenommen, im weiteren Verlauf fällt die Spannung zwischen der Tonika und der anderen Tonart (Dominante oder Tonikaparallele) weg, die Tonika wird bestätigt. b) Unterschiede: Der Umfang des Satzes ist erheblich größer. Erster Teil (Exposition): Die harmonische Spannung zwischen Tonika und Dominante bez. Tonikaparallele wird unterstützt durch die Ausbildung zweier klar gegliederter, oft gegensätzlicher Themen, der Übergang vom 1. zum 2. Thema wird als dramatische Entwicklung gestaltet, oft unter Verwendung von Motiven des 1. Themas. Die neue Tonart wird thematisch bestätigt durch die Schlussgruppe, einen lockeren Verbund von Motiven. Zweiter Teil (Durchführung): Durch Sequenzierung und Abspaltung von Motiven der Themen des ersten Teils wird eine dramatische Entwicklung gestaltet (motivische Arbeit), dabei werden auch weiter entfernte Tonarten erreicht. Der Wiedereintritt des 1. Themas in der Tonika (Reprise) wird durch dramatische Steigerung oder allmählichen Spannungsabfall am Ende der Durchführung vorbereitet. Die Durchführung erhält dadurch größeres Gewicht und bildet einen eigenständigen Teil. Dritter Teil (Reprise): Nach Erreichen der Tonika mit dem 1. Thema fällt die harmonische Spannung zwischen den Themen weg (2. Thema und Schlussgruppe in der Tonika) oder wird zum Ende der Reprise hin aufgelöst, die Spannung zwischen der gegensätzlichen Gestalt der Themen bleibt bestehen. Gelegentlich folgt noch ein kurzer Schlussteil (Coda), in dem Arbeitsblatt H1-2 Themen (meist das 1. Thema) nochmals durchführungsartig verarbeitet werden und die Tonika bestätigt wird. Vergl. hierzu das Schema zur Sonate f-Moll op. 2,1 von L. van Beethoven in: dtv-Atlas zur Musik Bd. 1, S. 148 C Wesentliche Stilmerkmale in op. 34 von J. Brahms Brahms als Traditionalist – „Brahms the Progressive“ (A. Schönberg) a) b) c) d) e) f) g) h) Ableitung aller thematischen Gestalten in einem Satz aus einem diastematischen Kern. Umfangreiche motivisch-thematische Arbeit auch in der Exposition und Reprise. Verklammerung unterschiedlicher Abschnitte durch motivische Beziehungen. Erweiterung der harmonischen Anlage in der Exposition (drei tonale Ebenen, vergl. Arbeitsblatt H 4), Einbeziehung weit entfernter Tonarten, alterierte Akkorde, Chromatik. Komplexe kompositorische Faktur und Beziehungsreichtum durch Bildung der Begleitstimmen aus dem motivischen Material der Hauptstimmen und kontrapunktische Techniken. Ansatzweise Verselbständigung von Melodik und Harmonik (vergl. Arbeitsblatt H61). Destabilisierung der musikalischen Syntax durch metrische Verschiebungen (vergl. Arbeitsblatt H7-1 und H7-2). Festhalten an absoluter Instrumentalmusik (viersätzige Form, Sonatenhauptsatzform im ersten Satz, kein außermusikalisches Programm wie in der zeitgenössischen Symphonischen Dichtung). Anmerkung: Etliche der neuen Stilmerkmale finden sich vereinzelt schon in späten Werken von Beethoven und Schubert. Dr. Eva Hirtler, StD’ Zitate zur Entwicklung der Sonatenhauptsatzform <Der frühe Sonatensatz> Reiter (2000: S.17 ff) „Ursprünglich ist das Sonatensatzprinzip keine Form, sondern Emanation des klassischen Stils, <...>. Die Essenz eines Sonatensatzes besteht in der Polarisierung zweier tonaler Ebenen durch die artikulierte Wendung zur Dominante innerhalb der Exposition, womit sich in Rosens1 Diktion eine ‚large-scale dissonance’ bildet. Sie zielt auf ihre Lösung in der Reprise, während die modulierende Durchführung eine auf den Repriseneintritt als Wiedererreichung tonaler Stabilität hinzielende Steigerung umfasst. <...>. Im Gegensatz zu einem barocken Suitensatz, der sich im Laufe seines ersten Teils ebenfalls zur Dominante wendet und im zweiten Teil wieder zurückmoduliert, ist der ‚Sonatenstil’ genuin dramatisch. Er basiert auf dem fundamentalen Prinzip Spannung – Auflösung. Das thematische Material ist nicht eigentlicher Inhalt, sondern dient lediglich dazu, den tonalen Kontrast zu artikulieren. Voraussetzungen dieses Stils sind die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte kurze, gegliederte Phrase, die Periode. Sie sorgt für die Unterbrechung und Gliederung des rhythmischen Flusses, der im Barock sich ständig gleichmäßig fortzeugt. Mit der Vorliebe für deutliche Gliederung und der mit ihr verbundenen rhythmischen Vielfalt steht das ausgeprägte klassische Symmetrieempfinden im Zusammenhang. Die klassische Phrasengliederung beruht im Großen wie im Kleinen auf der Korrespondenz entsprechender Teile, die sich deutlich voneinander abheben. Die harmonische Polarisierung, die auf die Etablierung deutlich unterschiedener harmonischer Ebenen zielt, bedingt eine Verlangsamung des harmonischen Rhythmus und die Reduktion auf einfache Kadenzformeln. Das im klassischen Satz in vorher nicht gekanntem Maße benützte „Füllwerk“, d.h. nicht thematisches, eher konventionelles Figurenwerk, hat seinen Grund in der dramatischen Konzeption. <...>“ <Das 19. Jahrhundert> Reiter (2000: S. 18f.) „Die Essentialia des Sonatenstils gerieten im 19. Jahrhundert in Verfall. Die Empfindlichkeit der Romantiker gegen die klassische Periodik liegt wohl weniger im Zwang zum melodischen Füllwerk <-...-> als in der tongetreuen Wiederholung von Themenbestandteilen und der als formelhaft empfundenen Kadenzharmonik, die Basis des vielfältigen rhythmischen Gewebes und der tonalen Polarisierung war. Die Verschiebung des Akzents von der harmonischen Konzeption auf das thematische Material, die Dahlhaus für das 19. Jahrhundert konstatiert, <...>, beginnt mit Beethoven, dessen Hauptproduktion sich in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts erstreckt und dieses nachhaltig prägt. Beethoven perfektionierte Haydns Methode, das gesamte Material eines Satzes aus einem thematischen Urkern herauswachsen zu lassen. <...> Die im 19. Jahrhundert weitgehend aus dem Gesamtoeuvre Beethovens abstrahierte ‚Sonatenform’, kulminierend in Czernys Schule der praktischen Tonsetzkunst und A. B. Marx’ Lehre von der musikalischen Komposition, ist nicht nur als Kompositionsanleitung, sondern auch als Versuch einer Beethoven-Analyse zu werten. Vor allem Marx legte auf thematische Aspekte, in erster Linie die kontrastierende Natur der beiden Themen, erheblich mehr Gewicht als auf den tonalen Plan.“ 1 Gemeint ist: Charles Rosen: Der klassische Stil, deutsche Übersetzung München, Kassel 1983 <E. Hirtler> Dahlhaus (1965: S. 7f) „’Dramatisch’ ist die Sonatenform <...>: durch ihren ‚finalen’ Charakter, der den einzelnen musikalischen Augenblick vor allem als Voraussetzung des folgenden erscheinen lässt und alle Details einem Ziel zuordnet, auf das der Verlauf gerichtet ist. Der ‚dramatischen Ungeduld’ steht eine ‚epische Gelassenheit’ gegenüber, die bei Einzelheiten um ihrer selbst willen zu verweilen vermag, ohne dass der formale Zusammenhalt gefährdet wäre. <...> Der Bau einer Exposition ist nach den Regeln der Formenlehre zweifach bestimmt: thematisch und harmonisch. Dem Hauptthema wird ein Seitenthema entgegengesetzt, der Grund- eine Nebentonart, in Dur im allgemeinen die Dominant-, in Moll die Paralleltonart.“ <Sonatensatz bei Brahms> Reiter (2000: S. 20) <Es liegt nahe,> „anzunehmen, dass Brahms’ Sonatensätze das Resultat einer eigenständigen Auseinandersetzung mit der klassischen Tradition, vor allem mit Beethoven sind. Dass Brahms die Aversion seiner Zeitgenossen gegen unmelodisches Füllwerk teilte, dass die ‚Logik’ und ‚Ökonomie’ des Materials, die Schönberg ihm attestierte, und der daraus resultierende ‚organische Zusammenhang’ zu seinen kompositorischen Grundprinzipien gehört, muss nicht erst aus dem Werk geschlossen werden, sondern ist einer Fülle überlieferter Äußerungen zu entnehmen. Berühmt geworden ist seine Äußerung, Komponieren sei nicht schwer, schwer sei nur das Wegstreichen der vielen überflüssigen Noten.“ Hauschka (2005, S. 294f.) „Obwohl die Sonate seit etwa 1830 bereits als veraltete Form galt, die sogar Robert Schumann bereits totgesagt hatte, hielt Brahms unbeirrbar an ihr fest, <...>. <..> Bis in die 1860er Jahre hinein ließ sich Brahms in seiner Auseinandersetzung mit der ‚Sonatenform’ durch Modelle inspirieren und orientierte sich hauptsächlich an Beethoven und Schubert; er gelangte dabei zu Lösungen, in denen die Sätze allmählich formal bis an die Grenzen des Überschaubaren ausgedehnt und extremen Spannungen ausgesetzt wurden, um sie durch harmonische Konzepte und motivisch-thematische Verknüpfungen dennoch formal auszubalancieren. <...> Ein Dreh- und Angelpunkt der Brahmsschen Kompositionsweise ist das Verfahren der ‚motivisch-thematischen Arbeit’, bei dem durch Bildung von motivischen Ableitungen und Varianten neue, zugleich verwandte und weiterführende Gestalten entstehen. <...> Die Anwendung des grundlegenden Gestaltungsmoments der motivisch-thematischen Arbeit, das anders als noch bei Beethoven weniger von der rhythmischen Prägung eines Motivs ausgeht, vielmehr bei Brahms eher von der intervallischen Konstellation, beschränkt sich in seinen Sonatensätzen nicht auf den historisch ‚angestammten’ Platz der Durchführung, sondern greift auf den gesamten Satzverlauf über und kommt insbesondere schon in der Themenbildung und damit in der Exposition zum Tragen.“ Pfisterer (1989, S. 77f.) „...eine ausgesprochene Abneigung gegen unveränderte Wiederholungen <-...-> charakterisiert Brahms’ Musik nicht weniger als ihr Hang, an einem Gleichen festzuhalten. Die ununterbrochene Erneuerung der Erfindung war ihrem Komponisten ein Bedürfnis ebenso wie das Bestreben, in einem Stück aus Gründen des Zusammenhangs auf derselben motivischen oder thematischen Substanz zu beharren. <...> Der Widerstreit der divergierenden Tendenzen teilt sich dem Hörer mit als Konflikt, aus dem Brahms’ Musik ihre spezifische Spannung bezieht. Ausgetragen wird er speziell im Bereich der Metrik und Rhythmik, indem die musikalische Sprache Brahms’ Einspruch erhebt gegen die gleichförmigen, am Takt orientierten Betonungsverhältnisse der klassischen Syntax. Anstatt die Regelmäßigkeit und Symmetrie der klassischen Formmuster unverändert zu reproduzieren (...), zielt Brahms’ Musik darauf, deren reglementierten Ablauf durch Unregelmäßigkeiten aufzubrechen und zu verändern. Nicht dass bei ihm regelmäßig gebaute Perioden nicht weiterhin Gültigkeit hätten, unverkennbar jedoch ist Brahms’ Absicht, das regelmäßig gebaute Modell bei seiner Wiederholung so zu variieren, dass die Akzente nicht im gleichen Abstand und symmetrisch, sondern unerwartet unregelmäßig aufeinander folgen. Die Taktordnung aus ihrer starren Verankerung zu lösen und das Verhältnis des thematischen Geschehens zu ihr zu einem eigenen Gegenstand der Komposition zu machen, scheint den Komponisten offensichtlich besonders fasziniert zu haben. Entsprechend vielfältig sind die Mittel, deren sich Brahms bedient, um seine Vorstellungen zu realisieren. Um einige Verfahrensweisen zu nennen: die rhythmische Veränderung und metrische Umdeutung melodischer oder diastematischer Gestalten, synkopische Bildungen jeder Art, die metrische Umdeutung taktischer Einheiten, hemiolische Bildungen, die metrische Verschränkung, Erweiterung und Verkürzung von Satzgliedern und ihre Verschiebung auf alle möglichen Taktzeiten, rhythmische und metrische Diminution und Augmentation, die Aneinanderreihung unregelmäßiger metrischer Einheiten und polymetrischen Bildungen ... usw.“ Dahlhaus (2003, S. 621) „Musik erscheint bei Brahms als Gedankenentwicklung, als tönender Diskurs. Jacques Handschin sprach geradezu von ‚logischer’ Form im Gegensatz zur ‚architektonischen’ Form, die auf dem Gleichgewicht charakteristisch verschiedener Teile beruht. ‚Logische’ Form ist weniger aus Teilen zusammengefügt als aus einem Anfangsgedanken herausgesponnen. Und es war die Brahmssche Methode einer differenzierten und nahezu pedantischen musikalischen Gedankenentwicklung, die um 1900, nach dem Zerfall des ‚architektonischen’ Prinzips, das mit der tonalen Harmonik eng zusammenhing, überhaupt noch Form im emphatischen Sinne zu konstituieren erlaubte. Die Akzentverlagerung vom ‚architektonischen’ auf das ‚logische’ Prinzip – bei Beethoven herrschte noch ein Gleichgewicht – ist einer der ‚progressiven’ Züge bei Brahms, die einerseits für die Neue Musik von Bedeutung waren, andererseits aber als Folgerungen aus der klassischen Überlieferung zu begreifen sind. <...> In die Entwicklung der Harmonik griff Brahms, <...> durch den Versuch ein, entlegene Akkorde in die Tonart zu integrieren, also einen unerwarteten Reichtum an Zusammenklängen auszubreiten, ohne die Einheit der Tonart preiszugeben.“ Literatur: Aringer, Klaus: Deutsche Romantik, in: Handbuch der musikalischen Gattungen Bd. 5 (Hg. Siegfried Mauser), Laaber 2005. Dahlhaus, Carl: Johannes Brahms Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll , op. 15. München 1965 (Meisterwerke der Musik Heft 3). Ders.: Brahms und die Idee der Kammermusik, in: Gesammelte Schriften Bd. 6, Laaber 2003. Dittrich, Marie-Agnes: Tradition und Innovation im Klavierquintett in f-Moll op. 34, in: Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation (Hg. Gernot Gruber).Laaber 2001 Hauschka, Thomas: Der kammermusikalische Beitrag von Johannes Brahms: Singuläre Formlösungen für das Sonatenprinzip, in: Handbuch der musikalischen Gattungen Band 5, Laaber 2005. Kleinheins, Frank: Handreichung zum Schwerpunktthema Johannes Brahms Klavierquintett fMoll op. 34 Teil I Analyse (Landesbildungsserver Baden-Württemberg 2012). Kühn, Clemens: Formenlehre der Musik. Kassel u.a. 9/2010. Michels, Ulrich: dtv-Atlas zur Musik Bd. 1, Kassel 1977. Oechsle, Siegfried: Klaviertrios, Klavierquartette, Klavierquintett, in: Brahms Handbuch (Hg. W. Sandberger), Stuttgart / Weimar 2009. Pfisterer, Manfred: Eingriffe in die Syntax. Zum Verfahren der metrisch-rhythmischen Variation bei Johannes Brahms, in: Musikkonzepte Bd. 65 München 1989. Reiter, Elisabeth: Sonatensatz in der späten Kammermusik von Brahms, Tutzing 2000 Rosen, Charles: Der klassische Stil, München u.a. 1983. Schmidt, Christian Martin: Johannes Brahms und seine Zeit. Laaber 2/1998. Dr. Eva Hirtler, StD’ Arbeitsblatt H4 Johannes Brahms op. 34, Schema der Exposition des 1. Satzes (Alternativvorschlag zu Kleinheins auf der Basis des Schemas von M.-A. Dittrich, siehe Kleinheins 2012, S. 86) T. 1 – 22 T. 23 – 32 T. 33 – 49 T. 50 – 74 T. 74 – 90 Hauptsatz Überleitung Seitensatz Überleitung Schlussgruppe 1. Thema „Devisenthema“ mit Entwicklung 2. Thema mit motivischer Abspaltung 3. Thema mit Varianten des 2. Themas f-Moll-Bereich, starke Hervorhebung von Des-Dur (T. 1, 3. und 4. Zählzeit) Tonika-Bereich Modulation cis-Moll-Bereich, starke Hervorhebung von A-Dur (3. Thema, zweiter Takt ) harmonisch eindeutig 4. Thema Motivische Abspaltung und Fortspinnung des 3. Themas, Varianten von Thema 2 und ab T. 57 von Thema 1 (Klavier) Modulation Des-Dur harmonisch offen harmonisch offen T. 91 – 95 T. 91 – 95 (1. Voltenklammer) (2. Voltenklammer) Überleitung zur Durchführung Rückmodulation nach f-Moll, Motivische Abspaltung harmonisch eindeutig Aufgabe: Vergleichen Sie das Schema der Exposition mit dem des 1. Satzes der f-Moll-Sonate op.2,1 von Beethoven (dtv-Atlas, S. 148) im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Sonatenhauptsatzform (siehe auch Arbeitsblatt H1-2) Johannes Brahms: Klavierquintett f-Moll op. 34, Fragestellungen zum 1. Satz Brahms Klavierquintett: Aufgaben zur Biografie/1.Satz: Anmerkung: Es ist klar, dass es höchst problematisch ist solche direkten Bezüge zwischen Biografie und Werk herzustellen. Es geht aber bei dieser Aufgabenstellung erstens um das Kennenlernen der Künstlerbiografie und zweitens um einen Einstieg in das intensive Hören des ersten Satzes. Arbeit in Kleingruppen: 1) Verlief Brahms’ Biografie gradlinig? Suchen Sie einige Belege. 2) Hören Sie den vierten Satz des Klavierquintettes an. Spiegeln sich Ihrer Auffassung nach einige der biografischen Charakteristika in der Musik des ersten Satzes wider? Lassen sich Belegstellen in der Partitur finden? Diskutieren Sie Ihre Auffassung in der Gruppe. Material: Biografie Johannes Brahms, Hörbeispiel Anmerkung: Selbstverständlich lässt sich diese Fragestellung auch auf die anderen Sätze anwenden, insbesondere auf den vierten, aber auch den dritten Satz. 1. Satz: Aufgaben zur Visualisierung Schüler-Arbeitsblatt: Komponieren und Hören: Vertonung von bewegten Grafiken: Gruppenarbeit/Musizieren Gruppenmitglieder: Ausschnitt Nr. Instrumente: wichtig: zuerst den Ton abschalten, sonst macht alles wenig Sinn! Dauer: 15 - 20 Minuten, anschließend Präsentation 1) Schauen Sie sich die Ihnen zugewiesene Stelle mehrfach an. (ohne Ton!) Die Visualisierung läuft in Echtzeit. 2) Beschreiben Sie das Gesehene möglichst genau. (Instrumentation, Melodieverlauf, SatztechniK: polyphon, homophon, sind Abschnitte erkennbar ...?) 3) Musizieren Sie diese Stelle anschließend mit vier bis fünf Instrumenten. 4) Hören Sie anschließend die Stelle mit Ton an. Haben Sie Elemente Ihrer eigenen Vertonung wieder gefunden? [5] [Hören Sie anschließend das ganze Stück an. An welcher Stelle kommt die von Ihnen musizierte Stelle wieder?] 6) Diskutieren Sie, ob solche Visualisierungen eher eine Hörhilfe sind oder eher das unbefangene Hören verhindern. 1. Satz: Aufgaben zur Visualisierung, mögliche Auswahl der Video-Ausschnitte Anfang gesamte Exposition Alternative: nur die jeweiligen Themenabschnitte ab 6’37’’ - 7’52’’ Beginn der Durchführung bis Takt 122 Verarbeitung von Thema 1: (Abspaltung des 2.-4. Ton des Themas als „neues ostinates Motiv“, „Devise in reduziertester Form“ (Kleinheins), Art Umkehrung des Hauptthemas ab Takt 194. „Im Vordergrund steht nicht mehr die Weiterentwicklung, sondern die Ausarbeitung der Themen.“ (Kleinheins) ab 7’52’’: -8’18’’ 2. Teil der Durchführung Verarbeitung des Anfangs-Motivik des Hauptthemas in Imitationen, dichte komplementärrhythmische Struktur. „Kontrastierend zum vorangegangenen eher akkordisch stukturierten Teil, beginnt in T. 122 ein dicht gewebter polyphoner Teil mit der in sturer Auftaktsrhythmik gestalteten Phrase A der Devise, im Viertelabstand enggeführt.“ (Kleinheins) ab 8’ 19’’ 3. Teil der Durchführung, Verarbeitung des Themas 3, sie „betont die rhythmische Qualität des Kopfmotives“ Ab 8’53’’ ff Übergang zur (verschleierten) Reprise, Takt 164 ab 12’38’’ Coda ab Takt 261 m. A., Übergang zur Stretta. Ausschnitt 8 ab Takt 167, Übergang zur Reprise von Thema 1 bis T. 235 ,I. Material: http://www.youtube.com/watch?v=BysbC8wKqN8 [04.05.2013] (zusammengestellt von StD Thomas Kalmbach) Dr. Eva Hirtler, StD’ Arbeitsblatt H5 J. Brahms op. 34, 1. Satz Höraufgaben: 1. Beschreiben Sie nach Ihrem Höreindruck die unterschiedlichen Charaktere der Abschnitte T. 1-4, T. 5-11 und T. 12-17. 2. Stellen Sie anhand der Partitur fest, mit welchen musikalischen Mitteln dieser Unterschied erreicht wird. 3. a) Untersuchen Sie, durch welche unterschwelligen motivischen Beziehungen die Abschnitte T. 1-4 und 5-11 miteinander verbunden sind. Benutzen Sie dazu die Thementafel auf S. 14 der Analyse von F. Kleinheins (Landesbildungsserver). b) Zeigen Sie, inwiefern der Abschnitt T. 12-22 als Synthese der beiden vorigen Abschnitte gesehen werden kann. „Devisenthema“ (F. Kleinheins) als „thematisches System aus verschiedenen rhythmischen und intervallischen Komponenten“ (E. Reiter). Zum motivischen Aufbau siehe F. Kleinheins. J. Brahms op. 34, „Devisenthema“ T. 5 Klavier Violine 1 L. van Beethoven, Klaviersonate f-Moll op.2,1, 1. Satz 1. Thema Aufgaben: 1. Vergleichen Sie das Thema von Beethoven mit dem von Brahms (T. 1-4). Berücksichtigen Sie dabei u.a.: a) den Aufbau, b) rhythmische Unterschiede der Motive innerhalb des Themas, c) die Zahl der Tonarten, die in den Dreiklangsbrechungen der Melodie gestreift werden, d) die Begleitharmonien im Thema von Beethoven, e) den Tonumfang der jeweiligen Melodie. 2. Versuchen Sie nachzuvollziehen, weshalb ein Musikwissenschaftler die ersten vier Takte von op. 34 als „Stadium des Noch-Nicht-Thematischen“, als „motivgebendes Präscriptum (Oechsle 2009, S. 432/1) charakterisiert, also als eine Gestalt, die eine Art Vorstadium eines charakteristischen Themas darstellt. Dr. Eva Hirtler, StD’ Arbeitsblatt H5 Lösungen a b 2 Takte 1 Takt a’ b’ 2 Takte 1 Takt 2 Takte Aufbau und Struktur des Themas von Brahms siehe F. Kleinheins S. 14-18. Beethoven: Die Haupttonart (f-Moll) wird befestigt a) durch Beschränkung auf Kadenzakkorde, vor allem Tonika und Dominante, b) durch Gestaltung der Melodie im wesentlichen aus gebrochenen Dreiklängen dieser Funktionen, c). durch Dreiklänge der Hauptfunktionen in der Begleitung. Brahms: Auf den Beginn mit gebrochenem f-Moll-Dreiklang (mit zusätzlichem Ton g) folgen gebrochene Dreiklänge von weiter entfernten Tonarten. Die Melodie erhält erst in Takt vier eine stützende harmonische Begleitung. Die Haupttonart f-Moll ist dadurch schwächer ausgeprägt als bei Beethoven. Gemeinsam ist beiden der Beginn mit einem gebrochenen f-Moll-Dreiklang (bei Brahms mit zusätzlichem Ton g). Beethovens Thema entfaltet sofort einen starken aufwärtsdrängenden Impuls. Es erreicht in den ersten beiden Takten einen Tonumfang von Oktave plus kleiner Sexte. Die nächsten Takte bringen durch Sequenzierung und motivische Abspaltung eine Steigerung bis zum melodischen Höhepunkt in Takt acht. In Brahms’ Thema umfassen die ersten beiden Takte nur einen Tonumfang von einer kleinen Sexte. Es erreicht den melodischen Höhepunkt schon in Takt eins; nach einer variierten Wiederholung dehnt sich die Melodie abwärts aus. Der Anfangsimpuls verebbt. Die rhythmische Vielfalt ist in Beethovens Thema größer als bei Brahms. Rhythmische Vielfalt und dramatische Entwicklung setzen bei Brahms erst ab T. 5 ein. Dr. Eva Hirtler, StD’ Arbeitsblatt H6-1 J. Brahms 1. Satz Themenübersicht 1. Thema T. 1-4 (Devisenthema, zum motivischen Aufbau siehe Kleinheins 2012) T. 5 Klavier T. 5 Vl1 2.Thema: Die Schlussgeste in T. 22 (Klavier) wird zu Thema 2 in T. 23 (Vl 1), das ab T. 27 harmonisch von der Tonart f-Moll des Hauptsatzes zur Tonart cis-Moll des Seitensatzes überleitet. In den Varianten dieses Themas erscheint der zugrundeliegende Halbtonschritt teilweise auf unterschiedlichen Stufen der Harmonie. Dadurch sind die Varianten nicht nur melodisch, sondern auch harmonisch von der ersten Gestalt des 2. Themas unterschieden. Erläuterungen zum 2. Thema: Überleitung oder Teil des Seitensatzes? Pro Überleitung: - zunächst Teil der Kadenzformel in f-Moll am Ende des Hauptsatzes (T. 22). - Beginn in T. 23 in f-Moll, bei der Wiederholung (T. 27 ff.) Modulation und motivische Abspaltung. - Die neue tonale Ebene (cis-Moll) wird erst in T. 33 erreicht. Arbeitsblatt H6-2 Pro Seitensatz: - ab T. 23 gegensätzlicher Charakter (lyrisch) zum vorigen Abschnitt. - Die Entwicklung zwischen 3. und 4. Thema wird zum Teil mit Varianten dieses 2. Themas gestaltet. Schlussfolgerung: Tradierte Elemente einer Überleitung und eines Seitensatzes werden aus dem bisher üblichen Zusammenhang gelöst und neuartig miteinander verbunden, harmonisch jedoch tritt der Charakter einer Überleitung durch den Beginn in f-Moll und die Modulation stärker hervor. 3. Thema T. 35 Aufgaben: 1. Untersuchen Sie die verschiedenen Themen der Exposition im Hinblick auf motivische Beziehungen zum Devisenthema. Zeigen Sie auf, wieso das Devisenthema als „thematisches System aus verschiedenen rhythmischen und intervallischen Komponenten“ (Reiter 2000, S. 151) angesehen werden kann. 2. Vergleichen Sie das 3. Thema in der Gestalt T. 35 ff. mit der Wiederholung T. 47ff. und bestimmen Sie den motivischen Aufbau in der Fortspinnung (ab T. 50 m.A.). 3. Brahms gestaltet die einzelnen Sätze von op. 34 nach dem Prinzip der „entwickelnden Variation“. Es bezeichnet das Verfahren der variierten Ableitung verschiedener Themen aus einem gemeinsamen diastematischen Kern. Erläutern Sie diesen Begriff anhand der Exposition des 1. Satzes aus op. 34. 4. Ein weiteres Verfahren bei Brahms, um bei großer harmonischer Vielfalt die Einheitlichkeit eines Satzes zu erhalten, bilden kontrapunktische Techniken, mit denen motivische Bestandteile oder deren Umkehrung auch die Begleitstimmen prägen und ein dichtes Stimmengeflecht entsteht. Weisen Sie solche Techniken in T. 35-40, T. 59-63 und an weiteren Stellen, insbesondere in der Durchführung, nach. Ziehen Sie hierzu die Handreichung von F. Kleinheins (Landesbildungsserver Baden-Württemberg) hinzu. Dr. Eva Hirtler, StD’ Arbeitsblatt H7-1 Metrische Verschiebungen im 1. Satz Aufgaben: 1. Zeigen Sie in den Takten 5-8, wie Brahms durch die Verschiebung der Motive auf unterschiedliche Zählzeiten die Regelmäßigkeit des Taktschemas aufbricht. 2. Zeigen Sie in den Takten 62ff., wie Brahms durch die Verlegung der dynamischen Höhepunkte auf unterschiedliche Zählzeiten in den einzelnen Stimmen die Eindeutigkeit der Betonungen im Taktschema relativiert. Arbeitsblatt H7-2 Brahms gestaltet das Ende der Exposition als allmähliche harmonische, melodische und rhythmische Beruhigung, die durch eine Auflösung des metrischen Schemas ergänzt wird (siehe die folgende schematische Darstellung). Zeigen Sie, wie sich auch hier die Motive gegenüber dem Taktschema verselbständigen. R. Hecht Brahms: Klavierquintett f-Moll Zu den Binnendurchführungen und zur Reprisenverschleierung in Brahms´ Werken Beispiel 1: Sinfonie Nr. 4, 1. Satz Beispiel 2: Klavierquintett f-Moll, 1. Satz Arbeitsaufträge: a) Die 1. Sätze von Brahms´ Sinfonie Nr. 4 und dem Klavierquintett f-Moll tragen jeweils Sonatenhauptsatzform. Machen Sie sich auf Grund Ihres Höreindrucks und des Notentexts mit den Anfängen dieser beiden Sätze vertraut. Zeigen Sie, dass Brahms die motivisch-thematische Arbeit schon in der Exposition und nicht erst in der Durchführung vornimmt. b) Machen Sie sich auf Grund Ihres Höreindrucks und des Notentexts mit dem Übergang von der Durchführung zur Reprise in beiden Sätzen vertraut. Finden Sie Argumente, warum man von einer „Reprisenverschleierung“ sprechen kann. c) Äußern Sie sich zur musikalischen Wirkung, die Brahms mit seiner Gestaltung der Sonatenhauptsatzform erreicht. Grenzen Sie diese Wirkung von der klassischen Gestaltung ab (z.B. in Beethovens 5. Sinfonie). R. Hecht Brahms: Klavierquintett f-Moll Zum Tonartenbezug im 1. Satz des Klavierquintetts Arbeitsaufträge: a) Musizieren Sie die Akkordfolge II: Fm I Db I Fm I Db :II Machen Sie sich die „liegen bleibenden“ Töne und das Ausmaß des „sich verändernden“ Tons bewusst. b) Versuchen Sie eine Improvisation über die Akkordfolge in a). c) Weisen Sie diese Akkordfolge als harmonische Struktur am Beginn der Exposition nach. Welches verwandtschaftliche Verhältnis besteht zwischen diesen beiden Dreiklängen? d) Das Seitenthema steht in cis-Moll. Eine Möglichkeit, von f-Moll nach cis-Moll überzuleiten, ist diese Akkordfolge: II: Fm I C I Db/F I Ebm I Ab I Dbm = C#m :II Musizieren Sie diese Akkordfolge und versuchen Sie eine Improvisation. Untersuchen Sie, inwieweit Brahms diese Überleitung vornimmt. e) Alternative zu d): Von f-Moll nach cis-Moll und wieder zurück: II: Fm I Db I Dbm = C#m I C+ I Fm :II f) Welchen Verwandtschaftsgrad haben f-Moll und des-Moll? Finden Sie eine Erklärungsmöglichkeit, warum Brahms für das Seitenthema nicht des-Moll, sondern, enharmonisch verwechselt, cis-Moll wählt. Akkordfolge f-Moll und Des-Dur Bearb. R.Hecht bb 4 & b b 4 www ww w Db Fm ? bb 4 bb 4 w w © Von f-Moll nach cis-Moll Bearb. R.Hecht b b b 4 ww b & 4 w w n ww Fm C ? b b b 44 b w 3 3 5 5 w bb w & b b ww w b ww D b/F E bm ? bb b b w w bb w & b b ww n www Ab D bm ? bb b b w w © Von f-Moll nach des-Moll und zurück Bearb. R.Hecht b b b 4 ww b & 4 w ww w Db Fm ? b b b 44 b w 3 3 5 w bb w & b b b ww ? bb b b w n ww D bm C+ w w bb & b b www Fm 5 ? bb b b w ©