Psychopathologie und Sexualität Univ. Prof. Dr. Alfred Springer II. 1. „Perversion“ Historischer Exkurs Krafft-Ebing • Hinsichtlich der krankhaften Äußerungen des Geschlechtstriebs wurde im Sinne der „Psychopathia sexualis“von dem Psychiater Krafft-Ebing, der in Graz und in Wien wirkte, ein umfassender Katalog erstellt. Dieses Werk gilt bis heute als Standardwerk und wird immer wieder neu aufgelegt. Dabei spielt offenkundig auch eine Rolle, dass es voyeuristischen Bedürfnissen entgegen kommt. Perversion-alte Definitionen Definitorisch verstand man unter Perversion des Geschlechtstriebes in Anlehnung an Krafft-Ebing jene Äußerungen, die nicht dem Prinzip der Fortpflanzung dienen. Diese Perversion grenzte Krafft-Ebing von der „Perversität“ ab, die durch Handlungen charakterisiert ist, die durch perverse Triebe oder andere Ursachen motiviert sind. Von sexueller Parästhesie wurde gesprochen, wenn die sexuelle Erregung von einem an sich ungeeignet erscheinenden Stimulus ausgeht. Abweichung und Krankheit • In diesem alten Konzept entsprach die Perversität als frei gewählte Stilbildung der Abweichung, die Perversion hingegen wurde als pathologische Bildung, als zwanghaftes Verhalten und dementsprechend als „Krankheit“ erfasst. Krafft-Ebing stellte den Leidensdruck seiner KlientInnen eindrucksvoll dar. Perversion- analytisch-feministische Definition (Kaja Silverman) • Unter Perversion verstehe ich Phänomene wie Fetischismus, Sado-Masochismus, und Analerotik, die eine Abwendung von den Zielen der genitalen Vereinigung und der Fortpflanzung repräsentieren und daher sowohl von der Biologie wie von der sozialen Ordnung divergieren.“ Anthropologischer Zugang • Alternativ zur klinischen Phänomenologie Krafft-Ebings entwickelte sich in der Psychiatrie ein anthropologischer Zugang, der die sexuellen Phänomene im gesellschaftlichen Kontext untersuchte und einen weniger pathologisierenden Standpunkt wählte (z.B. Iwan Bloch/Eugen Dühren.). Auch später war dieser Zugang aktiv (z. B. Giese) Andere Konzepte • In der modernen anthropologischen Konzeptualisierung stellt das Leiden des Individuums an seiner Sexualität und nicht die Art des Aktes selbst das bestimmende Merkmal dar, um Krankheit zu definieren. Giese führte den Begriff „sexuelle Süchtigkeit“ ein und wollte den Begriff „Perversion“ nur für jene Fälle reservieren, die jene krankhafte Ausprägung zeigen, die anderen Formen von Abweichungen wollte er unter einen „Fehlhaltungs“begriff subsummieren. Perversion: Freud – frühe Position • Zunächst meinte Freud, dass jene Personen eine Perversion entwickeln, die sich den gesellschaftlichen Beschränkungen des Geschlechtslebens nicht unterordnen können. In diesem Sinn verstand er die Perversion als „Negativ der Neurose“. • Die Perversion erschien ihm als komplexes Gebilde aus Fixierung an frühkindliche Positionen und Regression aufgrund von Sexualeinschränkung. Perversion: Freud – späte Position Im Kontext seiner zweiten Triebtheorie (der „Todestriebtheorie“) widmete Freud sein Interesse den Phänomenen des Fetischismus und des Masochismus. Er verstand sie nunmehr als komplizierte psychische Konstruktionen, die der Abwehr von Ängsten und Bedürfnissen dienen, die aus der als primäres Prinzip erkannten Destruktivität abgeleitet sind, wobei die Bewältigung der Kastrationsangst als zentrales Anliegen imponierte. In diesem Sinne ordnete er ihnen große psychoökonomische Bedeutung für die Abwehr psychotischer Zusammenbrüche und Durchbrüche triebhafter Destruktivität zu. Die Perversion repräsentiert in diesem Verständnis die erotisierte Gestalt des destruktiven Triebanspruchs; jede Erotisierung aber nimmt dem destruktiven Trieb ein Stück seiner Gewalt. Freuds Bewertung der Perversion „Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muss man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebes anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines gräulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen.“ • Wichtig ist auch die Bedeutung, die Freud in seiner Todestriebtheorie der Fusion der Triebe zuordnete. Neuere Interpretationen auf Basis der Freudschen Überlegungen Bak`s Perversionstheorie • In der Perversion entsteht nicht Neutralisierung als Erfolg eines Reifungsprozesses. Das Ich schützt sich und das Objekt durch Identifizierungen und eine partielle Projektion des Selbst um eine narzisstische Objektbeziehung aufzubauen. Dies ist die Folge einer präödipalen Konstellation in der es nicht gelang, die Objekte der beiden Triebe zu spezifizieren. Triebfusion oder Triebdifferenzierung • Bak: Man sollte eher die Differenzierung der beiden Triebe als Basis genitaler Objektliebe annehmen als ihre Fusion in der Genitalität (insbesondere wenn wir die Definition des Sadismus als Fusionsergebnis annehmen).. • Die Differenzierung der beiden Triebe und die Definition ihrer Funktion scheint eine Hauptaufgabe des Ich zu sein. Ebenso seine Fähigkeit, Aggression zu neutralisieren und Aggression in bedeutsamen Umfang von der Sexualität zu trennen. Charakteristika perverser Handlungen nach Bak: Aufweichung des Geschlechtsunterschiedes Aufhebung der Fortpflanzungsfunktion Extreme Stilisierung und Ritualisierung Ausübung maximaler Kontrolle Neuere Interpretationen auf Basis der Freudschen Überlegungen II • Stoller versteht die Perversion als „sexualisierten Hass“. • Khan hebt in diesem Kontext den „Entfremdungsaspekt“ der Perversion hervor. Stoller - Die Bedingungen perverser Erregung • Im Mittelpunkt der sexuellen Erregung stehen bewusste und unbewusste Wünsche, anderen zu schaden, um Rache für vergangene Traumen und Versagungen zu nehmen. Trauma, Risiko und Rache stellen eine Erregungsstimmung her, die sich steigert, wenn sie als Geheimnis verpackt werden. R.J. Stoller: Leitthemen der sexuellen Handlung • In Perversion nicht anders als in der „normalen“ sexuellen Handlung müssen im Verlauf des Sexualaktes fantasierte Risken als überwunden erlebt werden. Stoller: Risikostruktur • 1. Bewusste Risken: Verstoß gegen soziale Regeln. Wenn ich erwischt werde gibt es Schwierigkeiten. • 2. Bewusste Risken: Verstoß gegen innere Regeln. Wenn ich es tue, werde ich mich hassen. • 3.Bewusste/unbewusste Risken: Erinnerung an Eltern: Was du tust ist schlecht. • 4. Ich bin hasserfüllt und darf es nicht wissen...Ich muss lieben....Hass ist schlecht und wird bestraft. • 5. Meine sexuellen Begierden sind schlimm, mein Hass ist aber noch schlimmer...Gewalttätigkeit ist Teil meines Wesens....verbirgt sich in dem, das ich erotisch begehre. Stoller: „Perversion ist Hass, erotisierter Hass“ • 6. Für alles, das man mir antat, werde ich mich rächen, und auch dies soll sich in der sexuellen Handlung zeigen. Aber wenn ich meinem Objekt Schaden zufügen will, spürt es das vielleicht und will mir mindestens das antun, was ich ihm antun möchte. Und das ist höchst riskant.. Stoller: Perversion und das Böse • Das wahre Selbst der Perversion weiss von seiner Schlechtigkeit, die für das wahre Selbst der Variante nicht existiert. • Uns entgeht die Vielfältigkeit der sexuellen Erregung des Menschen, wenn wir bei unseren Untersuchungen die Sünde ausklammern. Sexualität und Überschreitung • Die Bindung sexueller Erregung an „die Gewissheit das Böse“ zu tun bzw. Überschreitungen zu setzen, sich der „Verschwendung“ zu verschreiben, ist eschatologisch verankert. Sie reicht darüber hinaus in säkularisierter Gestalt in der Entwicklung des modernen Bewusstseins von Baudelaire über Bataille bis in psychoanalytische Interpretationssysteme. Funktionen der Perversion für das individuelle Seelenleben Stoller • Die Wurzel der Aggression liegt in allen Perversionen in der Drangsalierung, der das Kind durch Eltern oder Erzieher ausgesetzt war. Durch die Perversion wird die Wut in einen Sieg über jene verwandelt, die ihn unglücklich machten, denn in der Perversion wird ein Trauma zum Triumph. Die sexuelle Handlung verfolgt den Zweck, ein Trauma des Kindes in den Triumph des Erwachsenen zu verwandeln. McDougall: Urszene und sexuelle Perversion • Die Ängste, die aus den infantilen Fantasien, die sich auf Zerstörung des Vaterbildes und die Destruktion der nährenden Mutter richten, entstehen, werden durch zwanghaftes Sexualverhalten unter Kontrolle gebracht, das den Charakter eines Spiels mit starren Regeln annimmt und zu einer Form der Objektbeziehung führt, die durch Verleugnung, Verneinung, Spaltung und Projektion, manische Abwehr, Triebregression bestimmt wird. McDougall, Fortsetzung • Dieses Spiel steht im Dienst der Bewältigung traumatischer Erlebnisse und Zustände und gibt die Möglichkeit sich spielerisch mit dem zu befassen, was es nicht in die Tat umsetzen darf. Es ermöglicht auch eine Umkehr der Rollen.....Das verzweifelte sexuelle Spiel gewährt in der Fantasie sowohl die Zurückgewinnung verlorener Objekte als auch die Erotisierung der Abwehr verbotener Wünsche. Perversion als Abwehr • Autoren wie Morgenthaler im Falle bestimmter problematischer Ausgestaltungen des Homosexualität oder Wurmser hinsichtlich des Masochismus ordnen perversen Strukturelementen eine Plombenfunktion in einer defizienten IchStruktur zu, Stoller: Die Notwendigkeit der Perversion • Die Perversion dient, wie alle anderen sich zu einer Charakterstruktur ausbildenden und verfestigenden neurotischen Mechanismen, als die einzig brauchbare Kompromissbildung.Sie leitet Wut und Verzweiflung ab und verhindert auf diese Weise, dass die sich andernfalls destruktiv auswirkenden Tendenzen, die aus Kindheitsfrustrationen und Traumen in der Familie hervorgehen, die Gesellschaft und das Individuum überfordern... Stoller - Fortsetzung • Perversion kann beispielsweise mörderischen Hass in die ruhigeren Bezirke der Fantasie, etwa Kunst, Pornographie, Tagträume, Religion lenken. Perversion? Hysterie? Juliet Mitchell, 2000 • „Die Perversion besteht in der aktiven Umsetzung hysterischer Fantasien.“ • Jago`s position of perversion in word and deed is the position of the hysteric: the hysteric fantasizes – the perverse man enacts. • Perversion ist ausgeübte Hysterie und Hysterie fantasierte Perversion. Hysterie, Sexus und Hass • „Wenn er sich bedroht fühlt, steigt im Hysterischen Hass auf. Dieser Hass wird dann sexualisiert.....Gleichzeitig bestätigt das hysterische Subjekt sein Überleben und seine Existenz durch seine ihm eigene Sexualität. Wie auch im Falle des sexualisierten Hasses oder Sadismus, ist dies ein essentiell narzisstischer Vorgang, der die andern Personen für autoerotische Zielsetzungen nutzt.“ Perversion oder „erotische Neurose“ • Gillespie: Der entscheidende Unterschied zwischen Neurose und Perversion liegt darin, dass bei der Neurose die verdrängte Fantasie nur in Form eines dem Ich unwillkommenen Symptoms, in aller Regel in Verbindung mit neurotischem Leiden, bewusst zum Ausdruck kommt, während bei der Perversion die Fantasie, die dem Ich willkommen und lustvoll erscheint, bewusst bleibt. Der Unterschied scheint eher in der Ich-Einstellung als im Inhalt zu liegen....... Springer – weitergehende Interpretation • Ich würde noch weiter gehen: Die Haltung des „Perversen“ unterscheidet sich insofern als sie ein Objekt braucht, das sie in ihre Symbolwelt einbeziehen kann. Das neurotische Symptom bearbeitet das Trauma autoerotisch, das perverse Ritual erfordert zumeist einen Partner/eine Partnerin um die traumatisierende Situation zu reinszenieren. Zu den bevorzugten Abwehrmodalitäten gehören dementsprechend auch Externalisierung und projektive Identifizierungen. Springer - Fortsetzung • Das Schuldgefühl des Perversen, sein Bewusstsein, eine Überschreitung zu setzen und das entsprechende Risiko einzugehen baut auf dem Inzesttabu auf. Der Objektbezug der Perversion nutzt das Objekt um die Inzestsituation zugleich zu entstellen und zu durchleben, sich gleichzeitig schuldig fühlen zu können und Lust zu empfinden. Springer - Fortsetzung • Daraus wieder ergibt sich der Stellenwert der Pädophilie. Im Spiel von Identifikationen, Projektionen und Externalisierungen, in der Reinszenierung der traumatisierenden Situation muss auch das Kind in seiner ambivalenten Position (verführt, vergewaltigt, neugierig, verführerisch, Opfer und Schuldiger noch diesseits der geschlechtlichen Differenzierung) repräsentiert sein. Phänomenologie der Abweichungen - Hintergründe Der sexuelle Dimorphismus • In der aktuellen historischen Situation dominiert gesellschaftlich die Lehre vom geschlechtlichen Dimorphismus. Die Tendenz, das Geschlecht am Phänotypus der Geschlechtsorgane fest zu machen dokumentiert sich an den „ kulturellen Regeln der Geschlechtlichkeit“. Laqueur: Making Sex • Thomas Laqueurs Buch vermittelt eine faszinierenden Einblick in die Entwicklung der Lehre/des Diskurses vom sexuellen Dimorphismus als Folge „sozialer, politischer, ideologischer und ästhetischer Entwicklungen.“ In diesem Prozess kommt es zu einer Unterscheidung zwischen den Gegebenheiten des Körpers, als das was sichtbar ist und dem diskursiv konstituierten Körper als „als ob Sichtbarem“. Bisexualität „Bisexualität“ und geschlechtliche Ambiguität als kulturelle Inhalte • Androgynie - Geschlecht der Engel - Poetisches Geschlecht - Adoleszenz - Gestalt des „dekadenten“ Eros - Gestalt des Lasters • in Symbolismus/ Dekadenz diente das androgyne Prinzip zwei Zielen: - der Sexualität zwischen den Geschlechtern entkommen (Rachilde; Altenberg) - Unsterblichkeit • Der Versuch, der Geschlechterordung zu entkommen macht die Gestalt des Androgyn zu einer zentralen Symbolfigur der Dekadenz. Ist er doch die perfekte Inkarnation des Zweideutigen, des Hybriden und damit des NichtRepräsentierbaren. Da er gleichzeitig eine Gestalt der Verdopplung und des Neutrums ist, bisexuell oder asexuell sein kann, stellt er auf besondere Weise das „Widernatürliche“ bzw. „Außernatürliche“ dar. Der „dekadente Eros“ Mit der Idealisierung des Androgynen vollzieht sich gleichzeitig eine radikale Abwertung des körperlich-Sexuellen. M. Barres in seinem Vorwort zu Monsieur Venus von Rachilde: „Eine Komplikation mit großer Auswirkung! Abscheu vor der Frau! Hass gegenüber der männlichen Kraft! Es gibt Hirne, die von einem asexuellen (nicht-sexualisierten) Sein träumen….Diese Vorstellungen riechen nach Tod.“ • Das Interesse der Psychiatrie widmete sich den Fragen der „Feminität des Mannes“. Neben der Homosexualität war sicherlich auch die weite kulturelle Verbreitung und Repräsentation des Masochismus ein Katalysator dieses Interesses. Auch der Masochismus wurde ja ursprünglich als eine Spielart der „Entmännlichung“ resp. „Effeminatio“ angesehen. Freud: Die Auswirkungen der „Kulturmoral“ • In seinen wichtigen Beiträgen zur „Allgemeinen Erniedrigung des Liebeslebens“ ortete Freud 3 Kerninhalte bzw. Symptome: - Die Erniedrigung des Liebesobjekts - Das Tabu der Virginität - Die Bedingung des „geschädigten Dritten“ Bisexualität Freud und Fliess • Laut Laplanche/Pontalis geht die Verwendung des Begriffs Bisexualität in der Psychoanalyse unbestreitbar auf den Einfluss von Fliess zurück. Zeugnis dafür legt der Briefwechsel Freud-Fliess (1887-1904) ab, in dem beide Autoren ihre Theorien entwickeln und wechselseitig beeinflussen. • Ein schönes Beispiel ist der Brief (113) Freuds vom 17. 12. 1896, in dem er sich bemüht die Fliess`sche Periodenlehre für die Interpretation der Neurosen fruchtbar zu machen. Die Fliess`sche Theorie Wilhelm Fliess: Beim Mensch sind überdauernd männlich und weibliche Elemente aktiv. • Die Perioden von 28 und 23 Tagen stehen in festen Beziehungen zu den Geschlechtsmerkmalen. Bei allen Individuen kommen beide Perioden vor. Dementsprechend besteht eine bisexuelle Organisation kontinuierlich und unabhängig von den Geschlechtsmerkmalen. Für die ganze Lebenszeit ist beim Mann Weibliches und beim Weib Männliches dauernd vorhanden und wirksam.....Die wirkende Quantität dieser Stoffe ist von Bedeutung für den Ablauf des Lebens insgesamt.... Das Unbewusste bei Fliess • Das stärker ausgebildete, in der Person vorherrschende Geschlecht verdrängt bei jedem Menschen die seelische Vertretung des unterlegenen Geschlechts ins Unbewusste. Der Kern des Unbewussten – das Verdrängte - ist demnach bei jedem Menschen das in ihm vorhandene Gegengeschlechtliche. Freuds Verständnis der Bisexualität • An sich fasste Freud den Begriff unscharf, was ihm auch durchaus bewusst war. Von Bedeutung wurde das Prinzip der Bisexualität für das Verständnis hysterischer Phänomene. Der wichtigste Aufsatz in diesem Kontext ist „Hysterische Fantasien und ihre Beziehung zur Bisexualität“ aus dem Jahre 1908. Freud stellt darin klar, dass hysterische Phänomene regelmäßig „bisexuell“ sind. Sie bringen jeweils eine männliche und eine weibliche Tendenz –somit einen bisexuellen Konflikt- zum Ausdruck. Etwa möchte eine Frau sich verhüllen (weiblich), gleichzeitig zerreißt sie aber ihr Kleid (männlich). Zur Lösung des Problems bedarf man dementsprechend der Aufdeckung zweier Fantasien: einer die einen männlichen und einer die einen weiblichen Charakter trägt, so dass eine davon einer homosexuellen Regung entspringt. Das Konzept der Bisexualität in der psychoanalytischen Theorie • Noch 1930, im „Unbehagen in der Kultur“ stellte Freud als Mangel fest, dass die psychoanalytische Theoriebildung noch nicht imstande sei, das Prinzip der Bisexualität mit der Trieblehre zu verknüpfen. • Eines ist aber sicher: wie auch in anderen Bereichen unterscheidet sich die psychoanalytische Interpretation dadurch von der psychiatrischen, dass ein Inhalt, den die Psychiatrie im Kontext des Abnormen abhandelt, in die Normalität überführt wird. Weiningers Theorie der psychisch-physischen Bisexualität Jeder und jede Einzelne nimmt eine Zwischenstufe zwischen den idealtypischen Polen >>Mann<< (M) und >>Weib<< (W) ein (im Sinne der platonischen Ideen). Alle werden nach einem mathematisch formulierten >>Gesetz der sexuellen Anziehung<< von ihrem >>Komplement<< angezogen: Ein Mann mit der Gleichung 3/4 M + 1/4 W sucht eine Frau mit der Gleichung 3/4 W +1/4 M (männliche Frauen werden von weiblichen Männern angezogen, männliche Männer von weiblichen Frauen, usw.). Weiningers Psychologie beruht auf der Theorie des psychophysischen Parallelismus: Die Sexualität prägt sämtliche Teile des Körpers wie auch der Psyche. Daraus leitet Weininger eine Theorie der Homosexualität ab, die seiner Ansicht nach angeboren ist und einen Sonderfall der menschlichen Bisexualität darstellt; beim Homosexuellen sind offenkundig die >>normalen<< Anteile an M und W vertauscht. Weiningers Plagiat • „Man achte wohl, hier ist nicht bloß von bisexueller Anlage die Rede, sondern von dauernder Doppelgeschlechtlichkeit. Und auch nicht bloß von den sexuellen Mittelstufen (körperlichen oder psychischen) Zwittern, auf die bis heute, aus naheliegenden Gründen alle ähnlichen Betrachtungen beschränkt sind...In dieser Form ist also der Gedanke durchaus neu....“ • Fliess meinte, dass Weininger ihm die Theorie der kontinuierlichen bisexuellen Organisation und Swoboda die Periodenlehre „gestohlen“ habe. Er meinte auch, dass Freud ursächlich mit diesen Plagiaten verbunden war. Freud hatte das Manuskript von Weininger gelesen und Swoboda, den er analysierte, mit den Fliesschen Thesen vertraut gemacht. Homosexualität Entwicklung des Begriffs: • Ursprünglich theologisch „Sodomie“ • „Bürgerliche“ Psychiatrie (Westphal): „Konträre Sexualempfindung“ – Abweichung des Empfindens, bzw. der Identität • Psychoanalyse (Freud, 1905): „Inversion“ als Triebrichtung Ausdruck einer speziellen Konfliktlösung. • Hirschfeld: „Urningtum“ – Homosexualität als Verhaltensdimension einer physiologischen Variante • Kinsey und Nachfolger: Homosexualität als Dimension sozialen Verhaltens. Wissenschaft Karl Heinrich Ulrichs, 1825 - 1895 Ulrichs Schriften Ulrichs (Numa Numantius) Kernpunkt der Ulrichschen Theorie der Homosexualität war die Überzeugung, dass der männliche Homosexuelle eine weibliche Seele besitze. In Anlehnung an das Phänomen des körperlichen Hermaphroditismus nahm Ulrichs an, dass es auch von dem ,Naturgesetz', nach dem Personen mit männlichen Sexualorganen (Männer) von Frauen angezogen werden, Ausnahmen gebe. Da erkennbar ist, dass die Richtung der sexuellen Anziehung nicht einheitlich und eindeutig ist, folgerte Ulrichs, dass dies nicht durch den Körper, sondern durch die Seele bewirkt werde; die Seele der Männer, die von Männern angezogen wurden, war für ihn weiblicher Natur. Seine Formel für diesen Vorgang lautete: "anima muliebris in corpore virili inclusa." Ein Zitat über den männlichen Homosexuellen • Er ist ein Spott der Natur; seine physische Organisation ist die eines Mannes, aber seine Instinkte sind die einer Frau. Die männlichen Manieren sind uns künstlich gegeben, wie spielen bloß den Mann, wie ihn die Frauen auf der Bühne spielen. • - aber: Der geschlechtliche Dualismus, welcher ausnahmslos in edem menschlichen Individuum im Keim vorhanden ist, kommt in Zwittern und in Uraniern nur in höherem Grade zum Ausdruck als im gewöhnlichen Mann und im gewöhnlichen Weib. Psychiatrie 1 • Casper, 1852: Die bislang als lasterhafte Verirrung angesehene Päderastie beruht auf einer meist angeborenen krankhaften Anomalie und stellt am ehesten eine Art geistiger Zwitterbildung dar. Psychiatrie 2 • Westphal, 1870: Die konträre Sexualempfindung. Ein Mensch fühlt sich völlig seinem eigenen Geschlecht entfremdet und verkörpert einstellungsmässig, aber in hohem Grad auch handlungsmässig, das ihm entgegengesetzte Geschlecht. • Zunächst forderte Westphal als diagnostisches Kriterium Krankheitsbewusstsein, ließ diese Bedingung aber später fallen. Psychiatrie 3 • Gley, 1884: Die Konträrsexuellen haben ein weibliches Gehirn, dabei männliche Geschlechtsdrüsen. Das kranke Gehirn bestimmt bei ihnen das Geschlechtsleben. Unter normalen Bedingungen hingegen bestimmen die Geschlechtsdrüsen das Geschlechtsleben. Krafft – Ebing,1903 • Unter dem Einfluss noch recht dunkler Störungen, welche die empirisch gesetzliche Entwicklung aus der fetalen Existenz eines Wesens zur monosexualen und der Keimdrüse kongruenten geschlechtlichen Persönlichkeit erfährt, kann es nun geschehen, dass die bisexuelle Anlage sich behauptet und doppelseitig sich entwickelt, wobei aber regelmäßig die der Keimdrüse konträre (cerebrale) psychische Anlage mehr ausgebildet ist als die homologe (psychische Hermaphrodisie) oder dass gar die vermöge der Keimanlage zur Entwicklung prädestinierte untergeht und statt ihrer sich die psychischen (Geschlechtsgefühl, Geschlechtstrieb, Charakter, etc.) und eventuell auch körperlich gegensätzlichen Geschlechtscharaktere sich entwickeln und behaupten (konträre Sexualempfindung). Magnus Hirschfeld • 1899-1923 Herausgabe des "Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen"; • 1903/04 erste statistische Befragungen zur sexuellen Orientierung bei Studenten und Metallarbeitern; • 1908 Herausgeber der "Zeitschrift für Sexualwissenschaft", Mitbegründer der Berliner Zweiggruppe der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung; Magnus Hirschfeld, ab 1896 • Als Zwischenstufen zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht werden alle Personen bezeichnet, die nicht nur ausschliesslich vollmännliche oder vollweibliche Formationen besitzen, sondern eine Mischung beider, wie sie uns so unendlich mannigfaltig in der Natur entgegentritt. • Wenn daher ein Mensch...mit durchaus charakteristischen Sexualorganen und sonstigen Merkmalen des einen Geschlechts einzig und allein für sein eigenes Geschlecht sexuell empfindet, so ist eben diese Verbindung viriler oder femininer Sexualorgane mit dem nicht entsprechenden Sexualtrieb eine Mischform, ein Geschlechtsübergang, eine Zwischenstufe in unserem Sinn.“ Klassifikation der Zwischenstufen Die Zwischengeschlechtlichkeit bezieht sich a. auf die Genitalien: Hermaphroditismus b. bedingt andere körperliche Merkmale: Androgynie c. auf das psychische Geschlecht: Homosexualität d. auf die nicht-sexuellen Geschlechtsunterschiede: Transvestismus Dörner, etwa 1960-1980: Neuroendokrine Ätiologie • „Negativer Hohlweg-Effekt“ bei homosexuellen Männern Aktuelle biologische Homosexualitätstheorien Soziologischer Zugang Kinsey • • • • • • • 0 – Exklusiv heterosexuell 1 – vorwiegend heterosexuell; homosexuell nur zufällig 2 – vorwiegend heterosexuell aber nicht nur zufällige homosexuelle Kontakte 3 – In gleicher Weise hetero – wie homosexuell 4 – vorwiegend homosexuell aber mehr als zufällig heterosexuell 5 – Vorwiegend homosexuell; nur zufällig heterosexuell 6 – exklusiv homosexuell • 30% wenigstens zufällige hsKontakte • 25 % nicht nur zufällige Kontakte • 18 % zumindest gelich viel homo- wie heterosexuelle Kontakte • 13 % mehr homosexuelle Kontakte • 10 % mehr minder ausschliesslich homosexuelle Kontakte • 8 % ausschliesslich homosexuelle Erfahrungen • 4% ihr Leben lang nur homosexuell Klinische Betrachtungsweise Formen der Homosexualität: • „Hemmungshomosexueller vs. Neigungshomosexueller • „Effeminierter Typus“ vs. Maskulin identifizierter Form • „Virago vs. femininem Typus in der weiblichen Homosexualität Psychopathologie der Homosexualität: • Unterscheidung zwischen: • „primärer Pathologie“ – psychopathologische Grundstruktur der Persönlichkeit und sexuelle Pathologie; „homosexuelle Komorbidität“ • und sekundärer Pathologie als Folge der gesellschaftlichen Diskriminierung II. 2. Psychoanalytische Konzepte zum Verständnis der Differenzierung sexueller Einstellungen und Bedürfnisse Sexuelles Trauma. • Entweder reale Erfahrung oder komplizierte Fantasiestruktur. Wichtiger Kern neurotischer ev. psychotischer Entwicklungen aber auch wirksames Agens in der Konfliktlage einer „normal“ verlaufenden Adoleszenz. • Für die Entwicklung der psychoanalytischen Theorie zentraler Inhalt als motivierender „Fremdkörper“ im Unbewussten. Besondere Bedeutung für Hysterie, Angst- und Zwangsneurose und Phobien, aber auch für sexuell gehemmte und „perverse“ Entwicklungen sowie Störungen des Erlebnisvollzugs und des sozialen Kontaktverhaltens. • Schwierigkeit der „richtigen Dosis“ von Erotisierung des Kindes durch die Eltern. Das sexuelle Trauma ist Ausdruck einer sexuell getönten Wahrnehmung, die in der psychischen Verarbeitung nicht integriert werden kann: „Traumatisiert sein heißt nichts anderes als von einem Bild oder Ereignis besessen sein, das zum Teil dadurch zustande kommt, dass es nicht ins Bewusstsein integriert werden konnte.“ • Die populär gewordene Bezeichnung „Seelenmord“ für schwere sexuelle Traumatisierung ist ausschließlich literarisch zu verstehen. Als Bezeichnung eines psychischen Zustandes ist sie irreführend. Psychoanalytische Sexualtheorie 1: Die psychosexuelle Entwicklung und die Libidostufen • • • • • • • • Primärer Narzissmus Orale Phase Anale Phase Testiculäre Phase (Anita Bell) Phallische Phase – Ödipale Triangulierung „Untergang des Ödipuskomplexes“ Adoleszenz Reifezeit Psychoanalytische Sexualtheorie 2: Die erste Trieblehre • Unterscheidung in „Sexualtriebe, einschliesslich Partialtrieben“ und „Ichtriebe“, zu denen neben dem paradigmatischen Hunger auch Aggression zu zählen ist. • Am Trieb unterscheidet man Drang, Quelle, Richtung, Ziel und Objekt. Als Ziel gilt die Aufhebung der als Drang empfundenen unlustvollen Spannung an der Triebquelle. • Die Triebe stehen unter dem Diktat des Lustprinzips. • Für Freud war das Triebobjekt nicht vorgegeben; es ist vielfältig und den Zufall ausgeliefert. Partialtriebe • Elemente des Trieblebens, die entweder psychogenetisch (durch eine Quelle) definiert sind: orale, anale, phallische Partialtriebe oder einem Ziel entsprechen (Schautrieb, Bemächtigungstrieb, Trieb zum Leiden…) 2. Trieblehre: Todestrieb • Todestrieb bezeichnet die primäre Tendenz alles organischen Lebens sich zur anorganischen Struktur zurück zu entwickeln (Nirwanaprinzip). • Als herrschendes Prinzip gilt der Wiederholungszwang. • Dem primären Willen zur Auslöschung steht „Eros“ als verbindendes, lebenserhaltendes Prinzip entgegen. Das Leben wird durch eine ausreichende Fusion der beiden Prinzipen ermöglicht. Narzissmus • Primär: Früher Zustand, in dem das Kind sich selbst mit seiner ganzen Libido besetzt • Sekundär: Rückwendung (Abzug) der Libido von den Objekten auf das Selbst. • P.N. Ev. Frühe Entwicklungsstufe, die zwischen dem ursprünglichen Autoerotismus und der Objektliebe liegt (Freud:Fall Schreber) • Oder: Primärer Zustand, der den intrauterinen Zustand zum Vorbild hat (Freud: Massenpsychologie) • Dementsprechend schlecht definiert. Auf jeden Fall auch in Bezug zur Homosexualitäts-Theorie. „Die Homosexuellen nehmen sich selbst zum Sexualobjekt, das heisst vom Narzissmus ausgehend suchen sie jugendliche und der eigenen Person ähnliche Männer auf,die sie so lieben wollen, wie die Mutter sie geliebt hat.“(Freud) Kastrationsangst • Ursprünglich als Folge direkter Kastrationsdrohung im Kontext der ödipalen Phase konstruiert. • In dieser ursprünglichen Version entsteht beim Knaben der Kastrationskomplex als Reaktion auf die Befürchtung, dass der Vater sich für die ödipalen Bedürfnisse des Knaben rächen werde, • Beim Mädchen als Reaktion auf die Entdeckung der Penislosigkeit, die als Nachteil und/oder Beschädigung erlebt wird und verleugnet, repariert oder kompensiert werden muss. Kastrationskomplex und Ödipus • Beim Mädchen geht die Kastrationsangst der ödipalen Strebung zuvor, da sie den Wunsch nach dem (väterlichen) Penis auslöst, beim Knaben beendet sie hingegen die ödipale Phase. Die Ubiquität der „Kastration“ • Heute als Folge bestimmter als vernichtend erlebter Einwirkungen auf den kindlichen Körper und Abwehrhaltungen der Mutter gegenüber der Genitalität des Kindes erkannt. Insofern sind von dieser „Kastrationsangst“ beide Geschlechter betroffen. • Weiters wird die Kastrationsangst in eine Reihe traumatisierender Erfahrugen eingeordnet, in denen es um Trennung geht: „Trauma dr Geburt (Rank), Verlust der Brust (Abstillen), Entwöhnung, Defäkation… Die phallische Frau • Eine Vorstellung, in der die Frau entweder mit einem nach außen getragenen Phallus oder einem phallischen Attribut oder einem in sich aufbewahrten männlichen Phallus gesehen wird. Übergangsobjekt • Nach Winnicott ein materielles Objekt, das für den Säugling oder das Kleinkind (im Alter von4 – 12 Monaten) einen besonderen Wert repräsentiert. Es erlaubt dem Kind, den Übergang zwischen der ersten oralen Beziehung und der späteren Gestalt der Objektbeziehung zu vollziehen. Es steht „zwischen dem Daumenlutschen und dem Teddybären“. Es liegt auf halbem Weg zwischen der Erfahrung von Subjektivität und Objektwahrnehmung. Homosexuelle/Heterosexuelle Objektwahl psychoanalytisch II. 3. Perversion Sexuelle Abweichungen (Perversionen) Abweichung vom Objekt Abweichung vom Ziel Pädophilie Masochismus – Sadismus Regression mit inzestuösem Charakter. Der Pädophile lebt in Fantasie oder Handlungen alte kindliche Fantasien aus; schlüpft also in die Rolle des Kindes/Adoleszenten sucht Lust im Schmerz, Lust an Dominanz u. Inszenierung. Anus ist der führende Körperteil in erotischen Beziehungen. Fetischismus Freud: Suche nach der Symbolisierung des mütterlichen Phallus Primär ist der Masochismus, Durch den Fetisch wird in der inneren Realität der Frau der Phallus hinzugefügt; dadurch ermöglicht der Fetisch in der äußeren Realität dem Objekt den Geschlechtsunterschied zu erkennen und zu leben Exhibitionismus – Voyeurismus Transvestismus Sadistische Tendenz wäre Sekundärstruktur Verarbeitungsformen der Kastrationsangst Phänomenologie der Perversion FETISCHISMUS • Sexuelle Erregung und Lusterfahrung an unbelebte Objekte, körperliche Teilobjekte oder bestimmte Eigenschaften gebunden. • Begriff:Kleiner und großer Fetischismus(Binet ) • Synonym: Erotischer Symbolismus ( Havelock Ellis ) • Entstehung: • Lerntheoretische Interpretation: • frühe Auffassung: Binet, Moll • Konditionierung: Rachmann Gestalten des Fetisch • Zum Fetisch kann alles werden: Körperteile, bestimmte Zustände der Körperteile (Glanz auf der Nase) Materiale, Kleidungselemente, Ausscheidungsprodukte, aber auch inszenierte Zustände des Körpers (Bondage) und Körperdefekte. Fetischismus-Theorie • 1. Lerntheoretisch – Rachmanns Konditionierungsexperiment • 2. Psychoanalytisch: Freud: Der Fetisch repräsentiert und korrigiert „das Fehlende“ die somatisch phallische Valenz des weiblichen Geschlechts. Die Schaffung des Fetisch ist ein komplexes Geschehen, das auf einer IchSpaltung im Dienste der Abwehr (der Kastrations-/Vernichtungsangst) beruht. Fetischismus- moderne Psychoanalyse • Winnicott: Fetisch und Übergangsobjekt • Greenacre: Fetisch, Übergangsobjekt und gestörtes Körperbild Verschränkungen des Fetischismus • Mit „gender bending“ • Mit anderen paraphilen Haltungen (Sadismus / Masochismus) • Komplexe paraphile Systeme SADISMUS Begrifflichkeit, Definition • Der Begriff ist abgeleitet von D.A.F. Marquis de Sade. • Synonym: Aktive Algolagnie • Definition des erotischen Sadismus: Quälen des Partners zum Zweck der sexuellen Erregung und Lusterfahrung. Der Marquis de Sade De Sade‘s kulturelle Präsenz 19. Jahrhundert • • • • • Jules Janin Baudelaire Rachilde Jean Lorrain etc 20. Jahrhundert • • • • • • • • • • • • • Apollinaire Maurice Heine Gilbert Lely Ivan Bloch (Eugen Dühren) Georges Bataille Maurice Blanchot Pierre Klossowski J.P. Sartre Albert Camus Simone Beauvoir JaStichworteques Lacan Angela Carter J. Chasseguet-Smirgel • • • • • Sade als Philosoph – Stichworte: Antiklerikalismus Der Sade‘sche Mensch als „natürlicher Mensch“ (Baudelaire) Positionierung wider die Naturnicht nur im sexuellen Sinn als scharfer Gegner Rousseaus und extreme Positionierung in die Richtung LAMettries Wird als Vorläufer der Sexualpathologie aber auch als Vorläufer von Nietzsche, Marx und Freud, sowie sowohl als Antifeminist (Smirgel) wie auch als Feminist (Carter) interpretiert. • Eine weitere Quelle der kulturellen Präsenz war das Mäzenatentum der Marie-Laure de Noailles, die eine Nachfahrin von Sade war. Sade und der Surrealismus • Autoren: Andre Breton Robert Desnos „Anthologie des Schwarzen Humors“ „Das Spiel von Marseille“ Sade: politischer Bezug • Nach dem Ersten Weltkrieg diente Sade‘s Werk als Bezugsystem für die Interpration der Kriegsgräuel. • Auch für die Interpretation der Geschehnisse im Faschismus und Nationalsozialismus wurde Sade herangezogen. Sade-Editionen • Nach einer verbots- und zensurreichen Geschichte erschien von 1962- 1966 die definitive Ausgabe des Gesamtwerks mit kommentierenden Beiträgen bekannter Autoren (z.B.: Bataille und Lacan) Zentralfantasie der Perversion • „Ich habe eine sehr außerordentliche Fantasie, die mich seit Jahren verfolgt.....Ich möchte mich verheiraten, nicht einmal, sondern zweimal, und das am gleichen Tag. Um 10 Uhr morgens möchte ich, verkleidet als Frau, einen Mann heiraten; nachmittags dann, in männlicher Aufmachung möchte ich einen Jüngling zur Frau nehmen. Aber da gibt es noch etwas: Ich möchte, dass eine Frau mich imitiert...Du, verkleidet als Mann, sollst in der Messe, in der ich als Frau verkleidet, die Frau eines Mannes werde, eine Lesbierin heiraten,; dann, als Frau gekleidet, soll dich eine andere Lesbierin in Männerkleidung zur Frau nehmen, während ich, nachdem ich wieder mein Geschlecht angenommen habe, einen Jüngling in Frauenkleidung heirate.“ De Sade, Justine. Charakteristika : • Aufweichung des Geschlechtsunterschiedes • Aufhebung der Fortpflanzungsfunktion • Extreme Stilisierung und Ritualisierung • Maximale Kontrolle Masochismus MASOCHISMUS • Begriff stammt von Krafft-Ebing; Abgeleitet vom Namen des österreichischen Schriftstellers Leopold von Sacher-Masoch. • Diesbezügliches Hauptwerk: Venus im Pelz Masochismus Definition: Lust durch gequält-, erniedrigt werden. 3 Dimensionen: - erotischer Masochismus - femininer Masochismus - Moralischer Masochismus Kulturelle Repräsentation des Masochismus • • • • Swinburne Sacher-Masoch ein zentrales Sujet des erotischen Genres Als philosophisches Prinzip bei Schopenhauer und bei anderen Repräsentanten der „Wonne des Leidens“ • Das Interesse der Psychiatrie widmete sich den Fragen der „Feminität des Mannes“. Neben der Homosexualität war sicherlich auch die weite kulturelle Verbreitung und Repräsentation des Masochismus ein Katalysator dieses Interesses. Auch der Masochismus wurde ja ursprünglich als eine Spielart der „Entmännlichung“ resp. „Effeminatio“ angesehen. Drei Dimensionen des masochistischen Prinzips: • 1. Erogener oder erotischer Masochismus ( Passive Algolagnie ). Erotische Haltung: Für die sexuelle Befriedigung ist es erforderlich geschlagen, verletzt, erniedrigt, beschmutzt, etc. zu werden. Ist bei beiden Geschlechtern verbreitet; sowohl im hetero- wie im homosexuellen Kontext. • 2. Femininer Masochismus: Passive Einstellung des Mannes. Kann mit (1 ) vergesellschaftet sein. • 3. Moralischer ( sozialer ) Masochismus: Soziale Einstellung, die auf Lust am Leiden aufbaut. Ein direkt sexueller Bezug ist dabei vordergründig nicht sichtbar. Der moralische Masochismus ist nur selten an erotischen Masochismus gekoppelt. Genesetheorien • Lerntheoretisch: Konditionierte Verschmelzung der der sexuellen Begierde mit Schmerzerfahrung – Prügelstrafe / Erziehungsmasochismus / “Rousseauismus • Psychoanalytisch: Triebtheorie: Rückwärtsgewandter primärer Sadismus - Bewältigung der Kastrationsangst und des Schuldgefühls • Narzissmustheorie: Position des „Narzisstischen Triumphs“ (M‘Uzan) Die psycho-ökonomische Bedeutung des Masochismus • Abwehr schwerer Ängste durch Libidinisierung • In der „Todestriebtheorie“ bedeutet jede Erotisierung destruktiver Tendenzen eine Stärkung der libidinösen Struktur und damit des Lebenswillens. Philosophie und Masochismus • 19. Jh.-Decadence: Schopenhauer • 20. Jh.: J.P. Sartre: Das Sein und das Nichts Gilles Deleuze Fetisch und Puppe Oskar Kokoschka • Als der Morgen graute - ich war wie alle anderen sehr betrunken - habe ich im Garten der Puppe den Kopf abgehackt und eine Flasche Rotwein darüber zerschlagen. Am nächsten Tag schauten ein paar Polizisten zufällig durch das Gartentor, erblickten wie sie meinten den blut überströmten Körper einer nackten Frau, und stürzten in der Verdächtigung eines Liebesmordes ins Haus hinein. Genau genommen war es das auch, denn an jenem Abend hab ich die Alma ermordet... Extragenitale (anale) Zeugung Das Kind als Fetisch-Objekt Typen der Pädophilie • 1. Unterteilung nach Alter der Opfer • 2. Unterteilung nach Geschlecht der Opfer • 3. Unterteilung nach Triebrichtung: - heterosexuelle - homosexuelle - bisexuelle Pädophile 4. Klassifikation nach Komorbidität – z.B. Intelligenzdefekte, andere Perversionen 5. Alterspädophilie Homosexualität und Pädophilie • Pädophilie und Homosexualität kann miteinander verschränkt sein; allerdings ist der pädophile Impuls zumeist Ausdruck anderer sexualpathologischer Phänomene: Fetischismus, Sadismus, Masochismus • oder einer allgemeinen Entwicklungshemmung. Pädophilie und Inzest • Der Inzesttäter kann aber muss keine pädophile Neigung aufweisen. Die inzestuöse Handlung ist, wenn sie nicht sozialer Not oder bestimmten (sub)kulturellen Verhaltenskontingenzen entspringt, oftmals Ausdruck einer pathologischen familiären Situation. Inzesttäter suchen daher auch zumeist keine Opfer außerhalb des familiären Systems. Exhibitionismus • Definition: Zurschaustellung der Geschlechtsorgane zum Zweck der sexuellen Befriedigung. • Verschiedene Erscheinungsformen - Ausschliessliche Demonstration - Demonstration der Erregung - Demonstration des Organs - Ohne Versuch der Kontaktaufnahme - Mit Kontaktaufnahme PsychoanalytischeTheorie • Fragmentarisches Körperschema – Das Genitale ist schlecht und labil integriert und muss durch den Blick des/der Anderen rekonstruiert werden. • Phallisch narzisstische Dimension: Die Bedeutung der schreckhaften Reaktion des Opfers Voyeurismus • Definition: Sexuelle Erregung bedarf der optischen Wahrnehmung sexueller Kontakte oder erotisch motivierter Handlungen. • Erscheinungsformen: - Ohne Kontaktaufnahme: „Parkplatzvoyeur“ - Mit Kontaktaufnahme: z.B. Peepshow Bestialität • Überschreitung der Gattung; Tiere werden in den sexuellen Vollzug eingebunden. • Fetischistische Ausprägung • Im Rahmen einer psychiatrischen Komorbidität • Gelegentliches (Auswegs-)Verhalten • Fixierte Paraphilie Sexuell motivierte Aggressionshandlungen • Sexuelle Manipulation als Gewaltausübung • Nutzung der Geschlechtlichkeit als Mittel der Gewaltausübung – sowohl aktiv als auch passiv • Sexuelle Überwältigung • Sexuell motivierte Handlungen gegen Leib und Leben – cave: Instrumentalisierung der Sexualität im Dienst der Machtausübung und narzisstischer Bedürfnisse Sexuelle Gewalt und sexualisierte Gewalt stellen ein äußerst komplexes Phänomen dar Foucault: Sexualität und Wahrheit • Foucault ortet Sexualität in einem komplexen Regelsystem. Im Sexualitätsdispositiv verbinden sich Zwecke der Regulierung, Kontrolle und Vereinheitlichung verschiedener Akteurinnen verschiedener Diskurse. In diesem diskursiven Netzwerk überschneiden sich viele Schnüre, Bänder, Stricke und Taue: etwa Medizin, Biologie, Psychologie, Juristerei und Kriminologie, Bevölkerungspolitik. Spielarten und Erscheinungsformen der Verschränkung von Sexualität und Gewalt Anthropologisch: Triebschicksal Kulturelle Ausformungen - Rituale Gesellschaftliche /institutionelle Strukturen Teilstrukturen: Internat Gefängnis Lager einstellungsmäßig Normsetzung II. 4. Gender dysphoria Ausgeprägte Gender dysphorie Differentialdiagnose • Effeminierter männlicher Homosexueller Viraginisierte weibliche Homosexuelle • Fetischistische transvestitische Persönlichkeit • Transsexuelle Persönlichkeit • Außerdem spielt die Geschlechtsdysphorie auch in anderen Zusammenhängen eine bestimmte Rolle: • Z.B. Masochismus, genitale Impotenz Differenzierte Sicht • Effeminierte/viraginisierte Homosexualität: überwiegend Rollentauschinszenierungen bei rel. Intakter Geschlechtsidentität • Transvestismus: fetischistische Perversion ohne festgelegte Triebrichtung: Autosexuelle, heterosexuelle, homosexuelle, bisexuelle Transvestiten • Transsexualismus: Komplexe Persönlichkeitsstörung mit zentraler Identitätsproblematik Springer: Transsexualitäts-Diagnostik Abb.1 DSM 3 - Diagnostik: Transexualismus - Leitsymptome: • anhaltendes Unbehagen und Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen Geschlecht • anhaltender über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren dauernder Wunsch, die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale loszuwerden und dafür die Geschlechtsmerkmale des anderen Geschlechtes zu erhalten • die Person hat ihre Pubertät erreicht. Springer: Transsexualismus-Diagnostik Abb. 2 DSM 3 - Diagnostik “Störung der Geschlechtsidentität vom Nicht-Transsexuellen-Typus” - Leitsymptome • anhaltendes oder wiederholtes Unbehagen und Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen Geschlecht. • Anhaltender oder wiederholter Kleidertausch mit dem anderen Geschlecht, entweder in der Phantasie oder in der Realität, jedoch nicht zum Zweck der sexuellen Erregung ( wie beim transvestitischen Fetischismus ) • Kein anhaltendes ( d. h. über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren andauerndes ) Verlangen, die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale loszuwerden und dafür die Geschlechtsmerkmale des anderen Geschlechtes zu erhalten. • Der Betroffene hat die Pubertät erreicht. Springer: Transsexualitäts-Diagnostik Abb. 3 Verteilung der transsexuellen Komorbidität nach Socarides • Neurotiker, die ihre männliche oder weibliche Rolle fürchten • Homosexuelle, die mit ihrer biologisch-anatomischen Rolle nicht zurecht kommen • Transvestiten, die sich nicht damit zufrieden geben, lediglich die Kleidung des andern Geschlechtes anzulegen • Schizophrene • Schizophrene Homosexuelle und/oder Transvestiten • Somatische Intersexe Springer : Transsexualitäts-Diagnostik Abb. 4 Diagnostische Zuordnung von 25 Fällen nach Springer männlich weiblich alternde Transvestiten 2 1 junge Transvestiten 2 6 Masochisten 1 stigmatisierte Homosexuelle 3 polymorph Perverse 3 schizoide 1 Eonisten 1 geistig Retardierte 1 Zwangssyndrom 3 Paranoides Syndrom 1 10 2 1 1 Springer: Transsexualitäts-Diagnostik Abb. 5 Psychiatrische Differentialdiagnostik – Zuordnung nach psychotischen und hirnorganischen Basisstörungen: -exogene Reaktionstypen ( Drogenpsychosen ) -affektive Psychosen ( selten ) -hirnorganische (epileptoide) Zustandsbilder Transsexualität - Kausaltheorien • Biologisch: neuroendokrinologische Thesen – bislang unbewiesen • Lerntheoretisch- Paradoxes Rollenlernen • Psychoanalytisch-klinische Konzepte: Borderline Geschehen (Parson & Ovesey) • Komplexes Konzept (Stoller): 1. Auswirkung eines paradoxen biologisch verankerten frühen Identitätsempfinden 2. Folge einer speziellen Familienkonstellation, die die konfliktuöse Entwicklung des Knaben verhindert und dazu führt, dass die Weiblichkeit der Mutter auf das Kind überfliesst. Transsexualität - Therapie Psychotherapie und Theorie der Transsexualität • Die psychologischen und tiefenpsychologischen Theorien über Transsexualität sind zum großen Teil aus Therapieerfahrungen generiert: z.B.: Stoller, der allerdings nicht direkt die TS behandelte, sondern deren Mütter; Parker und Ovesey. Die ablehnende Haltung gegenüber Psychotherapie • (Auto-)biographisch: beginnend bei Christine Joergensen • Professionell: beginnend bei Harry Benjamin Forderungen nach Psychotherapie • Socarides • Springer, 1981 Aufgaben und Ziele der psychiatrischpsychotherapeutischen Begleitung / Behandlung 1 begleitend durch eine hinreichend lange Verlaufsbeobachtung die Diagnose zu sichern, einschlägige Differenzialdiagnosen auszuschließen und ggf. psychische Begleiterkrankungen und / oder relevante psychische Probleme zu erkennen; klärend und beratend zusammen mit der Alltagserprobung der neuen Geschlechtsrolle dem Betroffenen dazu verhelfen, die adäquate individuelle Lösung für sein spezifisches Identitätsproblem zu finden und die Möglichkeiten und Grenzen somatischer Behandlung realistisch einzuschätzen (Psychotherapie im weiteren Sinne) Aufgaben und Ziele der psychiatrischpsychotherapeutischen Begleitung / Behandlung 2 behandelnd und aufarbeitend im Falle psychischer Begleiterkrankung und / oder relevanter psychischer Probleme (Psychotherapie im engeren Sinne). Übergeordnete Zielvorstellung • Sowohl die Psychotherapie im weiteren wie auch im engeren Sinne sollen letztlich eine reife, bewusste, abgewogene und selbstverantwortliche Entscheidung über den Geschlechtsrollentausch sowie über die notwendigen somatischen Behandlungsmaßnahmen ermöglichen. Die Zielsetzungen psychotherapeutischer Maßnahmen • Aufhebung der Dissoziation in Richtung der Anpassung des Seelischen an die körperlichen Gegebenheiten; den KlientInnen dabei helfen, ihr körperliches Geschlecht annehmen können. • Aufhebung der Dissoziation in Richtung Anpassung des Körpers an die seelische Problematik durch Unterstützung des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung Psychodynamische Psychotherapie und Gesprächstherapie: Die Behandlung sollte den möglichen Ausgang nicht vorher definieren, sie sollte ihm gegenüber neutral sein. Verhaltenstherapie: Der Ausgang der Behandlung wird gemeinsam mit den KlientInnen definiert. Das Ziel der Behandlung ist dementsprechend auch das Erreichen dieser auf den Einzelfall bezogenen Zielvorgabe. II. 5. Die Psychoanalyse als Wegbereiter normalisierender Tendenzen Psychoanalyse und kulturelle Norm • Für Freud resultierte die Krankheit der Sexualität aus übersteuerten gesellschaftlichen Kontrollbedürfnissen. Die neurotische Erkrankung entsteht aus einer Inkongruenz zwischen kultureller Norm und subjektiver Norm, wenn das Individuum sich den Ansprüchen der Kultur beugen möchte, diesen Vorsatz aber aufgrund seiner Triebhaftigkeit nicht umsetzen kann. „Perversion“entsteht dann, wenn das Individuum die Ansprüche seiner subjektiven Triebhaftigkeit gegen die kulturellen Ansprüche durchsetzt. Der Streit um die Psychoanalyse • Vor allem dieser gesellschaftspolitische Aspekt des Freudschen Denkens erregte die Wut der konservative Kritiker gegen die Psychoanalyse. Er wird jedoch beileibe nicht von allen Vertretern der psychoanalytischen Lehre in gleicher Weise mitgetragen. Insbesondere klafft hier eine tiefe Kluft zwischen Theorie und Praxis. Normalisierung • Unter Normalisierung verstehen wir einen gesellschaftlichen Prozess in dem zunächst als abweichend klassifizierte Verhalten gesellschaftlich integriert werden. Dieser Prozess gründet auf einer Veränderung des Problembewusstseins bzw. darauf, dass Konsens darüber entsteht, dass gegen das entsprechende Verhalten keine Interventionen mehr gesetzt werden müssen. • Freud eröffnete den Raum für die Entstigmatisierung der sexuellen Abweichung in ihrer krankhaften Ausprägung, die bereits früher von psychiatrischen und medizinischen Autoren gefordert worden war. • Manche in der Psychiatrie als krankhaft klassifizierte Erscheinungsformen wurden in diesem Sinne von Freud „normalisiert“. Entsprechend seiner Lehre repräsentiert z. B. homosexuelle Orientierung ebenso wenig psychische Krankheit wie ein Leben in Übereinstimmung mit der heterosexuellen Norm psychische Gesundheit garantiert. Freud, 1905: Perversion in der Sexualität des Individuums • „Bei keinem Gesunden dürfte irgendein pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen und diese Allgemeinheit genügt für sich allein, um die Unzweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun.“ Juliet Mitchell, 2000 • Ein gewisses Maß an „perverser“ Sexualität ist jeder sogenannt „normalen“ Sexualität immanent. Genauso ist sie in den Symptomen von Neurose und Psychose repräsentiert. Insoweit menschliche Sexualität nach Befriedigung und nicht so sehr nach einem Objekt verlangt ist sie in gewissem Sinn notwendiger Weise pervers. Stoller: Sozialer Stellenwert und soziale Bedeutung der Perversion • ..wer sich gegen das Recht zur Perversion ausspricht, versucht sich einem mächtigen Impuls entgegen zu stellen, der heute unsere Gesellschaft in Bewegung hält.... • Solange die Familie die Grundlage der Gesellschaftsordnung darstellt erfüllt die Perversion vier Notwendigkeiten: die Erhaltung der individuellen Lust, der Familie, der Gesellschaft und der Art... Der veränderte gesellschaftliche Rahmen Entstigmatisierung durch Labeling Sexuelle Minderheiten &Sexuelle Aussenseiter • Der erste Begriff stammt von dem schwedischen Sexualwissenschafter Lars Ullerstamm, der bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine weitgehende Normalisierung des Umgangs mit den verschiedenen erotischen Einstellungen forderte, der zweite von den USAmerikanischen Autoren Simon und Gagnon. Beide Begriffe zielen darauf ab, die soziale Rolle sexueller Abweichler dadurch zu „normalisieren“, dass Bezeichnungen mit pathologischer Besetzung vermieden werden. Integration durch Dekontextualisierung • Im Punk und in bestimmten modischen Erscheinungen der Post-PunkFragmentierung (Hebdige)werden, ebenso wie im Phänomen der „Body Modification“ und der ästhetisch motivierten Selbstverletzung, ehemals „perverse“ Zeichen aus ihrem sexuellen Kontext gelöst und als Lebensstil-Komponenten integriert. AIDS als Motor der Normalisierung • Die Bedrohung durch AIDS hat bestimmten traditionell als abweichend klassifizierten sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen – Homosexualität, Sado-Masochismus, Masturbation- die gesellschaftliche Integration erleichtert, indem diese als Möglichkeiten „safe sex“ zu betreiben, neu bewertet wurden. Insofern kam in diesem Fall der Prozess der „Tertiären Devianz“ ins Rollen. Posthumane Entwicklungen Weitere Veränderungen im gesellschaftlichen Raum • Biotechnologische Entwicklungen, wie die Entwicklung der Reproduktionsmedizin und der Gentochnologie stellen die Bindung der Fortpflanzung an den Akt der körperlichen Vereinigung infrage. Dadurch kommt dem Entwurf des Körper als „Lustmaschine“, wie er traditionell den Ausprägungen sexueller Devianz eignet, erhöhte Akzeptanz entgegen. Allerdings wohl wieder nur im Handlungsraum der „Perversität“ im Sinne Krafft-Ebings. Fortpflanzung und Perversion • Tatsächlich hat der alte Perversionsbegriff mit der Entwicklung der Bevölkerungspolitik jeden Sinn verloren. Wenn der Präventivverkehr als gewünschte Norm gilt kann man nicht jene Handlungen und Einstellungen, die ihn umsetzen als Krankheit oder abweichendes Verhalten klassifizieren. Er findet eine Stütze nur mehr in religiösfundamentalistischen Einstellungen und Forderungen. II. 6. Aktuelle Problemlagen Therapie Die Grenzen der Normalisierung • Auf der individuellen Ebene können Beziehungsprobleme und Partnerprobleme, die durch die abweichende sexuelle Orientierung ausgelöst werden, durch die gesellschaftliche Normalisierung nicht verhindert werden. Auch nicht Scham- und Schuldgefühle des Einzelnen. • Aus all diesen Gründen bleibt der therapeutische Zugang gerechtfertigt und notwendig. Kulturelle Integration der Zeichen, nicht des Verhaltens • Im Prozess des kulturellen Wandels werden überwiegend die Zeichen und die spielerische Annäherung an die Phänomene gesellschaftlich integriert; die Personen, die sexuelle Überschreitungstendenzen ausleben wollen bzw. dabei inneren Zwängen folgen, bleiben marginalisiert. Eventuell erschwert die „Normalisierung“ ihr Schicksal, indem sie den Schutz der Pathologisierung aufheben. Dadurch entwickeln bestimmte betroffene Personen auch weiterhin einen heftigen Leidensdruck und sind therapiebedürftig. Therapeutische Zugängepsychodynamische Therapie • Bereits Freud erkannte, dass die „positive“ Perversion der psychoanalytischen Behandlung zugänglich ist. • Aufgabenstellung: Erkenntnis der biographischen und der intrapsychischen Bedeutung der Symptomatologie. Erarbeitung der Beschränkung dieser Bedeutung und Erweiterung des Erlebens- und Verhaltensspielraums (Morgenthaler). Therapeutische Zugänge • Aus psychoanalytischer Sicht ist ein schonender Zugang geboten. Diese Haltung ergibt sich aus den Erkenntnissen darüber, dass der psychischen Struktur „Perversion“ eine Abwehrfunktion gegenüber psychotischen Entwicklungen zukommt. Eine forcierte Vorgangsweise kann daher zur Verschlechterung des allgemeinen psychischen Zustandes führen. • Diese Empfehlung ergibt sich auch aus der Erfahrung mit der Anwendung operant-konditionierender aversiver Verfahren bei Homosexualität. Im Kontext derartiger therapeutischer Experimente wurden gehäuft gravierende Reaktionen bis hin zu Selbstmordversuchen beobachtet. Therapeutische ZugängeVerhaltenstherapie • Aufgabenstellungen: Reduktion bzw. Kontrolle des sexuell-devianten Verhaltens und Aufbau alternativer nicht stigmatisierter Verhaltens- und Erlebensmöglichkeiten. Verbesserung zwischenmenschlicher Fähigkeiten. Strategien zur Rückfallsvermeidung. Psychotherapie bei Sexualstraftätern • Der Einsatz psychoanalytisch-dynamischer Therapieverfahren in Hamburg erbrachte bei Sexualstraftätern relativ gute Ergebnisse. • Inwieweit der Einsatz neuer therapeutischer Verfahren, die aktiv eingreifend ausgerichtet sind, in der Behandlung sexuell delinquenter Individuen die Erfolgsrate bei dieser schwierigen Klientel erhöht, muss noch evaluiert werden. Die kulturelle SpaltungPsychiatrische Dimension • In der klinischen Psychiatrie läuft keine Reflexion der Verhältnisse und keine Anpassung an die Entwicklung ab. In der kategoriellen Diagnostik nach DSM IV und ICT 10 gelten die alten Merkmalskataloge defacto in unveränderter Weise und bestehen die traditionellen diagnostischen Zuordnungen. • Es besteht sogar eine Verschärfung gegenüber älterer Zugänge, da auch die Fantasie pathologisiert wird. Die kulturelle Spaltung-Die juristische Dimension • In juristischer Hinsicht bleiben die alten Zuschreibungen ebenfalls aufrecht. Die neue verschärfte Kriminalisierung aller Problembereiche, die unter der Kategorie „sexueller Missbrauch“ erfasst werden, hält die Kriminalisierung der „Perversion“ im öffentlichen Diskurs mit aufrecht. Die psychiatrische Krankheitslehre zwischen Normalisierung und Pathologisierung Der Standort der klinischen Psychiatrie heute: Homosexualität • Seitens der APA (DSM-Diagnostik) wurde 1973 entschieden, die Homosexualität aus dem Katalog der Geisteskrankheiten zu streichen. Diese Streichung nahm zunächst in der 3., revidierten Auflage der Klassifikation 1987 Gestalt an und ist in der gültigen Version DSM-IV aus dem Jahre 1994 aufrecht erhalten. In der 10. Auflage der ICD von 1992 schloss sich die WHO dieser Auffassung an. • Der Homosexualität wird dementsprechend kein eigenständiger Krankheitswert mehr zugeordnet. Diese Entwicklung befindet sich in Einklang mit den allgemeinen Menschenrechten, denen zufolge niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf. Der Standort der klinischen Psychiatrie heute: Paraphilie • In der Frage der Paraphilie (Perversion) hingegen ist die Position der APA (DSM IV-Diagnostik) äußerst pathologisierend. Wurden doch Fantasieabläufe zur Krankheit erklärt, was eine früher niemals vollzogene Ausweitung des Krankheitsbegriffes mit sich brachte. „Über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten bestanden wiederkehrende starke sexuelle Impulse oder sexuell erregende Fantasien“ Neue Formen der Pathologisierung • Sexsucht • Bedeutungswandel der Perversion – vom Phänomen zum Beziehungsproblem • Neue Konzepte der „Komorbidität“ Verlust der differentialdiagnostischen Schärfe ? • In Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklungen und nach Foucaults Diskursanalyse des Konstrukts Sexualität muss die psychiatrische und die psychotherapeutische Krankheitslehre den relativen Charakters ihres Objekts reflektieren, um einerseits die aufklärerische Position beizubehalten, die sie seit der Zeit Krafft-Ebings einnimmt und andererseits dem Vorwurf zu entgehen, ihre Realität nicht zu reflektieren und erneut jene Position einzunehmen, die ihr einst Michel Foucault zuwies: Hüterin der Moralsynthesen zu sein. Insofern besteht eine Forschungsaufgabe. Es sollte abgeklärt werden, wie das Phänomen „Perversion“ und die diesbezügliche Diagnostik in den verschiedenen therapeutischen Richtungen bewertet wird und ob eine Bereitschaft besteht, die jeweils traditionelle Einstellung und Interpretation an der kulturellen Realität zu überprüfen. Gibt es eine Art Konsensus, einen „State of the art“?