Vortrag am Freiberg-Symposium „Das Perverse in Klinik und Kultur“. Perversion und Delinquenz. Psychoanalytische Streifzüge durch eine Grenzregion. Fritz Lackinger Einleitung Ich möchte in meinem Vortrag auf die Frage eingehen, was Perversion und (Sexual-)delinquenz miteinander zu tun haben. Sowohl Perversion als auch Delinquenz fallen in einen Bereich, den man mit Balint auf der Ebene einer „Grundstörung“ ansiedeln oder triebtheoretisch als „präödipal“ bezeichnen könnte. Auf die Objektbeziehungstheorie gehen Ausdrücke wie „strukturelle Störung“ oder „Borderline-Persönlichkeitsorganisation“ zurück. Damit ist ein Spektrum von Pathologien angesprochen, das zwischen den neurotischen und den psychotischen Störungen liegt, und neben Perversion und Delinquenz auch solche Problematiken wie schwere Persönlichkeitsstörungen, Sucht und psychosomatische Erkrankungen einschließlich Selbstverletzungen und Essstörungen umfasst. Ich werde auf diese Diskussionen jedoch nicht näher eingehen, sondern einfach nur voraus schicken, dass ich grundlegend zwischen einem neurotischen und einem Borderline-Niveau der Persönlichkeitsorganisation unterscheide. Ich möchte Ihnen ein Denkmodell vorstellen, das die Psychodynamik des Sexualdelinquenten in den Kontext einer allgemeinen psychoanalytischen Perversionstheorie stellt und zugleich mit den verschiedenen Niveaus der Persönlichkeitsorganisation in Verbindung bringt. Diese konzeptuellen Überlegungen sollen mit zwei Falldarstellungen illustriert werden, in denen die unterschiedliche Übertragungsdynamik bei delinquenten und nicht-delinquenten Perversen deutlich werden soll. Perversion und Borderline-Persönlichkeitsorganisation Der Begriff der Perversion wird in der psychoanalytischen Literatur üblicherweise zur Bezeichnung einer bestimmten psychischen Struktur verwendet. Bei aller partiellen Widersprüchlichkeit scheint sich in den letzten 20 Jahren doch eine Art psychoanalytischer 1 Mainstream in der Auffassung der Perversionen herausgebildet zu haben. Kurz zusammengefasst besteht der Konsens über die Struktur der Perversion in Folgendem: Konstitutionelle Faktoren führen im Zusammenwirken mit frühen Traumatisierungen zu einer anhaltenden Virulenz oraler und analer Konflikte, was eine echte psychische Triangulierung und damit die spätere Lösung der ödipalen Themen verunmöglicht. Die oralen und analen Konflikte führen zunächst zu einem Überwiegen der aggressiven gegenüber den libidinösen Strebungen. Dies bewirkt, dass es zu keiner ausreichenden Integration der Selbst- und Objektrepräsentanzen und zu keiner vollständigen psychischen Trennung vom Primärobjekt kommt. Daraus entsteht das agoraphob-klaustrophobe Dilemma, was bedeutet, dass der später Perverse einerseits eine besonders starke Sehnsucht nach Nähe und Einssein entwickelt, andererseits Nähe nicht anders denn als Verschluckt- und Vernichtetwerden empfinden kann. Als Reaktion auf die Vernichtungsangst richtet er die prägenitale Aggression gegen das Objekt, nur um kurz darauf Angst vor vollkommener Verlassenheit und vor einem Tod durch psychisches Verhungern zu entwickeln. Er erlebt sich in einem schmerzvollen Wechsel zwischen der ‚Feuerhölle’ der Nähe und der ‚Eiswüste’ der Verlassenheit. Als Ausweg aus dem Dilemma sucht der später Perverse nach einem Weg, der ihm einerseits Beziehung verschafft, um der Verlassenheit zu entkommen, und andererseits Intimität und wirkliche Nähe erspart, um dem Verschlucktwerden zu entgehen. Diesen Weg bietet ihm der Mechanismus der Sexualisierung, der die eigentlich spezifisch-perverse „Lösung“ des prägenitalen Ambivalenzkonfliktes ist. Sexualisierung meint - genauer betrachtet - eine Pseudogenitalisierung der oralen und analen Partialobjektbeziehungen. Das Verharren in den prägenital strukturierten Beziehungsmodi reflektiert eine nur mangelhafte frühe Triangulierung (im Sinne von Abelin 1971, 1975) und ein Scheitern der ödipalen Triangulierung. Diese Prozesse sind auch mit einer Neigung zu primitiven Wahrnehmungsweisen der psychischen Realität verbunden, einer Neigung, die Fonagy et al. (2002) als Mentalisierungsdefizit beschrieben haben. Je nachdem, welcher Aspekt der prägenitalen Beziehungen besonders traumatisiert und vulnerabel ist, wird die Perversion als triumphale Umkehr der jeweils vorherrschenden unbewussten Ängste inszeniert. Die Sexualisierung ist dabei zugleich eine Abwehr und eine Ausdrucksform der prägenitalen Aggression. Eine große Bandbreite in der Phänomenologie der Perversion ergibt sich aus den zahlreichen möglichen Mischungsverhältnissen im jeweiligen perversen Verhalten zwischen dem Abwehr- und dem Ausdrucksaspekt in Bezug auf die prägenitale Aggression. Es wurde von zahlreichen Autoren darauf hingewiesen, dass es zwischen der psychoanalytischen Beschreibung von Borderline-Patienten und von Perversen viele Ähnlichkeiten gibt (Blum 1986, Chasseguet-Smirgel 1990, Kernberg 1992). Die ödipalen Konflikte sind in beiden Fällen durch übermäßig starke Aggressionen und Ängste aufgeladen. Man findet sowohl bei Perversen als 2 auch bei Borderline-Patienten typischerweise eine verfrühte Ödipalisierung der im Grunde prägenitalen Konflikte. Es gibt aber auch unübersehbare Unterschiede zwischen den klassischen Perversionen und den so genannten Borderline-Perversionen. Empirische Untersuchungen zeigen sehr klar, dass nur wenige Patienten mit einer BorderlinePersönlichkeitsorganisation gleichzeitig eine klassische sexuelle Perversion aufweisen. Als typisch für sie wird vielmehr eine polymorph-perverse Sexualität beschrieben, bei der mehrere perverse Züge gleichzeitig existieren (Rohde-Dachser 1979). Borderline-Perversionen haben also meist eine andere Erscheinungsform als neurotische, dennoch sind sie Perversionen im deskriptiven Sinne. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Begriff der Perversion weiterhin ein psychodynamischer Strukturbegriff ist, oder ob er in Hinkunft nur noch deskriptiv zur Beschreibung verschiedener Formen von abweichender Sexualität verwendet werden sollte, während die Struktur durch die jeweilige Persönlichkeitsorganisation im Sinne Kernbergs definiert wird. Ich vertrete hier die Position, dass die Perversion sehr wohl weiterhin eine Struktur bezeichnet, dass diese aber im Kontext der neurotischen Persönlichkeitsorganisation lediglich eine untergeordnete Substruktur darstellt, die von der restlichen Persönlichkeit mehr oder weniger dissoziiert ist, während sie bei der Borderline-Persönlichkeitsorganisation in größeren oder geringerem Ausmaß die gesamte Persönlichkeit erfasst. Es kommt dementsprechend meistens zu keiner starren Symptombildung, sondern zu dem beschriebenen Wechsel und der Vielgestaltigkeit der perversen Züge bei der Borderline-Persönlichkeit. Wichtig für das Verständnis des Konzeptes der Borderline-Persönlichkeitsorganisation ist, dass es verschiedene Schweregrade der Störung definiert, also auch eine dimensionale Komponente hat. Gegenwärtig werden ein höheres, ein mittleres und ein niedriges Borderline-Niveau unterschieden. Benigne und maligne Perversionen Sigmund Freud war einer der ersten Psychiater, der darauf hinwies, dass Abweichungen vom Ziel des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs auch bei Erwachsenen durchaus normal seien. In den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie von 1905 lesen wir: „Wo die Verhältnisse es begünstigen, kann auch der Normale eine solche Perversion eine ganze Zeitlang an die Stelle des normalen Sexualzieles setzen oder ihr einen Platz neben diesem einräumen. Bei keinem Gesunden dürfte irgendein pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen, und diese Allgemeinheit genügt für sich allein, um die Unzweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun.“ (Freud 1905, S.60). Als die ersten Kinsey-Berichte (1948 und 1953) diese Einsichten empirisch bestätigten, war man in psychiatrischen Kreisen trotzdem zutiefst erstaunt. 3 Offensichtlich war Freud in diesem Punkt noch kaum rezipiert worden. Daran war die damals dominierende Gruppe ich-psychologischer Psychoanalytiker nicht gerade unschuldig, in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich jedoch viel verändert. Ich möchte jedenfalls feststellen, dass es mir wichtig erscheint, an der Freudschen Auffassung festzuhalten, dass das Vorhandensein perverser Strebungen ein allgemeiner Aspekt der menschlichen Sexualität ist und per se keine psychische Störung darstellt. Die empirische Sexualwissenschaft hat seit den 1950er Jahren zunehmend darauf hingearbeitet, aus diesem Grunde den Begriff Perversion überhaupt aufzugeben. Wie Sie wissen, ist die psychiatrische Nomenklatur ab dem Jahre 1980 dieser Empfehlung gefolgt und spricht nun von Paraphilie bzw. von Störung der Sexualpräferenz. Ich denke, dass die Psychoanalyse keinen Grund hat, ihren Begriff der Perversion aufzugeben. Allerdings hat sie allen Grund, die Verwendung dieses Begriffs zu klären und zu differenzieren. Ich kann das hier nicht hinlänglich leisten, möchte aber klarstellen, dass ich Begriffe wie perverse Strebungen, perverse Impulse, perverse Phantasien u. ä. in einem deskriptiven Sinne verwende, d.h. sie beschreiben einfach partial-triebhafte Phänomene. In diesem Sinne ist die infantile Sexualität nach wie vor polymorph-pervers und die normale erwachsene Sexualität enthält perverse Elemente in größerer oder kleinerer Zahl, die allerdings von einer reifen genitalen Beziehung gehalten, getragen, im Bionschen Sinne ‚contained’ werden. Der Begriff Perversion – substantivisch gebraucht – sollte ausschließlich zur Bezeichnung einer psychopathologischen Struktur verwendet werden, im Sinne der oben referierten Theorie. Sie bezeichnet demnach eine bestimmte Konstellation von - anhaltenden prägenitalen Konflikten, - einer vorzeitigen oder Pseudo-Ödipalisierung, - einer mangelhaften Triangulierung der Objektbeziehungen, - einer mangelhaften Mentalisierung des affektiven Erlebens (im Sinne Fonagys) - und des Einsatz von Sexualisierung als bevorzugtem Abwehrmechanismus. Darüber hinaus scheint mir eine weitere definitorisch Klarstellung unverzichtbar: Es gibt Perversionen, die zwar eine psychopathologische Fehlentwicklung darstellen, die also mehr sind als die perversen Anteile des gesunden Menschen, die jedoch bei anderen Menschen keinen Schaden anrichten und in diesem Sinne als sozial harmlos bezeichnet werden können. In diesen Fällen werde ich von benignen Perversionen sprechen. Dem stehen Perversionen gegenüber, die einen Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen implizieren. Dieser Angriff kann allerdings sehr verschiedene Ausprägungsgrade haben. Wenn die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausschließlich in Form von verbalen Belästigungen, 4 Übergriffen ohne Körperberührung oder sexualisierten Berührungen mit sehr geringen Auswirkungen besteht, dann kann man von transgressiven Perversionen sprechen. Wenn Perverse jedoch Gewalt oder Zwang zur Verwirklichung ihrer sexuellen Wünsche brauchen oder auf Objekte zielen, die nicht einwilligungsfähig sind, wie z.B. Kinder, dann würde ich von malignen Perversionen sprechen. Die benignen Perversionen umfassen v.a. den Fetischismus und den Transvestitismus. Ich betone noch einmal, dass damit nicht jedes Verwenden von Gegenständen oder von gegengeschlechtlichen Kleidungsstücken zur Steigerung der sexuellen Erregung gemeint ist, sondern dass derartiges Verhalten nur dann in diese Kategorie fällt, wenn es Ausdruck einer perversen psychischen Struktur ist. Dies kann daran festgemacht werden, ob die jeweilige perverse Handlung zu einer ausschließenden Bedingung für sexuelle Erregung geworden ist, wie es auch schon bei Freud (1905) nachzulesen ist. Allerdings trifft dies nicht in allen Fällen zu. Manchmal sind perverse Handlungen, auch wenn sie nicht die ausschließliche sexuelle Erlebnismöglichkeit für den Patienten darstellen, trotzdem eindeutig pathologisch, weil ihre Funktion eben darin besteht, Nähe und Intimität in der Partnerschaft zu verhindern. Benigne Perversionen sind auch jene Formen des sexuellen Sadomasochismus, die in schmerzhaften und/oder erniedrigenden, jedoch einvernehmlichen Handlungen und Ritualen bestehen, soferne sie nicht zu schweren Verletzungen eines der Partner führen, und wenn sie die typische Abwehrfunktion der Perversion haben. Auch im Bereich der Pädophilie gibt es eine benigne Variante. Sie ist dann gegeben, wenn der Perverse zwar pädophil-sexuelle Phantasien in einer zwanghaften Form hat, in seinen Handlungen aber nur harmlose Berührungen eines Unmündigen, wie etwa über den Kopf streicheln, ausführt. Psychodynamisch treten die benignen Perversionen überwiegend im Kontext einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation auf, was bedeutet, dass es keine umfassende Diffusion der persönlichen Identität gibt, dass in den meisten Lebensbereichen ein normales Funktionsniveau erreicht wird und dass auch tiefe, intime Partnerschaften möglich sind, in die die Perversion entweder integriert oder aus der sie ausgeschlossen sein kann. Die von Morgenthaler festgestellten Plombenfunktion der Perversion tritt nur in einem eng umschriebenen Bereich auf, in dem die Mentalisierung prägenitaler Affekte und die Triangulierung präödipaler Beziehungen misslungen ist. Allerdings sind eine Reihe von benignen Perversionen auch mit einer BorderlinePersönlichkeitsorganisation verbunden. Man sieht diese manchmal in Form eines geradezu süchtigen Don Juanismus bei Männern, die ihr narzisstisches Gleichgewicht nur durch dauernde sexuelle Eroberungen aufrecht erhalten können. Nicht selten ist auch die Prostitution sowohl bei jungen Männern wie bei Frauen eine Variante einer benignen Borderline-Perversion. Die Perversion 5 nimmt, wenn sie mit einer Borderline-Struktur verbunden ist, in der Regel eine kältere und schärfere Form und Färbung an, auch wenn sie die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen nicht angreift. Wesentlich ist aber, dass diese Patienten in ihrem sonstigen Leben ebenfalls zahlreiche Störungen und meist auch einige weitere psychopathologische Symptome aufweisen. Die transgressiven Perversionen umfassen Perversionen, die ursächlich an Sexualdelikten mit nur geringer Schadenswirkung beteiligt sind. Dazu gehören v.a. Voyeurismus, Exhibitionismus und Frotteurismus. Diese sind üblicherweise von vorneherein so definiert, dass sie Grenzverletzung gegenüber anderen Menschen darstellen. Der Voyeur ist erst einer, wenn er eine nichts ahnende, nackte Person beobachtet, der Exhibitionist stellt seine Genitalien vor nichts ahnenden Fremden zur Schau und der Frotteur reibt sich heimlich an nicht einwilligenden Personen. Lässt man die Nichteinwilligung als Bedingung weg, so bleiben meist lediglich perverse Aspekte der normalen Sexualität über. Als transgressive Perversionen führen sie natürlich manchmal zu Verurteilungen und so kommen diese Patienten in Kontakt mit der forensischen Psychotherapie. Aus meiner Erfahrung könnte ich nicht sagen, ob sie häufiger mit einer neurotischen oder mit einer BorderlinePersönlichkeitsorganisation kombiniert sind. Beides kommt vor, mit den jeweils unterschiedlichen Begleiterscheinungen, wie ich sie oben beschrieben habe. Es gibt zahlreiche weitere transgressive Perversionen, wie z.B. das zwanghafte sexualisierte Berühren von Frauen, der aggressive Don Juanismus, aber auch masochistische Ausprägungen, wenn sie zu nur leichten Selbstverletzungen führen. Maligne Perversionen führen in der Regel zu schweren, wiederholten Sexualdelikten. Beim malignen Masochismus allerdings ist es nicht die strafrechtliche Relevanz, die die Schwere der Pathologie bestimmt. Es kann jedoch zu hochgradiger Selbstgefährdung, ja zu tatsächlichen Selbstverstümmelungen und sogar zu Todesfällen kommen. Ich denke, dass bei der Asphyxiophilie, also bei der Selbststrangulation zur Luststeigerung, starke masochistische Anteile wirksam sind, auch wenn die spezifische Form des masochistischen Lustgewinns noch einmal separat zu betrachten ist. Der maligne Sadismus und die maligne Pädophilie sind nun die beiden Perversionen, die in der forensischen Forschung die bei weitem größte Aufmerksamkeit erreicht haben, weil sie mit den schwerwiegendsten Formen der Sexualdelinquenz in Verbindung stehen. Ich kann hier nur kurz erwähnen, dass weder die Vergewaltigung noch der sexuelle Kindesmissbrauch ausschließlich auf entsprechende Perversionen zurückgeführt werden können. In beiden Fällen gibt es zahlreiche Täter, die keine Perversion, aber andere psychische Störungen, wie z.B. Impulskontrollstörungen 6 und Persönlichkeitsstörungen ohne Perversion, aufweisen (Hoyer et al. 1999, 2000, Kraus et al. 2004). Ich konzentriere mich hier jedoch auch die perversen Vergewaltiger und Kindesmissbraucher. Sie weisen fast immer eine Borderline-Persönlichkeitsorganisation auf, wobei jene, die Wiederholungstäter sind, in der Regel dem niederen Borderline-Niveau zuzurechnen sind. Ich möchte hier versuchen, die Psychodynamik der malignen Perversionen etwas genauer herauszuarbeiten. Im Unterschied zu den benignen und den transgressiven Perversionen besteht bei den malignen Perversionen immer auch eine massive Überich-Störung. Das bedeutet, dass die sadistischen Über-Ich-Vorläufer derart dominant sind, dass sie durch die späteren idealisierten Über-Ich-Vorläufer nicht neutralisiert werden können. Die Über-Ich-Integration ist daher blockiert und die späteren, realistischeren Überich-Introjekte aus der ödipalen Periode können nicht integriert werden. Bei den später malignen Perversen hat eine Umformung der inneren Objektwelt in der Weise stattgefunden, dass es zur Entwertung und Versklavung aller potentiell guten internalisierten Objektbeziehungen kommt. Dadurch verwandeln sich die sadistischen Über-Ich-Komponenten in abnorme Selbststrukturen. Die Folge ist, dass Sadismus praktisch ich-synton und ohne störende Schuld- oder Schamgefühle ausagiert werden kann. Die pathologischen Selbststrukturen, die das Überich quasi ersetzen und seine weitere Entwicklung gestoppt haben, verändern nun auch die Dynamik der Sexualisierung. Diese behält hauptsächlich ihre Eigenschaft, prägenitale Aggression auszudrücken. Sie wird durch die libidinösen Komponenten nur noch in geringem Maße abgewehrt oder abgeschwächt. Die Aggression ist derart unvermischt und zugleich ich-synton, dass sie – v.a. bei den schwersten Fällen - aus allen Poren trieft. Trotzdem hat sie immer noch die allgemeine Funktion der Perversion, nämlich sowohl die Angst vor Verlassenheit als auch vor dem Verschlucktwerden abzuwehren. Auch die maligne Perversion stellt also noch eine extreme Form der menschlichen Beziehungsgestaltung und damit der Abwehr der reinen mörderischen Aggression dar. Fallbeispiele Ich möchte Ihnen nun zwei Fälle vorstellen, mit denen ich hoffe, die unterschiedliche Dynamik bei benignen und bei malignen Perversionen deutlich machen zu können. Herr A. war nach dem Einsetzen einer schweren depressiven Episode in der psychiatrischen Station eines Wiener Spitals aufgenommen worden. Nach zwei Monaten wurde er entlassen und es wurde ihm empfohlen, einen Psychotherapeuten zu suchen. So kam er schließlich in meine Praxis und ich 7 begann eine hochfrequente Analyse mit ihm. Es stellte sich heraus, dass dieser Mann trotz seiner 38 Lebensjahre noch nie mit einer Frau geschlafen hatte. Als Hintergrund berichtete er, dass er extrem schüchtern sei, dass er überzeugt sei, einen lächerlich kleinen Penis zu haben und dass er außerdem Damenunterwäsche zur sexuellen Stimulation verwende und vermute, nur dann zum Geschlechtsverkehr mit einer Frau fähig zu sein, wenn er solche Wäschestücke tragen würde. Dies könne er jedoch keiner Frau zumuten und deswegen sei er eine Art männlicher Jungfrau geblieben. Nach einer aktuellen Enttäuschung im vergangenen Sommer sei er zunehmend depressiv geworden, weswegen ihn sein Hausarzt in das Spital geschickt habe. Die dort erhaltenen Medikamente hätten ihm aber nicht wirklich geholfen. Er fühle sich weiterhin zu allem unfähig, er wisse nicht, wie er seinen Beruf als Wirtschaftsprüfer wieder ausführen solle. Im Büro wisse er nicht, was er tun solle und verplempere nur seine Zeit. In der Freizeit sei er praktisch immer allein und nehme keinen Kontakt zu seinen früheren Freunden auf, sodass diese wohl auch zunehmend das Interesse an ihm verlieren würden. Er werde wohl bald seine Arbeit verlieren und in seinem jetzigen Zustand auch keine neue finden, wodurch er sich dann auch seine Wohnung nicht mehr leisten könne und möglicherweise bald alleine und verlassen in der Gosse enden werde. Wir haben hier ein Bild vor uns, in dem Perversion und Depression in einem Wechselverhältnis stehen. Während der depressiven Episode war sein sexuelles Interesse allgemein fast verschwunden und er agierte seinen Fetischismus nicht. Vorher hatte er Damenwäsche gelegentlich eingekauft, und noch früher, in seiner Studentenzeit, hatte er sich auch Wäschestücke von befreundeten Mädchen im Studentenheim und später in einer Wohngemeinschaft erschlichen, indem er BHs und Slips aus deren Kästen entnahm und sie nach Gebrauch gewaschen und gebügelt wieder zurücklegte. Es hatte nie jemand gemerkt. Dieses Verhaltensmuster hatte noch weiter zurückliegende Vorbilder. Zum ersten Mal hatte er während seiner Pubertät Wäschestücke seiner Tante in gleicher Weise verwendet. Diese hatte die schönere Unterwäsche in Vergleich zu seiner Mutter. Allerdings konnte er sich erinnern, schon als Volksschulkind im Kasten der Mutter gewühlt und manche Stücke vor dem Spiegel angezogen zu haben. Es scheint, dass bei diesem Patienten der Fetischismus das Interesse an Sexualpartnerinnen nie ganz ersetzt hatte. Wegen seiner Unfähigkeit, eine Freundin zu finden, fühlte er sich einsam und komplexbeladen. Er schien zwar phasenweise mit seiner Perversion gar nicht so schlecht zu leben. Er absolvierte erfolgreich und ohne große Anstrengung Schule und Studium und begann einen Beruf auszuüben, in dem er nicht schlecht verdiente. Er entwickelte verschiedene Hobbys, u.a. ein Interesse für österreichische Literatur. Allerdings hatte er sich trotz seiner intellektuellen Fähigkeiten in sozialer und v.a. in sexueller Hinsicht immer minderwertig gefühlt. Und spätestens 8 seit dem 30. Lebensjahr hat es immer wieder depressive Episoden gegeben, allerdings keine so schlimme, wie die letzte vor dem Beginn der Analyse. Die Analyse begann seine depressive Verstimmung langsam aufzuhellen. In den bisherigen drei Jahren der Behandlung hat er weder Arbeit noch Wohnung verloren, es stellte sich vielmehr heraus, dass er von seinen Vorgesetzten sehr geschätzt wird. Trotz seiner Passivität in der Pflege seiner Freundschaften, gibt es nach wie vor einen kleinen Kreis, mit dem er in regelmäßigem Kontakt ist. Ich denke, dass es sich bei diesem Patienten um eine benigne Perversion auf neurotischem Niveau handelt. Er hat keinem anderen Schaden zugefügt, wenn auch das Eindringen in die Kästen von Verwandten und Freundinnen schon an der Grenze zur transgressiven Perversion liegt. Das neurotische Strukturniveau erkennt man daran, dass die allgemeine persönliche Identität des Patienten im Grunde sehr klar ist. Er kann sich gut beschreiben, auch seine zwanghaften, seine perversen und seine depressiven Muster, und seine Selbstbeschreibung bleibt in ihren Grundlinien über die Zeit konstant. Es gibt zwar nur wenige Freunde, diese haben aber einen nachvollziehbaren Charakter, und die Beziehungen zu ihnen sind auch langfristig stabil. Er ist beruflich offenbar tüchtig, wenn auch ein Einzelgänger, der kaum über das beruflich absolut Notwendige hinaus Kontakt aufnimmt. Dabei zeigt er typisch zwangsneurotische Hemmungen und hat skrupulöse Schuldgefühle wegen vergleichsweise harmloser Nachlässigkeiten. Er hat ein überstrenges, perfektionistisches Überich, das ihm keinerlei Raum für Freude und Genuss lässt. Die Zweifel an seiner Penisgröße reflektieren einen überdimensionalen Kastrationskomplex, allerdings tritt dieser Aspekt nur im unmittelbar-sexuellen Bereich so stark in Erscheinung, dass er symptombildend ist. Der transvestitische Fetischismus erwächst nicht zuletzt aus den Einschränkungen, die ihm das überstrenge Überich aufbürdet, er steht aber in starkem Widerspruch zu seinen sonstigen IchFähigkeiten und zu seinem Überich. Die Perversion ist daher grundlegend ich-dyston. Um zu verdeutlichen, welche unbewussten Phantasien an dem transvestitischen Fetischismus des Patienten beteiligt waren und zu welchen ätiologischen Hypothesen wir gelangten, möchte ich kurz den weiteren Therapieverlauf schildern. Der Patient erweiterte seine permanente Selbstentwertung rasch auch auf die Analyse, da sie ihm nicht helfe. Eigentlich sei er ja nie wirklich überzeugt gewesen, dass ihm diese Therapie helfen könne, aber er habe eben keine Alternative gehabt und so sei er gekommen. Sicherlich liege es an ihm, weil er sich nicht richtig öffnen könne, aber gerade deshalb sei es für ihn vielleicht auch nicht die richtige Methode. Er bestand schließlich darauf, die Stunden zu reduzieren, nicht zuletzt mit dem Argument, dass er seine Therapiebesuche verheimlichen müsse, weil sie doch etwas Beschämendes seien. In der Gegenübertragung entwickelte ich das Gefühl, dem Patienten nichts geben zu können, nicht die richtigen Deutungen, im übertragenen Sinne keine gute Milch für ihn zu 9 haben. In der weiteren Arbeit stellte sich heraus, dass der Patient als Kind seine Mutter als unfähig und unattraktiv erlebt hatte. Er glaubte, keine anderen Kinder zu sich einladen zu können, weil er sich vor ihnen für seine Mutter schämen müsse. Diese Beschämung schien nun auf den Therapeuten übertragen zu werden und gleichzeitig mit dem beharrlichen Bemühen verbunden zu sein, in Kontakt zu bleiben, aber wirkliche Nähe zu vermeiden. Auf einer tieferen Ebene stellte sich später heraus, war das Gefühl, beschämend zu sein, von ihm selbst auf die Mutter verschoben worden. Er erinnerte frühe Kinderszenen, in denen er die nackte Mutter beim Baden beobachtete, und wo er von ihren riesigen Brüsten zugleich fasziniert und abgestoßen war. Die erotische Bindung an die Mutter war von dieser einerseits vollkommen verleugnet, zugleich aber unbewusst permanent verstärkt worden, indem sie seine Autonomiebestrebungen durch Verwöhnen und Abhängigmachen unterminierte. Am Ende der Latenzzeit begann er sich für seine Unselbständigkeit und seine oral-erotische Fixierung an die Mutter zu schämen. Und nun folgte eine Traumatisierung, die diese bis jetzt vermutlich noch reversible Fehlentwicklung zur Perversion fixieren sollte. Mit 10 Jahren wurde er vom Vater in ein Internat gegeben, d.h. er wurde von den Eltern getrennt. Dies wäre nicht notwendigerweise traumatisch gewesen und er erinnert auch seine eigenen Trennungsängste als durchaus moderat. Aber die Mutter entwickelte in dieser Zeit eine schizo-affektive Psychose, d.h. sie wurde manifest depressiv und erlebte zugleich paranoide Halluzinationen, in denen ihr der Teufel erschien. Unbewusst bedeutete dies für den Patienten, dass er zu einem Teufel geworden war, weil er seine Mutter verlassen hatte. Seine oral-erotische Fixierung an die innere Mutter wurde dadurch unendlich verstärkt. Massive Schuldgefühle fesselten ihn nun wie Taue an die ambivalent geliebte und zugleich gehasste Mutter. Wie vorher erwähnt, hatte die Bindung an die Mutter schon im Volksschulalter zu dem Versuch geführt, ihr durch die Verwendung ihrer Kleidungsstücke nahe zu kommen, gewissermaßen in sie hineinzuschlüpfen. Nun in der Pubertät trat eine Spaltung ein. Die äußere Mutter wurde zunehmend abgelehnt, das Gefühl, sich für sie schämen zu müssen, verstärkte sich. Eine davon getrennte innere Mutter wurde jedoch festgehalten, aber nicht im Sinne einer reifen Identifizierung, sondern im Sinne eines unheimlichen, janusköpfigen Introjekts. Zur faszinierenden Seite dieses Introjekt konnte er durch die fetischistische Verkleidung und Erregung in Kontakt treten, die abstoßende Seite wurde zu einem Ersatzselbst, dem sein Überich später die gleichen Vorwürfe machen konnte, wie er sie in der Pubertät seiner Mutter gemacht hatte. Die Mutter starb als er 20 Jahre alt war, nachdem sie ihm vergeblich geraten hatte, sein Studium abzubrechen und zu ihr zurück zu kehren. An ihrem Grab kann er bis heute keine Trauer empfinden. Das Hineinschlüpfen in die Frauenkleider und damit in die Mutter wurde von mir als aktive Wiederholung des erlebten, passiven Verschlungenwerdens durch die Mutter gedeutet. Die 10 Perversion erlaubte, den Kontakt zur Mutter der frühesten Kindheit aufrecht zu erhalten, selbst als sie später verrückt geworden und noch später gestorben war. Das Ersetzen der Mutter durch Unterwäsche bringt aber auch deutlich die prägenitale Aggression zum Ausdruck, und die orgastische Lust, die mit diesem Vorgang verbunden ist, hat auch den Charakter eines Triumphes über die Mutter. Die manchmal mehr zwanghaft oder mehr depressiv getönten Selbstvorwürfe und Selbstentwertungen scheinen mir hingegen die neurotischen Niederschläge der frühen Objektbeziehungen des Patienten zu sein. Sie haben eine triangulierte Form. Der Patient erlebt sich dann von allen Quellen der Freude und der Lust getrennt, so wie ihn der Vater von der Mutter getrennt und ins Internat gesteckt hatte. Der Vater war aber insgesamt eine schwache Figur gewesen, die der verschlingenden Mutter wenig entgegensetzen hatte können, und die daher auch nur wenig Substanz zum identifizierenden Aufbau einer eigenen, männlichen Identität hergab. Nicht zuletzt aus diesem Grund kippt er immer wieder in die Depression, in der er einen Teil der internalisierten Mutterbilder als Ersatzidentität verwenden kann. Perversionen sind äußerst schwierig zu behandeln, auch wenn sie im Rahmen einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation funktionieren. Das Neurotische an diesem Patienten bewirkt, dass er überhaupt eine jahrelange psychoanalytische Behandlung unternimmt. Und mein Eindruck ist, dass er langsam zu verstehen beginnt, dass die Stundenreduktion seinem pubertären Rückzug von der äußeren Mutter entspricht, und dem Erhalt der perversen Beziehung zur inneren Mutter dient. Erst wenn er sich zur Wiederaufnahme einer hochfrequenten Analyse entschließt, wird der Übertragungswiderstand ausreichend überwunden sein, um an die imitierenden, hineinschlüpfenden Aspekte der Mutterbeziehung heran zu kommen. Mein zweiter Patient wurde von mir zuerst in der JA Mittersteig und anschließend im Rahmen des forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt, das zur Nachbetreuung entlassener Straftäter eingerichtet wurde. Herr B. war zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er zwei Mädchen im Alter von fünf und acht Jahren dadurch sexuell missbraucht hatte, dass er sie am Geschlechtsteil streichelte, leckte und bei dem älteren Mädchen auch mit seinem Penis einzudringen versuchte. Außerdem war eine bedingte Haftstrafe von 9 Monaten widerrufen worden, die er zwei Jahre vorher wegen ähnlicher sexueller Missbrauchshandlungen, allerdings noch ohne Penetrationsversuch, bekommen hatte. Auch dieser Patient hatte in seinem ganzen Leben noch mit keiner erwachsenen Frau geschlafen. Er berichtet von einem Vater, der während seiner Kindheit zurück gezogen und kaum präsent gewesen sei. Mit der Mutter verband ihn eine enge Hick-hack-Beziehung. Mit 16 Jahren hatte er eine sexuelle Beziehung zu einem gleichaltrigen Mädchen, allerdings scheint dieses Mädchen 11 entwicklungsverzögert gewesen zu sein und ein sehr kindliches Aussehen gehabt zu haben. Mit 17 Jahren fand der Heranwachsende kinderpornografisches Material in der Werkstätte seines Großvaters, die auch sein Vater benützte. Die Großmutter ließ das Material verschwinden, ohne ein Wort dazu zu sagen. Gerüchteweise hörte er damals auch, dass sein Vater vor seiner Geburt wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden sein soll. Der Patient erzählt, dass er kurz nach diesem Vorfall zu seinem Vater gesagt habe, dass er, der Sohn, auf kleine Mädchen stehe. Der Vater solle nur geantwortet haben: „Ich weiß, mein Bub“. Weiters wurde darüber nicht gesprochen. Es fiel dem 17jährigen aber auf, dass sein Vater ihn bei Spaziergängen nun häufig zu Kinderspielplätzen mitnahm, wo sie gemeinsam wortlos die spielenden Kinder beobachteten. Ein Jahr später verstarb der Vater bei einem Autounfall. Dies ließ die problematisch enge Mutterbeziehung noch deutlicher werden. Die Mutter bestand darauf, dass der Sohn bei ihr wohnen bleiben müsse. Später, als sie krank wurde, und zeitweise verwirrt war, verwechselte sie ihren Sohn regelmäßig mit ihrem verstorbenen Mann, von dem sie annahm, dass er zurück gekehrt war. Der Patient erlebte es so, dass seine Mutter alle Versuche, mit gleichaltrigen Frauen in Kontakt zu kommen torpedierte, nur damit er bei ihr bliebe. Dafür sei sie bereit gewesen, darüber hinweg zu sehen, dass auch er kinderpornographisches Material besaß und sich offensichtlich zunehmend nur noch für Kinder interessierte. Obwohl der Patient seine pädophile Veranlagung seit seinem 17. Lebensjahr wahrnahm, beging er erst mit 32 Jahren das erste Delikt. 15 Jahre lang war er mit Pornographie und mehr oder weniger harmlosem Voyeurismus in öffentlichen Bädern ausgekommen. Der Auslöser war vermutlich die terminale Erkrankung seiner Mutter. In dieser Zeit war die Mutter bereits chronisch verwirrt und sprach ihn immer häufiger mit dem Namen seines Vaters an. Die pädophilen Delikte scheinen eine Art Gegengewicht zu der zunehmend inzestuös aufgeladenen Atmosphäre im Verhältnis zu seiner Mutter gewesen zu sein. Beruflich war der Patient in keiner Weise erfolgreich. Er machte unqualifizierte Jobs und wurde oft entlassen, weil man ihn nicht mehr brauchte. Er wurde oft herumgestupst und schien sich dafür zu eignen, dass andere sich die Schuhe an ihm abputzten. In der Therapie war schon früh von einem sexuellen Missbrauch die Rede gewesen, den allerdings weder der Vater noch die Mutter, sondern eine Wahltante an ihm begangen hatte, als er 9 Jahre alt gewesen war. Hatte er sich zunächst durch die oral-sexuellen Verwöhnungen der Tante aufgewertet und fast erwachsen gefühlt, so kippte dieses Gefühl seiner Erinnerung nach genau in dem Moment, als die Tante ihrerseits oral-genitale Stimulation von ihm verlangte. Er empfinde seit diesem Zeitpunkt dem weiblichen Genitale gegenüber Grausen und Ekel. Viel später in der Therapie stellte sich jedoch heraus, dass es ein noch früheres Übergriffserlebnis mit der Mutter gab. Mit fünf Jahren sei er wegen einer Phimose am Penis operiert worden. Die 12 Wunde hätte danach noch eine zeitlang eingepinselt werden sollen. Da er sich gegen das Einpinseln durch die Mutter vehement sträubte, geriet der Vorgang mehrmals zu einer Vergewaltigungsszene. Die Großmutter habe ihn mit Gewalt unter dem Küchentisch hervorgezerrt und festgehalten, worauf ihn die Mutter in äußerst schmerzvoller Weise am Penis einpinselte. All dieses Material, das sich noch beliebig erweitern ließe, erlaubte einige Hypothesen darüber, wie die pädophile Perversion des Patienten entstanden sein mochte. Die sadomasochistischen Inszenierungen mit der Mutter wiederholten sich in einer noch expliziter sexuellen Weise mit der Wahltante. Der Vater war während dieser Zeit nicht nur physisch und psychisch abwesend, sondern er war offenbar auch in der Mutter nicht als getrennter Dritter, der eine väterliche Funktion ausfüllen könnte, repräsentiert. Daher die Verwechslung nicht nur der Personen, sondern der Generationen, sobald krankheitsbedingt die kognitive Kontrolle nachließ. Kam der spätere Patient einerseits von der Mutter nicht los, weil er unselbständig, ängstlich und anlehnungsbedürftig war, so fühlte sich zugleich von ihr gefangen und geknebelt. Er musste jedoch seine Aggression in Zaum halten, um nicht grässliche Vergeltung und Vergewaltigung zu provozieren Wie bei Patient A schien es dann die Verkehrung von Passivität in Aktivität zu sein, die Wesentliches zur Symptombildung betrug. Aus dem missbrauchten Kind wird ein Kindesmissbraucher. Solche Hypothesen, wenn sie als Deutungen vorgebracht wurden, fanden bei dem Patient immer eifrige Zustimmung, sie schienen ihn jedoch nicht wirklich zu erreichen. Der Patient schien überhaupt fast allem zuzustimmen, was ich sagte. Er war unterwürfig. Er brachte bestätigende Einfälle und oft wiederholte er meine Gedanken so, als ob sie ihm gerade eingefallen wären. Aus manchen Bemerkungen des Patienten erkannte ich, dass er mir eigentlich zutiefst misstraute, v.a. als er noch in der JA behandelt wurde, aber auch später. Erst gegen Ende seiner Weisungszeit, nach sechs Jahren Therapie, rückte er damit heraus, dass er immer befürchtet hatte, ich würde für ihn negative Berichte an das Gericht schicken, wenn er mir seine sexuellen Phantasien in vollem Umfange mitteilte. Daher habe er alles immer etwas beschönigt und manche Sachen weggelassen. Die eilfertige Zustimmung zu allen Deutungen erwies sich so als psychopathische Manipulation, die mein Misstrauen zerstreuen und ihm eine frühzeitige Entlassung sichern sollte. Hinter dem einfachen Lügen und Täuschen steckte aber noch etwas anderes. Es war eine paranoide Angst, dass ich ihn – entgegen allen meinen Erklärungen und Versicherungen – beim Gericht anschwärzen würde, um ihn weiter in Gefangenschaft zu halten. Er erlebte die Haft v.a. gegen Ende immer mehr als Freiheitsberaubung und Vergewaltigung, und ich, der Therapeut, war ein Teil dieses Systems. Auch nach der Entlassung brauchte es noch Jahre, um diese paranoiden Ängste und die damit verbundene Abwehr durch Gefügigkeit und Imitation des Therapeuten durchzuarbeiten. Es gab aber auch wiederholt Situationen, in denen er gewissermaßen den Spieß umdrehte. Er wartete dann nicht, bis ich ihm die Tür zum Therapiezimmer öffnete, sondern öffnete sich selbst. 13 Ohne zu fragen räumte er Unterlagen von meinem Tisch weg, während er bei anderer Gelegenheit kaum physisch davon abzuhalten war, meinen Drucker zu reparieren, von dem er gehört hatte, dass er defekt war. In all diesen Situationen merkte gar nicht, welche Grenzverletzungen er beging. Er stellte Situationen her, in denen wir auf engste Weise verbunden erschienen und versuchte mich zu zwingen, dabei mit zu spielen. In der Gegenübertragung fühlte ich mich dann überrannt und meiner Freiheit beraubt. Es brauchte 100e Stunden, um in immer neuen Anläufen, die Wechsel in den sadomasochistischen Rollen bewusst zu machen, die er durch sein Verhalten inszenierte. Dieser Patient hatte eine maligne Perversion auf Borderline-Niveau, wobei er eine für diese Patienten nicht untypische Variante der sadomasochistisches Persönlichkeit zeigte. Der Sadismus ist hier versteckt und zeigt sich vornehmlich in den pädophilen Übergriffen. Die maligne Qualität der Perversion ist angesichts der Delikte und des einschlägigen Rückfalls allerdings offensichtlich. Die masochistischen Aspekte in seiner Charakterstruktur waren sowohl in seinem beruflichen Lebensweg, als auch in der unterwürfigen Übertragung in der Therapie erkennbar. Er wurde im Gefängnis auch mehrmals von anderen Insassen verprügelt, was anderen Insassen auch mit diesem Delikt nicht passiert. Das Borderline-Niveau der Persönlichkeitsorganisation wird v.a. am Ausmaß der paranoiden Ängste und dementsprechenden Übertragungen deutlich. Die Identität war zumindest anfangs ziemlich diffus, er hatte keine stabilen beruflichen oder privaten Interessen, keine langen Freundschaften, keine allgemeinen Wertvorstellungen. Die Abwehr war um die Spaltung und die projektive Identifizierung konzentriert, wie es sich an den alternierenden sadomasochistischen Übertragungsmustern zeigte. Im Verlauf der Therapie wandelte sich die Perversion in eine benigne Form, d.h. pädophile Phantasien spielen immer noch eine gewisse Rolle, jedoch können pädophile Impulse sicher kontrolliert werden. Der Patient hat eine gewisse Beziehungsfähigkeit und eine begrenzte sexuelle Funktionsfähigkeit im Kontakt mit einer erwachsenen Frau erlangt. Beruflich hat er sich immer noch nicht stabilisiert und ist häufig arbeitslos. Aber noch ist die Behandlung auch nicht zu Ende. Der Patient hat sich entschieden, nach Ablauf der Weisung die Therapie auf rein freiwilliger Basis fortzusetzen. Resumé Es sollte in diesem Vortrag gezeigt werden, dass das psychoanalytische Konzept der Perversion als psychopathologische Struktur nach wie vor aktuell ist, dass es aber davon gewinnt, wenn man es mit der psychoanalytischen Theorie der Persönlichkeitsorganisation verbindet. Perversionen können einen relativ dissoziierten Platz im Rahmen einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation einnehmen, sie können sich aber im Rahmen einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation in mehr oder minder großem Ausmaß auf die gesamte Persönlichkeit ausdehnen, wodurch einerseits 14 perverse Charakterzüge entstehen (die auch als Perversität bezeichnet werden) und die sexuellen Perversionen einen zunehmend malignen, aber trotzdem ich-syntonen Charakter annehmen. Es wurde vorgeschlagen, die Perversionen in benigne, transgressive und maligne Formen zu unterteilen, um den außerordentlich unterschiedlichen Implikationen verschiedener Perversionen für die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen gerecht zu werden. Das Ausmaß, indem die sexuelle Integrität anderer angegriffen wird, korreliert grob mit dem Ausmaß der Aggression, die unverdaut in die Persönlichkeit eingebaut ist und damit mit dem Niveau der Persönlichkeitsorganisation. An Hand von zwei Fallbeispielen wurde weiters versucht zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen benignen und malignen Perversionen sich auch in unterschiedlichen Entwicklungswegen der Übertragung zeigt. Je größer die prägenitale Aggression und je vorherrschender die primitiven Abwehrmechanismen sind, umso größer sind die paranoiden Ängste, die wiederum die psychopathische Übertragung zur Abwehr benützen. Literatur: Blum. H. P. (1986): On Identification and its Vicissitudes. Int. J. Psycho-Anal., 67:267-276. Chasseguet-Smirgel, J. (1990): On Acting out. Int. J. Psycho-Anal., 71:77-86. Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW, 5, 27-145. Hoyer, J./Borchert, B./Kunst, H. (2000): Diagnostik und störungsspezifische Therapie bei Sexualdelinquenten mit psychischen Störungen. Verhaltenstherapie, 10:7-15. Kernberg, O. F. (1992): Der Zusammenhang der Borderline-Persönlichkeitsorganisation mit der Perversion. In: Ders.: Wut und Haß. Stuttgart: Klett-Cotta 1997. Rohde-Dachser, Ch. (1979): Das Borderline-Syndrom. Bern – Stuttgart – Toronto: Verlag Huber 1991. Fritz Lackinger 42.354 Zeichen 15