10.11.2015 SFU Differentielle Psychologie Vortragende: MMag.a Dr.in Nina Petrik MMag. Dr. Nina Petrik Klinische und Gesundheitspsychologin, Arbeitspsychologin, Sportpsychologin Psychotherapeutin (in eigener Praxis & im Sanatorium Hera) Konzentrative Bewegungstherapie Hypnotherapie systemische Zusatzausbildungen Trauma-Ausbildung (Brainspotting, EMDR) Supervisorin (ÖVS) Ad hoc beeidete Gutachterin für das SMG (seit 2006) Verschiedene Lehrtätigkeiten (FH, Uni Wien, SFU) Sportpsychologin/Sportpsychotherapeutin Sportverein Marswiese Freischaffende Künstlerin (keramische Bildhauerei) 2 Prüfungsmodalitäten • • • • 3 Prüfungstermine Prüfungsrelevant ist das Skriptum & die Folien Die Prüfung besteht aus 4 Fragen. (Fragenkatalog) Bitte ganze Sätze (nicht nur Schlagworte!) • Anwesenheit bei der Vorlesung ist nicht Pflicht ABER: Es gibt in der Vorlesung Filme, Falldarstellungen, Raum für Diskussionen und Fragenstellen, die nicht in den Folien oder im Skriptum enthalten sind. 3 1 10.11.2015 Notenschlüssel Nicht Genügend Genügend Befriedigend Gut Sehr Gut 0 - 50% = Nicht Genügend 51- 65% = Genügend 66 - 80% = Befriedigend 81 - 90% = Gut 91 - 100% = Sehr Gut 4 Lernstoff Meine Vorlesung ist eine Auswahl von Themen aus dem weiten Feld der Persönlichkeitsforschung und Differentiellen Psychologie. Ich habe mir erlaubt, jene Schwerpunkte zu setzen, die ich für die Ausübung des Berufs „PsychotherapeutIn“ als wichtig erachte. Einiges wird Ihnen in anderen Vorlesungen unter anderen Gesichtspunkten wieder begegnen. Einiges habe ich gestrichen, da ich der Meinung bin, dass Sie sich das lieber von Experten in diesem Feld erzählen lassen sollten wie z.B. Fragebogenkonstruktion, Testtheorie, etc. Für alle, die mehr wollen, gibt’s ein Literaturverzeichnis 5 6 2 10.11.2015 Der Begriff „Persönlichkeit“ in der psychotherapeutischen Praxis 7 Bienenkorb 8 Definition von Psychotherapie im Psychotherapiegesetz §1: • "Psychotherapie ist eine Interaktion zwischen einem oder mehreren Patienten und einem oder mehreren Therapeuten (auf Grund einer standardisierten Ausbildung), zum Zwecke der Behandlung von Verhaltensstörungen oder Leidenszuständen (vorwiegend psychosozialer Verursachung) mit psychologischen Mitteln (oder vielleicht besser durch Kommunikation, vorwiegend verbal oder auch averbal), mit einer lehrbaren Technik, einem definierten Ziel und auf der Basis einer Theorie des normalen und abnormen Verhaltens.“ 9 3 10.11.2015 Definition von Psychotherapie im Psychotherapiegesetz §1: • "Die Ausübung der Psychotherapie im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die nach einer allgemeinen und besonderen Ausbildung erlernte, umfassende, bewusste und geplante Behandlung von psychosozial oder auch psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissenschaftlich-psychotherapeutischen Methoden in einer Interaktion zwischen einem oder mehreren Behandelten und einem oder mehreren Psychotherapeuten mit dem Ziel, bestehende Symptome zu mildern oder zu beseitigen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern und die Reifung, Entwicklung und Gesundheit des Behandelten zu fördern". 10 Definition von Psychotherapie im Psychotherapiegesetz §1: Ziele von PT Heilung von Krankheiten seelisches Wachstum (Entwicklungs-)Theorie von Gesundheit & Krankheit Methoden zur Herstellung von Gesundheit/Behandlung von Krankheit 11 Persönlichkeitsforschung als Schnittstelle von…. • • • • • Medizin/Biologie/Evolutionsforschung Psychologische Ansätze Soziologische und kulturtheoretische Ansätze Humanistische/philosophische/religiöse Ansätze Diagnostischer/statistischer/qualitativer und quantitativer Wissenschaft • …………… 12 4 10.11.2015 Klassische Fragen der Persönlichkeitsforschung: • Wie entwickelt sich Persönlichkeit? (Was ist die „Natur“ des Menschen?) • Wie definiert sich Persönlichkeit (Was gehört dazu, was nicht, gibt es eine genetische Basis,..) • Was ist eine Störung der Persönlichkeit? • Wie entsteht eine Störung in der Persönlichkeit? • Was ist ein behandlungswürdiger, krankheitswertiger Zustand in Bezug auf die Persönlichkeit? • (Gesellschaftspolitisch: Was wird überhaupt als „Störung“ definiert?) 13 ICD-10: F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen • • Dieser Abschnitt enthält eine Reihe von klinisch wichtigen, meist länger anhaltenden Zustandsbildern und Verhaltensmustern. Sie sind Ausdruck des charakteristischen, individuellen Lebensstils, des Verhältnisses zur eigenen Person und zu anderen Menschen. • Einige dieser Zustandsbilder und Verhaltensmuster entstehen als Folge konstitutioneller Faktoren und sozialer Erfahrungen schon früh im Verlauf der individuellen Entwicklung, während andere erst später im Leben erworben werden. • …. sind tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Sie verkörpern gegenüber der Mehrheit der betreffenden Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen. Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen. • • • Häufig gehen sie mit einem unterschiedlichen Ausmaß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher. 14 Psychodynamische Definition der Persönlichkeitsstörung (Ulrich Schultz-Venrath) • „Persönlichkeitsstörungen werden (…) inzwischen primär als Störungen des Erlebens und des Denkens über das Selbst und Andere definiert, mit unterschiedlich schwer gestörter Integration des Selbstkonzepts, des Selbstwerts und der Qualität der Selbst-Repräsentanz bei gleichzeitig vorliegenden interpersonellen Defiziten bezüglich Empathie, Intimität und der Integration der Repräsentanzen Anderer.“ (Schultz-Venrath, 2013, S. 17) 15 5 10.11.2015 Def.: Gesundheit (WHO) Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen. Gesundheit ist eine Voraussetzung dafür, dass der Mensch sein intellektuelles und emotionales Potenzial verwirklichen und seine Rolle in der Gesellschaft, in der Ausbildung und im Arbeitsleben finden und erfüllen kann. 16 Antonovskys Modell der Salutogenese • Resilienz • Kohärenzgefühl Das Gefühl der Verstehbarkeit. Das Gefühl der Handhabbarkeit. Das Gefühl der Sinnhaftigkeit. 17 Psychische Gesundheit (Hohl, 2000) • Psychische Gesundheit liegt in dem Maß vor, „indem es dem Ego gelingt, mit seinen widersprüchlichen Regungen im Alltag umzugehen und trotz dieser Widersprüche ein halbwegs zufriedenes Leben zu führen. 18 6 10.11.2015 „Normalität“ ????? Allport verlangte, dass der Begriff „Persönlichkeit“ individuelle Einzigartigkeiten beschreiben sollte, ohne eine Bewertung dieser Einzigartigkeiten zu implizieren (Beschreibung mittels ideographische Methoden) Anderer Ansatz = nomothetisch: Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Eigenschaften, in denen wir uns dahingehend unterscheiden, dass Menschen sie entweder mehr oder weniger haben. 19 Persönlichkeitsforschung • Laiendefinition /Alltagspsychologie /implizite Theorien/ intuitiv begründete Persönlichkeitstheorien • Wissenschaftliche Theorien die den Kriterien der Wissenschaftlichkeit genügen müssen, d.s. Objektivität, Validität, Reliabilität Eigenschafts-/Dispositionstheorien 20 Implizite Persönlichkeitstheorie .…ist eine intuitiv begründete Theorie über das menschliche Verhalten, die wir alle aufstellen, um uns selbst und andere Menschen besser zu verstehen. 21 7 10.11.2015 Problematik der Alltagspsychologie • Wissen basiert auf spontanen, zufälligen Beobachten • Spiegelt meist nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben der beobachteten Person wieder • Es erfolgt keine angemessene Überprüfung • Subjektivität! 22 Persönlichkeitsforschung • Laiendefinition /Alltagspsychologie /implizite Theorien/ intuitiv begründete Persönlichkeitstheorien • Wissenschaftliche Theorien die den Kriterien der Wissenschaftlichkeit genügen müssen, d.s. Objektivität, Validität, Reliabilität Eigenschafts-/Dispositionstheorien 23 Dispositionsbegriff Eine Disposition ist ein Merkmal einer Person, das eine mittelfristige zeitliche Stabilität aufweist. Eine Disposition lässt eine Person in bestimmten Situationen ein bestimmtes Verhalten zeigen. D.h. sie beschreiben Verhaltensregelmäßigkeiten (nicht Verhalten) Die Dispositionen einer Person müssen streng von ihrem Verhalten unterschieden werden. Sie sind nicht direkt beobachtbar (nur aus Verhaltensbeobachtungen erschließbar). 24 8 10.11.2015 Dispositionsbegriff „Freundlichkeit“ 25 Temperament und Charakter „Charakter“ • Prägestempel für Münzen, Prägevorgang • Charakter eines Menschen = seine individuelle Prägung aber auch seine moralische Ausrichtung. „Temperament“ • Mischungsverhältnis - Säftelehre • Heute: genetische Verankerung der Art und Weise, wie ein Lebewesen agiert und reagiert, also seinen Verhaltensstil. • setzt sich zusammen aus • • • • Emotionalen Reaktionen Motorischen Reaktionen aufmerksamkeitsbezogenen Reaktionen Selbstregulierung 27 Gordon Allport (1961) „Persönlichkeit ist die dynamische Ordnung derjenigen psycho-physischen Systeme im Individuum, die sein Verhalten und Denken determinieren“ 28 9 10.11.2015 Eysenck und Eysenck (1987) Persönlichkeit ist „die mehr oder weniger stabile und dauerhafte Organisation des Charakters, Temperaments, Intellekts und Körperbaus eines Menschen, die seine einzigartige Anpassung an die Umwelt bestimmt. – Der Charakter eines Menschen bezeichnet das mehr oder weniger stabile und dauerhafte System seines konativen Verhaltens (des Willens), – sein Temperament das mehr oder wenig stabile und dauerhafte System seines affektiven Verhaltens (der Emotion und des Gefühls), – sein Intellekt das mehr oder weniger stabile und dauerhafte System seines kognitiven Verhaltens (der Intelligenz), – sein Körperbau das mehr oder weniger stabile und dauerhafte System seiner physischen Gestalt und neuroendokrinen (hormonalen) Ausstattung“. 29 Pervin, Cervone und John (2005) „Bei Persönlichkeit geht es um jene Charakteristika oder Merkmale des Menschen, die konstante Muster des Fühlens, Denkens und Verhaltens ausmachen“. 30 John Maltby (2011) „Persönlichkeit (ist) ein psychologisches bzw. hypothetisches Konstrukt (= mentales Konzept), das das Verhalten auf dem Weg einer Psyche-KörperInteraktion beeinflusst.“ 31 10 10.11.2015 Definition „psychologisches Konstrukt“ beschreibt eine Idee, eine Annahme, die nicht direkt beobachtbar ist, aber von der angenommen wird, dass sie sichtbares = beobachtbares Verhalten beeinflussen und erklären kann. => BSP? • Damit dieses Konstrukt nicht nur eine zufällige „Erfindung“ des Beobachters ist, sondern tatsächlich Aussagekraft besitzt, muss es bestimmte Kriterien erfüllen: • Es muss reliabel (= zuverlässig bei Messwiederholung) und relativ zeitlich stabil sein. 32 Persönlichkeit – Identität Identität = lat. ideos • Ist ein Teilaspekt von Persönlichkeit (Schneider, 2009) • „die in sich und in der Zeit als beständig erlebte Person, das Selbst“ • „die in sich und in der Zeit als beständig erlebte Kontinuität und Gleichheit des Ichs.“ • „ist die Fähigkeit zu Selbstkonstanz“ • Ist ein soziologischer Begriff (braucht Bestätigung durch die Umwelt 33 Definition von Identität nach Hohl (2000) • Die Grenzerfahrung über Ich und Du • Das Gefühl von Kohärenz • Psychische Störungen treten auf, wenn diese beiden Aspekte durchlässig/brüchig sind 34 11 10.11.2015 Identität nach Erik Erickson „Das Grundgefühl der Ich-Identität ist […] das angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen der anderen hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität aufrechtzuerhalten“ 35 Identität/Selbst und die Neurowissenschaften „Wir sind mentale Selbstmodelle informationsverarbeitender Biosysteme… Werden wir nicht errechnet, so gibt es uns nicht.“ (Metzinger, 1999) 36 Ziele & Nutzen der Persönlichkeitsforschung 1. Erforschung der motivationalen Basis von Verhalten (Freier Wille? Natur des Menschen? ..) 2. Beschreibungen/Kategorisierungen der Art und Weise des Verhaltens von Individuen (Typen: Personalauswahl, Gutachten, Diagnostik,..) 3. Entwicklungstheorien, Vererbung/Genetik (Veränderbarkeit von Persönlichkeit, Heilung,…) 4. Therapeutische Interventionen (Techniken, Methoden,… zur Veränderung von Persönlichkeitseigenschaften) 37 12 10.11.2015 GESCHICHTE DER PERSÖNLICHKEITSFORSCHUNG 38 39 Vorläufer der Persönlichkeitspsychologie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Temperamentslehre von Hippokrates (460-370 v. Chr.) Aristoteles ( 384 – 322 v.Chr.) Theophrastus ( 371 – 287 v. Chr.) Epiktet (50 – 125 n Chr.) Temperamentslehre von Galen (129 -216 n. Chr.) Temperamentslehre von Immanuel Kant (1724-1804) Temperamentslehre von Wilhelm Wundt (1832-1920) Physiognomik Aristoteles (384-322 v Chr.), Pastor Johann Caspar Lavater und Wolfgang von Goethe (1741-1801) 9. Phrenologie Franz Joseph Gall (1758 – 1828) 10. Grafologie Jean Hippolyte Michan (1806 – 1881) 11. Konstitutionspsychologie Ernst Kretschmer (1888-1064) 12. Religion als Vorläufer der Persönlichkeitsforschung 40 13 10.11.2015 Temperamentslehre von Hippokrates (460 – 270 vor Christus) „Humoralpathologie“ • Ist medizinische Theorie zur Erklärung allgemeiner Körpervorgänge • als Krankheitskonzept entwickelt • Bliebt bis zum 19. Jahrhundert dominierend für die Naturwissenschaften und auch die damalige (westliche) Medizin blieb. 41 Aristoteles ( 384 – 322 v.Chr.) unterschied zum einen • die Verstandestugenden (Klugheit, Kunstfertigkeit, Vernunft, Weisheit, Wissenschaftlichkeit) und zum anderen • die Charaktertugenden (ethischen Tugenden) Betonte die Erziehung/Einübung der ethischen Tugenden zur Beherrschung der Triebe und Affekte Ziel der Erziehung: Vervollkommnung der menschlichen Natur gemäß ihren Anlagen und zum Zweck der Harmonie des Menschen mit sich selbst. 42 Theophrastus ( 371 – 287 v. Chr.) • War ein Schüler Aristoteles • beschrieb 30 verschiedene Persönlichkeitstypen: z.B. der Verlogene, der Skrupellose, der Dünkelhafte, der Geizige, der Redselige, der Nörgler, der Gefallsüchtige… 43 14 10.11.2015 Epiktet (50 – 125 n Chr.) “Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“ • War ein Visionär • Suchte Eigenschaften, die einem Menschen zu einem glücklichen Leben verhelfen. • War der erste Konstruktivist/Systemiker 44 Temperamentslehre von Galen (129 -216 n. Chr.) • Weiterentwicklung Hippokrates Lehre • Systematisierte die Hippokratische Säftelehre und verband diese mit den vier Lebensphasen und den vier Elementen. • Die Ausgewogenheit der Säfte entscheidet über ein gesundes Leben (=> Temperament) • Krankheit entstünde durch eine Störung dieser Ausgewogenheit und könne durch Diätik wieder hergestellt werden. • BIOLOGISCHE GRUNDLANGE der Persönlichkeit! 45 Temperamentslehre von Immanuel Kant (1724-1804) • Psychologische Temperamente 1. Temperamente des Gefühls 2. Temperamente der Tätigkeit • Weitere Unterteilung danach ob sie 3. mit einer Anspannung/Erregbarkeit der Lebenskraft 4. mit einer Abspannung/Erschlaffung der Lebenskraft verbunden sind • Konstruierte vier reine Temperamentstypen (schloss Mischtypen aus!) • Seine Einteilung ging in die Alltagspsychologie und Alltagssprache ein und ist heute noch zu finden. 46 15 10.11.2015 Temperamentslehre von Immanuel Kant (1724-1804) 47 Temperamentslehre von Wilhelm Wundt (1832 – 1920) bemerkenswert und heute immer noch gültig: • findet man in den heutigen Konzepten zu NEUROTIZISMIUS (~Emotionalität) und EXTRAVERSION wieder. • Die Abkehr von einer rein biologischen Begründung von Temperament. 48 Temperamentslehre von Wilhelm Wundt (1832 – 1920) 49 16 10.11.2015 „Am Kinn erkennt man den Mann!“ John Caspar Lavatar 50 John Caspar Lavatar (1741 – 1801) Begründer der „Physiognomik“: Der Charakter eines Menschen ist in seinem Äußeren erkennbar. 51 Franz Josef Gall (1758 – 1828) • Gehirn = Zentrum aller mentalen Funktionen • Menschlicher Schädel gibt Aufschluss über charakterliche Eigenschaften. • Studierte „Irrsinnige und Verbrecher“ Als jüngsthin Dr. Gall das hiesige Narrenhaus, Bisetre besuchte, begleitete ihn ein Wahnsinniger, bey dem er keine Kennzeichen des Wahnsinns weder in seinen Reden, noch an seinem Schädel entdecken konnte. Er sagte es ihm. Der Wahnsinnige antwortete: Wundern Sie sich nicht, daß sie an dem Kopfe, der jetzt auf meinen Schultern sitzt, keine Kennzeichen des Wahnsinns antreffen. Es ist ein fremder Kopf, den man mir aufgesetzt hat, nachdem der meinige in der Revolutionszeit durch die Guillotine abgeschlagen worden war.“ 52 17 10.11.2015 Die Konstitutionspsychologie Ernst Kretschmers (1888 - 1964) Leptosomer Typ (lepos =fein) Athletischer Typ (athletikos = zum Wettkampf geeignet) Pyknischer Typ (pyknisch =dicht, fest) Schizophrenie Epilepsie Depression-Manie Schizotyhmes Temperament Visköses Temperament Zyklothymes Temperament feinfühlig, empfindlich, eigenwillig, ungesellig und still gesellig, freundlich, heiter, gutherzig, gemütlich, humoristisch, lebhaft, hitzig, still ruhig und schwernehmend ruhig, ernsthaft, langsam und bedächtig, geringe Reizempfindlichkeit, eine starke Beharrungstendenz sowie schwer bewegliche Affektivität 53 Kritik und Vision Kritik: Kretschmer übersah die Alterskonfundierung Vision: Lenkte den Blick wieder mehr auf die Biologie (zur Zeit des Behaviorismus) Eröffnete neue Perspektive auf soziale Zusammenhänge und Erkrankung (z.B. Armut – Körpergewicht – Depression) 54 Religion als Vorläufer der Persönlichkeitsforschung • Christlich-jüdisch: Der Mensch wurde nach dem Ebenbild Gottes geschaffen und kämpft für das Gute und gegen das Böse. • Östliche Traditionen: Der menschliche Geist ist formbar => findet sich in den existenzialanalytischen Ansätzen wieder (Maslow, Jung, moderne Verhaltenstherapie, KBT, ..) • Darwinismus als „Bruch mit der Religion“ • Aktualität? – Homosexualität – Adoption – Abtreibung 55 18 10.11.2015 Die Persönlichkeitsforscher & kultureller Kontext • Theorien sind immer im kulturellen Kontext ihrer Entstehung zu verstehen. – Historischer-wirtschaftlicher-sozialer Kontext – Religiöser-sinnstiftender Kontext 56 Kulturelle Einflusse von Persönlichkeitstheorien • Auf die Wahl des Forschungsgegenstands • Auf die Forscher selbst • Auf die Interpretation der Ergebnisse • BSP Nisbett – Neuroplastizität: Wahrnehmungsexperiment mit japanischen und amerikanischen StudentInnen 57 Michigan Fish Test Betrachten Sie 5 Sek lang folgendes Bild 58 19 10.11.2015 NEUROPLASTIZITÄT „Culture can influence the development of perceptual learning because perception is not (as many assume) a passive, „bottom up“ process that begins when energy in the outside world strikes the sense receptors, then passes signals to the „higher“ perceptual centers in the brain. The perceiving brain is active and always adjusting itself.“ (Norman Didge, The Brain that Changes Itself, Penquin Verlag, 2007) 59 Prüfungsfragen: 1. Womit beschäftigt sich die Persönlichkeitsforschung? 2. Geben Sie zwei deutlich unterschiedliche Definitionen von Persönlichkeit und erklären Sie, worin sich diese unterscheiden? 3. Beschreiben Sie zwei historische Persönlichkeitsmodelle. 4. Erklären Sie die Temperamentslehre von Wundt und ihre moderne Interpretation im eigenschaftstheoretischen Modell. 5. Erklären Sie das Michigan Fish-Test und die daraus gewonnenen Erkenntnisse. 60 Persönlichkeitsentwicklung 61 20 10.11.2015 VERSCHIEDENE KONZEPTE DER (AKTUELLEN) PERSÖNLICHKEITSFORSCHUNG 62 ~ Ungefähre Entwicklung der Persönlichkeitstheorien Biologische PsychoTh. Neuro-Psychoanalyse, …. Psychodynamische Wende Humanistisches Modell Kognitive Wende Eigenschaftstheoretisches Modell Behavioristisches Modell Psychoanalytisches Modell Biologistische/religiöse Modelle 63 Psychoanalytische Persönlichkeitstheorie 64 21 10.11.2015 Sigmund Freud • Vordenker • Kam aus der Medizin (war Neurologe) und erkannte, dass viele Störungen kein „organisches“ Substrat haben • Untersuchte viele Einzelfälle und formulierte das Modell des psychischen Apparates – TOPOGRAPHISCHES MODELL: Bewusstes/Vorbewusstes/Unbewusstes – STRUKTURMODELL DER PSYCHE: ES/ICH/ÜBERICH 65 Motive • Motive steuern unbewusst unser Verhalten • Mensch ist nicht rational!! • Friedrich Herbart (1824): Stärkere und schwächere Gedächtnisinhalte • Topographisches Modell von Freud: Unterschiedlicher Grad an Bewusstheit psychischer Inhalte 66 Freud: Topographisches Modell Gedächtnisinhalte, die wir kennen und derer wir uns gewahr sind. Gedächtnisinhalte, derer wir uns im Augenblick nicht bewusst, die aber leicht abrufbar sind. Gedächtnisinhalte, auf die wir keinen Zugriff haben außer in Fehlleistungen und Träumen. 67 22 10.11.2015 Primärprozess Sekundärprozess Lustprinzip – Lustgewinn Realitätsprinzip Bildhafte Darstellung Logisches Denken, Kausalität Mehrdeutigkeit (Verdichtung) Eindeutigkeit, Widerspruchsfreiheit Entladung, Befriedigung Wissen um die externe Realität Kein Bezug zur Zeit Bewusstsein der Zeit Keine Verneinung Verneinung Worte als Ding Verbale Symbole Keine Verbindungen Verbindung mit anderen Ideen 68 Traum - Königsweg zum Unbewussten • manifester Trauminhalt (symbolisch und verschlüsselt/zensiert, um bedrohliche Inhalte vom Bewusstsein fernzuhalten) • latenter Trauminhalt (~„wahre Bedeutung“, durch Deutung erschlossen) 69 Was ist die Natur des Menschen? • Inspiriert aber auch frustriert von Darwin • Erforschung von Säuglingen • Grundlegende Triebenergie: LIBIDO Biologisches Erbe Grundlage jeden Verhaltens Durch Erziehung und Umwelt formbar 70 23 10.11.2015 Freud‘s Triebtheorie LIBIDO • Sexualtrieb • Selbsterhaltungstrieb THANATOS • Todestrieb • Zeitgeschichtlicher Bezug! 71 Freud‘s Strukturmodell 72 ES und der Bedürfnisaufschub • Bedürfnisaufschub gelingt durch Selbstkontrolle (Psychoregulation) • Bei Babies regiert das Lustprinzip (ES), sie müssen Bedürfnisaufschub lernen, damit sie ihre Bedürfnisse sozial erwünscht befriedigen können. • Sie lernen das ICH zu entwickeln. 73 24 10.11.2015 ICH und das Realitätsprinzip • • • • • Vermittler zwischen ES und ÜBERICH ist planend, denkend, organisierend Überprüfungs- und Entscheidungsinstanz Arbeiten nach dem Realitätsprinzip Zeigt sekundärhaftes Denken 74 ÜBER-ICH • • • • Unser Gewissen Internalisierte Gebote und Verbote Hilft dem Ich Triebimpulse aus dem Es abzuwehren. Reife Persönlichkeit: Ich und Überich sind auf der gleichen Stufe. 75 Intrapsychischer Konflikt und seine Abwehr • Intrapsychische Strukturen stehen in Konflikt zueinander • Angst => neurotische Symptome • Abwehrmechanismen des Ichs – entstehen im Laufe der Entwicklung – Anpassung an Realität – Verarbeitung von Angst – Selbsterhaltung 76 25 10.11.2015 Anspruch: • Psychoanalyse ist eine Theorie über die gesunde und pathogene psychische Entwicklung des Menschen • Ist eine Entwicklungspsychologie • Ausgangspunkt für Freud‘s Forschung = erwachsene Patienten und seine in der Analyse konstruierte Vergangenheit. • Das daraus entstandene Modell der psychischen Entwicklung des Menschen ist heute in dieser Form nicht mehr gültig. 77 Freud‘s Entwicklungstheorie (nicht prüfungsrelevant!!) 78 Orale Phase (bis 1. Lj) • Lustgefühl durch Körperkontakt, Nahrungsaufnahme • Mutter ermöglich Lustbefriedigung => wird Libidinös besetzt • Sichere Bedürfnisbefriedigung führt zu sicherer Bindung • Zuviel/zuwenig führt zu Fixierung – oral-rezeptiver Charakter: Nägelkauen, Rauchen,… – oral-aggressiver Charakter: ausbeuterisch, sadistisch 79 26 10.11.2015 ANALE PHASE (1 - 3 Jahre) • Kontrolle der Ausscheidung ~ Lustgefühl • Problematische Entwicklung: – Anal-retentive Persönlichkeit: ordentlich, geizig, stur, sammeln gerne, haben einen sehr großen Bedürfnisaufschub, – Anal-explosive Persönlichkeit: diese Menschen lassen sich nicht kontrollieren, haben Probleme mit Autorität, sind unordentlich, unorganisiert, sorgen sich nicht um Regeln. 80 PHALLISCHE PHASE (3 – 5 Jahre) • • • • Libidinöse Energie verlagert sich auf den Genitalbereich Penisneid & Kastrationsangst Buben: Ödipuskomplex (innerer Vater wird zum Überich) Mädchen: haben keinen Ödipuskomplex, daher auch ein schwächeres Ich (??) => Fixierungen führen z.B. zu Homosexualität ?? 81 LATENZPHASE (5 – 12 Jahre) • Die Energie des Kindes geht in das Erlernen der sozialen Regeln. In dieser Phase entwickeln sich die Abwehrmechanismen. 82 27 10.11.2015 GENITALE PHASE (12 – 18 Jahre oder später) • Wiedererweckung der Libido • Befriedigung wird bei Sexualpartnern gesucht 83 Abwehrmechanismen (ab jetzt wieder prüfungsrelevant!!) • • • Ich-Funktionen Es gibt reifere und unreifere Grundlage der Fähigkeit zur Selbststeuerung 84 Einige Abwehrmechanismen (der Rest im Skript) 1. Verdrängung: unerwünschte „Es“-Impulse, die ein Gefühl von Schuld, Scham oder das Herabsetzen des Selbstwertgefühls hervorrufen, werden durch „Ich“ und „Über-Ich“ in das Unbewusste verdrängt. Von dort aus können sie allerdings in Träumen, Fehlleistungen und Ersatzhandlungen wieder zutage treten 85 28 10.11.2015 Einige Abwehrmechanismen (der Rest im Skript) 2. Reaktionsbildung: Gefühle oder Motive werden durch entgegengesetzte Gefühle/Motive niedergehalten. 3. Regression: überwiegend unbewusster Rückzug auf eine frühere Entwicklungsstufe der „Ich“-Funktionen (Trotzverhalten, Fresslust, Suche nach Versorgung). 4. Vermeidung: Triebregungen werden umgangen, indem Schlüsselreize vermieden werden. 86 Einige Abwehrmechanismen (der Rest im Skript) 5. Verleugnung: ein äußerer Realitätsausschnitt verleugnet d.h. in seiner Bedeutung nicht anerkannt. ( z.B. komplexe Trauer) 6. Verschiebung: Phantasien und Impulse werden von einer Person, der sie ursprünglich gelten, auf eine Andere verschoben, so dass die ursprünglich gemeinte Person unberührt bleibt. 7. Projektion: Eigene psychische Inhalte und Selbstanteile werden anderen Personen zugeschrieben. 87 Einige Abwehrmechanismen (der Rest im Skript) 8. Intellektualisierung: Entfernung vom unmittelbaren, konfliktauslösen Erleben durch Abstraktionsbildung und theoretisches Analysieren n. 9. Rationalisierung: Rational-logische Handlungsmotive werden als alleinige Beweggründe für Handlungen angegeben oder vorgeschoben. Gefühlshafte Anteile an Entscheidungen werden ignoriert oder unterbewertet. 8. Sublimierung oder Sublimation: Nicht erfüllte Triebwünsche werden durch gesellschaftlich höher bewertete Ersatzhandlungen ersetzt und damit befriedigt (Kunst, Wissenschaft, Musik, Sport, exzessive Arbeit).. 88 29 10.11.2015 Behandlungsmethode: Freie Assoziation Drei zentrale Annahmen 1. Die von den Klienten frei geäußerten Gedanken leiten den Psychoanalytiker zum Unbewussten. 2. Das Setting „Psychoanalyse“ würde den Klienten in Richtung bedeutsamer Inhalte lenken. 3. Widerstand dient dazu, die vom Analytiker offen gelegten Aspekte der Psyche, abzuwehren (ist kein Abwehrmechanismus im Freud‘schen Sinn). 89 Übertragung und Gegenübertragung Übertragung • Der Klient überträgt die durch andere Personen ausgelösten Gefühle auf den Therapeuten. Gegenübertragung • Der Analytiker reagiert seinerseits auf den Klienten. • Ist ein wichtiges Instrument in der Therapie, das hilft, den Klienten besser zu verstehen. 90 Trotz Kritik ein Visionär! • Freud legte den Grundstein für ein humanere Behandlung von Patienten • Viele seiner Theorie wurden zu der heute modernen psychodynamischen Therapie weiterentwickelt (KBT; Individualpsychologie, KIP, Hypnose, Autogenes Training, Körperpsychotherapie,..) • Freud war sehr herrschsüchtig und unnachgiebig • überwarf sich mit seinen Schülern Adler und Jung. 91 30 10.11.2015 Alfred Adler Individualpsychologie • Positive Sicht auf den Menschen führte zum Zerwürfnis mit Freud. • Keine internen Konflikte zwischen Strukturen • Persönlichkeit = Einheit, Mensch strebt nach innerer Konsistenz • Umwelt hat entscheidende Auswirkungen darauf, zu welcher Persönlichkeit wir werden. 92 Kausalität und Finalität – Was ist die Ursache des störenden Verhaltens? (kausale Betrachtung) – Was ist der Zweck des störenden Verhaltens? (finale Betrachtung) Verhalten ist auf ein Ziel hin ausgerichtet (teleologisch) Wer menschliches Verhalten verstehen will, muss nach seinem Ziel und Zweck fragen. 93 „Minderwertigkeitskomplex“ • „biologische Minderwertigkeiten“ (Darwin) • später „psychologische Minderwertigkeiten“ Zwei Möglichkeiten des Ausgleichs 1. Vertikal durch Machtstreben/Kompensation 2. Horizontal durch Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls 94 31 10.11.2015 Minderwertigkeitskomplex & Machtstreben • Aufgrund der erlebten Minderwertigkeit entsteht der Versuch der Kompensation mit dem Ziel Anerkennung und Geltung zu bekommen • Vom Kind angewendeten Verhaltensmuster formen seine Leitlinie, seinen unbewussten Lebensplan • Umso stärker das Minderwertigkeitsgefühl, desto „tyrannischer“ und zwanghafter die Leitlinien. • Leitlinie ist die „verfehlte Antwort“ auf die obj. Minderwertigkeit aber auch der Motor für Entwicklung 95 Psychotherapie Die Aufgabe des Menschen (und damit auch der Erziehung sowie der psychotherapeutischen Arbeit) ist es nun, das vertikale Streben bewusst abzubauen zugunsten der Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls (horizontales Streben). => Entscheidend ist die Haltung (der Eltern) gegenüber der Minderwertigkeiten 96 Differenzierung 1. objektive Minderwertigkeit (objektive Tatsache) 2. Minderwertigkeitsgefühl (subjektives Empfinden) 3. Minderwertigkeitskomplex (Neurose) 97 32 10.11.2015 Neurosen nach Adler • Vertikales Streben ist stark ausgeprägt • Übersteigerte Sicherungstendenz • Beziehungen werden nach ihrem Nutzen beurteilt, es geht um Selbsterhöhung • Jeder Mensch hat neurotische Anteile, jeder Mensch zeigt Verhalten das kompensatorischer Natur ist 98 Zusammenhang zwischen horizontalem und vertikalem Streben Vertikale Linie: Horizontale Linie: Machtstreben Liebesmöglichkeit Minderwertigkeitsgefühl Selbstwertgefühl Geltungsstreben Sachbezogenheit Sicherungstendenz, Absicherung Risikobereitschaft Angst Sicherheit Selbst-Ablehnung Selbst-Annahme Eigenliebe, Selbsthass Selbstliebe Verschlossenheit Offenheit Maske, Rolle Echtheit Misstrauen Vertrauen Zwanghaftigkeit Freiheit Heteronomie (wichtig ist, Autonomie (Eigenständigkeit) was man tut) 1. 2. 3. 4. 5. 6. Begriffe in derselben Kolonne verhalten sich zueinander proportional. Begriffe der linken Kolonne verhalten sich zu denen in der rechten Kolonne umgekehrt proportional (komplementär). Die einzelnen Begriffe können zueinander beliebig proportional oder komplementär in Beziehung gesetzt werden. Beide Seiten gehören zum Menschen. Psychische Gesundheit ist demgemäß etwas Relatives Wie groß jeweils die Anteile der beiden Seiten sind, hängt ab von a. der generellen psychischen Gesundheit des Individuums b. der jeweiligen Situation Entspricht der Modalität Entspricht der Modalität ,Sein’ ,Haben’ 99 3 Lebensaufgaben nach Adler 1. das Sich-Bewähren in der Gemeinschaft/Gesellschaft 2. das Sich-Bewähren in der Ehe (auf Wahl beruhende Partnerbeziehung, erotische Liebe, Sexualität) 3. das Sich-Bewähren im Beruf ( als Beitrag zur gemeinschaftliche Bedürfnisbefriedigung) 100 33 10.11.2015 Entwicklungs-/Therapieziele • die Aufgabe des Menschen ist, in sich das Gemeinschaftsgefühl und all jene Haltungen und Verhaltensmöglichkeiten auszubilden, die oben unter der „Modalität Sein“ zusammengefasst wurden. • Dabei muss ihm bewusst bleiben, dass auch das Schattenhafte (vertikales Streben, Kompensation, HabenModalität) ein Teil seines Wesens ist. • Sich selbst akzeptieren bedeutet somit, auch diese belastenden Seiten der Persönlichkeit anzunehmen, ohne die ständige Arbeit daran aus dem Auge zu verlieren = Gelassenheit 101 Behandlung Der Therapeut 1. versucht, den einzigartigen Lebensstil des Klienten zu verstehen über – frühen (reale und eingebildete) Kindheitserfahrungen – Analyse der Stellung in der Geschwisterreihe – körperlichen und seelischen Störungen in der Kindheit – Träume (= Hinweise auf persönliche Ziele). – Kenntnis des, das Problem verursachenden, Auslösers 2. ermöglicht es dem Klienten, seinen Lebensstil mit all den darin enthaltenen „Fehler“ zu verstehen und aufzugeben. (Intuition und Empathie!!) 3. Die therapeutische Beziehung dient als Modell für das Lernen des Gemeinschaftsgefühls. 102 Carl Gustav Jung • Überwarf sich mit Freud (Ödipuskomplex und psychosexuelle Entwicklung) • LIBIDO ist mehr als bloße Sexualenergie „Prinzip der Gegensätze“ • Polaritäten sind Energie-Geber, da sie zum Ausgleich anregen. • sie führen zu Ausgleichsprozessen • Polaritäten sind beliebig mit Inhalt zu füllen 103 34 10.11.2015 Lebenslange Entwicklung des Menschen • Ziel ist die Selbstverwirklichung – Der Mensch möchte sein Potenzial verwirklichen und lernen, sich selbst zu akzeptieren. – Abgespaltene Persönlichkeitsanteile werden in das Selbst integriert. – Mit dem Gefühl der Akzeptanz von sich selbst und dem Wissen, seinen Frieden mit sich gemacht zu haben, ist die Entwicklung abgeschlossen. 104 „Prinzip der Äquivalenz“ Die erhöhte Aktivität in einem Bereich, bewirkt die verminderte Aktivität in einem anderen Unsere Psyche strebt nach Ausgewogenheit 105 Jung‘s Strukturmodell Ich (Selbst) Bewusstes Persönliches Unbewusstes Kollektives Unbewusstes Archetypen 106 35 10.11.2015 ICH • Ist die vereinigte Kraft in der Psyche, im Zentrum des Bewusstseins (später auch „Selbst“ genannt). • enthält alle bewussten Gedanken und Gefühle in Bezug auf unser Verhalten, Gefühle sowie Erinnerungen. Ich (Selbst) Bewusstes • vermittelt uns das Gefühl von Identität (über die Zeit). Damit ist Jung ein Vordenker gewesen. Heute werden Identitätskonzepte auch in Hinblick auf ihre Veränderbarkeit diskutiert. 107 Das PERSÖNLICH UNBEWUSSTE • alle persönlichen Erfahrungen, die aus dem Bewusstsein hinausgedrängt wurden, da sie auf irgendeine Weise inakzeptabel sind. Ich (Selbst) Bewusstes Persönliches Unbewusstes • ~ entspricht Freud‘s Begriff des „Unbewussten“ 108 Das KOLLEKTIVE UNBEWUSSTE Ich (Selbst) Bewusstes • Ursprung in der menschlichen Entwicklungsgeschichte • ist angeboren • ist der Hort der Instinkte und der Archetypen Persönliches Unbewusstes Kollektives Unbewusstes Archetypen 109 36 10.11.2015 Die ARCHETPYEN Archetypen sind universelle Urbilder oder Symbole, die sich innerhalb des kollektiven Unbewussten in der Psyche befinden und unter bestimmten Bedingungen auf unsere bewusste Erfahrung projiziert werden können. 110 Beispiele für Archetypen 1. Persona • Maske, Rolle => soziale Integration =>adaptive Funktion/Stereotyp 2. Schatten • Dunkle Seite, besteht aus verdrängten Inhalten, Urbilder des Bösen, macht Angst 3. Anima • Das weibliche Element, Prototyp „Mutter“, Emotionalität, Empfindsamkeit, Launenhaftigkeit, Irrationalität. 4. Animus • Das männliche Element, Vernunft, Logik, geringe soziale Sensibilität,.. 5. Selbst • Das Potenzial, innewohnende Einzigartigkeit,.. 111 Selbst und Selbstverwirklichung • Nach Jung erst in einem späteren Lebensalter verwirklichbar • Menschen gehen ihre Selbstverwirklichung je nach Lebensgeschichte sehr unterschiedlich an 112 37 10.11.2015 Jung‘s Typologie • Jungs Persönlichkeitstypen 2 Grundhaltungen (Intro/Extraversion) 4 Funktionen (Empfinden, Denken, Fühlen Intuition) „Empfinden ist das Gefühl, dass etwa existiert, das Denken teilt mit, was es ist, das Fühlen weiß, ob es angenehm ist oder nicht und die Intuition vermittelt, woher es kommt und wohin es geht.“ 113 16 Persönlichkeitstypen 114 Jungs Störungskonzept • Psychische Störung ist ein Ungleichgewicht • Ist das Ergebnis einer einseitige Entwicklung Behandlung: • Traumanalyse (archetypische und Alltagsträume) • Wortassoziationen • Maltherapie (Jung = Erfinder der Kunsttherapie!!) 115 38 10.11.2015 4 Phasen einer Therapie 1. Eingeständnis (dass der Klient ein Problem hat) 2. Darlegung (gemeinsam mit dem Therapeuten entwickelt er ein Verständnis seines Problems) 3. Aufklärung (der Therapeut erklärt ihm die Natur seines Problems und entwickelt Perspektiven) 4. Transformation (der Klient stellt ein Gleichgewicht zwischen den gegensätzlichen Kräften seiner Psyche her und kann Selbstverwirklichung erreichen). 116 Kritik • Jung hat seine Ideen nur spärlich ausgearbeitet • Vieles konnte nicht evaluiert werden Wegweisend: • Jungs Konzept der Introversion und Extraversion • Wurde von Eysenck und Eysenck übernommen und hat heute noch Gültigkeit 117 Prüfungsfragen: 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. Beschreiben Sie Freuds Persönlichkeitsmodell. Beschreiben Sie das topographische Modell von Freud. Beschreiben Sie das Strukturmodell von Freud. Beschreiben Sie drei Abwehrmechanismen Ihrer Wahl. Erklären Sie den Primär- und den Sekundärprozess. Erklären Sie Übertragung und Gegenübertragung. Erklären Sie den Begriff „Finalität“ nach Adler mit einem Beispiel. Erklären Sie die Begriffe „objektive Minderwertigkeit“, „Minderwertigkeitsgefühl“ und „Minderwertigkeitskomplex“ nach Adler. Was meinte Adler mit vertikalem und horizontalem Streben und wie stehen die beiden in Verbindung (nennen Sie zumindest 3 Regeln)? Erklären Sie das Strukturmodell von Jung. Erklären Sie, was Jung mit Archetypen meint und nennen Sie drei Beispiele. Erklären Sie die Typologie nach C.G.Jung. 118 39 10.11.2015 WEITERENTWICKLUNG DER ANALYTISCHEN THEORIE 119 PSYCHODYNAMIK & STRUKTURBEZOGENE PSYCHOTHERAPIE 120 Psychodynamische Entwicklungstheorie der Persönlichkeit • Im Fokus steht die Struktur des Selbst und ihre Beziehung zu den Objekten • Therapiegegenstand: die (eingeschränkt) verfügbaren strukturellen Funktionen. • Ursprung: Säuglingsforschung bzw. Bindungsforschung • OPD-2 - Diagnostik 121 40 10.11.2015 Bindungsforschung • Aufbau der inneren Erfahrungsstruktur beim Kind • Beziehungsbereitschaften beim Erwachsenen • Voraussetzung für Beziehungsbereitschaft: Affektregulierung Mentalisierungsfähigkeit (=> zentral für soziales Funktionieren&Überleben) Ausgestaltung der Selbststruktur (=> selbstreflexives Verhalten) 122 Bindungserfahrungen 1. Sicher gebunden 2. Unsicher gebunden (unsicher-vermeidend; unsicherambivalent) 3. Desorganisiert gebunden 123 Definition „Affectmirroring“ • Die Gefühlsäußerungen des Säuglings werden durch die Mutter gespiegelt und vom Kind wieder aufgenommen. • Diese gespiegelten Affekte werden zur Grundlage des emotionalen Selbstverständnisses (der Affektregulierung) des Säuglings. • Sukzessiver Aufbau von Selbstwirksamkeit und Beziehungsregulierung • VIDEO 124 41 10.11.2015 Vier zentrale Entwicklungsthemen • 0-4 Monate: Entwicklung des Systems der Nähe und Kommunikation • 4 Monate – Ende 2. Lebensjahr: Entwicklung des Bindungssystems • 3.-4. Lebensjahr: Entwicklung des Autonomiesystems • 4.-6. Lebensjahr: Entwicklung des Identitätssystems 125 0-4 Monate: Entwicklung des Systems der Nähe und Kommunikation Erfahrungen des Kindes mit seinen Objekten • Die vom Kind geäußerten Emotionen werden von ausreichend feinfühligen Objekten adäquat beantwortet durch Füttern, Versorgen, Tragen, Ansprechen…. • Basale Erfahrung der gelungene Emotionsregulierung durch die Objekte als Voraussetzung für spätere Selbstregulierung. • Betreuungsperson regt Kind zu gemeinsamer Aufmerksamkeit an und schafft gemeinsame Erfahrung des In-Kontakt-Seins • Es bildet sich zwischen den Interaktionspartnern eine frühe Form des Dialogs aus (Spiel) • Beziehungsregulation des Kindes durch Kontaktaufnahme oder Abwenden Reifende strukturelle Fähigkeiten • Basale Erfahrung des angemessenen Versorgtwerdens als Voraussetzung für die spätere Internalisierung guter Objekte • Das Kind lässt sich von anwesenden Objekten anregen und richtet seine emotionale Aufmerksamkeit auf sie • Fähigkeit des Sich-Ausrichten-Können auf Andere (Intentionalität) • Fähigkeit zur gemeinsamen Aufmerksamkeit, Fähigkeit des Naheseins • Fähigkeit sich in einen Dialog einschwingen zu können und dialogisch reziprok zu handeln, Fähigkeit des präverbalen emotionalen Austauschs. • Fähigkeit zur Nähe-Distanz-Regulierung 126 4 Monate – Ende 2. Lebensjahr: Entwicklung des Bindungssystems Erfahrungen des Kindes mit seinen Objekten • Durch vermehrte Interaktionserfahrungen lernt das Kind zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden • Einüben der emotionalen Beziehung zu den wichtigsten Objekten, intensivere Emotionsäußerungen werden an bestimmte Objekte gerichtet und durch sie mehr oder weniger befriedigend beantwortet • Das Kind lernt mehr und mehr seine Emotionsäußerungen auf die vom Objekt vorgegebenen Themen zu richten • Versorgende und spielerische Interaktion mit dem wichtigen Objekt belebt die Erfahrung des eigenen Körpers Reifende strukturelle Fähigkeiten • Fähigkeit zur Selbst-Objekt-Differenzierung • Fähigkeit zur Internalisierung von Erfahrungen • Aus Beziehungserfahrungen entsteht die Fähigkeit zur Selbstberuhigung und Selbstfürsorge • Aus der Erfahrung gemeinsamer Regulierung von Unlustaffekten entsteht die Fähigkeit Situationen emotional zu bewerten und die Affekte eigenständig zu regulieren • Aus der Erfahrung des emotionalen Gehalten- und Verstandenwerdens resultiert die Fähigkeit zur Introspektion und die Fähigkeit Körpervorgänge emotional zu verstehen. • Basale Erfahrung des sich Ausdrückens und Sich – Mitteilen-Könnens , • Fähigkeit sich emotional berühren zu lassen und in emotionalen/verbalen Austausch zu treten (Wir)) • Beginnende Selbstreflexion von innerer Realität • Fähigkeit, Körpererleben mit Emotionen zu verknüpfen, Lebendiges Körperselbst. 127 42 10.11.2015 3.-4. Lebensjahr: Entwicklung des Autonomiesystems Erfahrungen des Kindes mit seinen Objekten • Zunehmende Verinnerlichung der Beziehungserfahrungen macht unabhängiger von der realen Anwesenheit der Objekte. • Das Selbst erprobt die Durchsetzung eigener Impulse gegen Widerstand der Objektwelt und erlebt dabei heftige Emotionen • Bei der Regulierung eigener Handlungsimpulse und Bedürfnisse werden soziale Erwartungen und Einschränkungen berücksichtigt • Regulierung der eigenen Impulswelt und Binnenwahrnehmung erfolgt mehr und mehr unter Zuhilfenahme von Abwehrvorgängen • Vorhersehbarkeit von Ereignissen und sozialen Situationen wird besser • Bewertung durch andere findet ihren Niederschlag in der Selbstbewertung • Kind lernt die Perspektive anderer zu übernehmen • Affektäußerungen der Objekte können immer besser entschlüsselt werden Reifende strukturelle Fähigkeiten • Fähigkeit über ein abgegrenztes autonomes Selbst zu verfügen • Fähigkeit zu gezieltem Einsatz von Affektäußerungen und zur Affektregulierung • Fähigkeit zur Impulssteuerung unter Berücksichtigung sozialer Normen • Fähigkeit zur Verwendung von flexiblen und leistungsfähigen Abwehrmustern • Fähigkeit zur Antizipation • Fähigkeit zur Selbstwertregulierung • Fähigkeit zur Empathie • Fähigkeit zum Verständnis fremder Affekte 128 4.-6. Lebensjahr: Entwicklung des Identitätssystems Erfahrungen des Kindes mit seinen Objekten • Realitätsangemessene Selbst und Objektwahrnehmung und die Berücksichtigung der sozialen Realität werden möglich • Begrenzungen und Widersprüche aber auch Kohärenz werden deutlich • Bedeutsame Themen wie Beruft, Tod Liebe und Sexualität werden kognitiv und emotional aufgegriffen. • Zu unterschiedlichen Objekten werden unterschiedliche Beziehungen hergestellt • Fähigkeit Begrenzungen zu erleben und das Sein oder Nicht-Sein des Selbst und der Objekte zu denken, erlaubt es, den psychischen Vorgang des Abschieds und Trauerns zu vollziehen • Fähigkeit, sich zielgerichtet adaptiv zu verhalten, schließt die Fähigkeit, eigene Impulse zurück zu stellen, eigene Affekte zu modifizieren bis hin zu der Fähigkeit, sich zu verstellen, eine Rolle zu spielen. Reifende strukturelle Fähigkeiten • Fähigkeit zu ganzheitlicher Objektwahrnehmung • Fähigkeit ein realistisches Selbstbild und lebendiges Körperbild zu gewinnen • Fähigkeit zum Erleben von Identität • Fähigkeit zur Orientierung in der Welt. • Fähigkeit variable Bindungen aufzubauen • Fähigkeit zur Loslösung von den Objekten • • Fähigkeit zur Rollenübernahme 129 Voraussetzungen für den Aufbau von Struktur die Regulation von kindlichen Bedürfnissen und Emotionen und den Aufbau der Selbstregulierung durch die primäre Bezugsperson – Fähigkeit, die Körpersprache des Kindes und seinen emotionalen Ausdruck zu verstehen – Fähigkeit, sich dem Kind altersadäquat zuzuwenden – Fähigkeit, für das Kind instinktiv unbewusst verfügbar zu sein – Fähigkeit, das Kind innerlich dauerhaft und situativ vorauslaufend zu repräsentieren (Antizipation). 130 43 10.11.2015 Aufgaben struktureller Funktionen • differenzieren – indem sie die Ganzheit auf Unterschiedlichkeit hin kognitiv untersuchen – Affektdifferenzierung, Selbst-Objekt-Differenzierung, variable Bindungen, Loslösung,.. • integrieren – in dem sie Teilaspekte zu jeweils neuen Gesamtgefügen verknüpfen, dadurch Kohärenz und Sinnstrukturen schafften – ganzheitliche Objektwahrnehmung, Gewinnung von Selbstbildung, Identität, Internalisierung von Beziehungserfahrungen,.. • regulieren – in dem sie ein Systemgleichgewicht herstellen oder wiederherstellen – z.B. Selbstwertregulierung, Impulssteuerung, Affekttoleranz • Die strukturelle Entwicklung betrifft stets das reifende Selbst und die sich differenzierenden Beziehungen. 131 Pathologien aus psychodynamischer Sicht Unter dem Einfluss überflutender Belastungserfahrungen wird die Entwicklung der reifenden strukturellen Fähigkeiten beeinträchtigt. Störungen sind: • • • • Vorgeburtliche & genetische Einflüsse Belastungen und Traumatisierungen (Übergriffe, Hospitalisierung,..) Defizitäre Lernerfahrungen (destabilisierte und unstrukturierte Familien,..) Fehlende Befriedigung basaler Bedürfnisse (Möglichkeiten zur Tröstung, der Erfahrung von Beruhigung, Zärtlichkeit, Sicherheit) !!! Eine Störung reicht nicht aus, es geht um Dauerkrisen!! 132 Pathologien aus psychodynamischer Sicht BSP: Fähigkeit sich Ausdrücken zu können und dabei ein wichtiges Objekt zu erreichen (Selbstwirksamkeit und Beziehungsregulierung ) – Depression: Gewissheit (~ Gefühl der Selbstwirksamkeit) ging verloren – Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben diese Gewissheit nie besessen! 133 44 10.11.2015 EMOTIONEN UND IHR BEZUG ZUR STRUKTUR 134 Emotionen ? Emotions are variously defined as changes in arousal, as innate neural programmes, as responses to discrepancy, as social construction, as cognitive schemata or prototypes, as action tendencies, as interrupt mechanisms, as epiphenomena, etc.” Scherer (1993) 135 Emotion und Persönlichkeit? Emotionen als zentrales Subsystem der Persönlichkeit haben 2 Dimensionen: 1. Erleben (Qualität & Quantität) von negativen und positiven Emotionen 2. Ausdruck & Regulation 136 45 10.11.2015 Emotionen • Sind Reaktionsmuster, die durch die Wahrnehmung spezifischer, für die Adaptation bedeutsamer Reize ausgelöst und subjektiv als Gefühl erlebt werden • Werden begleitet von: – Physiologischen Prozessen (Descartes, Satre) – Ausdrucksbewegungen (Kommunikation) – Handlungsimpulsen • Sind an einen Auslöser gebunden • sind ein nach innen und außen gleichermaßen bedeutsames körperliches und psychische Phänomen 137 Physiologische Seite von Emotionen „Man muss wissen, dass die Seele tatsächlich mit dem ganzen Körper verbunden ist und dass man genau genommen nicht sagen kann, sie sei in bestimmten Teilen des Körpers mit Ausschluss der anderen.“ (Descartes, 1649) „Es gibt nichts hinter dem Leib, sondern der Leib ist ganz und gar seelisch…. Der Leib ist Für-sich-sein, ebenso wie Für-andere-sein“ (Satre, 1943) 138 Physiologische Seite von Emotionen • Aktivierung zentralnervöser Zentren • Vegetative Körperreaktionen • Motorische Muster der Skelettmuskulatur (Körperhaltung) • Innervation der mimischen Muskulatur in typischen Mustern Ekmann => action units • Kulturübergreifend • Primäre Affekte: sind Glück, Überraschung, Trauer, Wut, Ekel, Angst 139 46 10.11.2015 Mimische und körperliche Ausdrucksfunktion • Überwiegend unbewusst • Emotionaler Zustand wird kommuniziert (> Darwin) • Muss sich nicht unbedingt mit dem erlebten Gefühl decken • Signal-/Appellfunktion • Basis für Versprachlichung • Kann bewusst manipuliert werden 140 Psychologische Aspekte von Emotionen • Empathie und Mentalisierung • Situationsverständnis & inhaltliche Ausrichtung bei Gesprächen • Denken und Emotionen beeinflussen sich gegenseitig (Emotion gibt dem Denken Ziel und Richtung) 141 Emotionale Entwicklung und Struktur Die Versagung von frühen Bedürfnissen führt zu mehr körpernahmen Emotionen (und zu strukturellen Störungen). – Grundbedürfnis der Beziehung und Kommunikation • Befriedigung: spielerische Lebendigkeit • Entbehrung: Leere, Erstarrung – Grundbedürfnis der Bindung • Befriedigung: Körperliches Behagen, Sicherheit, Zufriedenheit • Entbehrung: Erregung, Verzweiflung, schmerz, Ekel Die Versagung biographisch späterer Bedürfnisse mehr zu psychologischen Emotionen (und zu konflikthaften Störungen). – Grundbedürfnis der Autonomie • Befriedigung: Überraschung, Stolz, Selbstbewusstsein im Tun, Triumph • Entbehrung: Wut, Ärger, Scham – Grundbedürfnis der Identität • Befriedigung: Erfüllung, Stolz, Selbstbewusstsein im Sein • Entbehrung: Scham, Schuld, Angst 142 47 10.11.2015 Emotionales Erleben als Prozess: Die Affektkaskade 1. Affektgenerierung 2. Affekttoleranz 3. Affektdifferenzierung 4. Affektives Selbstverständnis 5. Affektives Situationsverständnis 6. Affektregulierung 7… 8… 9… 10… 143 Affektregulation • bezieht sich auf alle kognitiven, expressiven und verhaltensbezogenen Vorgänge, die das Erleben und den Ausdruck einer Emotion beeinflussen. • Erfolgt bewusst und unbewusst • Unterscheidung nach 1. antecedent-focused emotional self-regulation 2. Response-focused emotional self-regulation 144 Emotionsregulation antecedent-focused response focused 145 48 10.11.2015 Antecedent emotional self-regulation • Setzt bei der Emotionsentstehung an • 4 Arten der Emotionsregulation 1. 2. 3. 4. Selektion ~ Vermeidung unangenehmer Situationen Modifikation ~ Veränderung der Situation Aufmerksamkeitslenkung ~ gezielte Auswahl Kognitive Veränderung ~ Uminterpretation 146 Response-focused emotional self-regulation • Ist die Emotion entstanden, gibt es folgende Möglichkeiten sie zu regulieren: – durch Unterdrückung (Ausdruck nimmt ab, Erleben bleibt) – durch Umbewertung (Ausdruck und Erleben nimmt ab) • Ist vom Ziel abhängig (sehr oft Unterdrückung negativer Emotionen, manchmal auch Steigerung) • Gross und John (2003) => ERQ (Emotion Regulation Questionnaire) (ERI = deutschsprachige Fassung) • Psychische Gesundheit => Emotionsregulation kann den Zielen flexible angepasst werden. 147 Individuelle Unterschiede in der Emotionsregulation • Interindividuelle Unterschiede zeigen sich in der Präferenz für spezifische Strategien • Beispiele: 1. Rumination 2. Kognitive Umdeutung 3. Regulation der Angst (attention versus rejection) 148 49 10.11.2015 Emotionales Erleben als Prozess: Die Affektkaskade 1. Affektgenerierung 2. Affekttoleranz 3. Affektdifferenzierung 4. Affektives Selbstverständnis 5. Affektives Situationsverständnis 6. Affektregulierung 7. Affektausdruck/Expressivität 8. .. 9. .. 10. .. 149 „Expressivität“ Gross und John (1998) Ausdruck positiver Emotionen • Extraversion • Offenheit für Erfahrungen • Sozialverträglichkeit • positiver Affektivität • BAS( behavioral activation system) • hohe Sympathiewerten Ausdruck negativer Emotionen • höheren Werten in Neurotizismus, • negative Affektivität • niedrige Sympathiewerten Ausdruckssicherheit • Wissen um die eigene Kompetenz im emotionalen Ausdruck • verbunden mit der Neigung zum Erleben positiver Emotionen Maskierung • Bemühen in öffentlichen Situationen den Ausdruck an die gewünschte Selbstdarstellung anzupassen. • EMOTIONSREGULATION 150 Emotionales Erleben als Prozess: Die Affektkaskade 1. Affektgenerierung 2. Affekttoleranz 3. Affektdifferenzierung 4. Affektives Selbstverständnis 5. Affektives Situationsverständnis 6. Affektregulierung 7. Affektausdruck/Expressivität 8. Verstehen fremder Affekte 9. Empathie 10. Positive objektbezogene Affekte bewahren 151 50 10.11.2015 Emotionsregulation am Beispiel der Angstregulation 152 Modell der Angstregulation (Krohne et a. 2003) 1. Kognitive Vermeidung (~ rejection) 1. Intoleranz gegenüber Angst 2. Hohe emotionale Erregung 3. die Tendenz, die Aufmerksamkeit abzuwenden 2. Vigilanz (~attention) 1. Intoleranz gegenüber Unsicherheit 2. Suchen verstärkt nach Informationen 3. die Neigung, sich den bedrohlichen Aspekten verstärkt zuzuwenden. 153 Modell der Angstregulation (Krohne et a. 2003) 4 Bewältigungsmodi: hohe kogn. Vermeidung Niedrige kogn. Vermeidung Hohe Vigilanz • fühlen sich sowohl durch Unsicherheit als auch hohe Erregung bedroht • hochängstlich • erfolglose Bewältiger, da sich beide Reaktionen im Weg stehen. • versuchen Unsicherheit zu vermeiden und gelten als Sensitizer. Niedrige Vigilanz •Sie wollen Erregung vermeiden, sie gelten als Represser. • können sowohl Unsicherheit als auch Erregung ertragen • sind in der Lage, Strategien situationsangemessen einzusetzen. • erfolgreichen Bewältigung. 154 51 10.11.2015 Alexithymie • Griechisches Kunstwort ~ Unfähigkeit, Gefühle zu 'lesen' und auszudrücken • 1973 Nemiah & Sifneos • Nicht im ICD-10 oder DSMIV enthalten • Prävalenz 10% • (wird als normalverteiltes Persönlichkeitsmerkmal verstanden) • Alexithymie ist eine Störung, die es Betroffenen schwer bis unmöglich macht Gefühle und die mit emotionalen Erregungen verbunden körperlichen Symptome wahrzunehmen, zwischen unterschiedlichen Gefühlen zu differenzieren und Gefühle zu beschreiben. 155 Alexithymie • Aus der Psychosomatik: inadäquate Reaktion auf belastende Ereignisse bei Personen mit geringer emotionaler Intelligenz • Sie wird mittels Fragebögen wie z. B. die Toronto Alexithymia Scale (TAS-20) gemessen: 1. 2. 3. Schwierigkeiten, Gefühle zu identifizieren Wenn ich durcheinander bin, weiß ich nicht, ob ich traurig, verängstigt oder ärgerlich bin. Schwierigkeiten, Gefühle zu beschreiben Es ist schwierig für mich, die passenden Worte für meine Gefühle zu finden. Extern orientiertes Denken Ich ziehe es vor, mit anderen Leuten über ihre alltäglichen Aktivitäten zu sprechen statt über ihre Gefühle. 156 Diagnose • Fava, Mangelli und Chiara (2001) • mindestens drei dieser Kriterien müssen erfüllt sein – Unfähigkeit Gefühle verbalisieren zu können – Neigung anstelle von Gefühlen Details eines Ereignisses zu beschreiben – Mangel an Phantasie – der Denkinhalt wird eher von äußeren Ereignissen als von Gefühlen bestimmt – bei Vorhandensein von somatischen Symptomen werden diese nicht in Verbindung mit dem Gefühlserleben gebracht – gehäuftes Auftreten von inadäquaten affektiven Ausbrüchen 157 52 10.11.2015 Alexithymie und Mentalisierungsfähigkeit • Mentalisierung ist die zunehmende Fähigkeit eines Kindes zu begreifen, dass es selbst und andere Personen Wesen mit mentalen Zuständen (Denken, Fühlen und Wollen) sind. • beinhaltet die Kenntnis der seelischen Zustände UND deren Nutzung und Reflexion • Mentalisierungen haben eine verhaltens- und emotionsregulierende Funktion • Entwicklung durch Interaktionen in Bindungsbeziehungen • hängt mit der Entwicklung des Selbst zusammen 158 Implizites und explizites Mentalisieren EXPLIZIT: IMPLIZIT: • • • • • • ist „ein relativ bewusster, vorsätzlicher und reflexiver Vorgang betrifft alles, was in symbolischer Form erklärt werden kann Ist an Sprache gebunden Geschieht, wenn ein Mensch einem anderen von seinen eigenen psychischen Inhalten berichtet oder sich Gedanken über die Hintergründe des Handelns einer anderen Person macht • • • automatisch und nicht-reflexiv Ist trotzdem ein bewusster/bewusstseinsfähiger Prozess, Läuft auf der Ebene des basalen Gewahr seins ab Z.B. die nicht-bewusste Spiegelung der Mimik und Gestik des Gegenübers, das automatische Einnehmen der Perspektive des anderen und Intuition 159 Entwicklung und Therapie Fonagy et al. (2004): Mentalisierungsfähigkeit entwickelt sich durch eine empathische Regulation und Modulation kindlicher, affektiver Spannungszustände durch die Bezugspersonen Bei gestörten empathischen elterlichen Funktionen kommt es zur Störung der Stressregulation des Kleinkindes. Es entwickeln sich emotionale bzw. alexithyme Störungen Bateman und Fonagy: Mentalisierungsgestützte Therapie (Mentalization Based Treatment MBT) 160 53 10.11.2015 Alexithymie und Psychotherapie • Alexithymie ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal • Ist ein Vulnerabilitätsmerkmal für psychische Erkrankungen! • Verhindere Therapie (Sifneso 1973) => widerlegt!! • Therapie sollte weniger einsichtsorientiert und mehr erlebnisorientiert sein. • Körper- und Bewegungsangebote mit anschließender Aufarbeitung des Erlebten fördert die kognitive Verfügbarkeit von Emotionen. • Viele Studien noch notwendig! 161 Prüfungsfragen: 19. Was ist Affektmirroring? 20. Nennen Sie die drei Aufgaben struktureller Funktionen und erklären Sie knapp wie sie entstehen. 21. Nennen Sie Risikofaktoren für die gesunde strukturelle Entwicklung. 22. Nennen Sie die vier zentralen Entwicklungsthemen in der Psychdynamik. 23. Wie entwickelt sich psychodynamisch das System von Nähe und Kommunikation (0 – 4 Monate) 24. Wie entwickelt sich psychodynamisch das Bindungssystem (4 Monate- 2 Lebensjahr) 25. Wie entwickelt sich psychodynamisch das Autonomiesystem (3.- 4. Lebensjahr) 26. Wie entwickelt sich psychodynamisch das Identitätssystem (4. – 6. Lebensjahr) 27. Erklären Sie Störungseinflüsse auf die strukturelle Entwicklung? 28. Beschreiben Sie die 2 Dimensionen von Emotionen und definieren Sie den Begriff „Emotion“. 29. Erklären Sie die Affektkaskade. 30. Erklären Sie die Affektregulation 31. Beschreiben Sie das Modell der Angstregulation nach Krohne. 32. Was ist “Alexithymie“? 162 33. Was versteht man unter (implizitem und explizitem) Mentalisieren? 54