2/2009 Wolfgang Hierneis Werbung braucht Emotionen: Aber welche? Bedürfnisse als Treiber des Werbewirkungsprozesses Sonderdruck Sonderdruck Werbung braucht Emotionen: Aber welche? Bedürfnisse als Treiber des Werbewirkungsprozesses Der Autor Wolfgang Hierneis, Diplom-Volkswirt, ist Gesellschafter bei MediaAnalyzer Software & Research, Hamburg. Nach seinem Studium war er zunächst für eine Managementholding im Bereich Mergers & Acquisitions sowie Business Development tätig. Seit der Gründung von Media Analyzer 2002 beschäftigt er sich mit Werbung und deren Wirkung auf die Konsumenten. Zudem arbeitet er seit 1998 als selbständiger Berater für junge und etablierte Unternehmen. [email protected] D er wirksame Umgang mit den Gefühlen des Konsumenten ist eines der wichtigsten Gestaltungsmerkmale erfolgreicher Werbung. Gerade in Zeiten, in denen die Werbungstreibenden zunehmend offensiv eine unmittelbare Abverkaufswirkung der geschalteten Werbung einfordern und Imagegesichtspunkte demgegenüber vermehrt in den Hintergrund treten, kommt es dabei al- 1 Lebensmittelanzeigen von Meggle und Escoffier 2| planung & analyse 2/2009 lerdings auf ein vertieftes Verständnis von Emotionen an, um erfolgreiche, das heißt, abverkaufswirksame Werbung zu realisieren. Denn der reine Appell an irgendein Gefühl führt noch nicht zum Verkaufserfolg. Im Gegenteil werden wir nachfolgend einige Beispiele sehen, in denen eine hochemotionale Werbung im Hinblick auf ihre ureigenste Aufgabe, nämlich den Abverkauf zu fördern, versagt. Hierfür können letztlich zwei Irrtümer verantwortlich gemacht werden: Zum einen eine undifferenzierte Sichtweise auf Emotionen, als wenn Gefühl gleich Gefühl wäre und es auf die differenzierte Ansprache nicht ankäme; zum anderen der Glaube, dass auch hier viel mal wieder viel helfe. Beides ist falsch. Der optimale Einsatz von Emotionen in der Werbung sollte sich am klassischen Werbewirkungsprozess orientieren, bei dem die Points-of-Advertisment nicht mit den Points-of-Sale übereinstimmen (für Online-Vermarktungsprozesse gelten zum Teil andere Regeln): ● durch die Werbebotschaft soll zunächst ein Konsumwunsch beim Konsumenten ausgelöst werden; ● dieser Konsumwunsch muss in der Erinnerung verankert werden, da er in der Regel nicht sofort befriedigt werden kann; ● sobald der Konsument am Point-ofSale ist, muss der Konsumwunsch reaktiviert und in einen Kaufimpuls umgeleitet werden. In diesem Artikel soll das Augenmerk auf die Auslösung des Konsumwunsches gerichtet werden. Gerade für die komplexen Entscheidungsfindungen und Handlungsmotivationen im Zuge der Formulierung des Konsumwunsches spielen Emotionen eine zentrale Rolle. Appell an natürliche Bedürfnisse Bereits am Anfang des gesamten Werbewirkungsprozesses – bei der Auslösung von Kaufimpulsen – ist eine differenzierte Sichtweise auf die Emotionen notwendig. Denn der Appell an Gefühle an sich, führt per se nicht zu einem Verkaufserfolg. Es sei hier als Extrembeispiel an die Bennetton-Kampagnen der 1990er Jahre erinnert. Ohne Frage hatten diese sehr emotionale Inhalte, ohne Frage hatten sie sehr emotionale Reaktionen provoziert und genauso fraglos hatten sie mit Blick auf den Abverkauf nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Auch wenn man nicht auf diese Beispiele einer beabsichtigten Schockwerbung zurückgreifen will, bleibt doch festzuhalten, dass in der Werbung offenbar immer wieder aus dem Blick verloren wird, welche Gefühle denn nun letztlich für den Konsumwunsch wirklich verantwortlich sind. Es ist vor allem eine Kategorie von Emotionen, aus denen heraus Menschen zu Konsumhandlungen motiviert werden und das sind ihre Bedürfnisse. Bedürfnisse basieren letztlich auf der Empfindung eines Mangels und stellen somit den Wunsch dar, diesen Mangel zu beheben. Genau dort sollte dann auch gute Werbung ansetzen. Sie sollte gezielt einen Appell an die Bedürfnisse der Konsumenten richten und das beworbene Produkt als Lösung für das Bedürfnis präsentieren. Dies ist an sich relativ unkompliziert dort möglich, wo naturgegeben Bedürfnisse der Konsumenten existieren. Als ein unmittelbares Beispiel für diese Art natürlicher Bedürfnisse kann das Bedürfnis nach Nahrung angesehen werden. Gerade in der Lebensmittelwerbung zeigt sich daher exemplarisch besonders schön, wie gut Werbung funktioniert, wenn sie klar auf das zugrundeliegende Bedürfnis der Konsumenten abzielt und wie nachteilig es ist, dieses Ziel aus den Augen zu verlieren. Im Rahmen einer Studie, die wir mit 300 Befragten zu 24 Anzeigen der Lebens- www.planung-analyse.de Sonderdruck Kurzfassung Besonders wichtig bei der Gestaltung erfolgreicher und damit abverkaufsstarker Werbung ist der wirksame Umgang mit Emotionen. Emotionen sind aber nicht gleich Emotionen und ein Appell an die Gefühle der Konsumenten führt nicht unweigerlich zum Verkaufserfolg. Um Konsumwünsche zu wecken und darüber Kaufimpulse auszulösen, muss die Werbung an die Bedürfnisse der Konsumenten appellieren. Dabei kann die Werbung dort, wo für ein Produkt ein natürliches Bedürfnis existiert, dieses direkt ansprechen. Anderenfalls muss ein Produkt über die Werbung mit einem natürlichen Bedürfnis in Verbindung gebracht werden. Hierbei gilt es, eine plausible Verknüpfung von Produkt und Bedürfnis herzustellen, damit die Werbung glaubwürdig erscheint. mittelwerbung durchgeführt haben, zeigten sich hinsichtlich der Kaufabsicht deutliche Ergebnisse. Diejenigen Anzeigen, die das Produkt in hochwertiger, möglichst essbarer Form und in großer Fülle in das Zentrum der Darstellung rückten, also unmittelbar an das Nahrungsbedürfnis appellierten, haben durchweg die höchsten Werte erzielt. Hingegen fielen Anzeigen, die das nicht taten, auch wenn sie an andere Emotionen appellierten, deutlich zurück. Als Beispiel seien die beiden Anzeigen für Meggle Kräuterbutter und Escoffier Kürbiscremesuppe genannt (siehe Abbildung 1). Meggle erzielt mit 63 Prozent die positivste Bewertung unter den getesteten Anzeigen, während Escoffier mit neun Prozent 2 Screenshots erotischer TV-Spots von Coca Cola und Diesel 3| planung & analyse 2/2009 auf dem vorletzten Platz landete. Dabei arbeitet auch die Escoffier-Anzeige durchaus mit Emotionen, nur richten sich diese ganz offenbar eben in den Augen der Konsumenten nicht ausreichend an das hier relevante Bedürfnis. Die Fokussierung der Werbung auf das zugrundeliegende Bedürfnis und die Umsetzung in einer dem Sujet angemessenen und ansprechenden Weise, stellt dahingegen eine gute Grundlage für den Verkaufserfolg dar. Transfer von Bedürfnissen Dies führt unmittelbar zu der Frage, was denn zu tun sei, wenn für ein Produkt kein natürliches, naheliegendes Bedürfnis existiert, an dass die Werbung appellieren könnte. Wie kann Werbung vorgehen, wenn sie Bedürfnisse erst künstlich wecken muss? Zur Beantwortung dieser Frage sollte man sich zunächst einmal bewusst machen, dass man Bedürfnisse nicht neu erschaffen kann. Das System der menschlichen Bedürfnisse ist von Natur aus vorprogrammiert und kann nicht künstlich um beliebige, zusätzliche Bedürfnisse erweitert werden. Vielmehr handelt es sich bei dem, was man unter Bedürfnisweckung versteht, tatsächlich um einen Transfer. Bestehende natürliche Bedürfnisse werden aufgegriffen, um sie dann, über den Weg der Werbung, mit dem entsprechenden Produkt in Verbindung zu bringen. Es wird also suggeriert, dass das beworbene Produkt für diese nicht naheliegenden Bedürfnisse dennoch eine Lösung darstellt. Zunächst bleibt daher die Anforderung: Es muss an ein Bedürfnis appelliert werden. Dieser Appell muss allerdings um einen weiteren Schritt ergänzt werden: Es muss plausibel und überzeugend vermittelt werden, wieso das Produkt eine Lösung für das nicht naheliegende Bedürfnis darstellt. Damit hängt aber wiederum auch der zweite Schritt von der emotionalen Wirkung der Werbung ab, denn rein sach- liche Argumente alleine haben in aller Regel wenig Überzeugungskraft. Für die Werbung liegen hierin Herausforderungen, die allerdings auch erhebliche Risiken mit sich bringen können. Dies lässt sich gut am Beispiel des Einsatzes von Erotik in der Werbung verdeutlichen. Sexualität ist ein sehr starker Trieb und die mit ihr verbundenen Bedürfnisse können kräftige Konsumwünsche wecken. Konsumenten wollen natürlich gern Produkte erwerben, die ihnen ein dem Sexuellen ähnliches Erleben versprechen, oder durch deren Konsum sie in ihren eigenen Augen und denen anderer an erotischer Ausstrahlung gewinnen. Das Problem liegt allerdings darin, diesen theoretisch wirksamen Transfer auch praktisch erfolgreich in der Werbung umzusetzen. Die erste Klippe ist die Intensität der Darstellung, denn der Transfer eines nicht naheliegenden Bedürfnisses auf ein Produkt bedarf immer einer sehr starken und intensiven Darstellung, damit sie wirksam wird. Diese Intensität birgt jedoch die Gefahr der Überlagerung der eigentlichen Werbebotschaft. In zwei Studien aus den Jahren 2005 und 2008 zur Erotik in der Werbung konnten wir ableiten, dass erotische Werbung zu emotionalen Reaktionen führen kann, die das eigentliche Werbeziel konterkarieren. Dabei wurden teilweise durch die Erotik die eigentlichen Werbeaussagen zu Produkt und Marke so verdrängt, dass sie nicht mehr ausreichend wahrgenommen und erinnert wurden. Oder aber die zu intensive erotische Darstellung führte sogar zu einer moralisierenden Ablehnung, durch die wiederum eine Wahrnehmung von Produkt und Marke beeinträchtigt wurde. Eine weitere Klippe liegt in der intuitiven Glaubwürdigkeit des Transfers. Sexualität ist sicher ein sehr starkes Bedürfnis, aber es muss eben auch zum Produkt passen, damit der Transfer funktioniert. Liegt das Produkt in der Wahrnehmung der Konsumenten zu weit weg von dem Bedürfnis, an das es gekoppelt werden soll, dann wird der Transfer intuitiv abgelehnt, die Werbung erscheint unglaubwürdig. Dabei hängt das, was als glaubwürdig gelten kann, durchaus vom einzelnen Produkt ab. Coca-Cola konnte nach unserer Studie mit erotischer Werbung erfolgreich das Produkt Coke light platzieren, Diesel gelang das mit seinem Parfum hingegen nicht besonders gut (siehe Abbildung 2). www.planung-analyse.de Sonderdruck Abstract For the design of successful and therewith sales-boosting advertisement, the effective handling of emotions is of particular importance. Emotions, however, are not all alike, and to appeal to the customer‘s emotions does not inevitably lead to better sales. To arouse consumption desires and release purchase impulses, the advertisement needs to appeal to the customer‘s requirements. Where there is a natural requirement for a product, the advertisement can directly address it. Otherwise, the product must be related to a natural requirement by the advertisement. Here, it is necessary to create a plausible relation between product and requirement to make the advertisement seem credible. Es mag interessant sein, sich die Gründe hierfür einmal genauer anzusehen. Gerade TV-Werbung ist ja das klassische Instrument, um emotionale Wirkungen zu erzielen, dort kommt es dann aber auch darauf an, dass die Inszenierung richtig umgesetzt wird. Für den Diesel-Spot konnte durch EmotionTracking nachgewiesen werden, dass der emotionale Spannungsbogen des Spots sehr flach und sehr zerrissen ausfiel. Gerade dieser Spannungsbogen stellt aber ein wichtiges Element guter emotionaler Wirksamkeit dar. Gefühle sollen ja nicht nur einmalig ausgelöst, sondern auch über den TV-Spot hinweg aufrecht erhalten werden, damit überhaupt ausreichend Zeit vorhanden bleibt, um den Transfer im Kopf des Betrachters auszulösen und wirksam werden zu lassen. Flacht die Emotionskurve hingegen zu schnell ab oder schwankt sie zu stark, dann fällt die Transferwirkung automatisch deutlich geringer aus. Zusätzlich zeigte der Diesel-Spot beim Spannungsbogen noch eine weitere Schwäche. Denn ein wesentlicher Erfolgsfaktor für emotionalen Transfer ist, dass die Emotionen des Betrachters gerade am Ende des TV-Spots, noch einmal besonders nachdrücklich angesprochen werden. Allerdings verstoßen sehr viele TV-Spots gerade gegen diese Regel, da am Ende meist die Produktpräsentation steht, die natürlich deutlich weniger emotional wirkt, als die vorher erzählte Story. Beim Diesel-Spot gelang es nun nicht nur nicht, die Emoti- 4| planung & analyse 2/2009 onen in einem Spannungsbogen zu halten, sondern es war auch gerade am Ende des Spots noch einmal ein deutlicher Einbruch der Emotionalität zu verzeichnen. Ganz anders wirkte der Coca-Cola-Spot. Dort wurde durchgehend, sowohl bei Frauen als auch bei Männern, ein konstant hohes emotionales Involvement gemessen. Zugleich gelang es mit ihm auch sehr gut, gerade am Ende die Emotionen der Betrachter noch einmal gezielt anzusprechen, so dass das Exit-Priming optimal erreicht wurde. Aber auch in einer anderen Hinsicht war der Coke-Spot deutlich besser gestaltet. In ihm wurde das Produkt nahtlos in die Story integriert und war auf diese Weise die ganze Zeit über visuell präsent. Damit war über den gesamten Spot hinweg eine sehr intensive Verbindung zwischen Story, Emotionen und Produkt gewährleistet. Die vertiefte Analyse der Schlüsselsequenzen der Spots durch AttentionTracking ergab zudem, dass die zentralen Elemente im Coke-Spot besser eingebettet und auf die emotionale Wirkung der Szenen abgestimmt waren. Dies ist für die kognitive Verarbeitung der Werbebotschaft von großer Bedeutung. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die emotionale Wirkung die Werbebotschaft soweit überlagert, dass wesentliche Elemente der Werbebotschaft nicht mehr wahrgenommen werden. Diese Gefahr wurde auch in der früheren Studie durch die Befragungen bestätigt, die gerade bei einer zu starken Emotionalität der Wer- bevorlagen in einer Vielzahl von Fällen einen negativen Effekt auf die Produktund Markenerinnerung aufzeigten. Hierbei ist natürlich zu bedenken, dass die positive wie negative Wirkung eines so starken emotionalen Stimulus wie der Erotik immer deutlich höher einzuschätzen ist, als die anderer emotionaler Stimuli. Dennoch bedarf es auch bei anderen Bedürfnistransfers eines ausgewogenen Vorgehens, damit die Werbung effizient und abverkaufsorientiert funktioniert. Optimierung der Wirkung Aus diesen Ergebnissen alleine zeigt sich, dass das Spiel mit Emotionen einer sehr klar strukturierten und fein abgestimmten Choreografie bedarf, damit der gewollte Werbeerfolg auch tatsächlich erreicht wird und damit ungewollte Nebenwirkungen vermieden werden können. Damit emotionale Werbevorlagen optimal funktionieren, sollten sie daher Kreativität und gezielte Wirkungseffizienz in sich vereinen. Unumgängliche Voraussetzung für die Optimierung der Effizienz ist dabei die Wirkungsanalyse, die in der Kombination aus toolbasierten, impliziten Messungen, wie dem EmotionTracking und dem AttentionTracking, sowie strukturierten Befragungen in einer großen Stichprobe durchgeführt werden sollte. Nur so können hinreichend sichere, unverzerrte Aussagen darüber geliefert werden, wie die emotionale Wirkung in der angestrebten Zielgruppe ausfällt und durch welche visuellen und gestalterischen Layout-Änderungen sie weiter gesteigert werden kann. Die systematische Optimierung der Werbewirkung, im Übrigen nicht nur der emotionalen, sondern durchaus auch der kognitiven Werbewirkung, leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, dass Werbung ihre zentrale Aufgabe, nämlich die Förderung des Abverkaufs, optimal erfüllen kann. AttentionTracking ist eine eingetragene Marke. www.planung-analyse.de