Der Lutetiakreis – Keimzelle der Bemühungen

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Der Lutetiakreis – Keimzelle der Bemühungen um die Schaffung einer deutschen
Volksfront gegen den Faschismus
Von Dirk Krüger
L’hotel Lutetia acheté par des Israéliens
Le Lutetia, hotel de luxe parisien, a été vendu au groupe israélien Alrov. Ce rachat est tout
un symbole, puisque l’etablissement avait été réquisitionné duirant l’Occupation par les
Nazis, puis avait accueilli les rescapés des camps à leur liberation.
Diese Meldung wurde am 8. August 2010 in der französischen Zeitung “SUDOUEST”
verbreitet. Wer diese israelische Gruppe Alrov ist, und was sie mit dem Hotel vorhat –
darüber wird nichts berichtet. In Deutschland blieb die Meldung unbemerkt und
unkommentiert. Dabei hätten wir Deutschen allen Grund, uns an das Hotel Lutetia zu
erinnern.
Das soll die folgende Erinnerung nachholen.
In dem Hotel Lutetia ( Lutetia ist der römische Name für das alte Paris) kam am 26.
September 1935 eine Gruppe deutscher politischer Emigranten zusammen, die aus NaziDeutschland nach Frankreich in die Emigration geflüchtet waren. Am Tisch saßen 22
Sozialdemokraten, 4 Vertreter der KPD und 25 Vertreter anderer politischer Bewegungen.
Es war die seit 1933 größte Versammlung von Hitler-Gegnern verschiedener
weltanschaulicher und politischer Richtungen. Diese Gruppe gab sich den Namen
„Lutetiakreis“ und ist unter diesem Namen in die bewegte und bewegende Geschichte des
Exils 1933-1945 eingegangen.
Die Diskussionen verliefen äußerst kontrovers und widersprüchlich. Vor allem das Auftreten
und die Vorschläge des Sozialdemokraten Max Braun sorgten für Irritationen.
Karlheinz Pech bemerkt dazu: „Doch waren seine Motive für solche Vorschläge weniger in
der Schaffung einer deutschen Volksfront zu suchen als vielmehr darin, den Einfluss der
Kommunisten bei der Sammlung der antifaschistischen deutschen Opposition
zurückzudrängen.“
Um nicht gänzlich ohne Ergebnis auseinander zu gehen und um die weitere Arbeit des
Kreises sicherzustellen, einigte man sich auf die Einrichtung und den Betrieb eines Büros.
Ihm gehörten an: Heinrich Mann als Leiter, Georg Bernhard, Max Braun, Emil Julius Gumbel,
Otto Klepper, Willi Münzenberg, und Leopold Schwarzschild. Dem Büro wurde die wichtige
Aufgabe übertragen, weitere Zusammenkünfte zu organisieren.
In die Diskussion schaltete sich nach den Beschlüssen der Brüsseler Konferenz, mit seiner
Orientierung auf die Vereinigung aller Anti-Hitler-Gegner, auch das Politbüro der KPD mit
einem Dank und einer weit reichenden „Konzeption…für die folgenden Zusammenkünfte in
diesem Kreis“ ein.
Die Konzeption der KPD endete mit der Aufforderung: „Wir schlagen also vor, die
Beratungen regelmäßig weiterzuführen, aber im Sinne einer fortlaufenden Stellungnahme zu
den aktuellsten Fragen, die das deutsche Volk bewegen“.
Am 22, November 1935 fand eine zweite, diesmal bedeutend größere Versammlung des
Lutetiakreises statt. An ihr nahmen 11 Sozialdemokraten, 6 Funktionäre der KPD, 2 SAPMitglieder sowie mehrere bürgerliche Politiker und antifaschistisch gesinnte Schriftsteller,
insgesamt 44 Personen, teil.
Das Fehlen und die grundsätzlich ablehnende Haltung von Rudolf Breitscheid der Bewegung
gegenüber wirkten sich zunächst hemmend auf die antifaschistische Arbeit des
Lutetiakreises aus. So konnten auch auf dieser Zusammenkunft keine Beschlüsse gefasst
werden
Die Hinrichtung des Kommunisten Rudolf Claus, des Mitglieds der illegalen Reichsleitung der
Roten Hilfe Deutschlands, durch die Nazijustiz, bewirkte eine Änderung der Haltung der SPD
und wurde zum Ausgangspunkt einer ersten gemeinsamen Protesterklärung von SPD und
KPD im Exil. Sie trug die Unterschriften von Hans Beimler, Philipp Dengel, Wilhelm Koenen,
Willi Münzenberg, Max Braun, Rudolf Breitscheid, Emil Kirschmann, Max Brauer und Victor
Schiff.
Heinrich Mann kommentierte das so: „Das ist der erste gemeinsame Schritt deutscher
Sozialdemokraten und Kommunisten. Es geschah am 20. Dezember 1935, vermerken wir
den Tag, den spätere Geschichtsberichte nennen werden. An ihm vollzog sich tatsächlich die
Einheitsfront der Sozialisten, mit ihr aber beginnt die Volksfront der Deutschen.“
Hier taucht zum ersten Mal der Begriff „Volksfront“ auf. Er wurde zum Synonym für das
Bestreben, alle Kräfte im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus zusammenzuführen.
Aber, die Diskussionen und Auseinandersetzungen im Lutetiakreis verstummten damit nicht.
Im Gegenteil, sie nahmen beständig und an Schärfe zu. Wortführer waren vor allem die
Revolutionären Sozialisten, die in ihren Richtlinien zur Volksfront die Schaffung einer
einheitlichen, straff organisierten proletarischen Einheitspartei forderten. Georg Bernhard
entwarf eine Verfassung für das „Vierte Reich“. Leopold Schwarzschild verfasste im Februar
1936 den „Entwurf eines Einigungsabkommens und Konzept einer Grundgesetzgebung für
das Deutschland nach Hitler“. Emil Julius Gumbel formulierte ein „Minimalprogramm der
Deutschen Volksfront“
In dieser aufgeheizten Situation kam es am 1. Februar 1936 zu einem Vorbereitungstreffen
zwischen Vertretern der SPD, der SAP und der KPD für eine neue Konferenz des
Lutetiakreises, die dann auch bereits einen Tag danach, am 2. Februar 1936, wiederum im
Hotel Lutetia stattfand.
100 Teilnehmer wurden gezählt. Sie berichteten später übereinstimmend, dass die
Konferenz durch eine zumeist sachliche Diskussion gekennzeichnet war. Dadurch wurde in
verschiedenen Fragen eine Annährung der Standpunkte erreicht. Ein Aufruf wurde
einstimmig verabschiedet in dem die faschistische Kriegspolitik verurteilt und zum
Zusammenschluss aller Friedenskräfte aufgerufen wurde.
In der Folgezeit verbesserte und erweiterte sich auf der einen Seite die Zusammenarbeit
zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in Frankreich. Auch Rudolf Breitscheid
entschied sich für die ständige Mitarbeit in diesem Kreis. Die Mitarbeit der Saargruppe der
SPD brachte eine weitere Stärkung des Lutetiakreises.
Gleichzeitig wurden aber gegenläufige Tendenzen immer offenkundiger. Die zunehmend
heftigen Polemiken drehten sich um Fragen nach den unmittelbaren Zielen und Aufgaben
der antifaschistischen Kräfte in der Emigration. Kernpunkt der Auseinandersetzung aber war
die Frage nach der politischen und sozialen Gestaltung Deutschlands nach der Überwindung
der Hitler-Diktatur. Besonders in dieser Frage offenbarten sich extrem unterschiedliche
Vorstellungen.
Auf der Konferenz konnte folglich keine Einigung in diesen elementaren Fragen erzielt
werden.
Man einigte sich schließlich auf eine Arbeitsgruppe, die beauftragt wurde, eine politische
Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen und ein Programm für die Gestaltung des
künftigen Deutschland auszuarbeiten.
Fast parallel dazu fand Anfang März 1936 eine Beratung zwischen dem Exekutivkomitee der
Kommunistischen Internationale mit Vertretern der KPD zu Problemen der Schaffung einer
deutschen Volksfront statt.
Im Mai 1936 beteiligten sich in den Mitteilungsheften der Pariser Deutschen
Freiheitsbibliothek Max Seydewitz, Victor Schiff, Heinrich Mann, Walter Ulbricht, Willi
Münzenberg, Georg Bernhard und Rudolf Breitscheid mit eindeutigen Plädoyers für die
Volksfront, an der Diskussion.
Der Gedanke einer Volksfront fand dadurch unter den in das Exil getriebenen Antifaschisten
große Zustimmung. Am 22. April 1936 beschloss der Lutetiakreis auf Drängen von Heinrich
Mann ein Exekutivorgan aus 15 Personen zu bilden. Das war ein weiterer Versuch, die
Wirksamkeit der Arbeit zu verbessern und in anderen Ländern Mitstreiter zu gewinnen.
Das veranlasste Wilhelm Pieck in einem Brief an Heinrich Mann zu der Bemerkung: „Ich
verfolge mit großem Interesse Ihre Arbeit in dem sogenannten Lutetiakreis, mit der Sie uns
sehr in der Herbeiführung der Volksfront gegen Krieg und Faschismus helfen.“
Es gilt auf ein weiteres wichtiges Ergebnis, der Bemühungen, eine Volksfront aller HitlerGegner zu schaffen, hinzuweisen. Die Rede ist von dem gemeinsamen Aufruf „Seid einig,
einig gegen Hitler“ der am 24. Mai 1936 in allen bedeutenden Exil-Zeitungen veröffentlicht
wurde. Er richtete sich gegen die faschistische Aufrüstung und Rheinlandbesetzung und trug
die Unterschriften aller relevanten Exilorganisationen und Persönlichkeiten.
In dieser Situation entschloss sich die KPD zu einer Sitzung des Politbüros des ZK in Paris,
die dort vom 10. bis 24. Juni 1936 stattfand.
Wichtigster Punkt der umfangreichen Tagesordnung waren die „Richtlinien für die
Ausarbeitung einer politischen Plattform der deutschen Volksfront“.
Das von Wilhelm Pieck entworfene Dokument wurde am 16. Juni 1936 einer Kommission
des „Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront“ in Paris zur Diskussion
übergeben.
Die erste und zentrale Feststellung lautete: „Der Sturz der faschistischen Diktatur ist
angesichts der von ihr zur Sicherung ihrer Herrschaft geschaffenen Machtmittel eine so
gewaltige Aufgabe, daß keine der antifaschistischen Parteien mit ihren Anhängern allein
dazu die Kraft hat. Diese Aufgabe kann nur im Zusammenwirken aller antifaschistischen
Parteien und Organisationen, Gruppen und Persönlichkeiten, durch die Schaffung der
deutschen Volksfront erfüllt werden.“
Als wichtigste Aufgabe der deutschen Volksfront nannte die KPD den Kampf für den Frieden,
für Völkerversöhnung, für Kollektivsicherheit, für Abrüstung, für Freiheit und Demokratie.
In einem weiteren Abschnitt wurden die „Staatsgrundsätze des neuen deutschen Reiches“
formuliert.
Der Programmentwurf für die deutsche Volksfront vereinte – ganz im Sinne von Marx und
Engels - die aktuellen Aufgaben des antifaschistischen Kampfes mit den Perspektiven, mit
dem Kampf um den Sozialismus.
Die Richtlinien waren die geniale Umsetzung der vom VII. Kongress der Kommunistischen
Internationale und der Brüsseler Konferenz der KPD entwickelten und beschlossenen
Strategie und Taktik im Kampf gegen den Faschismus.
Wilhelm Pieck stellte, in vielen Gesprächen und Begegnungen, noch während der Tagung
des Politbüros, im Juni 1936 den im Lutetiakreis zusammengeschlossenen Parteien,
Organisationen und Persönlichkeiten, darunter Paul Hertz, Wilhelm Ferl, Siegfried
Aufhäuser, Friedrich Stampfer, Rudolf Breitscheid, Alexander Schifrin, Jakob Walcher, Paul
Frölich, Rosi Wolfstein, die Vorschläge der KPD vor.
Auch Heinrich Mann, der Zentralfigur des Lutitiakreises und Leopold Schwarzschild waren
wichtige Gesprächspartner. Dabei wurde – und das ist das Fazit - in allen wesentlichen
Fragen der aktuellen (1936) Strategie und Taktik des Kampfes gegen Faschismus und den
demokratischen Grundlagen nach dem Hitler-Faschismus Übereinstimmung festgestellt.
Und das war auch eine der Konsequenzen: Ab dem 9. Juni 1936 nannte sich der Lutetiakreis
„Ausschuss für die Vorbereitung einer deutschen Volksfront“. Zum Vorsitzenden wurde
Heinrich Mann gewählt.
Er äußerte sich zu den „Richtlinien“ am 19. Oktober 1936 in einem Brief aus Nizza an die
Propagandakommission des Volksfrontausschusses so: „Zu dem Entwurf der Richtlinien der
KPD erkläre ich meine Zustimmung und glaube, daß die
Richtlinien geeignet wären, eine Plattform der Volksfront vorzubereiten“.
Das alles geschah im Hotel Lutetia. Es bleibt zu hoffen, dass dieser historische Ort erhalten
bleibt als Erinnerung und Mahnung an die heutige Zeit, nicht nachzulassen im gemeinsamen
Kampf aller demokratischen Kräfte gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit,
Krieg und Neofaschismus.
Dirk Krüger
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