Magazin KRANKENHAUSVERGÜTUNG Preissprung auf der Klinikrechnung Gleicher Preis für gleiche Leistung: Ab 2009 gelten für die Krankenhausvergütung einheitliche Basisfallwerte – doch die Kassenausgaben steigen damit auch um rund 800 Millionen Euro. Von Jörg Friedrich und Jürgen Klauber Seit 2003 sammeln deutsche Krankenhäuser Erfahrungen mit den Diagnosis Related Groups (DRGs). Mit dem Jahr 2009 endet nun eine fünfjährige Anpassungsphase („Konvergenz“), in der sich die krankenhausindividuelle Vergütungshöhe schrittweise einem auf Landesebene vereinbartem Zielwert annähert: dem Landesbasisfallwert (siehe Glossar). Somit gilt ab 2009 zumindest für alle Krankenhäuser eines Bundeslandes: gleicher Preis für gleiche Leistung. Diese Umstellung wird im Jahr 2009 die Krankenhausbudgets und damit die Ausgaben der Krankenkassen jedoch um mehr als 800 Millionen Euro erhöhen. Der Grund: Die derzeit als Vergütungsgrundlage dienenden krankenhausindividuellen Basisfallwerte liegen im bundesweiten Durchschnitt um rund 46 Euro unter dem im nächsten Jahr maßgeblichen Landesbasisfallwert. Dieser Preissprung wird als Divergenzeffekt bezeichnet (siehe Abbildung). Neben weiteren budgeterhöhenden Einflüssen sowie den im Rahmen des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes vorgesehenen Finanzspritzen für die Kliniken wird dieser Preissprung aus dem ohnehin knapp ausgestatteten Gesundheitsfonds zu decken sein. Steigende Mengen, sinkende Kosten. Wie kann es trotz der Konvergenzphase zum oben skizzierten Preissprung kommen? Zwar haben sich die hausindividuellen Vergütungsniveaus tatsächlich deutlich aneinander angenähert: In den Jahren Landesbasisfallwerte treiben Ausgaben nach oben Entwicklung von hausindividuellen Preisniveaus und Landesbasisfallwerten 2.850 2.800 2.750 2.700 Mit Einführung diagnoseorientierter Fallpauschalen haben sich hausindividuelle Preise und landesweite Basisfallwerte auseinanderentwickelt. Während 2005 die Differenz zwischen klinikindividuellen Fallwerten und Landesbasisfallwerten noch durchschnittlich rund 20 Euro betrug, stieg der Abstand 2007 auf rund 55 Euro und wird 2008 voraussichtlich bei rund 46 Euro liegen. Diese Entwicklung wird als Divergenzeffekt bezeichnet und führt im Jahr 2009 zu Mehrausgaben von rund 800 Millionen Euro. Quelle: WIdO 18 2005 bis 2008 sank für 80 Prozent der Häuser die maximale Preisspanne von 724 auf 302 Euro. Die Harmonisierung der Preise stationärer Leistungen ist also wie gewünscht vorangeschritten. Dass sich die hausindividuellen Preisniveaus dennoch von den Landesbasisfallwerten entfernten, geht auf Leistungsausweitungen zurück. In den ersten Jahren der Konvergenzphase ist das bundesweit vereinbarte DRG-Leistungsvolumen (Casemix, siehe Glossar) durchgängig gestiegen: Ausgehend von den Werten des Jahres 2005 in den zwei Folgejahren bis 2007 um jeweils 2,8 Prozent und im Jahr 2008 sogar um weitere 3,4 Prozent. Je mehr Leistungen ein Krankenhaus erbringt, desto stärker sinken die Durchschnittskosten, weil lediglich die variablen Kosten (unter anderem Medikamente, Material) steigen, die Fixkosten (unter anderem Personalkosten) aber zunächst konstant bleiben. Dieser Effekt wird Kostendegression genannt. Erst bei Überschreitung bestimmter Auslastungsgrenzen würde der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten notwendig, und die Fixkosten stiegen ebenfalls. Zusätzlich zur Mengenausweitung wirken – neben gegenläufigen Einflüssen wie der Tarifentwicklung – weitere kostensenkende Faktoren: Beispielsweise ist im Vergleich der Jahre 2007 und 2005 die durchschnittliche Verweildauer bei DRG-Fällen von 7,37 auf 6,96 Tage gesunken. Dies entspricht einem Rückgang um 5,7 Prozent. Unterschiede im Gesetz. Der Gesetzgeber hat die Kostendegression bei Leistungssteigerungen im Krankenhausentgeltgesetz berücksichtigt, damit die Krankenkassen an den kostendämpfenden Effekten partizipieren. AlAusgabe 12/08, 11. Jahrgang lerdings unterscheiden sich die entsprechenden gesetzlichen Regelungen für die Ebene der Landesbasisfallwerte von denen für die hausindividuelle Budgetfindung. Für die Budgets auf der Einzelhausebene besteht während der Konvergenzphase ein Automatismus, um die Kostendegression bei Mehrleistungen umzusetzen: Paragraf 4 des Krankenhausentgeltgesetzes schreibt verbindlich vor, dass Leistungsveränderungen nur anteilig in die Budgets einfließen. Im Verlauf der Konvergenzphase steigt dieser Anteil stufenweise von 33 Prozent im Jahr 2005 auf 80 Prozent im Jahr 2008 an. Ab 2009 werden alle vereinbarten Mehrleistungen auf Hausebene zu 100 Prozent vergütet. Zudem sind Leistungsveränderungen in „Art und Menge“ zu berücksichtigen, also sowohl bezüglich der Fallzahl als auch der Fallschwere (Case-mix-Index, siehe Glossar). Dabei ist vorgesehen, dass bei besonders sachkostenintensiven Leistungen von den oben genannten Anrechnungsquoten abgewichen werden kann. Auf Landesebene andere Regelung. Bei den Verhandlungen der Landesbasisfallwerte gibt es diesen Automatismus dagegen nicht: Paragraf 10 des Krankenhausentgeltgesetzes schreibt die prozentuale Anrechnung von Mehrleistungen nicht fest. Anders als auf Hausebene erfolgt eine Verrechnung mit der allgemeinen Kostenentwicklung. Zudem sieht Paragraf 10 lediglich eine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen vor – die Definition von Leistungsveränderungen ist also enger gefasst. So konnte in der Vergangenheit die Steigerung der Fallschwere bei den Landesbasisfallwerten nicht angemessen berücksichtigt werden. Die Unterschiede in der Berücksichtigung der Kostendegression bei steigenden Leistungsmengen führten dazu, dass sich die hausindividuell vereinbarten Budgets von den jeweiligen Landesbasisfallwerten entfernt haben. Die verbindlichen Regelungen für die Vereinbarungen auf Hausebene haben in den Jahren 2005 bis 2007 tatsächlich zu sinkenden Basisfallwerten geführt, während die Landesbasisfallwerte im Mittel gestiegen sind. Im Jahr 2005 lag das Vergütungsniveau auf Hausebene bundesweit noch rund 20 Euro unterhalb der Landesbasisfallwerte. Dieser Abstand ist bis 2007 auf rund 55 Euro angestiegen und beträgt im Jahr 2008, wie bereits erwähnt, noch rund 46 Euro. Dabei sei darauf hingewiesen, dass die sinkenden Basisfallwerte auf Hausebene weder zu rückläufigen Budgets noch zu sinkenden Erlösen der Kliniken geführt haben, sondern lediglich die ausgabensteigern- Glossar Foto: plainpicture/Johner Basisfallwert: Der Basisfallwert ist der Eurobetrag, aus dem sich nach Multiplikation mit der Bewertungsrelation einer Fallpauschale der Preis der jeweiligen stationären Leistung ergibt. Er wird bis Ende 2008 auf Ebene des Krankenhauses vereinbart. Landesbasisfallwert: Der Landesbasisfallwert wird jährlich vereinbart und dient während der Konverenzphase als Zielwert für die Angleichung der hausindividuellen Basisfallwerte. Ab 2009 ist er alleinige Berechnungsgrundlage für die Vergütungshöhe für stationäre Leistungen. Casemix, Casemix-Index: Der Casemix beschreibt den Umfang der stationären Leistungen. Multipliziert mit dem Basisfallwert bestimmt er das Budget einer Klinik. Der Casemix-Index beschreibt die mittlere Fallschwere bei Abrechnung nach Diagnosis Related Groups. Er berechnet sich aus dem Quotienten des Casemix und der Fallzahl. Ausgabe 12/08, 11. Jahrgang den Wirkungen von Leistungsausweitungen abschwächten. Mehrleistungen angemessen vergüten. Die Steigerungsraten bei den Leistungsmengen haben sich in den Ausgaben der Krankenkassen bisher nur in abgeschwächter Form widergespiegelt, da sie sich auf Ebene der Einzelhäuser automatisch absenkend auf das Vergütungsniveau auswirkten. Zukünftig bestimmen die Landesbasisfallwerte – und damit die unspezifischen Regelungen für die Berücksichtigung kostensenkender Effekte – allein das Vergütungsniveau und die Preisentwicklung. Mehrleistungen werden sich deshalb deutlich stärker in den Ausgaben der Krankenkassen niederschlagen. Der Preissprung im Jahr 2009 droht der Startschuss zu einer starken Dynamisierung der Krankenhausausgaben zu werden. Deshalb regt die AOK an, die variablen Kosten von Mehrleistungen bei der Preisvereinbarung auf Landesebene bindend und sachgerecht zu berücksichtigen und die Landesbasisfallwerte auf das tatsächliche Vergütungsniveau am Ende der Konvergenzphase zu korrigieren. √ Jürgen Klauber ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Jörg Friedrich leitet den Forschungsbereich Krankenhaus im WIdO. Kontakt: [email protected] 19