Wie lang dauert ein Tennisspiel? (Angewandte Stochastik)

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Wie lang dauert ein Tennisspiel? (Angewandte
Stochastik)
F. Rendl, Universität Klagenfurt, Institut für Mathematik
28. Mai 2003
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Elementare Wahrscheinlichkeiten
Bei einfachen Zufallsprozessen geht man von folgendem Modell aus: Gegeben sind eine Menge
von Zuständen, sowie die Wahrscheinlichkeit, von einem zu einem anderen Zustand zu gelangen.
Die Wahrscheinlichkeit, bei Start im Zustand A in den Zustand B zu gelangen, ist dann
gegeben durch die Summe über alle Wahrscheinlichkeiten, um von A nach B zu gelangen. Es
wird also über alle Wege von A nach B summiert.
Beispiel 1.
Beispiel 2.
Falls diese Zustände wirtschaftlichen Prozessen entsprechen, so ist die folgende Art von
Fragestellung nahe liegend:
Wie lange dauert es im Schnitt, bis ein Produktionsgang fertig ist? Kann bei gezieltem Eingriff in die Prozessabfolge der Erwartungswert für die Dauer der Produktion reduziert werden?
Diese Art von Fragestellungen werden anhand eines sehr einfachen Modells für den Ablauf
eines Tennisspiels untersucht, und mit elementaren Methoden (Mittelschulstoff) gelöst.
2
Kreise können Schwierigkeiten verursachen
Enumeration aller Wege bei Vorhandensein von (gerichteten) Kreisen ist im Allgemeinen schwer.
Das folgende Beispiel veranschaulicht dies: Es gibt unendlich viele verschiedene Wege, um von
2 nach 5 zu gelangen, abhngig davon, wie oft die einzelnen Kreise durchlaufen werden.
Beispiel 3.
Mathematisch führt dies in die Theorie von stochastischen Prozessen, im einfachsten Fall
Markovketten. Deren Analyse erfordert dabei Kenntnisse aus der Matrixanalysis, die das Schulniveau bei weitem übersteigen.
Im Folgenden soll gezeigt werden, wie weit man durch einen ad-hoc Zugang kommen kann.
Dies erfolgt durch die Enumeration der Wege von den Startkonten zu den Zielknoten.
Beispiel 4.
Beispielsweise lt sich die Anzahl der Wege bei einem Tennisspiel durch Binomialkoeffizienten ausdrcken (siehe Anhang). Dies wird im Folgenden verwendet, um die Gewinnwahrscheinlichkeiten eines Tennisspieles unter sehr einfachen Annahmen zu ermitteln.
2
3
Analyse eines Tennisspiels
Ein Tennismatch ist unterteilt in Sätze, diese in Spiele, und ein Spiel in Punkte.
Ein Spiel ist gewonnen, sobald ein Spieler mindestens 4 Punkte erhalten hat, und dabei zumindest 2 Punkte Vorsprung auf den Gegner hat.
Der mögliche Spielverlauf nach den ersten 3 Punkten verläuft dabei wie in Beispiel 4 angegeben.
Der gesamte Spielverlauf findet sich in der Skizze im Anhang.
Ein Satz ist beendet, sobald ein Spieler mindestens 6 Spiele gewonnen hat, und dabei einen
Vorsprung von mindestens 2 Spielen hat. Beim Stand von 5:5 sind daher für einen Sieg 2
gewonnene Spiele hintereinander erforderlich, oder der Satz wird durch tie-break entschieden.
Dieses tie-break wird beim Stand von 6:6 gestartet. Für dessen Gewinn sind 7 gewonnene
Punkte, mit zumindest zwei Punkten Vorsprung auf den Gegner erforderlich.
Ein Tennismatch ist gewonnen, sobald ein Spieler zwei Sätze gewonnen hat. (Bei großen
Turnieren wird manchmal auch auf 3 gewonnene Sätze gespielt.)
Wir wollen nun annehmen, daß Spieler A einen Punkt mit Wahrscheinlichkeit p gewinnt, und
diese Wahrscheinlichkeit wird über den gesamten Spielverlauf als konstant angenommen. (Über
die Sinnhaftigkeit dieser Annahme kann man lange diskutieren, aber der Einfachheit halber wird
sie jetzt zugrunde gelegt.)
4
Analyse: Gewinnwahrscheinlichkeit von A
Wir wollen untersuchen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß Spieler A ein Spiel gewinnt.
Weiters soll untersucht werden, wie lang ein Spiel im Schnitt dauert.
q := 1 − p. GA,k sei die Wahrscheinlichkeit für Gewinn von Spieler A nach k Punkten.
GA,4 = p4 . (4 gewonnen Punkte hintereinander)
GA,5 = 4p4 q
GA,6 = 10p4 q 2
Falls das Spiel nach 6 Punkten nicht beendet ist, so muß es nach 6 Punkten 40:40 stehen,
siehe Skizze. Dies tritt mit Wahrscheinlichkeit
r = 20p3 q 3
3
ein. Wir bezeichnen mit E6 die Wahrscheinlichkeit fr Einstand nach 6 Punkten, also:
E6 = 20p3 q 3
In diesem Fall ist der weitere Spielverlauf wie im zweiten Teil der Skizze gegeben. E bedeutet
dabei Einstand, und V Vorteil für den einen oder anderen Spieler. Es gilt dann:
GA,7 = 0. (Kein Spiel kann nach 7 Punkten beendet sein.)
GA,8 = rp2 = 20p5 q 3 ,
E8 = 2rpq = 40p4 q 4 .
GA,10 = p2 E8 = 40p6 q 4 .
Insgesamt gewinnt daher A mit der Wahrscheinlichkeit
GA = GA,4 + GA,5 + GA,6 + GA,8 + GA,10 + . . . .
Dabei führt GA,8 + GA,10 + . . . auf folgende geometrische Reihe:
20p5 q 3 + 40p6 q 4 + 80p7 q 5 + . . . =
= 20p5 q 3 (1 + 2pq + (2pq)2 + (2pq)3 + . . . =
= 20p5 q 3 /(1 − 2pq).
Die Reihe konvergiert, weil 2pq ≤ .5 (Beweis als Aufgabe. Hinweis: Ansatz: p = .5 + x, q =
.5 − x.)
Spieler A gewinnt daher mit Wahrscheinlichkeit:
GA = p4 + 4p4 q + 10p4 q 2 +
5
20p5 q 3
10q 2
= p4 (1 + 4q +
).
1 − 2pq
1 − 2pq
Analyse der Spieldauer
In hnlicher Weise lt sich auch die Dauer eines Spieles analysieren: Dk sei die Wahrscheinlichkeit,
daß ein Spiel nach k Punkten beendet ist. Klarerweise ist D1 = D2 = D3 = D7 = D9 = D11 =
. . . = 0.
D4 = p 4 + q 4
(entweder gewinnt A oder B)
D5 = 4(p4 q + pq 4 ),
D6 = 10(p4 q 2 + p2 q 4 ).
Die weiteren Werte sind:
D8 = 20(p5 q 3 + p3 q 5 ) = 20p3 q 3 (p2 + q 2 )
4
D10 = 20p3 q 3 (p2 + q 2 )(2pq), . . .
Falls wir mit D den Erwartungswert für die Dauer bezeichnen, so gilt
D = 4D4 + 5D5 + 6D6 + 8D8 + 10D10 + . . .
Betrachten wir zuerst die unendliche Summe
8D8 + 10D10 + 12D12 + . . . =
h
i
20p3 q 3 (p2 + q 2 ) 8 + 10(2pq) + 12(2pq)2 + . . . =

40p3 q 3 (p2 + q 2 ) 

X
(2pq)k−1 (k + 3)
k≥1
Hier ist folgende Betrachtung hilfreich:
X
xk =
k≥0
1
, falls |x| < 1.
1−x
Gliedweise Differentiation auf beiden Seiten ergibt (nach Vertauschen der Grenzübergänge,
welcher mathematisch gerechtfertigt werden muß)
X
kxk−1 =
k≥1
1
.
(1 − x)2
Nach Einsetzen aller Werte, und kleinen Vereinfachungen, wie
1 − 2pq = p2 + q 2
ergibt sich
D = 4p4 (1 + 5q + 15q 2 ) + 4q 4 (1 + 5p + 15p2 ) + 40p3 q 3 (3 +
1
).
1 − 2pq
Für p = .5 ergibt sich somit eine durchschnittliche Dauer von 6.75 Punkten.
Literatur: P. Bardy: Mathematische Modellbildungen und Computersimulationen als rationale Grundlage für Entscheidungen im Tennissport, Didaktik der Mathematik 21, 207-222,
1993.
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Anhang
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