Manuskript Katholische Welt Im Namen Gottes Religion als Ursache von Konflikten? Autor/in: Barbara Weiß Redaktion: Wolfgang Küpper / Religion und Orientierung Sendedatum: Sonntag, 19. März 2017 / 08.05 - 08.30 Uhr http://www.br.de/themen/religion/index.html Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 1 Geräusch: Nachrichtensounder Sprecher 2: Myanmar: Buddhisten hetzen gegen Muslime Sprecher 1: berichtet der ARD Weltspiegel Geräusch: Nachrichtensounder Sprecher 2: Muslime verfolgen Christen – mehr als 500 Tote! Blutiger Glaubenskrieg in Nigeria Sprecher 1: schreibt die Bild-Zeitung Geräusch: Nachrichtensounder Sprecher 2: In Nigeria sind bei einem Angriff auf eine christliche Ortschaft mindestens 40 Menschen getötet worden. Bei den Angreifern soll es sich um muslimische Viehhirten des Volkes der Fulani gehandelt haben. Sprecher 1: liest man im Internet auf Kath.net Geräusch: Nachrichtensounder) Sprecher 2: Muslime machen Jagd auf Kopten, Christen verfolgen "Bärtige": Der Machtkampf in Ägypten hat den ohnehin brandgefährlichen Konflikt der Religionen noch weiter verschärft. Oft reichen schon ein Wort oder ein Gerücht, damit es zu Gewalt kommt. Sprecher 1: steht auf Spiegel online Geräusch: Nachrichtensounder Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 2 Sprecher 1: Buddhisten gegen Muslime. Muslime gegen Christen. Shiiten gegen Sunniten. In den Medien wird häufig das Bild vermittelt, dass Streitigkeiten unter Religionsgruppen zu Ausschreitungen oder sogar Krieg führen. Ist Religion aber wirklich die Ursache von Konflikten? Egal ob in Afrika, in Asien oder im Nahen Osten. Und auch in Europa – in Nordirland beispielsweise, um was ging es da? Oder im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina? Heiner Bielefeld, Theologe, Philosoph und Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, der als UN-Sonderberichterstatter in vielen Krisenregionen der Welt unterwegs war, glaubt nicht, dass es Religionskriege heute noch gibt – oder dass es sie überhaupt je gab: O-Ton 1: Selbst der 30jährige Krieg, auch da standen sich katholische Franzosen und katholische Österreicher gegenüber. Und wenn man sich das genauer anschaut, dann ist das auch heute ähnlich. Da spielen immer eine Menge anderer Faktoren eine Rolle. Wenn wir meinen, gewisse Konflikte würden sozusagen aus der DNA der Religionen erfolgen, kommen wir sehr schnell zu fatalistischen Konsequenzen, vielleicht ist das auch ein Grund dafür, weshalb wir so passiv bleiben, auch bei den Konflikten im Nahen Osten. als wäre es sozusagen vorprogrammiert, als ob die sich jetzt an den Hals gehen müssen, weil Shiiten, Sunniten, Muslime und Christen eigentlich seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden dazu vergattert wären, von der Geschichte, einander nicht zu akzeptieren. Impuls Das Konfliktbarometer ist eine Datensammlung von Konflikten weltweit. Jedes Jahr wird es von Heidelberger Studenten aktualisiert. Etwa 200 Ehrenamtliche organisiert in verschiedenen Regionalgruppen - sammeln das ganze Jahr über Informationen zu allen Konflikten weltweit –aus Zeitungen, dem Internet, aus Radio und Fernsehen, manchmal auch vor Ort und werten sie aus, analysieren Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 3 sie. Für 2016 zählt das Konfliktbarometer 226 violent conflicts - gewaltsame Konflikte und 176 non violent conflicts. Manche schwelen seit Jahrzehnten, manche sind in den Medien präsent, andere nahezu vergessen. Allein in Europa hat das Konfliktbarometer 62 meist gewaltfreie Konflikte analysiert. Von den insgesamt 38 Kriege die untersucht wurden in Syrien, Nigeria, Pakistan und andernorts, findet einer davon auf europäischem Boden statt, in der Ukraine. Auch die Rolle der Religion bei Konflikten untersuchen die Studenten im Rahmen ihrer Analyse berichten Timo Werth und Vincent Stüber vom Heidelberger Institut für Konfliktforschung: O-Ton 2: Religion ist ein Konfliktgegenstand. wird als Legitimation für Konfliktmuster genommen. Von dezidiert religiösen Konflikten zu sprechen ist aber schwierig. Es wird aber unter Konfliktgegenstand System / Ideologie geführt. Aber in der heutigen Zeit wird häufig von Religion als Konfliktursache gesprochen, obwohl eigentlich eher die Muster von Religion bedient werden, um einen Konflikt am Leben zu erhalten. Genuin religiöse Konflikte sind eigentlich sehr sehr selten. Religiöse Konflikte führen wir glaube ich momentan keinen. Häufig überschneide sich aber Religion und Ethnizität. Zum Beispiel in Sri Lanka, wo sich Tamilen und Singalesen gegenüberstehen. Auch bei Schiiten und Sunniten ist das der Fall. Nicht nur heute – auch in der Vergangenheit hat Religion zwar immer eine Rolle gespielt, war aber nie der einzige Faktor. Meistens geht es bei Konflikten um Macht und Land, berichtet Frank Pfetsch, Professor für Politikwissenschaft, der das Konfliktbarometer 1991 aus der Taufe gehoben hat. O-Ton 3: Das wissen wir ja im Lutherjahr, dass der Protestantismus von den Regionalfürsten aufgegriffen wurde, die Religion zur eigenen Staatsreligion zu machen. Insofern wäre ich sehr vorsichtig, selbst in der arabischen Welt heute, das ist nicht nur Religionskonflikte, das sind handfeste Machtpolitische Interessen, die dahinter stehen. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 4 Und Timo Werth, der 2016 am Konfliktbarometer mitgearbeitet hat, ergänzt: O-Ton 4: Ich denke Religion eignet sich für viele als sehr einfaches Konfliktmuster. Ein Krieg ist viel leichter zu fassen, wenn man ihn beschreibt, als Christen gegen Muslime, Hindus gegen Buddhisten, als wenn man die dahinter liegenden Strukturen dezidiert darstellt . Natürlich haben viele Konflikte eine religiöse Dimension gehen aber viel tiefer in ihren eigentlichen strukturellen Gründen. Die Darstellung von Konflikten als Kampf der Religionen ist komplexitätsreduzierend und damit einfacher nach außen zu verkaufen. Dass Religion als Konfliktfaktor in den Medien heute präsenter ist als noch vor 30 Jahren, hat daher auch weniger damit zu tun, dass Religion im 21. Jahrhundert wieder eine größere Rolle spielt. Sondern vielmehr damit, dass dem Phänomen Religion während des Kalten Krieges nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Weil der Ost West-Gegensatz und die nukleare Bedrohung die Politik und die Öffentlichkeit fast vollständig dominiert haben, meint Leif Seibert vom Center of the interdisciplinary Research on Religion and Society an der Universität Bielefeld: O-Ton 5: Erst mit dem Ende des Kalten Krieges hat man gesehen, Mensch, da gibt es auch noch was. Man nahm an dass sich religiöse Gewalt auf bestimmte Krisenregionen im Nahen Osten beschränken würde, in Mittelamerika, in Afrika in Südostasien. Aber mit 9 11 ist allen bewusst geworden, dass es sich um eine globale Bedrohung handelt. Musik mittelalterlich Die Kreuzzüge des Mittelalters - ein bekannter Konflikt der Geschichte. Europas Christen zogen aus, um Jerusalem von den Muslimen zurückzuerobern – so zumindest die gängige Deutung der mittelalterlichen Feldzüge. Der Begriff Kreuzzug wird bis heute auch in der modernen Kriegsrhetorik benutzt, um das Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 5 gewaltsame Vorgehen gegen Andersgläubige zu beschreiben. Schaut man sich aber die Hintergründe genau an, dann waren die Kreuzzüge vor allem ein ökonomisches Phänomen, meint Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo von der Universität Regensburg, der auch im Excellenzcluster Religion und Politik an der Universität Münster mitarbeitet: O-Ton 6: Die Kreuzritter wurden gestellt von zweit und drittgeborenen. Die aufgrund des Primogeniturprinzips wenig materielle Sicherheit hatten in der Heimat und die waren besonders motiviert, diese Kreuzzüge zu führen. Weil sie halt von der Aussicht auf Eroberung und Plünderung geleitet waren. Auch ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte zeigt. Religion ist nicht die Ursache von Konflikten, auch wenn es oft so vermittelt wird, wie es zum Beispiel im Nordirland-Konflikt der Fall war, meint Oliver Hidalgo: O-Ton 7: Das hat sich dort um einen Konflikt zwischen einer Besatzungsmacht und einem unterdrückten Volk auf der anderen Seite geführt wurde, und erst viel später wurde dieser Konflikt als religiöser Konflikt wahr genommen. Als Frontlinie zwischen Katholiken und Protestanten. Nicht die Ursache, aber dass so lange der Konflikt, ihr, wir, da ist die Religion sicher ein entscheidender Faktor. Musik Bosnien oder Südosteuropa Ein großer Unterschied besteht zwischen Konfliktursachen und Konfliktverlauf. Auch beim Krieg in Bosnien-Herzegowina zwischen 1992 und 1995, der mehr als 100 000 Tote forderte und bis heute im Heidelberger Konfliktbarometer als Konflikt angeführt wird – wenn auch heute als gewaltfreier. In Bosnien gab und gibt es drei Volksgruppen und eine kleine. Die katholischen Kroaten, orthodoxe Serben, die muslimischen Bosniaken – und eine kleine Gruppe Juden. Die Ursache für den Krieg war der Zerfall Jugoslawiens - und der war wirtschaftlich Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 6 und politisch bedingt. Die Art wie der Konflikt aber verlaufen ist und welche Formen exzessiver Gewalt es im Bosnienkrieg gegeben hat, dafür spielten wiederum ethnische und religiöse Komponenten eine entscheidende Rolle, so Leif Seibert von der Universität Bielefeld O-Ton 8 und 9: Religiöse und politische Eliten gingen im Kampf gegen Kommunismus einen Schulterschluss ein, so dass die religiösen Führer im Lager der Nationalisten landeten, so dass die nationalistische Umdeutung Südosteuropas sich sehr stark auf religiöse Motive stützte. O-Ton: Der Nation- und Volksgedanke wurde durch religiöse Motive sakralisiert. Das war sehr explosiv. Bosnien-Experte Leif Seibert berichtet, dass heute – mehr als 20 Jahre nach dem Krieg - in Bosnien viel über Religion und die Rolle im Krieg diskutiert wird: Ist Religion Unruhestifter? Oder kann Religion zum Frieden beitragen? O-Ton 10: Und die Religionsgemeinschaften versuchen eben sich in Sachen interreligiösen Dialog und humanitäre Hilfe zu engagieren, aber nichts desto trotz wird das überschattet von den Gräueln des Krieges, bei denen sich die Religionen nicht mit Ruhm bekleckert haben. Musikimpuls Religionen haben einen ambivalenten Charakter. Dadurch dass Religionen es schaffen, eine Gemeinschaft zu bilden, eine Wir-Identität zu schaffen, formieren sich vor dem Hintergrund von Religionen sehr oft auch Freund-FeindDichotomien. Auch Ideologien können abgrenzen. Und auch durch Sprache und Ethnizität wird die Identität der Menschen geprägt, werden Gruppen gebildet. Religionen haben aber eine besondere Sprengkraft, ist Oliver Hidalgo überzeugt. Wegen gemeinsamer Rituale und Dogmen. Und weil Religion auch immer die Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 7 Gemeinschaft im Blick hat und ein transzendentes Ziel, das über den ganz irdischen Interessen des einzelnen steht: O-Ton 11 Hidalgo: Man hat immer auch Selbsttranszendierung um einen Einsatz für die Gemeinschaft. Das sind natürlich Potentiale, die sich gut nutzen lassen, sowohl für positive wie für negative Ziele. Brandbeschleuniger oder Friedensstifter – für beides bieten sich Religionen an, sagt Leif Seibert: O-Ton 12: Ein Beispiel für die Doppeldeutigkeit wäre das Bild des Opfers in den abrahamitischen Religionen. Eine der großen ethischen Errungenschaften dieser Religionen ist ja, dass sie dazu neigen, sich mit dem Opfer zu identifizieren, mit unterlegenen sympathisieren, daraus eine Schutzverantwortung gegenüber Schwächeren ableiten. Religiös wird diese Symbolik im Kreuzestod oder im Martyrium transportiert. Dieses Symbol des Märtyrers bietet aber wiederum erhebliches Konfliktpotential, wenn man sich selbst als Opfer sieht und einen Gegenschlag gegen vermeintliche Täter führt. O-Ton 13: Das war unter anderem die Begründung der serbisch-orthodoxen Kirche bei Gewaltexzessen gegenüber Moslems in Südosteuropa, das sehen wir aber auch heute als Begründung unter islamistischen Selbstmordattentätern. Musik - Nachost-Konflikt Der Nahostkonflikt ist sicher der bekannteste Konflikt weltweit. Als Nahostkonflikt bezeichnet man den Konflikt um die Region Palästina, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen Juden und Arabern entstand. Den Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 8 Anspruch auf das Land erheben beide Seiten. Stephan Stetter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München O-Ton 14: Stetter: In Israel und Palästina ist es so gewesen, dass dieser Konflikt noch im osmanischen Reich entstanden ist, dann aber der Westen die politische Verantwortung, Verwaltung für dieses Gebiet übernommen hat, und dort oft keine gute Rolle gespielt hat. Das waren nicht nur die Briten. Auch die Deutschen und die Amerikaner. Die Russen, die Französen und Belgier haben in ihrer Kolonialzeit nicht gerade sehr glücklich Politik gemacht dahingehend, dass man bestimmte gesellschaftliche Gruppen bevorzugt hat, als Verbündete gewonnen hat und damit und damit die Strukturen gelegt hat unter denen wir teilweise bis heute leiden. Dass sich in Palästina zwei verschiedene Religionsgemeinschaften gegenüberstehen, hat den Konflikt zwar nicht verursacht. Wenn aber Privilegien nur bei einer Gruppe liegen und Exklusion die andere Gruppe trifft - wenn es sehr starke Ungleichheiten gibt – dann ist das konfliktverschärfend. 1948 nach Gründung Israels spielte der Faktor Religion im Nahostkonflikt nur geringe Rolle. Es ging damals vor allem um Nationalismus. Um die Nichtakzeptanz Israels als Staat: O-Ton 15: Das hat sich 1967 geändert, mit dem Sechs-Tage-Krieg. in dem Israel Ostjerusalem erobert hat, auch die religiösen Stätten, die für das Judentum, aber auch für das Christentum und den Islam von so großer Bedeutung sind und das hat in der israelischen Innenpolitik zu einem Rivival von Religion geführt. Man hat diesen Sieg in diesem Krieg fast religiös interpretiert. Die Siedlerbewegung wurde dadurch politisch gestärkt…(Religion hat eine größere politische Bedeutung bekommen durch diesen Sieg und wie er auch mythisch aufgeladen wurde in der politischen Debatte. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 9 Auf palästinensischer Seite beförderte der Bedeutungsgewinn von Religion den politischen Islam. Die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, die in den 1960er und 19970er Jahren unter Arafat die führende politische Macht in Palästina war, war eine nationalistische Bewegung. O-Ton 16: Aber heute auch die Unzufriedenheit, die es heute mit der palästinensischen Autonomiebehörde gibt in Palästina führt dazu, dass die Hamas zu einer stärkeren politischen Macht geworden ist. die in ihrer Ideologie wenn auch ein sehr exklusives Verständnis von Religion ins Zentrum setzt. Ganz Alte Musik aus der Zeit der Bibel Was für die Bibel gilt, das gilt auch für die Thora, den Koran und auch für heilige Schriften asiatischer Religionen: In allen Offenbarungsschriften geht es stellenweise sehr blutig zur Sache. Es gibt die These, dass die monotheistischen Religionen nun eher dazu neigen, Konflikte zu befeuern, eine intolerante Form von Religion zu propagieren, weil sie an nur einen Gott glauben. Neben dem es keine Alternative gibt. Für Oliver Hidalgo ist das eine sehr romantisierende Sicht auf polytheistische Religionen, so als ob die kein ausgrenzendes Element hätten: O-Ton 17: Auch in Buddhismus gibt es Entwicklungen, denken Sie an den Konflikt in Sri Lanka, zwischen Tamilen und Singalesen. In den heiligen Schriften gibt es sowohl ein Gewaltverbot als auch Passagen, in denen dieses Gewaltverbot eingeschränkt wird: Man soll keinen anderen Verletzten. Aber wenn der andere ein Verbrecher ist, darf man ihn verletzen. Diese Dialektik spiegelt sich auch in den Theorien eines gerechten Krieges Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 10 wieder. Unter welchen Umständen es legitim ist, Gewalt anzuwenden, trotz des allgemeinen Gewaltverbots, in den heiligen Schriften, weiß Leif Seibert: O-Ton 18: Es gibt natürlich Unterschiede, da die Religionen verschiedene Symbolinventare haben, Der Jainismus eine asiatische Friedensreligion ist immer so ein Beispiel für eine Religion aus der sich kein Konfliktpotential ablesen lässt, der stellt aber wirklich die Ausnahme dar. Die meisten Religionen halten zumindest in Ansätzen Punkte, auf die man sich stützen könnte Der Islam steht zur Zeit im Vordergrund der Diskussion, wenn es um Gewalt und Religion geht. Und auch Terrorgruppen wie der IS und Boko Haram berufen sich dezidiert bei ihrer Gewaltlegitimation auf den Islam. Das liegt aber nicht am Islam selbst, sondern an den Konflikten, die sich dahinter verbergen, meint Oliver Hidalgo vom Excellenzcluster Religion und Politik. Alle islamischen Länder – bis auf Saudi-Arabien - haben eine Kolonialvergangenheit. Und die Kolonialgeschichte spielt heute noch eine große Rolle in diesen Krisenregionen, berichtet Oliver Hidalgo O-Ton 19: Erfahrung der Unterdrückung, von muslimischen Ländern durch westliche Mächte ohne das ist der Salafismus und der revolutionäre Islam, wie er sich im 19. Und 20. Jahrhundert herausgebildet hat gar nicht zu verstehen. Auch die Diskriminierung, die Identitätskrisen, die durch die Globalisierung entstehen, dass das alles wesentlich dazu beiträgt, dass gewaltbereite Interpretationen des Koran auf dem Vormarsch sind bzw eine gewisse Attraktivität haben, aber deswegen würde ich nie sagen, dass der Islam eine gewalttätigere Religion ist als andere. Religiös organisierte Gewalt wird nicht durch die Religion selbst begünstigt, sondern durch den Grad der Institutionalisierung einer Religion. Gibt es funktionierende Institutionen ist es leichter, Leute zu mobilisieren. Zu was auch immer. Gerade viele asiatische Religionen kann man hinsichtlich ihrer Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 11 Organisation nicht mit christlichen Kirchen vergleichen, weiß Leif Seibert vom Center of the interdisciplinary Research on Religion und: O-Ton 20: ob sie die Menschen dann mit einer Botschaft zum Eskalieren oder Deeskalieren einen Konflikts erreichen, das steht auf einem anderen Blatt. Religion lässt beides zu. Und letztendlich hängt es dann von den Erfahrungszusammenhängen und Deutungszusammenhängen ab, welche Deutung die Oberhand gewinnt. Für alle Deutungen und Situationen halten Religionen jedenfalls ein passendes Symbol-Inventar bereit. Und die Gläubigen sehen auch die Inhalte ihrer Religion für verbindlich und autoritativ vorgegeben an, betont Religionswissenschaftler Karsten Lehmann aus Wien: O-Ton 21: Auf der einen Seite die Symbolsysteme, die als unhinterfragbar angesehen werden.. Und auf der anderen Seite deren Deutung durch die Träger. Für die Frage nach dem Konfliktpotential ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Vielfältigste empirische Studien zeigen, wie schnell sich, die Deutung individuell und gesellschaftlich verändern können. Auch wenn der Rahmen durch die heiligen Schriften festgelegt ist, unterliegen Religionen einen Dynamik. Was im 21. Jahrhundert sicher besonders zu beobachten ist, ist eine größere Individualisierung des Glaubens. Das beugt aber nicht Konflikten vor, meint Oliver Hidalgo: O-Ton 22: Wir sind in Europa in einer sehr säkularen Welt, wo auch gerade die institutionalisierte Form von Religion an Bedeutung verliert, gleichzeitig heißt das aber nicht, dass diese Art von Gesellschaft keine besonderen religiösen Entgleisungen zum Vorschein bringt. Also man kann sagen, dass religiöser Fundamentalismus sich in einer säkularen Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 12 Umgebung ganz besonders gut entfalten kann, weil die noch vermeintlich Glaubenstreuen sich in so einer Umgebung viel leichter radikalisieren lassen. Weil die Umgebung als dekadent empfunden wird, kommt ein Chorgeist auf: wir gegen den Rest der Welt. Rücksichten werden nicht genommen - solche Rücksichtslosigkeit könnte sich eine Religion, die gesellschaftlich in der Mehrheit wäre, gar nicht leisten. Wenn sich aber eine Minderheit in einer feindlichen Umgebung wähnt, ist sie zu ganz anderen Dingen fähig als eine Religion, die große öffentliche Bedeutung hat. Das was Terrororganisationen wie der IS beispielsweise predigen, lehnen islamische Theologen zwar ab, aber: O-Ton 23: Andererseits würde ich auch nicht mehr Vorurteil unterliegen, der IS hat mit dem Islam nichts zu tun, man muss schon verstehen, warum so eine radikale, menschenverachtende Auslegung des Islam heute bei so vielen Menschen attraktiv ist, warum das Antworten auf Sinnsuchen und biografische Krisen impliziert, das ist kein Zufall dass das der Islam ist, der momentan eben als einzige radikale Alternative zur westlichen Gesellschaft dargestellt wird. Damit will ich keine Schuldzuweisungen machen, aber man muss schon verstehen, warum der IS genau im Islam eine Quelle für seine Ideologie findet. Musikimpuls Medien sind dazu da zu vermitteln und zu vereinfachen. Wenn es um die Ursache von Konflikten geht, wird man der Sache nicht gerecht, wenn man komplexe Zusammenhänge auf den Faktor Religion reduziert. Nachrichtensounder Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 13 Sprecher 2: Myanmar: Buddhisten hetzen gegen Muslime. Muslime verfolgen Christen – mehr als 500 Tote! Blutiger Glaubenskrieg in Nigeria. Muslime machen Jagd auf Kopten, Christen verfolgen "Bärtige" in Ägypten. O-Ton 24: Jede Berichterstattung über religiös konotierte Konflikte ist immer gefährdet, die Dinge zu stark auf die Religion zu lenken. Die wissenschaftlichen Bücher, die wir schreiben, lesen dafür ganz wenige Leute. Das ist ein Problem. Man muss sich die Zeit nehmen, sich mit der Schwierigkeit, Problematik Religion zu befassen und das dauert eben. Weiß Oliver Hidalgo vom Excellenzcluster Religion und Politik an der Universität Münster. Während man früher den Faktor Religion als Konfliktgegenstand eher unterbewertet hat, erleben wir derzeit eher das andere Extrem. Religionen werden in Konflikten als entscheidender Faktor wahrgenommen. Ja sogar als einziger Schlüssel zur Lösung des Konflikts. Heiner Bielefeldt, katholischer Theologe und bis vor kurzem Sonderberichterstatter für die Vereinten Nationen in Religionsfragen, weiß, auch das trifft so nicht zu. O-Ton 25: Man muss Religion ernst nehmen, aber bitte nicht isoliert betrachten. Und immer eines nicht vergessen. Es sind Menschen, die in den Religionsgemeinschaften tätig sind, das ist nie einfach eine Masse. Muslime. Christen, die Protestanten, die Katholiken, da gibt es auch immer solche, die sich gegen diese fürchterliche Konfliktdynamik stemmen, die muss man stützen und der erste Schritt ist, dass man die überhaupt zur Kenntnis nimmt. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2017 Seite 14