Seniorenmarketing 50plus – misunderstood? Einige Unternehmen experimentieren bereits mit speziellen Konzepten für die Zielgruppe der Generation 50 plus. Beobachtet man all diese Aktivitäten, so liegt die Vermutung nahe, dass es im Umgang mit dieser Zielgruppe einige Missverständnisse und Irrtümer geben dürfte, die Unternehmen unter Umständen teuer zu stehen kommen können. von Thomas Foscht, Thomas Angerer, Bernhard Swoboda These: Ältere Konsumenten sind markentreu und haben kein Interesse an Innovationen. Diese Ansichten sind nicht selten in der Praxis anzutreffen, insbesondere dann, wenn von "Senioren" die Rede ist. Dieser Sichtweise sind allerdings absatzwirtschaft einige empirische Befunde entgegenzuhalten. Es dürfte plausibel sein, dass ältere Konsumenten sich für bestimmte Produktgruppen weniger begeistern können als dies bei jüngeren Konsumenten der Fall ist. So konnte beispielsweise festgestellt werden, dass Kon- sumenten ab 55 Jahren signifikant geringeres Interesse an den Leistungen von Mobilfunkanbietern haben. Sie interessieren sich deutlich weniger für deren Leistungen, Preise, Werbekampagnen und sprechen kaum im Bekanntenkreis über dieses Thema. Dieses niedrige Interesse verwundert Science Factory 4/2005 1 Seniorenmarketing Produkte als Kaufbarriere für neue Produkte aufgefasst. Dabei ergab sich zunächst, dass diese Barriere – im Vergleich zu anderen Kaufbarrieren – nur von mittlerer Bedeutung ist. Vor allem aber zeigt sich, dass es dabei keine altersspezifischen Unterschiede gibt. Mit anderen Worten: Die Treue älterer Konsumenten gegenüber bestimmten Marken und Produkten stellt keine auffällige Größe dar, die zu Konsumverzicht führt. Die These, dass ältere Konsumenten – im Vergleich zu jüngeren – markentreuer sind sowie kein Interesse an Innovationen haben, kann nicht bestätigt werden. 1 Die Innovativeness älterer und jüngerer Konsumenten 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70-74 75-79 80+ 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 3,50 4,00 4,50 5,00 Skalierung: 1 = hoch, 5 = niedrig (Kurvenanpassung: polynomisch, R2= 0,8726) Quelle: Foscht, Thomas/Angerer, Thomas/Swoboda, Bernhard absatzwirtschaft Konsumenten ab 80 Jahren bestehen. Dazwischen sind die Unterschiede nicht signifikant. Lediglich bei den Konsumenten der höchsten Altersgruppe (ab 80 Jahren) ist die Innovativeness signifikant niedriger als bei den jüngeren Konsumenten. Die Bereitschaft, Innovationen auszuprobieren, muss natürlich nicht notwendigerweise in einem Widerspruch zur Marken- und Produkttreue stehen. Es ist durchaus möglich, dass neue Produkte einer vertrauten Marke oder vertraute Produkte neuer Marken ausprobiert werden. Um dieses Phänomen näher beleuchten zu können, wurde die Treue zu bekannten Diese Sichtweise ist sehr hartnäckig und sie findet sich in zahlreichen Publikationen wieder. Die Diskussionen zu diesem Thema haben aber eher mit grundsätzlichen Philosophien zu tun als mit empirisch belegten Tatsachen. So verteidigen beispielsweise im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel die relevanten Player ihre jeweilige Position vehement: Die Adeg-Gruppe (Edeka) ist stolz auf ihre "50plus-Supermärkte", während die Mitbewerber (wie zum Beispiel Spar Österreich) sich eine derartige Positionierung nicht vorstellen kann. Vor diesem Hintergrund wurde unter- 2 Angebote für "Senioren" – Einstellung und Kaufabsicht positiv + 3 Einstellung gegenüber der Bezeichnung „für Senioren“ aber kaum, wenn man sich die gängige Praxis in dieser Branche näher ansieht: Produkte und Leistungen, in denen auf die Bedürfnisse und Wünsche der älteren Konsumenten eingegangen wird, bilden dabei eher die Ausnahme. So verwundert es kaum, dass in dieser Branche – wahrscheinlich charakteristisch für die meisten Branchen im Hi-tech-Bereich – das Interesse älterer Konsumenten tendenziell niedriger ist. Dies dürfte nicht zuletzt auf die gängige Behandlung dieser Zielgruppe durch die Unternehmen dieser Branchen zurückzuführen sein. Kann man daraus schließen, dass ältere Konsumenten Innovationen gegenüber weniger aufgeschlossen sind, zumal sich diese Sichtweise auch häufig in der Praxis findet? Betrachtet man die Innovativeness – oder anders bezeichnet die Innovationsneigung – von Konsumenten (vgl. Grafik 1), so sieht man, dass diese zwar mit zunehmendem Alter abnimmt. Auf einzelne Merkmale bezogen bedeutet dies zum Beispiel, dass sich Konsumenten in Bezug auf ihr Alter hinsichtlich ihres Probierverhaltens bei neuen und unbekannten Marken und Produkten nicht allzu stark unterscheiden. Durch detaillierte Analysen erkennt man allerdings, dass signifikante Unterschiede lediglich zwischen den jüngeren Konsumenten (bis zu einem Alter von 40 Jahren) und den These: Ältere Konsumenten dürfen keinesfalls als ältere Konsumenten angesprochen werden. +2 u Senioren - Handys u Senioren-Produkte im Lebensmittelhandel +1 u Senioren-Gerichte in Restaurants 0 -1 -2 negativ -3 5 4 3 2 1 hoch niedrig Kauf - und Probierabsicht Quelle: Foscht, Thomas/Angerer, Thomas/Swoboda, Bernhard Science Factory 4/2005 2 Seniorenmarketing ESSENTIALS sucht, ob die explizite Bezeichnung von Produkten als "Senioren-Produkte" einerseits und das Image von Senioren-Produkten andererseits dazu führen können, dass ein Produkt nicht gekauft wird. Die Ergebnisse sind ziemlich eindeutig: Zum einen spielt dieser – auch als "Gleichberechtigungsbarriere" bezeichnete – Faktor im Rahmen der kaufhemmenden Faktoren eine deutlich untergeordnete Rolle, zum anderen existieren auch keine signifikanten altersspezifischen Unterschiede. Selbst jüngere Konsumenten der Gruppe 50plus scheinen kein Problem damit zu haben, wenn Produkte speziell mit dem Label "Senioren" versehen werden. Ein weiterer Befund, der diese Ergebnisse untermauert, ergab sich aus der Fragestellung, inwieweit Konsumenten die Bezeichnung von Produkten und Leistungen als "Senioren-Produkte und -Leistungen" positiv bewerten. Ihre Einstellung gegenüber diesem Labelling wurde in Bezug auf Handys, Speisen in Restaurants und Produkten aus dem Lebensmittelhandel untersucht. Das Ergebnis: Die Einstellung gegenüber dieser Bezeichnung ist positiv, allerdings auf leicht unterschiedlichem Niveau. Am besten können sich die befragten Konsumenten mit Seniorenhandys anfreunden, gefolgt von Senioren-Produkten im Lebensmittelhandel und SeniorenGerichten in Restaurants. Interessant ist auch, dass es in Bezug auf die Einstellung keine signifikanten altersspezifischen Unterschiede gibt, dass die Einstellungen der jüngeren bis älteren Konsumenten also vergleichbar sind. Nach der Absicht gefragt, ob derartige Senioren-Produkte es Wert wären, auch ausprobiert zu werden, ergibt die Befragung auch ein positives Bild. Die Kaufabsicht ist dabei bei Seniorenprodukten im Lebensmittelhandel am höchsten, knapp gefolgt von Seniorenhandys sowie Senioren-Gerichten in Restaurants. Zusammengefasst kann man feststellen, dass sowohl die Einstellung gegenüber der Bezeichnung von Produkten als "für Senioren" als auch die konkrete Kaufabsicht positiv ausfallen (vgl. Grafik 2). absatzwirtschaft Aufgrund der Studienergebnisse kann daher die Sichtweise, Produkte und Leistungen keinesfalls mit einem Senioren- oder vergleichbaren Label zu versehen (z.B. 50plus), zumindest in Frage gestellt werden. Häufig argumentieren Gegner der altersspezifischen Bezeichnung auf der Basis, dass durch das Versehen von Produkten mit dem Attribut "für Senioren" (oder 50plus) eher negative Konnotationen (im Sinne von alt, krank usw.) ausgelöst werden und dies die Senioren "von heute" nicht hören möchten, weil diese von sich selbst aktuell ein positives Selbstbild haben, allerdings von "den Senioren" ein eher negatives. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die "neuen Senioren" mit dem Begriff "Senior" überwiegend positive Aspekte in Zusammenhang bringen, das heißt dass sie aufgrund ihrer positiven Selbstbilder und ihrer neuen Lebensstile oder Lebenskonzepte auch positive Projektionen in die Zukunft vornehmen und gerade deswegen durch die Begriffe "Senior" (oder 50plus) keine negativen Konnotationen ausgelöst werden. Die These, dass ältere Konsumenten keinesfalls als solche angesprochen werden dürfen, kann somit nicht bestätigt werden. n Die Generation 50plus stellt ein wachsendes, lukratives Marktsegment in der Zukunft dar. n Im Umgang mit dieser Zielgruppe gibt es aber einige Missverständnisse, Irrtümer und Vorurteile sowie eine unzureichende empirischen Entscheidungsfundierung, die zu einem mäßigen Erfolg führen. n Die Gewinnung und Bindung dieser Kunden sollte den Aufbau einer Win-Win-Situation zum Ziel haben und auf einer profunden Kenntnis der Kundenwünsche aufbauen. vernimmt, ist das in Bezug auf die kritischere Sichtweise älterer Konsumenten infolge ihrer höheren Erwartungshaltung und Konsumerfahrung. Schon in Bezug auf das Preisbewusstsein der Konsumenten lässt sich diese Sichtweise empirisch nicht halten. Vielmehr zeigt sich, dass zwar das Preisbewusstsein tendenziell im höheren Alter auch stärker ausgeprägt ist (mit Ausnahme der Gruppe 80+), diese Unterschiede sind allerdings nicht signifikant, sodass ein ausgeprägteres Preisbewusstsein der älteren Konsumenten nicht belegt werden kann (vgl. Grafik 3). Betrachtet man nun darüber hinaus die Zufriedenheit mit Unternehmen an sich, ergibt sich, dass selbst diese Sichtweise nicht haltbar ist. Vielmehr zeigt sich, dass ältere Konsumenten These: Ältere Konsumenten sind grundsätzlich kritischer. Ein weiteres Urteil, das man häufig 3 Das Preisbewusstsein älterer und jüngerer Konsumenten 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70-74 75-79 80+ 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 3,50 4,00 4,50 5,00 Skalierung: 1 = hoch, 5 = niedrig (Kurvenanpassung: polynomisch, R2= 0,8148) Quelle: Foscht, Thomas/Angerer, Thomas/Swoboda, Bernhard Science Factory 4/2005 3 Seniorenmarketing 4 Verbesserungsvorschläge und -wünsche der älteren Generation Problembereiche produktbezogen 1) (Top 10) Problembereiche2) aktivitätsbezogen Grundsätzliche 3) Wünsche Konkretisierung 4) der Wünsche 1. Handy 1. Abläufe verstehen 1. Bessere Bedienbarkeit 1. „einfacher“ 2. Verpackung 2. Informationen aufnehmen 2. Bessere Bedienungsanleitung 2. „größer“ 3. Computer 3. Verpackungshandhabung 3. Anderer Verschluss 3. „genauer“ 4. Videorecorder 4. Risikominimierung 4. Seniorengerechte Geschäfte 4. „weniger“ 5. Fernseher 5. Handhabung 5. Mehr Sicherheit 5. „persönlich“ 6. Auto 6. Einkaufen 6. „übersichtlicher“ 7. Medikamente 7. „weniger Fremdwörter“ 8. Geschäfte 8. „benutzer-freundlicher“ 9. Fernbedienung 9. „mehr Bilder“ 10. Herd 10. „verständlicher“ 11. „automatisiert“ 12. „bekannte Bedienungslogik“ 13. „leichter“ (auf Gewicht bezogen) 1) n=303, 2) n=323, 3) n=258, 4) n=262. Einzelfälle der Nennung sind ausgeschlossen, das heißt . alle Nennungen größer oder gleich 2. Quelle: Foscht, Thomas/Angerer, Thomas/Swoboda, Bernhard in vielen Fällen zufriedener sind als jüngere – und dies, obwohl die betrachteten Unternehmen nicht speziell auf diese Zielgruppe ausgerichtet sind. Dieses Ergebnis ist auch theoretisch nachvollziehbar, insbesondere wenn man einen Blick auf die gerontopsychologische Forschung (Forschung der psychischen Entwicklung im höheren Lebensalter) wirft. Hier gibt es einige Indizien dafür, dass im höheren Alter bestimmte kognitive und affektive Prozesse einsetzen, die zur Verminderung der Standards der Ansprüche und Erwartungen führen, um die Zufriedenheit zu erhalten oder zu steigern. Wenn man einen genaueren Blick darauf wirft, was älteren Konsumenten in ihrer Leistungsbeurteilung wichtig ist, tritt häufig ein Aspekt in den Vordergrund: die hohe Bedeutung der Mitarbeiter in der Kundenbeziehung. Es ist belegbar, dass beispielsweise im Handel den Mitarbeitern bei jüngeren Konsumenten ein eher vernachlässigbarer Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Unternehmen zukommt, dass dieser Einfluss aber mit dem Kundenalter zunimmt und den Einfluss anderer Bereiche (wie zum Beispiel die Sor- absatzwirtschaft timentszufriedenheit auf die Gesamtzufriedenheit) sogar abschwächen kann. Betrachtet man die Gründe, die ältere Konsumenten am Kauf von Produkten hindern, steht an oberster Stelle die Preis-Leistungs-Barriere. Die Einschätzung des Preis-Leistungs-Verhältnisses - weniger aber der absolute Preis – stellt für ältere Konsumenten die größte Konsumbarriere dar. Dahinter folgen die Kundenorientierungsbarriere sowie die Vertrauensbarriere. Bei diesen drei Hauptbarrieren bestehen darüber hinaus keine altersspezifischen Unterschiede, sie sind also für alle Konsumenten der Gruppe 50plus in ihrer Bedeutung vergleichbar. Was sich ältere Konsumenten dementsprechend von Unternehmen am stärksten wünschen würden, liegt mit der grundsätzlichen Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses auf der Hand. Dabei spielt aber nicht nur der Preis eine Rolle, sondern auch weitere Kosten- und Wertfaktoren. Dazu zählen Kosten für Zeit (Suche des richtigen Produkts), Kosten für psychischen Aufwand (Anstrengung, um die richtige Entscheidung fällen zu kön- nen), Kosten für physischen Aufwand (körperlicher Anstrengung beim Einkauf) als Kosten-Treiber auf der einen Seite und Beratung, Image, Serviceleistungen, Erleichterung und Entlastung, persönliche Beziehungen, Abwechslung, Spaß und Qualität als Wert-Treiber auf der anderen Seite. Insbesondere bei älteren Konsumenten dürfte sich der bekannte Ausspruch eines bekannten Marketingforschers wieder einmal bestätigen: Erfolgreiche Unternehmen konkurrieren über den Wert – und nicht über den Preis. Die These, dass ältere Konsumenten grundsätzlich kritischer sind, kann somit nicht bestätigt werden. These: Ältere Konsumenten wollen die gleichen Produkte wie alle anderen. Häufig versuchen Unternehmen eine Beschäftigung mit der älteren Zielgruppe dadurch zu vermeiden, indem sie behaupten, ältere Konsumenten seien "gar nicht so verschieden von jüngeren" und wollten im Kern die gleichen Produkte wie auch die jüngeren Konsumenten. Diesem Verständnis entspringt die Sichtweise, dass ein älterer Konsument das gleiche, schicke Handy mit den gleichen, vielen Funktionen wie auch jüngere Konsumenten möchte. Wenn man aber empirische Forschungsergebnisse betrachtet, zeigt sich, dass die ältere Zielgruppe häufig Probleme mit Produkten hat, die (vorwiegend) für jüngere Zielgruppen konzipiert wurden. Vor diesem Hintergrund äußert diese Zielgruppe auch eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen und -wünschen. Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, liegen die Hauptprobleme in Bezug auf Produkte bei Handys, Verpackungen, Computern, Videorecordern, Fernsehern, Autos, Medikamenten, Geschäften, Fernbedienungen und Herden. An vorderster Stelle tritt dabei das Problem auf, dass ältere Konsumenten die Abläufe zur Bedienung der Produkte nicht oder nur sehr schwer verstehen. Dahinter folgt der Problembereich, dass sie gewisse Informationen gar nicht aufnehmen kön- Science Factory 4/2005 4 Seniorenmarketing Empirische Basis des Beitrags: nen, weil zum Beispiel Schriften zu klein sind oder zu viel Fremdwörter verwendet werden. Als dritter aktivitätsbezogener Problembereich folgt die Handhabung von Verpackungen zum Beispiel beim Öffnen oder Verschließen von Produkten. Auch die Minimierung des Risikos beim Einkauf (z.B. Verletzungsgefahr, Unsicherheit, die richtige Kaufentscheidung zu fällen) stellt einen Bereich dar, der von älteren Konsumenten zum Thema gemacht wird. Die Handhabung von Produkten beispielsweise im Rahmen der Wartung oder das Einkaufen folgen auf den nächsten Rängen. Was würden sich ältere Konsumenten von Unternehmen wünschen, um diese Problembereiche zu beseitigen? Allen voran wird hier die bessere Bedienbarkeit von Produkten genannt, gefolgt von besseren Bedienungsanleitungen. Andere Verschlüsse, seniorengerechte Geschäfte und mehr Sicherheit stellen weitere relevante Bereiche dar. Um das Attribut "besser" zu konkretisieren – was meinen ältere Konsumenten, wenn sie Verbesserungen anregen? An vorderster Stelle wird in diesem Zusammenhang die Vereinfachung von Produkten und Prozessen genannt, gefolgt von der Vergrößerung von Produkten und Produktteilen (z.B. größere Schriften, größere Bedienelemente). Ältere Konsumenten wünschen sich allerdings nicht nur eine einfachere Gestaltung zum Beispiel von Produkten und Bedienungsanleitungen, sie erwarten auch genauere Informationen zu bestimmten Bedienelementen, -prozessen und Problemen. Diese Sichtweise steht nicht im Widerspruch zum Attribut "weniger" – also weniger an Funktionen und Informationen. Vielmehr wünschen sich die älteren Konsumenten zwar weniger an für sie unwichtigen Leistungsmerkmalen (z.B. komplexe Benutzermenüs), aber mehr an für sie wichtigen Elementen (wie z.B. Zusatzinformationen zur Bedienung). Zudem erwarten einige der älteren Konsumenten eine Einschulung in Produkte oder eine Lösung von Problemen durch Verkäufer ("persönlich"). Informationen sollten "übersichtlicher" absatzwirtschaft vermittelt werden, unter Benutzung von "weniger Fremdwörtern" und "mehr Bildern", und damit auch "verständlicher". Ein Teil der älteren Konsumenten kann es sich auch gut vorstellen, dass so viele Prozesse bei Geräten automatisiert werden wie möglich (z.B. Sendereinstellung usw.), einige wünschen sich eine "ähnliche Logik der Bedienung", mit der sie sich bereits zum Beispiel bei anderen Produkten vertraut gemacht haben. Auch einfacher zu transportierende, "leichtere" Produkte sind ein Wunschattribut älterer Konsumenten. Die These, dass ältere Konsumenten die gleichen Produkte wie alle anderen wollen, kann somit nicht bestätigt werden. 50plus-Marketing oder traditionelles Marketing? Es stellt sich die Frage, warum das Thema 50plus aktuell doch eher stiefmütterlich behandelt wird. Dafür dürfte es eine Reihe von Erklärungsansätzen geben. Zum einen mangelt es an ausreichend praxisnahen For schungsergebnissen, die Unternehmen ihren Entscheidungen zugrunde legen können. Zum anderen dürften nicht nur unternehmensexterne Faktoren, sondern auch unternehmensinterne Faktoren eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen. In vielen Unternehmen gilt es nicht als "sexy", die Zielgruppe der älteren Konsumenten anzusprechen, vielmehr konzentrieren sich die – wohl meist auch jüngeren – Mitarbeiter auf die jüngeren Zielgruppen. Gerade der intergenerative Aspekt bietet aber große Chancen für gute Ideen und hohe Akzeptanz in der Zielgruppe 50plus, da der intergenerative Ansatz gerade in der Zielgruppe 50plus als eigenständiger Wert erlebt wird. Demgegenüber scheint aber in Unternehmen eine gewisse Berührungsangst mit dieser Zielgruppe zu bestehen, weil anscheinend befürchtet wird, dadurch eine Alterung der (Unternehmens-) Marke oder negative Effekte auf die Marke auszulösen. In vielen Fällen scheint diese Angst aber eher unbegründet, insbesondere dann, wenn man behutsam an die Angelegenheit Studie 1: "Innovativeness" der Zielgruppe 50plus, Face-to-face-Interviews, n=700 Studie 2: Kaufbarrieren der Generationen 50 plus, Face-to-face-Interviews, n=400 Studie 3: Kundenbindung der Generationen 50plus, Face-toface-Interviews, n=400 herangeht und beispielsweise die Angebote des Unternehmens zwar auf ihre 50plus-Tauglichkeit hin überprüft und sie gegebenenfalls weiterentwickelt, ohne dies aber an die große Glocke zu hängen. Abschließend stellt sich noch die Frage, was es Unternehmen "bringt", sich auf die Zielgruppe 50plus stärker einzustellen. Der demografische Wandel und die Alterung der Gesellschaft dürften in diesem Zusammenhang wohlbekannte Faktoren darstellen, die das attraktive Marktvolumen und Marktpotenzial dieser Zielgruppe in Zukunft relativ klar abschätzen lassen. Es gibt aber noch eine Reihe von weiteren Faktoren, die für die Beschäftigung mit dieser Zielgruppe sprechen. Beispielsweise wurde in den Untersuchungen bestätigt, welcher "Hebeleffekt" in Kundenbeziehungen zu älteren Konsumenten liegt: Mit zunehmendem Alter verstärkt sich der Zusammenhang zwischen Kundenloyalität und dem Erfolg im Unternehmen (z.B. Share of wallet – Ausgabenanteil im jeweiligen Unternehmen). Wenn es dementsprechend Unternehmen gelingt, ältere Kunden für sich zu gewinnen und zu halten, können sie den stärkeren Effekt im Hinblick auf ihren Unternehmenserfolg nutzen. Die Betonung liegt in diesem Zusammenhang allerdings auf Kundenloyalität im Sinne von emotionaler Verbundenheit mit dem Unternehmen. Es zeigt sich nämlich auch, dass bei älteren Konsumenten der Anteil der faktisch gebundenen Kunden, die zwar in einem bestimmten Geschäft kaufen, mit dem Geschäft aber nicht ausreichend zufrieden sind, selbst bei Stammkunden mit rund 40 Prozent relativ hoch liegt. Diese "eingesperrten Kunden" bilden ein enormes Risikopotenzial für Un- Science Factory 4/2005 5 Seniorenmarketing ternehmen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass die dargestellten Überlegungen in ihrer Gesamtheit nicht für alle Branchen dieselbe Bedeutung haben und dementsprechend selbstverständlich weiter (zumindest) nach Branchen differenziert zu diskutieren wären. Die Empfehlungen, die Unternehmen zur Gewinnung und Bindung älterer Konsumenten grundsätzlich ausgesprochen werden können, lassen sich im Grundsatz relativ einfach auf den Punkt bringen, verbirgt sich dahinter letztlich nichts anderes als die Philosophie des modernen (Relationship) Marketing: Ziel ist es, eine Win-winPosition für Unternehmen und Kunden aufzubauen. Aus dieser Perspektive wird dann auch keine Dichotomie zwischen 50plus-Marketing und traditionellem Marketing aufgebaut, vielmehr stellt der Auf- und Ausbau von Beziehungen zu bestimmten Kunden- gruppen ein Kernelement des modernen Marketing dar. Dabei ist es allerdings entscheidend, die Kundenwünsche verlässlich zu kennen und sie in einer Weise zu erfüllen, durch die Konsumenten in ihren Fähigkeiten nicht abgewertet werden. In diesem Zusammenhang ist ein profundes Wissen über die Unterschiedlichkeit einzelner Konsumenten sowie ihrer Gemeinsamkeiten unerlässlich für das Marketing-Management. Prof. Dr. Thomas Foscht Institut für Handel, Absatz und Marketing, Universität Graz (Österreich) Dr. Thomas Angerer IRM - Institut für Relationship Marketing GmbH, Graz (Österreich) Prof. Dr. Bernhard Swoboda, Professur für Marketing und Handel, Universität Trier Kontakt: [email protected] absatzwirtschaft Science Factory 4/2005 6