Simplexity – weniger Informationen, mehr Möglichkeiten auf dem Weg

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Simplexity –
weniger Informationen,
mehr Möglichkeiten
auf dem Weg zum Kunden
Prof. Dr. Norbert Bolz
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Sie haben das Thema gehört - das klingt
rätselhaft. Um Missverständnisse zu
vermeiden: Simplexity hat gar nichts zu
tun mit der berühmt gewordenen Formel
Simplify your life. Sie kennen dieses
Versprechen aus vielen Zusammenhängen, von dem einschlägigen Buch, von
vielen ähnlichen Büchern: Die Welt ist
wahnsinnig komplex, unübersichtlich,
wir können uns nicht orientieren, aber es
gibt Patentrezepte, mit denen wir diese
Komplexität beherrschen können. Ich
sage Ihnen in aller Offenheit schon vorab: Das ist Betrug. Immer dann, wenn Sie
in der modernen Welt mit einem Patentrezept konfrontiert werden, können Sie
sicher sein, betrogen zu werden. Ich will
Ihnen bei Gelegenheit dieses Vortrags
an einer bestimmten Stelle deutlich machen, warum das so ist, warum das nicht
geht, „simplify your life“.
Und warum es deshalb sinnvoll ist,
sich einen etwas komplexeren Begriff
anzugewöhnen und in ihn hineinzudenken, eben den, den ich Ihnen anbiete:
„Simplexity“. Der Begriff stammt nicht
von mir, es ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den beiden Begriffsbestandteilen Komplexität und Simplizität,
also Einfachheit und Komplexität und
offenbar wird da ein Mittelweg gesucht
zwischen Komplexität und Simplizität.
Ich will Ihnen diesen zentralen Begriff zunächst einmal mit einer paradoxen Formulierung nahebringen und versuchen,
Ihnen diese Paradoxie dann plausibel zu
machen. Die Paradoxie lautet nämlich
– und das drückt Simplexity finde ich
sehr schön aus – es gibt nichts Schwierigeres, als etwas so einfach wie möglich
zu machen. So einfach wie möglich, diese
Formulierung haben viele berühmte
Leute auch schon benutzt. Beispielsweise Einstein, der immer gesagt hat, man
müsste in der Theorie so einfach wie
möglich bleiben, aber nicht einfacher.
Das ist schon ein sehr wichtiger Hinweis.
Man kann nicht beliebig simplifizieren. In der Vereinfachung stecken auch
Gefahren. Einfachheit soll angestrebt
werden, aber im Bewusstsein dessen, wie
komplex die Sachverhalte sind.
Also deshalb meine paradoxe Ausgangsthese: Nichts ist schwieriger, als etwas
so einfach wie möglich zu machen oder
darzustellen. Das möchte ich Ihnen an
zwei ganz simplen Schemata deutlich
machen, wo Darstellungsprobleme, die
wir alle jeden Tag haben, sich sehr klar
vergegenwärtigen lassen. Also Sie alle,
wir alle müssen ständig irgendetwas
darstellen, etwas klarmachen. Wenn Sie
beispielsweise einen Vortrag halten,
wenn Sie einen Text schreiben, wenn
Sie jemandem etwas beibringen wollen,
dann haben Sie immer drei Ziele vor
Augen:
1. Ihre Darstellung, Ihre Präsentation soll
einfach sein, damit sie nachvollziehbar
ist.
2. Sie soll aber auch genau sein und
nicht Wischiwaschi und
3. diese Darstellung soll auch allgemein
sein, also über den konkreten Anlass
hinaus brauchbar.
trendbüro
So wie Sie von mir mit gutem Recht
erwarten, dass das, was ich Ihnen jetzt
vortrage, weit über diesen Anlass oder
über meine Beispiele hinaus brauchbar
ist für Sie. Vollkommen berechtigt diese
Erwartung, nur muss ich Ihnen offen
gestehen: Niemand kann diese drei Wünsche gleichzeitig erfüllen. Es ist unmöglich, egal worum es geht, gleichzeitig
einfach, genau und allgemein zu sein.
Deshalb empfehle ich Ihnen, nehmen Sie
sich ein Blatt und malen Sie sich etwas
ganz einfaches auf, nämlich ein Dreieck.
Markieren Sie die drei Ecken des Dreiecks
eben mit diesen drei Darstellungserwartungen einfach, allgemein, genau.
Meine These ist nun eine ganz simple:
Sie haben immer die Wahl, aber Sie
müssen eine Wahl treffen zwischen
einer dieser drei Seiten des Dreiecks.
Wir können das mal kurz durchgehen:
Eine Möglichkeit wäre, Sie wählen die
Dreiecksseite, die aus genau und einfach
gebildet wird. Das klingt ja wahnsinnig
attraktiv, nicht? Eine genaue Darstellung
und eine einfache Darstellung - das gibt
es auch, das ist möglich, beispielsweise
im Fernsehen. Im Fernsehen wird meistens etwas sehr einfach dargestellt, zum
Beispiel in den Nachrichten. Man zeigt
irgendwelche Bilder, Schuldige an irgendetwas – Finanzminister, Terrorist oder
jemand in dieser Art. Und es ist einfach,
der ist Schuld, das ist sein Name und so
sieht er aus. So läuft ja das Fernsehen
im Wesentlichen, in der Zeitung etwas
gehobener, aber im Prinzip ähnlich. Sie
können die Zeitung ganz gut verstehen,
sonst würden Sie sie nicht jeden Tag
lesen. Nur opfern diese Darstellungen
etwas, nämlich diesen dritten Moment, in
diesem Falle ist es Allgemeinheit. Das ist
übrigens für Zeitungen auch sehr nützlich, dass Allgemeinheit geopfert wird,
denn das zwingt Sie, morgen wieder
die Zeitung zu kaufen. Weil Sie nämlich
von dem, was Sie heute lesen, keinerlei
Rückschlüsse ziehen können, auf das,
was morgen passiert. Das ist eben auch
das schöne Geheimnis von Nachrichten
aus aller Welt: Jeden Tag sind sie wieder
wahnsinnig interessant, weil man aus
denen von gestern fast nichts lernen
konnte. Das ist also die eine Möglichkeit,
Journalisten nutzen sie. Sie sind genau,
sie sind einfach in ihrer Darstellung, aber
nicht allgemein. Nehmen wir eine an
dere Seite. Nehmen wir die Möglichkeit
etwas mit dem Anspruch darzustellen,
allgemein zu sein und auch genau. Das
klingt vielleicht noch attraktiver. Etwas
ist präzise, genau, kein Wischiwaschi
und auch allgemein gültig. Das Problem
dabei ist, dass es kaum jemand versteht.
Das ist die typische Welt der Wissenschaft. Die Wissenschaftler formulieren
das, was sie darstellen, was sie beobachten mit einem Allgemeinheitsanspruch.
Und es ist auch – zumindest bei guten
Wissenschaftlern – präzise und genau.
Aber sie opfern im Allgemeinen dann
doch die Verständlichkeit, kaum jemand
kann es nachvollziehen. Bei den meisten
Wissenschaftlern ist es mittlerweile so,
dass man schon die Kollegen in der Welt
suchen muss, die den Artikel überhaupt
noch verstehen können. Das Problem ist
in diesem Bereich also schon sehr weit
fortgeschritten. Sie sehen, es klingt zunächst attraktiv, allgemein und genau zu
sein, es führt aber alltagspraktisch sehr
schnell in eine Sackgasse.
Was bleibt schließlich noch übrig? Man
könnte allgemein und einfach formulieren. Klingt auch wahnsinnig attraktiv,
wäre für Sie vielleicht das Interessanteste
und auch das gibt es. Leute, die einfach
formulieren mit Allgemeinheitsanspruch
– Politiker beispielsweise. Würden sie
es nicht machen, könnten sie keine
einzige Stimme abholen, sie dürfen ja
um keinen Preis unverständlich sein,
sie müssen unbedingt von jedem verstanden werden und sie müssen auch
zumindest so tun, als würde das, was sie
sagen, allgemeinverbindlichen Anspruch
haben. Aber auch sie opfern dabei etwas,
nämlich Genauigkeit. Denken Sie nur an
Wahlkampfreden, da wird es besonders
evident, man muss da auf Genauigkeit
verzichten. Und ich muss Ihnen auch das
Geständnis machen, dass Vorträge – so
wie meiner beispielsweise – im Grunde auch auf dieser Seite des Dreiecks
angesiedelt sind. Das muss man einräumen, das geht gar nicht anders und wenn
Sie ein weiteres Beispiel haben wollen,
das genau da platziert ist, dann sind es
auch die berühmten Sachbücher, die ja
auch sehr beliebt sind, weil sie einfach
sind, weil sie verständlich sind. Aber ich
hab Ihnen dieses Dreieck kurz skizziert,
um Ihnen deutlich zu machen, dass Sie
immer etwas opfern müssen. Sie kriegen
es niemals zusammen. Das Ideal der Darstellung ist unerreichbar. Nun, das hat
jetzt unmittelbar lebenspraktische Konsequenzen für Sie alle und das können
Sie sich beim zweiten Schema deutlich
machen, das genauso simpel ist. Es besteht nämlich aus vier Feldern, die durch
zwei variable Paare gebildet werden.
Ich gehe von folgendem Problem aus, für
das simplify your life ja das Patentrezept
verspricht: Nämlich das Problem, dass
unsere Welt sich ständig wandelt, und
immer komplexer wird. Das ist unser
Ausgangsproblem – keine Maus beißt
daran einen Faden ab. Die Frage ist, mit
welchen Strategien gehen wir jetzt an
eine derart wandelbare und komplexe
Welt heran, um erfolgreich mit ihr umzugehen, um sie zu meistern. Es gibt im
Grunde vier Strategien, die Sie sich sehr
einfach konstruieren können, wenn Sie
von den folgenden zwei variablen Paaren
ausgehen: Sie können entweder dynamisch oder statisch verfahren, das ist
immer eine Alternative, und Sie können
einfach oder komplex vorgehen, also mit
einer einfachen Verfahrensweise oder
mit einer komplexen Verfahrensweise.
Jetzt schauen Sie sich einfach mal diese
vier Felder an, die dadurch gebildet
werden - einfach und komplex auf der
einen Seite und auf der anderen Seite dynamisch und statisch. Wir haben es mit
einer unüberschaubaren, hochkomplexen Welt zu tun. Klingt es nicht wahnsinnig verlockend, wenn jemand sagt „Ich
habe eine Strategie, die statisch ist und
einfach.“? Das klingt doch toll und in der
Tat ist das eigentlich auch die Strategie,
die für alle Menschen immer wieder die
verlockendste ist. Das ist nämlich die
Strategie des Patentrezeptes, die Strategie der Zauberformel wie etwa simplify
your life. Im Grunde ist es die Domäne
der Weisheit und deshalb hat Weisheit
aus allen möglichen Ecken der Welt auch
Konjunktur. Warum? Weil die Sprüche der Weisen offensichtlich für jede
Lebenssituation brauchbar sind. Sie sind
meistens 1.000, 1.500 Jahre alt, aber aus
irgendwelchen Gründen sollen sie Ihre
Probleme heute noch lösen. Da gibt es
beispielsweise Marcia Valley für Frauen
oder mit Platon zum Geschäftserfolg, das
haben Sie alle schon gesehen. Ich will
nicht behaupten, dass alles Unsinn ist,
was darin steht, weil wirklich auch ein
paar echte Marcia Valley-Zitate drin sind,
die in der Tat interessant sein können,
aber es ist natürlich absurd zu glauben,
dass man sich mit solchen Patentrezepten in einer modernen Welt orientieren
kann. Ich sage das in aller Offenheit, weil
ich Sie so einschätze, dass Sie da sowieso darüberstehen. Ich sage das praktisch
nur, um das Schema auszufüllen. Denn
das ist eine Lösung, die so simpel ist,
dass es Ihr Niveau und Ihre Intelligenz
unterbietet – das können wir schon mal
wegstreichen. Bleiben noch drei weitere Felder. Wie wäre es, wenn wir auf
diese verdammt unübersichtliche Welt
reagieren würden mit einer Strategie die
statisch ist, aber komplex. Das gibt es
auch, das sind beispielsweise sehr tiefschürfende Theorien oder Philosophien.
Vielleicht hat der eine oder andere von
Ihnen an der Universität mal Kontakt gehabt mit Philosophie, dann werden Sie es
bestätigen können: Welche Philosophie
Sie sich auch immer aneignen wollen, Sie
müssen sehr viel arbeiten. Es kostet oft
Jahre, um eine Philosophie wirklich zu
verstehen. Es lohnt sich meistens, denn
am Ende haben Sie sich ein komplexes
Gedankengebäude angeeignet, mit dem
man sich scheinbar durch das ganze
Leben hindurch die Welt zurechtlegen
kann. Wenn Sie das mal probiert haben
mit irgendeiner Philosophie – egal mit
welcher, Hegel, Kant, Schopenhauer,
was auch immer – dann haben Sie doch
auch die Erfahrung gemacht, dass es
nicht richtig funktioniert, dass diese
Philosophien offenbar doch auch an ihre
Zeit gebunden sind und dass es nicht so
ohne Weiteres möglich ist, obwohl man
so wahnsinnig viel nachgedacht hat, sie
auf die Gegenwart anzuwenden. Sie sind
eben nicht dynamisch genug.
Streichen wir also auch Philosophie, weil
die meisten von Ihnen ohnehin wohl
gar keine Zeit haben, um Philosophie
zu studieren. Bleiben noch zwei Felder.
Eins wird gebildet durch dynamisch und
komplex. Sie werden es nicht glauben,
das ist das, was meine Kollegen Ihnen
anbieten. Sie sollen auf eine wahnsinnig unübersichtliche, hochkomplexe
wandelbare Welt selber dynamisch und
komplex reagieren. Klingt toll, oder?
Die Wissenschaftler nennen so etwas
coping, also praktisch Aug in Aug und
eins zu eins die Komplexität der Welt mit
dem eigenen Handeln und Entscheiden
abbilden. Embrace complexity ist eine
Formel meiner Kollegen - großartig, umarme die Komplexität. Klingt zu schön,
um wahr zu sein. Wenn das ginge, wäre
es die Lösung aller Probleme, aber wir
als Menschen sind prinzipiell unfähig,
eins zu eins auf die Komplexität der Welt
zu reagieren. Das geht einfach nicht, so
schön es klingt. Es bleibt ein Traum von
Wissenschaftlern. Ich habe diese ganze
Thematik jetzt ein bisschen holzschnittartig zugespitzt, natürlich um für das
letzte Feld zu werben, das jetzt noch
übrig bleibt: dynamisch, aber einfach.
Und auch das gibt es: die Heuristik. Sie
kennen das eigentlich sehr gut, vielleicht
nicht alle unter diesem Begriff. Heuristik ist im Grunde nichts anderes als
eine Ansammlung von Faustregeln und
wenn Sie so eine Art Werkzeugkasten
mit Faustregeln haben, können Sie sich
tatsächlich dynamisch und flexibel in
einer hochkomplexen, wandelbaren Welt
orientieren. Warum die Heuristiken, also
die Faustregeln, allen anderen Strategien überlegen sind, das ist eine weit
reichende, aber für mich sehr zentrale
These.
Um Simplexity zu erläutern muss ich
Ihnen jetzt endlich ein paar Beispiele
bringen. Ich habe Sie ja bisher nur
überhäuft mit Begriffen, Kombinationen,
Feldern und kleinen Strukturen – jetzt
endlich Beispiele für Faustregeln, mit denen Sie Ihren Alltag bewältigen. Ich gebe
Ihnen zunächst einmal eine Faustregel
mit einem Beispiel, dass Sie als Großstadtbewohner nachvollziehen können:
Sie suchen einen Parkplatz. Nehmen wir
mal an, Sie fahren mit Ihrem Partner in
die Stadt und wollen irgendetwas besichtigen. Sie sind 1.000 m vor dem Ziel
Ihres Ausfluges und da ist ein Parkplatz.
Nehmen Sie den oder nehmen Sie ihn
nicht? 1.000 m – relativ weit – Sie fahren
weiter, würde ich sagen. Noch ein bisschen weiter kommt aber kein Parkplatz.
Jetzt sind Sie schon vor dem Museum
und denken, ach so schlimm war das ja
auch nicht, fahren wir wieder zurück, der
Parkplatz war ja eigentlich ganz gut. Aber
Sie wissen natürlich, was passiert ist. Sie
fahren zurück und der Platz ist besetzt.
Also mir ist das, als ich Student in Berlin
war, praktisch jedes Mal passiert, wenn
ich abends von der Uni gekommen bin.
Am Ende findet man 2 km entfernt von
der eigenen Wohnung einen Parkplatz,
ist wütend, stellt das Auto dort ab, läuft
nach Hause und in dem Augenblick wird
vor der Haustür ein Parkplatz frei. Ich
glaube, das haben wir alle schon erlebt.
Nun werden Sie sagen, mein Gott, wie
trivial. Ich gebe Ihnen Recht, das ist
wahnsinnig trivial, aber es genügt schon,
um Ihnen das Entscheidende deutlich zu
machen: Dieses Problem - wie finde ich
einen Parkplatz oder welchen Parkplatz
soll ich nehmen - können Sie logisch
nicht lösen! Oder wenn Ihnen das mit
dem Parkplatz vor dem Museum zu blöd
ist, ein anderes realistisches Beispiel:
Parkplatzsuche auf dem Köln-Bonner
Flughafen. Wenn Sie da Ihr Auto abstellen wollen, in welche der acht Etagen fahren Sie rein und suchen los? Also das ist
schon ein ernst zu nehmendes Problem.
Aber ich weiß, dass ist für Sie zu trivial.
Deshalb springe ich von diesem einfachen Beispiel zu einem anspruchsvolleren, bei dem Sie mir hoffentlich
Recht geben, dass das eigentlich alle
Menschen interessieren müsste, nämlich
Partnerwahl. Was überlegt man, bevor
man heiratet oder sich sonst irgendwie
nachhaltiger engagiert? Ich weiß, das
ist etwas aus der Mode gekommen, aber
Sie wissen worum es geht. Um etwas
intimere Bindungen mit Folgen. Also,
wie macht man das, wie findet man einen
Partner? Das ist auch eine Frage der
Heuristik. Die sagt dann, teste einfach
mal 30 Frauen, merk dir die beste und
die nächste, die du triffst und die besser
ist, als die bisher Beste, die heiratest
du. Falls Ihnen die Zahl unrealistisch erscheint: Das hängt natürlich auch mit der
eigenen Attraktivität zusammen, man
muss da realistisch überlegen und es
vielleicht bei zehn belassen oder bei fünf.
Aber das Prinzip ist dasselbe: Probiere
mal ein paar, merke dir die Beste und die
Nächstbessere, das ist die Richtige und
die heiratest du, da engagierst du dich.
Allerdings suchen die Frauen natürlich
auch – das ist übrigens das, was die Sache komplex macht. Ein Parkplatz sucht
keine Autos, nur Autos suchen Parkplätze, aber bei Partnersuche suchen beide.
Das macht das Ganze so komplex, dass
man sich zumindest als Statistiker ernsthaft wundern muss, dass es überhaupt
funktioniert. Und weil es überhaupt
funktioniert, muss es eine Lösung dafür
geben. Die Lösung ist eben genau wie
beim Parkplatz suchen die Heuristik, also
eine Faustregel – probiere dreißig aus
oder zwölf oder fünf und die nächste, die
besser ist, die heiratest du.
Ich weiß, was Sie jetzt einwenden. Sie
werden sagen, na ja, beim Parkplatzsuchen, da mag es ja so sein, aber ich weiß
aus meiner eigenen Geschichte, dass
es bei meiner Frau oder bei meinem
Mann ganz anders war. Das ist aber kein
Einwand, denn was wollen Sie mir sagen?
Sie wollen mir sagen, bei mir war es
anders, denn ich habe nicht irgendein
Kalkül angestellt oder eine Faustregel
angewandt, sondern ich war verliebt
und bin es vielleicht immer noch. Das
ist Ihre Antwort auf die Frage, wie Sie zu
Ihrer Frau oder Ihrem Mann gekommen
sind: Sie waren verliebt. Warum ist das
kein Einwand zu alledem, was ich Ihnen
bisher vorgetragen habe? Ganz einfach
und das ist eine der zentralen Thesen:
Gefühle sind selbst Heuristik! Gefühle
sind gewissermaßen fest verdrahtete
Faustregeln und jedes Mal, wenn Sie
mit einem starken Gefühl in sich eine
Entscheidung treffen, dann folgen Sie
eigentlich einer uralten Faustregel, die
so alt ist, dass sie praktisch in Ihnen
fest verankert ist. Diese Gefühle, die
Sie natürlich nicht immer in die richtige
Richtung führen, sind so stark, dass sie
alle anderen Kalküle schlagen und dass
sie alle anderen Formen von Rationalität
in den Schatten stellen.
Gerade dafür ist die Liebe auch ein
wunderbares Beispiel. Liebe als Gefühl
ist eigentlich gar kein Problem, sondern
es ist die Verliebtheit. Das kann man
vor allem bei Jugendlichen, wo diese
Heuristik, diese Faustregel, besonders
hart zuschlägt, am deutlichsten ablesen. Verliebtheit ist - glaube ich - das
stärkste Gefühl, das es überhaupt gibt
– vielleicht noch stärker als Hass und Sie
alle kennen verliebte Menschen. Wenn
man selbst verliebt ist, kann man es
schlecht beobachten, aber bei verliebten
Menschen ist charakteristisch, dass sie
jedem Vernunftgrund unzugänglich sind.
Das haben Sie sicher schon bemerkt.
Zum Beispiel beim Versuch, jemandem
der unglücklich verliebt ist – meistens
ist das ja der Fall – zu sagen „Ach, es
gibt so viele tolle Frauen, oder so toll ist
die doch gar nicht, jetzt mach dich nicht
verrückt ...“. Man spricht an eine Wand,
ich glaube die Erfahrung haben Sie auch
alle schon mit unglücklich Verliebten gemacht. Dieses Gefühl ist so stark, es setzt
alles andere außer Kraft und das ist bei
starken Gefühlen insgesamt der Fall. Ich
erzähle Ihnen das aus der Perspektive,
dass Sie die Differenz zwischen Gefühl
und Vernunft vergessen und die Vorstellung fallen lassen, Gefühle seien das
Gegenteil von Nachdenken. Gefühle sind
Faustregeln, mit denen das Nachdenken gesteuert wird. Ich gebe Ihnen mal
ein Beispiel aus der Praxis des Redens,
sei es vor Ihnen oder sei es vor meinen
Studenten.
Wenn ich mit Ihnen rede, kann ich
Ihnen ja zum Glück in die Augen sehen
– manchmal ist der Raum abgedunkelt,
dann wird es echt schwierig – aber ich
kann Sie anschauen und kann sehen,
wie sehr Sie sich langweilen. Das kann
man sehr gut erkennen und wenn man
das sieht – also ich hoffe, ich erlebe das
kaum mehr, aber manchmal passiert das
eben doch – dass sich die Leute langweilen, was mache ich dann – und das macht
natürlich jeder gute Redner: Er streut
einen Witz ein. Haben Sie das schon mal
beobachtet bei Rednern, also bei richtig
guten Rednern? Jedes Mal dann, wenn
der Spannungsbogen zusammenbricht
oder wenn die Leute anfangen zu gähnen
oder zu tuscheln, dann bringen die
einen Witz. Warum? Weil man dann an
die Gefühle appelliert, sie lachen dann
oder sie sind praktisch in einem anderen
Register und man kann sie dann wieder
ansprechen.
Das ist im Grunde eine wahnsinnig
simple Technik und wenn man jemandem
Reden beibringt ist es fast das erste, was
man lernt: Merk dir ein paar Witze, die du
immer dann einstreuen kannst, wenn die
Leute den Faden verlieren oder einzuschlafen drohen. Das ist aber ein gutes
Beispiel, wie Gefühle funktionieren,
verstehen Sie? Sie schalten um, denn
wenn Sie sich langweilen – bei meinem
Vortrag beispielsweise – denken Sie an
etwas ganz anderes, Sie denken an etwas
Lustvolles beispielsweise, Sie wandern
also von einem Register des Denkens
in ein anderes und das wird ausgelöst
durch ein starkes Gefühl. Langeweile ist
nämlich auch ein starkes Gefühl und so
funktionieren alle Gefühle. Gefühle sind
die Gangschaltung des Denkens, sie
schalten das Denken von einem Gang in
den nächsten, und so kommen Sie von
philosophischen Gedanken zu lustvollen
Gedanken oder zu geschäftsmäßigen
Gedanken oder was auch immer. Ihr
Denken wird von Gefühlen umgeschaltet
und derjenige, dem es gelingt, an diesen
Gefühlen herumzumanipulieren, dem gewissermaßen eine Emotion oder ein Design gelingt, wie ich das nennen möchte,
der beherrscht mehr oder minder die Gedanken der Menschen, der Kunden, der
User. Und das ist natürlich der absolute
Triumph, wenn es Ihnen gelingt, in den
Kopf der Kunden, der Bürger, der User
einzudringen und diese Denkprozesse
ein bisschen zu leiten. Darauf komme
ich natürlich auch gleich noch mal zu
sprechen. Aber das ist das Wesentliche
an den Heuristiken. Heuristiken sind
Faustregeln, diese Faustregeln stehen
uns nicht nur zur Verfügung im Sinne
von expliziten Kalkülen, sondern wir
haben sie gerade auch in uns selber fest
verdrahtet in Form von Gefühlen und
deshalb sollten Sie vor den Gefühlen
keine Angst haben. Ohne Gefühle kann
man überhaupt nicht vernünftig denken.
Es gibt wahrscheinlich keinen einzigen
Gedanken, der nicht von Gefühlen begleitet ist. In den Gefühlen selber steckt
ein Denken, ein konzentriertes Denken.
Wir müssen uns diese Gefühle zu Nutzen
machen und wir müssen sie auch würdigen.
Ich komme damit zu meinem zweiten
Fremdwort, das ich Ihnen anbieten will
neben „Simplexity“. Es ist ein Fremdwort,
das ich dem Nobelpreisträger Herbert
Simon verdanke, nämlich „Satisficing“.
Satisficing, das kommt von Wörtern
wie satisfaction, das heißt eigentlich,
jemanden zufriedenstellen, etwas, das
zufriedenstellend ist. Der Sinn von
satisficing besteht darin, dass es ein
polemischer Gegenbegriff ist. Nicht etwa
dazu, unbefriedigt zu sein, das wäre ja
trivial, sondern zu dem Begriff Optimierung. Das Gegenteil von satisficing, also
davon, zufriedenstellende Lösungen
produzieren, ist optimieren. Und jetzt
kommt meine zweite Paradoxie, nämlich
die Paradoxie zu sagen, es gibt etwas,
das besser ist als das Beste, nämlich etwas gut genug zu machen! Ich hoffe, das
klingt für Sie paradox genug und Sie sind
ein bisschen neugierig auf die Auflösung
dieser Paradoxie. Es gibt etwas, was besser ist, als das Beste und das, was besser
ist als das Beste, ist gut genug, nämlich
satisficing. Ich will deshalb noch mal
anknüpfen an das, was wir gerade über
die Gefühle gesagt haben.
Wo spielen Gefühle für Sie eine riesengroße Rolle? Ich würde sagen, gerade da,
wo es wirklich interessant wird, nämlich
beim Entscheiden. Es gibt Leute, die
von sich selbst sagen, nachdem sie eine
Entscheidung getroffen haben und zur
Rechenschaft gezogen werden, diese
Entscheidung habe ich aus dem Bauch
gefällt. Vielleicht haben Sie das selber
schon mal so empfunden oder sogar
gesagt. Was Sie damit meinen, ist genau
dies, dass diese Entscheidungen nicht
am Ende von Informationsverarbeitungsprozessen gestanden haben, sondern
dass diese Entscheidungen praktisch
durch Gefühle produziert worden sind.
Wiederum möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich keinen Widerspruch sehe
zwischen Informationsverarbeitung und
gefühlsmäßiger Entscheidung.
Es gibt keinen Unterschied zwischen
Emotion und Kognition, so wie man
sich das früher vorgestellt hat. Das ist
ein überholtes Denken. Interessant ist
nun, wie diese gefühlsmäßige Entscheidung zusammenhängt mit Informationsverarbeitungsprozessen, denn
Sie alle sind ja nicht nur erfolgreiche
Geschäftsleute, sondern Sie sind auch
aufgeklärte, gebildete Menschen und es
ist Ihr Stolz, es ist Ihr berechtigter Stolz,
sich selber einzureihen in die Tradition
der Aufklärung. Sie haben von sich ein
aufgeklärtes Selbstverständnis, Sie sind
vernünftige Menschen, Sie geben nicht
irgendwelchen irrationalen Regungen
nach, sondern Sie denken erst mal nach,
nehmen Informationen auf und verarbeiten sie. Richtig, selbstverständlich, sonst
wären Sie nicht hier, sonst wären Sie
nicht so weit gekommen. Natürlich verarbeiten Sie Informationen und nehmen
Informationen ernst und wichtig, aber
meine These ist, am Ende von Informationsverarbeitungsprozessen hat noch
niemals eine Entscheidung gestanden,
noch niemals. Und auch diese These ist
so extrem, dass wir sofort Beispiele brauchen, die Sie hoffentlich nachvollziehen
können. Das setzt allerdings voraus, dass
Sie sich erinnern, wie es war, als Sie eine
Abschlussarbeit angefertigt haben. Die
meisten von Ihnen werden das gemacht
haben in Form einer Diplomarbeit, Magisterarbeit, Dissertation, irgendetwas in
dieser Art. Irgendwann einmal muss man
eine Abschlussarbeit machen oder Sie
müssen irgendein Thema bewältigen und
eine Präsentation darüber machen. Es ist
ja immer wieder dasselbe Problem.
Und jetzt versuchen Sie sich daran zu
erinnern, wie Sie damit fertig geworden
sind: Sie sind damit fertig geworden,
nicht weil Sie fertig waren im sachlichen
Sinn der Informationsverarbeitung, sondern aus folgenden Gründen:
1. Ihr Vater wollte Ihnen nicht noch mehr
Geld für Ihr Studium geben
2. Ihr Professor hatte keine Geduld mehr
mit Ihnen
3. Sie hatten einfach keine Nerven mehr
weiterzumachen.
Und in all den Fällen konnten Sie dann
den Schlusspunkt setzen – dann waren
Sie fertig, nicht etwa, weil es nichts mehr
zu Lesen gegeben hätte über Ihr Thema.
Es hätte noch 1.000 Bücher gegeben,
die Sie unbedingt hätten lesen müssen,
um Ihr Thema zu verarbeiten, aber die
Ignoranz hat eben geholfen. Sie haben
sich irgendwann gesagt, so genau will
ich es gar nicht wissen. Wenn Ignoranz
für Sie unangenehm klingt – ich meine
das ganz positiv, aber ich weiß, dieser
Begriff hat irgendwie einen schlechten
Klang – können Sie es auch anders nennen, grobe Körnung beispielsweise. Ist ja
genau dasselbe. Man will es gar nicht so
genau wissen und nur deshalb konnten
Sie zu einer Entscheidung kommen. Jede
Entscheidung, die Sie in Ihrem Leben
getroffen haben, war nicht das Resultat
von Informationsverarbeitung. Sondern
im Gegenteil das der Unterbrechung von
Informationsverarbeitung. Das heißt,
der Grund Ihrer Entscheidung war der
fabelhafte Mut, aufzuhören, mehr wissen
zu wollen. Und dafür wird man eigentlich
bezahlt.
Sie alle sind ja in leitenden Positionen,
Sie sind Manager oder so etwas in dieser
Art, Führungspersönlichkeiten und die
Tatsache, dass Sie so viel Geld verdienen
erklärt sich nicht daraus, dass Sie mehr
Informationen verarbeiten als andere,
das stimmt wahrscheinlich auch tatsächlich nicht. Sondern es liegt daran, dass
Sie diesen fabelhaften Mut des Entscheidens haben.
Übrigens Schumpeter, dem Sie sicher
mehr trauen als mir, der große Ökonom
Schumpeter hat genau dadurch den Unternehmer definiert. Schumpeter hat gesagt, nicht neue Ideen zu haben, machen
den Unternehmer aus. Ich persönlich,
Norbert Bolz, hab jeden Tag 1.000 Ideen,
aber ich bin nur Beamter geworden.
Nicht neue Ideen machen den Unternehmer aus, sondern der Mut, irgendeine
Idee auf dem Markt durchzusetzen, das
ist das eigentlich Entscheidende. Es
geht um den Mut der Unterbrechung von
Informationen und nicht um die Informationsverarbeitung selber und das macht
glaube ich den tiefen Sinn der Formel
Satisficing aus. Nämlich zu sagen, gut
genug, genug gelernt, genug Informationen verarbeitet, ist sehr viel besser als
das Beste.
Es gibt übrigens bei uns in der Uni – aussterbend allerdings – auch den Typus
dessen, der Informationen aus einem
Ethos der Wissenschaftlichkeit heraus
bis ans Ende zu verarbeiten versucht, das
ist der Gelehrte. Der Gelehrte ist jemand,
der sich immer sagt: „Oh, soll ich jetzt
veröffentlichen, was ich erarbeitet habe?
Nein, es gibt ja noch das und das und
das und das, was ich auch noch lesen
muss.“ Gelehrte erkennen Sie daran,
dass sie unglaublich wenig veröffentlichen, fast gar keine Bücher und wenn
mal einen Aufsatz, dann in irgendeiner völlig abgelegenen Zeitschrift, die
höchst selten von einem Gelehrten gelesen wird. Das macht einen Gelehrten aus:
Dass er Wissenschaft viel ernster nimmt
als unsereins. Er sagt, die Informationsverarbeitung ist noch nicht zu Ende
und deshalb kann ich jetzt noch nicht
veröffentlichen. Also: Mit jedem Buch,
mit jedem Aufsatz, den Sie schreiben,
haben Sie gesagt: „Jetzt reicht es, jetzt
muss die Ignoranz walten, mehr will ich
nicht wissen.“ Und wie sie das nennen,
grobe Körnung oder wie auch immer, ist
dann fast zweitrangig. Satisficing heißt
also: Gut genug, viel genug, ist besser
als das Beste. Satisficing ist überall da,
wo Menschen im Spiel sind, besser als
Optimierung. Wir haben einen Fetisch
aufgebaut um diesen Begriff der Optimierung. Optimierung funktioniert nur in
technischen Zusammenhängen. Technische Zusammenhänge kann und soll
man natürlich optimieren, aber überall
da, wo Menschen im Spiel sind, ist die
Optimierungserwartung sinnlos und
man muss sich vor Augen führen, dass es
etwas besseres gibt als dieses Optimierungsbestreben. Nämlich das satisficing
– etwas gut genug zu machen. Der schon
erwähnte Herbert Simon, der diesen
tollen Begriff satisficing geprägt hat, hat
zu diesem Thema auch eine wunderbare
Formel gebracht, die ich Ihnen nicht
vorenthalten möchte und ich verspreche,
sie sofort zu übersetzen.
Er sagte nämlich „ A wealth of information creates a poverty of attention“, d. h.
auf Deutsch: Ein Reichtum an Information erzeugt eine Armut an Aufmerksamkeit. Ich halte diese Einsicht für genial
und für brillant und es trifft genau unser
Hauptproblem, das Hauptproblem des
21. Jahrhunderts, nämlich, dass keine
Ressource knapper ist, als die menschliche Aufmerksamkeit. Gerade weil wir in
einer Welt der unendlich vielen Informationen, der unendlich vielen Optionen und Möglichkeiten leben, werden
wir tagtäglich – das ist der Normalfall
– permanent überfordert durch dieses
viel zu viel an Chancen, Möglichkeiten,
Optionen, Informationen. Und alles dreht
sich darum, wie man auf eine intelligente
Weise zu weniger kommt.
Das heißt also, wenn Sie dem folgen
wollen, können wir daraus das Fazit
ziehen: Unser Hauptproblem heute ist
nicht Informationsmangel – das war
früher in goldenen Zeiten mal der Fall, da
hat uns Information gefehlt, da brauchte
man eigentlich nur in die Bibliothek zu
gehen oder in eine Datenbank und sie
sich holen, da konnte man das Problem
lösen. Bei uns ist es genau umgekehrt,
würde ich sagen. Uns fehlt es nicht an
Informationen, sondern uns fehlt es an
Orientierung. Our problem ist confusion,
not ignorance – wir sind konfus, wir sind
orientierungslos, nicht uninformiert,
uns fehlt es nicht an Wissen. Und wenn
das so ist, dass unser Problem Orientierungslosigkeit ist und nicht etwa
Informationsmangel, dann hilft uns mehr
Information nicht weiter.
Glauben Sie mir, es fällt mir schwer,
diesen Satz zu denken und auszusprechen. Na ja, mittlerweile hab ich ihn ein
paar Mal ausgesprochen und er fällt nicht
mehr ganz so schwer, aber als ich mir das
zum ersten Mal klar gemacht habe, ist
mir verdammt schwer geworden. Denn
ich bin ja jemand, der davon lebt, anderen Leuten Information zu übermitteln,
nämlich als Lehrer in einer Universität.
Wenn man einsieht, dass Menschen
primär konfus und orientierungslos sind
und dass in Situationen von Konfusion
Information nicht weiterhilft, sondern
diese Konfusion sogar steigert, dann
muss man zu ganz neuen Strategien
kommen und die will ich Ihnen abschließend noch andeuten.
Wie gesagt, versuchen Sie, das mal zu
denken. Ich weiß, das ist schmerzhaft,
denn das widerspricht wieder unserem
aufgeklärten Selbstverständnis. Früher
war es einfach so, wenn jemand blöd war
– blöde Menschen gibt es ja weiß Gott
wie Sand am Meer – wenn Sie auf einen
Blödmann gestoßen sind, dann haben
Sie sich immer vorstellen können: Dem
fehlt es einfach an Information, wenn der
mal das und das lesen würde oder wenn
er mir mal eine Stunde zuhören würde,
dann könnte ich ihn schon aufklären und
ihm das erläutern. Das war die Vorstellung von Aufklärung: Volkshochschulen
für alle oder alle an die Uni oder irgendetwas in dieser Art – würde man nur die
Pforten des Wissens und der Information
öffnen, gäbe es gar keine Probleme
mehr. Information at your fingertips, wie
das jetzt im Internet-Zeitalter heißt, das
Weltwissen ist nur ein Mausklick weit
entfernt, alle können alle Information
der Welt zappen, also gibt es gar keine
Probleme mehr. Umgekehrt wird ein
Schuh draus – das ist das Problem. Das
Problem liegt gerade darin, dass die
Information allgegenwärtig ist, aber dass
wir in dieser allgegenwärtigen Information orientierungslos sind.
Jetzt kommt die Pointe. Bitter für alle
Aufklärer und im Übrigen auch für die Politiker, die ständig mit konfusen Leuten
konfrontiert sind: Konfusion produziert
Angst. Wenn jemand konfus ist und Sie
geben ihm mehr Information, wächst
seine Konfusion und damit seine Angst.
Schrecklich, nicht wahr? Es gibt 1.000
sehr gute Beispiele dafür.
Ich habe das damals in Nordrhein-Westfalen hautnah mitverfolgt mit der PVC-Industrie. Können Sie sich an das Problem
noch erinnern? Die Panik, die es damals
gab überall im Land – alles ist verseucht
und es muss alles raus. Die PVC-Industrie
hat scheinbar sehr intelligent, auf jeden
Fall sehr aufgeklärt reagiert und hat Bürgerforen – Chatrooms würde man heute
sagen – eingerichtet, Informationsbroschüren verteilt und sogar unser damaliger Ministerpräsident hat sich öffentlich
für die PVC-Industrie ausgesprochen. Er
hat gesagt, das ist alles unbegründete
Panik. Wissen Sie, was das Resultat all
dieser tollen Bemühungen um Aufklärung war? Die Leute wurden nur noch
panischer, sie wurden noch ängstlicher!
Die Atomindustrie hat übrigens genau
dasselbe Problem immer gehabt und
hat es bis zum heutigen Tag, die mauern
nicht, sondern informieren, informieren,
informieren und die Leute werden immer
wahnsinniger. Das ist das Problem. Wenn
das so ist: Information hilft nicht weiter,
sondern steigert das Problem der Konfusion und genau das ist unser zentrales
Problem als Bürger, als User, als Kunde
– wie kann man das Problem dann lösen?
Wenn nicht Information die Lösung ist,
dann – so meine Abschlussthese – lautet
die Lösung „Faszination“. Es macht
keinen Sinn, die Menschen zu informieren, sondern man muss sie faszinieren.
Und um Ihnen diese ja auch sehr starke
und weit reichende These plausibler zu
machen, einige Beispiele. Hoffentlich
aus Feldern, die Sie gut nachvollziehen
können. Das eine Feld ist die Politik, das
zweite Feld sind die Massenmedien und
das dritte natürlich Ihre Welt, die Wirtschaft. Ich möchte da vor allem die Konsumgüterindustrie ins Zentrum stellen.
Also es geht darum, die Aufmerksamkeit
der Kunden, der Bürger, der User, die
knappste aller Ressourcen im 21. Jahrhundert zu binden, zu faszinieren. Das
kann man nicht durch Information, das
ist die Ausgangsthese. Politik genauso
wie Massenmedien haben das längst
gelernt. Wie fasziniert also die Politik unsere Aufmerksamkeit? Man muss sich zunächst einmal klar machen – ich glaube,
die Politiker sind schon alle gegangen,
da kann ich das sagen – es wäre zunächst
einmal eigentlich ganz plausibel, dass
sich kein Mensch für Politik interessiert.
Eigentlich ist es ja erklärungsbedürftig,
dass sich die Leute überhaupt für Politik
interessieren. Denn es wäre angesichts
der einen Stimme, die man alle vier Jahre
hat, viel vernünftiger sich um etwas
anderes zu kümmern, aber irgendwie
schafft es die Politik.
Die haben eine ganz tolle Technik entwickelt, Aufmerksamkeit zu faszinieren: Sie
erfinden Probleme. Die Politik erfindet
Probleme, natürlich vor dem Hintergrund
dessen, dass sie schon die Lösungen parat hat, die sie dann praktisch mit ihrem
Parteiticket der Wählerschaft vorhält. Sie
werden noch niemals irgendein Problem
benannt gefunden haben, von keinem
Politiker, für das er nicht die Lösung
gehabt hätte. Ist Ihnen das schon aufgefallen? Das deutet sehr stark darauf hin,
dass die Lösung früher da war, als das
Problem und das wiederum wäre der Beweis dafür, dass alle Probleme erfunden
sind. Mir fehlt es ein bisschen an Zeit,
um Ihnen diese These ganz plausibel zu
machen, aber meiner Meinung nach gibt
es überhaupt keine Probleme in der Welt.
Alle Probleme sind erfunden. Das heißt
aber nicht, dass sie irrelevant sind.
Ein Beispiel, weil ich weiß, es fällt schwer,
das zu glauben, wenn man das zum
ersten Mal hört, aber ich gebe Ihnen mal
ein Beispiel, wo es mir klargeworden ist.
Ich habe früher schon als Student in Berlin gelebt, das war noch vor dem Fall der
Mauer natürlich und wir haben immer
Fußball vor dem Reichstag gespielt – das
durfte man damals noch. Wenn wir Pech
hatten, kamen im Winter gigantische
Schwaden von diesen Braunkohleöfen
über die Mauer auf unseren Fußballplatz
und wir haben oft um Luft gerungen, das
war grauenhaft. Das war die Zeit, die Älteren unter Ihnen werden sich noch erinnern, wo in Westdeutschland permanent
Smogalarm ausgelöst wurde: Können Sie
sich daran noch erinnern, dass man dann
plötzlich nicht mehr Autofahren sollte
oder so etwas? Und das irre war, bei
uns in Berlin gab es überhaupt keinen
Smogalarm und das hat uns dann doch
fasziniert. In Westdeutschland ständig
Smogalarm und bei uns kriegt man kaum
Luft und es ist nie Smogalarm.
Die Lösung war folgende: Die Berliner
Stadtregierung hatte beschlossen, die
Alarmwerte einfach zu verdoppeln, denn
sonst hätte man jeden Tag Smogalarm
auslösen müssen. Man hat einfach die
Werte verdoppelt mit der Folge, dass wir
kein Problem hatten.
Jeder Grenzwert ist ein wunderbares
Beispiel. Wenn man einen Grenzwert
definiert, erzeugt man ein Problem. Das
letzte Mal haben Sie das vielleicht mit
Feinstaub mitgekriegt. Ich wusste gar
nicht, dass es Feinstaub gibt und jetzt
weiß ich plötzlich, dass ich schon unendlich lange damit gequält worden bin
und dass da ein Riesenproblem ist. Das
ist die tolle Idee der Politik, das Unwahrscheinliche wahrscheinlich zu machen,
so dass wir uns für die Politiker interessieren und uns dann mit dieser einen
Stimme zufrieden geben, die wir alle vier
Jahre haben.
Die Massenmedien haben eine andere
Technik, die haben ja dasselbe Problem,
Aufmerksamkeit zu faszinieren, denn
man könnte ja auch etwas anderes
machen, als fernsehen. Nun, wie machen
die das? Die haben eine andere Technik,
nämlich Skandal und Sensation. Falls
Pressevertreter hier sein sollten und sich
hier melden würden, würden sie sagen,
dass das überhaupt nicht stimmt. Skandal und Sensation interessiert uns nicht,
wir wollen die Menschen nur aufklären
und informieren und nur diese sogenannte yellow press, die Bildzeitung, die
mit uns sowieso nichts zu tun hat, die
machen das. Aber der Rest der Journalisten, der macht das nicht. Nun, da muss
ich dann doch einen Schritt zur Seite
treten und sagen, von außen betrachtet
nehme ich das ganz anders wahr. Es geht
fast nur um Sensationen und Skandale
– Oettinger wäre jetzt ein wunderbar aktueller Fall. Das ist natürlich Gold wert für
die Presse, für die Seriöse genau wie für
die andere. Die Möglichkeit, ein Gesicht,
einen Namen und eine kleine einfache
Geschichte mit einer simplen Zurechnung zu verbinden – der Mann muss
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fertiggemacht werden – etwas Schöneres
als einen Skandal, eine Sensation gibt
es für die Massenmedien einfach nicht.
Deshalb ist der Idealzustand für die
Massenmedien der Krieg, es gibt nichts
Besseres für die Massenmedien. Das hat
mit Zynismus von meiner Seite nichts zu
tun. Jeder, der realistisch über Massenmedien nachdenkt – meine eigenen
Kollegen von den Medienwissenschaften
würden mir da sicher zustimmen – sieht
nach kurzer Betrachtung, dass in der Tat
die Massenmedien durch Sensation und
Skandal genau diese Leistung erzeugen,
Aufmerksamkeit zu faszinieren.
Nun, die Wirtschaft wäre natürlich
schlecht beraten, von den Massenmedien zu lernen und ständig Skandale
und Sensationen zu erzeugen und die
Wirtschaft kann sich auch nicht der
politischen Taktik bedienen, nämlich
ständig Probleme zu erfinden. Die Wirtschaft muss also eine andere Technik
entwickeln, um die knappe Ressource
Aufmerksamkeit zu faszinieren und zu
fokussieren. Das tut Sie meines Erachtens mit fortschreitendem Erfolg in den
letzten Jahren, indem sie die Produkte,
die sie verkauft oder auf den Markt
bringt, mit einem spirituellen Mehrwert
versieht. Das ist meines Erachtens die
Art und Weise, wie die Aufmerksamkeit
der Kunden heutzutage fasziniert werden
kann. Das wäre einen eigenen Vortrag
wert, denke ich – was spiritueller Mehrwert genau und im Einzelnen besagt. Ich
will Ihnen nur Symptome nennen, die
Sie leicht nachvollziehen können. Wenn
heute Produkte auf den Märkten angeboten werden, auf ganz soliden Konsumgütermärkten, dann wird gar nicht mehr
die sachlich-technische Produktqualität
primär angepriesen, sondern es wird mit
diesem Produkt einhergehend eine Art
Lebensphilosophie verkauft.
Nehmen Sie mal etwas, wo es scheinbar rein um Technik geht, ein gutes
deutsches Auto. Wenn heute ein gutes
deutsches Auto verkauft wird, wird gar
nicht mehr oder nur noch am Rande
über die Technik geredet, sondern über
Gefühle. Audi-Werbung „We believe the
only way to build a car is with our soul,
the soul of audi” – toll, oder? Ein Auto
wird mit der Seele gebaut, nicht mit
Technik oder Industrierobotern, sondern
mit unserer Seele, mit der Seele von
Audi. Schon vor zehn, fünfzehn Jahren
sagte Porsche „Lassen Sie uns heute
nicht über Technik reden, reden wir über
Gefühle“. Warum? Porsche, da braucht
man ja nur den Namen hinschreiben, ist
sowieso klar, die Technik ist die beste,
die es gibt, warum soll man da noch groß
drüber reden, ist doch uninteressant,
das sachlich-technische ist „taken for
granted“. Nicht etwa, dass die Leute sich
schlechte Produkte andrehen lassen
würden. Sie gehen prinzipiell davon aus,
dass das, was in Deutschland, in Europa angeboten wird, sachlich-technisch
hervorragend ist.
Auf dieser Ebene gibt es konkurrierende
Produkte zu ähnlichen Preisen und die
Frage, warum kaufe ich X und nicht Y,
lässt sich nicht mehr beantworten mit
diesem rationalen, ingenieursmäßigen
Hinweis auf die sachlich-technische
Produktqualität. Das ist die bittere
Lektion, die die Wirtschaft hat lernen
müssen. Bitter deshalb, weil jeder, der
etwas auf den Markt bringt, stolz ist auf
das eigene Produkt und gerade auf seine
sachlich-technische Qualität. Wie bitter
muss es für jeden ordentlichen Ingenieur
sein, sich von seiner Marketingabteilung sagen zu lassen, okay, prima, tolles
Produkt, aber so verkauft sich das nicht,
wir müssen das ganz anders verkaufen,
nämlich mit einem spirituellen Mehrwert,
mit einer Lebensphilosophie, die mit
diesem Produkt einhergeht. Wenn Sie
mir das nicht glauben, glauben Sie es
vielleicht der Financial Times, die schon
vor 1 ½ Jahren einen wunderbaren
Artikel gebracht hat unter diesem Titel
„Philosophy brands“ – Philosophie-Marken. Das heißt nicht etwa, Philosophien,
die zu Markenartikeln geworden sind,
obwohl es das mittlerweile auch gibt.
Gemeint ist tatsächlich, dass Marken als
Lebensphilosophien auftreten und sich
das verkauft. Body Shop hat das als einer
der Allerersten erkannt und lassen Sie
mich schließen mit einem Beispiel, das
mir persönlich immer sehr imponiert hat:
Die sehr Alten unter Ihnen werden sich
erinnern an die Kultmarke der 70er Jahre, an Harley Davidson. Die hatten auch
schon eine Lebensphilosophie, Easy
Rider hieß die. Diese Lebensphilosophie
Easy Rider musste dann den Niedergang
dieser grandiosen Kultmarke erleben.
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Die Firma hat so reagiert, dass die ganze
Führungsmannschaft ausgewechselt
wurde. Und man hat es in unfassbar
kurzer Zeit geschafft, dieses Motorrad
Harley Davidson wieder an die Spitze der
Weltproduktion zu führen. Alle wollten
wissen, wie habt ihr das gemacht, das ist
ja eine fantastische Leistung, wie habt
ihr das gemacht. Übrigens: Leute, die
sich für Technik interessieren, MotorradFreaks, behaupten immer wieder, man
könnte für das gleiche Geld viel bessere Motorräder von anderen Anbietern
kriegen. Ich kann das nicht beurteilen,
aber ich höre das so häufig, da scheint
etwas dran zu sein. Das nur in Klammern,
es macht die Sache nur interessanter,
wenn es so ist. Die Antwort bestand im
Wesentlichen aus einem einzigen Satz:
„Wisst Ihr, wir haben einfach aufgehört,
Motorräder zu verkaufen – wir verkaufen
jetzt nur noch eine Lebensphilosophie
und gratis gibt es ein Motorrad dazu“.
Das ist spiritueller Mehrwert, damit fasziniert man die Aufmerksamkeit der Leute
und so wird man erfolgreich wirtschaften.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld!
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