Manuskript: Für eine Trennung von Politik und Religion

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Volker Bernius
hr2Wissen
Reformislam
04 Demokratie und Menschenrechte
von
Ulrike Köppchen
Sendung: xy.xy.2015, hr2-kultur
Regie: Marlene Breuer
Sprecherin
Overvoice / Sprecher=Zitator (S.5)
hr2Wi 14-51
Copyright
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1. O-Ton: Abdolkarim Soroush
I was in 2003 in Princeton University and one of the topics I taught there was political
philosophy in Islam… I was speaking to a lady there, one of the professors and she
asked me, do you speak about Islamic democracy as well? And I said, yes. We have
some discussions about that. And then she said very bluntly: oh, it looks an
oxymoron to speak about Islamic democracy. That are 2 contradictory things, it’s a
contradiction in term. And none of them can be compatible with the other.
Overvoice
2003 war ich in Princeton, um die politische Philosophie des Islam zu lehren. Als ich
einmal mit einer Professorin dort sprach, fragte sie mich: sprechen Sie auch über
islamische Demokratie. Ich sagte: ja, wir haben ein paar Diskussionen darüber. Und
sie sagte geradeheraus: Es sieht aus wie ein Widerspruch, über islamische
Demokratie zu sprechen, ein begrifflicher Widerspruch. Islam und Demokratie sind
Gegensätze und nicht miteinander kompatibel.
Sprecherin:
Der iranische Philosoph Abdolkarim Soroush, früher ein großer Bewunderer
Khomeinis und einer der Hofideologen der Islamischen Revolution von 1979 im Iran,
ist heute einer der bedeutendsten liberalen muslimischen Intellektuellen der Welt.
Die Anekdote, die er aus Princeton erzählt, ist symptomatisch für das, was die
meisten über das Verhältnis von Islam und Demokratie denken: Beides geht schlecht
zusammen, da der Islam nach dem Verständnis der meisten Muslime nicht nur die
religiöse, sondern genauso die gesellschaftliche und zumindest einen Teil der
rechtlichen Ordnung vorschreibt. Allerdings ist Demokratie in der islamischen Welt
spätestens seit dem Arabischen Frühling durchaus ein großes Thema.
2. O-Ton: Gudrun Krämer
Wenn es um die Organisation des Staates geht, dann wollen sie eine Präsidialrepublik oder
eine Republik, meinetwegen auch eine konstitutionelle Monarchie mit einer Verfassung, die
also Schranken setzt, mit einer gewählten Volksvertretung, mit Pluralität, die auch zu einem
gewissen Grade verfasst ist, aktivem und passivem Wahlrecht, Rechtsstaatlichkeit. Und
diese Rechtsstaatlichkeit sehen sie eben durch eine entsprechende Anwendung der Scharia
gewährleistet.
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Sprecherin:
Gudrun Krämer, Islamwissenschaftlerin von der FU Berlin:
Schon seit langem ist das Verhältnis von Islam, Demokratie und Menschenrechten
ein spannungsgeladenes Feld. So wiesen beispielsweise die Vertreter muslimischer
Länder schon vor Jahrzehnten den Universalitätsanspruch der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen zurück: Hier werde ein rein
westliches Verständnis von Menschenrechten zum allgemein gültigen Prinzip
erhoben. Stattdessen präsentierten sie zwei Gegenentwürfe einer „Erklärung der
Menschenrechte im Islam“, in denen die Scharia, das islamische Recht, eine zentrale
Rolle spielt.
3. O-Ton: Gudrun Krämer
Da kann man viele Fragen stellen: was ist denn mit Andersgläubigen? Was ist mit NichtGläubigen? Und kann man die Scharia tatsächlich so auslegen, dass sie den Anforderungen
an Good Governance im 21. Jahrhundert gerecht wird? Diese Leute sagen, ja, und da
kommt es jetzt auf die ganz konkrete Auseinandersetzung an, die ja auch von Muslimen
geführt wird.
Sprecherin:
Viele Muslime wollen Demokratie, wie der Arabische Frühling gezeigt hat, aber ohne
religiöse Legitimation ist Demokratie für sie nicht denkbar. Und so suchen sie in
Koran und Sunna, dem überlieferten Lebensweg des Propheten Mohammed, nach
Anhaltspunkten für eine „islamische Demokratie“.
4. O-Ton: Abdolkarim Soroush
I tell you very positively and very clearly, that none of these modern concepts can be
derived, can be extracted from any religion whatsoever. Be it Christianity, Islam,
Judaism, Buddhism. I know that some Muslim scholars have tried that, but that is
absolutely impossible. We have passed, I you like, the derivation period. // So when
we talk about Islam and democracy it doesn’t mean that the Islam as a religion
contains a concept of democracy. No! It means, or perhaps we try to show, that
Muslims can have democratic rule, can lead a democratic life.
Overvoice
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Ich sage Ihnen klar und deutlich, dass keines dieser modernen Konzepte aus der
Religion abgeleitet werden kann, sei es das Christentum, der Islam, Judentum oder
Buddhismus. Ich weiß, einige muslimische Gelehrte haben das versucht, aber es ist
absolut unmöglich. Wir haben diese „Ableitungsphase“, wenn Sie so wollen, hinter
uns gelassen. Wenn wir also von Islam und Demokratie sprechen, heißt das nicht,
dass der Islam als Religion ein Konzept von Demokratie enthält. Nein! Es heißt, oder
jedenfalls versuchen wir das zu zeigen, dass Muslime eine demokratische Regierung
haben und ein demokratisches Leben führen können.
Sprecherin:
Der iranische Philosoph Abdolkarim Soroush.
5. O-Ton: Abdolkarim Soroush
The language of all religion is the language of obligations. This is your duty, that is
your obligation, whereas the rights are very marginal. I am not saying that rights are
not mentioned, yes, they are there, but they are to be derived from the obligations.
This is absolutely reverse in the modern time. We are living in the paradigm of rights.
This is very bad, actually, in the sense, that this is incomplete. // This is why
democracy cannot be derived from any religious text. Because democracy is a
politics based on human rights not on human obligations.
Overvoice
Die Sprache aller Religionen ist eine Sprache der Verpflichtungen: Das ist eure
Aufgabe, das ist eure Pflicht, wohingegen es nur sehr marginale Rechte gibt. Ich
sage nicht, dass Rechte nicht erwähnt werden, es gibt sie, aber sie müssen aus den
Pflichten abgeleitet werden. In der Moderne ist es genau umgekehrt. Wir leben unter
einem Paradigma der Rechte. Das ist natürlich in gewisser Weise sehr schlecht, weil
es unvollständig ist. Aber das ist der Grund, warum man Demokratie nicht aus
religiösen Texten ableiten kann. Weil Demokratie auf Menschenrechten basiert und
nicht auf Menschenpflichten.
Sprecherin:
Bis zu dieser Haltung war es ein langer Weg für den 1945 geborenen Soroush: Nach
seinem Pharmaziestudium in Teheran ging er in der 70er Jahren nach England, um
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dort Chemie, Philosophie und Geschichte zu studieren. Während dieser Zeit schloss
er sich der Oppositionsbewegung gegen das Schahregime an und kehrte nach der
islamischen Revolution 1979 in den Iran zurück. Er lehrte an verschiedenen
Universitäten unter anderem Mystik und Religionsphilosophie. Und war Mitglied im
von Khomeini berufenen sogenannten „Islamischen Kulturrevolutionsstab“. Dieser
hatte die Aufgabe, die Universitäten nach der Revolution zu islamisieren. Außerdem
war Soroush ein bekannter Prediger, der regelmäßig in Moscheen vor Gläubigen
sprach.
Musiktrenner: Koranrezitation, kurz frei, dann Sprecherin drüber
Sprecherin:
Nach dem Tod Khomeinis 1989 begann Soroush, sich zunehmend kritisch über die
Geistlichkeit in der iranischen Theokratie zu äußern, deren religiöses Denken er für
erstarrt hielt.
Zitator:
Eine Zunft, die sich als Bewahrer einer einzigen Lesart der Religion versteht und
darauf ihre politische Macht und ihre materiellen Vorteile gründet, ist abzulehnen.
Sprecherin:
So schrieb Soroush 1995 in einer iranischen Zeitschrift. Gegenüber diesem
staatlichen Deutungsmonopol betonte er die Offenheit des Korans für
Interpretationen und wies darauf hin, dass auch die Koranauslegung der religiösen
Führer menschlich und damit fehlbar sei. Mit solchen Äußerungen fiel Soroush bei
der iranischen Theokratie in Ungnade, er erhielt Morddrohungen und verlor seine
Arbeit. Inzwischen lehrt er an Universitäten in Europa und den USA und ist unter den
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muslimischen Intellektuellen wohl derjenige, der am offensivsten das Konzept einer
säkularen Demokratie vertritt. Einer Demokratie, die nicht aus der Heiligen Schrift,
sondern aus dem Geist der Vernunft abgeleitet ist. Die Hamburger
Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
6. O-Ton: Katajun Amirpur
Soroush hat schon sehr früh sehr eindeutig gesagt, es ist ja nicht so, dass die religiösen
Menschen auf dem Kopfe laufen und die nicht-religiösen auf den Beinen, und
dementsprechend ist diese Unterscheidung von Islamischer Demokratie und westlicher
Demokratie in dem Sinne unsinnig. Er hat am Anfang für eine religiös-demokratische
Regierung plädiert, das religiös lässt er jetzt inzwischen weg und sagt, man erfüllt das Ziel
der Religion am besten, wenn man einen Staat schafft, in dem Menschen in Freiheit leben
können und sich selber versorgen können.
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