Tiergesundheit Serie: Weniger Antibiotika I n einem Punkt sind sich Landwirte, Ärzte und Politiker einig: Der Einsatz von Antibiotika muss reduziert werden – in der Tier- ebenso wie in der Humanmedizin. Nur so lässt sich die Gefahr der Selektion auf resistente Bakterien eindämmen. Ganz ohne Antibiotika geht es allerdings auch nicht. Denn selbst bei noch so guter Betreuung kann jedes Tier einmal krank werden. Und dann hat es ein Anrecht darauf, optimal behandelt zu werden. Viel ist bereits gewonnen, wenn es gelingt, orale Gruppenbehandlungen auf ein Minimum zu beschränken und stattdessen gezielt einzelne Tiere zu kurieren. Das setzt aber voraus, dass Sie die kranken Tiere noch frühzeitiger erkennen. Denn nur dann haben Sie eine Chance, die weitere Ausbreitung des Erregers im Bestand zu stoppen. Zudem müssen Sie alles daran setzen, Knacken Sie die Infektionsketten! Wie Sie die Krankheitsübertragung gezielt unterbrechen und kranke Tiere frühzeitig aufspüren, verrät Tierarzt Dr. Andreas Palzer aus Scheidegg. die typischen Infektionsketten in Ihrem Betrieb zu knacken. Dabei muss man zwei Arten der Erregerübertragung unterscheiden: • Vertikale Infektionsketten: Hier infizieren sich jüngere bei älteren Tieren. So können sich z. B. die Ferkel bei der Sau anstecken. Oder frisch abgesetzte Ferkel stecken sich bei zurückgestallten Kümmerern an. • Horizontale Infektionsketten: Hier wird der Erreger innerhalb einer Altersgruppe von Tier zu Tier übertragen, z. B. von einem erkrankten Läufer, der nicht rechtzeitig aus dem Abteil entfernt wurde, auf die Buchtengenossen. die Saugferkel. Bereits während der Geburt können sie sich z. B. bei ihren Müttern mit Streptokokken infizieren. Deshalb ist es wichtig, dass Sie zunächst die Gesundheit ihrer Sauen stabilisieren. Dazu gehören unter anderem regelmäßige Entwurmungen und Räudebehandlungen. Bei Räudeproblemen sollte man zweimal jährlich den kompletten Bestand behandeln. Beim Entwurmen ist es dagegen meist sinnvoller, gruppenweise vorzugehen. Sauen werden zehn bis vierzehn Tage vor dem Umstallen in Hygiene im Sauenstall:Das Aufbre- chen vertikaler Infektionsketten beginnt bereits bei den Sauen. Denn die Mütter sind bei vielen Erregern die erste und wichtigste Ansteckungsquelle für Klares Ziel der intensiven Tierbeobachtung sind gezielte Einzeltierbehandlungen in einem frühen Stadium der Erkrankung. Doch auch jede Einzeltierbehandlung mit der Spritze verursacht in der Gruppe Stress. Denn das betreffende Tier muss für die Behandlung fixiert werden. Deshalb sollte Ihr Tierarzt für Einzeltierbehandlungen – wo dies möglich ist – Präparate auswählen, die nur S 14 top agrar 11/2013 einmal verabreicht werden müssen (One Shot) und eine lange Wirkungsdauer aufweisen. Häufen sich in einer Gruppe die Einzeltierbehandlungen, sollten Sie besser wieder zur Gruppenbehandlung über das Futter oder die Tränke übergehen. Denn jede Behandlung erhöht den Stresspegel in der Bucht und kann dadurch weitere Krankheitsausbrüche provozieren. Foto: Heil One Shots bevorzugen Entfernen Sie regelmäßig den Kot aus der Abferkelbucht, um den Keimdruck zu vermindern. Foto: Heil Waschen Sie die Sauen gründlich, bevor Sie sie vom Warte- in den Abferkelstall umstallen! Ferkel sind besonders anfällig. Daher sollten Sie vor und nach der Geburt regelmäßig den Kot hinter den Sauen entfernen. Kotschlitze erleichtern diese Arbeit enorm. Wichtig ist auch, dass Sie die Nachgeburten möglichst zeitnah aus der Abferkelbucht entfernen. Denn sie sind ein idealer Nährboden für Bakterien, an dem sich die eben erst geborenen Ferkel infizieren können. Oftmals sind Nabelentzündungen die Folge. Das Ausbringen von Gesteinsmehl oder anderen Trockendesinfektionsmitteln verbessert die Hygiene im Abferkelbereich zusätzlich. Niemals zurückstallen!Eine klassi- sche vertikale Infektionskette wird auch ausgelöst, wenn Sie ältere Tiere in eine jüngere Altersgruppe zurückstallen. Um dies zu vermeiden, müssen Sie auf eine konsequente Rein-Raus-Belegung achten. Gleich alte Tiergruppen sollten immer gemeinsam in ein zuvor gereinigtes und desinfiziertes Abteil Foto: Heil den Abferkelstall entwurmt. Auch Mastferkel werden bei Bedarf zehn bis vierzehn Tage vor dem Umstallen in den Maststall einer Wurmkur unterzogen, spätestens jedoch direkt nach dem Umstallen. Zur Stabilisierung gehören auch regelmäßige Impfungen. Standard sollte eine kombinierte Parvo/Rotlauf-Impfung der Sauen sein. Je nach Erregerdruck im Bestand bzw. in der Region kann es zudem sinnvoll sein, dass Sie die Muttertiere zusätzlich gegen Influenza oder PRRSV impfen. Außerdem wichtig: Waschen Sie die Sauen vor dem Umstallen vom Wartein den Abferkelstall mit Wasser und einem geeigneten Tierwaschmittel, um äußerlich anhaftende Erreger und Wurmeier abzuspülen. Anschließend stallen Sie die Tiere in saubere, frisch gereinigte und desinfizierte Buchten um. Achten Sie dabei darauf, dass die Buchten vor dem erneuten Belegen ausreichend abgetrocknet sind. Nachgeburt entfernen: N eugeborene Trockendesinfektionsmittel reduzieren das Risiko, dass sich die frisch geborenen Ferkel infizieren. top agrar 11/2013 S 15 Tiergesundheit Übersicht 1: Kontrollieren Sie den Durchfluss der Tränken Beißtränke , l/min Wasserbedarf, l/Tag tragende Sauen 1,5 – 2,0 8,0 – 15,0 Eber 1,5 – 2,0 10,0 – 15,0 – 15,02) 1) laktierende Sauen Saugferkel abges. Ferkel Mastschweine 1) Durchflussrate, 0,5 0,7 0,5 – 0,8 1,0 – 2,0 0,8 – 1,2 3,0 – 10,03) Frühwarn­ system IPC Kontrollieren Sie die Tränken. Kalk- und Biofilm-Ablagerungen können den Rohrquerschnitt verengen. Neben Screening-Programmen, die die Herdengesundheit anhand bestimmter Blutparameter überwachen, gibt es seit einiger Zeit auch das Herdenmanagement-Programm „Individual Pig Care“ (IPC) der Firma Zoetis. Es stützt sich auf die Gesundheitsbeobachtung einzelner Tiere. Ziel ist, kranke Tiere möglichst früh zu erkennen, um sie dann umgehend behandeln zu können. Beim IPC werden Einzeltiere einer Gruppe in festen Zeitabständen nach einem definierten Schema beobachtet und anschließend nach einem so genannten A-B-C-D-Schema klassifiziert. A-Tiere versprechen den höchsten Behandlungserfolg. Die D-Tiere dagegen merzt man besser sofort, damit sie den Erreger nicht noch weiter verschleppen. Neben dem Gesundheitsstatus werden auch die Stalleinrichtung, Stallklima, Fütterung und Tränke kontrolliert. Alle Behandlungen werden mithilfe eines digitalen Stiftes auf einem Datenblatt notiert und dann per Bluetooth und Smartphone zu einer zentralen Auswertungsstelle geschickt. Dort ist der aktuelle Gesundheitsstatus der Herde jederzeit online abrufbar. 2) Zulage: 1,5 l/Ferkel, 3) je nach Gewicht Quelle: modifiziert nach Heinritzi, 2006 umgestallt werden! Verwenden Sie dabei DVG-geprüfte Desinfektionsmittel. Im Wachstum zurückgebliebene Tiere bringen Sie bis zum Verkauf am besten in einem separaten Abteil unter. Innerhalb einer Altersgruppe (horizontale Infektionskette) können sich Krankheitserreger immer dann optimal ausbreiten, wenn die Belegungsquote voll ausgeschöft wird oder wenn Stressfaktoren das Immunsystem der Schweine schwächen. Daher kommt es darauf an, alles zu vermeiden, was die Tiere stressen könnte. Zunächst einmal müssen Sie die Grundbedürfnisse Ihrer Schweine optimal stillen. Dazu gehört, dass den Schweinen ausreichend viele und in jedem Altersabschnitt gut erreichbare Tränken zur Verfügung stehen. Dabei müssen Sie regelmäßig kontrollieren, dass die Durchflussraten der Tränken ausreichen (siehe Übersicht 1). Nicht selten schmälern Biofilme im Innern der Rohre den Wasserdurchfluss und belasten das Wasser. Außerdem darf das Tier-/Fressplatzverhältnis nicht zu eng sein, und das Stallklima muss optimal eingestellt sein. Besonders wichtig ist die Belegdichte. Denn eine zu dichte Aufstallung kann bei den Tieren enormen Stress auslösen. Deshalb ist es weder unter Tierwohlaspekten noch aus wirtschaftlicher Sicht immer sinnvoll, die maximale Belegdichte auszuschöpfen. Wohlfühl-Krankenbuchten: Trennen Sie kranke Tiere so früh wie möglich von Ihren Buchtengenossen, um die weitere Erreger-Übertragung zu stoppen! Separate Krankenbuchten haben zudem den Vorteil, dass die „Patienten“ dort in Ruhe behandelt werden können, ohne jedesmal die gesamte Gruppe zu beunruhigen. Leider verfügen noch nicht alle Betriebe über ein geeignetes Kranken- Foto: Palzer abteil. Kranke Tiere haben besondere Bedürfnisse: Sie brauchen Ruhe und Wärme, eventuell auch eine weiche Unterlage. Die Krankenbucht sollte sich deshalb möglichst abseits vom „Tagesgeschäft“ befinden und über Wärmestrahler beheizbar sein. Bieten Sie den Tieren hier zudem ein Futter an, das besonders schmackhaft und leicht bekömmlich ist, um die Futteraufnahme anzuregen. Auf keinen Fall dürfen Sie die Tiere nach ihrer Genesung wieder zurück in ihr ehemaliges Abteil bringen! Denn auch wenn die Patienten augenscheinlich wieder gesund sind, können sie weiterhin Erreger ausscheiden. Das Krankenabteil sollte etwas abseits vom „Tagesgeschäft“ gelegen und beheizbar sein. S 16 top agrar 11/2013 Einzeltiere behandeln: E ntscheidend ist, dass Sie erkrankte Tiere möglichst früh aufspüren, um sie ganz gezielt therapieren und auf eine Gruppenbehandlung verzichten zu können. Das setzt Übers. 2: Checkliste für die Gesundheitskontrolle Kriterium Gesunde Schweine Verhalten sind neugierig, suchen Kontakt sondern sich von ihren Artgenossen ab. zum Untersucher. belasten alle vier Gliedmaßen Körperhaltung gleichmäßig, zeigen keine Zwangsbewegungen. Kranke Schweine sitzen evtl. auf den Hinterbeinen, stehen mit aufgekrümmtem Rücken, rudern in Seitenlage, etc. Ernährungszustand Beim stehenden Tier sind die Dornfortsätze der Wirbel nicht sichtbar. Atmung weisen eine verstärkte Brust- oder atmen im Brust- und BauchbeBauchatmung auf, sie atmen häufig reich, atmen durch die Nase. durchs offene Maul. Husten husten selten husten trocken (meist viral bedingt) oder feucht (oft bakteriell bedingt). Haut haben eine glatte, matt-glänzende, rosa gefärbte Haut. haben eine blasse, evtl. blau verfärbte Haut, ein stumpfes Fell und lange Haare, eventuell auch Schuppen. haben gut sichtbare Dornfortsätze. Ihre Flanken sind oft eingefallen. erfolgt die Beurteilung der Bestandsgesundheit anhand der intensiven Beobachtung einzelner Tiere (siehe Kasten). Die Tiere werden anschließend nach einem festen A-B-C-D-Schema klassifiziert. A-Tiere sind z. B. ewas hager und wirken teilnahmslos. Bei ihnen verspricht eine rasche Behandlung aber noch den größten Heilungserfolg. Von D-Tieren, die stark abgemagert sind und ein stumpfes Haarkleid aufweisen, trennen Sie sich dagegen besser gleich. Das IPC-System funktioniert zuverlässig, wie neue Auswertungen aus Belgien zeigen. Die Beobachtung auf Einzeltierbasis ist jedoch aufwendig. Deshalb wird das IPC zurzeit von der Tierärztlichen Hochschule Hannover an deutsche Verhältnisse angepasst. Quelle: Palzer Achten Sie bei der täglichen Tierkontrolle auf das Liege- und Fressverhalten, den Konditionszustand, die Atmung und auf Hautveränderungen. Schnell gelesen • Wer weniger Antibiotika ein- allerdings voraus, dass Sie die Schweine intensiv beobachten. Achten Sie dabei auch auf das Verhalten der Schweine (siehe Übersicht 2). Gesunde Schweine sind neugierig und suchen Kontakt. Kranke Schweine wirken teilnahmslos und sondern sich ab. Aufschluss gibt auch der Ernährungszustand, den Sie am besten anhand der Dornfortsätze der Wirbelsäule beurteilen. Sind die Dornfortsätze beim stehenden Schwein erkennbar, ist der Ernährungszustand unzureichend. Für Sauen erfolgt die Bewertung anhand des dafür eigens entwickelten Body Condition Score (BCS). Ein Spiegelbild des Gesundheitszustandes ist die Haut. Eine blasse Hautfarbe sowie lange, struppige Haare weisen auf einen schlechten Gesundheitszustand hin. Kritisch wird es, wenn sich einzelne Hautareale (z. B. an den Ohren) blaurot verfärben. Doch Achtung: Beurteilen Sie die Hautfarbe niemals, wenn die Tiere unter dem Infrarotstrahler liegen. Denn hier erscheint jedes noch so kranke Ferkel rosig. Damit bei der Tierbeurteilung nichts vergessen wird, gibt es inzwischen spezielle Analyseprogramme wie z. B. das von der Firma Zoetis entwickelte „Individual Pig Care“-System (IPC). Hier setzen will, muss Infektionen früh unterbrechen. • Die Keimübertragung von der Sau auf ihre Ferkel senkt man durch Hygiene und Impfungen. • Innerhalb einer Altersgruppe sinkt das Infektionsrisiko, wenn es den Tieren gut geht und wenig Stress herrscht. • Stressfaktoren können Über- belegung, schlechte Luft, Wasser- und Futtermängel sein. • Wichtig ist, dass kranke Tiere früh entdeckt und rechtzeitig behandelt werden. top agrar 11/2013 S 17