Elementare mathematische Grundlagen für die Behandlung der Gravitationsumlenkung als kombiniertes Zweikörperproblem Zusatzinfo zum SuW-Beitrag über Swing-by Manöver von Donald Wiss Der Energiesatz (1. Keplersches Gesetz) sagt aus, dass die Summe aus kinetischer und potenzieller Energie einer Raumsonde konstant bleibt, wenn diese sich auf einer Umlaufbahn um einen Zentralkörper bewegt. Pro Masseneinheit gilt dann: u2 µ µ - ==E 2 r 2a 2 µ r Êrˆ Êu ˆ oder mit u = : 2 E = u 2 - 2 u 2 = - u 2 Á ˜ bzw. Á ˜ = 2 a r Ëa¯ Ëu¯ 2 Dabei bedeutet µ = G M das Produkt aus Gravitationskonstante und Masse des Zentralkörpers, u die Geschwindigkeit und r der Abstand vom Zentralkörper. u stellt die Kreisbahngeschwindigkeit beim Radius r dar. E ist das Energieniveau der Umlaufbahn. Es ist nur abhängig von der groben Halbachse a der Bahn, nicht aber von deren Exzentrizität. E ist negativ und a positiv für alle Ellipsenbahnen. Bei den Hyperbelbahnen ist E positiv und a negativ. Für die Parabelbahnen gilt E = 0 und a = •. Die Erhaltung des Drehimpulses (2. Keplersches Gesetz, auch Flächensatz genannt) bewirkt, dass das Produkt aus Abstand r und Zirkularkomponente u z der Geschwindigkeit konstant bleibt. p ab 1 b µ F = ru z = = 2 T 2p a 3 µ 2 a Daraus folgt: uz b a = u a r F ist der Flächeninhalt der Bahnellipse und b ihre kleine Halbachse. 3 Der Ausdruck für die Umlaufzeit T µ a 2 ergibt sich aus dem 3. Keplerschen Gesetz. Die Geschwindigkeit u wird im Folgenden entweder mit c oder w bezeichnet, je nachdem ob der Zentralkörper die Sonne oder ein Planet ist. Die wichtigsten Geschwindigkeitsvektoren stellen ein Dreiecksystem dar, in welchem die folgenden geometrischen Zusammenhänge gültig sind: [1] c2 c1 w1 w2 b2 b1 a2 u 1 a1 u ist die Geschwindigkeit des Planeten auf seiner kreisförmig angenommenen Umlaufbahn. Die mit c bezeichneten Geschwindigkeiten werden von der Sonne aus betrachtet, die mit w bezeichneten vom bewegten Planeten aus. a ist der Winkel zwischen den Geschwindigkeiten u und c, b derjenige zwischen u und w. Die beiden Geschwindigkeitsdreiecke (u c1 w1) und (u c2 w2) haben zwar die gemeinsame Basis u, liegen aber nur in der selben Ebene, wenn dies auch für die Bahnen von Planet und Raumsonde zutrifft. Die Komponente von c in Richtung der Planetenbewegung u beträgt in jedem Falle: cu = c cos a Der Cosinussatz liefert die folgenden Beziehungen: 2 2 c Êcˆ Ê wˆ 2 2 2 oder w = u + c - 2 u c cos a Á ˜ = 1+ Á ˜ - 2 u u Ëu¯ Ëu¯ 2 c 2 = u 2 + w 2 - 2 u w cos b 2 Ê wˆ Ê wˆ Êcˆ Á ˜ = 1 + Á ˜ - 2Á ˜ cos b Ëu¯ Ëu¯ Ëu¯ oder Die Indices 1 und 2 beziehen sich auf die Bewegung der Raumsonde vor bzw. nach dem Flyby. Wegen der Bahnsymmetrie und auf Grund der Energieerhaltung gegenüber dem Planeten gilt w1 = w2 , d.h. die Relativgeschwindigkeiten weit weg vom Planeten sind vor und nach dem Vorbeiflug gleich. Die Energiedifferenz zwischen der 1. und 2. elliptischen Sonnenumlaufbahn ergibt sich aus dem Energiesatz: c2 u2 Ê r ˆ c2 u2 Ê r ˆ E1 = 1 - u 2 = - ÁÁ ˜˜ E2 = 2 - u 2 = - ÁÁ ˜˜ 2 2 Ë a1 ¯ 2 2 Ë a2 ¯ DE = E2 - E1 = Andererseits gilt ja woraus sich ergibt: c22 - c12 u 2 Ê r r ˆ = ÁÁ - ˜˜ 2 2 Ë a1 a2 ¯ w12 w22 u 2 c12 u 2 c 22 = = + - u c u1 = + - u cu 2 2 2 2 2 2 2 c 22 - c12 = u (cu 2 - cu1 ) = u Dcu = DE 2 Die Energiedifferenz DE der Sonnenumlaufbahnen vor und nach der Gravitationsumlenkung ist also gleich der Planetenumlaufgeschwindigkeit u mal der Differenz Dcu der Projektionen der Sondengeschwindigkeiten c1 und c2 auf u. Durch Gleichsetzen der Ausdrücke für DE folgt der Zusammenhang: Dcu 1 Ê r r ˆ = ÁÁ - ˜˜ u 2 Ë a1 a2 ¯ Falls die Ebene einer Sondenbahn gegenüber derjenigen des Planeten um den Winkel i geneigt ist, zieht man mit Vorteil den Winkel r zwischen dem Radiusvektor r und der Sondengeschwindigkeit c bei. Der Vektor r bildet ja die Schnittgerade 2 zwischen den beiden Bahnebenen und die in der Sondenbahnebene liegende Zirkularkomponente beträgt: c z = c sin r Zwischen dieser und der Projektion cu auf die Planetengeschwindigkeit u besteht folgende einfache Beziehung: cu cos a = cos i = cz sin r Damit kann der Vektor c in drei orthogonale Komponenten zerlegt werden, nämlich radial, u-Richtung und senkrecht zur Planetenebene: r c = (c r , cu , c n ) = (c cos r , c sin r cos i, c sin r sin i ) r r r Wegen w = c - u gilt: r w = (c r , c u - u , c n ) Der von der Sonne aus gesehene Umlenkwinkel g ist der Schnittwinkel zwischen den beiden Sonnenumlaufbahnen der Raumsonde vor und nach dem Flyby, d.h. der Winkel zwischen den Geschwindigkeitsvektoren c1 und c2. Er berechnet sich aus dem r r Skalarprodukt (c1 •c 2 ) dieser beiden Vektoren: r r c1 •c 2 cos g = = cos r1 cos r 2 + sin r1 sin r 2 cos(i2 - i1 ) c1 c 2 Vom Planeten aus betrachtet ist der Umlenkwinkel d zwischen den Vektoren w1 und w2 gleich dem entsprechenden Winkel zwischen den Asymptoten der Hyperbelbahn um den Planeten. Aus dem Cosinussatz folgt: r r 2 r r 2 c 2 - c1 = c12 + c 22 - 2 c1 c 2 cos g = w2 - w1 = 2 w12 (1 - cos d ) r r 2 c 2 - c1 cos d = 1 2 w12 Am häufigsten tritt wohl der Fall auf, wo die Bahnen von Sonde und Planet und damit beide Geschwindigkeitsdreiecke praktisch in einer Ebene liegen (~Ekliptik). Dadurch vereinfachen sich verschiedene Formeln wesentlich: cos i @ 1 , cz @ cu , cn @ 0 , a @ 90o - r , g @ r 2 - r1 @ a 2 - a1 , d @ b 2 - b1 Im speziellen Grenzfall, wo eine Sondenbahn praktisch senkrecht auf der Planetenebene steht, d.h. i @ 90o , gilt andererseits: cos i @ 0 , cu @ 0 , c z @ c n @ c sin r , a @ 90o , w2 @ c 2 + u 2 Bei bekanntem w sind hier weder c noch a frei wählbar, sondern es ergeben sich: 2 2 c Ê wˆ = Á ˜ -1 u Ëu¯ und r Ê wˆ Êcˆ = 2-Á ˜ = 3-Á ˜ a Ëu¯ Ëu¯ 2 Ist der Planet der Zentralkörper, so stellt der Wert w1 = w2 den relativen Geschwindigkeitsbetrag der Raumsonde in grober Entfernung vom Planeten dar, also etwa am Rande seiner Einflusssphäre (Abstand rp Æ • ). 3 Hier lautet der Energiesatz: µp w12 µ p w2 =ª 1 - 0 = Eh rp 2 2 ah 2 also: ah = µp 2 1 w = µp u2 2 (w1 u ) = (m p m s )r (w1 u )2 = Gravitationskonstante ¥ Planetenmasse 3 - 20 km = 6.672 ⋅ 10 ¥ Planetenmasse kg ⋅ s 2 ah = „grobe“ Halbachse der Hyperbel (negativer Abstand vom Perizentrum zum Asymptotenschnittpunkt) mp/ms = Verhältnis von Planeten- und Sonnenmasse rp = Abstand der Raumsonde vom Planetenmittelpunkt r = (mittlerer) Radius der Planetenbahn um die Sonne µp Mit den Bahneigenschaften der Ellipse 1 sind w1 und damit zwingend auch das Energieniveau Eh relativ zum Planeten sowie die Halbachse ah der Hyperbelbahn festgelegt. Ihre Exzentrizität e (>1) hängt ab vom Umlenkwinkel d zwischen den Geschwindigkeitsvektoren w1 und w2, d.h. vom entsprechenden Winkel zwischen den Asymptoten. Das Verhältnis der Höchstgeschwindigkeit wmax im Perizentrum zur Geschwindigkeit w1 im Unendlichen sowie das Verhältnis des Minimalabstandes rp_min (Planetenmittelpunkt - Perizentrum) zu ah sind einfache Funktionen von e. e= 1 sin (d 2 ) wmax = w1 rp _ min e +1 e -1 ah = e -1 Die direkte Beziehung zwischen Umlenkung d und Minimalabstand rp_min lautet also: rp _ min 1 = 1+ ah sin (d 2 ) Berechnungsablauf für eine Gravitationsumlenkung 1. Der umlenkende Planet Zunächst kennt man vom Planeten, an dem der Swing-by stattfinden soll, den Bahnradius r um die Sonne und die Umlaufgeschwindigkeit u, welche im Folgenden als Bezugsgröben dienen. 3 µs 11 km u= , µs = Gravitationskonstante ¥ Sonnenmasse = 1.327 ⋅ 10 r s2 Ausserdem ist die Masse des Planeten bekannt. 2. Elliptische Sonnenumlaufbahn vor dem Flyby Es wird davon ausgegangen, dass die sonnenbezogenen Bahndaten der Raumsonde mit dem Index 1 bekannt sind. Neben dem Bahnneigungswinkel i1 gegenüber der Planetenebene sind noch mindestens zwei Angaben nötig, z.B. a1 und b1 (bzw. e1) oder c1 und r1 beim Radius r. 4 Sind a1 und entweder b1 oder e1 bekannt, also die beiden Halbachsen der Ellipse 1 oder aber ihre grobe Halbachse und die Exzentrizität, so werden berechnet: c1 r = 2u a1 aus dem Energiesatz, c z1 b1 a1 1 - e12 = = u r a1 r a1 aus dem Flächensatz, Êc uˆ r1 = arcsinÁÁ z1 ˜˜ Ë c1 u ¯ gemäb Geometrie. Falls c1 und r1 beim Radius r bekannt sind, d.h. Geschwindigkeit und Winkel r am Schnittpunkt mit der Planetenbahn, so rechnet man wie folgt: 2 r Êc ˆ = 2-Á 1˜ a1 Ëu¯ cz1 c1 = sin r1 u u b1 cz1 r = a1 u a1 aus dem Energiesatz, gemäb Geometrie, aus dem Flächensatz. In beiden Fällen liefert die Geometrie schlieblich noch: Êc uˆ c u1 c z1 und = cos i1 a1 = arccosÁÁ u1 ˜˜ u u Ë c1 u ¯ 2 w1 c Êc ˆ = 1 + Á 1 ˜ - 2 u1 u u Ëu¯ Ê 1 - (cu1 u )ˆ ˜˜ b1 = arccosÁÁ w u 1 Ë ¯ und 3. Elliptische Sonnenumlaufbahn nach dem Flyby Das weitere Vorgehen hängt nun von den Bedingungen ab, die für die neue Flugbahn der Raumsonde einzuhalten sind. Soll ein weiterer Planet angesteuert werden oder ist ein anderer Bahnneigungswinkel i2 ≠ 90o anzustreben, um z.B. einen Kometen zu erreichen, so ist neben i2 am ehesten noch die grobe Halbachse a2 der neuen Bahn vorgegeben. An Stelle von a2 und i2 könnten aber auch neue Werte für Geschwindigkeit und Bahnwinkel, also c2 und r2 vorgeschrieben werden. In beiden Fällen interessiert man sich für die Umlenkwinkel g und d, welche einzuhalten sind. w2 w1 = Zunächst gilt grundsätzlich: u u o Ist also i2 ≠ 90 so folgt aus dem Energiesatz je nach Vorgabe sofort: c2 r = 2u a2 oder r Êc ˆ = 2-Á 2 ˜ a2 Ëu ¯ 5 2 Falls aber die Bahnneigung i2 gegenüber der Planetenebene gerade 90 Grad betragen soll, muss an Stelle von a2 ohnehin der Winkel r2 vorgegeben werden. Denn, wie oben erwähnt, sind dann c2 und a2 mit bekanntem w2 automatisch festgelegt: 2 c2 Êw ˆ = Á 2 ˜ -1 u Ë u ¯ 2 r r c Êw ˆ = 3 - Á 2 ˜ = + 2 u1 a2 a1 u Ë u ¯ und Der Cosinussatz ergibt weiter: 2 2 1 + (c2 u ) - (w2 u ) cosa 2 = 2(c2 u ) Dann folgt je nach Vorgabe: Ê cos a 2 ˆ ˜˜ r 2 = arcsinÁÁ Ë cos i2 ¯ für i2 = 90o 2 und 2 1 + (w2 u ) - (c2 u ) cos b 2 = 2(w2 u ) Ê cosa 2 ˆ ˜˜ i2 = arccosÁÁ Ë sin r 2 ¯ oder Für jeden beliebigen Neigungswinkel i2 lassen sich dann weiter berechnen: cz 2 c2 = sin r 2 u u b2 cz 2 = a2 u cu 2 cz 2 = cos(i2 ) u u Êc uˆ a 2 = arccosÁÁ u 2 ˜˜ Ë c2 u ¯ Êb ˆ e2 = 1 - ÁÁ 2 ˜˜ Ë a2 ¯ r a2 2 Ê 1 - (cu 2 u )ˆ ˜˜ b 2 = arccosÁÁ Ë w2 u ¯ Die Umlenkwinkel betragen schlieblich bezüglich der Sonne: g = arccos[cos r1 cos r 2 + sin r1 sin r 2 cos(i2 - i1 )] bezüglich des Planeten: Ê c 2 + c22 - 2c1c2 cos g d = arccosÁÁ1 - 1 2w12 Ë ˆ ˜˜ ¯ 4. Planetenbezogene Hyperbelbahn der Raumsonde Mit der bekannten Planetenmasse und der Anfluggeschwindigkeit w1 lässt sich sofort der Wert ah ermitteln. Damit die Umlenkung d tatsächlich erreicht wird, muss die Sonde genau im dimensionslosen Minimalabstand rmin rp _ min 1 = = -1 sin (d 2 ) ah ah am Planeten vorbeifliegen. Von ihm aus gesehen muss die Anflugrichtung aus dem Unendlichen deshalb im effektiven Abstand µ p w12 bh = a h e 2 - 1 = tan (d 2 ) 6 parallel zur Kollisionsachse verlaufen. Dies ist nämlich die Entfernung der Hyperbelasymptoten vom Planetenmittelpunkt. Von der Sonne aus betrachtet muss der theoretische Schnittpunkt der Sondenbahn (Ellipse 1) mit der Planetenbahn gerade um die Distanz b Dl = h sin b1 vom Planetenzentrum entfernt sein, wenn die Sonde bei ihm eintrifft. 5. Tabellenkalkulation In der Beilage befindet sich ein mit Microsoft Works programmiertes Anwendungsbeispiel. Die in der Tabelle mit „INPUT“ bezeichneten Werte sind Zahleneingaben aus Internetveröffentlichungen. Man beachte, dass die meisten Voyager-Trajektorien sogar relativ zur Sonne Hyperbelbahnen darstellen (negative Halbachsen a). Ferner ist festzustellen, dass die „effektiven Hyperbelbahnen um die Planeten“ ziemlich gut mit den sonnenbezogenen „Sondenbahnen 2 (Wegflug)“ korrespondieren. Man vergleiche dazu das berechnete e2 in Zeile 52 mit dem Eingabewert e1 in Zeile 12 des jeweils nachfolgenden Planeten der selben Mission. Hingegen weichen die aus der „Sondenbahn 1 (Anflug)“ berechneten „theoretischen Hyperbelbahnen um die Planeten“ doch beträchtlich von den effektiven ab. Dies deutet klar auf die Kurskorrekturen hin, die jeweils kurz vor den Planetenflybys vorgenommen wurden und Veränderungen der Relativgeschwindigkeit w1 um einige Prozente zur Folge hatten (vgl. Zeile 29). 7 1: Quelle unbekannt 2: Eigene Zeichnung 3: Paetec, nach Vorlage aus Grimsehl, Lehrbuch der Physik, Bd. 1 Bild 1: Eigenes Bild Abbildung 4: Eigene Zeichnung 5: Eigenes Experiment 8