AIDS: Modellierung der Transmissionsdynamik des HI-Virus Anja Krüger 15.01.2013 Seminar: Mathematische Modelle in der Biologie (WS 12/13) Literatur: J. D. Murray (2002): Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition, Springer. 1 / 34 Gliederung 1 HIV-Hintergründe 2 Grundlegende Epidemie-Modelle für HIV-Infektionen in einer homosexuellen Bevölkerung 3 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie T-Zellen-Rekonstruktion 4 Fazit 2 / 34 HIV-Hintergründe – HIV führt zum erworbenen Immundefektsyndrom AIDS – HIV = Retrovirus; Replizierung nur in sich teilenden Zellen – HIV hat einige unglückliche einzigartige Eigenschaften: z.B: bei Infektionen mit dem Virus HIV-1 (häufigste Sorte) • das Fortschreiten kann ab dem ersten Tag der Infektion bis zu 10 Jahre andauern • virale Infektion durch Immunantwort beseitigt, HIV nicht 3 / 34 HIV-Hintergründe – HIV infiziert eine Klasse von weißen Blutzellen (Lymphozyten = CD4-T-Zellen genannt), aber auch andere Zellen (dendritische Zellen) – hohe Affinität für einen Rezeptor (= auf Oberfläche jeder Zelle) – CD4-T-Zellzahl = 1000/µl → Senkung auf ≤ 200/µl =⇒ AIDS – CD4-T-Zellzahl nicht einziger Faktor für die AIDS-Diagnose 4 / 34 HIV-Hintergründe Seit 1980 zahlreiche Modelle zur Beschreibung des Immunsystems und seiner Wechselwirkungen: • stochastische Modelle: – Bezug auf frühere Ereignisse in der Krankheit, wenn es wenige infizierte Zellen und eine kleine Anzahl von Viren gibt • deterministische Modelle: – Beschreibung der dynamischen Änderung der mittleren Zellzahlen – Betrachtung der Dynamik der CD4-Zellen, latent infizierter Zellen und der Viruspopulation & Auswirkung der Arzneimitteltherapie 5 / 34 HIV-Hintergründe Grundlegende Informationen über die Dynamik der HIV-Infektion fehlen: – z.B: Entwicklungszeit der Krankheit = 10 Jahre. – Annahme: Komponenten des Krankheitsprozesses auch stets langsam, aber dem ist nicht so → die Schnelligkeit der HIV-Infektion hat sich verändert 6 / 34 HIV-Hintergründe Typischer Verlauf einer HIV-Infektion Quelle: J. D. Murray: Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition, Springer 7 / 34 HIV-Hintergründe • Virale Konzentration = quasi-stationäres Niveau • Konzentration der CD4-T-Zellen im Blut sinkt → keine Krankheitssymptome Frage: Was passiert in diesem asymptomatischen Zeitraum? • Neues Medikament: 1990 Protease-Inhibitoren → Host-Virus-System wurde während des asymptotischen Zeitraumes gestört • 1994: Experiment von David Ho – 20 HIV-Patienten auf Reaktion mit Protease-Inhibitor, Ritonavir genannt → dramatische Ergebnisse 8 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Entwicklung einer AIDS-Epidemie in einer homosexuellen Bevölkerung: Voraussetzung: Gleichmäßige Durchmischung • konstante Zuwanderung empfänglicher Männer für HIV: B • Population der Größe: N(t) • Zahl der anfälligen infizierten Männer: X (t) • AIDS-Patienten: Y (t) • Zahl der HIV-positiven: A(t) • Männer, die infektiös sind: Z (t) • Sterberate: µ → stationäre Population = N ∗ = B µ Davon ausgehend: AIDS-Patienten-Sterberate: d 9 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Mit Bezug auf nachfolgendes Diagramm: β • X (t): dx dt = B − µX − λcX , λ = N • Y (t): dy dt = λcX − (v + µ)Y • A(t): dA dt = pvY − (d + µ) · A • Z (t): dZ dt = (1 − p) · vY − µZ ⇒ N(t) = X (t) + Y (t) + Z (t) + A(t) 10 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Quelle: J. D. Murray: Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition, Springer B = Rekrutierung µ = natürliche Sterberate c = Zahl der Sexualpartner d = AIDS-bedingte Todesfälle p = Anteil der HIV-positiven 1 = durchschnittliche Inkubationszeit v A = Wahrscheinlichkeit, bei zufälliger Wahl des Partners sich zu infizieren v = Geschwindigkeit von AIDS-Infektionen (v = konstant) 11 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Epidemie: Reproduktionsrate R0 > 1 ⇒ wenn die Anzahl der sekundären Infektionen, die wegen einer ersten Infektion auftreten > 1 sind. Wenn eine infizierte Person in eine anderweitige infektions-freie Population von Anfälligen eingeführt wird, gilt: dy dt ≈ (βc − v − µ) · Y ≈ v (R0 − 1) · Y • die Inkubationszeit von Infektionen bis Entwicklung der Krankheit: 1 v • durchschnittliche Lebenserwartung: 1 µ ⇒ v >> µ 12 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen • Grenze für Bedingung einer Epidemie: R0 ≈ βvc • Reproduktionsrate: R0 • gegeben durch: c • c = Anzahl der Sexualpartner • β = Sendewahrscheinlichkeit • v1 = mittlere Inkubationszeit der Krankheit 13 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Epidemiestart: Stationäre Zustände X∗ = Y∗ = Z∗ = A∗ = ⇒ N∗ = (v + µ) · N ∗ cβ (d + µ) · (B − µN ∗ ) pvd (1 − p) · (d + µ) · (B − µN ∗ ) pdµ ∗ B − µN d Bβ · [µ(v + d + µ) + vd · (1 − p)] [v + µ] · [b(d + µ) − pv ] ⇒ bei Linearisierungsversuch, d.h (X , Y , Z , A) = (X ∗ , Y ∗ , Z ∗ , A∗ ) in gedämpfter oszillierender Periode von Schwingungen darzustellen, kommt die Algebra an ihre Grenzen 14 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Erklärung: – mit typischen Werten für die Parameter zu der Zeit von Anderson und anderen (1986), lag die Periode in der Epidemien in der Größenordnung von 30 bis 40 Jahren – unrealistisch: Parameter des sozialen Verhaltens verbunden mit Charaktersierung der Krankheit bleibt über die Zeitspanne unverändert – Lebenserwartung von HIV-Patienten erhöht durch neue Arzneimittel wie AZT und Proteaseinhibitoren 15 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Analyse des Systems während frühen Stadien der Epidemie • Hier besteht die Bevölkerung aus allen empfänglichen infizierten Männern und die Gleichung für das Wachstum der HIV positiv infizierten Y-Klasse ist angenähert worden ⇒ Y (t) = Y (0) · ev Ro −1 = Y (0) · ert • R0 : grundlegende Reproduktionsrate • v1 : durchschnittliche infektiösen Periode • Y (0): anfängliche Anzahl von infektiösen Menschen in empfänglicher Bevölkerung • r = v · (R0 − 1): intrinsische Wachstumsrate (nur positiv, wenn Epidemie existiert: R0 > 1) 16 / 34 Modelle für HIV-Infektionen bei Homosexuellen Durch numerische Simulation des Modellsystems von der Gleichung erhält man: Quelle: J. D. Murray: Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition, Springer 17 / 34 Zusammenfassung ⇒ noch ausgefeiltere Modelle werden durch die Anhäufung von Daten und Informationen der Epidemie fortschreiten ⇒ Dieses Modell: Bezug auf homosexuelle Bevölkerung ⇒ Alle diskutierten Modelle haben einen ganz anderen Ansatz zur HIV-Infektion, denn sie betrachten die aktuelle virale Bevölkerung und nicht die menschliche Population 18 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie • Ein Modell von Ho und anderen (1995), dessen Ergebnisse von Nelson weiterentwickelt wurden • Grundlage bietet Nelson (1998) • Zu Beginn experimentelles Modell von Perelson und anderen (1996) • Dann komplexe nichtlineare Modelle, die die Behandlung einer HIV-Infektion mit einem Protease-Inhibitor und einen Inhibitor der reversen Transkription wie AZT umfassen. 19 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie Modell von Ho und anderen (1995): • einfach lineare Gleichung erster Ordnung • Berücksichtigung von viraler Produktion und Rückgang dv dt = P − cV P: virale Peptide c: virale Abwehrrate 20 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie Faktoren bei der Abwehr von viralen Peptiden: – Immunzellen – Fluid-Durchfluss – Absorption in anderen Zellen → c ist zwischen den Faktoren nicht zu unterscheiden → Einführung des Proteaseinhibitors → Annahme: Blockierung aller viralen Produktionen ⇒ P = 0 und dv dt = −cV ⇒ V (t) = V0 e−ct V0 = Mittelwert viraler Konzentration im Plasma vor der Behandlung 21 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie Annahme der Experimentatoren: – Pegel der gemessenen Viruslast im Plasma = konstant – Wert für c bekannt – anfängliche virale Konzentration = V0 ist bekannt ⇒ Berechnung der viralen Produktion vor Therapie durch P =c·V ⇒ Ergebnisse: = minimale Schätzung = Widerspruch zur viralen Dynamik, die während Latenzzeit ruhend war 22 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie Proteaseinhibitoren = Medikamente, die auf die Protease-Enzyme in der Zelle abzielen und neue Viren produzieren, die nicht infektiös sind. ⇒ kein einziges Medikament, das die HIV-Infektion völlständig abtötet, da das Virus in eine resistente Form mutiert ⇒ auch bei Medikamenten-Cocktail-Anwendungen (Protease-Inhibitor + AZT) bei Homosexuellen in San Francisco gibt es Erscheinungen von resistenten HIV-Stämmen ⇒ ist die Heilung des HIV-Virus und eine komplette Kontrolle überhaupt möglich? (2001) 23 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie Spezielles Modell für infizierte T-Zellen: • infizierte T-Zellen: T • produktive infizierte T-Zellen: T ∗ • infektiöse Viren: V1 • nicht infektiöse Viren: VN1 dT dt dT + dt dV1 dt dVN1 dt = s + pT (1 − T Tmax ) − dT T − KV1 T = (1 − nrt ) · KV1 T − δT ∗ = (1 − np ) · NδT ∗ − cV1 = np · N · δT ∗ − cVN1 24 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie • mit reverser Transkriptase (RT) wie AZT ist der RT-Inhibitor für produktive infizierte T-Zellen mit 0 ≤ nre ≤ 1, wenn nrt = 1 vollständig wirksam ist und die gesamte Produktion von infizierten T-Zellen verhindert • bei nrt = 0 keine RT-Inhibitor gegeben • das spezifische Erscheinen in der Gleichung für die Wirkung der Medikamente ist auf den zellularen Mechanismus der jeweiligen Medikamente zurückzuführen 25 / 34 Modellierung der Kombination: Drogen-Therapie • Medikamente vollständig wirksam: np = 1 oder nrt = 1 • infizierte und nicht-infizierte Viren sterben auf natürliche Weise (Rate = c) ⇒ Modell dient zur Demonstration der Wirkung von Arzneimittel auf HIV durch Variationen 26 / 34 T-Zellen-Rekonstruktion Annahme: T = konst. = T0 (keine T-Zellen Veränderung bei Behandlung) Aber: Erholung der T-Zellen über gewissen Zeitraum von Wochen nach Einleitung der Therapie: – V1 (t) ⇓ schnell – np = 1 (perfekte Proteaseinhibitor) – V1 (t) = V0 · e−ct (von c abhängig) – −kV1 T ist nach einigen Tagen vernachlässigbar → dT dt = s − dt T oder T (t)) = T0 + at (T-Zellen Dynamik) (a = konstant; s = Erzeugung von neuen Zellen) 27 / 34 T-Zellen-Rekonstruktion Wirkung von Protease-Hemmern: nrt = 0 dT ∗ = KV1 (T0 + at) − δT ∗ dt dV1 ∗ nichtautonomes System = (1 − np)δT − cV1 dt dVn1 = npNδT ∗ − cVn1 dt → Umwandlung in autonomes System • Einsetzen von: T0 + at in erste T -Gleichung • Hinzufügen von: dT dt = a ; T (0) = T0 28 / 34 T-Zellen-Rekonstruktion – Untersuchung auf Stabilität – Berechnung der Eigenwerte – Um Stabilität zu bieten, müssen Eigenwerte negativ sein 2Ts1 ) − dT Tmax q c+δ 1 = − ± (c + δ)2 − 4cδ + 4δNkTs1 (1 − nc ) 2 2 = −c λ1 = p · (1 − λ2,3 λ4 nc = 1 − (1 − nrt (1 − np )) Stabilisierungsbedingung: nc > 1 − c NkTs1 nc = Wirksamkeit der Kombinationstherapie ⇒ Abschätzung der Wirksamkeit der Behandlung möglich 29 / 34 T-Zellen-Rekonstruktion • Betrachtung der infizierten stationären Zustandsgleichung V1 = sN(1 − nc ) 1 c + p 1− − dT > 0 c k NkTmax (1 − nc ) • Berechnung der Eigenwerte → charakteristische Gleichung ergibt λ4 = −c < 0 → die anderen 3 Eigenwerte müssen bestimmt werden T̄ 0 = p 1−2 − dT − k V̄1 − λ · c+λ · δ+λ Tmax − k V̄1 k T̄ δN 1 − nc −k T̄ δN 1 − nc 30 / 34 T-Zellen-Rekonstruktion Umformen und benutzen der Zustandsgleichung für T̄ : λ3 + Aλ2 + Bλ + C = 0 2pT̄ − (p − dT ) + k V̄1 A = δ+c+ Tmax 2pT̄ B = (δ + c) − (p − dT ) + k V̄1 Tmax C = cδk V̄1 31 / 34 T-Zellen-Rekonstruktion • Es gelten die Routh-Hurwitz Bedingungen: Wenn A > 0, C > 0 und AB − C > 0, haben die Eigenwerte negative Realteil. • Bedingung A > 0 erfüllt durch: ⇒ p − dT < pT̄ Tmax + K V̄1 • Bedingung für AB → C > 0 erfüllt durch: ⇒ AB = B1 (δ + c)2 + B12 (δ + c) > δck V̄1 = C ⇒ Zustand = stabil 32 / 34 Zusammenfassung ⇒ wenn c > NkTs1 (1 − nc ) → der einzige nichtnegative stationäre Zustand ist der nichtinfizierte stationäre Zustand und ist stabil ⇒ wenn c < NkTs1 (1 − nc ) → der uninfizierte Zustand und der infizierte Zustand existiert und ist stabil 33 / 34 Fazit – HIV bietet viele Forschungsansätze für Behandlungen – Weiterführung der vorgestellten Modelle – die Lebensdauer kann verlängert werden, aber die Infektion ist nicht heilbar 34 / 34