M P AC Mathe Plus Aachen Schülerarbeitsheft KOMPLEXE ZAHLEN Sebastian Walcher Monika Zimmermann Johanna Heitzer KOMPLEXE ZAHLEN Sebastian Walcher Monika Zimmermann Johanna Heitzer Prof. Dr. S. Walcher Lehrstuhl A für Mathematik RWTH Aachen University D-52056 Aachen E-Mail: [email protected] Internet: http://www.mathA.rwth-aachen.de/ Mathe Plus AaChen (MPAC) ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird. Diese Unterlagen befinden sich noch in der Erarbeitung und sind nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Erlaubt ist eine Vervielfältigung zur Nutzung im Unterricht bei der Endversion, die Anfang 2011 im Netz hinterlegt wird unter: http://www.matha.rwth-aachen.de:8062/ © S. Walcher, Aachen, Dezember 2010 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte 7 I. 9 Hauptteil 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 11 12 13 16 2. Komplexe Zahlen - wasserdicht 19 Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Exkurs: Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Rechnen mit komplexen Zahlen - Verfahren und Trainingslager 25 Zur Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene 29 Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Winkelmaße . . . . . . . . . . . . . . . . Tangens und Kotangens . . . . . . . . . . . . . . Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 35 35 36 39 44 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinus- und Kosinusfunktion . . . . . . . allgemeine Sinusfunktion . . . . . . . . Exkurs: Schwingungen eines Urpendels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 47 47 50 51 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die komplexe Polardarstellung und mehr Geometrie 55 Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6 Inhaltsverzeichnis Polarkoordinatenform, Argument . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Superformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Exkurs: Der verborgene Schatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 8. Die komplexe Exponentialfunktion 61 Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Exkurs: Komplexe e-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Exkurs: Komplexe Zahlen in Physik und Ingenieurwesen . . . 65 9. Polynomgleichungen über C Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . n-te Einheitswurzeln . . . . . . . . . “Radikalgleichungen” . . . . . . . . Quadratische Gleichungen . . . . . . Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . Der “Fundamentalsatz der Algebra” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösungen Hauptteil Lösungen Kap. 1 . . . . . Lösungen zu Kapitel I . . Lösungen Kap. 2 . . . . . Lösungen zu Kapitel II . . Lösungen Kap. 3 . . . . . Lösungen zu Kapitel III . Lösungen Kap. 4 . . . . . Lösungen zu Kapitel IV . Lösungen Kap. 5 . . . . . Lösungen zu Kapitel V . . Lösungen Kap. 6 . . . . . Lösungen zu Kapitel VI . Lösungen Kap. 7 . . . . . Lösungen zu Kapitel VII . Lösungen Kap. 8 . . . . . Lösungen zu Kapitel VIII Lösungen Kap. 9 . . . . . Lösungen zu Kapitel IX . 69 69 70 71 71 72 72 73 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 75 83 83 87 87 95 95 99 99 107 107 115 115 121 121 129 129 7 Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte MathePlus ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird. Was ist MathePlus? Die Initiative ist entstanden, weil der reguläre Mathematikunterricht, durch Curriculumsreformen bedingt, in immer geringerem Maß auf die Mathematikanforderungen in vielen Studienfächern, insbesondere in MINT-Fächern, vorbereitet. MathePlus will hier Akzente setzen und den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern Wissen und Können vermitteln, das den Einstieg in solche Studiengänge erleichtert. Warum MathePlus? MathePlus ist ein zusätzliches Unterrichtsangebot für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II, das von teilnehmenden Schulen in Kooperation mit der FH Aachen und der RWTH Aachen entwickelt und durchgeführt wird. MathePlus kann und soll den regulären Mathematikunterricht nicht ersetzen und kann und soll auch nicht als vertiefendes Angebot für die Abiturvorbereitung dienen. Vielmehr werden mathematische Strukturen und Anwendungsbereiche präsentiert, die im regulären Unterricht keinen Platz finden, für ein MINT-Studium oder andere mathematikhaltige Studiengänge aber sehr nützlich und wichtig sind. Den Schülern und Schülerinnen sollen über einen frühzeitigen Kontakt mit mathematischen Strukturen mögliche Ängste vor Abstraktem genommen werden. Über geeignete Inhalte und Aufgabenstellungen soll die Freude am logischen Denken geweckt werden. Auch echte und relevante Anwendungen der Mathematik sind Thema. Material zum Download finden Sie (nach Registrierung) unter dem Punkt »Materialien«. Grundsätzlich stellen die Autoren Texte und Aufgaben allen Interessierten zur Verfügung (einzige Voraussetzung ist eine Registrierung). Einsetzbar sind diese Materialien zum Beispiel im Wahlunterricht, insbesondere im künftig vorgesehenen Projektunterricht. Die Unterrichtseinheiten (Lehrtexte und Aufgaben) sind konzipiert für ein Halbjahr mit 2 Wochenstunden; sie bauen aufeinander auf. Einsetzbarkeit 8 Schülerarbeitshefte Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte Die Schülerarbeitshefte sind als Unterrichtsgrundlage konzipiert, mit deren Hilfe sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbständig in das Thema einarbeiten können. Sie beginnen mit einer Einführung in das übergeordnete Thema und einem Überblick über die nötigen Vorkenntnisse. Am Ende stehen eine Zusammenfassung und übergeordnete Aufgaben zum Thema. Die Teilkapitel enthalten Einführungen und Einführungsaufgaben, Basiswissen, Beispiele, einfache Übungsaufgaben, komplexere Aufgaben, Anwendungen und Probleme sowie Zusammenfassungen des jeweiligen Themengebiets. Neben diesem »roten Faden« gibt es (am Rand) auch historische und sonstige Anmerkungen, Tipps und Hilfen sowie Merkkästen. Jedes Heft sollte bei zwei Wochenstunden etwa die Grundlage für ein Schulhalbjahr bilden. Die Themen der bisher geplanten beziehungsweise erschienenen MathePlus Schülerarbeitshefte sind: Themen • Mathematische Notation und Beweisverfahren • Mengenlehre und Aussagenlogik • Folgen und Reihen • Komplexe Zahlen MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 9 Teil I. Hauptteil 11 Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen Eine Diskussion zwischen den Herren R. Umbastler und O.R. Dentlich: RU: Ich kann die Gleichung x2 + x + 1 = 0 lösen! ORD: Das glaube ich nicht. Diese Gleichung hat keine Lösung! RU: Doch! Wenn man die p-q-Formel anwendet, erhält man die Lösungen √ 1 1√ 1 x1,2 = −3. −1 ± 1 − 4 = − ± 2 2 2 ORD: Diese Formel darf man überhaupt nur anwenden, wenn die Diskriminante positiv ist. Die ist hier aber gleich −3, also negativ. RU: Immer veranstalten Sie so ne Erbsenzählerei! Ich kann ja ganz einfach nachrechnen, dass z.B. x1 die gewünschte Gleichung löst: √ √ x12 + x1 + 1 = (− 21 + 12 −3)2 + (− 12 + 12 −3) + 1 √ √ = 14 − 21 −3 + −43 + (− 21 + 12 −3) + 1 = 0. Die binomische Formel glauben Sie ja hoffentlich noch! √ ORD: Und was ist bitte dieses −3? RU: Das ist eine Zahl, deren Quadrat gleich −3 ist. ORD: So was gibt es nicht! Quadrate sind immer > 0. Muss ich Sie an den Graphen der Quadratfunktion erinnern? √ RU: Ich sage ja nicht, dass −3 eine reelle Zahl ist. Ich nehme diese neue Zahl eben zu den reellen Zahlen dazu! ORD: Und wer sagt, dass dann für diese neuen Zahlen immer noch die gewohnten Rechenregeln gelten? Ich denke nicht daran, z.B. die binomische Formel hier einfach zu glauben! √ RU: Aber wenn man mit −3 einfach wie gewohnt rechnet, klappt alles. Probieren Sie es doch selber mal aus! Einstieg 12 Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen ORD: Sie tun so, als ob sich jeder die Mathematik einfach so zurecht legen kann, wie es ihm gerade passt. Das geht so nicht! Mathema√ tik ist eine präzise Wissenschaft! Außerdem: Ist Ihr komisches −3 eigentlich positiv oder negativ? RU: Positiv natürlich . . . äh, Moment, darüber muss ich noch nachdenken. Aber davon abgesehen: Sie tun so, als ob die Mathematik ein Haufen verknöcherter Vorschriften wäre, an denen nie etwas geändert werden darf. Das geht erst √ recht nicht! Mathematik lebt von Ideen! Und wenn Sie schon mit −3 so einen Aufstand veranstalten: Warum √ zweifeln Sie nicht auch gleich an 2 ? √ ORD: Warum sollte ich an 2 zweifeln? Das ist doch . . . äh, Moment, darüber muss ich noch nachdenken. Probleme und Anwendungen 1. Führen Sie die Rechnungen von Herrn R. Umbastler ganz genau im Detail durch (auch für x2 ) und überlegen Sie bei jedem Umformungsschritt, welche Regeln Sie dabei verwenden. 2. Was sagen Sie zu den Argumenten der beiden Herren? Wer hat recht? Führen Sie die Diskussion weiter, wenn Sie Lust haben. Zahlbereiche Erinnerung: Sie kennen folgende Zahlbereiche aus der Mittelstufe: N = {1, 2, 3, . . .} (Natürliche Zahlen) Z = {. . . − 2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} (Ganze Zahlen) und darüber hinaus auch die rationalen Zahlen: p ; p ∈ Z, q ∈ Z und q 6= 0 . Q= q Sie sind auch daran gewöhnt, mit diesen Zahlen zu rechnen. Übungsaufgaben Zum Warmwerden ein paar Rechenaufgaben (bitte per Hand rechnen): 3. 3 8 + 73 =? 4. ( 68 )/( 37 ) =? 5. Wenn 37 x + 13 6 = 0 dann ist x =? 6. Welche Regeln kennen Sie für das Rechnen in den o. a. Zahlbereichen? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen 1. Welche Gründe gibt es im “Alltagsleben”, den Bereich der natürlichen Zahlen zu erweitern? Konkret z. B.: Wo treten negative Zahlen (fast) automatisch auf? Wo treten Bruchzahlen (fast) von selbst auf? 13 Probleme und Anwendungen 2. Mathematische Motivation für die Erweiterung von Zahlbereichen: In welchen der o. a. Zahlbereiche sind die folgenden Gleichungen uneingeschränkt oder fast uneingeschränkt lösbar, in welchen nicht? Die Zahlen a und b liegen dabei im gegebenen Zahlbereich, x ist die Unbekannte. a+x = b a·x = b (Ergebnis: In N hat man mit beiden Typen Schwierigkeiten; in Z immer noch mit dem zweiten.In Q sind Gleichungen des ersten Typs stets lösbar; Gleichungen des zweiten Typs sind für a 6= 0 stets lösbar.) Eine “innermathematische” Motivation zur Erweiterung von Zahlbereichen ist also, durch die Erweiterung mehr und mehr unlösbare Gleichungen lösbar zu machen. Sehen wir mal, was bei Q noch fehlen könnte. Wir kommen zum letzten Teil der Diskussion im Einstieg und kümmern uns um die Quadratwurzel aus 2. Gibt es die eigentlich? Aus der Mittelstufe ist bekannt: Die Gleichung x2 = 2 hat in Q keine Lösung; es gibt keine rationale Zahl, deren Quadrat gleich 2 ist. Anders gesagt: Sind p und p q ganze Zahlen und q 6= 0, dann ist stets ( q )2 6= 2. Wir wollen diese Aussage beweisen, indem wir zeigen, dass für alle ganzen Zahlen p und q 6= 0 stets p2 6= 2q2 gilt. Vorbereitung, Teil 1: Jede ganze Zahl n ist entweder gerade, also in der Gestalt n = 2m mit einer ganzen Zahl m darstellbar, oder ungerade, also in der Gestalt n = 2m + 1 mit einer ganzen Zahl m darstellbar. (Klar, oder?) Vorbereitung, Teil 2: Ist die ganze Zahl n ungerade, so auch n2 . Denn aus n = 2m + 1, m ganz, folgt n2 = (2m + 1)2 = 4m2 + 4m + 1 = 2 · (2m2 + 2m) + 1 Anders (aber äquivalent) ausgedrückt: Ist n eine ganze Zahl und n2 gerade, so ist auch n gerade. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Exkurs 14 Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen p Erinnerung und Einstieg in den Beweis: Beim Bruch q dürfen wir davon ausgehen, dass p und q keinen gemeinsamen Teiler besitzen. (Brüche kann man kürzen!) Insbesondere sind also p und q nicht beide gerade. 1. Fall: Wenn p ungerade ist, dann ist p2 6= 2q2 für beliebiges ganzes q. Denn 2q2 ist gerade, aber p2 ungerade. 2. Fall: Wenn p = 2k gerade ist, dann ist q nach Voraussetzung ungerade, also q2 6= 2k2 und p2 = 4k2 6= 2q2 . In jedem Fall gilt also p2 /q2 6= 2, ganz gleich, welche ganzen Zahlen p und q 6= 0 man wählt. Probleme und Anwendungen √ 1. Wie würden Sie die Aussage “ 2 gibt es gar nicht” in einer Diskussion zu unterstützen oder zu widerlegen versuchen? √ Geometrische Begründung der Existenz von 2: Man betrachte ein Quadrat mit der Seitenlänge 1. Für die Länge d der Diagonalen liefert der Satz des Pythagoras 12 + 12 = d2 . Es gilt also d2 = 2. Das sieht nach einer überzeugenden Argumentation aus. Probleme und Anwendungen Geometrische Begründung der Existenz von gewissen Zahlen: Tipp: Betrachten Sie ein rechtwinkliges Dreieck, auf dessen Hypotenuse der Höhenfusspunkt Abschnitte der Längen 1 und a bestimmt. 2. Begründen Sie auf geometrische√Weise, dass für jede positive rationale Zahl a die Quadratwurzel a existiert. Tipp: Pythagoras hilft auch hier. 4. Bestimmen Sie die Länge der Raumdiagonale eines Würfels mit Seitenlänge 1. √ Geometrisch lässt sich also die Existenz von 2 und diversen anderen Zahlen sehr anschaulich begründen. Aber man könnte ja einwenden, dass Zahlen was Anderes sind als Längen. Übungsaufgabe 3. Der Goldene Schnitt ist gegeben durch einen Punkt auf einer Strecke der Länge `, so dass der längere Streckenabschnitt s sich zur Gesamtstrecke so verhält wie √ der kürzere Streckenabschnitt zum längeren. Was hat das mit 5 zu tun? 5. Es gibt noch eine andere Begründung mit Hilfe des Graphen der Quadratfunktion. Können Sie diese formulieren? Was könnte man dagegen wiederum einwenden? Wir gehen jetzt auch noch einen anderen Weg, der eher algebraisch motiviert ist: Wir wollen zu den rationalen Zahlen, in welchen die Gleichung x2 = 2 ja keine Lösung besitzt, einfach eine Lösung dazu nehmen. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen 15 √ Der Zahlbereich Q[ 2] (etwas informell): Wir betrachten alle Zahlen der Form a + b · s, wobei a und b rationale Zahlen sind und s eine “neue” Zahl ist, mit der man unter Berücksichtigung der Regel s2 = 2 “wie üblich” rechnet. Insbesondere ist also für alle a, b, c, d ∈ Q: ( a + b · s) + (c + d · s) = ( a + c) + (b + d) · s ( a + b · s) · (c + d · s) = ( ac + 2bd) + (bc + ad) · s Beispiele (A) (6 − 7s) + (3 + 2s) = 9 − 5s (B) (6 − 7s) · (3 + 2s) = (6 · 3 + 2 · (−7) · 2) + (6 · 2 + (−7) · 3)s = −10 − 9s (C) 3 · (4 + 2s) = (3 + 0 · s) · (4 + 2s) = 12 + 6s 1. Berechnen Sie (2 + 3s) · (8 − s)((−2) + s)(4 − 2s) und die Potenzen (1 + s)n für n = 1, 2, 3. Übungsaufgaben 2. Bestimmen Sie rationale Zahlen c und d, so dass (1 + s) · (c + ds) = 1. 3. Bestimmen Sie rationale Zahlen c und d, so dass (2 + 3s) · (c + ds) = 1. 4. Rechnen Sie im Detail nach, dass die Multiplikationsvorschrift in der obigen Definition einfach durch “Rechnen wie gewohnt, Benutzen von s2 = 2 und geeignetes Zusammenfassen” entsteht. Namensgebung: In unserem “neuen” Zahlbereich besitzt die Gleichung x2 = 2 eine Lösung, nämlich die Zahl s (und auch −s). Wir nennen √ √ nun diese Zahl s = 2 und schreiben statt a + b√· s einfach a + b 2. Die Menge aller solcher Zahlen nennen wir Q[ 2] √ 5. Summe, Differenz und Produkt zweier Zahlen aus Q[ 2] liegen offensichtlich wieder in diesem Zahlbereich. Ist dies auch für den Quotienten der Fall, wenn der Nenner nicht gleich 0 ist? Gehen Sie das Problem ruhig langsam an: √ a) Falls c + d 2 6= 0, dann gibt es rationale Zahlen u und v so, dass √ √ (c + d 2)(u + v 2) = 1. Weisen Sie dies nach! Also hat man gefunden, dass √ √ ∈ Q[ 2]. c+d 2 1 b) Wie sieht es nun mit √ a + b√2 c+d 2 aus? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Probleme und Anwendungen 16 Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen Probleme und Anwendungen 1. In Teil a) benötigen Sie die Tatsache, dass c2 − 2d2 6= 0, wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist. Warum gilt das? 2. Grundsätzlich bleibt natürlich die Frage, ob es eigentlich zulässig ist, “wie gewohnt” zu rechnen. Um dies nachzuweisen, benötigt man zuerst eine solide Ausgangsbasis: Sehen Sie nochmal die Rechenvorschriften für Addition und Multiplikation an, die oben für Zahlen der Form a + b · s und fassen Sie diese als “Grundgesetze” auf. Dann können Sie diverse Regeln herleiten. Probieren Sie mal, die Regel ( a + b · s) · (c + d · s) = (c + d · s) · ( a + b · s) (das Kommutativgesetz der Multiplikation) nachzuweisen, oder andere Ihnen bekannte Rechenregeln. Exkurs L. Euler (1707-1783) Die reellen Zahlen √ In Q (und auch in Q[ 2]) sind noch zahlreiche weitere Gleichungen unlösbar, so etwa x2 = 3 oder x3 = 2 oder x7 + 4x = 2. Skizziert man die Graphen der zugehörigen Funktionen, so ist man aber geneigt zu glauben, dass die Gleichungen eigentlich lösbar sein sollten. Es gibt einen Zahlbereich, nämlich die reellen Zahlen R, in welchem diese Gleichungen und viele andere wirklich lösbar sind, und der noch viele weitere interessante (wie die Kreiszahl π und die Eulersche Zahl e) und vielleicht auch uninteressante Zahlen enthalten sind. Man kann R aus Q exakt konstruieren, aber diese Konstruktion ist weit aufwendiger und schwieriger zu verstehen als etwa die Konstruktion der rationalen Zahlen aus den ganzen. Sie haben vermutlich eine intuitive Vorstellung von R als Zahlengerade, und das reicht für viele Zwecke. Fassen wir nochmal zusammen: a) In R kann man uneingeschränkt addieren und subtrahieren. Subtraktion einer Zahl a ist dasselbe wie Addition des Negativen − a dieser Zahl. b) In R kann man uneingeschränkt multiplizieren und dividieren, nur Division durch 0 ist nicht erlaubt. Division durch eine Zahl a 6= 0 ist dasselbe wie Multiplikation mit dem multiplikativ Inversen 1a dieser Zahl. c) Für Addition und Multiplikation gelten “die üblichen Rechenregeln”. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 1. Zahlbereiche und Zahlbereichserweiterungen 17 d) Die reellen Zahlen lassen sich anordnen: Sind a und b verschiedene reelle Zahlen, so gilt entweder a < b oder b < a. e) Die Anordnung ist mit den Rechenoperationen kompatibel: Sind z. B. a > 0 und b > 0, so ist auch a + b > 0 und a · b > 0. Uns interessiert vor allem eine Konsequenz: Ist a 6= 0 eine reelle Zahl, so gilt a2 > 0. Insbesondere ist die Gleichung x2 = −1 in R nicht lösbar. Begründung: Ist a > 0, so gilt nach e) oben, dass a2 > 0. Ist a < 0, so ist − a > 0 und a2 = (− a)2 > 0, wobei die bekannte Rechenregel “Minus mal Minus gibt Plus” benutzt wurde. Wenn Ihnen hier einiges zu schnell geht oder nicht ausreichend begründet ist, haben Sie wohl recht. Die Begründungen sind nicht wasserdicht und führen oft auf neue Fragen. Was oben getan wurde, ist allgemein unter dem Namen “Lokales Ordnen” bekannt: Man führt eine Aussage oder Eigenschaft auf andere Aussagen, Eigenschaften oder Regeln zurück, welche man für glaubhaft erachtet. Systematische und konsequente Durchführung dieser Prozedur ergibt, dass man sich letztlich auf die Gültigkeit relativ weniger Eigenschaften und Regeln zurückziehen kann. Aber das ist ein langwieriger Prozess, der auch an der Uni nur Mathematikstudentinnen und -Studenten zugemutet wird. Probleme und Anwendungen 2 1. Diskutieren Sie: Gibt es eine Lösung √ der Gleichung x = −1, wenn man zu R eben noch eine Zahl −1 hinzu nimmt? Welche Begründung könnte man dafür geben? Fällt Ihnen eine geometrische Begründung ein, oder gibt es einen geeigneten Funktionsgraphen, der überzeugend √ wirken könnte? Lässt sich die “algebraische” Konstruktion von 2 imitieren? Aber selbst, wenn das geht, ist damit die Existenz einer Quadratwurzel aus −1 nachgewiesen? Sind das nicht nur Spielereien? Probleme und Anwendungen 2. Tun Sie einfach mal so, als ob es eine Zahl i gibt, deren Quadrat gleich −1 ist und rechnen Sie mit konkreten Zahlen der Form a + b · i (a und b reell), etwa mit 3 + 4 · i und 5 − 2 · i = 5 + (−2) · i einfach mal rum (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren), wobei Sie annehmen dürfen, dass die gewohnten Rechengesetze weiter gelten. Übungsaufgaben MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 19 Kapitel 2. Komplexe Zahlen - wasserdicht Die Diskussion zwischen den Herren R. Umbastler und O.R. Dentlich (die sich den vorangehenden Abschnitt auch zu Gemüte geführt haben) läuft noch immer weiter: √ RU: Ok, √ die Sache ist geklärt. Ich brauche zwar eigentlich die √ √ √−3, √ aber die −1 reicht mir auch, weil ja −3 = 3 · −1: Und an −1 haben Sie ja hoffentlich keine Zweifel mehr. Einstieg ORD: Warum soll ich daran keine Zweifel mehr haben? Und was rechnen Sie da eigentlich schon wieder rum? RU: Also nochmal langsam: Wir haben doch eben gemerkt, dass man genau so √ gut die reellen Zahlen zu einem Zahlbereich erweitern kann, der auch −1 enthält wie man √ die rationalen Zahlen zu einem Zahlbereich erweitern kann, der auch 2 enthält. Wenn Sie das eine glauben, dann doch wohl auch das andere. √ ORD: Das stimmt überhaupt nicht! Dass es 2 gibt, sieht jeder, der ein Quadrat malen√kann. Aber versuchen Sie mal, mir geometrisch oder sonstwie eine −1 zu zeigen! Mir kommt es nicht darauf an, ob man so tun kann, als ob es irgendwelche mathematischen Objekte gibt und dann auch noch gleich so tut, als ob man damit rechnen könnte. Man kann ja auch so tun, als ob es kleine grüne Männchen gibt und √ dann Geschichten über sie erfinden. Ich will diese −1 sehen, und zwar konstruiert aus mathematischen Objekten, deren Existenz über jeden Zweifel erhaben ist. Historisches: Das Problem, das Herr O.R. Dentlich aufgeworfen hat, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, aber es lässt sich beheben. Die gleich folgende Lösung geht auf W.R. Hamilton im 19. Jahrhundert zurück. Vor Hamilton war die Frage der Existenz von √ −1 in der Tat umstritten, obwohl sich die Vorzüge des Hinzunehmens dieser seltsamen Zahl auch schon vorher angedeutet hatten. Exkurs W.R. Hamilton (1805-1865) 20 Kapitel 2. Komplexe Zahlen - wasserdicht Die wasserdichte Definition: Komplexe Zahl a) Eine komplexe Zahl ist ein geordnetes Paar z = ( a; b) reeller Zahlen a, b. Dabei nennt man a den Realteil und b den Imaginärteil von z. Man schreibt dafür Re(z) = a und Im(z) = b. Die Menge der komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet. b) Zwei komplexe Zahlen ( a; b) und (c; d) mit a, b, c, d ∈ R werden wie folgt addiert: ( a; b) + (c; d) = ( a + c; b + d). Abkürzend schreibt man auch ( a; b) − (c; d) := ( a; b) + (−c; −d) = ( a − c; b − d). Eine komplexe Zahl ( a; b) wird wie folgt mit einer reellen Zahl r ∈ R multipliziert: r · ( a; b) = (ra; rb). c) Zwei komplexe Zahlen ( a; b) und (c; d) mit a, b, c, d ∈ R werden wie folgt multipliziert: ( a; b) · (c; d) = ( ac − bd; ad + bc). Beispiele (A) 2 · (1; 4) = (2 · 1; 2 · 4) = (2; 8). (B) Re(3; −2) = 3, Im(3; −2) = −2. (C) (1; 2) + (3; 4) = (1 + 3; 2 + 4) = (4; 6). (D) (3; 4) − (1; 2) = (3 − 1; 4 − 2) = (2; 2). (E) (1; 2) · (3; 4) = (1 · 3 − 2 · 4; 1 · 4 + 2 · 3) = (3 − 8; 4 + 6) = (−5; 10). (F) (−1; −2) · (3; 4) = ((−1) · 3 − (−2) · 4; (−1) · 4 + (−2) · 3) = (5; −10). Übungsaufgaben 1. Bestimmen Sie Realteil und Imaginärteil von (−2; 8) sowie (−2; 8) + (−5; 9). 2. Berechnen Sie 6 · (2; −1) und (6; 0) · (2; −1). 3. Berechnen Sie (1; 1) · (1; −1) und die ersten vier Potenzen von (1; −1). 4. Bestimmen Sie reelle Zahlen c und d so, dass (1; 2) · (c; d) = (0; 10). MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 2. Komplexe Zahlen - wasserdicht 21 C als R-Vektorraum: Bis auf die Schreibweise kann man die Elemente von C auch als Vektoren im R2 auffassen, und die Addition und Multiplikation mit reellen Skalaren ist genau so wie vom R2 gewohnt. Die Gleichung z = ( a; b) = a · (1; 0) + b · (0; 1) kann man für eine andere Darstellung komplexer Zahlen benutzen. Kürzt man ab: 1 = (1; 0) und i = (0; 1), so hat man die Darstellung z = ( a; b) = a · 1 + b · i (Die Namen für die “Einheitsvektoren” sind vielleicht erst mal etwas seltsam. Sie sind vielleicht eher die Bezeichnung (1; 0) = e1 oder Ähnliches gewohnt. Aber die seltsame Namensgebung ist nicht illegal.) Wir wechseln im Folgenden zwischen dieser neuen Schreibweise und der “Paarscheibweise” hin und her. Schreiben wir das Produkt zweier komplexer Zahlen nochmal in der neuen Darstellung: “Einheitsvektor” “Paarschreibweise” ( a · 1 + b · i) · (c · 1 + d · i) = ( ac − bd) · 1 + ( ad + bc) · i Einige Produkte: a) In Paarschreibweise gilt (1; 0) · ( a; b) = ( a; b) für alle a, b ∈ R; also 1 · z = z für alle z ∈ C. Also ist 1 das “Einselement” von C: Multiplikation mit 1 ändert eine komplexe Zahl nicht. Einselement b) In Paarschreibweise rechnet man nach, dass (0; 1) · (0; 1) = (0 − 1; 0 + 0) = (−1; 0); anders ausgedrückt: i2 = − 1 Also existiert in C eine Quadratwurzel aus −1. Aber haben wir wirklich unser Ziel erreicht? Wir wollten den Zahlbereich R zu einem grösseren erweitern, in dem auch −1 ein Quadrat ist. Stattdessen haben wir einfach eine neue Menge mit neuen Verknüpfungen gebastelt. . . 1. Rechnen Sie alle Aussagen im vorigen Abschnitt nach! MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Übungsaufgabe 22 Kapitel 2. Komplexe Zahlen - wasserdicht Steckt R in C drin? Betrachten wir die Menge aller a · 1 = ( a; 0) mit a ∈ R. Es gilt dann für alle reellen Zahlen a und b: a · 1 + b · 1 = ( a + b) · 1 und a · 1 · b · 1 = ( ab) · 1 Die Elemente von C der Gestalt a · 1 verhalten sich also genau so wie die reellen Zahlen. Deshalb wird diese Teilmenge von C mit R identifiziert. Übungsaufgabe 1. Rechnen Sie alle Aussagen im vorigen Abschnitt nach! Probleme und Anwendungen 2. Sind Sie von dem Argument im obigen Abschnitt nicht so richtig überzeugt? Dann erinnern Sie sich daran, dass man ein ähnliches Problem schon z. B. bei den natürlichen Zahlen und den Bruchzahlen hatte. Wie wurde es gelöst? Die endgültige Festlegung: Statt a · 1 + b · i schreiben wir im Folgenden kurz a + b · i, verzichten also auf die 1 ganz (das stört beim Rechnen nicht) und beim i auf den Fettdruck. Addition und Multiplikation zweier komplexer Zahlen erfolgen “nach den üblichen Regeln unter Berücksichtigung von i2 = −1”. Das haben wir im vorigen Kapitel auch schon mal gesagt, aber jetzt wissen wir, dass wir es auch dürfen! Denn z = a + bi steht ja nur als andere Schreibweise für ( a; b), und keiner kann uns verbieten, die Rechenoperationen wie erfolgt zu definieren. Exkurs Probleme und Anwendungen Was eigentlich fehlt: Wir müssten eigentlich noch verifizieren, dass die “üblichen” Rechenregeln wirklich für die Operationen gelten, die wir für C eingeführt haben. (Selbstverständlich ist das nicht!) Wir werden uns dieses Programm aber nicht komplett antun. Ein paar Beispiele kommen unten, zum Selberbasteln. 3. Weisen Sie (durch Benutzung der Definitionen) nach, dass in C das Kommutativgesetz der Multiplikation gilt: z1 · z2 = z2 · z1 für alle komplexen Zahlen z1 und z2 . 4. Weisen Sie (durch Benutzung der Definitionen) nach, dass in C das Distributivgesetz gilt: ( z1 + z2 ) · z3 = z1 · z3 + z2 · z3 für alle komplexen Zahlen z1 , z2 und z3 . MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 2. Komplexe Zahlen - wasserdicht 1. Weisen Sie (durch Benutzung der Definitionen oder besser mit Verwendung von a) und b)) nach, dass in C die binomische Formel gilt: (z1 + z2 )2 = z21 + 2z1 · z2 + z22 für alle komplexen Zahlen z1 und z2 . 2. Dr. Supertopchecker denkt: “Also, eigentlich wollte man ja Zahlen der Form a + b · i mit i2 = −1, aber da gab es Proteste gegen i. Die Protestierer konnten andererseits nichts gegen Zahlenpaare ( a; b) sagen; also schreibt man ein Zahlenpaar hin, denkt sich aber heimlich immer noch a + b · i. Ich will eigentlich ja Zahlen dieser Form multiplizieren, aber um Gequengel zu vermeiden, definiere ich eben eine Multiplikation von Zahlenpaaren, so dass. . .”. Denken Sie weiter, wenn Sie Lust haben. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 23 Probleme und Anwendungen 25 Kapitel 3. Rechnen mit komplexen Zahlen - Verfahren und Trainingslager Zwei komplexe Zahlen z1 = a + bi und z2 = c + di mit a, b, c, d ∈ R werden wie folgt addiert, subtrahiert bzw. multipliziert: Zur Erinnerung z1 + z2 = ( a + c ) + ( b + d ) i z1 − z2 = ( a − c ) + ( b − d ) i z1 · z2 = ( ac − bd) + ( ad + bc)i Die Subtraktion (Addition des Negativen) haben wir nur bequemlichkeitshalber mit in die Liste aufgenommen. Etwas Päckchenrechnen: Berechnen Sie folgende Ausdrücke. Das Resultat soll in der Form u + vi mit reellen u, v angegeben werden. 1. (1 + 2i ) + (4 + i ) 2. ( xy + 3i ) + ( x + i ) + (y + 2i ) mit x, y ∈ R 3. (10 + 3i ) + (4 − 2i ) 4. (1 + 2i ) − (4 + i ) 5. ( xy + 3i ) − ( x + i ) − (y + 2i ) 6. Subtrahiere z2 = x + y − 11i von z1 = −3 + i 7. (1 + 2i ) · (4 + i ) 8. ( xy + 3i ) · ( x + i ) · (y + 2i ) 9. (10 + 3i ) · (4 − 2i ) 10. (−3 + i ) · ( x + y − 11i ) Übungsaufgaben 26 Kapitel 3. Rechnen mit komplexen Zahlen - Verfahren und Trainingslager Komplex konjugierte Zahl und Betrag: komplex konjugierte Zahl a) Zu einer komplexen Zahl z = a + bi definiert man die komplex konjugierte Zahl durch z = a − bi. Die komplex Konjugierte einer komplexen Zahl hat also den gleichen Realteil und den entgegengesetzten Imaginärteil. b) Für alle komplexen Zahlen z, w gilt z · w = z · w. c) Für z = a + bi gilt Betrag z · z = a2 + b2 ∈ R. d) Für z = a + bi definiert man den Betrag durch |z| = √ z·z = p a2 + b2 . √ 49 + 36 = 85 ≈ 9, 22. √ (B) 5 + 12i = 5 − 12i und |5 + 12i | = 25 + 144 = 13 √ Beispiele (A) 7 − 6i = 7 + 6i und |7 − 6i | = Übungsaufgaben 1. Berechnen Sie die komplex Konjugierte und den Betrag folgender √ √ √ 3 1 Zahlen: 2; 5i; 3 + 4i; 1/ 2 + (1/ 2)i; 2 + 2 i. zu 2.: Setzen Sie w = c + di an und rechnen Sie beide Seiten der behaupteten Gleichung aus! Tipp zu 4.: Geometrie Betrag, multiplikativ 2. Rechnen Sie die Formel für z · w aus BSV b) oben im Einzelnen nach. 3. Rechnen Sie die Formel für z · z aus BSV c) oben im Einzelnen nach. 4. Woran erinnert Sie der Betrag einer komplexen Zahl? Eine Eigenschaft des Betrages: Der Betrag in C ist multiplikativ, das heisst |z · w| = |z| · |w| für alle z, w ∈ C. Denn es gilt Probleme und Anwendungen √ |z · w| = √z · w · z · w = √z · z · w √· w = z·z· w·w 5. Begründen Sie jeden Rechenschritt in obiger Gleichungskette. 6. Schreiben Sie die Gleichung |z · w| = |z| · |w| als Gleichung in reellen Zahlen a = Rez, b = Imz, c = Rew, d = Imw. Schön, oder? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 3. Rechnen mit komplexen Zahlen - Verfahren und Trainingslager 27 Multiplikativ Inverse und Division komplexer Zahlen: a) Das multiplikativ Inverse z−1 = 1z einer komplexen Zahl z 6= 0 (wenn es überhaupt existiert) soll der Gleichung z · z−1 = 1 genügen . Dabei hilft folgende Beobachtung: −1 z · (z · z) · z = 1. Division komplexer Zahlen durch reelle Zahlen können wir ja schon; das wird hier benutzt. Also gilt: 1 1 = 2 · z für z 6= 0 z |z| oder, wenn man dies mit Real- und Imaginärteil ausdrückt: 1 b a − i für a + bi 6= 0. = 2 a + bi a + b2 a2 + b2 b) Der Quotient wz zweier komplexer Zahlen (mit w 6= 0) soll die Gleichung ( wz ) · w = 1 erfüllen. Dies geht mit einem analogen Trick zu a): Für zwei komplexe Zahlen z = a + bi und w = c + di 6= 0 erhält man durch Erweitern des Bruches mit dem Konjugierten des Nenners einen reellen Nenner, also eine Darstellung von wz in der Gestalt u + vi mit reellen u und v: z w = = zw zw ww = |w|2 − ad) ( ac+bd) + (bc i c2 + d2 c2 + d2 Beispiele (A) Für w = 1 + 3i gilt (ganz ausführlich) 1 1 1 1 − 3i 1 − 3i 1 − 3i 1 3 = = · = 2 = = − i. 2 w 1 + 3i 1 + 3i 1 − 3i 10 10 10 1 +3 (B) Nochmal ausführlich: 1+2i 4+ i = (1+2i )·(4−i ) (4+i )·(4−i ) = 4−i +8i +2 16+1 = 6+7i 17 = 6 17 7 + 17 i 1. Bestimmen Sie Real- und Imaginärteil sowie den Betrag von von z: a) z = i2 − 1i b) z = (i − 1i )2 c) z = (−i )3 + i14 d) z = 1 − 1i 2. Berechnen Sie: a) 1i b) 10+3i 4−2i c) d) −3+ i , x, y ∈ x +y−11i √ ( 12 + 23 i )−1 . R MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Übungsaufgaben 28 Kapitel 3. Rechnen mit komplexen Zahlen - Verfahren und Trainingslager 3. Berechnen Sie: a) i2 + i5 + i3 b) i (−i ) − i2 + i3 − 18 c) 2i · 6i − 3i2 + 3i3 + i9 d) (2i − i2 )2 e) in für n = 3, 4, 5, für n = 20 und für n = 31 f) i4n , i4n+1 und i4n+3 für n ∈ N g) (−i )4n , (−i )4n+1 und (−i )4n+3 für n ∈ N. 4. Berechnen Sie zu z1 und z2 jeweils die Summe, die Differenz, das Produkt und den Quotienten. a) z1 = 1 + 2i und z2 = 4 + 3i d) z1 = 2 − 3i und z2 = i b) z1 = 1 + i und z2 = 1 − i e) z1 = i2 und z2 = 1 + 3i c) z1 = 17 − 12i und z2 = 2 + i f) z1 = i3 + 2i und z2 = 2i. 5. Berechnen Sie: a) i13 b) i16 c) i3 i5 d) i4 i2 e) i−1 − i−3 f) i−2 + i2 6. Schreiben Sie in der Form a + bi: a) (2 + 3i )(1 − i ) b) 1 3+4i c) 4+3i 1−2i d) 1+ i 1− i 2 7. Bestimmen Sie zu den Zahlen z1 = 1 + 4i und z2 = 1 + i sowie z3 = −2 + i Real- und Imaginärteil folgender Ausdrücke: a) z21 − 3z1 + z2 b) z1 + z3 4z2 −z3 c) z1 2 d) z1 2 2z1 −2z2 +i 8. Zeigen Sie, dass Real- und Imaginärteil einer komplexen Zahl z sich wie folgt schreiben lassen: z b) Im(z) = z− a) Re(z) = z+2 z 2i 9. a) Bestimmen Sie a ∈ R so, dass das Produkt ( a + i ) · (1 − 2i ) rein imaginär ist (d. h. Realteil Null hat). b) Bestimmen Sie a ∈ R so, dass das Produkt (2 − i ) · (−1 + ai ) reell ist! Tipp zu 11.: Machen Sie jeweils den Ansatz z = a + bi und vergleichen Sie Real- und Imaginärteil. 10. Zeigen Sie, dass für komplexe Zahlen z1 = a + bi und z2 = c + di folgende Beziehungen gelten: b) z1 + z2 = z1 + z2 a) z = z 11. Lösen Sie die folgenden quadratischen Gleichungen in C; d. h. bestimmen Sie alle komplexen Zahlen z, so dass gilt: a) z2 = i b) z2 = 5 c) z2 = −5 d) z2 = 2 + i Etwas heftiger: Tipp zu 12. a): Rechnen Sie mit dem Ansatz z = x + iy. Als Zwischenstufe erhalten Sie zwei Gleichungen für die zwei Unbekannten x und y. Tipp zu 12. b): Quadratisch ergänzen! 12. a) Weisen Sie nach, dass für jedes w = c + di 6= 0 die Gleichung z2 = w genau zwei Lösungen in C besitzt. b) Weisen Sie mit a) nach, dass für alle u, v ∈ C die Gleichung z2 + u · z + v = 0 genau eine oder genau zwei Lösungen in C besitzt. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 29 Kapitel 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene Kann man sich komplexe Zahlen geometrisch vorstellen? Von den reellen Zahlen ist uns die Darstellung als Zahlengerade bekannt. Aufgrund der zwei reellen Komponenten (Real- und Imaginärteil) einer komplexen Zahl ist es naheliegend, sich die komplexen Zahlen in einer zweidimensionalen Ebene zu veranschaulichen. Für die Ebene, in der wir die komplexen Zahlen darstellen wollen, verwenden wir die kartesische Koordinatenebene. Abweichend vom üblichen Gebrauch bezeichnen wir die x-Achse als reelle Achse und die y-Achse als imaginäre Achse und stellen die komplexe Zahl z = x + yi durch den Punkt ( x; y) in der Ebene dar. (Das ist auch nichts anderes als die Identifikation von C mit R2 als reellem Vektorraum.) Die so konstruierte Ebene nennt man komplexe Ebene oder auch Gaußsche Zahlenebene. Nunmehr kann man die reellen Zahlen mit den Punkten auf der reellen Achse identifizieren. Einstieg C.F. Gauß auf dem 10 DM Schein Die Abbildung rechts zeigt beispielhaft die Zahl 3 + 2i in der komplexen Ebene. Gaußsche Zahlenebene Geometrie: Betrag und Winkel. a) Das Skalarprodukt zweier komplexer Zahlen z und w wird definiert durch hz, wi = Re(zw). Für z = a + bi und w = c + di berechnet man hz, wi = ac + bd, das entspricht der Formel für das bekannte Skalarprodukt von Vektoren im R2 . (Die Notation mit den spitzen Klammern h·, ·i unterscheidet sich von dem üblichen “Malpunkt” für Vektoren. Das muss so sein, weil wir den Malpunkt bei C schon anderweitig vergeben haben. Die spitzen Klammern werden übrigens von vielen Leuten auch für das Skalarprodukt von Vektoren gebraucht. Skalarprodukt Kapitel 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene 30 Bezeichnungen sind eigentlich Schall und Rauch; wichtig ist nur, dass sie unmissverständlich sind.) b) Für den Betrag einer komplexen Zahl (den wir schon kennen) gilt mit a) auch q √ |z| = zz = hz, zi , wie gewohnt. c) Für den Winkel ϕ zwischen zwei von Null verschiedenen komplexen Zahlen z, w (eigentlich zwischen den Ortsvektoren der entsprechenden Punkte in der Gaußschen Ebene) gilt dann wie gewohnt: Re(zw) hz, wi = . cos ϕ = |z| · |w| |z| · |w| Insbesondere sind z und w orthogonal genau dann, wenn Re(zw) = 0. Übungsaufgaben 1. Berechnen Sie das Skalarprodukt von 3 + 4i und 6 − i sowie den Winkel zwischen diesen komplexen Zahlen. 2. Berechnen Sie das Skalarprodukt von 1 + i und 2i sowie den Winkel zwischen diesen komplexen Zahlen. 3. Berechnen Sie den Winkel zwischen z und i · z, wobei z 6= 0. 4. Zeigen Sie, dass für den Winkel ϕ zwischen z und z2 (wobei z 6= 0) gilt: z cos ϕ = Re( ). |z| Wir wollen nun einige Operationen in C auch geometrisch interpretieren. Addition einer Zahl als Translation: Ruft man sich die geometrische Interpretation der Addition von Vektoren ins Gedächtnis, so stellt man fest, dass die Addition einer festen Zahl w, also die Abbildung T = Tw : C → C, z 7→ z + w eine Parallelverschiebung in der Zahlenebene bewirkt. Beispiel (A) Durch die Translation T : C → C mit T (z) = z + 1 + i wird jeder Punkt z um 1 + i in der komplexen Ebene verschoben; also w = 1 + i. Für das Dreieck mit den Eckpunkten z1 = −1 + i, z2 = −2i MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer und z3 = 3 + 2i Kapitel 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene 31 Abbildung 4.1.: Ursprüngliches Dreieck und Verschiebung ergeben sich die Bildpunkte: f (z1 ) = −1 + i + 1 + i = 2i f (z2 ) = −2i + 1 + i = 1 − i f (z3 ) = 3 + 2i + 1 + i = 4 + 3i Dreieck und Verschiebung sind in Abbildung 4.1 dargestellt: Komplexe Konjugation als Achsenspiegelung: Die Abbildung S : C → C, z 7→ z stellt geometrisch eine Achsenspiegelung an der reellen Achse dar. Übungsaufgabe 1. Begründen Sie das! Multiplikation mit einer reellen Zahl als Streckung: Was passiert (geometrisch), wenn man eine komplexe Zahl z mit einer reellen Zahl a 6= 0 multipliziert? Wir betrachten also die Abbildung Da : C → C mit Da (z) = a · z. Ist a > 0 und z 6= 0, so liegt a · z auf der selben Geraden wie z, auf der selben Seite von 0 wie z und hat a-fachen Abstand von 0 wie z. Im Fall a < 0 liegen z und az auf verschiedenen Seiten von 0; der Abstand ändert sich um | a|. Es liegt also ein Streckung mit Faktor a vor. (A) Durch die Abbildung D = D2 : C → C mit D (z) = 2z wird jeder Punkt z um den Faktor 2 in der komplexen Ebene gestreckt. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Beispiel Kapitel 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene 32 Wir betrachten wieder das gleiche Dreieck wie bei der Verschiebung und erhalten folgende Bildpunkte: f (z1 ) = 2(−1 + i ) = −2 + 2i f (z2 ) = 2(−2i ) = −4i f (z3 ) = 2(3 + 2i ) = 6 + 4i Das gestreckte Dreieck sieht dann wie in Abbildung 4.2 aus. Abbildung 4.2.: Urspr„ungliches Dreieck und Streckung Probleme und Anwendungen Tipps: Rechnen Sie für ein paar Punkte die Bilder aus. Wie vergleichen sich |z| und | R(z)|? Und was weiß man über Winkel? Exkurs 1. Wie die Multiplikation mit einer beliebigen komplexen Zahl 6= 0 geometrisch zu interpretieren ist, können wir erst etwas später genau beschreiben. Wir wollen aber schon mal die Frage aufwerfen, was die Multiplikation mit i geometrisch darstellt. Betrachten Sie also R : C → C, z 7→ iz und erklären Sie, was hier geometrisch passiert. Es gibt eine Eigenschaft, die alle uns bisher bekannten Zahlbereiche aufweisen, die für die komplexen Zahlen aber nicht erhalten bleiben kann. Wir lassen das Problem erst mal wieder von den Herren O.R. Dentlich und R. Umbastler andiskutieren. O.R. Dentlich ist doch ein bisschen grantig, weil er sich nach der vorangegangenen Diskussion nicht gerade als Sieger fühlt. Deshalb bringt er einen alten Diskussionspunkt nochmal aufs Tapet und versucht ausserdem, R. Umbastler mit dessen eigenen Waffen √ zu schlagen: ORD: Sie haben mir immer noch nicht gesagt, ob −3 nun positiv oder negativ ist. Ich bin aber auch schon zufrieden, wenn Sie mir diese Auskunft für die Zahl i geben. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene 33 RU: Ihnen sollte eigentlich klar sein, dass diese Frage sinnlos ist. Wir haben ja gerade gesehen, dass sich C als Ebene darstellen lässt, und die Punkte einer Ebene kann man eben nicht anordnen. ORD: Das halten Sie für ein gutes Argument? Ich sage nur, dass man die komplexen Zahlen doch anordnen kann. Ich definiere: a + bi <` c + di gilt genau dann, wenn entweder a < c oder (a = c und b < d) gilt. Das Symbol <` soll nur verdeutlichen, dass ich eine neue Relation eingeführt habe; die anderen <-Zeichen beziehen sich auf die reellen Zahlen. RU: Erstens gibt es haufenweise Ordnungen, die man sich irgendwie zusammenbasteln kann. Zweitens muss die Sache ja auch mit der Addition und Multiplikation zusammenpassen, und da hakt es: Es ist i >` 0, aber i2 = −1 <` 0. So geht das nicht! ORD: Ok, aber wie Sie gerade selbst gesagt haben, gibt es noch haufenweise andere Möglichkeiten, eine Anordnung zu definieren. Und irgendeine davon könnte ja alle gewünschten Bedingungen erfüllen. Versuchen Sie es doch mal. Sie basteln ja auch sonst so gerne! 1. Bestätigen Sie die Rechnung von R. Umbastler. 2. Zeigen Sie: Ist z1 <` z2 und w beliebig, so gilt auch z1 + w <` z2 + w. 3. Skizzieren Sie die Menge aller z mit z >` 0 in der Zahlenebene. 4. Zeigen Sie: Für jedes z ∈ C gilt entweder z <` 0 oder z = 0 oder z >` 0. 5. Zeigen Sie: Für jedes Paar komplexer Zahlen z1 , z2 ∈ C gilt entweder z1 <` z2 oder z1 = z2 oder z1 >` z2 . 6. Stimmen Sie zu, dass es noch haufenweise andere Möglichkeiten gibt, eine Anordnung auf C zu definieren, so dass je zwei komplexe Zahlen vergleichbar sind? Wenn ja, geben Sie mindestens eine solche an. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Übungsaufgaben Kapitel 4. Geometrie mit C Die Zahlenebene 34 C lässt sich nicht so anordnen, dass die Anordnung mit Addition und Multiplikation kompatibel ist: Grundsätzlich folgt das aus den gleichen Argumenten, die schon im ersten Kapitel benutzt wurden, um zu zeigen, dass −1 kein Quadrat in R ist. Aber wir gehen das nochmal durch: Von einem angeordneten Zahlbereich mit Addition und Multiplikation (und üblichen Rechengesetzen) erwartet man (per Definition) gewisse Eigenschaften. So muss für zwei Zahlen a und b aus dem Bereich gelten, dass genau eine der folgenden drei Relationen richtig ist: a > b, a = b, a < b. Darüber hinaus muss gelten, dass die jeweilige Relation unter Addition und Multiplikation erhalten bleibt. Das bedeutet: aus a>b folgt für beliebiges c auch a+c > b+c und entsprechend für die Multiplikation: aus a>b und c > 0 folgt a · c > b · c. Man kann nun zeigen, dass diese Eigenschaften für die komplexen Zahlen nicht mehr gelten, jedenfalls wenn man die bekannte Anordnung auf den reellen Zahlen beibehalten will. (Aber man kann auch begründen, dass es auf R nur diese eine Anordnung gibt!) Wir wissen, dass die “imaginäre Einheit” i ungleich 0 ist. Demnach müsste sie also entweder kleiner oder grösser 0 sein. Angenommen, es gilt i > 0. Multipliziert man hier beide Seiten der Ungleichung mit i, so erhält man i2 > 0 · i, also −1 > 0, was falsch ist. Die Ungleichung konnte also unter der Multiplikation mit i nicht erhalten bleiben. Auch wenn wir davon ausgehen, dass i < 0, also (−i ) > 0 gilt, stossen wir auf einen Widerspruch, denn dann ergibt die Multiplikation mit (−i ) ebenfalls i2 > 0. Somit folgt, dass die oben geforderten Eigenschaften für die komplexen Zahlen nicht gelten können. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 35 Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) Um mit der Geometrie bei komplexen Zahlen weiter zu kommen, stellt sich heraus, dass wir die trigonometrischen Funktionen Sinus und Kosinus gut gebrauchen können. Ausserdem werden wir später noch einen engen Zusammenhang dieser trigonometrischen Funktionen mit der e-Funktion kennenlernen, der sich durch die Betrachtung komplexer Zahlen und Funktionen ergibt. Der jetzt folgende Abschnitt soll Ihr Wissen über Sinus, Kosinus usw. wieder aktivieren. Einführung Ähnliche rechtwinklige Dreiecke: Rechtwinklige Dreiecke, die in einem weiteren Winkel (und damit in beiden weiteren Winkeln) übereinstimmen, sind ähnlich. Des Weiteren sind durch diesen Winkel die Verhältnisse zweier Seiten des Dreiecks eindeutig bestimmt; jedem Winkel ϕ ist ein bestimmtes Seitenverhältnis zugeordnet und umgekehrt. Es macht demnach Sinn, rechtwinklige Dreiecke in Abhängigkeit von einem ihrer spitzen Winkel zu betrachten, den wir hier ϕ nennen. Die Kathete, die diesem Winkel gegenüber liegt, heißt Gegenkathete. Die dem Winkel ϕ anliegende Kathete heißt Ankathete. Einstieg 1. Was war gleich wieder eine Hypotenuse? Wie ging gleich wieder der Satz von Pythagoras für rechtwinklige Dreiecke? 2. In einem rechtwinkligen Dreieck mit den Katheten a und b und der Hypotenuse c ist ein Seitenverhältnis gegeben. Berechne die anderen Seitenverhältnisse mit Hilfe des Satzes von Pythagoras). a) a b = 32 . b) a c = 23 . c) a b = 21 . Gegenkathete, Ankathete Übungsaufgaben 36 Exkurs Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) Winkelmaße: Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Angabe der Größe eines Winkels. Diese werden Winkelmaße genannt. Die wichtigsten sind das Gradmaß und das Bogenmaß. Um den Scheitelpunkt des Winkels schlagen wir einen Kreis mit Radius 1 (Einheitskreis). Dann trennen die beiden Schenkel ein Stück von der Kreislinie, einen Kreisbogen ab. Die Länge des Kreisbogens ist abhängig von der Lage der Schenkel zueinander. Deshalb bietet es sich an, die Länge des Kreisbogens als Maß für die Größe eines Winkels zu verwenden. Am Einheitskreis ist die Länge des Bogens abhängig von der Öffnung der beiden Schenkel des Mittelpunktswinkels. Der Umfang des Einheitskreises beträgt 2π. Damit hat z. B der Bogen des halben Einheitskreises die Länge π und der eines Viertels vom Einheitskreis die Länge π2 . Wie stellt sich die Situation nun in einem Kreis mit beliebigem Radius r dar? Der Umfang eines solchen Kreises ist 2π · r, der Halbkreisbogen hat somit Länge πr und der Viertelkreisbogen Länge πr 2 . Bei gleich bleibendem Winkel ist die Bogenlänge proportional zur Länge des Radius. Somit können wir definieren: Das Bogenmaß eines Winkels α ist definiert als die Länge des zum Winkel gehörenden Bogens b am Einheitskreis, und allgemein als Quotient aus der Bogenlänge b und dem Radius r eines beliebigen Kreises: α = br . Das Bogenmaß eines Winkels ist eine reelle Zahl ohne Einheit. Beim Gradmaß wird der gesamte Kreis in 360 gleiche Teile, genannt 360◦ , geteilt. Ein Grad kann dann aufgefasst werden als der 360. Teil des Kreisbogens. (Die Einteilung in 360 Teile ist völlig willkürlich. Man könnte auch 1037 oder 400 Teile nehmen. Letzteres gibt es wirklich: Zum Beispiel im Vermessungswesen ist die Einteilung in 400 Neugrad gebräuchlich.) Das Gradmaß hat den Vorteil, dass Winkel so mit dem Geodreieck einfach gemessen und gezeichnet werden können. Bei Berechnungen und weiterführenden Problemstellungen erweist sich häufig das Bogenmaß als praktischer. Bei der Umrechnung zwischen Bogen- und Gradmaß eines Winkels geht man folgendermaßen vor. Da für den halben Einheitskreis mit Winkel 180◦ die Bogenlänge gleich π ist, gilt π ϕ = ϕ◦ 180 bzw. umgekehrt ◦ ϕ◦ = ϕ · 180◦ /π. Beispiele ◦ ◦ (A) Dem Bogenmaß ϕ = 1 entspricht der Winkel ϕ◦ = 180 π ≈ 57 und dem Winkel ϕ = 1◦ entspricht der Winkel im Bogenmaß π ϕ = 1◦ 180 ◦ ≈ 0, 0175. π (B) Ein 45◦ -Winkel ist im Bogenmaß 45◦ 180 ◦ = MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer π 4 ≈ 0, 785 groß. Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) (C) Ein Winkel von 30◦ misst im Bogenmaß π 6. 1. Wie groß ist der Winkel γ = 50◦ im Bogenmaß? Welche Gradmaßangabe entspricht der Angabe ϕ = 6? 2. Um wieviel Uhr (z. B.) schließen kleiner und großer Zeiger einen Winkel von π/3 ein? Welchen Winkel schließen die Zeiger um vier Uhr ein? Rechtwinkliges Dreieck im Einheitskreis: Wie verändern sich Gegen- und Ankathete in einem rechtwinkligen Dreieck, wenn der Winkel ϕ seine Größe ändert? Und wie verändern sich die Seitenverhältnisse? Zur Untersuchung dieser Frage lassen wir die Hypotenuse des Dreiecks gleich (hier gleich 1) und verändern nur den Winkel ϕ. Dies können wir leicht realisieren, wenn wir ein rechtwinkliges Dreieck im Einheitskreis betrachten. Mittelpunkt des Einheitskreises ist der Ursprung des Koordinatensystems. Bei der Betrachtung beschränken wir uns auf den ersten Quadranten: x 1 37 y ϕ Die Hypotenuse ist der Radius mit Endpunkt P auf dem Einheitskreis, der zugehörige spitze Winkel ist ϕ. Die Ankathete von ϕ ist der zu P gehörige x-Achsenabschnitt x, die Gegenkathete die Parallele zum entsprechenden y-Achsenabschnitt y. Lassen wir P nun die Kreislinie entlangwandern, durchläuft der Winkel ϕ die Werte zwischen 0◦ und 90◦ bzw. im Bogenmaß 0 und π/2 (0◦ < ϕ < 90◦ ), und auch die Katheten verändern sich entsprechend. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Übungsaufgaben 38 Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) Sinus und Kosinus Es wird für die Koordinaten des Punktes P (im ersten Quadranten) auf dem Einheitskreis definiert (siehe Abbildung 5.1): y = sin ϕ, x = cos ϕ. Abbildung 5.1.: Sinus und Kosinus Probleme und Anwendungen 1. Zeigen Sie, dass in einem beliebigen rechtwinkligen Dreieck gilt: sin ϕ = y 1 cos ϕ = x 1 “Gegenkathete” = “Hypotenuse” , “Ankathete” . = “Hypotenuse” “Gegenkathete” steht hierbei kurz (wenn auch nicht ganz legal) für die Länge der Gegenkathete etc. Der “trigonometrische Pythagoras”: Der “trigonometrische Pythagoras”: In rechtwinkligen Dreiecken gilt bekannter Weise der Satz des Pythagoras. Damit können wir eine sehr wichtige Eigenschaft von Sinus und Kosinus folgern: (sin ϕ)2 + (cos ϕ)2 = 12 = 1. In Worten: Die Quadrate des Sinus- und Kosinuswertes eines Winkels ϕ haben zusammen immer die Summe 1. Übungsaufgabe 2. Sinus und Kosinus können nur Werte kleiner oder gleich 1 annehmen. Begründen Sie diese Aussage algebraisch und geometrisch! MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) 39 Der Tangens ist nun (worauf der Name hindeutet) ein Maß für die Länge eines Tangentenabschnitts, nämlich des Abschnitts der zur y-Achse parallelen rechten Kreistangente x = 1 am Einheitskreis. Wiederum aufgrund der Ähnlichkeit entspricht der Tangens dem Verhältnis von Gegenkathete und Ankathete und wird folglich definiert als tan ϕ = tan ϕ y sin ϕ = = , 1 x cos ϕ x, cos ϕ 6= 0. Der Kotangens ist der Kehrwert des Tangens mit cot ϕ = cos ϕ sin ϕ . Tangens, Kotangens 1 tan ϕ = Er wird jedoch seltener verwendet. 1. Bestimmen Sie Sinus-, Cosinus- und Tangenswert folgender Winkel mit Hilfe des Taschenrechners: π/8; π/6, 1; 15◦ ; 78◦ . Übungsaufgaben 2. Bestimmen Sie Sinus-, Kosinus- und Tangenswert von π/4 ohne Benutzung eines Taschenrechners aus einem geeigneten rechtwinkligen Dreieck. 3. Gegeben sei ein rechtwinkliges Dreieck. Die Ankathete des Winkels ϕ sei 2 LE lang, die Gegenkathete 1 LE. Bestimmen Sie Sinus-, Kosinus- und Tangenswert von ϕ. 4. Geben Sie (evtl. mit Taschenrechnerhilfe) einen Winkel ϕ an mit a) cos ϕ = 1/2 b) tan ϕ = √1 . 3 c) sin ϕ = 1/4 und cos ϕ = 3/4. Sinus, Kosinus und Tangens auf dem gesamten Einheitskreis: Wir erinnern uns, dass Winkelgrößen nicht nur im Gradmaß, sondern auch im Bogenmaß angegeben werden können. Deshalb kann man die Winkelfunktionen selbstverständlich ebenso für Winkel im Bogenmaß definieren. Sinus und Kosinus sind auch definiert, wenn man den Punkt P über den ersten Quadranten des Einheitskreises hinaus weiterbewegt, d. h. die Drehung des zugehörigen Radius um den Ursprung betrachtet. Der Winkel ϕ liegt dann allerdings nicht mehr im Dreieck. So bestimmt jeder Winkel 0 6 ϕ < 2π bzw. 0◦ 6 ϕ < 360◦ seine Sinus- und Kosinuswerte . (A) Mit obiger Überlegung lässt sich leicht erkennen, was in den Fällen ϕ = 0 oder ϕ = π/2 etc. passiert: ist z. B ϕ = 0 liegt der Radius zum Punkt P (1, 0) auf der x-Achse, im Fall ϕ = π/2 liegt MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Zu beachten ist hierbei, dass bei Berechnungen mit dem Taschenrechner zwischen den Einstellungen DEG für Gradmaß und RAD für Bogenmaß gewählt werden muss. Beispiel 40 Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) der Radius zum Punkt P (0, 1) auf der y-Achse, zusammengefasst ergibt dies sin 0 sin(π/2) sin(3π/2) tan 0 = sin π = cos 0 = cos π = tan π = cos(π/2) = cos(3π/2) = 0 =1 = −1 = 0. Für ϕ = π/2 und ϕ = 3π/2 ist der Tangens nicht definiert, da dort der Kosinus den Wert 0 annimmt und anschaulich der Radius parallel zur rechten Kreistangente des Einheitskreises liegt, beide also keinen Schnittpunkt haben. Zusammenfassend gilt: Sinus und Kosinus können nur Werte zwischen −1 und 1 annehmen, der Tangens wird beliebig groß und beliebig klein. Übungsaufgaben 1. Bestimmen Sie ohne Taschenrechner alle Winkel 0◦ 6 α 6 360◦ , für die gilt: sin α = sin 10◦ , cos α = cos 150◦ . 2. Bestimmen Sie durch Ablesen am Einheitskreis die Winkel, für die gilt: √ sin α = 0, 8, cos α = −0, 3, tan α = 1, tan α = 3. 3. Für welche Winkel α ist: • sin α positiv und cos α negativ und umgekehrt? • sin α 6 0, 5 und cos α negativ? • tan α 6 1 und cos α positiv? Häufig wird diese kürzere Schreibweise sin2 ϕ anstelle von (sin ϕ)2 verwendet. Beziehungen zwischen den Winkelfunktionen: Genauere Betrachtung des rechtwinkligen Dreiecks im Einheitskreis führt uns zu einer Reihe von wichtigen Beziehungen zwischen Sinus, Kosinus und Tangens. Folgende Beziehung zwischen dem Sinus und dem Kosinus eines Winkels ϕ - den trigonometrischen Pythagoras - haben wir bereits gesehen: sin2 ϕ + cos2 ϕ = 1 MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) 41 Betrachtet man beim rechtwinkligen Dreieck im Einheitskreis entweder die x- oder die y-Achse als Symmetrieachse, lassen sich folgende Beziehungen ablesen: sin(π − ϕ) = sin ϕ cos(π − ϕ) = − cos ϕ tan(π − ϕ) = − tan ϕ und sin(− ϕ) = − sin ϕ cos(− ϕ) = cos ϕ tan(− ϕ) = − tan ϕ. 1. Benutzen Sie die Abbildungen und die Beziehung α = π/2 − β, um (mit entsprechender Änderung der Bezeichnungen) folgende Beziehungen nachzuweisen: sin ϕ = cos(π/2 − ϕ) cos ϕ = sin(π/2 − ϕ) tan(π/2 − ϕ) = tan1 ϕ Übungsaufgaben ( ϕ 6= 0, π/2). 2. Bestätigen Sie: sin σ + cos σ 1 = . tan σ sin σ 3. Welche der gegebenen Werte sind gleich sin(−25◦ )? sin(25◦ ), sin(155◦ ), sin(205◦ ). 4. Gelten in jedem Dreieck mit γ = 90◦ die Beziehungen sin α = cos β und cos α = sin β? 5. Man bestimme jeweils die andere Angabe (bei sin α cos α und umgekehrt), ohne den Winkel selbst und ohne Ta√ √ zu bestimmen 3 1 1 5 schenrechner: sin α = 5 , sin α = 4 5, cos α = 3 2, cos α = 13 . 6. Einige besondere Werte der trigonometrischen Funktionen: Begründen Sie die Werte in folgender Tabelle: α 0◦ = 0 cos α sin α tan α 1 0 0 30 ◦= √ 3 2 1 2 √1 3 π 6 ◦ = 45 √ 2 √2 2 2 1 π 4 60◦ = 1 2√ 3 √2 π 3 90◦ = π 2 0 1 3 Tipps: Einige Werte sind schon bekannt; die dürfen Sie übernehmen. Für ϕ = 45◦ hilft Pythagoras. Für ϕ = 60◦ betrachten Sie ein gleichseitiges Dreieck der Seitenlänge 1 und ein geeignetes darin befindliches rechtwinkliges Dreieck. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Probleme und Anwendungen 42 Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) Abbildung 5.2.: Zu den Additionstheoremen Additionstherme für Sinus und Cosinus: Etwas trocken im Aussehen, aber wichtig sind die sogenannten Additionstheoreme für Sinus und Cosinus: Für die Summe zweier Winkel α und β gelten folgende Additionstheoreme: sin(α + β) = sin α cos β + cos α sin β cos(α + β) = cos α cos β − sin α sin β Begründung (vergleiche Abbildung 5.2): Seien Pα und Pβ die Punkte auf dem Einheitskreis mit den Koordinaten (cos α, sin α) bzw. (cos β, sin β), die zu den Winkeln α und β gehören. Dreht man nun den Punkt Pβ um α, erhält man den Punkt Pα+ β (cos(α + β), sin(α + β)). Diese Koordinaten setzen sich jedoch aus den Teilstücken cos α cos β − sin α sin β bzw. sin α cos β + cos α sin β zusammen, was man an den jeweiligen rechtwinkligen Dreiecken im 2. und 3. Bild erkennen kann. So kommt z. B. sin α sin β im 3. Bild folgendermassen zustande: der im grünen Dreieck eingetragene Winkel ist 90◦ − α − (90◦ − (α + β)) = β und die Hypotenuse hat Länge sin α. Also ist die Gegenkathete von β gleich sin β sin α. Beispiele (A) Mit Hilfe der Additionstheoreme kann man dann auch Werte wie cos(2α) oder sin(α/2) aus cos α und sin α berechnen und somit aus den Hauptwerten sukzessive immer mehr Werte erhalten. Auf diese Weise können Tabellen für die Winkelfunktionen erstellt werden. Heute greift man stattdessen gerne auf Taschenrechner oder Computer zurück. Doch auch diese benötigen bestimmte Verfahren, wenn auch andere, zur Berechnung der Winkelfunktionswerte. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) 43 (B) So geht man für cos(2α) vor: cos(2α) = cos(α + α) = cos α · cos α − sin α · sin α = cos2 α − sin2 α = 1 − sin2 α − sin2 α = 1 − 2 sin2 α (C) Der Sinuswert für 75◦ kann folgendermassen berechnet werden. sin 75◦ = sin(30◦ + 45◦ ) = sin √ 30◦ · cos 45√◦ + cos 30◦ · sin 45◦ √ = 12 ·√22 + √23 · 22 = 14 ( 2 + 6) Übungsaufgaben 1. Berechnen Sie: a) sin(165◦ ) und cos(105◦ ). Tipp: sin(2 · π/8) ist Ihnen bekannt. b) sin(π/8) und cos(π/8). Trigonometrische Funktionen für Winkel ausserhalb [0, 2π ): Kommen wir nochmal zur Drehung des Radius mit Endpunkt P auf dem Einheitskreis. Dann gibt es neben den Drehungen um Winkel 0 6 ϕ < 2π Drehungen mit negativem Drehwinkel (Drehungen mit dem Uhrzeigersinn; ϕ < 0 ) und Drehungen, die über eine ganze Drehung hinausgehen (ϕ > 2π). In beiden Fällen können jedoch nur Punkte des Einheitskreises “getroffen” werden, die schon zu einem Polarwinkel ϕ ∈ [0, 2π ) gehören. Also müssen wir uns nur fragen, wie dann die Winkelfunktionen für Winkel außerhalb [0, 2π ) zu denen innerhalb [0, 2π ) in Beziehung stehen. Für negative Drehwinkel haben wir dies bereits getan. Zur Erinnerung: sin(− ϕ) = − sin ϕ cos(− ϕ) = cos ϕ tan(− ϕ) = − tan ϕ. Für Winkel 0 6 ϕ < 2π gilt allgemein: sin( ϕ + k · 2π ) = sin ϕ cos( ϕ + k · 2π ) = cos ϕ tan( ϕ + k · π ) = tan ϕ ( k ∈ Z ). (A) Beispiele sin 36◦ = sin 396◦ = − sin(−36◦ ), cos(−π/5) = cos π/5 = cos 2 51 π, 2π 5π tan 2π 3 = − tan(− 3 ) = tan 3 MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 44 Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) Polarkoordinaten Polachse Nullrichtung Achtung: Den Bereich für den Winkel θ kann man auch anders wählen; weit verbreitet ist auch die Wahl des Intervalls (−π, π ]. Verschiedene Bücher benutzen verschiedene Festlegungen. Wir bleiben bei der oben angegebenen. Anmerkung Im Bogenmaß ist der Arkustangens einer reellen Zahl a (arctan a) definiert als die (eindeutige) Zahl b ∈ (−π/2, π/2), welche tan b = a erfüllt. (Im Gradmaß ginge es um den zugehörigen eindeutigen Winkel zwischen −90◦ und 90◦ .) Hilfreiche Tipps: Mit handelsüblichen Taschenrechnern wird der Arkustangens mittels der Taste tan−1 berechnet. Vorsicht mit Gradund Bogenmaß! Beispiele Wir führen ein weiteres Koordinatensystem ein, nämlich das der Polarkoordinaten. Hierbei dienen der Pol O sowie ein von diesem ausgehender Strahl, die sogenannte Polarachse oder Nullrichtung, als Bezugsmittel. Die Lage eines Punktes P in der Ebene wird nun eindeutig festgelegt durch die durch Angabe seines Abstandes r vom Pol und des Winkels θ zwischen Polarachse und Strahl −→ OP. Die Polarkoordinatendarstellung ist also P (r, θ ) mit r ∈ R+ und θ ∈ [0, 2π ) oder [0◦ , 360◦ ). x P P r r O y θ O Umrechnung zwischen Polarkoordinaten und kartesischen Koordinaten: Man kann Angaben in einem der Koordinatensysteme in das andere umrechnen. Hierbei setzt man den Pol O mit dem Ursprung des kartesischen Systems und die Polarachse mit der x-Achse gleich. a) Mit Hilfe der bekannten trigonometrischen Zusammenhänge erhält man x = r · cos θ und y = r · sin θ. p b) Umgekehrt ist mit dem Satz des Pythagoras r = x2 + y2 . Bei der Ermittlung des Winkels liegt die Verwendung des Arkustangens von y/x nahe, wobei allerdings eine Fallunterscheidung vorgenommen werden muss: θ θ θ θ θ = arctan yx = π2 bzw. 90◦ = arctan yx + π bzw. arctan yx + 180◦ ◦ = 3π 2 bzw. 270 y = arctan x + 2π bzw. arctan yx + 360◦ für für für für für x x x x x >0 =0 <0 =0 >0 und und und und und y>0 y>0 y∈R y<0 y < 0. (A) Betrachten wir den Punkt P mit kartesischen Koordinaten √ (1, −1). Damit liegt P auf einem Kreis um O mit Radius r = 12 + 12 = √ 2. Den Polarwinkel θ erhalten wir mittels arctan(−1) + 2π = −π/4 + 2π. Damit √ 7 sind die Polarkoordinaten dieses Punktes gegeben durch ( 2, 4 π ). MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 5. Trigonometrische Funktionen (Wiederholung) 45 (B) Der Punkt mit der Polarkoordinatendarstellung (2, π/3) besitzt die kartesischen Koordinaten √ x = 2 cos(π/3) = 1; y = 2 sin(π/3) = 3. 1. Rechnen Sie folgende kartesischen Darstellungen in Polarkoordinaten um (Taschenrechner √ ggf. erlaubt): (1; 2); (−1; 1); (4; 3); ( 3; −1). 2. Rechnen Sie folgende Polarkoordinatendarstellungen in kartesische Koordinaten um (Taschenrechner ggf. erlaubt): (3; π/6); (1; 2); (1; π/4). 3. Welche Mengen in der Ebene werden in Polarkoordinaten beschrieben durch eine Gleichung r = c bzw. θ = c, wobei c eine geeignete Konstante ist? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Übungsaufgaben Abhängig vom zu beschreibenden Objekt kann es sinnvoll sein, negative Radien zuzulassen. (r |θ ) und (−r |θ − π ) beschreiben dann denselben (z.B. mehrfach durchlaufenen) Punkt. 47 Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* Im vorigen Abschnitt wurden die trigonometrischen Funktionen aus Sicht der Geometrie betrachtet. Nun wollen wir uns kurz ihrer analytischen Beschreibung und ihren Graphen widmen. Dieser Abschnitt kann auch übersprungen werden, da seine Ergebnisse nur in einigen Anwendungen benötigt werden. Andererseits gehören die Sinus- und Kosinusfunktionen zu den fundamentalen Funktionen, die in der Mathematik und vielen Anwendungsbereichen auftreten. Deshalb sollen sie hier diskutiert werden. Am Einheitskreis im vorigen Kapitel haben wir bereits gesehen, dass zu jedem Winkel ein Sinus- und ein Kosinuswert gehören. Betrachten wir die Winkel im Bogenmaß, können sich durch Drehungen des Punktes P auf dem Einheitskreis um mehr als eine volle Drehung und durch Drehungen gegen den Uhrzeigersinn alle reellen Zahlen ergeben. Jeder reellen Zahl x ∈ R kann somit ein Sinus- bzw. ein Kosinuswert zugeordnet werden. Dies führt zu einer Definition der Sinusfunktion und der Kosinusfunktion: R→R x 7→ sin x cos : R → R x 7→ cos x sin : Der Wertebereich dieser Funktionen ist das Intervall [−1; 1] ⊂ R. Wir erhalten folgende Graphen der Sinus- und Kosinusfunktion: Einführung Sinus- und Kosinusfunktion 48 Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* Eigenschaften der Funktionsgraphen: Phasenverschiebung a) Wie leicht zu erkennen ist, lassen sich Sinus- und Kosinuskurve um eine Verschiebung um π/2 entlang der x-Achse ineinander überführen, d. h. cos x = sin( x + periodisch, Periode(nlänge) π ). 2 Man sagt auch, sie haben Phasenverschiebung π/2. b) Wie bereits im vorigen Kapitel festgestellt, sind beide Funktionen periodisch mit Periode(nlänge) 2π. Es gilt demnach sin( x + 2π ) = sin x und cos( x + 2π ) = cos x. Dies lässt sich auf alle ganzzahligen Vielfachen von 2π verallgemeinern mit sin( x + 2kπ ) = sin x und cos( x + 2kπ ) = cos x, k ∈ Z. c) Auf dem reellen Intervall [0; 2π ] haben die Funktionen folgende markante Punkte, die man sich auch zum Zeichnen ihrer Graphen merken sollte: • Die Nullstellen der Sinusfunktion sind 0, π und 2π, die der Kosinusfunktion sind π/2 und 3π/2. • Der Sinus nimmt bei π/2 den Wert 1 und bei 3π/2 den Wert −1 an. • Der Kosinus ist bei 0 und 2π gleich 1 und bei π gleich −1. Die auf ganz R verallgemeinerte Formulierung lautet demnach wie folgt: • Die Nullstellen der Sinusfunktion sind k · π, k ∈ Z, die der Kosinusfunktion sind 2k2−1 π, k ∈ Z. • Der Sinus nimmt bei 2kπ + π/2, k ∈ Z den Wert 1 und bei 2kπ + 3π/2, k ∈ Z den Wert −1 an. • Der Kosinus ist bei 2kπ, k ∈ Z gleich 1 und bei π + 2kπ, k ∈ Z gleich −1. Symmetrien: punktsymmetrisch (ungerade), achsensymmetrisch (gerade) d) Symmetrie: Die Sinusfunktion ist punktsymmetrisch zum Koordinatenursprung (0, 0), weshalb man sie eine ungerade Funktion nennt: Es gilt sin(− x ) = − sin x für alle MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer x ∈ R. Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* 49 Der Graph der Kosinusfunktion ist achsensymmetrisch zur y-Achse, weshalb es sich um eine gerade Funktion handelt, d. h. es gilt cos(− x ) = cos x für alle x ∈ R. Die Ableitung der Winkelfunktionen: Die Winkelfunktionen sin und cos sind jeweils auf ganz R differenzierbar. Ihre Ableitungsfunktionen sind gegeben durch (sin x )0 = cos x, (cos x )0 = − sin x. Dies kann man auf verschiedene Weisen begründen. Siehe unten. 1. Bestimmen Sie die Maximalstellen, Minimalstellen, Monotoniebereiche und Wendepunkte von sin und cos mit Differentialrechnung und bekannten Werten. Übungsaufgaben 2. “Ich brauche keine Differentialrechnung, um Maximal- und Minimalstellen der Sinusfunktion zu bestimmen. Mir reicht das Wissen, dass −1 6 sin x 6 1 für alle x.” Stimmen Sie dieser Ansicht zu? 3. Bestimmen Sie die Ableitungsfunktionen folgender Funktionen: a) sin(3x + 4) − cos(2x − 3); b) 2 sin x cos x; sin x c) cos x (Tangensfunktion); d) sin( x2 ). Bestimmen Sie auch die Nullstellen und lokalen Maximalund Minimalstellen dieser Funktion. 4. Bestimmen Sie die lokalen Maximal- und Minimalstellen von f : [0, ∞) → R, f ( x ) = e− x cos x. Hier sollen die Ableitungsregeln für Sinus und Kosinus hergeleitet werden. Dabei wird nur die Differenzierbarkeit dieser beiden Funktionen in 0 vorausgesetzt. Gehen Sie also aus von der Gültigkeit der Beziehungen sin h cos h − 1 lim = 1; lim = 0. h h →0 h h →0 Tipp: Falls Sie rein zufällig an allen a ∈ R mit | cos a| = | sin a| interessiert sein sollten, denken Sie erst mal an Pythagoras. Probleme und Anwendungen 5. Leiten Sie mit der Grenzwertdefinition der Ableitung daraus (sin x )0 = Tipp: Additionstheoreme. cos x her. 6. Leiten Sie mit der Grenzwertdefinition daraus die Ableitungsfunktion des Kosinus her. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 50 Es geht auch mit Anwendung der Kettenregel Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* 7. Die Ableitung der Kosinusfunktion kann mit dem Ergebnis von 5. noch anders ermittelt werden. π 0 0 (cos x ) = sin x + = ··· ? 2 (Bitte selbst weiterrechnen.) 8. Können Sie die beiden vorausgesetzten Grenzwertbeziehungen über Sinus und Kosinus am Einheitskreis begründen? allgemeine Sinusfunktion Die so genannte allgemeine Sinusfunktion hat den Funktionsterm f ( x ) = a · sin(b( x + c)) + d. Achtung: Bei Veränderungen in y-Richtung gilt: Es wird zuerst gestreckt und dann verschoben. Bei Veränderungen in x-Richtung ist es umgekehrt. Dabei sind a 6= 0, b, c und d reelle Konstanten. Ihr Graph geht auf folgende Weise durch Strecken und Verschieben in Richtung der Achsen aus dem Graphen der Sinusfunktion hervor: • Der Faktor a bewirkt eine Veränderung der Amplitude; die Amplitude beträgt | a|. Es handelt sich um eine Streckung bzw. Stauchung in Richtung der y-Achse. • Der Faktor b im Argument des Sinus führt zu einer Periode . Hier findet eine Streckung bzw. Stauchung in von 2π |b| Richtung der x-Achse statt. • Addiert man im Argument des Sinus wie angegeben den Wert c, wird der Graph im Vergleich zur Sinusfunktion um −c entlang der x-Achse verschoben. • Die Addition von d führt zu einer entsprechenden Verschiebung entlang der y-Achse. Probleme und Anwendungen 1. Erstellen und verifizieren Sie eine entsprechende Liste von Aussagen für die allgemeine Kosinusfunktion Beispiel (A) Betrachten wir die Funktion: f ( x ) = −0, 5 cos(2x ) + 1. Im Vergleich zur Kosinusfunktion hat die Funktion cos(2x ) eine halb so lange Periode; sie ist gestaucht und π-periodisch. Der Faktor −0, 5 halbiert Amplitude, das negative Vorzeichen bewirkt eine Spiegelung an der x-Achse. Schließlich wird die Kurve um 1 nach oben (in Richtung der y-Achse) verschoben. Insgesamt ergibt dies den folgenden Graphen: MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* 51 y 1.5 1 0,5 π 2π 3π x 2. Skizzieren Sie (nach einigen Überlegungen und Rechnungen) den Graphen der Funktion mit Abbildungsvorschrift Übungsaufgaben f ( x ) = 2 sin(2x + π/4). Zeigen Sie, dass für alle reellen x gilt: √ √ f ( x ) = 2 sin(2x ) + 2 cos(2x ). 3. Zeigen Sie: Sind reelle Konstanten a und b gegeben, so gibt es Konstanten A und B derart, dass für alle reellen x gilt: sin( ax + b) = A cos( ax ) + B sin( ax ) Schwingungen wie die Hin- und Herbewegung eines Uhrpendels oder die Auf-und Abbewegung einer Masse an einer Feder entstehen dadurch, dass die Systeme aus einem stabilen Ruhezustand, der Gleichgewichtslage, ausgelenkt werden und eine sog. Rückstellkraft (verursacht durch Gravitation, Federspannung etc.) dieser Auslenkung entgegen wirkt. Gemeinsam ist vielen Schwingungen, dass sie periodisch verlaufen (d. h. ein bestimmter Bewegungszustand tritt in gleichen Zeitabständen wieder auf) und dass die Bewegung zwei Umkehrpunkte besitzt. Diese Punkte maximaler Auslenkung liegen räumlich und zeitlich symmetrisch zur Gewichtslage. Es seien zunächst einige Grundbegriffe erläutert: Die Auslenkung des Gegenstandes kann als eine Funktion der Zeit t beschrieben werden. Die Periode, also die Zeit, die der Gegenstand braucht, um eine vollständige Schwingung durchzuführen, nennt man auch Schwingungsdauer T. Ihr Kehrwert, die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde, heißt die Frequenz v = T1 . Weiter bezeichnen wir die größte Auslenkung aus der Gewichtslage mit Amplitude A. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Exkurs Gleichgewichtslage Schwingungsdauer T, Frequenz v, Amplitude A 52 Probleme und Anwendungen Für die Konstante k D gilt k2 = m , wobei D die so genannte Federkonstante oder Federhärte ist und m die Masse. Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* Die harmonische Schwingung und ihre Differentialgleichung: Die einfachste Klasse von Schwingungen sind die sogenannten harmonischen Schwingungen. Betrachten wir als typisches Beispiel für eine harmonische Schwingung die vertikale Bewegung eines Körpers K mit Masse m an einer Schraubenfeder. Wir hatten bereits überlegt, dass man die momentane Auslenkung des Körpers aus der Ruhelage als Funktion f in der Zeit t beschreiben kann. Die erste Ableitung f 0 (t) dieser Funktion stellt dann die Geschwindigkeit des Gegenstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt dar und die zweite Ableitung f 00 (t) seine Beschleunigung. Harmonische Schwingungen sind nun dadurch charakterisiert, dass die Rückstellkraft proportional zur Auslenkung (und in der Richtung der Auslenkung entgegengesetzt) ist. Auf Grund des zweiten Newtonschen Gesetzes ist dann die Beschleunigung bei einer harmonischen Schwingung proportional (und in der Richtung entgegengesetzt) zur Auslenkung. Jede harmonische Schwingung genügt daher einer Differentialgleichung der Form f 00 (t) = −k2 · f (t), mit k > 0. 1. Man kann zeigen: Die Lösungen dieser Gleichung sind genau die Funktionen f mit f (t) = A · sin(kt + c) mit Parametern A, c ∈ R, wobei A erneut die Amplitude oder maximale Auslenkung ist und c eine Phasenverschiebung durch den gewählten Beginn der Zeitmessung. Übungsaufgabe 2. Zeigen Sie: Die Lösungen lassen sich auch in der Gestalt f (t) = a cos(kt) + b sin(kt) mit geeignet gewählten Konstanten a und b darstellen. Was haben diese Konstanten mit f (0) und f 0 (0) zu tun? Beispiel (A) Ein Körper K der Masse m = 0, 5 (in kg) wird an einer Feder mit N der Federkonstanten D = 10 (in m ) aus seiner Ruhelage um 15cm nach unten ausgelenkt und dann losgelassen (Beginn der Zeitmessung). Die Funktion s, welche die Auslenkung (in m) des Körpers aus der Gewichtslage beschreibt, genügt der Differenzialgleichung der harmonischen Schwingung s00 (t) = − D · s(t) = −20 · s(t). m √ Die Funktion s ist dann gegeben durch s ( t ) = A · sin ( 20 · t + c) √ √ 0 und es ist s (t) = A · 20 · cos( 20 · t + c). Beim Loslassen des Körpers gilt: √ √ s0 (0) = 0 = A · 20 · cos( 20 · 0 + c) ⇒ c = π2 ; s(0) = 0, 15 = A ·√sin π2 ⇒ A = 0, 15 und damit π s(t) = 0, 15 · sin( 20 · t + 2 ). MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 6. Etwas Infini mit Sinus und Kosinus* Weiter kann z. B. die Schwingungsdauer T ermittelt werden, nachdem erneut der Ausgangspunkt s( T ) = 0, 15 erreicht wird. Man erhält √ √ π π π sin( 20 · T + ) = 1 ⇒ 20 · T + = + 2π 2 2 2 2π ⇒ T = √ ≈ 1, 4 (in s). 20 Zu den Zeitpunkten 14 T, 34 T etc. durchläuft der Körper K jeweils seine Gleichgewichtslage, wo er auch die maximale Geschwindigkeit erreicht: Mit √ √ cos( 20 · 14 T + π2 ) = cos( 20 · 14 · √2π + π2 ) = cos(π ) = −1 20 √ √ cos( 20 · 34 T + π2 ) = cos( 20 · 34 · √2π + π2 ) = cos(2π ) = 1 20 wird s0 (t) = 0, 15 · √ √ 20 · cos( 20 · t + π2 ) maximal mit √ 3 1 s0 ( T ) = s0 ( T ) = 0, 15 · 20 ≈ 0, 67 (in m/s). 4 4 MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 53 55 Kapitel 7. Die komplexe Polardarstellung und mehr Geometrie Zur Erinnerung: Jeder Punkt in ( x, y) ∈ R2 \ {(0, 0)} lässt sich in Polarkoordinatenform darstellen: x = r cos ϕ, y = r sin ϕ, wobei r >p0 und ϕ ∈ [0, 2π ) eindeutig bestimmt sind. Es gilt insbesondere r = x2 + y2 . Und auch zur Erinnerung: Jede komplexe Zahl z = x + iy lässt sich auch als Punkt ( x, y) in der Ebene auffassen. Wir kombinieren nun diese beiden Beobachtungen. Zu jedem z ∈ C, z 6= 0 gibt es ein eindeutig bestimmtes ϕ ∈ [0, 2π ), so dass z = |z| · (cos ϕ + i · sin ϕ) Diese Darstellung einer komplexen Zahl z 6= 0 heisst Polarkoordinatenform. Dabei bezeichnet ϕ den Winkel, den der zu z gehörige Vektor in mathematisch positiver Richtung mit der positiven reellen Achse einschliesst. Dieser Winkel wird Argument von z genannt. Es wird abgekürzt mit arg(z). Das Paar (|z|; ϕ) der Parameter |z| und ϕ bezeichnet man als Polarkoordinaten von z. Einstieg Anmerkung Frage: Warum auf einmal ϕ? Vorhin hieß der Winkel noch θ! Antwort: Es sind verschiedene Bezeichnungen üblich. Einfach daran gewöhnen und immer gucken, worum es sich gerade handelt... Polarkoordinatenform, Argument Anmerkung Falls z = 0, gilt die obige Gleichung für jedes ϕ; es ist also keine Eindeutigkeit gegeben. 1. Prüfen Sie in jedem Detail nach, dass die komplexe Polardarstellung der reellen Darstellung in Polarkoordinaten entspricht. Probleme und Anwendungen (A) Zu der komplexen Zahl z = 1 + √ i, soll die Polarkoordinatenform angegeben werden. Es gilt |z| = 2, und ϕ = π4 (siehe Kapitel 5). Also π π i √ h z = 2 · cos + i · sin , 4 4 √ und ( 2; π/4) sind die Polarkoordinaten von z. Beispiele (B) Die komplexe Zahl w mit Polarkoordinaten (4; π/3) ist gegeben durch √ w = 4 (cos(π/3) + i · sin(π/3)) = 2 + i · 2 3. 56 Übungsaufgaben Kapitel 7. Die komplexe Polardarstellung und mehr Geometrie 1. Bestimmen Sie die Polarkoordinaten folgender Zahlen; wenn nötig, setzen Sie einen Taschenrechner ein: a) z = √ 2i b) z = 1 + 3i c) z = −1 d) z = 2 + i e) z = 2 − i f) z = 2 − i g) z = −2 − 3i. 2. Bestimmen Sie Real- und Imaginärteil der komplexen Zahlen mit folgenden Polarkoordinaten: √ a) ( 2|π ) b) (3|π/2) c) (1|π/8). Superformel Kurz gesagt: Die Beträge werden multipliziert und die Argumente werden addiert. Eine Superformel: Die Polardarstellung komplexer Zahlen verträgt sich besonders gut mit der Multiplikation. Dazu betrachten wir die beiden komplexen Zahlen z1 und z2 mit arg(z1 ) = ϕ1 und arg(z2 ) = ϕ2 , also z1 = |z1 | (cos( ϕ1 ) + i · sin( ϕ1 )) und z2 = |z2 | (cos( ϕ2 ) + i · sin( ϕ2 )) . Für das Produkt gilt dann: z1 · z2 = |z1 ||z2 | (cos( ϕ1 + ϕ2 ) + i · (sin( ϕ1 + ϕ2 )) . Probleme und Anwendungen 3. Rechnen Sie dies nach! Tipp: Additionstheoreme für Sinus und Kosinus. 4. Richtig oder falsch: Das Argument von z1 · z2 ist gleich ϕ1 + ϕ2 . Geometrische Interpretation der Multiplikation: Wir wählen eine komplexe Zahl z 6= 0 mit Argument ϕ, und untersuchen die Abbildung Dz : C → C, w 7→ z · w. a) Ist |z| = 1, so ist Dz eine Drehung (gegen den Uhrzeigersinn) um 0 mit Drehwinkel ϕ. b) Ist |z| 6= 1, so ist Dz eine Drehstreckung mit Zentrum 0; also eine Drehung um 0 mit Drehwinkel ϕ, gefolgt von einer Streckung mit Faktor |z|. Begründung siehe unten. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 7. Die komplexe Polardarstellung und mehr Geometrie 57 Zur Illustration folgendes Bild: (A) Multiplikation mit i entspricht geometrisch einer Drehung um 0 mit Winkel π/2 (oder 90◦ ) gegen den Uhrzeigersinn. Beispiele (B) Multiplikation mit √1 (1 − i ) entspricht geometrisch einer Dre2 hung um 0 mit Winkel 7π/4 (oder 335◦ ) gegen den Uhrzeigersinn; anders gesagt einer Drehung mit Winkel π/4 (oder 45◦ ) im Uhrzeigersinn. √ (C) Multiplikation mit −1 + i 3 entspricht geometrisch einer Drehung um 0 mit Winkel 2π/3 gegen den Uhrzeigersinn, mit anschliessender Streckung um den Faktor 2. 1. Bestätigen Sie die Aussagen in obigen Beispielen durch Rechnung. Übungsaufgaben 2. Bestimmen Sie z so, dass Dz eine Drehung um 0 mit Winkel 3π/4 gegen den Uhrzeigersinn (bzw. im Uhrzeigersinn) ist. 3. Bestätigen Sie die Aussagen über die geometrische Interpretation der Multiplikation mit Hilfe der Superformel. Probleme und Anwendungen 4. Gegeben sind komplexe Zahlen z und b, wobei |z| = 1 und arg(z) = ϕ. Zeigen Sie, dass die Abbildung D : C → C, w 7→ b + z · (w − b) eine Drehung um b mit Drehwinkel ϕ ist. Wir wollen noch zeigen, wie Rechnen mit komplexen Zahlen manchmal große Vorteile bei der Lösung eines Problems bieten kann. Dazu suchen wir den verborgenen Schatz: Edward Teach war einst ein gefürchteter Pirat in der Karibik, der seine Beute stets auf einer unbewohnten Insel vergrub. Viele Jahre nach seinem Tod fand man eine seiner Schatzkarten mit folgendem Text: MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Exkurs 58 Kapitel 7. Die komplexe Polardarstellung und mehr Geometrie Vortsetzung Exkurs Edward Teach, genannt Blackbeard 1680 - 1718 Schatzkarte Gehe zuerst vom Galgen zur Palme, dann gleichviele Schritte unter rechtem Winkel nach links. Stecke dort die erste Fahne! Gehe dann vom Galgen zu den Felsbrocken und wieder genauso weit unter rechtem Winkel nach rechts. Stecke dort die zweite Fahne! Der Schatz ist genau in der Mitte zwischen den beiden Fahnen versteckt! Als man die Schatzkarte fand, waren die Palme und die Steine noch da, allerdings war der Galgen längst abgetragen. Der Suchtrupp, wo er schon mal da war und nicht untätig wieder abfahren wollte, wählte sich nun einfach willkürlich eine Stelle aus und ging von der unwahrscheinlichen Arbeitshypothese aus, dass dort der Galgen stand. Erstaunlicherweise fand der Trupp den Schatz beim ersten Spatenstich, obwohl man die Schritte vermutlich von der falschen Stelle aus getan hatte. War das einfach Riesenglück? Wo lag übrigens der Schatz? Wir wollen die Lösung Schritt für Schritt angehen. Um den Sachverhalt geometrisch zu erfassen führen wir eine komplexe Ebene ein und identifizieren die entsprechenden Orte mit Punkten dieser Ebene. Wir entscheiden uns für eine komplexe Ebene, deren Ursprung den Ort der Palme darstellt. (Dies ist die geschickteste Wahl, da dies mit dem geringsten Rechenaufwand zur Lösung führt. Es ginge prinzipiell aber auch mit anderen Vorgaben.) Außerdem sollen die Felsbrocken dann auf der positiven reellen Achse liegen. Wir wählen folgende Bezeichnungen: zP zG zB z1 z2 zS = = = = = = Ort Ort Ort Ort Ort Ort der des der der der des Palme = 0 Galgens Felsbrocken 1. Fahne 2. Fahne Schatzes Um den Sachverhalt zu verdeutlichen und unsere Behauptung, dass der Ort des Schatzes nicht vom Ort des Galgens abhängt, zu manifestieren, betrachten wir zunächst zwei Beispiele. Beispiel (A) Der Ort der Palme befindet sich -wie festgelegt- im Ursprung und der Ort der Felsbrocken auf der positiven reellen Achse; wir wählen z B = 6 für die folgenden Beispielrechnungen und Skizzen. Für den Ort des Galgens wählen wir nun versuchsweise den Punkt 2i auf der positiven imaginären Achse. Anschliessend verfolgen wir die Anweisungen der Schatzkarte: Geht man vom Galgen aus zur Palme und dann unter rechtem Winkel gleichweit (also 2 Einheiten) nach links, so gelangt man zu dem Punkt 2. Dort setzt man also die erste Fahne. Geht man dann vom Galgen zu den Felsbrocken und hinterher im rechten Winkel MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 7. Die komplexe Polardarstellung und mehr Geometrie 59 gleichweit nach rechts, so gelangt man zu dem Punkt 4 − 6i. Für den Ort des Schatzes ergibt sich dann, als der Mittelpunkt der Strecke mit Endpunkten z1 und z2 , der Punkt 3 − 3i. 1. Nun wählen wir für den Galgen einen anderen Ort, nämlich zG = 1 + i. Weisen Sie mit Hilfe einer Skizze nach, dass der Schatz wieder an der Stelle 3 − 3i liegt. Übungsaufgabe 2. Zeigen Sie rechnerisch, dass der Ort des Schatzes nur von z P und z B abhängt, aber unabhängig von zG ist. Tipp: Setzen Sie geeignete Vorschriften der Schatzkarte in Drehungen um und benutzen Sie C. Ein Zwischenergebnis ist z. B. die Gleichung z1 = −i · zG . Probleme und Anwendungen 3. Beschreiben Sie geometrisch, wie das Viereck mit den Ecken z10 , z20 , z30 , z40 unter Anwendung der Funktion f aus dem Viereck mit den Ecken z1 = −1 − 2i, z2 = −4i, z3 = 3 + i und z4 = −1 + 4i hervorgeht und berechnen Sie die Bildpunkte z10 , z20 , z30 und z40 ! a) f (z) = z + 3 + 4i b) f (z) = (2 + i ) · z Übungsaufgaben 4. Zeichnen Sie zunächst das Dreieck mit den Eckpunkten z1 = i, z2 = −2 sowie z3 = −3 − i. Zeichnen Sie dann das Bild des Dreiecks unter der Abbildung f ! a) f (z) = z + (2 + i ) b) f (z) = iz + 3 c) f (z) = −iz − 1 − i 5. Man betrachte die Gaußsche Zahlenebene. - Wo liegen alle komplexen Zahlen der Form a + ai mit a ∈ R? - Wo liegen die Zahlen a + i mit a ∈ R? - Wo liegen diejenigen Zahlen a + bi mit a, b ∈ R, für die a2 + b2 = 1 gilt? 6. In folgendem Dreieck gilt z1 = 2 und z2 = 6 + 2i. Außerdem sind die beiden Winkel α und β jeweils 45◦ groß. Berechnen Sie z3 , indem Sie zunächst eine allgemeine Formel aufstellen! MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 61 Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion Die Herren R. Umbastler und O.R. Dentlich waren zu lange ruhig. Es wird mal wieder Zeit, dass sie sich kebbeln. RU: Ich habe eine e-Funktion für imaginäre Zahlen entdeckt! ORD: Und wie soll die aussehen? RU: Ich definiere einfach für jedes reelle x, dass eix = cos x + i · sin x. ORD: Aha. Definieren Sie einfach. Haben Sie da auch einen Grund dafür? RU: Aber sicher: Es gilt für alle x1 , x2 dann ei( x1 + x2 ) = eix1 · eix2 . ORD: Das können Sie billiger haben, wenn Sie einfach eix = e x definieren. Und außerdem: Was machen Sie da schon wieder? Unter e x kann √ man sich was Konkretes vorstellen: e2 = e · e; e−1 = 1/e; e3/2 = e3 usw. Aber was soll ei ? Das ist Voodoo! RU: Das ist mal wieder Ihre typische Art: Was der Bauer nicht kennt usw. . .. Und es wäre idiotisch, eix = e x zu setzen, weil |eix | = 1 sein muss: eix = e(ix) = e−ix , also eix · eix = eix · e−ix = 1. ORD: Und wie begründen Sie die Gleichheit eix = e(ix) ? Sie holen sich die Argumente gerade wie Sie sie brauchen. Das nennen Sie mathematische Präzision? Und wieso nehmen Sie eigentlich die Basis e bei Ihrer komischen Formel? Wieso nicht 2 oder 53? RU: Also, ich finde e einfach besser, weil schon die reelle e-Funktion sich schöner verhält als andere Exponentialfunktionen. Und ich lasse mir meine Entdeckung nicht vermiesen. Ich kann nämlich jetzt eine e-Funktion für beliebige komplexe Zahlen definieren, wenn ich setze: ez = e x+iy = · · · (das Weitere geht in O.R. Dentlichs Protestgeschrei unter). Einstieg 62 Probleme und Anwendungen Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion 1. Rechnen Sie die Aussagen und Behauptungen in der Diskussion nach, bzw. führen Sie sie zu Ende! 2. Welchen Argumenten geben Sie recht, welchen nicht? komplexe Exponentialfunktion a) Die komplexe Exponentialfunktion ez wird wie folgt definiert: Für z = x + iy mit reellen x, y setzt man ez = e x+iy = e x (cos y + i sin y). b) Für alle komplexen z und w gilt damit die Funktionalgleichung (auch Additionstheorem genannt) ez+w = ez · ew . c) Die Polarkoordinatenform einer komplexen Zahl z 6= 0 mit Argument ϕ lässt sich mit der komplexen e-Funktion noch anders darstellen: z = |z| · (cos ϕ + i sin ϕ) = |z| · eiϕ . Exponentialform Übungsaufgaben Man nennt dies auch die Exponentialform von z. 3. Rechnen Sie die Funktionalgleichung in allen Einzelheiten nach! 4. Berechnen Sie (Real-und Imaginärteil von) a) e2+iπ/2 b) eiπ c) e−1+2i nach Möglichkeit ohne Taschenrechner. 5. Bestimmen Sie die Exponentialform von 1 − i und von 2 + i. Beispiel (A) Eine erstaunliche Formel: ei·2π = 1 Probleme und Anwendungen 6. Welchen herzlosen Kommentar könnte Herr O.R. Dentlich über die Formel vielleicht abgeben? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion Historisch gesehen, war die Entstehungsgeschichte der komplexen e-Funktion wohl gar nicht so unähnlich dem Verlauf der Diskussion am Anfang. (Ok, es war hoffentlich würdevoller.) Ohne Zweifel genial (und typisch für die mathematische Denkweise) war die Idee, die e-Funktion überhaupt auf die komplexen Zahlen ausdehnen zu wollen, und dabei die Erhaltung der Funktionalgleichung als Leitprinzip zu nehmen. Daraus folgt noch nicht zwangsläufig die obige Definition. Wenn man die Idee zu ihr aber mal hat, kann man ja noch weiter nach unterstützenden Argumenten suchen. Wir geben hier mal eine Begründung, die ein bisschen tiefer geht: 1. Für reelles x soll eix in “vernünftiger” Weise definiert werden.Wir können ja mal starten und den Realteil f ( x ), den Imaginärteil g( x ) nennen: eix = f ( x ) + ig( x ). Bisher ist noch gar nichts passiert. An e0 = 1 führt kein Weg vorbei, also ist f (0) = 1 und g(0) = 0. 2. Jetzt nehmen wir mal zusätzlich an, dass die Funktionen f und g differenzierbar sind, und leiten unbefangen ab: 0 (eix ) = f 0 ( x ) + ig0 ( x ). 3. Jetzt denken wir uns, dass es doch schön wäre, wenn die bekannten Ableitungsregeln für die e-Funktion erhalten blieben, damit ergibt sich: 0 (eix ) = i · (eix ) = − g( x ) + i f ( x ). 4. Vergleich von Real- und Imaginärteil liefert f 0 ( x ) = − g ( x ); g 0 ( x ) = f ( x ). Nochmaliges Differenzieren liefert f 00 ( x ) = − g0 ( x ) = − f ( x ); g00 ( x ) = f 0 ( x ) = − g( x ) und außerdem f (0) = 1, f 0 (0) = − g(0) = 0; g(0) = 0 und g0 (0) = 1. 5. Wir kennen Funktionen, die die Bedingungen aus 4. erfüllen: Man nehme f ( x ) = cos x und g( x ) = sin x. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 63 Exkurs 64 Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion 6. Jetzt kommt etwas mathematische Theorie von den universitären Höhen heruntergeschwebt: Es gibt nur eine Funktion f auf R, welche f 00 = − f und f (0) = 1, f 0 (0) = 0 erfüllt, und das ist die Kosinusfunktion. Es gibt weiterhin nur eine Funktion g auf R, welche g00 = − g und g(0) = 0, g0 (0) = 1 erfüllt, und das ist die Sinusfunktion. Also: Wenn wir die Ableitungsformel für die e-Funktion ins Komplexe retten wollen, bleibt uns keine andere Wahl. 7. Man könnte hier einen Knick in der Argumentation sehen: Weiter oben wurde die Funktionalgleichung e a+b = e a · eb als das Wichtigste herausgestellt; jetzt soll es die Ableitungsformel sein. Aber die Ableitungsformel ist eine Konsequenz der Funktionalgleichung (und der Differenzierbarkeit der Funktion). Übungsaufgabe Exkurs 1. Bitte oben alles nachrechnen, was nachgerechnet werden kann! Und noch ein grundsätzlicher Exkurs: Man ist nicht gezwungen, die komplexe e-Funktion wie oben getan zu definieren. Es gibt keinen Grund, die seltsame Definition e x+iy = e x · (1 + y) (Bitte gleich wieder vergessen!) als falsch zu bezeichnen. Definitionen sind nicht “richtig” oder “falsch”. Die Forderungen an Definitionen richten sich auf Konsistenz; konkret sollte für reelle x die “alte” und die “neue” Definition übereinstimmen. Das ist für die komische Definition von eben auch erfüllt. Es gibt aber eine (und nur eine) Definition der komplexen e-Funktion, welche die schönen Eigenschaften der reellen e-Funktion in natürlicher Weise fortsetzt, und das ist die am Anfang gegebene. Obendrein liefert diese Erweiterung auch noch schöne neue Werkzeuge und Einsichten. Beispiel (A) Sie können sich die Additionstheoreme für Sinus und Kosinus nie merken? Das macht nichts mehr, so lange Sie sich wenigstens das Additionstheorem (die Funktionalgleichung) für die e-Funktion merken können. Sind a und b irgendwelche reellen Zahlen, so gilt: ei(a+b) = eia · eib = (cos a + i sin a) · (cos b + i sin b). Andererseits ist ei(a+b) = cos( a + b) + i sin( a + b). MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion 65 Kombinieren der Gleichungen, Ausmultiplizieren und Sortieren ergibt: cos( a + b) + i sin( a + b) = cos a cos b − sin a sin b + i (sin a cos b + sin b cos a). Nun kann man Real- und Imaginärteil beider Seiten vergleichen und erhält auf diese Weise die bekannten (oder gerade mal wieder entfallenen) Additionstheoreme. 1. Rechnen Sie die oben angesprochenen Umformungen im Detail nach. Übungsaufgabe 2. Leiten Sie mithilfe der komplexen Exponentialfunktion die folgenden zwei trigonometrischen Formeln her: Probleme und Anwendungen cos 2ϕ = cos2 ϕ − sin2 ϕ und sin 2ϕ = 2 sin ϕ cos ϕ. Folgern Sie cos2 ϕ = 1 (1 + cos(2ϕ)) 2 2 und leiten Sie eine analoge Formel für sin ϕ her. Tipp: Benutzen Sie e2ϕi = (e ϕi )2 . 3. Es sollen die Formeln cos 3ϕ = 4 cos3 ϕ − 3 cos ϕ und sin 3ϕ = 3 sin ϕ − 4 sin3 ϕ hergeleitet werden. 4. Schildern Sie das allgemeine Prinzip hinter den obigen Aufgaben. Komplexe Zahlen in Physik und Ingenieurwesen: Dass die komplexen Zahlen mehr sind als eine mathematische Spielerei, zeigen die vielen Anwendungen, die sie in den Naturund Ingenieurwissenschaften haben. Wir wollen beispielhaft ein Problem ansehen, das vielfach unter Anderem in der mathematischen Beschreibung und Modellierung von Schwingungen auftritt: Gesucht ist eine Funktion f = f (t), welche eine sogenannte Differentialgleichung der Gestalt f 00 (t) + a · f 0 (t) + b · f (t) = 0 für alle t ∈ R erfüllt. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Exkurs 66 Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion Dabei sind a und b reelle Konstanten. Die Herkunft solcher Gleichungen wurde in Kapitel 6 kurz angedeutet, wo die Gleichung der harmonischen Schwingung besprochen wurde. Allgemeiner werden durch Gleichungen des obigen Typs unter anderem gedämpfte Schwingungen beschrieben. Für diese ist a > 0 und b > 0. Aber auch andere Gleichungen dieses Typs sind interessant. Beispiele (A) Gesucht sind (alle) Funktionen f , welche die Differentialgleichung f 00 (t) − f (t) = 0 erfüllen. Man kann hier erst mal raten: f 1 (t) = et klappt, und für f 2 (t) = e−t ist f 0 = − f , also f 00 = f ; das geht auch. Sind c1 und c2 beliebige Konstanten, so ist auch f ( t ) = c1 f 1 ( t ) + c2 f 2 ( t ) eine Lösung der Gleichung. (Das liegt an den bekannten Rechenregeln für die Ableitung.) Mit mehr mathematischer Theorie ergibt sich, dass damit alle Lösungen der Differentialgleichung gefunden sind. (B) Gesucht sind (alle) Funktionen f , welche die Differentialgleichung f 00 (t) + 3 f 0 (t) + 2 f (t) = 0 erfüllen. Hier springt wohl keine Lösung direkt ins Auge, aber man kann ja - nach der Erfahrung mit a) - mal probieren, ob es eine Lösung der Form f (t) = ekt mit einer geeigneten Konstanten k gibt. (Solche Ansätze sind legal, man muss natürlich damit rechnen, dass sie zu nichts führen.) Hier folgt f 0 (t) = kekt und f 00 (t) = k2 ekt . Einsetzen ergibt nun f 00 (t) + 3 f 0 (t) + 2 f (t) = k2 + 3k + 2 ekt . Also erfüllt eine Funktion dieser Gestalt die Differentialgleichung genau dann, wenn k2 + 3k + 2 = 0. Diese quadratische Gleichung hat die Lösungen k1 = −1 und k2 = −2. Also erhalten wir Lösungen f 1 (t) = e−t und f 2 (t) = e−2t . Sind c1 und c2 beliebige Konstanten, so ist auch f (t) = c1 f 1 (t) + c2 f 2 (t) eine Lösung der Gleichung. Mit mehr mathematischer Theorie ergibt sich wieder, dass damit alle Lösungen der Differentialgleichung gefunden sind. (C) Gesucht sind (alle) Funktionen f , welche die Differentialgleichung f 00 (t) + f (t) = 0 MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion 67 erfüllen. Machen wir (nach den guten Erfahrungen in Teil b)) wieder den Ansatz f (t) = ekt mit einer geeigneten Konstanten k. Dann gilt f 00 (t) + f (t) = k2 + 1 ekt . Wir kommen auf die Bedingung k2 = −1. (Falls Sie sich schon gefragt haben, wo die komplexen Zahlen bleiben: Hier sind sie wieder.) Was nun? Wie erhalten Lösungen f 1 (t) = eit und f 2 (t) = e−it , wenn wir auch mit komplexen Parametern (aber einer reellen Variablen) wie gewohnt weiter differenzieren. (So ähnlich haben wir in anderem Zusammenhang schon mal weiter oben agiert.) Es sind aber auch alle Funktionen der Gestalt f (t) = c1 f 1 (t) + c2 f 2 (t) Lösungen der Differentialgleichung, wenn c1 und c2 beliebige (auch komplexe) Konstanten sind. Wir erhalten also insbesondere Lösungen g1 (t) = 21 eit + e−it = cos t; g2 (t) = 2i1 eit − e−it = sin t. Wir hätten wohl schon vorher merken können, dass Sinus und Kosinus hier als Lösungen passen. (Schließlich haben wir es schon mal früher explizit festgestellt.) Aber unser Ansatz hat auch hier zum Ziel geführt. 1. Rechnen Sie alles genau nach, was da oben nur so dahin gesagt wurde. Übungsaufgabe Das Rezept: Ist eine Differentialgleichung der Gestalt f 00 (t) + a · f 0 (t) + b · f (t) = 0 (a und b reelle Konstanten) gegeben, so erhält man alle Lösungen durch folgende Prozedur: (i) Bestimme die (evtl. komplexen) Lösungen k1 und k2 der sog. charakteristischen Gleichung k2 + ak + b = 0. (ii) Sind k1 und k2 verschieden, so erhält man die (evtl. komplexwertigen) Lösungen f 1 (t) = ek1 t und f 2 (t) = ek2 t . Sind c1 und c2 beliebige Konstanten, so ist auch durch f ( t ) = c1 f 1 ( t ) + c2 f 2 ( t ) eine Lösung gegeben. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer charakteristische Gleichung k2 + ak + b = 0 68 Kapitel 8. Die komplexe Exponentialfunktion (iii) Sind k1 und k2 reell und verschieden, so sind in (ii) (mit reellen c1 und c2 ) alle reellwertigen Lösungen der Differentialgleichung gegeben. (iv) Sind k1 und k2 nicht reell und verschieden, so sind in (ii) (mit komplexen c1 und c2 ) alle komplexwertigen Lösungen der Differentialgleichung gegeben. Reellwertige Lösungen erhält man daraus, indem man Real- und Imaginärteil nimmt. (v) Eine etwas bodenständigere Variante: Sind k1 und k2 nicht reell, so ergibt die Lösungsformel für quadratische Gleichungen komplex konjugierte Lösungen der Gestalt k1,2 = u ± i · v mit reellen u und v, v 6= 0. Man erhält dann reelle Lösungen g1 (t) = eut cos(vt) und g2 (t) = eut sin(vt), und alle reellwertigen Lösungen der Gleichung sind von der Gestalt f ( t ) = d 1 g1 ( t ) + d 2 g2 ( t ) Anmerkung Man könnte meinen, dass Ingenieure bei Vorliegen komplexer Lösungen der charakteristischen Gleichung lieber mit der reellen Version (v) rechnen. Stimmt aber nicht! mit reellen Konstanten d1 und d2 . (vi) Der Sonderfall: Hat die charakteristische Gleichung in (i) nur eine (“doppelte”) Lösung k1 , so ist k1 reell und man erhält neben der Lösung f 1 (t) = ek1 t auch noch die Lösung f 2 (t) = t · ek1 t . Die Gesamtheit der reellwertigen Lösungen erhält man wieder in der Form f ( t ) = c1 f 1 ( t ) + c2 f 2 ( t ) mit reellen Konstanten c1 und c2 . Übungsaufgabe 1. Bestimmen Sie alle Lösungen der folgenden Differentialgleichungen: a) f 00 (t) + f 0 (t) − f (t) = 0; b) f 00 (t) + f 0 (t) + f (t) = 0; c) f 00 (t) + 2 f 0 (t) + f (t) = 0. Probleme und Anwendungen 2. Alle Aussagen im Rezept, ausgenommen diejenigen über die Vollständigkeit der gefundenen Menge von Lösungsfunktionen, lassen sich durch (manchmal nicht ganz einfaches) Nachrechnen begründen. Probieren Sie mal, wie weit Sie kommen! MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer 69 Kapitel 9. Polynomgleichungen über C Durch Hinzunahme von i haben wir erreicht, dass jede quadratische Gleichung x2 + ax + b = 0 mit reellen Koeffizienten eine Lösung in C besitzt. Dies sieht man durch Anwenden der bekannten Lösungsformel. Aber damit sind die Fragen noch nicht zu Ende. Wir wissen zwar, dass jede kubische Gleichung Einstieg x3 + ax2 + bx + c = 0 mit reellen Koeffizienten eine reelle Lösung besitzt, weil der Graph der zugehörigen Funktion die x-Achse schneiden muss. Aber wie sieht es z. B. mit x4 + 2x3 + 3x2 + 1 = 0 aus? In R hat diese Gleichung vom Grad 4 keine Lösung, wie die Umformung x4 + 2x3 + 3x2 + 1 = x2 ( x + 1)2 + 2 + 1 zeigt. Gibt es für diese Gleichung eine Lösung in C, oder muss man noch weitere Zahlen neu hinzunehmen, wenn man Lösbarkeit sichern will? Und außerdem könnte es ja sein, dass man sich durch das Hinzunehmen von i zu R zwar einerseits Probleme vom Hals schafft (wie die Unlösbarkeit der Gleichung x2 + 1 = 0), aber sich auch neue einfängt. Wie sieht es denn mit der Gleichung z2 + i = 0 aus, oder mit z3 − iz + 2 = 0? Muss man zu C weitere Zahlen hinzunehmen, wenn man Lösungen haben will, oder geht es vielleicht auch so? 1. Wieso hat jede kubische Gleichung mit reellen Koeffizienten eine Lösung in R? Begründen Sie möglichst genau, indem Sie das Verhalten der zugehörigen Polynomfunktion betrachten! 2. Verifizieren Sie die Umformungen bei der Gleichung vom Grad 4 und begründen Sie, dass keine reelle Lösung existiert. 3. Die Gleichung z2 + i = 0 hat zwei Lösungen in C. Finden Sie eine! Übungsaufgaben Kapitel 9. Polynomgleichungen über C 70 Eine Polynomgleichung vom Grad n ∈ N mit reellen oder komplexen Koeffizienten a0 , a1 , . . . , an , an 6= 0 hat die Gestalt a n x n + a n −1 x n −1 + · · · + a 1 x + a 0 = 0 Fragen: Hat jede Polynomgleichung mit reellen Koeffizienten eine Lösung in C? Hat jede Polynomgleichung mit komplexen Koeffizienten eine Lösung in C? Von vorneherein tendiert man zumindest bei der zweiten Frage zur Antwort “nein”. Aber sehen wir uns die Sache mal an. Probleme und Anwendungen Potenzen komplexer Zahlen in Exponentialschreibweise. 1. Zeigen Sie: Für jedes n ∈ N und jedes y ∈ R gilt: n eiy = einy . 2. Zeigen Sie: Für jedes n ∈ N und jedes y ∈ R gibt es ein v ∈ R derart, dass n eiv = eiy . 3. Finden Sie mit Hilfe√von 2. je eine Lösung der Gleichung z2 = i sowie z2 = 12 (−1 + i 3). n-te Einheitswurzeln Die n-ten Einheitswurzeln: Für jedes n ∈ N besitzt die Gleichung xn − 1 = 0 in C genau n verschiedene Lösungen. Sie sind gegeben durch zk := ei·2π ·k/n , also z0 = 1; z1 = ei·2π/n ; 0 6 k 6 n − 1; ... zn−1 = ei·2π ·(n−1)/n . und werden als n-te Einheitswurzeln bezeichnet. Übungsaufgaben 4. Bestimmen Sie alle n-ten Einheitswurzeln für die Fälle n = 2, n = 3, n = 4 sowie n = 6. 5. Rechnen Sie nach, dass die oben angegebenen zk wirklich znk = 1 erfüllen. Warum sind sie paarweise verschieden? 6. Die Zahl w = ei·2π ·43/25 erfüllt w25 = 1 (Nachrechnen!), tritt aber nicht in obiger Liste für n = 25 auf. Gibt es also doch noch mehr Lösungen der Gleichung? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Kapitel 9. Polynomgleichungen über C 71 Lösungen von “Radikalgleichungen”: Für jedes a ∈ C, a 6= 0 besitzt die Gleichung “Radikalgleichungen” zn = a genau n verschiedene komplexe Lösungen. Ist a = r · eiy die komplexe Polardarstellung mit r > 0 und 0 6 y < 2π, so ist eine Lösung der Gleichung gegeben durch w = r1/n · eiy/n . Alle Lösungen erhält man mit den n-ten Einheitswurzeln als w = w · z0 ; w · z1 ; ... w · z n −1 . 1. Bestimmen Sie alle Lösungen der Gleichungen z2 = −8i und z4 = −6. Potenzen komplexer Zahlen in Exponentialschreibweise. 2. Begründen Sie im Detail alle Aussagen über Lösungen von Radikalgleichungen. Lösungen von quadratischen Gleichungen: Für alle komplexen Zahlen a und b ist die Gleichung Übungsaufgabe Probleme und Anwendungen Quadratische Gleichungen z2 + az + b = 0 in C lösbar. Sie wird durch quadratische Ergänzung (wie aus der Sek I bekannt) auf den Fall einer “reinquadratischen” Radikalgleichung zurückgeführt: a 2 a2 z2 + az + b = 0 ⇔ z + −b = 2 4 2 Falls a4 − b 6= 0, besitzt die Gleichung zwei verschiedene Lösungen, 2 im Fall a4 − b = 0 existiert genau eine Lösung. 3. Lösen Sie die Gleichung z2 − 2iz − 2 = 0. 4. Lösen Sie die Gleichung z2 − 2z − i = 0. 5. Lösen Sie die Gleichung 4z2 − (1 + i )z − 3 = 0. 6. Für welche a ∈ C besitzt die Gleichung z2 + az + i = 0 genau eine Lösung? MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer Übungsaufgaben Kapitel 9. Polynomgleichungen über C 72 Exkurs Man könnte meinen, dass der Ergänzungstrick für quadratische Gleichungen sich auch für kubische Gleichungen usw. einsetzen lassen müsste. Das ist einerseits richtig, andererseits klappt es aber nicht ganz: Es ist a 3 z + az + bz + c − z + = 3 3 2 a2 b− 3 z + c − a3 /27, also a 3 a +v z + az + bz + c = z + +u· z+ 3 3 für geeignete Konstanten u und v. Aber das ist keine Radikalgleichung, und sonstige Tricksereien helfen auch nichts mehr. Allgemein kann man bei einer Polynomgleichung n-ten Grades den Term mit zn−1 zum Verschwinden bringen, aber mehr ist nicht drin. Nur im Grad-2-Fall kommt man also auf Radikalgleichungen. 3 Übungsaufgabe Fundamentalsatz 2 1. Rechnen Sie die Konstanten u und v aus! Der “Fundamentalsatz der Algebra”: Jede komplexe Polynomgleichung a n x n + a n −1 x n −1 + · · · + a 1 x + a 0 = 0 von einem Grad n ∈ N besitzt in C eine Nullstelle. Genauer besitzt sie n Nullstellen w1 , . . . , wn in dem Sinn, dass für alle z ∈ C gilt a n z n + a n −1 z n −1 + · · · + a 1 z + a 0 = a n ( z − w1 ) · · · ( z − w n ) . Ein Beweis (es gibt viele) dieses Satzes ist auf Schulniveau nicht machbar. Es fehlen vor allem einige Begriffsbildungen und Sätze der Analysis, und ein bißchen was soll ja noch für die Uni übrigbleiben. Der Spezialfall der Radikalgleichungen, den wir behandelt haben, spielt aber in einigen dieser Beweise eine wichtige Rolle. MPAC: S. Walcher, M. Zimmermann, J. Heitzer