Durchschnittskühe gibt es nicht – Tierverhalten von Jung- und Altkühen Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein Auch wenn so mancher „Nicht-Fachmann“ meint, Milchkühe sehen doch alle gleich zumindest aber ähnlich aus, so sind sie doch von ihrem Verhalten und vom Charakter her z. T. sehr unterschiedlich. Das betrifft vor allem junge Kühe im Vergleich zu älteren, weil erstere i. d. R. eine gänzlich andere soziale Position in der Herde einnehmen. Da der Rang hauptsächlich durch das Gewicht eines Tieres bestimmt wird, stehen Jungkühe – zumindest bis zum Ende ihrer ersten Laktation – meistens am unteren Ende dieser Rangordnung. Weiterhin sind ebenfalls Faktoren wie das Temperament eines Tieres, seine Reaktion auf bestehende sowie neue Dinge und die Angst, welche es ausstrahlt, ausschlaggebend für den Rang des Tieres in der Herde. Unter begrenztem Futter- oder Platzangebot leiden am stärksten rangniedere, junge Kühe. Deshalb haben gerade Jungkühe es nicht leicht, sich im sozialen System zu integrieren. Zum einen bedingt durch den erstmalig nicht einfach, da es sich bei Kühen um Herdentiere handelt, die erlebten Kalbestress und zum anderen durch die Umstallung in eigentlich gewisse Tätigkeiten, wie das Fressen und das Liegen, den Milchkuhstall und das erste Melken, also die Konfrontation gemeinsam durchführen wollen. Diese Verhaltensweise wird mit einer neuen, oft unbekannten Umgebung und den eventuell besonders an den Orten deutlich, andenen die Tiere genügend ersten sehr engen Kontakt mit dem Menschen. Von daher ist es Platz und Freiraum vorfinden, z. B. auf der Weide. Hier zeigen sie nicht verwunderlich, dass gerade diese Tiere allgemein etwas bei der Nahrungsaufnahme sowie beim Ausruhen das typische unruhiger sind und nervöser wirken. Rinder sind Fluchttiere und Gruppenverhalten sehr viel ausgeprägter als im Stall. werden es immer bleiben, egal wie wir sie halten. Ein eingeschränktes Tier-Fressplatzverhältnis, noch viel mehr Auch die Futteraufnahme am Futtertisch ist für die jungen Kühe aber ein eingeschränktes Tier-Liegeplatzverhältnis wirkt sich mit einer neuen Belastung verbunden. Denn hier sind sie einer nachteilig auf das Gruppenverhalten der Herde aus. Betroffen besonderen Konkurrenzsituation ausgesetzt. Konkurrenzsitua- davon sind besonders die rangniederen Tiere, also in der Regel tionen ergeben sich immer dann, wenn ein Faktor nur begrenzt die Jungkühe. Sie müssen sich häufiger sozialen Auseinan- verfügbar oder sogar im Mangel ist. Das kann zum einen die dersetzungen stellen und deutlich höhere Standzeiten in Kauf Anzahl der verfügbaren Liegeplätze sein, der Bewegungsraum, nehmen als ihre älteren Artgenossinnen. Untersuchungen von also Laufgangbreite und Ausweichmöglichkeiten, und zum an- KEYSERLINGK et al. (2003) zeigten, dass es z. B. bei Nacken- deren alle Faktoren, die mit der Futter- und Wasseraufnahme in rohrkonstruktionen am Futtertisch zu einer deutlich höheren Verbindung stehen. Verdrängung von rangniederen Tieren vom Fressplatz kommt. Zudem verhielten sich die Tiere bei der Nackenrohr-Variante im Entsteht eine Konkurrenzsituation, kommt es nach Untersu- Vergleich zur Fang-Fressgitter-Variante vermehrt aggressiv ge- chungen von TRACHSEL (1988) zu einer Rangfestlegung. Dabei genüber ihren Artgenossen. Doch auch Fang-Fressgitter können wird deutlich, dass die eigentlich eher friedlichen Kühe auch Nachteile haben, vor allem dann, wenn das Tier-Fressplatzver- durchaus aggressives Verhalten zeigen können. Aus diesen hältnis ansteigt. Dadurch sinkt die Fresszeit pro Tier, wodurch Rangkämpfen gehen häufig die jungen Kühe als Verlierer hervor. die rangniederen Tiere wieder am meisten leiden. Denn gerade Die Konsequenz daraus ist, dass sie dann nur begrenzt die sie werden bei einer hohen Belegdichte zuerst von ihrem Fress- Möglichkeit haben die knappen Faktoren zu nutzen, nämlich platz verdrängt. Empfohlen wird daher ein möglichst breites dann, wenn sich nicht gerade eine ranghöhere Kuh in der Nähe Platzangebot, um die Fresszeit pro Tier zu erhöhen und das befindet. Diesen Moment abzupassen ist für die Jungkühe aggressive Verhalten der Tiere zu minimieren. 1/3 Jungkühe laufen mehr Junge Kühe „erarbeiten“ sich ihre Futteraufnahme mühsamer als ältere. Dieses zeigt sich zum wiederholten Male in diversen Fütterungsversuchen in Futterkamp. Beispielgebend seien Versuche aus den Jahren 2008 und 2009 genannt, bei denen das Fressverhalten von 100 Kühen innerhalb der ersten 100 Laktationstage gezielt beobachtet wurde. Die Tiergruppe setzte sich aus 34 Jungkühen, 22 Zweitkalbskühen und 44 Tieren mit mehr als zwei Laktationen zusammen. Bei der Auswertung der Daten wurden die Tiere in Gewichtsklas- Übersicht 2: Futteraufnahme je Futtertischbesuch (kg TM/Besuch) von jungen und älteren Kühen sen unterteilt, um festzustellen, ob es unabhängig vom Gewicht zwischen den verschiedenen Altersgruppen zu Unterschieden sich jedoch mit steigendem Gewicht der Tiere und beträgt bei im Fressverhalten und der Futteraufnahme kommt. Die Futter- den schwereren Mehrkalbskühen bis zu 0,75 kg pro Besuch. aufnahme von Kühen der ersten Laktation war – bei vergleich- Dadurch erhöht sich aber nicht deren Futteraufnahmedauer. Das barem Gewicht – im Durchschnitt um 2 - 3 bzw. 3 - 4 kg TM lässt darauf schließen, dass Mehrkalbskühe deutlich variabler niedriger als die der Tiere mit zwei bzw. mehr als zwei Laktatio- in ihrem Fressverhalten sind, im Bedarfsfall letztlich schneller nen (Übersicht 1). größere Mengen aufnehmen können, wodurch mehr Zeit für das benötigte Liegen und Wiederkauen bleibt. Jungkühe ziehen meistens den Kürzeren Im August des Jahres 2010 kam es in einer der zwei Versuchsgruppen über einen Zeitraum von 11 Stunden zu einer außergewöhnlich angespannten Situation. Alle Tiere - Färsen und Mehrkalbskühe gleichermaßen - hatten während dieser Zeit keinen Zugang zum Futter. Letztlich reduzierte sich so am Tag mit der eingeschränkten Futtervorlagezeit die Futteraufnahme der jungen Kühe in der ersten Laktation auf 50 % (verglichen Übersicht 1: Tägliche Futteraufnahme (kg TM) von jungen und älteren Kühen mit der durchschnittlichen Futteraufnahme dieser Tiere während der vorangegangenen drei Tage). Bei den Tieren in der zweiten Laktation betrug die Reduktion der Futteraufnahme 47 % und Das Futteraufnahmevermögen steigt proportional zum Gewicht bei den älteren Kühen 36 % (Übersicht 3). des Tieres an, doch bleibt die Differenz zu den Mehrkalbskühen immer bestehen. Junge Kühe nehmen nicht nur insgesamt weniger Futter auf, sondern auch kleinere Mahlzeitenportionen (Übersicht 2), da sie viel häufiger (im Durchschnitt 58-mal am Tag) am Futtertisch registriert wurden als ältere (durchschnittlich 47-mal). Die Futteraufnahme je Futtertischbesuch ist bei den Färsen, unabhängig von der Gewichtsklasse, sehr konstant und beträgt 0,3 kg TM. Bei den Mehrkalbskühen zeigt sich ein ähnliches Bild, aber nur in den unteren Gewichtsklassen. Hier liegt die Futteraufnahme bei 0,4 kg TM pro Futtertischbesuch. Sie erhöht 2/3 Übersicht 3: Futteraufnahme von Kühen in einer angespannten Situation Fazit Es bleibt festzuhalten, dass Jungkühe ein anderes Fressverhalten haben als ältere Kühe. Sie gehen häufiger zum Futtertisch und nehmen insgesamt kleinere Mahlzeitenportionen auf. Ihre Futteraufnahmezeit ist hingegen nicht höher als die von Mehrkalbskühen. Unter besonderen, verhaltensbeeinträchtigenden Situationen, z. B. ein begrenztes Futter-, Platz- oder Liegeboxenangebot, dürften als erstes und in besonderem Maße rangniedere und Übersicht 4: Futtertischbesuche (Anzahl/Tag) von Kühen in einer angespannten Situation folglich v. a. junge Kühe leiden. Ältere, gesunde Kühe können sich auch unter widrigeren Bedingungen stärker durchsetzen. Dass der Verzehrsrückgang der älteren Kühe deutlich geringer ausfiel als der der jüngeren Färsen lässt sich damit erklären, DER DIREKTE DRAHT dass die älteren und damit zumeist ranghöheren Tiere sich die Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, Telefon 04381-900949 Futterplätze in der restlich verbleibenden Zeit stärker erkämp- eMail: [email protected] fen konnten. Einen Tag später zeigte sich dann ein vermehrtes Fressverhalten der Färsen, die sozusagen „aufholen“ mussten. Dies machte sich v. a. auch in einer deutlich höheren Besuchshäufigkeit am Futtertisch und einer längeren Fressdauer bemerkbar (Übersichten 4 und 5). Übersicht 5: Futteraufnahmedauer (h/Tag) von Kühen in einer angespannten Situation Redaktion Proteinmarkt c/o AGRO-KONTAKT Hermannshof, 52388 Nörvenich Tel.: (0 24 26) 90 36 13 Fax: (0 24 26) 90 36 29 eMail: [email protected] 3/3 proteinmarkt.de ist ein Infoangebot vom Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e. V. (OVID) in Zusammenarbeit mit der Union zur Förderung von Ölund Proteinpflanzen e. V. (UFOP).