Heger / Huyoff Organisationales Beschaffungsverhalten MARKETING Studienbrief 2-033-0002-I 2. Auflage 2013 Organisationales Beschaffungsverhalten Impressum Verfasser: Prof. Dr. Günther Heger ( † 2010) Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften I an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (FH) und Direktor des Kompetenzzentrums „Internationale Innovationsund Mittelstandsforschung“, Berlin Susanne Huyoff Diplom-Ökonomin (Allgemeine Wirtschaftstheorie) / Diplom-Volkswirtin Freiberufliche Dozentin (Volkswirtschaftslehre) Lehraufträge (Direkt- und Fernstudium): HTW Berlin, FH Brandenburg, FS für Technik und Wirtschaft (Brandenburg) Der Studienbrief wurde auf der Grundlage des Curriculums für das modulare Fernstudienangebot Betriebswirtschaftslehre verfasst. Die Bestätigung des Curriculums erfolgte durch den Fachausschuss für das modulare Fernstudienangebot Betriebswirtschaftslehre, dem folgende Professoren angehören: Prof. Dr. Arnold (TH Mittelhessen), Prof. Dr. Götze (FH Stralsund), Prof. Dr. Hofmeister (FH Erfurt), Prof. Dr. Nullmeier (em., HTW Berlin), Prof. Dr. Pumpe (Beuth HS für Technik Berlin), Rosemann M. A. (Ostfalia Hochschule), Prof. Schindler (HS Merseburg), Prof. Dr. Schmeisser (HTW Berlin), Prof. Dr. Schwill (FH Brandenburg), Prof. Dr. M. Strunz (HS Lausitz), Prof. Dr. H. Strunz (Westsächsische HS Zwickau), Prof. Dr. Tippe (TH Wildau (FH)), Prof. Dr. C. D. Witt (em., HS Wismar). 2. Auflage 2013 ISBN 978-3-86946-178-6 Redaktionsschluss: September 2013 Studienbrief 2-033-0002-I © 2013 by Service-Agentur des Hochschulverbundes Distance Learning. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung und des Nachdrucks, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Service-Agentur des HDL reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Service-Agentur des HDL (Hochschulverbund Distance Learning) Leiter: Dr. Reinhard Wulfert c/o Agentur für wissenschaftliche Weiterbildung und Wissenstransfer e. V. Magdeburger Straße 50, 14770 Brandenburg Tel.: 0 33 81 - 35 57 40 E-Mail: [email protected] Fax: 0 33 81 - 35 57 49 Internet: http://www.aww-brandenburg.de Organisationales Beschaffungsverhalten Inhaltsverzeichnis Impressum........................................................................................................................................................................................2 Einleitung..........................................................................................................................................................................................5 Literaturempfehlung.....................................................................................................................................................................6 1 Einführung in das organisationale Beschaffungsverhalten.........................................................................7 2 Phasen des Beschaffungsprozesses...................................................................................................................13 3 Informationsverteilung im Beschaffungsprozess..........................................................................................18 3.1 Unsicherheit und Risiko im Beschaffungsprozess...................................................................................................................... 18 3.2 Quellen der Unsicherheit..................................................................................................................................................................... 18 3.3 Beurteilbarkeit von Leistungseigenschaften................................................................................................................................ 21 4 Buying Center............................................................................................................................................................ 23 4.1 Wesen des Buying Centers.................................................................................................................................................................. 23 4.2 Struktur des Buying Centers............................................................................................................................................................... 24 4.3 Verhalten im Buying Center................................................................................................................................................................ 26 4.3.1 Rollen im Buying Center....................................................................................................................................................................... 26 4.3.2 Individuelles Informations- und Entscheidungsverhalten...................................................................................................... 31 4.3.3 Konflikt und Macht im Buying Center............................................................................................................................................. 35 5 Situative Determinanten des organisationalen Beschaffungsverhaltens........................................... 40 5.1Kauftyp........................................................................................................................................................................................................40 5.1.1 Wert und Anlass des Kaufes................................................................................................................................................................40 5.1.2 Kaufklasse.................................................................................................................................................................................................. 41 5.1.3 Komplexität des Beschaffungsproblems....................................................................................................................................... 42 5.1.4 Nachgefragter Leistungstyp............................................................................................................................................................... 43 5.2Organisation.............................................................................................................................................................................................46 5.3 Umwelt........................................................................................................................................................................................................ 49 6 Gesamtmodell des organisationalen Beschaffungsverhaltens................................................................51 Lösungshinweise zu den Kontrollfragen............................................................................................................................ 54 Literaturverzeichnis.................................................................................................................................................................... 60 Sachwortverzeichnis.................................................................................................................................................................. 63 HDL 4 HDL Organisationales Beschaffungsverhalten Organisationales Beschaffungsverhalten Einleitung Die Aufgabe des Marketings ist das Management von Wettbewerbsvorteilen. Dabei sind Informationen über das Nachfrageverhalten eine notwendige Voraussetzung, um dieser Funktion für die Anbieter gerecht zu werden. Beim Begriff des Marketings fallen einem in erster Linie Markennamen aus dem Konsumgüterbereich oder damit verbundene Werbung ein. Im Business-to-Consumer-Bereich (B2C = Konsumgütermarketing) müssen die Anbieter ihre Anstrengungen am Verhalten der Endabnehmer, der Konsumenten, ausrichten. Die Grundlagen des Konsumverhaltens sollten Sie sich schon erarbeitet haben bzw. sich anhand des Studienbriefes von Clemens-Ziegler (2004) selbstständig aneignen. Betrachtet man das Verhältnis des Konsumgütermarketings zum Industriegütermarketing so zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und den tatsächlichen Umsätzen, die im B2B-Geschäft etwa viermal so hoch sind in Relation des B2C-Geschäftes. Im Business-to-BusinessGeschäft (B2B), das im vorliegenden Studienbrief im Mittelpunkt des Interesses steht, muss sich das Marketing am Nachfrageverhalten von Unternehmen bzw. anderen nachfragenden Institutionen orientieren. Die Analyse der diesem Bereich des Beschaffungsverhaltens innewohnenden Charakteristika ist in den letzten Jahren in den Blickpunkt der betriebswirtschaftlichen Forschung geraten und auch der Inhalt des vorliegenden Studienbriefes. Der Beschaffungsprozess von Organisationen und dessen Einflussfaktoren werden im vorliegenden Studienbrief grundlegend vorgestellt. Dazu sollen in den ersten Abschnitten einzelnen Bestandteile des Beschaffungsverhaltens vorgestellt und vertiefend betrachtet werden. Mit dem Prozesscharakter der Beschaffung und der Informationsverteilung im Beschaffungsprozess beschäftigen wir uns im zweiten und dritten Abschnitt. In den einzelnen Phasen des Beschaffungsprozesses wirken auf der Nachfragerseite eine Reihe von Personen mit. Je nach Umfang und Zusammensetzung des Buying Centers und in Abhängigkeit vom Verhalten der Buying Center-Mitglieder wird der Beschaffungsprozess unterschiedlich ablaufen. Ansätze zur Analyse des Buying Centers werden im vierten Abschnitt vorgestellt. Der Beschaffungsprozess und das Buying Center werden weiter durch eine Reihe situativer Einflussfaktoren bestimmt. Hier sind vor allem der Kauftyp (Handelt es sich z. B. um ein neuartiges Beschaffungsproblem oder liegt eine Wie- HDL 5 6 Organisationales Beschaffungsverhalten derkaufsituation vor?), die Organisationsmerkmale (Wird der Kauf z. B. durch eine Behörde oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen getätigt?) und Umweltfaktoren (Liegen z. B. Rahmenbedingungen vor, die kaufrelevant sind?) zu nennen. Mit den Auswirkungen dieser Einflussfaktoren beschäftigt sich der fünfte Abschnitt. Als Abschluss des Studienbriefes werden in Kapitel 6 in einem Gesamtmodell des organisationalen Beschaffungsverhaltens alle Teilbereiche zusammen geführt. Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, Ihr Wissen zu überprüfen und anwenden zu können, finden Sie jeweils am Ende der Abschnitte Kontrollfragen, zum Teil auch in Form von kleinen Anwendungs- und Übertragungsübungen. Hinweise zu den Antworten finden Sie am Ende des Studienbriefes. Literaturempfehlung In sämtlichen einführenden Lehrbüchern, die sich mit der Vermarktung von Leistungen gegenüber Unternehmen und sonstigen Organisationen befassen, finden sich mehr oder weniger umfangreiche Ausführungen zum organisationalen Beschaffungsverhalten. –– Nach wie vor bietet das Lehrbuch von Engelhardt/Günter (1981), eine der ersten umfassenden Einführungen in das Investitionsgütermarketing im deutschsprachigen Raum, einen systematischen Überblick über das organisationale Beschaffungsverhalten. –– Ebenso findet sich im Lehrbuch von Backhaus/Voeth zum Industriegütermarketing (Backhaus/Voeth, 2010) eine didaktisch gut aufbereitete und inhaltlich fundierte Einführung in das Beschaffungsverhalten. –– Weiter umfasst der von Kleinaltenkamp/Plinke (2000) herausgegebene Sammelband zum Technischen Vertrieb ein umfangreiches Kapitel zum industriellen Kaufverhalten (Fließ, 2000). In dieser Einführung findet auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den informationsökonomischen Ansätzen zur Erklärung des organisationalen Beschaffungsverhaltens statt. –– Einen weiteren Sammelband haben Kleinaltenkamp/Saab (2009) mit praxisorientierten Beiträgen veröffentlicht. –– Für Übungszwecke sei besonders auf die Fallstudiensammlung von Backhaus/Büschken/Weiber (1998) hingewiesen, die mehrere Fälle zum organisationalen Beschaffungsverhalten enthält. Anhand dieser Fälle können Sie Ihr Wissen praxisbezogen überprüfen und anwenden. HDL Organisationales Beschaffungsverhalten 1 7 Einführung in das organisationale Beschaffungsverhalten Die Kenntnisse des Nachfrageverhaltens sind Voraussetzung für seine wirksame Beeinflussung. XX Im Folgenden sollen anhand eines einführenden Beispiels die Bestandteile und die Besonderheiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens und deren Konsequenzen für das Anbieterverhalten verdeutlicht werden. Studienziele XX Weiterhin erhalten Sie einen Überblick über die Determinanten des organisationalen Beschaffungsverhaltens. Er wird als ein mit Unsicherheit verbundener Beschaffungsprozess verstanden werden, in dem auf beiden Seiten mehrere Personen (Buying Center und Selling Center) involviert sind. XX Für die Art und Weise, wie der Problemlösungsprozess abläuft und welche Personen beteiligt sind, sind eine Reihe situativer Einflussfaktoren verantwortlich, die Ihnen ebenfalls im Überblick vorgestellt werden. B 0.1 „Dipl.-Ing. Ersser, Vertriebsleiter beim Werkzeugmaschinenhersteller Schawitzki & Co., bereitet sich auf ein Verhandlungsgespräch mit Vertretern des Getriebeherstellers Münsteraner Getriebe Werke (MGW) vor. Diese Tochter eines Automobilkonzerns zählt zu den wichtigsten Kunden der Firma Schawitzki. Bei den Verhandlungen geht es um den Verkauf von fünf Werkzeugmaschinen mit einem Auftragswert von ca. 5 Mio. DM. Hierzu geht Herr Ersser noch einmal die Aufzeichnungen über den bisherigen Verlauf des Akquisitionsfalls durch, die ihm vom zuständigen Vertriebsingenieur, Herrn Krause, vorgelegt worden sind. Beispiel Zunächst trat am 03. 07. Herr Blattge von der Einkaufsabteilung der MGW an die Firma Schawitzki & Co. heran und forderte diese schriftlich zur Abgabe eines Angebotes auf. Das Angebot über fünf NC-gesteuerte Werkzeugmaschinen musste einem Anforderungskatalog entsprechen, der gemäß den Beschaffungsrichtlinien des Getriebeherstellers zuvor von dessen technischer Abteilung erstellt worden war. Da man schon früher Maschinen an die MGW geliefert hatte, war Herrn Krause der zuständige Ansprechpartner in der technischen Abteilung, Herr Günther, bekannt. Er wusste, dass dieser einer verstärkten Vernetzung der verschiedenen Unternehmensbereiche positiv gegenüberstand. In einem Telefonat am 08. 07. konnten einige verbleibende Fragen zur technischen Spezifikation geklärt werden und Herr Ersser erfuhr, dass insbesondere der Werksleiter, Herr Walter, der fortschreitenden Computerisierung der Fertigung gegenüber kritisch eingestellt war. Da die Angebotsbewertung bei der Firma Schawitzki positiv ausfiel und man sich insgesamt recht gute Erfolgsaussichten ausrechnete, erarbeitete Herr Krause ein Angebot, das der MGW eine Woche später mit der Post zugesandt wurde. HDL 8 Organisationales Beschaffungsverhalten Am 12. 09. wurde der Werkzeugmaschinenhersteller von der MGW zu einer ersten Verhandlung für den 23. 09. eingeladen, da das Angebot den Anforderungen der MGW grundsätzlich entsprach. Bei der ersten Verhandlung, bei der Herr Krause die Firma Schawitzki & Co. alleine vertrat, waren aufseiten des Getriebeherstellers folgende Personen anwesend: Herr Makowski, der technische Vorstand der MGW, Herr Stricker, der Einkaufsleiter der MGW, Dr. Riegel, der für den Maschinenpark zuständige Chefingenieur der Muttergesellschaft, Frau Schmitz, die Assistentin von Herrn Dr. Riegel und Herr Walter, der zuständige Werksleiter. Während der Verhandlung ging es vorwiegend um technische Fragen. Insbesondere Dr. Riegel sprach immer wieder die Integrationsfähigkeit der Werkzeugmaschinen in eine CIM-Lösung an, die bisher von der Firma Schawitzki nicht nachgewiesen werden konnte, die aber unbedingte Voraussetzung für eine Auftragserteilung sei. Auch Herr Makowski wies immer wieder auf die zukunftsweisende Bedeutung der anstehenden Investition für das Unternehmen hin. Herr Stricker machte deutlich, dass es zumindest zwei ernst zu nehmende Konkurrenzangebote gäbe, die im Preis deutlich unter dem Angebot der Firma Schawitzki lägen. In der Diskussion hielt sich Herr Walter auffallend zurück und stellte nur einige Fragen zum Umfang der Ausfall- und Umrüst­zeiten bei den neuen Werkzeugmaschinen. Nach zweistündigen Verhandlungen wurde vereinbart, sich in drei Wochen wieder zu treffen, um weitere Einzelheiten zu besprechen. Aufgrund des Gesprächsverlaufs gewann Herr Krause den Eindruck, dass es sich bei diesem Beschaffungsvorgang der MGW nicht nur um eine Ersatzinvestition handelte. Vielmehr schien man bei dem Getriebehersteller intensiv über den Einstieg in CIM nachzudenken, was auch die Anwesenheit des Chefingenieurs der Muttergesellschaft erklären könnte. Der Vertriebsingenieur erstellte deshalb eine Dokumentation, die die Möglichkeiten der Integration von Werkzeugmaschinen der Firma Schawitzki & Co in CIM-Lösungen aufzeigte. Darüber hinaus machte er den Vorschlag, dass auch sein Vorgesetzter, Herr Ersser, wegen der möglichen strategischen Bedeutung des Auftrags an der nächsten Verhandlungsrunde teilnehmen sollte“ (Backhaus/Büschken/Weiber, 1998, S. 14 f.). Das Beschaffungsverhalten der MGW weist einige Merkmale auf, die typisch im Business-to-Business-Geschäft sind und die bei der Planung der weiteren Akquisitionsschritte von Herrn Ersser und Krause berücksichtigt werden müssen (vgl. zu den Besonderheiten des Business-to-Business-Marketing Backhaus/Voeth 2010, S. 7 ff.): (1) Abgeleiteter (derivativer) Bedarf Die MGW hat keinen originären Bedarf, sondern die Werkzeugmaschinen werden nachgefragt, weil die Kunden der MGW Getriebe nachfragen. Die Befriedigung von Fremdbedarf ist das Mittel der MGW, ihre eigenen Ziele zu erreichen. HDL Organisationales Beschaffungsverhalten Für Ersser und Krause ist es von zentraler Bedeutung herauszufinden, welches Problem die MGW mit dem Kauf lösen will. Vordergründig besteht das Problem darin, Werkzeugmaschinen zu beschaffen. Der Kauf ist jedoch nur das Mittel, um ein ursächliches Problem zu lösen. Dies könnte z. B. das Problem sein, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Die mit dem Kauf zu lösenden Probleme können von der MGW auch wahrgenommen werden als Kostensenkungs-, Qualitätssicherungs-, Kapazitätserweiterungs-, Integrations-, Implementierungs- oder Finanzierungsproblem. Je nachdem, welches Problem im Vordergrund steht, wird der Kaufprozess unterschiedlich verlaufen. (2) Dauer des Kaufentscheidungsprozesses Die MGW durchläuft einen Problemlösungsprozess, der in verschiedene Phasen unterteilt werden kann (z. B. Problemerkennung, Suche nach Handlungsmöglichkeiten zur Problemlösung, Bewertung der Möglichkeiten, Entscheidung, Implementierung, Kontrolle). Der Prozess bis zur Entscheidung erstreckt sich oft über Monate, manchmal sogar über Jahre. Für den Anbieter ist es wichtig zu wissen, in welcher Phase sich der Nachfrager befindet, um z. B. den phasenspezifischen Informationsbedarf decken zu können. (3) Kollektiver Entscheidungsprozess Im Beispielsfall sind eine Reihe von Personen in den Kaufprozess involviert. Diese Personen werden als Buying Center bezeichnet. Da neben MGW-Mitarbeitern auch der Chefingenieur der Muttergesellschaft einbezogen ist, liegt in diesem Fall ein multiorganisationales Buying Center vor. Aus der Multipersonalität und der Multiorganisationalität des organisationalen Kaufprozesses leitet sich ein umfangreicher Informationsbedarf für die Herren Ersser und Krause ab. Zum Beispiel sind für die Akquisitionsplanung folgende Fragen zu stellen: –– Welche Unternehmen haben Einfluss auf die Kaufentscheidung? –– Welche Personen wirken am Kaufprozess, formell oder auch nur informell, mit? –– Welche Ziele verfolgen die Mitglieder des Buying Centers? –– Welche Konkurrenten sehen die Kaufbeteiligten als relevant an? –– Wie bewerten die Mitglieder des Buying Centers das Leistungsangebot von Schawitzki in Relation zu den Konkurrenzangeboten? –– Welchen Einfluss haben die Buying Center-Mitglieder? –– Wie werden Konflikte zwischen den Buying Center-Mitgliedern ausgetragen? (4) Direkter Verhandlungsprozess Im Lauf des Kaufprozesses findet eine Anzahl von Interaktionen zwischen Anbieter- und Nachfragerseite statt. Bei Schawitzki muss überlegt werden, welche Beiträge das Unternehmen im Interaktionsprozess liefern und wie es die Zusammenarbeit mit MGW gestalten will. Ferner muss entschieden werden, welche Personen auf der Anbieterseite mit MGW in Kontakt treten. HDL 9 10 Organisationales Beschaffungsverhalten (5) Formalisierter Kaufentscheidungsprozess Organisationales Beschaffungsverhalten ist häufig durch einen gewissen Formalisierungsgrad gekennzeichnet, z. B. müssen Investitionsanträge oft ein formales Genehmigungsverfahren durchlaufen. Bei MGW wurden beispielsweise Beschaffungsrichtlinien festgelegt. Das Wissen um diese Verfahren ist für die Akquisitionsplanung der Anbieter wichtig. (6) Rationalität des Kaufentscheidungsprozesses Zwar kann auch bei organisationalen Beschaffungsprozessen nur von begrenzter Rationalität der Kaufentscheidungsbeteiligten ausgegangen werden, da nicht-aufgabenbezogene Interessen auch hier eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Allerdings wird oft eine rationale Kaufentscheidung angestrebt. Für den Anbieter ist es daher wichtig, die Ziele der Nachfrager­ organisation zu erfassen, ohne allerdings eventuelle nicht-aufgabenbezogene Ziele einzelner Buying Center-Mitglieder unberücksichtigt zu lassen. (7) Hohe Wertsummen/hohe Komplexität der nachgefragten Leistungen Der Wert und die Komplexität der nachgefragten Leistungen sind oft relativ hoch. Für den Nachfrager ist damit häufig ein hohes Beschaffungsrisiko verbunden. Insbesondere spielen Unsicherheiten über das Anbieterverhalten eine große Rolle. Dies trifft auch auf MGW zu. Bei Schawitzki sollten in der Konsequenz Überlegungen angestellt werden, wie die von MGW wahrgenommene Unsicherheit reduziert werden kann. (8) Geringe Zahl von Bedarfsträgern/Geschäftsbeziehungen Im Business-to-Business-Geschäft ist die Zahl der Kunden oft begrenzt. Auch finden einzelne Transaktionen nicht unabhängig voneinander statt, sondern es bestehen Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter- und Nachfragerseite. Ein eventueller Kunden- oder Auftragsverlust ist daher für den Anbieter oft von gravierender Bedeutung. Auch bei Schawitzki wird man sich daher Gedanken über die – auch transaktionsübergreifende – kunden­ individuelle Betreuung von MGW machen. Das oben dargestellte Beispiel hat deutlich gemacht, dass ein Kauf- bzw. ein Beschaffungsprozess durch eine innerbetriebliche Aufgabenstellung ausgelöst wird, die mit Hilfe von Beiträgen von außen bewältigt werden soll. Schrittweise versucht das nachfragende Unternehmen seine Situation zu verbessern. Es durchläuft einen mehr oder weniger umfangreichen Problemlösungs- bzw. Entscheidungsprozess, dessen Ablauf von einer Reihe von Einflussgrößen bestimmt wird. Bild 1.1 gibt einen schematischen Überblick über den organisationalen Beschaffungsprozess und dessen Determinanten. HDL Organisationales Beschaffungsverhalten Nachfragerseite Bild 1.1 Anbieterseite Beschaffungssituation –– Umwelt –– Organisationsmerkmale –– Kauftyp Vermarktungssituation –– Umwelt –– Organisationsmerkmale –– Verkaufstyp Buying Center –– Struktur des Buying Centers –– Verhalten im Buying Center Selling Center –– Struktur des Selling Centers –– Verhalten im Selling Center Organisationaler Beschaffungsprozess –– Phasen des Beschaffungs­ prozesses –– Informationsverteilung im Beschaffungsprozess Organisationaler Verkaufsprozess –– Phasen des Verkaufsprozesses –– Informationsverteilung im Verkaufsprozess Determinanten des organisationalen Beschaffungsverhaltens Der organisationale Beschaffungsprozess, wie er im vorliegenden Studienbrief analysiert wird, kann zunächst in typische Phasen unterteilt werden, in denen eine Problemlösung erfolgen soll. Allerdings stehen dem Unternehmen im Beschaffungsprozess nicht alle Informationen zur Verfügung, die zu einer vollständigen „Lösung“ des wahrgenommenen Problems erforderlich sind. Zum Beispiel kann die zukünftige Umweltentwicklung nicht mit Sicherheit prognostiziert werden. Auch ist es fraglich, ob die in den Anbieterangeboten gemachten Leistungsversprechen tatsächlich eingehalten werden. Insofern kommt der Analyse des Informationsstandes und der damit verbundenen Unsicherheit auf der Nachfragerseite eine besondere Bedeutung zu. Obwohl wir uns in diesem Studienbrief auf die nachfragerseitigen Determinanten des Beschaffungsverhaltens konzentrieren (grau unterlegte Kasten in Bild 1.1), muss natürlich gesehen werden, dass das Beschaffungsverhalten auch maßgeblich durch die Verkaufsaktivitäten der verschiedenen Anbieter beeinflusst wird. Den Kaufbeteiligten auf der Nachfragerseite (Buying Center) steht auf der Seite der jeweiligen Anbieter ein Selling Center gegenüber, das die am Verkaufsprozess Beteiligten umfasst (vgl. Heger, 1998, S. 64 ff.). Spiegelbildlich zur Nachfragerseite kann das Selling Center durch Struktur- und Verhaltensmerkmale beschrieben werden, die jeweils durch die Merkmale der Vermarktungssituation beeinflusst werden. Aus der Anbieterperspektive kommt der Analyse des Beschaffungsprozesses besondere Bedeutung für die Planung des Verkaufs- bzw. Akquisitionsprozesses zu. Aus diesem Grunde werden wir uns auch in allen Abschnitten die Frage HDL 11 12 Organisationales Beschaffungsverhalten stellen, welche Konsequenzen sich aus den untersuchten Merkmalen des Beschaffungsverhaltens für die Anbieterseite ergeben. Kontrollfragen HDL K 1.1 Beschreiben Sie den derivativen Bedarf des nachfragenden Unternehmens. K 1.2 Warum handelt es sich in der Regel um eine kollektive Entscheidung, die im Rahmen eines organisationalen Beschaffungsprozesses durchlaufen wird? K 1.3 Welche situativen Einflussfaktoren bestimmen das Beschaffungsverhalten? K 1.4 Wie wirken sich die situativen Einflussfaktoren auf das Beschaffungsverhalten aus?