Handbuch Militärische Berufsethik Thomas Bohrmann • Karl-Heinz Lather Friedrich Lohmann (Hrsg.) Handbuch Militärische Berufsethik Band 1: Grundlagen Herausgeber Prof. Dr. Thomas Bohrmann Prof. Dr. Friedrich Lohmann Universität der Bundeswehr München Deutschland ISBN 978-3-531-17715-1 DOI 10.1007/978-3-531-18933-8 General a. D. Karl-Heinz Lather Mannheim, Deutschland ISBN 978-3-531-18933-8 (eBook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandabbildung: © 2011 Bundeswehr / Wilke Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Inhalt Einleitung 7 I. Der Soldat zwischen Krieg und Frieden: Ethische Orientierungen Thomas Bohrmann Grundperspektiven der militärischen Berufsethik 15 Veronika Bock Der Soldat als moralischer Akteur 35 Markus Vogt Grundzüge christlicher Friedensethik 53 Dirck Ackermann Der Gerechte Friede als politisch-ethisches Leitbild 75 Friedrich Lohmann Krieg und Frieden: Traditionslinien und aktuelle Positionen in der philosophischen Ethik 97 II. Gewalt – Recht – Staat: Interdisziplinäre Annäherungen Volker Stümke Anthropologie der Gewalt 123 Alf Christophersen Die Trennung von Religion und Politik als Voraussetzung moderner Staatlichkeit 139 Michael Reder Verrechtlichung staatlicher Gewalt aus ethischer Perspektive. Das Verhältnis von Recht, Moral und Politik im Kontext militärischer Auslandseinsätze 159 Bardo Fassbender Zulässigkeit und Begrenzung militärischen Handelns aus völkerrechtlicher Perspektive 177 Ursula Münch/Jasmin Röllgen Bundesdeutsche Besonderheiten der Einhegung militärischer Sicherheitspolitik 195 6 Inhalt III. Soldatsein im 21. Jahrhundert: Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen Stephan Stetter Weltpolitische Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges 217 Carlo Masala Deutsche Bündnispolitik im 21. Jahrhundert 237 Herfried Münkler Von der konventionellen Kriegführung zur Abwehr asymmetrischer Gewalt. Zur Theorie der „neuen Kriege“ 253 Thomas Kron/Eva-Maria Heinke Terrorismus als Bedrohung in einer globalisierten Welt 273 Sven Bernhard Gareis Neue Aufgaben und Einsätze der Bundeswehr 289 IV. Berufsethische Bildung: Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven Thomas R. Elßner Berufsethische Aspekte in der gegenwärtigen Ausbildung der Bundeswehr 313 Lothar Bendel/Manfred Suermann Der Lebenskundliche Unterricht als Lernort ethischer Reflexion 333 Dieter Baumann Berufsethik in anderen Streitkräften am Beispiel der Schweizer Armee 355 Georg Marckmann Ärztliche Ethik als Beispiel einer berufsethischen Konzeption 379 Jochen Bohn Die Grenzen des Menschenrechts und das Ethos des Soldaten. Überlegungen zur Haltbarkeit einer Idee 399 Anhang Annotierte Bibliographie 419 Kommentierte Internetseiten 426 Autorinnen- und Autorenverzeichnis 431 Abkürzungsverzeichnis 433 Register 436 Einleitung Einleitung Effiziente und erfolgreich operierende Armeen folgen dem strukturellen Wandel bewaffneter Konflikte und passen sich dem ständig sich verändernden Sicherheitsumfeld an. Diese Aussage gilt für alle Armeen dieser Welt. Effizienz und Erfolg einer militärischen Ordnung hängen folglich von der grundsätzlichen Bereitschaft von Streitkräften ab, sich einem dynamischen Entwicklungsprozess anzupassen. Die neuen Gewalt- und Bedrohungsformen, mit denen sich moderne Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, seit zwei Jahrzehnten verstärkt konfrontiert sehen, zwingen diese zu einer Neuausrichtung ihrer nationalen Sicherheitsstrategien, einer Reformulierung ihrer verteidigungspolitischen Ziele und der Übernahme von Einsatzverpflichtungen auf regionaler und internationaler Ebene. Die Bundeswehr als klassische Landesverteidigungsarmee wird seitdem in einem kontinuierlichen Transformationsprozess in eine moderne Einsatzarmee umgestaltet, die sich im Vergleich zur „alten Bundeswehr“ vor allem durch ein deutlich breiteres Aufgaben- und Einsatzspektrum auszeichnet. Neben dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus gehören Krisenprävention, Konfliktverhütung, humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz zu den wesentlichen Aufgaben von Bundeswehrangehörigen. Sie leisten ihren Dienst u. a. in Einsatzgebieten fern ab ihrer Heimat, sind in multinationalen Stäben tätig und begegnen im Einsatzland zumeist fremden bzw. wenig vertrauten politischen, religiösen und kulturellen Ordnungs- und Wertesystemen. Dabei werden sie in der Ausübung ihres Berufs mit existenziellen Bedrohungslagen konfrontiert und müssen in schwierigen Situationen innerhalb kürzester Zeit sowohl taktisch-operativ als auch ethisch-moralisch richtige Entscheidungen treffen und in der Konsequenz die Verantwortung für die daraus resultierenden Handlungen alleine tragen. Aus den Auslandseinsatzerfahrungen der letzten Jahre haben die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor allem eine Lektion gelernt: Entscheidungen und Handlungen in besonders kritischen Lagen können durchaus gesetzeskonform erfolgen, ihre ethisch-moralische Legitimation ist dadurch jedoch noch nicht garantiert. Spätestens wenn die Medien und die Öffentlichkeit Entscheidungen militärischer Führer ethischkritisch bewerten, stellt sich für den „Staatsbürger in Uniform“ die Frage nach den Bestimmungsgründen seines Handelns, nach den ethischen Dimensionen seines Berufs und nach dem zugrunde liegenden Ethos. Wofür dienen? Auf diese kurze, aber existenzielle Sinnfrage müssen für jeden einzelnen militärischen Akteur überzeugende und zugleich motivierende Antworten folgen, die es ihm erleichtern, die Herausforderungen seines Berufs zu meistern und die Dimensionen seines Handelns zu begreifen. Die Grundlage für eine Antwort auf die gestellte Frage bietet die militärische Berufsethik. Nur über eine grundlegende ethische Reflexion seines Urteilens und Handelns 8 Einleitung wird der „Staatsbürger in Uniform“ in die Lage versetzt, die mit seiner Berufsrolle verbundenen Erwartungen und Pflichten zu erkennen und moralische Konfliktfelder in der Ausübung dieser Berufsrolle zu identifizieren. Militärische Berufsethik richtet sich daher in erster Linie an den einzelnen Soldaten, an sein Gewissen und sein Handeln. In der Auseinandersetzung mit den handlungsleitenden Maximen, den gesellschaftlich anerkannten Verhaltensnormen und den allgemein gültigen gesetzlichen Bestimmungen schärft die militärische Berufsethik das Gewissen des Einzelnen. Militärische Berufsethik zielt ferner auf die Armee als gesellschaftlich verankerte und politisch legitimierte Institution. Auf dieser Ebene stellt sie unter Berücksichtigung und unter Einbeziehung des normativen Kontexts, in den die Armee eingebettet ist, die kritische Anfrage aus ethischer Perspektive an die Führungs-, Ausbildungs- und Erziehungskultur dieser Institution. Nur wenn die Armee als Einheit innerhalb der ethischen Leitlinien agiert, kann sie dem Einzelnen den Rahmen vorgeben, in dem sich sein individuelles Handeln einordnen lässt. Schließlich entfaltet die militärische Berufsethik eine dreifache Wirkung auf Politik, Gesellschaft und Armee, indem sie den politisch Verantwortlichen, der gesamten Gesellschaft und den betroffenen Soldatinnen und Soldaten ein Instrumentarium an die Hand gibt, mit Hilfe dessen sie beispielsweise die Legitimität von Auslandseinsatzentscheidungen a priori oder auch a posteriori aus ethischer Perspektive diskutieren und bewerten können. Dieser zentralen und umfassenden Bedeutung der militärischen Berufsethik weiß sich das auf zwei Bände angelegte „Handbuch Militärische Berufsethik“ verpflichtet. Im vorliegenden ersten Band fokussieren die Herausgeber, Autorinnen und Autoren ihren Blick auf die ethischen, philosophischen, rechtlichen und politischen Grundlagen, die für die Ausübung des militärischen Dienstes und seine ethische Standortbestimmung in der gegenwärtigen Gesellschaft von grundsätzlichem Belang sind. Im zweiten Band werden Konkretionen behandelt, die praxisorientierte Themen- und Anwendungsfelder stärker in den Vordergrund stellen. Damit möchte das Projekt militärische Berufsethik sowohl die Verantwortlichen der berufsethischen Bildung innerhalb und außerhalb der Streitkräfte ansprechen als auch der an sicherheitspolitischen, völkerrechtlichen und friedensethischen Fragen interessierten Öffentlichkeit Diskussionsimpulse anbieten. Darüber hinaus sollen die Beiträge den wissenschaftlichen Diskurs in den angesprochenen Themenbereichen anregen und inhaltlich voranbringen. Der vorliegende erste Band ist in vier Kapitel gegliedert. Jedes Kapitel beinhaltet fünf Beiträge, die das Leitthema des Kapitels aus verschiedenen Blickwinkeln wissenschaftlich vertiefen. Das erste Kapitel „Der Soldat zwischen Krieg und Frieden: Ethische Orientierungen“ eröffnet Thomas Bohrmann mit der Definition wesentlicher Grundbegriffe wie Ethik, Moral und Berufsethik sowie der Erklärung, weshalb es einer militärischen Berufsethik bedarf und welche konkreten Vorstellungen mit diesem Begriff verbunden sind. Veronika Bock konkretisiert die von Bohrmann dargelegten „Grundperspektiven der militärischen Berufsethik“, indem sie diese auf die Führungsphilosophie der Bun- Einleitung 9 deswehr überträgt. Für sie ist „der Soldat als moralischer Akteur“ in jedem Falle mit ethischen Kompetenzen und militärischen Tugenden auszustatten, um in kritischen Situationen bestehen zu können. Markus Vogt zeichnet in seinem Beitrag Traditionslinien christlicher Friedensethik nach und endet mit der Feststellung, dass die Kirchen heute mehrheitlich humanitäre Interventionen zum Schutz von Menschenrechten in Krisenregionen sowie zur präventiven Friedenssicherung befürworten. Sie möchten diese allerdings mit nachhaltigen politischen, sozialen und ökologischen Strategien gekoppelt wissen. In ähnlichem Kontext bewegt sich auch der Beitrag von Dirck Ackermann. Den historischen Hintergrund des Leitbilds vom „Gerechten Frieden“ beleuchtend, zeigt er, welche Impulse aus diesem Leitbild für die aktuelle Debatte über die Ausrichtung nationaler Außen- und Sicherheitspolitik gewonnen werden können. Friedrich Lohmann stellt die Traditionslinien des Diskurses über Krieg und Frieden in der philosophischen Ethik von ihren Anfängen bis in die Gegenwart dar. Mittlerweile hat die Lehre vom Gerechten Krieg, wenn auch in modifizierter und erweiterter Form, ihren zentralen Platz in der philosophisch-ethischen Debatte über die Legitimation von militärischen Einsätzen wieder erlangt. Mit der Etablierung von Kriterien für den Einsatz von militärischer Gewalt appelliert die Ethik an die Besonnenheit der Entscheidungsträger. Im zweiten Kapitel „Gewalt – Recht – Staat: Interdisziplinäre Annäherungen“ beschäftigt sich Volker Stümke mit der Anthropologie der Gewalt. Neben der Darstellung des engen und weiten Gewaltbegriffs erläutert sein Beitrag den Unterschied zwischen direkter, struktureller und kultureller Gewalt, bevor er am Ende die Gewaltfähigkeit des Menschen mit dem biblischen Bild des Sünders in Beziehung setzt. Nur die innere Wandlung des Sünders lässt ihn dem anderen biblischen Bild vom Menschen – dem Ebenbild Gottes – näher kommen. Alf Christophersens Ausführungen sind der Trennung von Religion und Politik als Voraussetzung moderner Staatlichkeit gewidmet. Diese Trennung basiert im Wesentlichen auf der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften, die keineswegs bedeutet, dass religiöse Ansprüche nicht in die politische Willensbildung integriert werden können. Religion und Politik sind auch heute miteinander verbunden, wenngleich ihr Gleichgewicht fragil bleibt. Michael Reders Text behandelt die Verrechtlichung staatlicher Gewalt aus philosophisch-ethischer Perspektive. Die Darstellung des Verhältnisses von Recht und Moral im Kontext der Globalisierung bestätigt die These, dass Frieden nicht allein durch Verrechtlichung realisiert werden kann. Die Pluralität von Rechtsnormen als Charakteristikum einer Weltgesellschaft weist das Recht als Konfliktlösungsinstrument in die Schranken und kann zugleich als Appell an die Vernunft und Tugendhaftigkeit des militärischen Akteurs als letztinstanzlichem Entscheidungsorgan gedeutet werden. Der Beitrag von Bardo Fassbender behandelt das Verhältnis von Recht und Gewalt aus völkerrechtlicher Perspektive. Die Verrechtlichung internationaler Beziehungen bleibt aus dieser Sicht die einzige Option, um einen globalen Ordnungsrahmen für den Weltfrieden zu schaffen. Unabdingbare Voraussetzungen sind die weltweite Anerkennung des Menschenrechtsgedankens und der Verzicht auf nationale und kontinentale Egoismen. Ursula Münch und 10 Einleitung Jasmin Röllgen arbeiten in ihrem Beitrag die bundesdeutschen Spezifika bei der Domestikation von Gewalt durch staatliche Strukturen auf. Durch die Unterstellung des Militärs unter den Primat der Politik, die Integration der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft sowie der verfassungsrechtlichen Verankerung des Gebots der militärischen Zurückhaltung gelang es den politischen Akteuren nach dem Zweiten Weltkrieg, der Bundesrepublik Deutschland das staatliche Monopol organisierter physischer Gewalt in Form einer Parlamentsarmee zurück zu geben. Aus dieser parlamentarischdemokratischen Kontrolle der Bundeswehr erwächst allerdings auch die besondere und zentrale Verantwortung des Deutschen Bundestages gegenüber den Streitkräften, der Öffentlichkeit und der Regierung. Das dritte Kapitel „Soldatsein im 21. Jahrhundert: Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen“ wird mit einer Analyse der weltpolitischen Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges eingeleitet. Stephan Stetter erklärt darin den Wandel von Ordnungsmustern in der internationalen Politik. Weltpolitische Veränderungen nach 1989 drücken sich vor allem darin aus, dass das Wechselverhältnis von Ordnung, Sicherheit und Konflikt zunehmend von der Entwicklung des Leitgedankens „Menschenrechte“ geprägt ist. Carlo Masala ergründet die Bedeutung von Bündnissen für die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert. Eine nüchterne Betrachtung bisheriger deutscher Sicherheitspolitik offenbart, dass eine offene Debatte über ihre Ziele und Instrumente noch bevorsteht, um zukünftig aktiv und nicht nur reaktiv Sicherheitspolitik betreiben zu können. Herfried Münkler bezieht sich in seinem Text auf die Theorie der „neuen Kriege“. Mit Staatszerfall, Überbevölkerung, Kommerzialisierung und Asymmetrierung benennt er wesentliche Ursachen für die neue Form der Kriegsführung. Der „Krieg der Bilder“ und die damit zusammenhängende Übernahme einer David- oder Goliathrolle tragen entscheidend dazu bei, wie die Weltöffentlichkeit die „neuen Kriege“ ethisch beurteilt. Im Beitrag von Thomas Kron und Eva-Maria Heinke geht es um den transnationalen Terrorismus als dominierende Bedrohungserscheinung in einer globalisierten Welt. Diese Bedrohungsform unterliegt selbst einem dynamischen Wandel, der vor allem eine neue Kategorie des Terroristen hervorgebracht hat: den Individual-Terroristen, der ohne direkten Bezug zu einer radikalen Gruppierung Terrorakte verüben kann. Die vorangehenden Analysen der internationalen Sicherheitspolitik berücksichtigend fokussiert Sven Bernhard Gareis seinen Blick auf die daraus resultierenden neuen Aufgaben und Einsätze für die Bundeswehr. Er plädiert in Übereinstimmung mit Masala für die Herausbildung eines neuen sicherheitspolitischen Konsenses in Deutschland, um vor allem die gesellschaftliche Akzeptanz für die Bundeswehr als „Armee im Einsatz“ zu steigern. Das letzte Kapitel „Berufsethische Bildung: Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven“ eröffnet Thomas R. Elßner mit einem Überblick über Ziele, Inhalte und Institutionen berufsethischer Bildung in der Bundeswehr. Er hebt die besondere Bedeutung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen der Vermittlung berufsfachlicher Inhalte und ethischer Urteilskompetenz im Ausbildungsbetrieb der Truppe hervor und postuliert eine Vernetzung nationaler und internationaler Anstrengungen im Bereich der Einleitung 11 militärischen Berufsethik, um Synergieeffekte bestmöglich zu nutzen. Ebenfalls den Blick auf die Bundeswehr gerichtet beschreiben Lothar Bendel und Manfred Suermann die Entwicklung des Lebenskundlichen Unterrichts als Lernort ethischer Reflexion seit seiner Einführung in der Zentralen Dienstvorschrift 66/2 im Jahr 1959 bis heute. Der Lebenskundliche Unterricht fördert die Schärfung des Gewissens, die Bildung moralischen Urteilsvermögens und die Unterstützung von verantwortungsbewusstem Handeln, ohne dabei den „Sinn für Kontingenz“ aus den Augen zu verlieren. Einen vergleichenden Blick auf die Berufsethik in anderen Streitkräften erlaubt Dieter Baumann mit seiner Darstellung der Militärethik in der Schweizer Armee. Die Wertebasis der Schweizer Armee bildet das Dienstreglement, das durch die zwei Säulen Menschenwürde und Rechtsloyalität getragen wird. Die Parallelen zur berufsethischen Bildung in der Bundeswehr sind unverkennbar, weshalb Baumanns Überlegungen zu einer „internationalen Berufsethik für Streitkräfte“ durchaus berechtigt erscheinen. Georg Marckmann demonstriert an einer anderen Berufsgruppe, nämlich der der Ärzte, mit welchen ethischen Herausforderungen sie in der Ausübung ihres Berufs konfrontiert werden. Für die biomedizinische Ethik hat sich das kohärentistische Begründungsverfahren weitestgehend etabliert, das sich nicht auf ein einziges, letztgültiges moralisches Grundprinzip beruft, sondern an herrschende moralische Überzeugungen anknüpft und mit Hilfe dieser eine logische und schlüssige Begründung einer Handlung zu liefern versucht. Jochen Bohn schließt das letzte Kapitel des ersten Bandes mit grundsätzlichen, systemkritischen Überlegungen zur Haltbarkeit der Voraussetzungen, auf denen das staatsbürgerliche Ethos aus der Anfangszeit der Bundeswehr gründet. Hypothetisch geht er der Frage nach, wie im Falle der Unhaltbarkeit der Zentralstellung des Menschenrechts auf Freiheit das Ethos des „Staatsbürgers in Uniform“ neu gedacht und begründet werden müsste. Die Beiträge des Handbuchs sind einheitlich gegliedert. Alle Artikel beginnen mit der Formulierung von Leitfragen, die die Leser auf den thematischen Schwerpunkt des Beitrags hinweisen und darüber hinaus die Vielseitigkeit der Möglichkeiten einer fragenden Annäherung an die Thematik aufdecken. Am Ende eines nach Sinn und Inhalt zusammenhängenden Textabschnitts folgt ein Merksatz, der die vorangehenden Ausführungen zusammenfasst. An geeigneten Stellen versuchen die Beiträge immer wieder, die Konsequenzen und die Bedeutung der vorgestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse für das Berufsverständnis und das Ethos des Soldaten herauszustellen. Abgeschlossen werden alle Beiträge mit weiterführenden Diskussionsfragen, die zur Entwicklung eigener Positionen anregen sollen. Ergänzend werden im Anhang eine annotierte Auswahlbibliographie wichtiger Publikationen der letzten Jahre zur Problematik sowie eine Liste kommentierter Internetadressen von Institutionen vorgestellt, die sich mit bundeswehrspezifischen bzw. militärethischen Themen beschäftigen. Besonderer Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, die trotz weiterer Verpflichtungen vorbehaltlos ihre Zusage zur Mitwirkung an diesem Projekt erteilten. Für die vielfältige Hilfe bei der Korrektur der Texte und der Zusammenstellung des Anhangs bedanken wir uns ferner sehr herzlich bei Lt zur See Frank Lechler, Dipl.-Soz. Jennifer 12 Einleitung Milana, OLt Benjamin Rath, Matthias Reichelt M.A. und Lt Fabian von Skrbensky. Dank gebührt auch Dr. Axel Schilling (November 2009-Oktober 2011) und Dr. Said AlDailami (ab Dezember 2011), die das Handbuch als wissenschaftliche Mitarbeiter betreut haben. Beim Springer VS-Verlag in Wiesbaden bedanken wir uns für die Aufnahme in das Verlagsprogramm und bei Frank Schindler für die Betreuung während der Entstehungsphase. Das Handbuch ist das Ergebnis eines vom Katholischen Militärbischofsamt Berlin finanzierten Projektes. Ohne diese bereitwillige und großzügige Unterstützung wäre das „Handbuch Militärische Berufsethik“ nicht zu realisieren gewesen. Seinen Verantwortlichen, besonders Herrn Militärgeneralvikar Apostolischer Protonotar Walter Wakenhut, sei hierfür herzlich gedankt. München, im März 2012 Thomas Bohrmann Karl-Heinz Lather Friedrich Lohmann I. Der Soldat zwischen Krieg und Frieden: Ethische Orientierungen Thomas Bohrmann Grundperspektiven der militärischen Berufsethik Leitfragen (1) Was versteht man unter den Begriffen Ethik, Moral, Angewandte Ethik, Bereichsethik, Individualethik, Sozialethik, Berufsethik? (2) Was sind die Charakteristika des Soldatenberufs? (3) Benötigen Soldatinnen und Soldaten für die Ausübung ihres Berufs eine spezielle Ethik? (4) Welche Position vertritt die katholische Kirche zum Soldatenberuf? (5) Was versteht man unter militärischer Berufsethik? (6) Auf welchen Ebenen der Verantwortung ist militärische Berufsethik zu verorten? 1 Grundlegende Begriffsklärungen Ethik ist die wissenschaftliche Reflexion des menschlichen Urteilens und Handelns unter der Perspektive von richtig und falsch, von gut und böse, von geboten und verboten. Der Begriff geht auf das griechische Wort ethos (Gewohnheit, Sitte, Brauch) bzw. äthos (Charakter, Grundhaltung, Tugend) zurück und wurde von Aristoteles erstmals verwendet. Nach diesem Verständnis umfasst Ethik zum einen die Lehre von den kollektiven Gewohnheiten und zum anderen die Lehre vom Charakter des Einzelnen. Das deutsche Fremdwort Moral stammt vom lateinischen Ausdruck mos (Plural mores), der die Bedeutung beider griechischer Ethos-Begriffe vereinigt (vgl. Pieper 31994: S. 25-26) und den sinngleichen Gebrauch von Moral und Ethos legitimiert (vgl. Hausmanninger 2004: S. 51). Auch wenn umgangssprachlich häufig Ethik und Moral bzw. ethisch und moralisch synonym gebraucht werden, sind die Begriffe nicht gleichbedeutend, wenngleich sie sich aufeinander beziehen. Moral bzw. Ethos bezeichnet die Wertvorstellungen und Verhaltensnormen, nach denen sich das Handeln von Menschen als Mitglieder einer Gesellschaft ausrichtet. Nach diesem Verständnis hat Moral einen lebenspraktischen Bezug, während Ethik als wissenschaftliche Disziplin über Moral nachdenkt und diese kritisch reflektiert (vgl. Hepfer 2008: S. 14; Honecker 1990: S. 4). Wenn Moralvorstellungen von einer ganzen Gruppe geteilt und als bindend betrachtet werden, spricht man von einem Gruppenethos. Bezieht sich diese Moral auf die Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe, ist die Rede vom Berufsethos. Besonders in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft haben sich unterschiedliche Ethosformen einzelner Berufe herausgebildet. Entweder kommt dieses Ethos in Berufsordnungen zum Ausdruck oder in jenen Verhaltenserwartungen, die von außen an die Inhaber dieser Berufe herangetragen werden. Da in einer pluralen und offenen Gesellschaft unterschiedliche Ethosformen individueller und kollektiver Art nebeneinander existieren, ist ein ein- T. Bohrmann et al. (Hrsg.), Handbuch Militärische Berufsethik, DOI 10.1007/978-3-531-18933-8_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 16 Thomas Bohrmann heitsstiftendes Rahmenethos für das soziale Zusammenleben unverzichtbar (vgl. Kluxen 21979: S. 520-521). In Deutschland beruht dieses Rahmenethos auf den Werten und Normen der Verfassung; dabei steht die Menschenwürde, die der Staat für alle zu garantieren hat, an oberster Stelle („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Art. 1 Abs. 1 GG). Dass sich der Mensch überhaupt mit der Frage nach dem guten und richtigen Handeln auseinandersetzt und somit über seine Moral bzw. sein Ethos ethisch reflektiert, gründet in seiner anthropologischen Grundkonstitution. Der Mensch ist in der Lage, unter der Bedingung der Freiheit in der Welt zu agieren: einmal im Hinblick auf die Ausführung der beabsichtigten Handlung (Handlungsfreiheit) und einmal im Hinblick auf die Wahl der intendierten Handlung (Wahl- oder Willensfreiheit) (vgl. Honnefelder 2000: S. 654). Eine so verstandene Freiheit gibt es im Reich der außermenschlichen Natur nicht. Im Gegensatz zum Tier, das ganz in den Zwängen seiner artspezifischen Umwelt und seiner Instinkte lebt, ist nur der Mensch – mit den Worten Max Schelers – fähig, „umweltfrei“ und „umweltoffen“ (Scheler 101983: S. 38) zu leben. Da der Freiheitsaspekt moralische Entscheidungen aber überhaupt erst ermöglicht, steht der Mensch immer in der Gefahr, falsche Entscheidungen zu treffen und mitunter auch schuldig zu werden. Als Wesen, das sein Handeln reflektieren und normativ bewerten kann, ist er in der Lage, zu sich selbst Stellung zu beziehen und sich für oder gegen etwas zu entscheiden; er kann zwischen Alternativen wählen und muss sein Leben eigenverantwortlich gestalten. Hierin gründen seine Größe und seine Bestimmung als moralisches Subjekt. Nach den zunächst allgemeinen und einführenden Erörterungen über den Ethikund Ethosbegriff sowie der grundlegenden Skizzierung des Menschen als moralfähiges Wesen soll im Folgenden der Ethikbegriff weiter ausdifferenziert werden. In der Regel unterteilt man die Ethik in Allgemeine Ethik, die die grundlegende Frage nach dem sittlichen Handeln im Hinblick auf ein glückliches und gelingendes Leben des Einzelnen oder auf das gerechte Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft stellt, und in Spezielle Ethik bzw. Angewandte Ethik, die die in der Allgemeinen Ethik entwickelten Wertmaßstäbe und Prinzipien auf konkrete Probleme und Handlungsfelder anzuwenden versucht (vgl. Hunold/Laubach/Greis 2000: S. 6-7; Fenner 2008: S. 11). Die Themenfelder der Angewandten Ethik sind breit gefächert und gründen im Modernisierungsprozess. Vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Entwicklung und der technischwissenschaftlichen Zivilisation hat sich die Gesellschaft nämlich immer weiter funktional ausdifferenziert, so dass neue Kultursachbereiche entstanden sind, die wiederum auf neue ethische Probleme hinweisen. Dementsprechend gliedert sich Angewandte Ethik in eine Fülle von unterschiedlichen ethischen Themen- und Handlungsfeldern, die als Bereichsethiken bezeichnet werden (vgl. Korff 2000: S. 378; Nida-Rümelin 22005: S. 63-69). So lassen sich folgende Bereichsethiken beispielsweise als besonders relevant für den Ethikdiskurs herausstellen: Politische Ethik, Wirtschaftsethik, Umweltethik, Technikethik, Bioethik, Medizinethik, Wissenschaftsethik, Medienethik, Tierethik, Sportethik. In Zukunft werden weitere bereichsspezifische Ethiken auszumachen sein,