Geschichte Oberstufe C. Warlo Verfassungsstruktur der späten römischen Kaiserzeit (Dominat) (aus: Franz-Josef Schütz: Geschichte – Dauer und Wandel. Von der Antike bis zum Zeitalter des Absolutismus. 1990 Cornelsen Verlag, Berlin; S.60-61) 5 10 15 20 25 30 35 Diokletians erfolgreiche politische Reform praktizierte einen „Regierungspluralismus": das geregelte Nebeneinander mehrerer Kaiser im Reich. Der Kaiser ernannte 286 seinen Kriegskameraden Maximian zum Mitkaiser – vermutlich auch, um einer Empörung vorzubeugen –, und jeder der beiden „Augusti" erhielt einen „Kaiseranwärter", „Caesar" genannt. Diese Viererherrschaft nennt man „Tetrarchie". Diokletian beanspruchte in diesem System die Vorherrschaft, was schon dadurch zum Ausdruck kam, dass er seine Stellung in einen Zusammenhang mit dem höchsten römischen Gott Jupiter brachte, während sein Mitkaiser „nur" Herkules als göttliche Verbrämung erhielt. Die Aufspaltung der kaiserlieben Herrschaft – etwa zwischen dem Kaiser und seinem Nachfolger – war nicht neu. Diokletian aber entwickelte diese Übung zu einem System. Jeder Herrscher war für seinen eigenen Herrschaftsbereich zuständig, aber die vier Herrscher koordinierten ihre Politik. So konnte die Reichseinheit durch die Aufteilung nicht in Frage gestellt werden. Der Regierungspluralismus führte selbstverständlich zu einer Vervierfachung der Palastund Hofhaltung, der kaiserlichen Kanzlei und der Praetorianer, der Leibgarde des Kaisers. Nur wenige Herrscher verzichteten auf dieses Verfassungssystem. Es waren jene, die sich stark genug fühlten, das riesige Reich allein zu beherrschen: Konstantin (324-337), Constantius (353-360) und Theodosius (394-395). Im 3.Jahrhundert waren die römischen Bürger oft vom Staat ausgepresst worden. Diokletian legte nun genau fest, was die Beamten von den Bürgern einziehen konnten. Um diese Steuereintreibung effektiv zu machen, ordnete er an, dass die Einwohner des Reiches erblich an ihren sozialen Stand zu binden waren – an ihren Beruf und an ihren Wohnort. So standen sie für steuerliche Lasten jederzeit bereit. Die immer höheren Abgaben wurden nur widerwillig entrichtet. Folglich wurde die Bürokratie ausgeweitet, was neue Belastungen nach sich zog. So wurde das römische Reich zum Beamtenstaat, der alles regulierte und kontrollierte. Einer effektiveren Reichsverwaltung diente auch Diokletians Einrichtung neuer Verwaltungssprengel. Das Reich wurde in 12 Verwaltungsbezirke (Diözesen) eingeteilt, denen mehrere (bis zu 17) neue und kleine Provinzen als „untere Verwaltungseinheiten" zugeordnet wurden. Aber diese waren nicht Provinzen im früheren Sinn. Die gewaltige Bürokratie fand ihre Spitze in den verschiedenen Ministerien und Ämtern am kaiserlichen Hof, von denen der Haus- und Hofmeister, der Personalchef (magister officiorum) und der Präfekt der Praetorianer, der auch der Vorgesetzte der Provinzstatthalter war, besonders heraushoben waren. Zivilund Militärgewalt, bisher mehr oder weniger eng miteinander verwoben, -wurden unter Diokletian streng voneinander getrennt, auch die entsprechenden Beamten- bzw. Soldatenlautbahnen scharf voneinander geschieden. Auch die Heeresreform Diokletians verfestigte bereits bestehende Tendenzen. Die Rekrutierung der Soldaten erfolgte ausschließlich aus den Reihen der Landbevölkerung, die RömischeVerfassung_Dominat.doc Seite 1 von 2 Geschichte Oberstufe 5 10 15 20 C. Warlo eine bestimmte Anzahl von Soldaten stellen musste, wie sie auch Geld oder Naturalien abzuliefern hatte. Weil das Ergebnis solcher Rekrutierung dürftig war, ging die Armee dazu über, die Soldaten aus Grenzgebieten anzuheuern, wo viele kräftige „Barbaren" lebten. Am meisten wurden Männer aus jenen Völkern geschätzt, die jenseits der Grenzen lebten und keine römischen Bürger waren, z.B. die Germanen. Die Stämme entsandten sogar ihre jungen Männer häufig selbst als Söldner in römische Dienste. Diese „Barbarisierung" stärkte die militärische Kraft Roms beträchtlich. Der Kaiser war nach wie vor in erster Linie oberster Heerführer, sein Hof militärisches Hauptquartier, möglichst nahe bei den vermuteten Kriegsschauplätzen. Dadurch verlor die Stadt Rom ihre zentrale Bedeutung im Reich. Zu neuen Residenzen wurden die eher am Rande liegenden Städte Nikomedia, Mailand, Trier und York ausgebaut, später auch Konstantinopel. Unbestrittener Mittelpunkt des Reiches war jetzt ganz offen die Person des Kaisers. Weil er seine Residenz nicht mehr in Rom hatte, war der Senat funktionslos geworden, und auch die Vorherrschaft Roms und Italiens war sichtbar beendet, Das Zeremoniell um den Kaiser herum war bereits im 3. Jahrhundert vorsichtig entwickelt worden; jetzt strebte man offen danach, dem Herrscher über das Reich ein hohes Maß an Würde zu verleihen. Die Untertanen durften sich ihm nur noch auf Distanz nähern und er selbst begann, stark ritualisiert zu leben. Seine. Bezeichnung auf Münzen lautete: deus et dominus – Gott und Herr. Von dominus leitet sich die Bezeichnung für das Verfassungssystem ab: „Dominat". Der spätantike römische Staat war also eine „Zwangsanstalt" geworden; er organisierte jede notwendige Handlung selbst und kontrollierte sie.[…] RömischeVerfassung_Dominat.doc Seite 2 von 2