Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 1 “Was ist ein Satz?” (beliebter Titel von Aufsätzen und Büchern, in denen Hunderte von Satz-Definitionen gesammelt und gegeneinander abgewogen werden, und vom jeweiligen Autor jeweils einer anderen die Krone aufgesetzt wird) Versuche zu antworten aus den Erkenntnissen heraus, dass Sätze was bedeuten, was bezwecken, und von eigenartiger Bauform sind • “Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.” (Ludwig W.) • “Der Satz ist das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen [die sich in der Seele des Sprechenden vollzogen hat] in der Seele des Hörenden zu erzeugen.” (Hermann Paul) • “The sentence is the largest unit of grammatical description.” (apokryph, sinngemäß oft Leonard Bloomfield zugeschrieben, für den ein Satz genaugenommen das war: “an independent linguistic form, not included by virtue of any grammatical construction in any larger linguistic form”.) Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 2 Der Satz im deutschen, englischen, ... Alltagsverständnis Umfrageergebnisse: • Sätze sind (schriftsprachliche) Einheiten, an deren Anfang ein Grossbuchstabe stehen muss und an deren Ende bestimmte Satzzeichen stehen (Punkt, Fragezeichen, Ausrufezeichen, evtl. Doppelpunkt, Strichpunkt). • Sätze sind (lautsprachliche) Einheiten, vor und nach denen ausgedehntere Sprechpausen gemacht werden können, ohne dass dieses durch Pausieren als besonders auffällig empfunden würde, und die durch bestimmte einheitliche Tonverlaufsmuster gekennzeichnet sind. Das heisst: Sätze haben einen Anfang und ein Ende, die in Laut und Schrift markiert werden — anders, vielleicht deutlicher als die Grenzen von anderen sprachlichen Einheiten. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 3 Der Satz im deutschen Wörterbuch Satz, der 1. in sich abgeschlossene, nach bestimmten Regeln der Intonation (bzw. Orthographie), Grammatik, Stilistik und Logik im allgemeinen aus mehreren Wörtern zusammengefügte sinnvolle sprachliche Einheit 2. wissenschaftlicher Lehrsatz 3. das Setzen eines zum Druck bestimmten Manuskripts in Lettern und Zeilen durch den Setzer oder auf fotomechanischem Wege 4. Niederschlag, Rückstand von festen Bestandteilen, der sich aus einer Flüssigkeit abgesetzt hat 5. festgesetzter Geldbetrag, Tarif 6. in sich geschlossener Teil eines mehrteiligen Musikwerkes 7. in sich geschlossener Teil eines mehrteiligen sportlichen Wettkampfes, bes. beim Tennis 8. mehrere zusammengehörige Gegenstände derselben Art (bei Maßangaben) 9. Sprung Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 4 Gemeinsamer Nenner zumindest von Nr. 1, 2, 6, 7, 8 und eventuell 9: Ein Satz ist ein in sich relativ abgeschlossener und in seinem Aufbau wohl-geregelter Teil eines (in seinem Aufbau weniger wohl-geregelten) größeren Ganzen, der aus ihrerseits in sich nicht bzw. weniger abgeschlossenen Teilen besteht. Aus welchen Teilen (Sprach-)Sätze aufgebaut sind und welchen Regeln dieser formale Aufbau folgt, sind empirische und in manchen Hinsichten offene Fragen, deren methodische Beantwortung ein zentrale Aufgabe der Sprachwissenschaft ist. (Eine Einführung wie diese kann diese Antworten deshalb auch nicht geben: sie führt eigentlich nur ein ins erste Fragen.) Und damit das nie vergessen wird: Das empirische Betätigungsfeld der Sprachwissenschaft sind die menschlichen Sprachen in ihrer Gesamtheit, in denen sich die Einheit der menschlichen Sprachfähigkeit in ihrer Vielfalt äussert. Derzeit sind noch an die 6-7000 als Muttersprachen in Gebrauch; über nicht wenige davon wissen wir nur schlecht Bescheid, wenn überhaupt. Wieviele es davon in der Menschheitsgeschichte insgesamt gegeben hat, wissen wir nicht, denn viele haben kein Zeugnis hinterlassen. Wie wenige von den jetzt noch gesprochenen Sprachen in näherer Zukunft noch gesprochen werden, können wir in etwa sagen: ziemlich wenige, denn so an die zwei Drittel werden in hundert Jahren nicht mehr (muttersprachlich) gesprochen werden. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 Wollte man erst dann anfangen, Sprachwissenschaft und namentlich Syntax zu treiben, wenn einfürallemal und überallezweifelerhaben geklärt ist, was ein Satz ist (in jeder der menschlichen Sprachen — denn möglicherweise gibt’s da kleinere oder auch größere diesbezügliche Unterschiede), müsste man damit lang warten, und käme vielleicht nie dazu. 5 Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 6 Der groben formalen Charakterisierung von Sätzen sollte man noch eine funktionale Charakterisierung an die Seite geben (auch in der Annahme, dass sich bei Menschenwerk sowie bei den Werken der Evolution Formen und Funktionen irgendwie entsprechen, ungefähr wie bei Schraubenziehern und anderen Werkzeugen oder Giraffen und ihren langen Hälsen): Ein Satz ist etwas, womit man etwas tun kann (was man anderweitig nicht oder nicht so gut tun kann). Und was? Antwort: Einen Sprechakt ausführen. Vielleicht nicht jeden x-beliebigen Sprechakt, aber beispielsweise Sprechakte der folgenden Art: • • • • • • • • • • • • eine Person oder ein Fahrzeug taufen jemanden zu einer Strafe verurteilen oder auch freisprechen jemandem zustimmen oder widersprechen das Wetter vorhersagen (zumindest pauschal) jemandem ein Kompliment machen jemandem die Uhrzeit sagen jemandem ein Versprechen geben jemandem eine Frage stellen jemandem eine Anweisung bzw. einen Befehl geben eine Bitte äussern ein Verbot aussprechen über einen Gegenstand (Person, Ding, Abstraktum) eine Aussage machen bzw. eine Feststellung treffen Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 • • • 7 eine Lüge begehen einem Wunsch Ausdruck geben seiner Freude, Überraschung, seinem Ärger Ausdruck geben bitte fortsetzen (Wer bei Füllen dieser Seite Hilfe braucht, kann etwa lesen: John L. Austin, How to Do Things with Words (1962) — das Buch eines Philosophen, das aber auch dem Linguisten was sagt.) Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 Ist ein Satz auch gut geeignet, folgendes zu tun? • • • • • • • • • • • • • • • eine Geschichte, ein Märchen, einen Roman, einen Witz, eine Anekdote erzählen ein Erlebnis erzählen einen Vorfall berichten ein Fussballspiel kommentieren beweisen, dass die Winkelsumme eines Dreiecks gleich zwei rechten Winkeln ist (in der EuklidischenGeometrie) jemanden davon überzeugen, dass der Abendstern der Morgenstern ist eine Unterhaltung führen sich auf jemanden oder etwas beziehen und diesen Referenten so identifizieren, dass der Hörer weiss, wer oder was gemeint ist einen Umstand (des Ortes, der Zeit, der Art und Weise, des Grundes oder Zweckes) einer Handlung oder eines anderen Ereignisses angeben um Hilfe schreien jemandem rufen jemanden beleidigen seinem Schmerz Ausdruck geben, wenn man versehentlich mit dem Finger eine heisse Herdplatte berührt dem Telefonpartner zu verstehen geben, dass man noch am Apparat ist sich räuspern 8 Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 • 9 Schrauben eindrehen und ziehen bitte fortsetzen Für die erste Gruppe der oben erwähnten Handlungen (eine Geschichte erzählen usw.) wird man sich am besten komplexerer sprachlicher Formen bedienen, nämlich eines ganzen (aus mehreren Sätzen bestehenden) Textes oder Diskurses, als beim Äussern einer Bitte, eines Wunsches, einer Feststellung, einer Lüge usw., was man mit einem Satz gut machen kann. Für die zweite Gruppe von Handlungen (Referieren auf Personen/Dinge/Ereignisse, Ereignis-Umstände angeben) wird man gut mit weniger kompexen Einheiten als Sätzen auskommen, mit Phrasen (im grammatischen Sinn) nämlich. Für die dritte Gruppe von Handlungen gibt’s typischerweise Äusserungsformen von ganz eigener Art. (Wobei man sich streiten kann, ob diese Formen eine eigene Art von Sätzen sind bzw. eine Art von Satz-Wert haben.) Schraubenziehen und sowas erledigt man am besten nichtsprachlich. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 10 Beispiele: • eine Aussage machen bzw. eine Behauptung aufstellen bzw. eine Feststellung treffen: Scipio zerstörte Karthago. Der Abendstern ist der Morgenstern. Es regnet. Mir graut vor dir. Gestern wurde gestreikt. Trifft Scipio Hannibal. (nur am Anfang einer bestimmten Art von Text: Witz) Morgen fuhr Aschenbach nach Venedig. (nur in einer bestimmten Art von Text: Fiktion) • Vermutungen ausdrücken Scipio soll Karthago zerstört haben. Er wird krank sein. Sie haben wohl wieder verloren. Ich vermute, dass sie wieder verloren haben. • Voraussagen machen Morgen wird/soll es regnen. • Fragen stellen Ist Meier krank? Wo ist Meier? Warum so traurig? Meier ist krank, oder/gell/mh? (eher: Bestätigung suchen?) • Befehle, Anweisungen geben, auffordern Halt! Kommen Sie morgen wieder. Lass das! Vor Gebrauch schütteln. Hilf mir mal einer! Dass du bloß pünktlich bist! Rauchen verboten • einem Wunsch Ausdruck geben Wenn es endlich regnete! Der Herr sei mit Euch. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 11 • seiner Freude, Überraschung, Ärger Ausdruck geben Oh! Wie ruhig es hier ist! Mir reicht’s! Meier (und) ein Heiratsschwindler?! Ausgerechnet “Scipio” haben sie ihn getauft! • bestreiten, widersprechen, leugnen Scipio ist harmlos. Ich war es nicht. • jemanden/etwas taufen Ich taufe dich hiermit auf den Namen “Scipio”. • zwei Leute verheiraten Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau. • jemanden rufen Sepp( )! • jemanden beleidigen Esel! Sie Esel! Sie sind ein Esel. • sich auf etwas/jemanden beziehen und den Referenten geeignet identifizieren, worüber etwas ausgesagt werden soll er; Scipio; ein römischer Feldherr; der Mann, der zu sagen pflegte “ceterum censeo Carthaginem esse delendam”; die Zerstörung Karthagos durch Scipio (sich auf ein Ereignis beziehen; vergleiche mit Feststellung: Scipio zerstörte Karthago) Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 12 Die Idee ist natürlich, dass der Satz (bzw. Sätze aller Art) die Bauform, die er hat, letztlich deshalb hat, weil homo sapiens loquens damit auf zweckmäßige Art und Weise ganz bestimmte Zwecktätigkeiten ausüben kann. Ein Satz ist — der Form nach — ein in sich relativ abgeschlossener und in seinem Aufbau wohl-geregelter Teil eines (in seinem Aufbau weniger wohl-geregelten) größeren Ganzen, der aus ihrerseits in sich nicht bzw. weniger abgeschlossenen Teilen besteht (also eine Einheit mittlerer, aber irgendwie besonderer Komplexität), womit — dem Zweck nach — Vorstellungen und Empfindungen ausgedrückt und dieser Ausdruck in Sprechakten bestimmter Art zur Ausführung kommt. Zumindest hoffen wir, dass in diesem Fall die Form der Funktion angemessen ist. Es könnte natürlich auch sein, dass die sprachlichen Formen, mit denen wir Heutigen diese Funktionen zu erfüllen suchen, ein Zufallsprodukt der Entwicklung sind: vielleicht gab es ja Sprechergemeinschaften, die sich sehr viel zweckmäßigere Formen gebildet hatten, aber sie sind im Kampf mit den Elementen und ihren Nachbarn untergegangen. Wenn die Formen, von Sätzen und anderen sprachlichen Einheiten, die sich durchgesetzt haben, allzu unzweckmäßig wären, wären sie sicher im Lauf der zur Verfügung stehenden Zeit wenigstens ein wenig optimiert worden. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 Übrigens: Der grammatische Terminus Satz ist die Verdeutschung von lateinisch suppositio, einem Terminus der Grammatik sowie der Logik, zu ponere ‘stellen, setzen, legen’ gehörig. (vgl. auch Vorsatz, Satzung, Gesetz, gesetzt den Fall) Englisch sentence ist auch lateinischen Ursprungs, sententia ‘Meinung, Maxime’, was eigentlich sentientia hätte sein sollen, denn es gehört zum Verbum sent re ‘fühlen, der Ansicht sein’. Selber nachforschen: Woher kommt diese ganze grammatische Terminologie der Alltagssprache? Also Wörter für Einheiten wie Laut, Silbe, Wort, Satz, Text, Diskurs (vgl. bairisch dischkriern). 13 Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 14 Höhere Einheiten Über komplexere Einheiten als SATZ kommt im folgenden so gut wie nichts mehr. Man möge annehmen, Absätze, Kapiteln, Texte oder Diskurse seien Folgen von Sätzen, die thematisch mehr oder weniger kohärent, in ihrem Zusammenhang formal aber weniger strikt geregelt sind als Sätze intern. Aus Obengesagtem (Bloomfield!) folgt, dass die obere Grenze dessen, was unter die Einheit SATZ fällt, erst mit der Beschreibung der Satzbau-Regularitäten ermittelt und nicht schon vorher definitorisch festgestellt wird. Vor und unabhängig von solchen Beschreibungen macht es wenig Sinn zu streiten, ob etwa die Beispiele auf folgender Seite einzelne (möglicherweise intern komplexe) Sätze sind oder Folgen von mehreren Sätzen (also etwa schon kleine Texte), deren Zusammenhänge zwischen in einen anderen Beschreibungsbereich als den der Syntax fallen (in den der Text-Grammatik). Auch wenn wir mit der Beschreibung von Satzstrukturen noch nicht gerade weit fortgeschritten sind, sei jede(r) eingeladen, sich im Detail zu überlegen, woran es liegen könnte, dass man bei manchen dieser Beispiele vermutlich zum Schluss kommen dürfte, dass sie aus einem (wenn auch komplexen) Satz bestehen, bei anderen vielleicht nicht — auch wenn’s thematisch immer um das gleiche geht: zwei Sachverhalte in kausalem Zusammmenhang (Verletzung, Auswechslung) mit jeweils dem gleichen Beteiligten (Spieler namens Holzkopf). Überlegen Sie als Teil dieser Aufgabe auch, worauf etwaige Unterschiede zwischen den Strich-Varianten von (b), (d), (e), (f), auf folgender Seite unten, zurückzuführen sein könnten. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 (a) (b) (c) (d) (e) (f) (g) (h) 15 Holzkopf war verletzt. Aus diesem Grund wurde er bei Halbzeit ausgewechselt. Holzkopf war verletzt; deshalb wurde der Pechvogel bei Halbzeit ausgewechselt. Holzkopf war verletzt und wurde bei Halbzeit ausgewechselt. Holzkopf wurde bei Halbzeit ausgewechselt, weil er verletzt war. Holzkopf wurde bei Halbzeit ausgewechselt, denn er war verletzt. Holzkopf wurde bei Halbzeit ausgewechselt, er war nämlich verletzt. Holzkopf wurde wegen Verletzung bei Halbzeit ausgewechselt. Holzkopf wurde bei Halbzeit verletzt ausgewechselt. (b´) Der Pechvogel war verletzt; deshalb wurde Holzkopf bei Halbzeit ausgewechselt. (d´) Der Pechvogel wurde bei Halbzeit ausgewechselt, weil Holzkopf verletzt war. (e´) Der Pechvogel wurde bei Halbzeit ausgewechselt, denn Holzkopf war verletzt. (f´) Der Pechvogel wurde bei Halbzeit ausgewechselt; Holzkopf war nämlich verletzt. Anhaltspunkt: Bezieht man sich mit der Pechvogel und dem Eigennamen Holzkopf bei (b´), (d´), (e´), (f´) immer auf den gleichen Spieler? Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 16 Worin besteht Satz-Struktur? Antwort: Das gilt es rauszufinden — ein mühsames Geschäft, aber der Lerner weiss, worauf es ankommen kann. Mit Sätzen kann man Handlungen ausführen. Sätze kann man (=kompetente Sprecher der betreffenden Sprache) auch umformen, so dass Entsprechungen zwischen Sätzen zur Ausführung verschiedener Handlungen bewahrt bleiben. z.B. Ja-Nein-Fragen aus Aussagen Sie isst es. Isst sie es? \zi…."/Is.t´s\ \"/Ist.si….´s\ Sieglinde isst es. Isst Sieglinde es? \zi…."glIn.d´."/Is.t´s\ \"/Ist.si…."glIn.d´.´s\ Sieglinde oder eine ihrer jüngeren Schwestern isst ein Estragonschnitzel mit Pommes. _____________________________________________ ____________________________________________? Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 “Passiv” aus “Aktiv” (ungefähr gleichbedeutend, wohl mit unterschiedlicher Gewichtung der Satzteile oder in unterschiedlichen Zusammenhängen, wo einmal “sie” einmal “das” Thema ist) Sie isst das jeden Tag. Das wird jeden Tag von ihr gegessen. (*Jeder Tag wird das von ihr gegessen.) Sie hat das Schnitzel mit Pommes gegessen. ___________________________________ 17 Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 18 Was “wissen” (intuitiv, stillschweigend) kompetente Sprecher, wenn sie Sätze dergestalt umformen und Entsprechungen erkennen können? Über welche Art von Regeln verfügen sie? (Dass es solche Regeln gibt, ist eine plausible Annahme, denn wie wäre es sonst zu verstehen, dass man x-beliebige, nie zuvor gebrauchte oder gehörte Sätze automatisch richtig umformen kann?) Auf welche Arten von Einheiten beziehen sich diese Regeln? Welche Beziehungen zwischen Einheiten werden berührt (beibehalten oder verändert)? (Struktur = Einheiten und Beziehungen zwischen ihnen) erste Vermutung: • lautliche Einheiten (Merkmale, Segmente, Silben, Füße) • Reihenfolge d.h., wenn das zutreffend wäre: Satz-Strukturen wären eher einfach, eigentlich nichts zusätzliches zu dem, was wir für die Beschreibung der Grammatik der Laute ohnehin brauchen. Aber ist das zutreffend? Kann man auf diese Weise allgemeine Regeln für SatzUmformungen formulieren? (d.h. nicht separate Regeln für jeden Einzelfall) Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 19 Man kann, und sogar sehr präzise, aber eben nicht allgemein, sondern Satz für Satz: \zi…."/Is.t´s\ \"/Ist.si….´s\ Sie isst es. Isst sie es? Regeln der Fragebildung mit Bezug auf Lautsegmente und ihre Reihenfolge: 1. Laut 2. Laut 3. Laut 4. Laut 5. Laut 6. Laut 7. Laut 8. Laut → → → → → → → → 5. 6. 1. 2. 3. 4. 7. (bleibt) 8. (bleibt) Regeln der Fragebildung mit Bezug auf Silben und ihre Reihenfolge: 1. Silbe → 2. 2. Silbe plus Ansatz-Konsonant der 3. Silbe → 1. 3. Silbe minus Ansatz-Konsonant → 3. (bleibt) Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 20 Andere “Regeln” braucht es natürlich für Sieglinde isst es. Isst Sieglinde es? \zi…."glIn.d´."/Is.t´s\ \"/Ist.si…."glIn.d´.´s\ usw., für jeden einzelnen Satz. Also: Um Regeln der Satz-Umformung in allgemeiner Weise formulieren zu können, muss man sich auf andere als rein lautliche Einheiten beziehen können, und vielleicht auch auf andere Beziehungen zwischen Einheiten als solchen der (unmittelbaren) Folge. Heisst das aber auch dieses? Lautliche Einheiten und ihre Reihenfolge spielen überhaupt keine Rolle für die Satz-Struktur. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 21 Satzbau und lautliches bzw. strukturelles Gewicht Englisch: Partikel-Verben mit nominalen und pronominalen Objekten VERB OBJEKT PARTIKEL → VERB PARTIKEL OBJEKT Put your glasses on! Put them on! Put on your glasses! *Put on them! Let the postman in! Let him in! Let in the postman! *Let in him! ☞ Nomen: schwergewichtiger, betont, auch am Satzende; Pronomen: leichtgewichtiger, unbetont, nicht am Satzende. Englisch: Sententiale und nominale Subjekte SUBJEKT VERB OBJEKT → it VERB OBJEKT SUBJEKT That it snowed in July surprised everybody. It surprised everybody that it snowed in July. The snow surprised everybody. *It surprised everybody the snow. ☞ Subjekt ein Satz: länger, lieber ganz am Ende; Subjekt eine Nominalphrase: kürzer, nur vor dem Verb. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 22 Zusatz-Übung Versuchen Sie Motive für die Anordnung der Teile in Ausdrücken wie den folgenden zu finden — welche offenbar einigermaßen fest ist (deshalb auch die Termini “irreversible Binomiale” oder “freezes”): man kann sie umdrehen, aber dann klingt es nicht so ganz richtig (???Maus und Katz, bambim, dabra ka abra). Katz und Maus Kind und Kegel ich und du mir nichts, dir nichts ab und zu plus oder minus [das Spiel] Deutschland gegen Moldawien Form und Funktion zu Wasser und zu Land schwarzweiss Vater und Mutter Mutter und Tochter Oma und Opa meine sehr verehrten Damen und Herren Männlein und Weiblein wie der Vater, so der Sohn Daimler-Benz mit Haut und Haar links und rechts dieses und jenes Berg und Tal Himmel und Hölle vom Scheitel bis zur Sohle ja und nein Pro und Contra Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 Pfeil und Bogen Fisch und Chips Speis und Trank Maul- und Klauenseuche Nord-Süd Ost-West Wasser und Brot Geld oder Leben durch dick und dünn drunter und drüber hüben und drüben Tuten und Blasen ein und aus ohne wenn und aber bei Wind und Wetter [Hamlet:] Sein oder nicht sein? ... [Caesar:] Veni, vidi, vici. Ali Baba und die 40 Räuber zickzack ticktack bimbam Hickhack Singsang Klingklang Mischmasch abra ka dabra holter di polter simsalabim Pingpong hie und da nie und nimmer jetzt und in alle Ewigkeit, Amen 23 Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 Lektürehinweise (ist aber nicht ganz leichte Kost): Malkiel, Yakov (1959). Studies in irreversible binomials. Lingua 8: 113-160. Reprinted in Malkiel, Essays on Linguistic Themes, 311355. Oxford: Blackwell, 1968. Cooper, William E. & John R. Ross (1975). World order. In R. E. Grossman, L. J. San, & T. J. Vance (eds.), Papers from the Parasession on Functionalism, 63-111. Chicago: Chicago Linguistic Society, 24 Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 25 Worauf man sich (u.a.) jedenfalls beziehen können möchte, statt oder zusätzlich zur Lautstruktur: • Morpheme (kleinste bedeutungstragende Formen), bestimmte Arten/Klassen von Morphemen (z.B. Stamm, Affix) • eng zusammengehörige Folgen von Morphemen (=Wörter), bestimmte Arten/Klassen von Wörtern (z.B. Verb, Nomen, Pronomen, Artikel, Adjektiv, Konjunktion) • eng zusammengehörige Folgen von Wörtern (=Phrasen), bestimmte Arten/Klassen von Phrasen (z.B. Nominal-, Verbalphrase) • eng zusammengehörige Folgen von Phrasen (=clauses), bestimmte Arten/Klassen von clauses [Teilsatz] • Beziehungen von Morphemen zueinander im Wort, Beziehungen von Wörtern zueinander in der Phrase, Beziehungen von Phrasen zueinander im (Teil-)Satz (z.B. die Beziehungen SUBJEKT und (DIREKTES) OBJEKT), Beziehungen von Teil-Sätzen im Satz. Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 26 Auf das Beispiel der Umformung von Aussagen in Ja-NeinFragen im Deutschen bezogen: • Das Verb, das für Kongruenz mit dem Subjekt in Person und Numerus sowie für Tempus und Modus markiert ist (also ein Wort, bestehend aus Stamm und Suffix, iss-t, bzw. ess- mit Änderung des Vokals des Stamms in der Kombination mit -t) kommt an den Satz-Anfang — wie auch immer der AussageSatz selber gebaut ist, woran sich ansonsten nichts ändert. • Auf der letzten betonen Silbe (.isst., bzw. .lin., bzw. .pom.) steigt die Tonhöhe, anstatt wie im Aussage-Satz zu fallen (.isst., .pom.). Aufgabe für zuhause: Wie sind Aussage-Sätze im Deutschen ihrerseits gebaut? Das ist ein weites Feld, aber in Grundzügen ... Plank, WS 03/04, EinfLing, M&S 2 27 ... und die Umformung von Aktiv- in Passiv-Sätze im Deutschen: • Das direkte Objekt des Aktiv-Satzes (eine ganze Nominalphrase, wie einfach oder komplex auch immer: das [ist auch nicht ganz einfach, denn das Wort besteht aus den Morphemen d- und -as]; das Schnitzel mit Pommes) wird Subjekt des Passiv-Satzes. • Das Subjekt des Aktiv-Satzes (wieder eine ganze Nominalphrase, hier aber ziemlich kurz: sie) wird entweder weggelassen oder von dem Wort von begleitet (eine Präposition, die Einfluss auf die Nominalphrase nimmt, der sie engstens verbunden vorangeht, nicht nur in Passiv-Sätzen: diese Nominalphrase bzw. jedes ihrer für Kasus flektierbaren Wort-Bestandteile, steht in einem bestimmten Kasus, dem Dativ, deshalb ihr). • Das Verb des Aktiv-Satzes nimmt die Form des Partizip II an (ge-, gefolgt von (g)ess-, gefolgt von -en, Stamm ist ess-, die anderen Morpheme sind ein Präfix und ein Suffix bzw. zusammen ein Zirkumfix) und wird um das Wort werden ergänzt, ein Auxiliar (“Hilfsverb”), das seinerseits die “richtige” Form annimmt (Kongruenz in Person und Numerus mit dem Subjekt, dem des Passivs; Modus und Tempus wie im Aktiv-Satz — gefragt ist also die 3. Person Singular Indikativ Praesens von werden: wird). Aufgabe für zuhause: Wie erklären sich Form und Stellung der verbalen Wörter beim Passiv von hat ... gegessen?