Skript vom 23

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Skript vom 23. 11. 2009
Vorlesung: ‚Angewandte Ethik’
Dozent: Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin
Lehrstuhl für Philosophie IV
LMU München
Tutorium und Skript: Isabella Bühl M.A.
Rückfragen an: [email protected]
Der dritte Einwand gegen den Utilitarismus ist die Selbstaufhebung der utilitaristischen
Werttheorie. Ein Wert im Utilitarismus ist bei Bentham und Mill je ein außermoralisches Gut.
Für Bentham ist Werttheorie Naturwissenschaft: Lust und Unlust sieht er als messbare,
naturale Größen. ‚Ein Gut’ und daher auch „gut“ im moralischen Sinne ist ein Übergewicht
der Lust gegenüber der Unlust. Was einem Individuum Lust bereitet, ist egal.
Mill unterscheidet die Qualitäten verschiedener Stimulatoren, in Hinsicht auf die menschliche
Würde. Es ist besser ein unglücklicher Sokrates zu sein, als ein glückliches Schwein. Er
verbindet das mit dem hedonistischen Utilitarismus, indem er auf Experten in Sachen
verweist: Wer beide Formen des Glücks kennt, die primitiven und die würdigen, zieht die
würdigen vor. Wir können uns auf das Urteil der in diesem Punkt Erfahrenen verlassen.
Im 20. Jdht. entstand der Präferenzutilitarismus: Was für den jeweiligen Menschen gut ist,
hängt von den Präferenzen dieses Menschen ab. Präferenzen sind inhaltlich offen und
individuell verschieden. Allerdings sind sie nicht isoliert. Viele Präferenzen, die Menschen
haben, beziehen sich auf das Wohl anderer. Hier entsteht nach dem Paradigma des –
empirisch formulierten – Utilitarismus der bereits erwähnte Zirkelschluss. Als Ausweg wurde
eine Unterscheidung zwischen moralischen und außermoralischen Präferenzen vorgeschlagen,
doch diese Wertung findet jenseits des Utilitarismus statt und ist insofern nicht utilitaristisch
erklärbar.
Das Gegenmodell zum Utilitarismus ist die Deontologie (gr. ‚to deon’- das Gebotene, die
Pflicht), hervorgegangen aus der Vernunftkritik von Immanuel Kant.
Ebenso wie der Utilitarismus beansprucht sie Universalität, aber auf dem Grundsatz der
Allgemeinheit. Im Utilitarismus wird dieser Anspruch durch Unparteilichkeit gerechtfertigt.
In der Deontologie stehen die Konsequenzen einer Handlung nicht im Vordergrund.
Geboten ist, was einem Handlungsprinzip folgt, das an sich richtig ist, unabhängig von jeder
(zufälligen) Erfahrung. Diese Bedingung erfüllt nur der kategorische Imperativ.
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Zunächst geht es Kant um drei Fragen:
Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was kann ich hoffen?
Zufassend kann man auch fragen: Was ist der Mensch? Die Antwort kann weder durch
Empirie, noch durch Spekulation gefunden werden, sondern lediglich durch die Anwendung
der reinen Vernunft, die uns allein Einsicht in das gewährt, was wir wissen können.
Was reine Vernunft ist, hat Kant in der ‚Kritik der reinen Vernunft’ (-> nachschauen:
Kopernikanische Wende) untersucht.
Verbindung zur Ethik: Was die Natur uns an der Vernunft gegeben hat, hängt zunächst nicht
mit Glückseligkeit zusammen. Obwohl es Schurken gibt, die glückselig sind, würden wir sie
nicht beneiden. Das liegt, so Kant, daran, dass wir nicht allein im Schema der Zweck-MittelRationalität urteilen. Nicht jede unserer Überlegungen wird von Klugheit (hypothetischen
Imperativen) geleitet: Wenn ich x tue, bekomme ich y. Also ist x gut, weil ich y will.
Es gibt auch solches (x), das wir an sich wollen. Wir können aber nur das an sich wollen, was
universal wünschenswert ist. Daher die Handlungsmaxime des kategorischen Imperativs:
„Handle nur nach der derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein
allgemeines Gesetz werde.“ (Formel aus der GMS, siehe erstes Skript)
Die Autonomie, die der Kantianismus uns zuschreibt, setzt Selbstaufklärung voraus, nämlich
insofern das Vernunftwesen in der Lage sein muss, gegen die eigenen Neigungen zu handeln.
Wann unser Wollen davon rein ist, erkennen wir wieder durch Überprüfung der praktischen
Maxime: Man soll so handeln, dass man die Menschheit der eigenen oder einer anderen
Person immer als Zweck niemals nur als Mittel gebraucht.
Das bedeutet unter anderem, dass es verboten ist, jemanden ganz den eigenen Interessen zu
unterwerfen.
Frage nach der Zumutbarkeit: In dieser Pflicht sind wir autonom. Sie wird uns nicht von
außen auferlegt, sondern entsteht aus der Notwendigkeit der Achtung vor dem eigenen
Gesetz.
William Ross hat eine pluralistische Deontologie formuliert, in der berücksichtigt wird, dass
ein Vernunftwesen verschiedene Pflichten haben kann, die mitunter konfligieren. Lügen stellt
z.B. unter bestimmten Umständen eine geringe Pflichtverletzung zugunsten einer priorisierten
moralischen Pflichterfüllung dar („der versteckte Freund“). Ross geht davon aus, dass wir
immer schon intuitiv Pflichten gegeneinander abwägen, deswegen hält er Nutzenkalkül in
diesem Punkt für obsolet.
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Die Deontologie hat bestimmte Charakteristika, die auf ihrem Vernunftoptimismus beruhen.
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Es wird angenommen, dass wir uns selbst therapieren können, also Einsicht in die
Verflechtung von Willen und Neigungen haben, und unseren Willen auf die Vernunft
lenken können.
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Es werden keine Ziele oder Inhalte formuliert. Barmherzigkeit z.B. wäre supererrogatorisch, d.h. sie kann nicht eingefordert werden.
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Wir sind im moralischen Sinne wirklich frei.
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Jede Person hat einen eigenen moralischen Wert und ist daher unverfügbar.
Kritik an dieser Position:
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Persönliche Gefühle werden nicht ernst genommen, individuelle Wertschätzung
verliert ihre Gültigkeit.
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Moral-analogen Gefühle wie Liebe oder Freundschaft wird die ethische Legitimation
abgesprochen.
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Da Gefühle haben eine kognitive Dimension. Ihre Ausblendung ist falsch verstandener
Rationalismus.
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Tiere sind keine Vernunftwesen. Ein streng verstandener Kantianismus entbindet uns
damit von jeder ethischen Verpflichtung gegen sie, außer in anthropozentrischer
Hinsicht, wenn man davon ausgeht, dass Grausamkeit gegen Tiere den Menschen auch
im Umgang mit anderen Menschen verroht.
Im nächsten Tutorium besprechen wir aus ‚Philosophische Untersuchungen zum Wesen der
menschlichen Freiheit' (1809) von F.W.J. Schelling die Seiten 7-40 (3-7 sind ein ebenfalls
interessantes Vorwort). Ihr findet das Buch wie immer im Handapparat.
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