Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 $Id: komplex.tex,v 1.4 2008/11/23 22:35:51 hk Exp $ I. Grundlagen §4 Reelle und komplexe Zahlen 4.3 Die komplexen Zahlen (Offizielle Version) Ist φ ∈ R ein vorgegebener Winkel, so bezeichnen wir den zugehörigen Punkt auf dem Einheitskreis, d.h. den Punkt der mit der positiven x-Achse den Winkel φ bildet, mit dem Symbol e(φ), und wir wollen nun seine xe( ) 1 und y-Koordinaten berechnen. Wir beginnen dabei mit y dem Fall, daß φ im ersten Quadranten liegt, das also x 0 < φ < π/2 ist. Dann haben wir das aufgezeichnete rechtwinklige Dreieck mit Katheten der Längen x und y. Die Länge der Hypotenuse ist dabei gleich 1, da sie ein Radius des Einheitskreises ist. Da die Kathete der Länge x am Winkel φ anliegt, also die Ankathete zu φ ist, haben wir x Ankathete x= = = cos φ. 1 Hypotenuse Ebenso ist die Kathete der Länge y diejenige die dem Winkel φ gegenüberliegt, also die Gegenkathete, und somit ist auch y= y Gegenkathete = = sin φ. 1 Hypotenuse Insgesamt haben wir für den Punkt e(φ) im ersten Quadranten damit die Formel e(φ) = (cos φ, sin φ) = cos φ + i sin φ. Bevor wir die Situation im zweiten Quadranten besprechen, ist es nützlich sich an einige kleine Tatsachen über die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus zu erinnern. In ihrer geometrischen Definition werden die Sinus und Cosinus Funktion auf Winkel in einem rechtwinkligen Dreieck angewendet, und da die Winkelsumme in einem Dreieck insgesamt 180◦ , also im Bogenmaß π, ist, sind sin φ und cos φ zunächst nur für Argumente φ mit 0 < φ < π/2 definiert. Sie haben dann bereits in der Schule gesehen wie die Definition von sin φ und cos φ auf beliebige Winkel φ mit 0 ≤ φ ≤ 2π ausgedehnt wird. Zunächst vereinbart man sin(0) := 0 und cos(0) := 1 sowie sin(π/2) := 1 und cos(π/2) := 0. Für π/2 ≤ φ ≤ π ist dann 0 ≤ π − φ ≤ π/2 und man setzt sin φ := sin(π − φ) und cos φ := − cos(π − φ). Damit sind sin φ und cos φ dann für alle 0 ≤ 9-1 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 φ ≤ π definiert. Ist weiter π ≤ φ ≤ 2π, so haben wir 0 ≤ 2π − φ ≤ π und setzen sin φ := − sin(2π − φ) und cos φ := cos(2π − φ). Jetzt sind sin φ, cos φ für alle Winkel 0 ≤ φ ≤ 2π definiert und diese beiden Funktionen werden mit Periode 2π für alle φ ∈ R fortgesetzt, also so das sin(φ + 2π) = sin φ und cos(φ + 2π) = cos φ für alle φ ∈ R gelten. 1 1 –1 –1 Sinus Cosinus Zwischen 0 und 2π hat die Sinusfunktion Nullstellen in 0, π und 2π, ein Maximum mit dem Wert 1 bei π/2 und ein Minimum mit dem Wert −1 bei 3π/2. Dagegen hat der Cosinus Nullstellen in π/2 und 3π/2, zwei Maxima mit dem Wert 1 in 0 und 2π und ein Minimum mit dem Wert −1 in π. Wie bereits bemerkt setzt sich dies dann periodisch auf ganz R fort. Wir werden übrigens später im Analysis Teil dieser Vorlesung noch eine andere Definition von Sinus und Cosinus kennenlernen, die ohne rechtwinklige Dreiecke auskommt und sin φ, cos φ auf einen Schlag für alle φ ∈ R definiert. Wir wollen uns nun den Fall vornehmen, dass unser Punkt wie im nebenstehenden Bild im zweiten Quadranten liegt, das also π/2 < φ < π gilt. In diesem Fall er−x halten wir ein rechtwinkliges Dreieck mit einem Winken y 1 ψ, der gerade 90◦ kleiner als φ ist, d.h. ψ = φ − π/2. Die Ankathete zum Winkel ψ ist diesmal y, während die Gegenkathete zu ψ wegen x < 0 die Länge −x hat. Genau wie wir im ersten Quadranten geschlossen haben, liefern diese Beobachtungen uns die Gleichungen y = cos ψ und − x = sin ψ. Wir erinnern uns nun an die Additionstheoreme des Sinus und des Cosinus. Diese besagen bekanntlich, das die beiden Gleichungen cos(φ + ψ) = cos φ cos ψ − sin φ sin ψ, sin(φ + ψ) = sin φ cos ψ + cos φ sin ψ für alle φ, ψ ∈ R gelten. Erinnern wir uns noch daran, daß sin(±π/2) = ±1 und cos(±π/2) = 0 ist, so können wir unsere obigen Formeln wie folgt weiter auswerten π π π −x = sin ψ = sin φ − = sin φ cos − + cos φ sin − = − cos φ, 2 2 2 also x = cos φ, und π π π y = cos ψ = cos φ − = cos φ cos − − sin φ sin − = sin φ. 2 2 2 9-2 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 Damit haben wir auch im zweiten Quadranten die Gleichung e(φ) = (cos φ, sin φ). Analog läßt sich auch im dritten und vierten Quadranten schließen. Somit haben wir die Identität e(φ) = (cos φ, sin φ) = cos φ + i sin φ für alle Winkel 0 ≤ φ < 2π. Da die rechte Seite dieser Gleichung für jedes φ ∈ R definiert ist, können wir sie auch dazu verwenden die Definition e(φ) := cos φ + i sin φ für überhaupt sämtliche φ ∈ R durchzuführen. Da Sinus und Cosinus beide die Periode 2π haben, gilt dann auch e(φ + 2π) = e(φ) für jedes φ ∈ R. Für Argumente φ mit 0 ≤ φ < 2π ist e(φ) direkt nach unserer Definition eine injektive Abbildung. Insbesondere haben wir für je zwei φ, ψ ∈ R stets e(φ) = e(ψ) ⇐⇒ es gibt eine ganze Zahl k ∈ Z mit ψ = φ + 2kπ, d.h. genau dann ist e(φ) = e(ψ) wenn φ und ψ sich nur um ein ganzzahliges Vielfaches von 2π unterscheiden. Die eben bemerkte Periodizität von e(φ) ergibt dann, dass e(φ) eine bijektive Abbildung auf den Einheitskreis ist, wenn wir nur die Winkel φ auf einen Bereich der Länge 2π beschränken. Wählen wir insbesondere den Bereich der reellen Zahlen φ mit −π < φ ≤ π, so erhalten wir die Polarkoordinaten auf dem Einheitskreis. Ist also z = (x, y) = x + iy ein Punkt auf dem Einheitskreis, so heißt die eindeutig bestimmte reelle Zahl φ mit −π < φ ≤ π und e(φ) = z die Polarkoordinate von z. Dieses φ können wir leicht bestimmen, die Formel unterscheidet sich aber je nachdem ob z ober- oder unterhalb der x-Achse liegt. Wir starten mit dem ersten Fall sei also y ≥ 0. Dann ist x = cos φ und wegen sin φ = y ≥ 0 muss φ ≥ 0 sein, also 0 ≤ φ ≤ π. Aber für φ zwischen 0 und π ist die Cosinusfunktion eine monoton fallende, bijektive Abbildung auf die reellen Zahlen zwischen −1 und 1. Die Umkehrabbildung dieser Einschränkung des Cosinus ist der sogenannte Arcus Cosinus, geschrieben als arccos : {x ∈ R : |x| ≤ 1} → {φ ∈ R|0 ≤ φ ≤ π}; x 7→ arccos x. Mit dieser Bezeichnung ist also φ = arccos x. Nun kommen wir zum Fall, daß z = (x, y) unterhalb der x-Achse liegt, das also y < 0 ist. Dann ist sin φ = y < 0, also −π < φ < 0. Es folgen 0 < −φ < π und cos(−φ) = cos φ = x, also −φ = arccos x, beziehungsweise φ = − arccos x. Insgesamt ist damit die Polarkoordinate für z = (x, y) auf dem Einheitskreis gegeben durch ( arccos x, y ≥ 0, φ= − arccos x, y < 0. 9-3 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 Damit haben wir die Punkte des Einheitskreises z=(x,y) durch eine Polarkoordinate beschrieben. Wir wollen dier se Beschreibung nun auf die gesamte Ebene ausdehnen. y Da diese im Gegensatz zum Einheitskreis zweidimensional ist, werden wir auch zwei Koordinaten zur Beschreix bung von Punkten der Ebene benötigen. Sei ein Punkt z = (x, y) ∈ R2 = C mit z 6= 0 gegeben. Als erste Koordinate von z verwenden wir dann den Abstand von z zum Nullpunkt. Wie im nebenstehenden Bild zu sehen, können wir dann ein rechtwinkliges Dreieck bilden, dessen Hypothenusenlänge gerade der Abstand r von z zum Nullpunkt ist, und dessen Kathetenlängen |x| und |y| sind (die Beträge sind nötig um auch die Situation in den anderen drei Quadranten abzudecken). Als Abstand zum Nullpunkt ergibt sich somit p p r = |x|2 + |y|2 = x2 + y 2 > 0. Nun bilden wir die Halbgerade von 0 zum Punkt z und betrachten ihren Schnittpunkt mit dem Einheitskreis. Dieser Schnittpunkt ist ein Punkt des Einheitskreises, und kann damit durch einen eindeutigen Winkel φ mit −π < φ ≤ π beschrieben werden. Wie dies im Bild aussieht unterscheidet sich je nachdem ob z im Inneren des Einheitskreises oder außerhalb des Einheitskreises liegt: z e( ) e( ) z In kartesischen Koordinaten ist der Schnittpunkt unserer Halbgeraden mit dem Einheitskreis gerade x y 1 z= , , r r r und für den Winkel φ ergibt sich mit unserer obigen Formel ( arccos xr , y ≥ 0, φ= x − arccos r , y < 0, wobei wir einfach y statt y/r verwenden, da y und y/r ja dasselbe Vorzeichen haben. Die Polarkoodinaten eines Punktes z = (x, y) = x + iy sind also die reellen Zahlen r, φ 9-4 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 mit r > 0, −π < φ ≤ π und z = re(φ) = r cos φ + ir sin φ. Ausrechnen können wir diese beiden Polarkoordinaten dann über die eben angegebenen Formeln für r und φ. Dem Nullpunkt sind hierbei keine Polarkoordinaten zugeordnet, bei Bedarf kann man als die Polarkoordinaten jederzeit r = 0 und einen beliebigen Winkel φ verwenden. Umgekehrt können wir für beliebige reelle Zahlen r, φ ∈ R mit r ≥ 0 den Punkt z = r · e(φ) = (r cos φ, r sin φ) = r cos φ + ir sin φ betrachten. Der Abstand dieses Punktes zum Nullpunkt ist wegen r2 cos2 φ+r2 sin2 φ = r2 · (cos2 φ + sin2 φ) = r2 dann gleich r. Allerdings müssen r und φ nicht die Polarkoordinaten von z sein. Die erste Polarkoordinate von z ist zwar das vorgegebene r, aber der Winkel φ liegt eventuell nicht im von den Polarkoordinaten verwendeten Bereich zwischen −π und π. Um auch den Winkel zu erhalten muss aber nur noch ein geeignetes Vielfaches von 2π zu φ addiert werden so, dass die Summe im erlaubten Bereich liegt. Die Polarkoordinaten von z sind also r und der Winkel φ0 mit −π < φ0 ≤ π und φ0 = φ + 2kπ für ein k ∈ Z. Man bezeichnet den Winkel φ, also die zweite Polarkoordinate eines Punktes z = (x, y) ∈ C, gelegentlich auch als das Argument von z und schreibt dann ( arccos xr , y ≥ 0, arg z := φ = x − arccos r , y < 0. Manchmal wird dies auch als das Hauptargument von z bezeichnet und mit einem Argument von z meint man dann die Summe des Hauptarguments mit einem beliebigen Vielfachen von 2π, also ein beliebiges φ mit z = re(φ), das nicht unbedingt im Bereich zwischen −π und π liegt. Wir werden diese Sprechweise in dieser Vorlesung nicht, oder höchstens sehr sparsam, verwenden, sie kann Ihnen aber in anderen Texten immer mal wieder unterkommen. Damit haben wir die Polarkoordinaten von Punkten der Ebene konstruiert, aber was haben diese nun mit komplexen Zahlen zu tun? Die Bedeutung der Polarkoordinaten für die komplexen Zahlen beruht auf der folgenden Rechnung, die wieder die bereits weiter oben angegebenen Additionstheoreme des Sinus und des Cosinus verwendet. Für alle φ, ψ ∈ R haben wir: e(φ) · e(ψ) = = = = (cos φ + i sin φ) · (cos ψ + i sin ψ) cos φ cos ψ − sin φ sin ψ + i · (sin φ cos ψ + cos φ sin ψ) cos(φ + ψ) + i sin(φ + ψ) e(φ + ψ), d.h. bei Multiplikation komplexer Zahlen auf dem Einheitskreis müssen nur ihre Winkel in ihrer Darstellung in Polarkoordinaten addiert werden. Diese Beobachtung kann nun leicht auf allgemeine komplexe Zahlen ausgedeht werden, sind r, s ≥ 0 und φ, ψ ∈ R, so haben wir (r · e(φ)) · (s · e(ψ)) = rs · e(φ)e(ψ) = rs · e(φ + ψ). 9-5 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 In Polarkoordinaten ausgedrückt müssen zur Multiplikation zweier komplexer Zahlen also ihre Längen multipliziert und ihre Winkel addiert werden. Um dann zur Darstellung des Produkts in Polarkoordinaten zu kommen, muss anschließend noch die Winkelsumme durch Addition eines geeigneten Vielfachen von 2π in den Bereich zwischen −π und π gebracht werden. Besonders das von uns im vorigen Abschnitt behandelte Problem der Bestimmung der n-ten Wurzeln einer komplexen Zahl wird durch die Verwendung von Polarkoordinaten auf einmal sehr einfach. Ist nämlich eine komplexe Zahl z ∈ C in Polarkoordinaten als z = re(φ) mit r ≥ 0, φ ∈ R geschrieben. so haben wir z 2 = r2 e(2φ), z 3 = r3 e(3φ), z 4 = r4 e(4φ), . . . , und so weiter, also auch z n = rn e(nφ) für jedes n ∈ N. Wir wollen dies einmal dazu verwenden erneut alle komplexen Zahlen z mit z 3 = 1 zu berechnen. Hierzu setzen wir z in der Form z = re(φ) mit r ≥ 0 und 0 ≤ φ < 2π an. Dass wir dabei für φ nicht den Bereich zwischen −π und π nehmen, dient dabei nur der Bequemlichkeit. Nach unserer eben durchgeführten Überlegung wird z 3 = r3 e(3φ) mit 0 ≤ 3φ < 6π. Wegen 1 = 1 · e(0) ist damit genau dann z 3 = 1 wenn r3 = 1 und e(3φ) = e(0) sind. Die erste Bedingung r3 = 1 ist zu r = 1 äquivalent. Die zweite Bedingung e(3φ) = e(0) ist genau dann wahr, wenn es eine ganze Zahl k ∈ Z mit 3φ = 0 + 2kπ = 2kπ gibt. Wegen 0 ≤ 3φ < 6π kommen hierfür aber nur die drei Zahlen k = 0, 1, 2 in Frage, d.h. wir haben genau drei komplexe Zahlen z mit z 3 = 1, nämlich 2π 2π 4π 4π 2π 4π z = e(0) = 1, z = e + i sin und z = e + i sin . = cos = cos 3 3 3 3 3 3 Um diese speziellen Werte der Sinus und der Cosinusfunktion weiter auszurechnen kann man sich nun einer Formelsammlung bedienen. Einige dieser speziellen Werte wollen wir hier einmal auflisten: φ cos φ sin φ 0 1 0 −1 0 π π 0 1 2 √ π 1 1 3 3 2 2√ √ π 1 1 2 2 4 2 2 √ √ √ π 5 π 6 2 1 2 √ 3+ 5 4 √ √ 2 √ 5− 5 4 1 2 3 Weitere Werte kann man dann mit den Additionstheoremen berechnen. Wir haben ja zum Beispiel sin(2φ) = 2 sin φ cos φ, cos(2φ) = cos2 φ − sin2 φ = 2 cos2 φ − 1 für alle φ ∈ R und erhalten somit cos 2π = 2 cos2 3 cos 4π = 2 cos2 3 π − 1 = − 12 , sin 3 2π − 1 = − 21 , sin 3 9-6 2π 3 4π 3 √ = 2 sin π3 cos π3 = 12 3,√ = 2 sin 2π cos 2π = − 12 3 3 3 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 also sind unsere drei dritten Wurzeln von 1 wieder 1 1√ 1 1√ 3 und z = − − 3. z = 1, z = − + 2 2 2 2 Wir wollen hier nicht vollständig begründen, wie die obigen Werte sin φ und cos φ hergeleitet werden, aber wenigstens einige kleine Hinweise hierzu geben. Dabei sind die Fälle φ = 0, π, π/2 klar. Für die anderen Werte reicht es aus cos φ auszurechnen, da ja sin2 φ + cos2 φ = 1 und sin(π/k) ≥ 0 für k ∈ N gilt. Zunächst beachte das für jedes x ∈ R stets x x cos x = cos 2 · = 2 cos2 − 1, 2 2 also x 1 + cos x cos2 = . 2 2 Ist nun x ∈ R mit |x| ≤ π, so ist auch |x/2| ≤ π/2 also cos x ≥ 0 und r x 1 + cos x cos = . 2 2 Damit ist zum Beispiel π cos = 4 r 1 + cos π2 1√ 1 2. =√ = 2 2 2 Ebenso kann die Zeile zu π/6 aus der zu π/3 berechnet werden. Die Werte cos(π/3) und cos(π/5) können geometrisch, oder alternativ über die Additionstheoreme begründet werden, aber dies wollen wir hier nicht vorführen. Kommen wir wieder zu unseren komplexen Wurzeln zurück. Bis auf die endgültige Formel hängt unsere obige Berechnung der z ∈ C mit z 3 = 1 nicht von n = 3 ab, sondern läßt sich analog für jeden Exponenten durchführen. Für jede natürliche Zahl n ∈ N gibt es genau n komplexe Zahlen z ∈ C mit z n = 1, nämlich die Zahlen 2π 4π 2(n − 1)π e(0) = 1, e ,e ,...,e , n n n oder anders gesagt alle Zahlen der Form e(2πk/n) mit k = 0, 1, . . . , n − 1. Da die Winkel dieser Zahlen 0, 2π/n, . . . , 2(n − 1)π/n sind, bilden sie die Ecken eines in den Einheitskreis eingeschriebenen gleichmäßigen n-Ecks. Sind nun a ∈ C mit a 6= 0 und n ∈ N, so schreiben wir a = re(φ) mit r > 0 und −π < φ ≤ π, d.h. r, φ sind die √ n Polarkoordinaten von a. Dann ist r · e(φ/n) eine n-te Wurzel von a. Die anderen nten Wurzeln entstehen aus dieser durch Multiplikation mit den entsprechenden Wurzeln der Eins, sind also die komplexen Zahlen √ √ φ + 2πk φ 2πk n n ·e = r·e r·e n n n 9-7 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 mit k = 0, 1, . . . , n − 1. Damit bilden auch die n-ten Wurzeln von a die Ecken eines gleichseitigen n-Ecks, das aus dem n-Eck der Wurzeln von 1 durch eine Drehung und eine Streckung entsteht. Tatsächlich hat jede Gleichung z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0 = 0 über den komplexen Zahlen eine Lösung. Dies ist der sogenannte Fundamentalsatz der Algebra, dessen Beweis hier allerdings noch weit jenseits unserer Möglichkeiten liegt. Zum Abschluß dieses Abschnitts wollen wir nun noch einige einfache Konzepte und die mit ihnen verbundenen Rechenregeln besprechen. Definition 4.3: Sei z = x + iy ∈ C eine komplexe Zahl. Dann heißen p |z| := x2 + y 2 der Betrag von z und z := x − iy die zu z konjugiert komplexe Zahl. Dabei ist der Betrag |z| eine der beiden Polarkoordinaten, d.h. in dieser Notation sind die Polarkoordinaten von z die beiden reellen Zahlen |z| und arg z. Die konjugiert komplexe Zahl z einer komplexen Zahl z, ist uns bereits im vorigen Abschnitt bei der Berechnung der komplexen Zahl 1/z begegnet. Ist z eine reelle Zahl, also z = x, so ist √ 2 |z| = x = |x| der schon früher definierte Betrag der reellen Zahl z. Die Grundeigenschaften von Betrag und Konjugation werden im folgenden Satz zusammengefasst: Satz 4.2: Seien z, w ∈ C zwei komplexe Zahlen. (a) Es gelten z + w = z + w, zw = z · w und z = z. (b) Es gelten |z| = |z|, |z|2 = zz und ist z 6= 0, so ist auch 1/z = z/|z|2 . (c) Es gilt |zw| = |z| · |w|. (d) Es sind Re z = z−z z+z und Im z = 2 2i und | Re z| ≤ |z|, | Im z| ≤ |z|. (e) Es gilt |z + w| ≤ |z| + |w| (dies ist wieder die Dreiecksungleichung). (f ) Es gelten |z − w| ≥ |z| − |w| und |z| − |w| ≤ |z − w|. Beweis: Wir schreiben z = x + iy mit x, y ∈ R. (b) Zunächst haben wir p p |z| = |x − iy| = x2 + (−y)2 = x2 + y 2 = |z| 9-8 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Freitag 21.11 und zz = (x + iy) · (x − iy) = x2 − i2 y 2 = x2 + y 2 = |z|2 . Ist z 6= 0, so folgt aus zz = |z|2 > 0 auch 1/z = z/|z|2 . (c) Da |z| der Abstand von z zu Null ist, haben wir dies bereits bei der Diskussion der Polarkoordinaten festgehalten (Multiplikation komplexer Zahlen in Polarkoordinaten bedeutete Multiplikation der Längen und Addition der Winkel). (a) Die Gleichungen z + w = z + w und z = z sind klar. Ist z = 0 oder w = 0, so ist auch |zw| = 0 = |z| · |w|. Nun seien z, w 6= 0 beide nicht Null. Dann rechnen wir zw = |zw|2 |z|2 |w|2 |z|2 |w|2 = = · = z · w. zw zw z w (d) Die ersten beiden Aussagen sind wegen z + z = x + iy√+ x − p iy = 2x undz − z = 2 x + iy − x + iy = 2iy klar. Weiter ist auch | Re z| = |x| = x ≤ x2 + y 2 = |z|, und analog folgt auch | Im z| ≤ |z|. (e) Mit den bereits nachgewiesenen Eigenschaften ergibt sich |z+w|2 = (z+w)·(z + w) = (z+w)·(z+w) = zz+zw+zw+ww = zz+zw+zw+ww = |z|2 + 2 Re(zw) + |w|2 ≤ |z|2 + 2| Re(zw)| + |w|2 ≤ |z|2 + 2|zw| + |w|2 = |z|2 + 2|z| · |w| + |w|2 = |z|2 + 2|z| · |w| + |w|2 = (|z| + |w|)2 , also auch |z + w| ≤ |z| + |w|. (f ) Dies folgt mit (e) genau wie im Beweis von Satz 1. z+w w D z 0 An der komplexen Dreiecksungleichung können wir übrigens auch den Grund für ihren Namen ablesen. Die Summe z + w zweier komplexer Zahlen z, w ist die übliche Vektorsumme, kann also durch ein Parallelogramm wie im oben stehenden Bild realisiert werden. Bilden wir dann das untere Dreieck D, so hat die Seite von D in der Mitte des Parallelogramms die Länge |z + w|, die untere Seite von D hat die Länge |z| und die rechte Seite ist parallel zu w, hat also die Länge |w|. Die Dreiecksungleichung ist also die geometrische Aussage, dass die Länge jeder Seite eines Dreiecks kleiner oder gleich der Summe der Längen der beiden anderen Seiten ist. 9-9