PharmaNews Ausgabe 17 – Frühjahr 2015 Themen: Ist die Pharmaindustrie bereit für den neuartigen Dialog? Sechs digitale Trends verändern die Krankenversorgung Patientenservices rücken ins Zentrum der Strategie Vertriebsgemeinkosten schnell und nachhaltig halbieren Interview: Zukunftsstrategien für Medizintechnik­ unternehmen Industrie 4.0 Digitalisierung revolutioniert Marketing und Kundeninteraktion Ist die Pharmaindustrie bereit für den neuartigen Dialog? Editorial Liebe Leserinnen und Leser, willkommen zur Frühjahrsausgabe von PharmaNews, dem Accenture-Newsletter für die pharmazeutische Industrie. Die Schlagworte Industrie 4.0, Patienten­services und Digital sind in aller Munde. Aber was heißt dies konkret für die Pharmaindus­trie? In diesem Newsletter befassen wir uns mit diesen Themen und geben einen ersten Ausblick auf Lösungen, die bereits heute Einzug in die Pharmaunter­ nehmen halten. Wir berichten über Perspektiven des Multi­ kanalmarketings und beleuchten die kritischen Erfolgsfaktoren für die Transformation des klas­ sischen Marketing- und Vertriebsmodells. Des Weiteren fassen wir die Kernergebnisse unserer „Accenture Technology Vision 2014 for Life Sciences“-Studie zusammen, welche aktuelle Technologie-Entwicklungen der Pharm­ abranche in den Mittelpunkt stellt. Zudem be­ richten wir über den Wandel vom produkt- zum serviceorientierten Pharma­unternehmen, wel­ cher mittelfristig die erfolgreiche Kombination von innovativen Therapien und wertschöpfen­ den Patientenservices in Aussicht stellt. In einem weiteren Beitrag erläutern wir Ihnen die aktuellen Optimierungsstrategien führender Life Sciences Unternehmen in Bezug auf nicht produktbezogene Vertriebsgemeinkosten. Professor Emanuele Gatti, Executive Advisor für Gesundheitsstrategien und Gesundheitspolitik der Fresenius Medical Care, Universitätsprofes­ sor für Translation von biomedizinischen Innovationen und Präsident der Italienischen Handelskammer für Deutschland, spricht in un­ serem Executive-Interview über die Zukunft der Medizintechnikunternehmen und seine Sicht auf das Potenzial der neuen Märkte. In einem weiteren Beitrag diskutieren wir die Vision der „Smart Factory“ im Zusammenhang mit der Initiative Industrie 4.0 der Bundesregie­ rung zur Stärkung des Produktionsstandorts Deutschland und erläutern Besonderheiten für die pharmazeutische Industrie. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und verbleibe mit herzlichen Grüßen Michael Brückner Geschäftsführer Die digitale Revolution verändert dramatisch, wie Unternehmen mit ihren Kunden inter­ agieren. Neue Technologien werden diesen Dialog auch weiterhin deutlich transformieren. Doch ist die Pharmaindustrie bereit für digitalen Kundenkontakt auf neuen Kanälen – jenseits des klassischen Vertriebs, überall, zu jeder Zeit, nahtlos und präzise auf Kunden­ bedürfnisse abgestimmt? Um zu evaluieren, wie „multikanalmarketingreif“ Pharmaunternehmen heute sind, hat Accenture eine vergleichende Studie mit rund 20 Unternehmen durchgeführt (70 Pro­ zent davon aus der Pharma-, 30 Prozent aus anderen Branchen). Untersucht wurden die Fähigkeiten, Kunden mit personalisierten Kampagnen über relevante Kanäle zu erreichen und die dabei gewonnenen Daten zu nutzen, um noch bessere Angebote vorzubereiten. Das Ergebnis: Die Mehrheit der untersuchten Pharmaunternehmen (über 80 Prozent) befindet sich noch in der Versuchs- oder Findungsphase, nur zehn Prozent bewegen sich sicher und kundenzentriert in der Multikanalwelt. In anderen Branchen sind die Unternehmen deutlich reifer: Ein Drittel der Nicht-Pharma-Unternehmen zählt bereits heute zu den selbstsicher agierenden Multikanalmarketiers und -pionieren. Sie beeinflussen aktiv die weitere Veränderung des Marketing- und Vertriebsmodells, auch über ihre Branche hinaus. Vier Erfolgsfaktoren machen den Unterschied Laut Studie sind es vor allem vier Erfolgs­ faktoren, die die reifen Multikanalmarketiers von den „Anfängern“ unterscheiden: 1. Klares Verständnis und gelebtes Commitment Erfolgreicher ist, wer klar artikuliert, wie die neuen, multimedialen Formen der Kundeninteraktion zum Unternehmenserfolg beitragen – und dafür sorgt, dass Multikanalinteraktion vom Topmanagement bis zum Rezeptionisten verstanden, akzeptiert und gelebt wird. Drei Viertel der befragten Pharmaunternehmen leiden jedoch darunter, dass die formulierte Digitalisierungsvision von der Organisation weder verstanden noch gelebt wird. 2.Dynamisches und anpassungsfähiges Geschäftsmodell Digitalisierung und kundenzentrierte Multikanalinteraktion können ihre Potenziale erst entfalten, wenn das Geschäftsmodell die Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit besitzt, die es braucht, um: • neue digitale Medien in Marketing und Vertrieb zu integrieren, • sich an wechselnde Kundenbedürfnissen und neue Technologien schnell und reibungslos anzupassen. Viele pharmazeutische Geschäftsmodelle sind jedoch vergleichsweise starr und auf persönliche Kundeninteraktion konzentriert. Marketing, Vertrieb und IT arbeiten eher isoliert als Hand in Hand. Es fehlt an zentraler Koordination, an interdisziplinärer und globaler Vernetzung. So bleiben Erfolge in der Interaktion mit Kunden oft lokal und können nicht weitergehend genutzt werden. 3.Integrierte und skalierbare Technologielandschaft Die Basis ist eine Technologielandschaft, die digitale und persönliche Kundeninteraktion unterstützt, zeitgleich aber auch eine Vielzahl der zuvor manuellen Marketingund Vertriebsprozesse automatisiert. In vielen Pharmaunternehmen gibt es für die Kundeninteraktion eine Vielzahl an kanalspezifischen Technologien, die isoliert nebeneinander und nicht selten von externen Agenturen betrieben werden. So fehlt es an Vernetzung und einem 360-Grad-Blick auf den Kunden. Ein weitgehend manueller Marketingansatz macht es zudem nahezu unmöglich, die Komplexität, die mit kundenzentriertem Multikanalmarketing einhergeht, zu managen und den Geschwindigkeitserfordernissen digitaler Medien gerecht zu werden. 4.Investitionen in Kundendaten und Analytik Spitzenunternehmen investieren in Kundendaten und Analytik, um die nächste Generation von Kunden- und Marketingintelligenz zu verwirklichen. In der Pharmawelt hat bisher nur ein Fünftel der Unternehmen definiert, woran sie den Erfolg ihres Multikanalansatzes messen wollen. Auf dem Weg zum Erfolg in der digitalen Kundeninteraktion haben Pharmaunternehmen also noch eine beträchtliche Lücke zu schließen – sie können aber von den Besten aus benachbarten Branchen lernen. Ansprechpartner: [email protected] Accenture Technology Vision 2014 for Life Sciences Sechs digitale Trends verändern die Krankenversorgung Die neuesten Technologietrends zu identifizieren und auf Chancen und Herausforderungen für spezifische Branchen und Märkte zu unter­ suchen: Das ist Aufgabe der Accenture Technology Labs. In der Accenture Technology Vision 2014 for Life Sciences stellen sie jetzt neueste Ergebnisse für die Pharmaindustrie vor und stellen sechs Entwicklungen in den Mittelpunkt. Bewältigung der Datenflut: Das zunehmende Wachstum von verfügbaren und potenziell re­ levanten Daten stellt Pharmaunternehmen vor die Herausforderung, diese Datenmenge mög­ lichst in Echtzeit verarbeiten und auswerten zu können. Sogenannte „Hyperscale Computing Technologien“, wie etwa SAP HANA, können hier helfen. So analysiert z. B. Walgreens Patientendaten bei Vorsorgeuntersuchungen mit einem eigens dafür entwickelten Big-DataAnalytik-Verfahren, um individuelle Empfeh­ lungen für seine Kunden zu ermitteln. Geschäftsanwendungen als Apps: Digitale Services für Privatanwender haben neue Maß­ stäbe gesetzt. Erwartet wird, dass diese auch im beruflichen Umfeld erfüllt werden. So wer­ den maßgeschneiderte Apps zum integralen Bestandteil von Diagnose und Therapie – wie beispielsweise die kommende Alzheimer-Früh­ erkennungs-App von Pfizer. Gartner geht da­ von aus, dass 25 Prozent der Unternehmen bis 2017 einen eigenen App-Store für PC und Smartphones aufgebaut haben werden. Die Grenze zwischen virtueller und physischer Welt verschwimmt: Durch die zunehmende Durchdringung des Alltags mit digitalen, ver­ netzten Geräten können Patienten und Ärzte enger zusammenarbeiten. Krankheitsverläufe lassen sich so genauer beobachten, Therapie­ verläufe optimieren und individuelle Präven­ tionsmaßnahmen für Patienten anstoßen. Das senkt die Versorgungskosten und erschließt neue Möglichkeiten für Medizintechnik und Leistungen „beyond the pill“ – z. B. für High­ tech-Kontaktlinsen wie die von Google, die Blutzuckerwerte fortlaufend messen. Oder für Anwendungsentwicklungen wie die von Accenture und Philips, die Ärzten eine App für Google Glass anbieten, mit der sie auf (Real­ time-)Patientendaten zugreifen und Teleprä­ senzdienste nutzen können. Neue Möglichkeiten der digitalen Zusammenarbeit: Digitale Plattformen eröffnen Un­ ternehmen neue Möglichkeiten, mit Personen­ gruppen wie Patienten oder externen Forschern zusammenzuarbeiten und Forschungsvorhaben vernetzt voranzutreiben. Eli Lilly betreibt bei­ spielsweise eine Crowdsourcing-Plattform, über die auch unternehmensfremde Forscher potenzielle Wirkstoffe einreichen können. Dar­ über hinaus ermöglichen soziale Medien, dass Pharmaunternehmen die Erfahrungen von For­ schern und Patienten besser verstehen und nutzen können. Boehringer Ingelheim nutzt beispielsweise ein soziales Netzwerk für For­ scher, um Wettbewerbe rund um aktuelle For­ schungsfragen zu veranstalten. Professionalisierung der „Daten Supply Chain“: In der digitalen Welt gehören Daten und Informationen zu den wichtigsten Vermö­ genswerten eines Unternehmens. Pharma­ unternehmen können Patientendaten aus einer wachsenden Zahl von Quellen für klinische und kommerzielle Auswertungen zusammenführen. Die zentrale Herausforderung besteht darin, die „Lieferkette“ dieser Daten und Informatio­ nen zu professionalisieren. Pfizer nutzt bei­ spielsweise eine Cloud-Plattform, um klinische Daten über Studien hinweg aggregieren, ana­ lysieren, visualisieren und mit Partnern oder Behörden teilen zu können. IT-Infrastruktur wird zum kritischen Erfolgsfaktor: Mit der zunehmenden Digitalisierung von Unternehmensprozessen und Kundeninter­ aktionen wird die Verfügbarkeit der techni­ schen Plattform zum kritischen Erfolgsfaktor. Die durchschnittlichen Kosten des Ausfalls eines Rechenzentrums sind seit 2010 um über 40 Prozent gestiegen. Die Zahl der Angriffe stieg allein im vergangenen Jahr um fast 60 Prozent. Ein digitalisiertes Pharmaunter­ nehmen wird sich aufgrund der hohen Sen­ sibilität seiner Informationen gegenüber diesen Risiken in besonderer Weise wappnen müssen, um geistiges Eigentum sowie Patien­ ten angemessen zu schützen und die Com­ pliance zu wahren. Diese sechs digitalen Trends bieten Pharma­ unternehmen viele Möglichkeiten, die Schnitt­ stellen zu Forschern, Patienten oder Ärzten ganz neu zu gestalten. Entscheidend wird, die Organisation auf digitale Anforderungen und vernetztes Arbeiten zuzuschneiden – neue Rol­ len zu besetzen (z. B. Data Scientist, Chief Digi­ tal Officer) und funktionierende Partnerschaf­ ten innerhalb der Branche zu schaffen. Auszüge aus der Studie „Accenture Technology Vision 2014 for Life Sciences“ Ansprechpartner: [email protected] Vom produkt- zum serviceorientierten Pharmaunternehmen Patientenservices rücken ins Zentrum der Strategie Der Wandel vom produkt- zum serviceorien­ tierten Pharmaunternehmen ist in vollem Gange. Der erfolgreichen Kombination von innovativen Therapien und wertschöpfenden Patientenservices gehört die Zukunft. Bis dahin gibt es allerdings noch einiges zu tun. Drei Viertel aller Patienten erwarten von Arz­ neimittelherstellern nicht nur Medikamente, sondern auch ergänzende Services. Mehr als 60 Prozent sind bereit, dafür persönliche Infor­ mationen preiszugeben. Das ergab jetzt eine Studie von Accenture, die 2000 Patienten in Nordamerika befragte. Gewünscht wird dem­ nach ein breites Spektrum von Leistungen: von klassischen Produktinformationen über digitale Therapiebegleitung, Arztempfehlungen und den Zugang zu Patientenforen bis hin zu Infor­ mationen über klinische Studien, Erinnerung und Überwachung der Medikation oder auch Fernerfassung von Sensordaten für Gesund­ heitsförderungsprogramme. Tatsächlich bieten Patientenservices vielfälti­ gen Nutzen: Pharmaunternehmen hilft der direkte Kontakt mit Patienten, Behandlungs­ lücken zu schließen, Therapien zu verbessern, Patientenzufriedenheit sowie -loyalität zu stei­ gern und sich zu differenzieren. Patienten, Ver­ sorger, Risikoträger und Gesellschaft profitie­ ren von dem erhöhten Patientendatenfluss und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten zur selektiven Therapie. Ungeachtet dessen gibt es in diesem Bereich noch viel Handlungsbedarf: Nur zehn Prozent der Befragten bekamen bisher von Pharma­ unternehmen Patientenservices (z. B. Bonuspro­ gramme oder Finanzinformationen) angeboten. Um die wesentlichen Herausforderungen der neuen Serviceorientierung zügig zu meistern, arbeiten Pharmaunternehmen verstärkt mit externen Dienstleistern zusammen. Im Fokus: • Identifizierung von relevanten Anforderun­ gen, Behandlungskoordinationslücken, fami­ liären und emotionalen Patientenbedürfnis­ sen sowie ergänzender Anstrengungen (Diäten, körperliche Betätigung o. Ä.) • Aufbau der relevanten Technologieplattfor­ men für die Serviceerbringung • Sicherung eines konsistenten Serviceerleb­ nisses und Dialogs über alle Kontaktkanäle SG&A-Optimierung Vertriebsgemein­ kosten schnell und nachhaltig halbieren Führende Life Sciences Unternehmen sind derzeit dabei, die nicht produktbezogenen Vertriebskosten grundlegend neu auszurich­ ten. Indem sie historisch gewachsene Bud­ gets und Leistungsumfänge rigoros darauf überprüfen, ob sie den zukünftigen Unter­ nehmenszielen dienen – und konsequent an­ passen, statt nur zu versuchen, Leistungen kostengünstiger zu erbringen – können sie ihre „Selling, General & Administrative (SG&A) Expenses“ schnell und nachhaltig um bis zu 20 Prozent senken, in einzelnen Berei­ chen um bis zu 50 Prozent. Gleichzeitig ver­ bessern sie die Allokation von Kapital und Investitionen in die Zukunft. Accentures Projekterfahrung zeigt, dass die High Performer die bisherigen Leistungen und Budgets hinterfragen und streichen, was nicht den Unternehmenszielen dient (60 bis 70 Pro­ zent der Einsparungen). Dann stellen sie die Form der Leistungserbringung (Organisations­ strukturen, Prozesse, Systeme) auf den Prüf­ stand (30 bis 40 Prozent der Optimierung). So stellen sie sicher, dass sie die richtigen Leistun­ gen richtig erbringen, statt falsche Prozesse günstiger zu bewältigen. Jede SG&A-Optimierung folgt typischen Fragen: • Kennen und verstehen wir unsere Kosten­ basis? • Welche Anforderungen stellt der Gesetzgeber wirklich an hoheitliche Aufgaben, welche Dienstleistungen brauchen wir in Zukunft noch? • Wie wollen wir Effizienz und Effektivität un­ serer SG&A-Leistungen messen, und wer ent­ scheidet, wie viel wir zu zahlen bereit sind? • Ermittlung des ROI für angebotene Leistun­ gen für Patienten, Versorger, Risikoträger und Pharmaunternehmen • Sicherung von Compliance und Datenschutz sowie Einsatz führender Analytik bei der Sammlung und Nutzung servicerelevanter Patienteninformationen Deutlich wird: Mit ihrem Potenzial für Thera­ pieverbesserung, ökonomischen Nutzen und Mehrwert für Betroffene gehören Patienten­ services eher heute als morgen ins Zentrum pharmazeutischer Unternehmensstrategie. Ansprechpartner: Jeff Elton und Philip Frey [email protected] • Welche Dienstleistungen benötigt das opera­ tive Geschäft – und was sind die Benchmarks für Kosten und Qualität? • Wie sollen die Dienstleistungen erbracht werden – und wie müssen Organisation, Prozesse, Systeme, Mitarbeiter und Partner weiterentwickelt werden, um dies mit unter­ nehmerischer Verantwortung zu bewältigen? • Wie kann durch einen End-to-end-Ge­ schäftsprozessansatz versus eine rein funk­ tionale Sicht Mehrwert geschaffen werden? • Wie setzen wir Leistungsanreize, kontrollie­ ren die Performance und vermeiden kom­ plexe Verrechnungsmodelle? Viele Spitzenunternehmen setzen auf Shared Services, also zentrale Einheiten, die konzern­ weite und BU-spezifische Leistungen bündeln, transparenter strukturieren, expertenorientiert aufstellen und professioneller organisieren, um einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu errei­ chen. Der überwiegende Teil hat damit schon Erfolge erzielt, und viele wollen folgen: Derzeit bündeln lediglich fünf Prozent der Life Sciences Unternehmen mehr als die Hälfte ihrer SG&ALeistungen in Shared Services Einheiten. Bis 2018 wird sich der Anteil verzehnfachen. Ansprechpartner: [email protected] Professor Emanuele Gatti über die Zukunft der Medizintechnik-Industrie Zukunftsstrategien für Medizintechnikunternehmen Professor Emanuele Gatti war als Vorstand der Fresenius Medical Care verantwortlich für die Region Europa, Naher Osten, Afrika und Lateinamerika sowie die weltweite Stra­ tegieentwicklung. Heute ist er als Executive Advisor für Gesundheitsstrategien und Ge­ sundheitspolitik für das Unternehmen tätig und zudem Universitätsprofessor für Trans­ lation von biomedizinischen Innovationen sowie Präsident der Italienischen Handels­ kammer für Deutschland. Herr Professor Gatti, Sie haben Ihr ganzes Leben in der Medizintechnik gearbeitet und mehr als zehn Jahre die Strategie von Fresenius Medical Care geprägt. Wo sehen Sie die we­ sentlichen Wachstumsfaktoren der Branche bis 2020? Die Medizintechnik-Industrie steht vor umfas­ senden Veränderungen, die auch grundlegender sein werden als in einer Vergangenheit, die von kontinuierlichen technischen Neuerungen ge­ prägt war. In der Zukunft wird es noch stärker darum gehen, herausragende medizinische Ergebnisse zu bezahlbaren Preisen zu liefern. Behörden und Auftraggeber fordern umfang­ reichere Dossiers, um die Sicherheit sowie operative und therapeutische Verbesserungen nachzuweisen – und eine konkurrenzfähige Preisgestaltung der Produkte. Das ist mit der Notwendigkeit verbunden, mehr klinische Prü­ fungen durchzuführen. Gleichzeitig muss das umfangreicher gewordene medizinische Nut­ zenversprechen von Produktmarketing und Ver­ trieb verstanden werden, um es differenziert am Markt darstellen zu können und mehr Pro­ dukte zu besseren Preisen zu verkaufen. Wenn medizintechnische Firmen vor einem grundlegenden Wandel stehen: Wie wird dann das erfolgreiche medizintechnische Unterneh­ men der Zukunft aussehen? Was wir brauchen, lässt sich mit zwei Stich­ worten beschreiben: Integration und vernetzte Zusammenarbeit. Die Mehrheit der heutigen Unternehmen macht beides noch nicht wirklich. Dass Unternehmen, Auftraggeber und Lieferan­ ten künftig stärker kooperieren, wird eine große Herausforderung sein. Zurzeit wird frühestens nach der Einführung eines Produktes zusam­ mengearbeitet. Wir sollten uns jedoch bereits zu Beginn einer Neuentwicklung überlegen: Mit wem können wir Kräfte bündeln, um eine kriti­ sche Masse zu erreichen? Wer wäre ein guter Partner, um das Gesundheitswesen zu beein­ flussen? Und mit wem ließen sich medizinische Ergebnisse und Lebensqualität noch stärker verbessern? Sehen Sie zu den eben beschriebenen Chancen noch weitere Wachstumspotenziale für ein me­ dizintechnisches Unternehmen? Die Branche ist immer noch auf die Bedürfnisse und Normen der westlichen Welt ausgerichtet – im Jahr 2020 wird die Mehrheit der Weltbevöl­ kerung aber nicht hier leben. Die entscheidende „Kunst“ wird deswegen sein, das eigene Pro­ duktportfolio richtig zu segmentieren. Das heißt, die richtigen Technologien für die richti­ gen Märkte zu haben – und von den richtigen Standorten zu liefern. Ein Beispiel: Wenn Sie sich auf eine Behandlungsmethode spezialisiert haben, dann könnte Ihr Produkt für Indonesien oder Indien auf ganz anderen Technologien basieren als das für Deutschland oder die USA. Spielt das jeweilige Kostenerstattungssystem eine Rolle, wenn es darum geht, seine Strategie für das Produktportfolio zu definieren? Ja, das und das Gesundheitswesen allgemein werden eine wichtige Rolle spielen. Obwohl auch der innereuropäische Markt – genau wie in den USA – homogener werden wird, wird es weiterhin regionale Unterschiede geben, die auf unterschiedliche Erstattungssysteme oder lokale Behörden zurückzuführen sind. Kein Unternehmen wird mit der Strategie eines Universalangebots Erfolg haben. Um die Märkte erfolgreich zu bearbeiten, müssen die Beson­ derheiten des jeweiligen Erstattungssystems und Gesundheitswesens ebenso berücksichtigt werden wie die Wirtschaftsstufe des Landes. Die meisten Unternehmen unterscheiden bei ihrer Marktstrategie zwischen Schwellen­ ländern und entwickelten Ländern. Wodurch wird sich eine erfolgreiche Strategie in diesen Märkten von einer nicht erfolgreichen unterscheiden? In den entwickelten Märkten stammt der überwiegende Teil der Kosten von der Behand­ lung chronischer Erkrankungen. Das heißt, dass für diese Märkte die Komponente der Lebensqualität entscheidend ist. Medizintech­ nik-Unternehmen behandeln manche Patien­ ten länger als 30 Jahre. Manchmal lautet die Frage: Willst du länger leben? Und manchmal lautet sie: Willst du länger und besser leben? Oder: Willst du nur besser leben? Das ist eine kulturelle und nicht nur eine medizinische Frage. Erfolgreiche Strategien müssen die rich­ tige Balance zwischen den Bedürfnissen der Patienten, ihrem sozialen Umfeld, ihrer Lebens­ qualität und der Behandlungsqualität finden. Bei den Schwellenmärkten müssen Unterneh­ men zu ihren Ursprüngen zurückkehren. Sie müssen identifizieren, was das Mindestmaß an Qualität und Behandlung ist, das in diesen Ländern gilt. Dann müssen sie Lösungen ent­ wickeln, die auf diese Mindestanforderungen zugeschnitten sind. Das verlangt eine ganz an­ dere Struktur und Denkweise. Trotzdem glaube ich, dass auch die bahnbrechenden Technolo­ gien in den Entwicklungsländern eingeführt werden, allerdings nur für eine begrenzte An­ zahl von Therapiefeldern. Herr Professor Gatti, wir danken Ihnen für das Interview. Industrie 4.0 Chancen und Her­ ausforderungen für Pharmaunternehmen 2012 rief die Bundesregierung die Initiative Industrie 4.0 zur Stärkung des Produktions­ standortes Deutschland ins Leben. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist es, durch Digitali­ sierung und Vernetzung von Produktions­ prozessen einen deutlich höheren Automa­ tisierungs- und Flexibilisierungsgrad zu erreichen. Der Schwerpunkt der Konzepte liegt auf der Fertigungsindustrie – doch wel­ che Potenziale birgt das Konzept für die Pharmabranche? Die Vision der „Smart Factory“ von Industrie 4.0 setzt auf neue Technologien, die Produk­ tionsanlagen und Werkstücke in die Lage ver­ setzen, Informationen auszutauschen und die weitere Bearbeitung selbst zu steuern. Dazu werden Teilsysteme und Komponenten von Produktionsanlagen mit Sensoren und Aktoren ausgestattet und miteinander vernetzt. Das Ergebnis sind sogenannte cyber-physikalische Systeme, die nicht nur innerhalb eines Unter­ nehmens wirken, sondern zunehmend auch Partner und Kunden entlang der Wertschöp­ fungskette integrieren. „Smart Services“ wer­ den dabei eine deutlich effizientere Prozess­ steuerung erlauben. Viele der Konzepte hinter Industrie 4.0 haben einen starken Bezug zur Fertigungsindustrie. Obwohl nicht unmittelbar auf eine Pharmapro­ duktion übertragbar, birgt das Thema jedoch auch hier erhebliches Potenzial. Schon mit heutiger Technik lassen sich beispielsweise an­ fallende Betriebsdaten in Predictive Mainte­ nance Services nutzen, um notwendige War­ tungsarbeiten besser vorherzusagen und Stillstand- sowie Rüstzeiten von Anlagen zu minimieren. Prozessanalysetechnik kann Pro­ zessdaten nutzen, um Prozessführung sowie Qualitätskontrolle stark zu vereinfachen und aufwendige Qualitätsprüfungen der Endpro­ dukte obsolet zu machen. Konsumgüterhersteller wie Nestlé investieren aktuell in die Entwicklung neuer, modularer Produktionsprozesse, mit denen sich Kapazitä­ ten in Zukunft noch schneller, individueller und flexibler bereitstellen lassen. Langfristig könnte sich eine zunehmende Flexibilisierung in der Pharmaproduktion zu einem Wegbereiter für die personalisierte Medizin entwickeln. Industrie 4.0 gilt als vierte industrielle Revolu­ tion. Sie wird sich jedoch in evolutionären Schritten vollziehen – und es gibt für alle Branchen noch eine Reihe von Herausforde­ rungen auf diesem Weg zu meistern. Die Har­ monisierung von Anwendungen und Daten im Produktionsumfeld, eine Grundvoraussetzung für den Erfolg, ist dafür nur ein Beispiel. Die zeitnahe Definition eines Fahrplanes zum Auf­ bau der benötigten Fähigkeiten ist eine ein­ deutige Empfehlung. Ansprechpartner: [email protected] Über Accenture Copyright © 2015 Accenture All rights reserved. Accenture, its logo, and High Performance Delivered are trademarks of Accenture. Accenture ist ein weltweit agierender Ma­ nagementberatungs-, Technologie- und Out­ sourcing-Dienstleister mit mehr als 319 000 Mitarbeitern, die für Kunden in über 120 Län­ dern tätig sind. Als Partner für große BusinessTransformationen bringt das Unternehmen umfassende Projekterfahrung, fundierte Fähig­ keiten über alle Branchen und Unternehmens­ bereiche hinweg und Wissen aus qualifizierten Analysen der weltweit erfolgreichsten Unter­ nehmen in eine partnerschaftliche Zusam­ menarbeit mit seinen Kunden ein. Accenture erwirtschaftete im vergangenen Fiskaljahr (zum 31. August 2014) einen Nettoumsatz von 30 Mrd. US-Dollar. Die Internetadresse lautet www.accenture.de / www.accenture.at / www.accenture.ch. Impressum Herausgeber: Accenture GmbH Campus Kronberg 1 61476 Kronberg Druck: Druckerei Lokay e. 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