6. Kapitel Zusammenfassende Schlußbemerkung Die ethische Beurteilung und juristische Reglementierung der Humangenetik im weiteren Sinne ist infolge der Erkenntnisse der Klonforschung äußerst aktuell und praxisrelevant geworden. Nach Ansicht des Schöpfers von „Dolly“, Ian Wilmut, ist „ein Zeitalter der biologischen Kontrolle“942 angebrochen. So sind die neuen Möglichkeiten der Biomedizin nicht nur mit neuen Chancen für kranke oder unfruchtbare Menschen, sondern auch mit erheblichen Risiken für die Allgemeinheit verbunden. Dem Risiko eines Verlustes der Würde des Menschen, das die Therapie von Keimbahnzellen oder das Klonen von Menschen als direkter Durchgriff auf die Subjektivität der Person mit sich bringt, kann die Wissenschaft nur entrinnen, wenn sie sich individuell mit den ethisch-moralischen Folgen ihrer Arbeit auseinandersetzt und die Ängste der Mitmenschen ernst nimmt. Die Wissenschaftler sind darauf angewiesen, nicht nur ihre technologischen Kenntnisse auszuschöpfen, sondern auch darauf zu achten, gerade hervorragende, evolutionäre Entwicklungen auf dem Gebiet der Biotechnologie vor der Öffentlickeit zu vertreten, also in genügendem Maße für Aufklärung, Problembewußtsein und Akzeptanz zu sorgen und sich der Ethik der Verantwortung bewußt zu sein.943 Forschung und Wissenschaft können nicht isoliert von Staat und Gesellschaft gesehen werden. Denn nicht gegen die Gesellschaft, sondern nur gemeinsam mit ihr kann die Biotechnologie ihrer Rolle als Wissenschaft des 21. Jahrhunderts gerecht werden.944 Der Gesetzgebung obliegt die schwierige Aufgabe, die geeigneten Voraussetzungen für den Fortschritt zu schaffen und durch die eindeutige Abgrenzung von Erlaubtem und Unerlaubtem dem Wissenschaftler einen Rahmen der Rechtssicherheit vorzugeben, innerhalb dessen er verantwortungsvoll forschen kann. Es geht dabei nicht um die Diskriminierung der wissen- 942 So I. Wilmut, Dolly: The Age of Biological Control, S. 19, in: J. Burley, a.a.O. 943 Vgl. R. Scholz, Schlußwort, S. 136, in: R. Lukes, a.a.O. 944 Siehe E. Winnacker, a.a.O., S. 27; so auch I. Wilmut, a.a.O., S. 28, in: J. Burley, a.a.O. 303 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung schaftlichen Forschung, sondern um die Frage, auf welche Art und Weise gewährleistet werden kann, daß die in der Forschung Tätigen dem für jedermann verbindlichen Recht unterworfen werden. Dabei gilt aber zu bedenken, daß die Rechtsordnung nicht im Sinne einer substituierenden Ethik gesehen werden darf, die alle potentiellen moralischen und gesellschaftspolitischen Probleme löst, welche in den Entwicklungsmöglichkeiten der Biotechnologie enthalten sein können.945 In der vorliegenden Arbeit wurde der Weg des britischen Gesetzgebers zur Lösung dieser Problematik im Sinne einer weitgehenden Liberalisierung des Humangenetikrechts dargestellt. Die Inkorporation der EMRK in das britische Recht durch den HRA gab zudem Anlaß zu der Frage, ob die Regulierung der Humangenetik in Großbritannien mit den fundamentalen Rechten der EMRK i.V.m. dem HRA in Einklang steht. Der Einfluß des HRA 1998 als Inkorporation der Europäischen Menschenrechtskonvention in das britische Recht im allgemeinen wurde zunächst in einem Überblick dargestellt, bevor dessen Vereinbarkeit mit der Regulierung der Humangenetik im speziellen überprüft wurde. Die generelle Erörterung zur Wirkungsweise des HRA gab Aufschluß darüber, daß Großbritannien den in seinem Rechts- und Verfassungssystem bislang eingeschlagenen Sonderweg teilweise zugunsten eines umfassenderen Menschenrechtsschutzes verlassen hat. Die britische Rechtsordnung wird sich von einer Rechtsordnung, die „nur“ festlegt, was verboten ist, zu einem System, das Rechte positiv garantiert, wandeln. Die Statuierung in Form des HRA hat einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der Exekutive, Judikative und in gewisser Weise auch die Legislative bindet. Behörden und Gerichte sind nunmehr nach Sec. 6 HRA verpflichtet, die Konvention zu beachten. Die zuständigen Minister müssen zudem gem. Sec. 19 HRA neue Gesetzesvorlagen auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK überprüfen. Auch Ärzte sind an die Vorschriften der Konvention gebunden, wenn sie Entscheidungen im Hinblick auf ihre Patienten treffen. Der HRA besitzt zwar nach verbreiteter Auffassung keine „direkte horizontale Geltung“ zwischen Privatpersonen, aber er ist entweder dahingehend zu in- 945 Vgl. R. Scholz, Schlußwort, S. 136, in: R. Lukes, a.a.O. 304 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung terpretieren, daß er auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen anzuwenden ist oder er wird zumindest im Sinne einer „indirekten horizontalen Geltung“ ausgelegt. Denn die Gerichte unterliegen bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Arztes selbst der Verpflichtung des Sec. 6 Abs. 1 HRA und müssen daher das Recht auf der Grundlage der Konvention anwenden. Demzufolge ist der Arzt, wenn er nicht bereits direkt aufgrund des Gesetzes gebunden ist, zumindest indirekt verpflichtet, im Einklang mit der Konvention zu handeln. Im Anschluß an die Darstellung der allgemeinen Bedeutung des HRA wurde die Regulierung der Humangenetik in Großbritannien dargestellt und unter dem Aspekt der Vereinbarkeit mit der EMRK i.V.m. dem HRA untersucht. Die Reglementierung der humangenetischen Forschung hat aufgrund der neuartigen Therapiemöglichkeiten in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. In Großbritannien haben sich zahlreiche beratende Kommissionen und Nicht-Regierungsorganisationen etabliert. Diese befassen sich eingehend mit der komplexen Thematik des Humangenetikrechts. Vorliegende Arbeit hat deren Bedeutung für die Reglementierung der Humangenetik, etwa im Bereich des therapeutischen Klonens oder des Versicherungsrechts, verdeutlicht. Freilich war auch der britische Gesetzgeber gefordert, sich dieser Thematik anzunehmen. Dabei gilt die Gentechnik insbesondere in Großbritannien als Schlüsseltechnologie, deren Fortentwicklung nicht durch ein zu straffes Regelungssystem behindert werden darf. Der HFE Act spiegelt diese Einstellung des britischen Gesetzgebers wider. Bei diesem Gesetz handelt es sich um ein komplexes Gewebe aus Einschränkungen, Kontrolle, Verantwortlichkeit und freiem Ermessen, das problemlösenden Charakter hat und eine gewisse Rechtssicherheit garantiert. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß in Großbritannien im Frühstadium der Keimentwicklung, d.h. in der pränidativen Phase bzw. bis zum 14. Tag nach der Befruchtung, auch nichttherapeutische Forschung am Embryo in vitro bis hin zur sogenannten verbrauchenden Embryonenforschung erlaubt ist.946 Den Ruf nach Flexibilität, insbesondere die Möglichkeit der schnellen, angemessenen Reaktion auf weitere technische Entwicklungen im Bereich der Humangenetik, hat der britische Gesetzgeber dergestalt zu realisieren 946 Vgl. T. Paulsen/M. Fröhlich, a.a.O., Fn 194, S. 152. 305 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung versucht, daß er die Einrichtung der Human Fertilisation and Embryology Authority gesetzlich bestimmt hat. Diese Aufsichts- und Genehmigungsbehörde hat bislang vorbildlich für die Einhaltung der in der zentralen Vorschrift des Sec. 3 HFE Act festgelegten Schranken der Forschung an menschlichen Embryonen gesorgt. Hervorzuheben war, daß das Klonen gem. Sec. 3 (3) HFE Act grundsätzlich nicht genehmigungsfähig ist. Die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Frage, ob die umstrittene sogenannte „Dolly“Methode, die nach dem Klon-Schaf „Dolly“ benannt ist, unter dieses Verbot fällt, wurden aufgezeigt. Diese Thematik wurde im Rahmen der Erörterung des Human Reproductive Cloning Act 2001, der ein reproduktives Klonverbot statuiert, wieder aufgegriffen. Der Erlaß dieses Klonverbots macht vor allem Sinn, wenn die „Dolly“-Methode nicht bereits unter das Klonverbot des HFE Act zu subsumieren ist. Diese Form der dem britischen Rechtssystem eigenen gesetzgeberischen Regulierung bringt zum Ausdruck, daß es nicht im langfristigen Interesse der Gesellschaft liegen kann, die Embryonenforschung und damit mögliche neue Therapiemethoden durch zahlreiche Verbotsnormen zu verhindern. Dies basiert zumindest in gewissem Maße auf der utilitaristischen Sicht, daß das „Opfer“ eines Embryos für den potentiellen Nutzen vieler Embryos und Menschen zu erbringen ist. Es läßt sich allerdings noch nicht abschließend klären, ob die HFEA ihrer schwierigen Rolle, die verschiedenen Interessen im Hinblick auf die Einführung neuer Reproduktionstechniken in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen, gerecht werden wird und ob es ihr auch in Zukunft gelingen wird, das grobe Gesetzeswerk mit den entsprechenden Richtlinien und Bestimmungen zu vervollständigen. Dies wird sich erst anhand etwaiger Genehmigungserteilungen, beispielsweise bezüglich des nunmehr vom britischen Parlament erlaubten therapeutischen Klonens erweisen. Hierbei muß sie in jedem Falle konventionskonform handeln, da sie als öffentliche Behörde unter Sec. 6 HRA fällt. Im Hinblick auf die Konventionsrechte hat die Betrachtung der bislang existierenden britischen Regulierung der Humangenetik gezeigt, daß diese mit dem gemeineuropäischen Menschenrechtsverständnis vereinbar ist. Das Lebensrecht nach Art. 2 EMRK i.V.m. Sec. 1 (1) (a) HRA und das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK i.V.m. Sec. 1 (1) (a) HRA, denen als fundamentale Bestimmungen der EMRK eine herausragende Stellung gebührt, 306 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung sind nicht verletzt. Aus der Schrankendogmatik des Art. 2 EMRK wurde die Schlußfolgerung gezogen, daß der Schutzbereich des Art. 2 EMRK erst eröffnet ist, wenn der Embryo selbständig lebensfähig ist. Die in Großbritannien erlaubte Forschung mit Embryonen bis zum Stadium der Nidation fällt somit nicht unter den Schutzbereich von Art. 2 EMRK. Daraus kann abgeleitet werden, daß auch die Erlaubnis des therapeutischen Klonens mittels Embryonen bis zur Einnistung bzw. bis zum vierzehnten Tag nach der Befruchtung durch die Human Fertilisation and Embryology (Research Purposes) Regulations 2001 nicht gegen Art. 2 EMRK verstößt. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden die unterschiedlichsten Ansätze zum Beginn der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens in einem Abriß dargelegt. Der vorgeburtliche Lebensschutz reicht hierbei von der Empfängnis bis hin zur Geburt. Bei der juristischen Lösung des Problems war nicht nur auf den Beginn artspezifischen menschlichen Lebens abzustellen, wie dies von den genetischen Ansätzen propagiert wird, sondern auch auf den Beginn individualspezifischen menschlichen Lebens. Es war zu differenzieren zwischen den Embryonen als Zustandsformen humanen biologischen Lebens und dem menschlich personalen Leben. Denn die befruchtete Eizelle weist noch keine der Eigenschaften auf, die menschlichem Leben im eigentlichen Sinne zugeschrieben werden. Im Hinblick auf den Beginn individualspezifischen menschlichen Lebens als Grundlage einer rechtlichen Abgrenzung wurde festgestellt, daß weder die soziologischen Ansätze, noch die entwicklungsbiologischen und -psychologischen Ansätze, noch die Programmtheorie oder die Kontinuitätstheorie überzeugen. Der Wert menschlichen Lebens darf entgegen der aufgezeigten Theorieansätze nicht von der Anerkennung der Gesellschaft abhängig gemacht werden; ebensowenig dürfen qualitative Anforderungen an die Individualität menschlichen Lebens gestellt werden. Erst ab der Nidation sollte von einem Kontinuitätszusammenhang gesprochen werden, da das Entwicklungsprogramm erst zu diesem Zeitpunkt vollständig ist. Bis zum vierzehnten Tag nach der Befruchtung kann noch die Teilung und damit die Bildung von eineiigen Zwillingen erfolgen. Der Beginn der Individuierung wird auch morphogenetisch mit der Ausbildung des Primitivstreifens identifiziert. Die Schwierigkeit, eine allgemeingültige Bestimmung des Zeitpunkts des Beginns des rechtlichen Status menschlichen Lebens zu finden, ist freilich auch auf die Komplexität der Probleme zurückzuführen, auf die diese Bestimmung eine Antwort geben soll. So ist und war die Zulässigkeit verbrauchender 307 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung Embryonenforschung in Großbritannien bis zur Nidation bzw. bis spätestens zum vierzehnten Tag der Embryonalentwicklung de lege lata nicht unumstritten. Die Entscheidung des britischen Gesetzgebers für den Zeitpunkt der Einnistung als Grundlage einer rechtlichen Differenzierung wurde als zutreffend eingestuft, da dieser Zeitpunkt eine (biologisch) geeignete, eindeutig nachvollziehbare Zäsur darstellt, die absolute Rechtsträgerschaft des Nasciturus beginnen zu lassen. In der frühesten Phase der Embryonalentwicklung handelt es sich um absolut schmerzunfähige, noch nicht individuierte Embryonen. Daher ist in der pränidativen Phase nur eine abgestufte Schutzwürdigkeit anzunehmen, nicht aber ein ausnahmsloses Schutzgebot. Der britische Lösungsweg mit seiner graduellen Differenzierung, statt eines auch denkbaren „Alles oder Nichts“-Prinzips (Tabuisierung der Embryonenforschung oder Schutzlosigkeit des Embryos), schafft Rechtssicherheit in einem ethisch sensiblen Bereich. Konkrete Heilungsziele rechtfertigen die Forschung mit embryonalen Stammzellen auch vom ethischen Standpunkt aus. Zu berücksichtigen ist, daß das therapeutische Klonen nicht auf die Erzeugung genetisch weitgehend identischer Individuen abzielt, sondern auf die Herstellung von genetisch identischen biologischen „Ersatzorganen“. Die britische Ausgestaltung des Schutzes ungeborenen Lebens erscheint somit unter Abwägung der Rechte und Interessen anderer (vor allem auch geborener) Menschen als sachgerecht. Eine andere Regelung würde einen Wertungswiderspruch zu den liberaleren Abtreibungsbestimmungen darstellen. Folglich ist nach der hier vertretenen Auffassung die Nidation die entscheidende Grenze, innerhalb der Embryonenforschung erlaubt sein kann und jenseits der sie verboten werden muß. Die Erlaubnis der Embryonenforschung bis zu dieser Grenze bedeutet nicht den Anfang einer Kette von Ereignissen, an deren Ende das humane Lebensrecht zur Disposition gestellt wird. Das empirische Dammbruchargument (slippery slope), daß dem ersten Schritt unaufhaltsam weitere Schritte folgen werden, stellt keinen hinreichenden Grund dar, generell jeglicher Embryonenforschung Türen und Tore zu versperren. Eine strikte Ablehnung der Humangenetik und ihrer Techniken kann nämlich nicht zur Vermeidung ihres Mißbrauchs führen. Vielmehr sind die gesetzlichen Regelungen streng zu handhaben, um möglichen Mißbrauch oder ein Aufweichen der Normen soweit möglich zu verhindern. Es muß also eine scharfe Trennungslinie zwischen legalem Gebrauch und verwerflichem Mißbrauch gezogen werden. Freilich ist für die Einhaltung der gesetzlichen Regulierung letztendlich die Selbstverantwortung der Gen-Forscher maßgeblich. 308 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung Anhand des wegweisenden Falles Diane Blood, der die posthume Verwendung von Sperma betrifft, wurde die Systematik des Art. 8 EMRK veranschaulicht und insbesondere die Garantie der Reproduktionsfreiheit i.S.d. Rechts auf Privatleben nach Art. 8 EMRK und des Rechts auf Familiengründung nach Art. 12 EMRK erörtert. Zugleich wurde gezeigt, daß die Reproduktionsfreiheit nicht uneingeschränkt gewährt wird. Im Rahmen der Zweckbindung des Art. 8 Abs. 2 EMRK, die eine Enumerierung bestimmter kollektiver und individueller Werte enthält, ist eine Beschränkung der Fortpflanzungsfreiheit legitim. Die Fortpflanzungsfreiheit des einen Elternteils und die Realisierung des Wunsches, Nachwuchs zu bekommen, als wesentliche Ausdrucksform menschlicher Persönlichkeit kann nicht dazu führen, daß die freie Entscheidung des anderen Elternteils über die eigene Fortpflanzung negiert wird. Zu diesem Ergebnis gelangte man anhand der vom EGMR geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Stammzellforschung sowie das therapeutische Klonen haben der Diskussion um die Embryonenforschung neue Aktualität verliehen. In Zukunft wird die Therapeutik, dies gilt auch für allgemeine Krankheiten und Leiden, ohne Rückgriff auf gentechnische Verfahren kaum noch denkbar sein. Einen internationalen Vorstoß hat Großbritannien mit der Erlaubnis des sogenannten therapeutischen Klonens bis zur Nidation (bzw. bis zum 14. Tag nach der Befruchtung) in Form der Human Fertilisation and Embryology (Research Purposes) Regulations 2001 gewagt. Der Zugriff auf Frühformen menschlichen Lebens mit der Aussicht auf medizinische Heilverfahren ist nunmehr rechtlich zulässig, da eventuellen Heilungschancen für kranke Menschen ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als dem frühesten embryonalen Leben. Es wurde gezeigt, daß bei dem von Großbritannien eingeschlagenen Weg, das Recht auf Leben nach Art. 2 EMRK i.V.m. Sec. 1 (1) (a) HRA nicht verletzt ist. Dies gilt wie bei der schon bislang erlaubten Embryonenforschung, soweit man darauf abstellt, daß der Embryo in der pränidativen Phase - als noch nicht selbständig lebensfähiges Wesen - nicht vom Schutzbereich des Art. 2 EMRK umfaßt ist. Demzufolge sind die rechtlichen Rahmenbedingungen beim therapeutischen Klonen dem Stand von Wissenschaft und Technik in ethisch und rechtlich vertretbarer Weise angepaßt worden. Mitentscheidend für die zukünftige Praktabilität dieser Technik werden zukünftige Genehmigungserteilungen seitens der HFEA sein. Die Problematik des therapeutischen Klonens führte zur Frage nach der Verhinderung reproduktiven Klonens. Die Scientific Community und 309 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung letztlich der Gesetzgeber hat sich mit den Grenzen der Nutzung der Gentechnologie ebenso zu befassen wie mit der Suche nach neuen Therapieansätzen. Nach generellem Konsens darf sich kein Mensch zum Schöpfer eines anderen Menschen aufschwingen. So wird die Idee der Benutzung von Individuen als Zwecke zum Vorteil anderer besonders im europäischen Kontext z.T. als „Instrumentalisierung“ bezeichnet. Die Beratergruppe der europäischen Kommission, die über die ethischen Implikationen der Biotechnologie berät,947 hat dies in ihrer Stellungnahme zu den „ethischen Aspekten der Klontechniken“ wiederholt angeführt. Hinsichtlich menschlichen reproduktiven Klonens wird etwa betont, daß Erwägungen im Hinblick auf Instrumentalisierung und Eugenik solche Forschung ethisch nicht akzeptabel erscheinen lassen. Es handele sich dabei, auch anderen Kritikerstimmen zufolge, um eine gezielte Produktion von Menschen, bei der diese mit oder ohne bestimmte erwünschte/unerwünschte Eigenschaften, also als „Mittel“ geschaffen würden, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen.948 Zudem gilt angesichts der Erfahrung mit dem Schaf „Dolly“ zu bedenken, daß nach dem derzeitigen Erkenntnisstand die Klonierungstechnik viel zu unausgereift ist, um einen Menschen „komplikationslos“ zu erschaffen. Aufgabe des Rechts ist es hierbei, den allgemeinverbindlichen, konsensfähigen ethischen Minimalstandard zu garantieren. Dieser Aufgabe ist Großbritannien mit dem Erlaß des Human Reproductive Cloning Act 2001 gerecht geworden, der nunmehr - wie zahlreiche andere Staaten949 - das Verbot reproduktiven Klonens einschließlich des Zellkerntransfers gesetzlich verankert. Die Untersuchung hat gezeigt, daß die Einschränkung der Reproduktionsfreiheit i.S.v. Art. 8 und 12 EMRK i.V.m. Sec. 1 (1) (a) HRA angesichts des überragenden Ziels des Schutzes der Gesundheit des Embryos und der Mutter gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig ist. Der Anmaßung einiger Wissenschaftler, Menschen nach ihren subjektiven Vorstellungen schaffen zu dürfen, ist Einhalt geboten worden. Die grundlegenden Strukturen des britischen Humangenetikrechtsgefüges scheinen mithin Schutz vor einem eventuellen Mißbrauch der Forschung zu bieten. 947 Siehe Opinion of the Group of Advisers on the Ethical Implications of Biotechnology to the European Commission, Nr. 9, 28. Mai 1997. Berichterstatter Anne Mc Claren. 948 Siehe K. Braun, a.a.O., S. 287 f. 949 Das reproduktive Klonen ist in vierundzwanzig Ländern, u.a. in Deutschland, Frankreich, Japan, Südafrika, Argentinien, Brasilien und Indien, verboten. Siehe F. Fukuyama, The clone traders, Financial Times, 18./19. Mai 2002, S. I. 310 6. Zusammenfassende Schlußbemerkung Nationale Gesetze sind allerdings allein nicht ausreichend, um eventuellen Mißbrauch in der Biomedizin gänzlich zu verhindern. Vielmehr sind Vorschriften erforderlich, die Schutzniveaus grenzüberschreitend garantieren. Das für den europäischen Integrationsprozeß bedeutsame Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates hat erstmals für den biomedizinischen Bereich Mindeststandards verbindlich festgesetzt. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit des britischen Humangenetikrechts mit der Bioethik-Konvention wurde Art. 18 Abs. 2 der Konvention als problematisch eingestuft, weil er die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken verbietet. Nach hier vertretener Auffassung steht Art. 18 Abs. 2 einem zukünftigen Beitritt Großbritanniens zur Bioethik-Konvention nicht entgegen, weil ein Vorbehalt gem. Art. 36 bezüglich dieser Vorschrift, d.h. die Zustimmung zur Konvention mit Ausnahme des Art. 18, erklärt werden kann. Es gilt zu berücksichtigen, daß die vorstehenden Ergebnisse nur eine Momentaufnahme darstellen. Die Dynamik von biomedizinischer Wissenschaft und Gesellschaft wird auch in Zukunft einen stetigen Diskurs und weitere Reglementierungen im Bereich der Humangenetik erforderlich machen, so daß eine abschließende Beurteilung der Materie weder möglich noch beabsichtigt ist. 311