Die Kindheit des Kosmos

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01 O-Ton Gottlöber 5s
Wir wissen, wie das Universum vor 13 Milliarden Jahren ausgesehen hat, aber 13
Milliarden Lichtjahre von uns entfernt.
02 O-Ton Steinmetz 10s
Das intergalaktische Medium ist ein sehr dünnes Gas zwischen den Galaxien. Dünn heißt:
Weniger als ein Atom pro Kubikzentimeter an Materie finden wir dort.
03 O-Ton Richter 10s
Naja, wenn man sich Gedanken macht, wie das Universum aufgebaut ist, muss man sich
Gedanken darüber machen, wie die Materie verteilt ist im Universum und wie die Materie
in die Galaxien kommt.
Regie: (Schallplatte, zarte sphärische Weltraummusik)
Sprecherin 1
Eine Spiralgalaxie von oben: Sterne, Nebel, dahinter tiefes Schwarz. Eine in sich ruhende,
unveränderliche Welteninsel.
Regie: Cut / Schallplattenkopf hart gestoppt
04 O-Ton Richter 29s
Galaxien so wie die Milchstraße sind dynamische Objekte, das heißt, sie entwickeln sich
über die Milliarden Jahre. Und die Milchstraße wird sich auch noch weiterentwickeln, wir
sind noch nicht eine Galaxie, die fertig ist, sondern wir entwickeln uns immer weiter, d.h.
die Milchstraße sammelt von außen Gas ein aus dem intergalaktischen Raum. Dieses Gas
strömt in Richtung der Milchstraße. Und wenn es auf die Scheibe fällt, wird es eingebaut in
unsere galaktische Scheibe und dort wird dieses Material benutzt, um neue Sterne zu
bilden.
Sprecherin 2
1
Philipp Richter ist Astrophysiker und leitet an der Uni Potsdam die Arbeitsgruppe
"Interstellares und Intergalaktisches Medium". Er beschäftigt sich mit einer Komponente
des Universums, die lange Zeit in tiefer Dunkelheit lag: Ein hauchdünnes Gas, das den
gesamten Kosmos durchzieht.
Regie: Sonifikation ab 3:33
Zitator
Kapitel 1. Das gemessene Universum oder: die lange Geschichte einer großen Leere
Sprecherin 1
Wenn wir mit Teleskopen hinaus schauen in die Weiten des Alls, dann sehen wir
Spiralgalaxien und elliptische Galaxien; Sterne, die entstehen und in SupernovaExplosionen vergehen, wir sehen einen Zauberwald aus roten Riesen und weißen
Zwergen, Planeten, die unserer Erde sehr ähnlich sind und solche, die mit unserer kleinen
blauen Insel nichts gemein haben. Wir sehen Meteoriten, Asteroiden und ein wenig Staub.
Den größten Teil aber sehen wir nicht.
Regie: Musik
Sprecherin 1
Dabei geht es nicht um die unbekannten Komponenten im Universum, die dunkle Materie
und die dunkle Energie, sondern um die ganz gewöhnliche Materie, aus der alles um uns
herum besteht. Der Wasserhahn ebenso wie das Mondgestein, das Brillengestell oder die
Sonne. Gerade einmal fünf Prozent des Universums bestehen aus dieser gewöhnlichen,
baryonisch genannten Materie. Doch auch von diesen fünf Prozent sehen wir nur einen
kleinen Teil.
05 O-Ton Richter 27s
Wenn wir jetzt anfangen, die Sterne, die Planeten und die gasförmige Materie in den
Galaxien zu vermessen und zu zählen, wie viel Materie z.B. in den Galaxien enthalten ist,
dann kommen wir auf eine Zahl, die deutlich geringer ist als die Zahl, die man erwarten
würde aus kosmologischen Berechnungen. Und das bedeutet, dass ein Großteil der
baryonischen Materie unsichtbar scheint. Dass sie sich eben nicht in Form von Sternen
und sichtbaren Objekten im Universum befindet, sondern in irgendeiner Weise unsichtbar
2
ist. (..)
Regie Musik Ende
Zitator
Fußnote: Historisches.
Sprecherin 1
Johannes Hartmann ist Anfang des 20. Jahrhunderts Wissenschaftler am
Astrophysikalischen Observatorium in Potsdam. Zwischen 1900 und 1903 untersucht er
das Licht dutzender Sterne, um aus ihrem Spektrum Informationen über Temperatur und
chemische Zusammensetzung der Himmelskörper herzuleiten. Dazu zerlegt der Astronom
das Licht in seine Bestandteile und untersucht die dunklen Linien, die die Gasatome der
Sternatmosphäre im Spektrum bilden. Als er das Spektrum von Delta Oriónis, einem Stern
im Sternbild Orion, betrachtet, stockt er. Wie erwartet verschieben sich die Linien wegen
der Bewegung des Sterns periodisch im Spektrum. Aber eine einzelne Calciumlinie steht
still. Wieder und wieder vermisst Hartmann die Linie bis er schließlich erkennt: Sie kann
unmöglich zu dem untersuchten Stern gehören.
Zitator
"Man wird hierdurch zu der Annahme geführt, dass sich auf der Visierlinie zwischen der
Sonne und delta Orionis an irgendeiner Stelle des Raumes eine Wolke befindet, welche
jene Absorption hervorbringt.“
Sprecherin 2
Hartmann hatte zufällig das interstellare Medium detektiert, ein Gas, das sich innerhalb
der Galaxien und zwischen den Sternen unserer Milchstraße befindet. Auch im Raum
zwischen den Galaxien, der lange als absolut leer galt, entdeckten die Wissenschaftler
schließlich eine diffuse Komponente: Das intergalaktische Medium.
Sprecherin 1
Die Geschichte dieses Mediums ist die Geschichte unseres Universums. An seiner
zeitlichen und räumlichen Entwicklung können wir ablesen, wie sich der Kosmos über die
Jahrmilliarden entwickelt hat. Aus ihm sind Galaxien entstanden, Sterne und auch unsere
3
Erde. Das Universum hat im intergalaktischen Medium seinen Fingerabdruck hinterlassen,
der uns zurückblicken lässt in die Kinderstube unseres Kosmos.
Regie: Musik
Sprecherin 1
Die Geschichte des intergalaktischen Gases ist aber auch die Geschichte einer
unvorstellbar großen Leere. In manchen Gebieten des Universums finden sich in einem
Kubikmeter Raum gerade einmal eine Hand voll Teilchen - Zustände, an die kein
Ultrahochvakuum auf der Erde auch nur annähernd heranreicht.
06 O-Ton Richter 26s
Das führt dazu, dass die Signale, die man in diesem intergalaktischen Gas erwartet,
extrem schwach sind. Das Gas füllt aber ja das ganze Universum aus, deswegen ist auch
bei dieser geringen Dichte die Masse insgesamt sehr groß, aber die dünnsten Gebiete in
diesem Gas bleiben für immer verborgen, die können wir nicht detektieren. Wir können nur
schlussfolgern, indem wir die Spitze der Eisberge sehen, dass unter der Wasseroberfläche
noch viel mehr Masse ist.
Regie: Geräusch Zurückspulen.
Musik Sonifikation 0:30
Sprecherin 2
Kurz nach dem Urknall vor über 13 Milliarden Jahren ist das Universum eine einzige
Ursuppe, ein heißes Plasma aus losen Teilchen. Noch drei Minuten nach der Entstehung
des Kosmos herrschen Temperaturen von einer Milliarde Grad - für die Entstehung von
Sternen und Galaxien ist es noch viel zu heiß. Erst nach etwa 400.000 Jahre hat sich das
Universum so weit ausgedehnt und abgekühlt, dass sich die losen Teilchen - Elektronen
und Atomkerne - zu Atomen zusammenschließen können. Sie bilden nun ein Gas, aus
dem später die ersten Sterne entstehen.
Regie: Musik hoch
4
Sprecherin 2
Fast völlig gleichmäßig ist diese Ursuppe im Raum verteilt. Aber eben nur fast. Winzige
Dichteschwankungen verstärken sich mit der Zeit immer mehr. Denn wo Materie ist, wird
Materie angezogen.
07 O-Ton Richter 27s
Die dichteren Gebiete werden immer dichter und die dünneren Gebiete geben Materie an
die Dichteren ab, so dass wir einfach Kontrastverstärkung haben über die Zeit. Und erst
ab einer bestimmten Gasdichte ist ein System selbstgravitativ, wie wir sagen, d.h. eine
solche gasförmige Region kann unter der eigenen Schwerkraft kollabieren und erst, wenn
diese Voraussetzung gegeben ist, dann bilden sich in diesem Gebiet auch Sterne oder
eben auch Planeten.
Sprecherin 2
Das intergalaktische Medium strukturiert sich, es zieht sich zu fadenförmigen Gebilden,
den Filamenten, zusammen und bildet nach und nach ein riesiges Spinnennetz aus Gas,
das sich durch den gesamten Raum zieht. Es versorgt die Galaxien, die sich in den Fäden
und Knoten dieser Netzstruktur bilden, mit neuem Baustoff, aus dem dann wieder Sterne
entstehen. Und es wird seinerseits von den Galaxien mit frischem Gas angereichert: Die in
den Sternen erzeugten schweren Elemente werden am Ende eines Sternenlebens in einer
gewaltigen Explosion ins Universum geschleudert. Bestehende Galaxien entwickeln sich
so immer weiter und verändern ihre Gestalt, genauso wie ihre Umgebung.
Sprecherin 1
Es ist ein riesiger Materiekreislauf, der seit Milliarden von Jahren im Kosmos vor sich geht.
Sprecherin 2
Und so finden die Forscher dort draußen die Elemente, die wir auch auf der Erde kennen:
Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff - oder eben Calcium, das Johannes Hartmann detektiert
hatte. In Philipp Richters Arbeitsgruppe wird das intergalaktische Gas mit einer Methode
untersucht, die den griffigen Namen Quasarabsorptionslinienspektroskopie trägt.
08 O-Ton Richter 12s
Das Prinzip ist so ähnlich wie bei einem Diaprojektor: Man hat eben eine helle
Hintergrundlampe und durchleuchtet ein Dia. Und die Information, die man sehen möchte,
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steckt eben in dem Dia, aber ohne die Lampe sieht man diese Information eben nicht.
Regie: Atmo Diaprojektor wird angeschaltet
Zitator
Exkurs. Ein Intergalaktischer Diaprojektor
Regie Geräusch nächstes Dia
Sprecherin 3
.. das ist also das Modell Zeiss Caroussel. Sie sehen ja, er ist klein und kompakt... Und
das hier ist ein intergalaktischer Diaprojektor. Auch hier sollte man natürlich am wenigsten
an der Lampe sparen. Für optimale Ergebnisse sollte man sich einfach einen schönen
hellen Quasar aussuchen, gibts ja reichlich da draußen.
Sprecherin 2
Ein Quasar ist der Kern einer aktiven Galaxie. Solche aktiven Galaxien sind sehr viel heller
als gewöhnliche Galaxien. Abgesehen von kurzzeitig sehr hellen Erscheinungen wie
Supernova-Explosionen, sind diese Galaxienkerne heller als alles andere, was in den
Weiten des Universums zu finden ist.
Wir sehen nicht die Galaxie, wir sehen schon gar nicht einzelne Sterne oder Planeten,
dazu ist sie viel zu weit von uns entfernt, aber ihr Inneres, ihr Kern, funkelt zu uns herüber.
Regie: Geräusch nächstes Dia
Sprecherin 3
Die Quasare sind eindeutig die besten Lampen, die sie für die intergalaktische
Diaprojektion bekommen können: Leuchtstark, punktförmig, also wenig Streulicht, und für
einen breiten Spektralbereich einsetzbar. Das Dia ist ja in dem Fall relativ groß, nicht wahr,
da ist das nur von Vorteil.
Sprecherin 2
Unser Dia ist das intergalaktische Gas. Es wird vom Licht des Quasars durchstrahlt. Mit
Spektrographen in Observatorien hier auf der Erde genauso wie in Weltraumteleskopen
fangen die Forscher auf, was von der Strahlung übrig ist, wenn sie uns erreicht.
6
Sprecherin 3
Für Urlaubsphotos ist das nicht das passende Gerät. Da würd ich Ihnen was Kleineres
empfehlen.
Regie: Geräusch nächstes Dia
Sprecherin 2
Die Gasatome absorbieren einen Teil des Lichts: Sie filtern bestimmte Wellenlängen
heraus. Welche Wellenlängen das sind, hängt von den Gasteilchen ab. Und es hängt
davon ab, wie weit das Gas von uns entfernt ist. Denn das Licht, das von dem Quasar
ausgeht, ändert auf seinem Weg zu uns seine Wellenlänge. Da das Universum sich
ausdehnt, während das Licht seinen oft Milliarden Lichtjahre dauernden Weg zu uns
zurücklegt, werden die Lichtwellen gestreckt.
Regie: Geräusch Martinshorn
Sprecherin 3
Projiziert wird das Ganze auf eine Leinwand, im Fall eines intergalaktischen Dias ist das
der Spektrograph. Durch ihn wird das Bild festgehalten und kann untersucht werden.
Sprecherin 2
In dem Spektrum, das wir von dem Quasar aufgezeichnet haben, befinden sich Linien, an
denen kein Licht oder kaum Licht durchgedrungen ist, weil die Atome des
intergalaktischen Gases diese Wellenlängen herausgefiltert haben. Eine Linie heißt: Hier
war intergalaktisches Gas.
09 O-Ton Richter 32s
Man erhält sozusagen eine eindimensionale.. einen Schnitt durchs Universum. Und einen
Wald an Absorptionslinien, diesen Wald muss man dann einzeln vermessen, ausmessen.
Man kann die Linien natürlich einfach zählen, man kann die Linienstärken vermessen,
man kann schauen, welche Elemente findet man in so einem Spektrum. Und dann kann
man also über die Verteilung lernen, über die Anzahl der Linien etwas über die Masse, die
Gesamtmasse lernen und man kann über die verschiedenen Elemente auch was über die
chemische Zusammensetzung dieses Gases aussagen.
7
Regie (Diaprojektor aus)
Sprecherin 1
Jedes Quasarspektrum ist ein Puzzlestück, aus dem die Wissenschaftler Informationen
darüber gewinnen, wie die Verteilung und Zusammensetzung des intergalaktischen
Mediums in einer bestimmten Blickrichtung aussieht. Schauen wir in einen
intergalaktischen Spinnennetzfaden hinein oder in eine beinah leere Masche des
kosmischen Netzwerks?
Sprecherin 2
Die Idee ist, viele Quasare in vielen verschiedenen Richtungen zu untersuchen. Und in
vielen unterschiedlichen Entfernungen, denn da die Lichtgeschwindigkeit endlich ist, ist
jeder Blick ins Universum ein Blick in die Vergangenheit, nämlich an jenen Zeitpunkt, an
dem das Licht sich auf den Weg zu uns machte. So setzen die Wissenschaftler aus vielen
Einzelteilen langsam ein riesiges Puzzlespiel zusammen, das uns am Ende ein
umfassendes Bild des intergalaktischen Mediums liefern soll.
Zitator
Kapitel 2: Das künstliche Universum
Regie: Geräusch Supercomputer/ Technische Erklärungen
Zitator (nachrichtlich)
2. Juni 2005, Fachzeitschrift Nature.
Die größte jemals durchgeführte Simulation des Wachstums kosmischer Strukturen und
der Entwicklung von Galaxien, Quasaren und Schwarzen Löchern hat jetzt eine
internationale Gruppe von Astrophysikern veröffentlicht. Die "Millennium-Simulation"
benutzte mehr als zehn Milliarden fiktive Teilchen, die jeweils eine Masse von etwa einer
Milliarde Sonnen repräsentierten, um die Entwicklung der Materieverteilung in einer
würfelförmigen Region des Universums mit einer Kantenlänge von mehr als zwei
Milliarden Lichtjahren zu verfolgen. Der Rechenvorgang beschäftigte den
leistungsfähigsten Supercomputer der Max-Planck-Gesellschaft in Garching für mehr als
einen Monat.
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Regie: Geräusch Supercomputer
Sprecherin 2
Im Keller des Leibniz-Instituts für Astrophysik in Potsdam, nicht weit weg von dem Ort, an
dem Johannes Hartmann vor über hundert Jahren erstmals interstellares Gas nachwies,
steht ein solcher Supercomputer. Matthias Steinmetz, Leiter des Leibniz-Instituts.
10 O-Ton Steinmetz 6s
Wir erzeugen sozusagen künstliche Universen im Computer und vergleichen dann das
künstliche Universum mit dem echten Universum.
Sprecherin 2
Das Universum im Supercomputer besteht aus Milliarden von künstlichen Teilchen. Bevor
die Wissenschaftler auf diese Teilchen physikalische Gesetze anwenden, geben sie ihnen
eine Geschichte mit auf den Weg: Jene kleinsten Dichteschwankungen in der fast
gleichmäßig verteilten Ursuppe, ohne die die Entstehung von Galaxien, Sternen und
Planeten wie unserer Erde undenkbar gewesen wäre.
11 O-Ton Steinmetz 9s
Das waren sozusagen die Saatkerne, aus denen sich dann Strukturen bilden konnten. Und
ab dann ist im Wesentlichen alles Gravitation: Alles, was irgendwie ein bisschen dichter ist,
klumpt zusammen und wird immer größer.
Sprecherin 2
Das intergalaktische Gas muss in diesem Klumpungsprozess, bei dem sich die Materie
strukturiert, dem Weg folgen, den ihm die dunkle Materie vorgibt. Denn so dunkel und
geheimnisvoll diese Materieform noch heute für die Wissenschaft ist, so sichtbar ist doch
ihr Einfluss auf die Struktur des Universums. Ihr Anteil im Universum ist viel größer als der
des intergalaktischen Gases, das sich unter ihrem Einfluss seit Milliarden von Jahren
strukturiert. Die Supercomputer rechnen meist einige Monate an ihren künstlich erzeugten
Universumsschnipseln - und sie kommen der Wirklichkeit schon sehr nah.
12 O-Ton Steinmetz 22s
Das funktioniert wunderbar auf den großen Skalen, wir können sagen, wir haben eine
9
perfekte Übereinstimmung auf Skalen größer als einige Millionen Lichtjahre. Sobald wir
auf die kleineren Skalen kommen, fangen die Probleme an, weil dort auch die Physik
deutlich komplexer wird zu beschreiben. Wir wissen also nicht: Ist das ein Mangel der
Theorie oder ist es ein Mangel des Verständnis’ der komplexen Prozesse, die dort
ablaufen.
Sprecherin 1
Denn die Tücke liegt im Detail und wir müssen nicht erst in die Weiten des Weltalls
blicken, um zu erkennen, dass das, was uns am nächsten ist, selten das ist, was wir am
besten verstehen.
Regie Atmo (Tippen)
Sprecherin 2
Im Büro nebenan sitzt Stefan Gottlöber vor seinem Computer. Er leitet ein Projekt, das
sich mit jenen kleinen Strukturen unserer unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft
beschäftigt.
13 O-Ton Gottlöber 44s
Das wäre dieses.. (Tippen).. wenn wir uns noch mal die Entwicklung anschauen wollen..
vielleicht hier..?
Sprecherin 2
Wie kann ich die Startbedingungen für meine Simulation durch einen Blick in unsere
nächste kosmische Umgebung, die Milchstraße und die kleinen Nachbargalaxien, so
einschränken, dass ich am Ende meiner Rechnung die Struktur erhalte, die ich da draußen
auch tatsächlich beobachte?
14 O-Ton Gottlöber 47s
ja.. Also das ist jetzt so eine Dark-matter-Simulation..und wenn man jetzt Entwicklungen
anschaut, dann sieht man: Am Anfang ist das Universum fast gleichmäßig, und dann – hier
oben läuft die Zeit - bilden sich relativ rasch kleine Knoten und dort wo Knoten sind, fließt
dann immer mehr Materie drauf, und dort wo ein großer Knoten, also eine größere
Materieanhäufung ist, da fließt entlang dieser Filamente immer mehr Materie in Richtung
10
dieser Knoten. Das sind dann diese Plätze, wo Galaxienhaufen entstehen und Objekte wie
unsere Milchstraße: Die sind in einem dieser Filamenten, wie man hier sieht. Und das sind
die dichtesten Gebiete im Universum, wo die massereichsten Objekte, die Galaxienhaufen
stehen.
Sprecherin 1
Die Forscher gehen hier den umgekehrten Weg: Nicht vom Anfang bis heute, sondern von
heute an den Anfang. Sie beobachten die Struktur unserer kosmischen Umgebung und
rechnen dann 13 Milliarden Jahre zurück, bis kurz nach dem Urknall. Mit den so
gewonnenen Anfangsbedingungen rechnen sie dann wieder vorwärts und vergleichen das
Ergebnis mit der Wirklichkeit.
15 Gottlöber 26s
Im Prinzip ist es eigentlich unmöglich. Wenn Sie beispielsweise eine große Kuhle haben
und sie lassen da eine Kugel reinrollen, dann werden Sie sehen, wie die Kugel reinrollt
und sich dann im Zentrum bewegt- in so einem Fall ist es unmöglich, praktisch und
theoretisch unmöglich, vorauszusagen aus der Bewegung der Kugel, wo sie genau
hergekommen ist, und eine ähnliche Situation haben wir im lokalen Universum natürlich
auch: Das ist ein nicht-linearer Prozess, man kann ihn nicht einfach zurückrechnen.
Sprecherin 2
Mit mathematischen Methoden kann man ihn zumindest einigermaßen zurückrechnen. Es
ist eine Näherung. Eine Variante. Ein Versuch zu verstehen, ob jene kleinen Strukturen Sprecherin 2
- ob diese kosmisch kleinen Strukturen einfach zu komplex sind oder ob es die Theorie ist,
die verbessert werden muss.
Zitator
Kapitel 3: Das erdachte Universum oder wie die Bühne zum Akteur wird
Sprecherin 1
Im Wechselspiel aus Theorie und Beobachtung stieß die Erfindung des Fernrohrs im 17.
Jahrhundert die Tür auf in ganz neue, unbekannte Tiefen des Raums und zu ganz neuen
Theoriemodellen. An die Möglichkeiten heutiger Teleskope, die uns in die früheste Kindheit
des Universums zurückblicken lassen, war die längste Zeit in der Jahrtausende alten
11
Geschichte der Astronomie und Philosophie nicht zu denken. Aber die grundsätzlichen
Fragen stellten auch die Menschen, die mit bloßem Auge in den Himmel blickten.
Sprecherin 3
Tja, hat es einen Anfang, das Universum? Hat es ein Ende? Ist es räumlich begrenzt? Und
was ist überhaupt Raum?
17 Schemmel 8s
Aristoteles diskutiert den Begriff des Ortes und sagt, ein Ort ist eine Art unbewegliches
Gefäß für Körper.
Zitator
Die unmittelbare, unbewegliche Grenze des Umfassenden - das ist Ort.
18 Schemmel 6s
Und das macht seinen Raumbegriff aus. Für ihn macht es überhaupt keinen Sinn von
Raum zu sprechen, wo nicht Körper sind.
Sprecherin 2
Matthias Schemmel, Physiker und Historiker, erforscht am Max-Planck-Institut für
Wissenschaftsgeschichte in Berlin, wie sich die Vorstellung der Menschen vom Raum und
der Welt über die Jahrtausende gewandelt hat.
19 Schemmel 9s
Und da für ihn die materielle Welt endlich ist, nämlich dieser sphärische Kosmos, der mit
der Fixsternsphäre endet, ist darüber hinaus keine Materie mehr und damit auch kein
Raum zu finden.
Sprecherin 1
Kurz: Es kann keine Leere geben.
Sprecherin 3
Und mit Leere meint er: richtig leer. Also nicht so ein hauchdünnes-intergalaktischesmedium-nur-ein-paar-teilchen-pro-kubikmeter-leer, sondern absolut leer. Nichts. So eine
Leere kann es nicht geben, sagt Aristoteles.
12
20 Schemmel 15s
Das ist ein ganz anderer Raummodell als ihn beispielsweise die Atomisten hatten, für die
der Raum eher eine Art Container war, in dem sich die Atome durch die Welt bewegen.
Zitator
Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit
gibt es nur Atome im leeren Raum.
Sprecherin 3
Klingt nach intergalaktischem Gas, is aber was anderes.
Sprecherin 1
Die Vorstellung von Atomisten wie Demokrit im 5. Jahrhundert vor Christus ist auf den
ersten Blick unserer heutigen sehr ähnlich. Doch für die Atomisten waren Raum und
Materie noch klar voneinander getrennt. Eine Vorstellung, die noch bis zum Beginn des
20. Jahrhunderts kaum in Frage gestellt wurde.
Regie: Sonifikation
Sprecherin 1
Erst mit Einsteins 1915 vorgestellten Allgemeinen Relativitätstheorie bekommt der Raum
ein völlig anderes Gesicht. Seine Gestalt und auch die der Zeit hängen nun davon ab, wie
Energie und Materie im Kosmos verteilt sind — ein fundamental neues Raumkonzept.
Jürgen Renn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte:
21 O-Ton Renn 15s
Also eigentlich ist der Raum nicht mehr die Bühne, auf der das physikalische Geschehen
stattfindet, sondern er ist Teil, er ist sozusagen Akteur, er ist mit Akteur auf dieser Bühne
und so strikt ist der Unterschied zwischen Raum und Materie dann eben nicht mehr.
Sprecherin 2
Und auch die strikte Trennung zwischen Himmel und Erde verschwindet nach und nach.
Immer neue Beobachtungen und Erkenntnisse machen die lange vorherrschende
Vorstellung unmöglich, Mond, Planeten und Sterne seien an kristallene, über die Erde
gewölbte himmlische Sphären geheftet, wo ganz andere Gesetze gelten sollten.
13
Regie: Musik
Sprecherin 2
Trotz dieser lange angenommenen unüberwindbaren Trennung von Himmel und Erde ist
auch die heutige Astrophysik nur das Ende einer langen Entwicklung. Denn die Idee,
irdische Erfahrung auf den Kosmos zu übertragen, ist wahrscheinlich so alt wie die
ältesten Mythen der Menschheit.
Sprecherin 1
Und diese Idee gilt auch für die Erfahrung des Todes: Die Menschen sterben, die Tiere warum also nicht auch die Welt?
22 O-Ton Renn 15s
Also ich habe jetzt die Bibel leider nicht zur Hand, sonst würde ich Ihnen jetzt was aus der
Apokalypse des Johannes vorlesen und da sehen Sie, dass das da überhaupt keine
Vorstellung ist, dass es immer so weiter gehen würde, im Gegenteil, da passiert schon
mächtig was, das das Ende dieser Welt bedeutet.
Zitator
Und es ward geschlagen der dritte Teil der Sonne und der dritte Teil des Mondes und der
dritte Teil der Sterne, dass ihr dritter Teil verfinstert ward und der Tag den dritten Teil nicht
schien und die Nacht desgleichen.
24 Renn 33s
Es sind natürlich Entwicklungsvorstellungen und ich kann mir vorstellen, dass man in
bestimmten Zeiten gedacht hat, die Welt sei stabil. Das ist ja auch eine angenehme
Vorstellung, wenn man denkt, die Welt sei fundamental stabil. Einstein selbst hat dieser
Vorstellung eine Zeit lang angehangen, dass die Welt ein in sich symmetrisches, ruhendes
Gebilde ist, aber da hat man sehr schnell festgestellt, das Universum dehnt sich aus, es
hat einen Ursprung, es gibt vielleicht mehrere Universen.. Also eigentlich ist das eine
uralte Vorstellung, die man vielleicht ab und zu hat versucht zu verbannen, weil es
vielleicht angenehmer ist, in so einer stabilen Welt zu leben, aber letztlich ist sie immer
wieder zurückgekehrt.
14
Regie: Sonifikation
Sprecherin 2
Heute gilt die Urknalltheorie, das Standardmodell der Kosmologie, als anerkannt.
Beobachtungen wie die Expansion des Raums und die kosmische Hintergrundstrahlung,
die von der heißen, dichten Frühphase des Universums übrig ist, haben diesem
kosmologischen Modell eine Überzeugungskraft verliehen, wie sie kein zweites vorweisen
kann.
Sprecherin 2
So komplex dieses Universum ist, der Raum und die Materie in ihm, die über
Jahrmilliarden zum kosmischen Netzwerk wurde, so verästelt ist das Wissen um den
Kosmos, das sich die Menschen über Jahrtausende angesammelt haben: Über
Generationen stattfindende Langzeitbeobachtungen des Himmels in Babylonien,
Niederschriften von Supernova-Beobachtungen im alten China, die Entwicklung der
Mathematik, die Erfindung des Fernrohrs, die Entdeckung der Expansion des Universums-
26 O-Ton Renn 22s
Deswegen hat die Kosmologie eigentlich so eine Doppelrolle: Einerseits ist sie die Welt da
draußen, die große Welt, von der wir Teil sind, und andererseits ist sie sozusagen die
Summe aller unserer Erfahrungen über die Welt. D.h. wir stellen in der Kosmologie einfach
alles das, was wir so über die Welt wissen, zusammen und versuchen, wie in so einem
Patchwork ein großes Bild daraus zu malen.
Zitator
Epilog: Das unendliche Ende der Geschichte
Regie: Geräusch: Zurückspulen der letzten Sätze
...und versuchen, wie in so einem Patchwork ein großes Bild daraus zu malen.
Sprecherin 1
Und wie sieht das Bild des intergalaktischen Mediums aus, wenn es fertig gemalt ist?
27 O-Ton Richter 5s
15
Wenn alles Gas verbraucht ist oder in Sternen gebunden ist, dann wird das Ganze ein
Ende haben.
Regie: Sonifikation 29:30
28 O-Ton Steinmetz 11s
Die Zukunft wird sogar ziemlich langweilig werden, weil: Wir wissen, das Universum dehnt
sich beschleunigt aus, und es wird sich irgendwann so schnell ausdehnen, dass unser
Sichthorizont immer kleiner wird.
29 O-Ton Richter 15s
Die Abstände zwischen den Klumpen im kosmischen Netzwerk werden immer größer sein,
so dass das Universum in einer großen Ödnis enden wird. und dann wird das Universum,
so wie es dann aussieht, für immer und ewig expandieren und sich aber nicht inhaltlich
fortentwickeln.
30 O-Ton Steinmetz 13
Also wir werden immer weniger vom Universum sehen im Vergleich zu dem, was wir heute
sehen können. Und irgendwann, in zehn, zwanzig Milliarden Jahren, können wir dann
noch nicht mal unsere Nachbargalaxie, die Andromedagalaxie, sehen, und so
verschwindet nach und nach alles.
Sprecherin 3
Nichts los hier.
31 O-Ton Richter 6s
Man ist sich ganz sicher, dass wir da schon nicht mehr leben können, zumindest nicht hier
auf der Erde, denn bis dahin ist die Sonne schon lange erloschen.
32 O-Ton Steinmetz 2s
Also wir müssen heute die Beobachtungen machen.
Sprecherin 1
Und wie lange haben wir noch?
16
33 O-Ton Richter 16s
Mmmh... 4 Milliarden Jahre. Wir werden vorher schon sterben, aber 4 Milliarden Jahre:
Dann ist Ende mit der Sonne. Vorher wird die Sonne sich als Roter Riese aufblähen –
spätestens dann wird’s ungemütlich.
Sprecherin 1
Vielleicht haben wir uns dann aber schon einen ganz anderen Platz gesucht da draußen.
34 O-Ton Renn 11s
Bereits heute wird ja darüber diskutiert, ob es nicht vielleicht besser ist, von einem
Multiversum zu sprechen, wo dann eben in diesem Universum alles langweilig wird und
dann gibt es halt noch ein paar andere Universen, wo es nicht so langweilig wird.
17
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