Organisationales Beschaffungsverhalten

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Heger / Huyoff
Organisationales Beschaffungsverhalten
MARKETING
Studienbrief 2-033-0002-I
2. Auflage 2013
Organisationales Beschaffungsverhalten
Impressum
Verfasser:
Prof. Dr. Günther Heger ( † 2010)
Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing
im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften I
an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (FH)
und Direktor des Kompetenzzentrums „Internationale Innovationsund Mittelstandsforschung“, Berlin
Susanne Huyoff
Diplom-Ökonomin (Allgemeine Wirtschaftstheorie) / Diplom-Volkswirtin
Freiberufliche Dozentin (Volkswirtschaftslehre)
Lehraufträge (Direkt- und Fernstudium):
HTW Berlin, FH Brandenburg, FS für Technik und Wirtschaft (Brandenburg)
Der Studienbrief wurde auf der Grundlage des Curriculums für das modulare Fernstudienangebot Betriebswirtschaftslehre verfasst. Die Bestätigung des Curriculums erfolgte durch den
Fachausschuss für das modulare Fernstudienangebot Betriebswirtschaftslehre,
dem folgende Professoren angehören:
Prof. Dr. Arnold (TH Mittelhessen), Prof. Dr. Götze (FH Stralsund), Prof. Dr. Hofmeister (FH Erfurt), Prof. Dr.
Nullmeier (em., HTW Berlin), Prof. Dr. Pumpe (Beuth HS für Technik Berlin), Rosemann M. A. (Ostfalia Hochschule), Prof. Schindler (HS Merseburg), Prof. Dr. Schmeisser (HTW Berlin), Prof. Dr. Schwill (FH Brandenburg), Prof. Dr. M. Strunz (HS Lausitz), Prof. Dr. H. Strunz (Westsächsische HS Zwickau), Prof. Dr. Tippe (TH
Wildau (FH)), Prof. Dr. C. D. Witt (em., HS Wismar).
2. Auflage 2013
ISBN 978-3-86946-178-6
Redaktionsschluss: September 2013
Studienbrief 2-033-0002-I
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Internet: http://www.aww-brandenburg.de
Organisationales Beschaffungsverhalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum........................................................................................................................................................................................2
Einleitung..........................................................................................................................................................................................5
Literaturempfehlung.....................................................................................................................................................................6
1
Einführung in das organisationale Beschaffungsverhalten.........................................................................7
2
Phasen des Beschaffungsprozesses...................................................................................................................13
3
Informationsverteilung im Beschaffungsprozess..........................................................................................18
3.1 Unsicherheit und Risiko im Beschaffungsprozess...................................................................................................................... 18
3.2 Quellen der Unsicherheit..................................................................................................................................................................... 18
3.3 Beurteilbarkeit von Leistungseigenschaften................................................................................................................................ 21
4
Buying Center............................................................................................................................................................ 23
4.1 Wesen des Buying Centers.................................................................................................................................................................. 23
4.2 Struktur des Buying Centers............................................................................................................................................................... 24
4.3 Verhalten im Buying Center................................................................................................................................................................ 26
4.3.1 Rollen im Buying Center....................................................................................................................................................................... 26
4.3.2 Individuelles Informations- und Entscheidungsverhalten...................................................................................................... 31
4.3.3 Konflikt und Macht im Buying Center............................................................................................................................................. 35
5
Situative Determinanten des organisationalen Beschaffungsverhaltens........................................... 40
5.1Kauftyp........................................................................................................................................................................................................40
5.1.1
Wert und Anlass des Kaufes................................................................................................................................................................40
5.1.2 Kaufklasse.................................................................................................................................................................................................. 41
5.1.3 Komplexität des Beschaffungsproblems....................................................................................................................................... 42
5.1.4 Nachgefragter Leistungstyp............................................................................................................................................................... 43
5.2Organisation.............................................................................................................................................................................................46
5.3 Umwelt........................................................................................................................................................................................................ 49
6
Gesamtmodell des organisationalen Beschaffungsverhaltens................................................................51
Lösungshinweise zu den Kontrollfragen............................................................................................................................ 54
Literaturverzeichnis.................................................................................................................................................................... 60
Sachwortverzeichnis.................................................................................................................................................................. 63
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Organisationales Beschaffungsverhalten
Organisationales Beschaffungsverhalten
Einleitung
Die Aufgabe des Marketings ist das Management von Wettbewerbsvorteilen.
Dabei sind Informationen über das Nachfrageverhalten eine notwendige Voraussetzung, um dieser Funktion für die Anbieter gerecht zu werden. Beim Begriff
des Marketings fallen einem in erster Linie Markennamen aus dem Konsumgüterbereich oder damit verbundene Werbung ein. Im Business-to-Consumer-Bereich (B2C = Konsumgütermarketing) müssen die Anbieter ihre Anstrengungen
am Verhalten der Endabnehmer, der Konsumenten, ausrichten. Die Grundlagen des Konsumverhaltens sollten Sie sich schon erarbeitet haben bzw. sich anhand des Studienbriefes von Clemens-Ziegler (2004) selbstständig aneignen.
Betrachtet man das Verhältnis des Konsumgütermarketings zum Industriegütermarketing so zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen
Wahrnehmung und den tatsächlichen Umsätzen, die im B2B-Geschäft etwa
viermal so hoch sind in Relation des B2C-Geschäftes. Im Business-to-BusinessGeschäft (B2B), das im vorliegenden Studienbrief im Mittelpunkt des Interesses steht, muss sich das Marketing am Nachfrageverhalten von Unternehmen
bzw. anderen nachfragenden Institutionen orientieren. Die Analyse der diesem
Bereich des Beschaffungsverhaltens innewohnenden Charakteristika ist in den
letzten Jahren in den Blickpunkt der betriebswirtschaftlichen Forschung geraten und auch der Inhalt des vorliegenden Studienbriefes.
Der Beschaffungsprozess von Organisationen und dessen Einflussfaktoren werden im vorliegenden Studienbrief grundlegend vorgestellt. Dazu sollen in den
ersten Abschnitten einzelnen Bestandteile des Beschaffungsverhaltens vorgestellt und vertiefend betrachtet werden.
Mit dem Prozesscharakter der Beschaffung und der Informationsverteilung im
Beschaffungsprozess beschäftigen wir uns im zweiten und dritten Abschnitt.
In den einzelnen Phasen des Beschaffungsprozesses wirken auf der Nachfragerseite eine Reihe von Personen mit. Je nach Umfang und Zusammensetzung
des Buying Centers und in Abhängigkeit vom Verhalten der Buying Center-Mitglieder wird der Beschaffungsprozess unterschiedlich ablaufen. Ansätze zur
Analyse des Buying Centers werden im vierten Abschnitt vorgestellt.
Der Beschaffungsprozess und das Buying Center werden weiter durch eine Reihe situativer Einflussfaktoren bestimmt. Hier sind vor allem der Kauftyp (Handelt es sich z. B. um ein neuartiges Beschaffungsproblem oder liegt eine Wie-
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derkaufsituation vor?), die Organisationsmerkmale (Wird der Kauf z. B. durch
eine Behörde oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen getätigt?) und Umweltfaktoren (Liegen z. B. Rahmenbedingungen vor, die kaufrelevant sind?)
zu nennen. Mit den Auswirkungen dieser Einflussfaktoren beschäftigt sich der
fünfte Abschnitt.
Als Abschluss des Studienbriefes werden in Kapitel 6 in einem Gesamtmodell
des organisationalen Beschaffungsverhaltens alle Teilbereiche zusammen geführt.
Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, Ihr Wissen zu überprüfen und anwenden
zu können, finden Sie jeweils am Ende der Abschnitte Kontrollfragen, zum Teil
auch in Form von kleinen Anwendungs- und Übertragungsübungen. Hinweise
zu den Antworten finden Sie am Ende des Studienbriefes.
Literaturempfehlung
In sämtlichen einführenden Lehrbüchern, die sich mit der Vermarktung von
Leistungen gegenüber Unternehmen und sonstigen Organisationen befassen,
finden sich mehr oder weniger umfangreiche Ausführungen zum organisationalen Beschaffungsverhalten.
–– Nach wie vor bietet das Lehrbuch von Engelhardt/Günter (1981), eine der
ersten umfassenden Einführungen in das Investitionsgütermarketing im
deutschsprachigen Raum, einen systematischen Überblick über das organisationale Beschaffungsverhalten.
–– Ebenso findet sich im Lehrbuch von Backhaus/Voeth zum Industriegütermarketing (Backhaus/Voeth, 2010) eine didaktisch gut aufbereitete und inhaltlich fundierte Einführung in das Beschaffungsverhalten.
–– Weiter umfasst der von Kleinaltenkamp/Plinke (2000) herausgegebene Sammelband zum Technischen Vertrieb ein umfangreiches Kapitel zum industriellen Kaufverhalten (Fließ, 2000). In dieser Einführung findet auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den informationsökonomischen Ansätzen
zur Erklärung des organisationalen Beschaffungsverhaltens statt.
–– Einen weiteren Sammelband haben Kleinaltenkamp/Saab (2009) mit praxisorientierten Beiträgen veröffentlicht.
–– Für Übungszwecke sei besonders auf die Fallstudiensammlung von Backhaus/Büschken/Weiber (1998) hingewiesen, die mehrere Fälle zum organisationalen Beschaffungsverhalten enthält. Anhand dieser Fälle können Sie Ihr
Wissen praxisbezogen überprüfen und anwenden.
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Organisationales Beschaffungsverhalten
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Einführung in das
organisationale Beschaffungsverhalten
Die Kenntnisse des Nachfrageverhaltens sind Voraussetzung für seine wirksame Beeinflussung.
XX Im Folgenden sollen anhand eines einführenden Beispiels die Bestandteile
und die Besonderheiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens und
deren Konsequenzen für das Anbieterverhalten verdeutlicht werden.
Studienziele
XX Weiterhin erhalten Sie einen Überblick über die Determinanten des organisationalen Beschaffungsverhaltens. Er wird als ein mit Unsicherheit verbundener Beschaffungsprozess verstanden werden, in dem auf beiden Seiten
mehrere Personen (Buying Center und Selling Center) involviert sind.
XX Für die Art und Weise, wie der Problemlösungsprozess abläuft und welche
Personen beteiligt sind, sind eine Reihe situativer Einflussfaktoren verantwortlich, die Ihnen ebenfalls im Überblick vorgestellt werden.
B 0.1
„Dipl.-Ing. Ersser, Vertriebsleiter beim Werkzeugmaschinenhersteller Schawitzki & Co., bereitet sich auf ein Verhandlungsgespräch
mit Vertretern des Getriebeherstellers Münsteraner Getriebe Werke (MGW) vor. Diese Tochter eines Automobilkonzerns zählt zu den
wichtigsten Kunden der Firma Schawitzki. Bei den Verhandlungen
geht es um den Verkauf von fünf Werkzeugmaschinen mit einem
Auftragswert von ca. 5 Mio. DM. Hierzu geht Herr Ersser noch einmal die Aufzeichnungen über den bisherigen Verlauf des Akquisitionsfalls durch, die ihm vom zuständigen Vertriebsingenieur, Herrn
Krause, vorgelegt worden sind.
Beispiel
Zunächst trat am 03. 07. Herr Blattge von der Einkaufsabteilung
der MGW an die Firma Schawitzki & Co. heran und forderte diese schriftlich zur Abgabe eines Angebotes auf. Das Angebot über
fünf NC-gesteuerte Werkzeugmaschinen musste einem Anforderungskatalog entsprechen, der gemäß den Beschaffungsrichtlinien des Getriebeherstellers zuvor von dessen technischer Abteilung
erstellt worden war. Da man schon früher Maschinen an die MGW
geliefert hatte, war Herrn Krause der zuständige Ansprechpartner
in der technischen Abteilung, Herr Günther, bekannt. Er wusste,
dass dieser einer verstärkten Vernetzung der verschiedenen Unternehmensbereiche positiv gegenüberstand. In einem Telefonat am
08. 07. konnten einige verbleibende Fragen zur technischen Spezifikation geklärt werden und Herr Ersser erfuhr, dass insbesondere
der Werksleiter, Herr Walter, der fortschreitenden Computerisierung der Fertigung gegenüber kritisch eingestellt war.
Da die Angebotsbewertung bei der Firma Schawitzki positiv ausfiel
und man sich insgesamt recht gute Erfolgsaussichten ausrechnete,
erarbeitete Herr Krause ein Angebot, das der MGW eine Woche später mit der Post zugesandt wurde.
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Organisationales Beschaffungsverhalten
Am 12. 09. wurde der Werkzeugmaschinenhersteller von der MGW
zu einer ersten Verhandlung für den 23. 09. eingeladen, da das Angebot den Anforderungen der MGW grundsätzlich entsprach. Bei
der ersten Verhandlung, bei der Herr Krause die Firma Schawitzki &
Co. alleine vertrat, waren aufseiten des Getriebeherstellers folgende Personen anwesend: Herr Makowski, der technische Vorstand
der MGW, Herr Stricker, der Einkaufsleiter der MGW, Dr. Riegel, der
für den Maschinenpark zuständige Chefingenieur der Muttergesellschaft, Frau Schmitz, die Assistentin von Herrn Dr. Riegel und
Herr Walter, der zuständige Werksleiter. Während der Verhandlung
ging es vorwiegend um technische Fragen. Insbesondere Dr. Riegel sprach immer wieder die Integrationsfähigkeit der Werkzeugmaschinen in eine CIM-Lösung an, die bisher von der Firma Schawitzki nicht nachgewiesen werden konnte, die aber unbedingte
Voraussetzung für eine Auftragserteilung sei. Auch Herr Makowski
wies immer wieder auf die zukunftsweisende Bedeutung der anstehenden Investition für das Unternehmen hin. Herr Stricker machte
deutlich, dass es zumindest zwei ernst zu nehmende Konkurrenzangebote gäbe, die im Preis deutlich unter dem Angebot der Firma
Schawitzki lägen. In der Diskussion hielt sich Herr Walter auffallend
zurück und stellte nur einige Fragen zum Umfang der Ausfall- und
Umrüst­zeiten bei den neuen Werkzeugmaschinen. Nach zweistündigen Verhandlungen wurde vereinbart, sich in drei Wochen wieder zu treffen, um weitere Einzelheiten zu besprechen.
Aufgrund des Gesprächsverlaufs gewann Herr Krause den Eindruck,
dass es sich bei diesem Beschaffungsvorgang der MGW nicht nur
um eine Ersatzinvestition handelte. Vielmehr schien man bei dem
Getriebehersteller intensiv über den Einstieg in CIM nachzudenken, was auch die Anwesenheit des Chefingenieurs der Muttergesellschaft erklären könnte. Der Vertriebsingenieur erstellte deshalb
eine Dokumentation, die die Möglichkeiten der Integration von
Werkzeugmaschinen der Firma Schawitzki & Co in CIM-Lösungen
aufzeigte. Darüber hinaus machte er den Vorschlag, dass auch sein
Vorgesetzter, Herr Ersser, wegen der möglichen strategischen Bedeutung des Auftrags an der nächsten Verhandlungsrunde teilnehmen sollte“ (Backhaus/Büschken/Weiber, 1998, S. 14 f.).
Das Beschaffungsverhalten der MGW weist einige Merkmale auf,
die typisch im Business-to-Business-Geschäft sind und die bei der
Planung der weiteren Akquisitionsschritte von Herrn Ersser und
Krause berücksichtigt werden müssen (vgl. zu den Besonderheiten
des Business-to-Business-Marketing Backhaus/Voeth 2010, S. 7 ff.):
(1) Abgeleiteter (derivativer) Bedarf
Die MGW hat keinen originären Bedarf, sondern die Werkzeugmaschinen
werden nachgefragt, weil die Kunden der MGW Getriebe nachfragen. Die
Befriedigung von Fremdbedarf ist das Mittel der MGW, ihre eigenen Ziele
zu erreichen.
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Organisationales Beschaffungsverhalten
Für Ersser und Krause ist es von zentraler Bedeutung herauszufinden, welches Problem die MGW mit dem Kauf lösen will. Vordergründig besteht das
Problem darin, Werkzeugmaschinen zu beschaffen. Der Kauf ist jedoch nur
das Mittel, um ein ursächliches Problem zu lösen. Dies könnte z. B. das Problem sein, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Die mit
dem Kauf zu lösenden Probleme können von der MGW auch wahrgenommen werden als Kostensenkungs-, Qualitätssicherungs-, Kapazitätserweiterungs-, Integrations-, Implementierungs- oder Finanzierungsproblem. Je
nachdem, welches Problem im Vordergrund steht, wird der Kaufprozess unterschiedlich verlaufen.
(2) Dauer des Kaufentscheidungsprozesses
Die MGW durchläuft einen Problemlösungsprozess, der in verschiedene
Phasen unterteilt werden kann (z. B. Problemerkennung, Suche nach Handlungsmöglichkeiten zur Problemlösung, Bewertung der Möglichkeiten, Entscheidung, Implementierung, Kontrolle). Der Prozess bis zur Entscheidung
erstreckt sich oft über Monate, manchmal sogar über Jahre. Für den Anbieter ist es wichtig zu wissen, in welcher Phase sich der Nachfrager befindet,
um z. B. den phasenspezifischen Informationsbedarf decken zu können.
(3) Kollektiver Entscheidungsprozess
Im Beispielsfall sind eine Reihe von Personen in den Kaufprozess involviert.
Diese Personen werden als Buying Center bezeichnet. Da neben MGW-Mitarbeitern auch der Chefingenieur der Muttergesellschaft einbezogen ist,
liegt in diesem Fall ein multiorganisationales Buying Center vor. Aus der
Multipersonalität und der Multiorganisationalität des organisationalen
Kaufprozesses leitet sich ein umfangreicher Informationsbedarf für die Herren Ersser und Krause ab. Zum Beispiel sind für die Akquisitionsplanung folgende Fragen zu stellen:
–– Welche Unternehmen haben Einfluss auf die Kaufentscheidung?
–– Welche Personen wirken am Kaufprozess, formell oder auch nur
informell, mit?
–– Welche Ziele verfolgen die Mitglieder des Buying Centers?
–– Welche Konkurrenten sehen die Kaufbeteiligten als relevant an?
–– Wie bewerten die Mitglieder des Buying Centers das Leistungsangebot
von Schawitzki in Relation zu den Konkurrenzangeboten?
–– Welchen Einfluss haben die Buying Center-Mitglieder?
–– Wie werden Konflikte zwischen den Buying Center-Mitgliedern ausgetragen?
(4) Direkter Verhandlungsprozess
Im Lauf des Kaufprozesses findet eine Anzahl von Interaktionen zwischen
Anbieter- und Nachfragerseite statt. Bei Schawitzki muss überlegt werden,
welche Beiträge das Unternehmen im Interaktionsprozess liefern und wie
es die Zusammenarbeit mit MGW gestalten will. Ferner muss entschieden
werden, welche Personen auf der Anbieterseite mit MGW in Kontakt treten.
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(5) Formalisierter Kaufentscheidungsprozess
Organisationales Beschaffungsverhalten ist häufig durch einen gewissen
Formalisierungsgrad gekennzeichnet, z. B. müssen Investitionsanträge oft
ein formales Genehmigungsverfahren durchlaufen. Bei MGW wurden beispielsweise Beschaffungsrichtlinien festgelegt. Das Wissen um diese Verfahren ist für die Akquisitionsplanung der Anbieter wichtig.
(6) Rationalität des Kaufentscheidungsprozesses
Zwar kann auch bei organisationalen Beschaffungsprozessen nur von begrenzter Rationalität der Kaufentscheidungsbeteiligten ausgegangen werden, da nicht-aufgabenbezogene Interessen auch hier eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Allerdings wird oft eine rationale Kaufentscheidung
angestrebt. Für den Anbieter ist es daher wichtig, die Ziele der Nachfrager­
organisation zu erfassen, ohne allerdings eventuelle nicht-aufgabenbezogene Ziele einzelner Buying Center-Mitglieder unberücksichtigt zu lassen.
(7) Hohe Wertsummen/hohe Komplexität der nachgefragten Leistungen
Der Wert und die Komplexität der nachgefragten Leistungen sind oft relativ
hoch. Für den Nachfrager ist damit häufig ein hohes Beschaffungsrisiko verbunden. Insbesondere spielen Unsicherheiten über das Anbieterverhalten
eine große Rolle. Dies trifft auch auf MGW zu. Bei Schawitzki sollten in der
Konsequenz Überlegungen angestellt werden, wie die von MGW wahrgenommene Unsicherheit reduziert werden kann.
(8) Geringe Zahl von Bedarfsträgern/Geschäftsbeziehungen
Im Business-to-Business-Geschäft ist die Zahl der Kunden oft begrenzt.
Auch finden einzelne Transaktionen nicht unabhängig voneinander statt,
sondern es bestehen Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter- und Nachfragerseite. Ein eventueller Kunden- oder Auftragsverlust ist daher für den
Anbieter oft von gravierender Bedeutung. Auch bei Schawitzki wird man
sich daher Gedanken über die – auch transaktionsübergreifende – kunden­
individuelle Betreuung von MGW machen.
Das oben dargestellte Beispiel hat deutlich gemacht, dass ein Kauf- bzw. ein
Beschaffungsprozess durch eine innerbetriebliche Aufgabenstellung ausgelöst
wird, die mit Hilfe von Beiträgen von außen bewältigt werden soll. Schrittweise
versucht das nachfragende Unternehmen seine Situation zu verbessern.
Es durchläuft einen mehr oder weniger umfangreichen Problemlösungs- bzw.
Entscheidungsprozess, dessen Ablauf von einer Reihe von Einflussgrößen bestimmt wird. Bild 1.1 gibt einen schematischen Überblick über den organisationalen Beschaffungsprozess und dessen Determinanten.
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Organisationales Beschaffungsverhalten
Nachfragerseite
Bild 1.1
Anbieterseite
Beschaffungssituation
–– Umwelt
–– Organisationsmerkmale
–– Kauftyp
Vermarktungssituation
–– Umwelt
–– Organisationsmerkmale
–– Verkaufstyp
Buying Center
–– Struktur des Buying Centers
–– Verhalten im Buying Center
Selling Center
–– Struktur des Selling Centers
–– Verhalten im Selling Center
Organisationaler
Beschaffungsprozess
–– Phasen des Beschaffungs­
prozesses
–– Informationsverteilung
im Beschaffungsprozess
Organisationaler
Verkaufsprozess
–– Phasen des Verkaufsprozesses
–– Informationsverteilung
im Verkaufsprozess
Determinanten des organisationalen Beschaffungsverhaltens
Der organisationale Beschaffungsprozess, wie er im vorliegenden Studienbrief
analysiert wird, kann zunächst in typische Phasen unterteilt werden, in denen
eine Problemlösung erfolgen soll. Allerdings stehen dem Unternehmen im Beschaffungsprozess nicht alle Informationen zur Verfügung, die zu einer vollständigen „Lösung“ des wahrgenommenen Problems erforderlich sind. Zum
Beispiel kann die zukünftige Umweltentwicklung nicht mit Sicherheit prognostiziert werden. Auch ist es fraglich, ob die in den Anbieterangeboten gemachten Leistungsversprechen tatsächlich eingehalten werden.
Insofern kommt der Analyse des Informationsstandes und der damit verbundenen Unsicherheit auf der Nachfragerseite eine besondere Bedeutung zu.
Obwohl wir uns in diesem Studienbrief auf die nachfragerseitigen Determinanten des Beschaffungsverhaltens konzentrieren (grau unterlegte Kasten in
Bild 1.1), muss natürlich gesehen werden, dass das Beschaffungsverhalten auch
maßgeblich durch die Verkaufsaktivitäten der verschiedenen Anbieter beeinflusst wird. Den Kaufbeteiligten auf der Nachfragerseite (Buying Center) steht
auf der Seite der jeweiligen Anbieter ein Selling Center gegenüber, das die am
Verkaufsprozess Beteiligten umfasst (vgl. Heger, 1998, S. 64 ff.). Spiegelbildlich
zur Nachfragerseite kann das Selling Center durch Struktur- und Verhaltensmerkmale beschrieben werden, die jeweils durch die Merkmale der Vermarktungssituation beeinflusst werden.
Aus der Anbieterperspektive kommt der Analyse des Beschaffungsprozesses
besondere Bedeutung für die Planung des Verkaufs- bzw. Akquisitionsprozesses zu. Aus diesem Grunde werden wir uns auch in allen Abschnitten die Frage
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stellen, welche Konsequenzen sich aus den untersuchten Merkmalen des Beschaffungsverhaltens für die Anbieterseite ergeben.
Kontrollfragen
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K 1.1
Beschreiben Sie den derivativen Bedarf des nachfragenden Unternehmens.
K 1.2
Warum handelt es sich in der Regel um eine kollektive Entscheidung, die im Rahmen eines organisationalen Beschaffungsprozesses durchlaufen wird?
K 1.3
Welche situativen Einflussfaktoren bestimmen das Beschaffungsverhalten?
K 1.4
Wie wirken sich die situativen Einflussfaktoren auf das Beschaffungsverhalten aus?
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