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Das Requiem des Engländers John Rutter, bei uns kaum
bekannt, ist weltweit und vor allem im angelsächsischen
Kulturraum eines der beliebtesten und meist aufgeführten
zeitgenössischen Chorwerke.
E-Musik, ist das nicht die ernste oder noch schärfer: die ernst zu
nehmende Musik? Wenn wir daraus im Umkehrschluss folgern, dass alle
andere Musik nicht so recht ernst zu nehmen sei, dann hätten wir mit
dem englischen Komponisten John Rutter ein Problem. Denn der macht
keine E-Musik, sondern: Schönklang! Einen gefälligen Sound, der nicht
nur in Kirchen, sondern auch in Kaufhäusern sich hören lässt. Oder, wie
ein Internet-Rezensent auf Amazon schreibt: „Genau die richtige Musik
für lange Winterabende!“
Dies eine eher provinziell-deutsche Hinführung zu einem Phänomen, das
wir auch global einordnen müssen: Der 1945 in London geborene John
Rutter, in der deutschen Musikwelt wenig bekannt, ist in der
angloamerikanischen Musikwelt einer der produktivsten, der am meisten
gehörten und der hoch geschätzten Komponisten.
Schönklang also nennen Kritiker das, was John Rutter produziert.
Geschmeidiger Sound statt Atonalität, Harmonie statt Dissonanz. Als
Neoromantik könnte es durchgehen, aber eindeutig ist John Rutters
Musik keineswegs: Sie nimmt Anleihen bei der Jazz- und
Unterhaltungsmusik, schleicht sich wie untermalende Filmmusik ins Ohr,
kommt musicalartig wie ein Gershwin, und zwischendrin klingt´s dann
wieder wie Orffs Erfolgsmischung aus Brutal-Rythmus und schlichter
Harmonik. Rutter klingt schön, geht ein, reißt mit, verführt, baut auf, tut
gut.
Sein Requiem ist, vor einem Magnificat und einer Kinder-Messe, sein
bekanntestes Werk, das – so das englische Feuilleton – seinerzeit die
Rutter-Legende begründet. Es wurde 1985 uraufgeführt und im halben
Jahr darauf gleich 500 weitere Male aufgeführt, ein harter Beleg für die
Popularität dieser Musik ist. Bestätigung auch von John Rutters
Kompositionsanliegen, dass es ihm vor allem darauf ankomme, mit
seiner Musik die Herzen der Menschen zu berühren. Nachrangig
demgegenüber ist ihm „der Beifall der Kritiker“.
Seine musikalische Grundidee für ein "Requiem of our time" entfaltet
Rutter innerhalb weniger Takte. Es beginnt düster-dumpf-dramatisch
(und wer genau hinhört, erkennt sogar eine leichte Dissonanz),
Paukenschläge lassen Furchtbares ahnen, doch dann, bevor das Unheil
seinen Lauf nehmen könnte, schlägt es um in eine friedlich-glatte,
tröstlich-melodiöse Welt um. „Lux perpetua “ – alles wird gut. Ein Cello
und der homophone Chor, ein Sanktus mit Glockenspiel, das für das
Kirchengeläut steht, hymnisch und bombastisch. Wenn einmal eine
Oboe klagen sollte, legt die Harfe sogleich ihren alles glättenden und
schützenden Firnisklang darüber. und da, wo andere RequiemKompositionen mit einem furchtbaren „Dies irae“ (Tage des Zorns)
aufheulen, bleibt bei Rutter nur ein Halbvers stehen, ein freundlich
friedliches „Pie Jesu“ (Gütiger Jesus), das eine Sopransolistin inniglich
vorträgt. Übrigens folgt Rutter in dieser Besonderheit dem französischen
Ritus, wie ihn auch der Romantiker Gabriel Fauré in seinem (knapp
hundert Jahre älteren) Requiem angewandt hat.
Überhaupt hat Rutter, wie sein Vorbild Fauré, ausdrücklich alles
Gewaltige, alles Grelle oder auch Dunkle ala Verdi, Brahms oder Berlioz
vermieden, zugunsten einer bewusst friedlich-tröstlichen
Grundstimmung. “A journey from darkness into the light“ (Vom Dunklen
ins Helle) ist Rutters Motto für dieses Requiem, in dem ein Weltgericht
keinen Platz hat und das – in seiner konsequenten Friedlichkeit und
Ruhe – ziemlich undramatisch einherschreitet (während etwa in Rutters
Magnificat viel mehr melodische Überraschung und Dynamik steckt).
Also nochmals nörgelnd: Ernst zu nehmende E-Musik oder doch nur
Stimmungssound an der Grenze zum Kitsch? Chorsänger (die, wenn sie
Rutter mal gesungen haben, ihn in der Regel lieben) wissen, dass diese
Musik, die so schwebend leicht und im Ergebnis so wohlgefällig klingt,
ein Kompositum aus souveräner Harmonik und raffinierter Rythmik ist.
Zu substanziell, um als seicht abgetan zu werden. Aber eben auch
populär im eigentlichen Sinne des Wortes: Diese Musik spricht, anders
als manche andere zeitgenössische, jedermann an: Schönklang statt
Schönberg, möchte man kalauern. Und man tut gut daran, sich John
Rutter und seiner Musik unvoreingenommen und auch unorthodox zu
nähern.
Lutz Taubert
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