Bayern 2 Vorlage - Bayerischer Rundfunk

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Manuskript
Katholische Welt
Im Namen Gottes
Religion als Ursache von Konflikten?
Autor/in:
Barbara Weiß
Redaktion:
Wolfgang Küpper / Religion und Orientierung
Sendedatum:
Sonntag, 19. März 2017 / 08.05 - 08.30 Uhr
http://www.br.de/themen/religion/index.html
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Bayerischer Rundfunk 2017
Seite 1
Geräusch: Nachrichtensounder
Sprecher 2: Myanmar: Buddhisten hetzen gegen Muslime
Sprecher 1: berichtet der ARD Weltspiegel
Geräusch: Nachrichtensounder
Sprecher 2:
Muslime verfolgen Christen – mehr als 500 Tote! Blutiger Glaubenskrieg in
Nigeria
Sprecher 1: schreibt die Bild-Zeitung
Geräusch: Nachrichtensounder
Sprecher 2:
In Nigeria sind bei einem Angriff auf eine christliche Ortschaft mindestens 40
Menschen getötet worden. Bei den Angreifern soll es sich um muslimische
Viehhirten des Volkes der Fulani gehandelt haben.
Sprecher 1: liest man im Internet auf Kath.net
Geräusch: Nachrichtensounder)
Sprecher 2:
Muslime machen Jagd auf Kopten, Christen verfolgen "Bärtige": Der Machtkampf
in Ägypten hat den ohnehin brandgefährlichen Konflikt der Religionen noch
weiter verschärft. Oft reichen schon ein Wort oder ein Gerücht, damit es zu
Gewalt kommt.
Sprecher 1: steht auf Spiegel online
Geräusch: Nachrichtensounder
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Seite 2
Sprecher 1:
Buddhisten gegen Muslime. Muslime gegen Christen. Shiiten gegen Sunniten. In
den Medien wird häufig das Bild vermittelt, dass Streitigkeiten unter
Religionsgruppen zu Ausschreitungen oder sogar Krieg führen. Ist Religion aber
wirklich die Ursache von Konflikten? Egal ob in Afrika, in Asien oder im Nahen
Osten. Und auch in Europa – in Nordirland beispielsweise, um was ging es da?
Oder im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina? Heiner Bielefeld, Theologe,
Philosoph und Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und
Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, der als UN-Sonderberichterstatter in vielen Krisenregionen der Welt
unterwegs war, glaubt nicht, dass es Religionskriege heute noch gibt – oder
dass es sie überhaupt je gab:
O-Ton 1:
Selbst der 30jährige Krieg, auch da standen sich katholische Franzosen und
katholische Österreicher gegenüber. Und wenn man sich das genauer anschaut, dann
ist das auch heute ähnlich. Da spielen immer eine Menge anderer Faktoren eine Rolle.
Wenn wir meinen, gewisse Konflikte würden sozusagen aus der DNA der Religionen
erfolgen, kommen wir sehr schnell zu fatalistischen Konsequenzen, vielleicht ist das
auch ein Grund dafür, weshalb wir so passiv bleiben, auch bei den Konflikten im
Nahen Osten. als wäre es sozusagen vorprogrammiert, als ob die sich jetzt an den
Hals gehen müssen, weil Shiiten, Sunniten, Muslime und Christen eigentlich seit
Jahrhunderten, ja Jahrtausenden dazu vergattert wären, von der Geschichte, einander
nicht zu akzeptieren.
Impuls
Das Konfliktbarometer ist eine Datensammlung von Konflikten weltweit. Jedes
Jahr wird es von Heidelberger Studenten aktualisiert. Etwa 200 Ehrenamtliche organisiert in verschiedenen Regionalgruppen - sammeln das ganze Jahr über
Informationen zu allen Konflikten weltweit –aus Zeitungen, dem Internet, aus
Radio und Fernsehen, manchmal auch vor Ort und werten sie aus, analysieren
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Seite 3
sie. Für 2016 zählt das Konfliktbarometer 226 violent conflicts - gewaltsame
Konflikte und 176 non violent conflicts. Manche schwelen seit Jahrzehnten,
manche sind in den Medien präsent, andere nahezu vergessen. Allein in Europa
hat das Konfliktbarometer 62 meist gewaltfreie Konflikte analysiert. Von den
insgesamt 38 Kriege die untersucht wurden in Syrien, Nigeria, Pakistan und
andernorts, findet einer davon auf europäischem Boden statt, in der Ukraine.
Auch die Rolle der Religion bei Konflikten untersuchen die Studenten im
Rahmen ihrer Analyse berichten Timo Werth und Vincent Stüber vom
Heidelberger Institut für Konfliktforschung:
O-Ton 2:
Religion ist ein Konfliktgegenstand. wird als Legitimation für Konfliktmuster genommen.
Von dezidiert religiösen Konflikten zu sprechen ist aber schwierig. Es wird aber unter
Konfliktgegenstand System / Ideologie geführt. Aber in der heutigen Zeit wird häufig
von Religion als Konfliktursache gesprochen, obwohl eigentlich eher die Muster von
Religion bedient werden, um einen Konflikt am Leben zu erhalten. Genuin religiöse
Konflikte sind eigentlich sehr sehr selten. Religiöse Konflikte führen wir glaube ich
momentan keinen.
Häufig überschneide sich aber Religion und Ethnizität. Zum Beispiel in Sri
Lanka, wo sich Tamilen und Singalesen gegenüberstehen. Auch bei Schiiten und
Sunniten ist das der Fall. Nicht nur heute – auch in der Vergangenheit hat
Religion zwar immer eine Rolle gespielt, war aber nie der einzige Faktor.
Meistens geht es bei Konflikten um Macht und Land, berichtet Frank Pfetsch,
Professor für Politikwissenschaft, der das Konfliktbarometer 1991 aus der Taufe
gehoben hat.
O-Ton 3:
Das wissen wir ja im Lutherjahr, dass der Protestantismus von den Regionalfürsten
aufgegriffen wurde, die Religion zur eigenen Staatsreligion zu machen. Insofern wäre
ich sehr vorsichtig, selbst in der arabischen Welt heute, das ist nicht nur
Religionskonflikte, das sind handfeste Machtpolitische Interessen, die dahinter stehen.
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Seite 4
Und Timo Werth, der 2016 am Konfliktbarometer mitgearbeitet hat, ergänzt:
O-Ton 4:
Ich denke Religion eignet sich für viele als sehr einfaches Konfliktmuster. Ein Krieg ist
viel leichter zu fassen, wenn man ihn beschreibt, als Christen gegen Muslime, Hindus
gegen Buddhisten, als wenn man die dahinter liegenden Strukturen dezidiert darstellt .
Natürlich haben viele Konflikte eine religiöse Dimension gehen aber viel tiefer in ihren
eigentlichen strukturellen Gründen.
Die Darstellung von Konflikten als Kampf der Religionen ist
komplexitätsreduzierend und damit einfacher nach außen zu verkaufen. Dass
Religion als Konfliktfaktor in den Medien heute präsenter ist als noch vor 30
Jahren, hat daher auch weniger damit zu tun, dass Religion im 21. Jahrhundert
wieder eine größere Rolle spielt. Sondern vielmehr damit, dass dem Phänomen
Religion während des Kalten Krieges nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt
wurde. Weil der Ost West-Gegensatz und die nukleare Bedrohung die Politik und
die Öffentlichkeit fast vollständig dominiert haben, meint Leif Seibert vom Center
of the interdisciplinary Research on Religion and Society an der Universität
Bielefeld:
O-Ton 5:
Erst mit dem Ende des Kalten Krieges hat man gesehen, Mensch, da gibt es auch
noch was. Man nahm an dass sich religiöse Gewalt auf bestimmte Krisenregionen im
Nahen Osten beschränken würde, in Mittelamerika, in Afrika in Südostasien. Aber mit 9
11 ist allen bewusst geworden, dass es sich um eine globale Bedrohung handelt.
Musik mittelalterlich
Die Kreuzzüge des Mittelalters - ein bekannter Konflikt der Geschichte. Europas
Christen zogen aus, um Jerusalem von den Muslimen zurückzuerobern – so
zumindest die gängige Deutung der mittelalterlichen Feldzüge. Der Begriff
Kreuzzug wird bis heute auch in der modernen Kriegsrhetorik benutzt, um das
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gewaltsame Vorgehen gegen Andersgläubige zu beschreiben. Schaut man sich
aber die Hintergründe genau an, dann waren die Kreuzzüge vor allem ein
ökonomisches Phänomen, meint Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo von der
Universität Regensburg, der auch im Excellenzcluster Religion und Politik an der
Universität Münster mitarbeitet:
O-Ton 6:
Die Kreuzritter wurden gestellt von zweit und drittgeborenen. Die aufgrund des
Primogeniturprinzips wenig materielle Sicherheit hatten in der Heimat und die waren
besonders motiviert, diese Kreuzzüge zu führen. Weil sie halt von der Aussicht auf
Eroberung und Plünderung geleitet waren.
Auch ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte zeigt. Religion ist nicht die
Ursache von Konflikten, auch wenn es oft so vermittelt wird, wie es zum Beispiel
im Nordirland-Konflikt der Fall war, meint Oliver Hidalgo:
O-Ton 7:
Das hat sich dort um einen Konflikt zwischen einer Besatzungsmacht und einem
unterdrückten Volk auf der anderen Seite geführt wurde, und erst viel später wurde
dieser Konflikt als religiöser Konflikt wahr genommen. Als Frontlinie zwischen
Katholiken und Protestanten. Nicht die Ursache, aber dass so lange der Konflikt, ihr,
wir, da ist die Religion sicher ein entscheidender Faktor.
Musik Bosnien oder Südosteuropa
Ein großer Unterschied besteht zwischen Konfliktursachen und Konfliktverlauf.
Auch beim Krieg in Bosnien-Herzegowina zwischen 1992 und 1995, der mehr als
100 000 Tote forderte und bis heute im Heidelberger Konfliktbarometer als
Konflikt angeführt wird – wenn auch heute als gewaltfreier. In Bosnien gab und
gibt es drei Volksgruppen und eine kleine. Die katholischen Kroaten, orthodoxe
Serben, die muslimischen Bosniaken – und eine kleine Gruppe Juden. Die
Ursache für den Krieg war der Zerfall Jugoslawiens - und der war wirtschaftlich
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Seite 6
und politisch bedingt. Die Art wie der Konflikt aber verlaufen ist und welche
Formen exzessiver Gewalt es im Bosnienkrieg gegeben hat, dafür spielten
wiederum ethnische und religiöse Komponenten eine entscheidende Rolle, so
Leif Seibert von der Universität Bielefeld
O-Ton 8 und 9:
Religiöse und politische Eliten gingen im Kampf gegen Kommunismus einen
Schulterschluss ein, so dass die religiösen Führer im Lager der Nationalisten landeten,
so dass die nationalistische Umdeutung Südosteuropas sich sehr stark auf religiöse
Motive stützte.
O-Ton: Der Nation- und Volksgedanke wurde durch religiöse Motive sakralisiert. Das
war sehr explosiv.
Bosnien-Experte Leif Seibert berichtet, dass heute – mehr als 20 Jahre nach dem
Krieg - in Bosnien viel über Religion und die Rolle im Krieg diskutiert wird: Ist
Religion Unruhestifter? Oder kann Religion zum Frieden beitragen?
O-Ton 10:
Und die Religionsgemeinschaften versuchen eben sich in Sachen interreligiösen
Dialog und humanitäre Hilfe zu engagieren, aber nichts desto trotz wird das
überschattet von den Gräueln des Krieges, bei denen sich die Religionen nicht mit
Ruhm bekleckert haben.
Musikimpuls
Religionen haben einen ambivalenten Charakter. Dadurch dass Religionen es
schaffen, eine Gemeinschaft zu bilden, eine Wir-Identität zu schaffen, formieren
sich vor dem Hintergrund von Religionen sehr oft auch Freund-FeindDichotomien. Auch Ideologien können abgrenzen. Und auch durch Sprache und
Ethnizität wird die Identität der Menschen geprägt, werden Gruppen gebildet.
Religionen haben aber eine besondere Sprengkraft, ist Oliver Hidalgo überzeugt.
Wegen gemeinsamer Rituale und Dogmen. Und weil Religion auch immer die
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Gemeinschaft im Blick hat und ein transzendentes Ziel, das über den ganz
irdischen Interessen des einzelnen steht:
O-Ton 11 Hidalgo:
Man hat immer auch Selbsttranszendierung um einen Einsatz für die Gemeinschaft.
Das sind natürlich Potentiale, die sich gut nutzen lassen, sowohl für positive wie für
negative Ziele.
Brandbeschleuniger oder Friedensstifter – für beides bieten sich Religionen an,
sagt Leif Seibert:
O-Ton 12:
Ein Beispiel für die Doppeldeutigkeit wäre das Bild des Opfers in den abrahamitischen
Religionen. Eine der großen ethischen Errungenschaften dieser Religionen ist ja, dass
sie dazu neigen, sich mit dem Opfer zu identifizieren, mit unterlegenen sympathisieren,
daraus eine Schutzverantwortung gegenüber Schwächeren ableiten.
Religiös wird diese Symbolik im Kreuzestod oder im Martyrium transportiert.
Dieses Symbol des Märtyrers bietet aber wiederum erhebliches Konfliktpotential,
wenn man sich selbst als Opfer sieht und einen Gegenschlag gegen
vermeintliche Täter führt.
O-Ton 13:
Das war unter anderem die Begründung der serbisch-orthodoxen Kirche bei
Gewaltexzessen gegenüber Moslems in Südosteuropa, das sehen wir aber auch heute
als Begründung unter islamistischen Selbstmordattentätern.
Musik - Nachost-Konflikt
Der Nahostkonflikt ist sicher der bekannteste Konflikt weltweit. Als
Nahostkonflikt bezeichnet man den Konflikt um die Region Palästina, der zu
Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen Juden und Arabern entstand. Den
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Seite 8
Anspruch auf das Land erheben beide Seiten. Stephan Stetter, Professor für
Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei
München
O-Ton 14:
Stetter: In Israel und Palästina ist es so gewesen, dass dieser Konflikt noch im
osmanischen Reich entstanden ist, dann aber der Westen die politische
Verantwortung, Verwaltung für dieses Gebiet übernommen hat, und dort oft keine gute
Rolle gespielt hat. Das waren nicht nur die Briten. Auch die Deutschen und die
Amerikaner. Die Russen, die Französen und Belgier haben in ihrer Kolonialzeit nicht
gerade sehr glücklich Politik gemacht dahingehend, dass man bestimmte
gesellschaftliche Gruppen bevorzugt hat, als Verbündete gewonnen hat und damit und
damit die Strukturen gelegt hat unter denen wir teilweise bis heute leiden.
Dass sich in Palästina zwei verschiedene Religionsgemeinschaften
gegenüberstehen, hat den Konflikt zwar nicht verursacht. Wenn aber Privilegien
nur bei einer Gruppe liegen und Exklusion die andere Gruppe trifft - wenn es
sehr starke Ungleichheiten gibt – dann ist das konfliktverschärfend.
1948 nach Gründung Israels spielte der Faktor Religion im Nahostkonflikt nur
geringe Rolle. Es ging damals vor allem um Nationalismus. Um die
Nichtakzeptanz Israels als Staat:
O-Ton 15:
Das hat sich 1967 geändert, mit dem Sechs-Tage-Krieg. in dem Israel Ostjerusalem
erobert hat, auch die religiösen Stätten, die für das Judentum, aber auch für das
Christentum und den Islam von so großer Bedeutung sind und das hat in der
israelischen Innenpolitik zu einem Rivival von Religion geführt. Man hat diesen Sieg in
diesem Krieg fast religiös interpretiert. Die Siedlerbewegung wurde dadurch politisch
gestärkt…(Religion hat eine größere politische Bedeutung bekommen durch diesen
Sieg und wie er auch mythisch aufgeladen wurde in der politischen Debatte.
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Seite 9
Auf palästinensischer Seite beförderte der Bedeutungsgewinn von Religion den
politischen Islam. Die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, die in den
1960er und 19970er Jahren unter Arafat die führende politische Macht in
Palästina war, war eine nationalistische Bewegung.
O-Ton 16:
Aber heute auch die Unzufriedenheit, die es heute mit der palästinensischen
Autonomiebehörde gibt in Palästina führt dazu, dass die Hamas zu einer stärkeren
politischen Macht geworden ist. die in ihrer Ideologie wenn auch ein sehr exklusives
Verständnis von Religion ins Zentrum setzt.
Ganz Alte Musik aus der Zeit der Bibel
Was für die Bibel gilt, das gilt auch für die Thora, den Koran und auch für heilige
Schriften asiatischer Religionen: In allen Offenbarungsschriften geht es
stellenweise sehr blutig zur Sache.
Es gibt die These, dass die monotheistischen Religionen nun eher dazu neigen,
Konflikte zu befeuern, eine intolerante Form von Religion zu propagieren, weil
sie an nur einen Gott glauben. Neben dem es keine Alternative gibt. Für Oliver
Hidalgo ist das eine sehr romantisierende Sicht auf polytheistische Religionen,
so als ob die kein ausgrenzendes Element hätten:
O-Ton 17:
Auch in Buddhismus gibt es Entwicklungen, denken Sie an den Konflikt in Sri Lanka,
zwischen Tamilen und Singalesen.
In den heiligen Schriften gibt es sowohl ein Gewaltverbot als auch Passagen, in
denen dieses Gewaltverbot eingeschränkt wird: Man soll keinen anderen
Verletzten. Aber wenn der andere ein Verbrecher ist, darf man ihn verletzen.
Diese Dialektik spiegelt sich auch in den Theorien eines gerechten Krieges
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Seite 10
wieder. Unter welchen Umständen es legitim ist, Gewalt anzuwenden, trotz des
allgemeinen Gewaltverbots, in den heiligen Schriften, weiß Leif Seibert:
O-Ton 18:
Es gibt natürlich Unterschiede, da die Religionen verschiedene Symbolinventare
haben, Der Jainismus eine asiatische Friedensreligion ist immer so ein Beispiel für
eine Religion aus der sich kein Konfliktpotential ablesen lässt, der stellt aber wirklich
die Ausnahme dar. Die meisten Religionen halten zumindest in Ansätzen Punkte, auf
die man sich stützen könnte
Der Islam steht zur Zeit im Vordergrund der Diskussion, wenn es um Gewalt und
Religion geht. Und auch Terrorgruppen wie der IS und Boko Haram berufen sich
dezidiert bei ihrer Gewaltlegitimation auf den Islam. Das liegt aber nicht am Islam
selbst, sondern an den Konflikten, die sich dahinter verbergen, meint Oliver
Hidalgo vom Excellenzcluster Religion und Politik. Alle islamischen Länder – bis
auf Saudi-Arabien - haben eine Kolonialvergangenheit. Und die
Kolonialgeschichte spielt heute noch eine große Rolle in diesen Krisenregionen,
berichtet Oliver Hidalgo
O-Ton 19:
Erfahrung der Unterdrückung, von muslimischen Ländern durch westliche Mächte
ohne das ist der Salafismus und der revolutionäre Islam, wie er sich im 19. Und 20.
Jahrhundert herausgebildet hat gar nicht zu verstehen. Auch die Diskriminierung, die
Identitätskrisen, die durch die Globalisierung entstehen, dass das alles wesentlich
dazu beiträgt, dass gewaltbereite Interpretationen des Koran auf dem Vormarsch sind
bzw eine gewisse Attraktivität haben, aber deswegen würde ich nie sagen, dass der
Islam eine gewalttätigere Religion ist als andere.
Religiös organisierte Gewalt wird nicht durch die Religion selbst begünstigt,
sondern durch den Grad der Institutionalisierung einer Religion. Gibt es
funktionierende Institutionen ist es leichter, Leute zu mobilisieren. Zu was auch
immer. Gerade viele asiatische Religionen kann man hinsichtlich ihrer
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Seite 11
Organisation nicht mit christlichen Kirchen vergleichen, weiß Leif Seibert vom
Center of the interdisciplinary Research on Religion und:
O-Ton 20:
ob sie die Menschen dann mit einer Botschaft zum Eskalieren oder Deeskalieren einen
Konflikts erreichen, das steht auf einem anderen Blatt. Religion lässt beides zu. Und
letztendlich hängt es dann von den Erfahrungszusammenhängen und
Deutungszusammenhängen ab, welche Deutung die Oberhand gewinnt.
Für alle Deutungen und Situationen halten Religionen jedenfalls ein passendes
Symbol-Inventar bereit. Und die Gläubigen sehen auch die Inhalte ihrer Religion
für verbindlich und autoritativ vorgegeben an, betont Religionswissenschaftler
Karsten Lehmann aus Wien:
O-Ton 21:
Auf der einen Seite die Symbolsysteme, die als unhinterfragbar angesehen werden..
Und auf der anderen Seite deren Deutung durch die Träger. Für die Frage nach dem
Konfliktpotential ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Vielfältigste empirische
Studien zeigen, wie schnell sich, die Deutung individuell und gesellschaftlich verändern
können.
Auch wenn der Rahmen durch die heiligen Schriften festgelegt ist, unterliegen
Religionen einen Dynamik. Was im 21. Jahrhundert sicher besonders zu
beobachten ist, ist eine größere Individualisierung des Glaubens. Das beugt aber
nicht Konflikten vor, meint Oliver Hidalgo:
O-Ton 22:
Wir sind in Europa in einer sehr säkularen Welt, wo auch gerade die institutionalisierte
Form von Religion an Bedeutung verliert, gleichzeitig heißt das aber nicht, dass diese
Art von Gesellschaft keine besonderen religiösen Entgleisungen zum Vorschein bringt.
Also man kann sagen, dass religiöser Fundamentalismus sich in einer säkularen
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Seite 12
Umgebung ganz besonders gut entfalten kann, weil die noch vermeintlich
Glaubenstreuen sich in so einer Umgebung viel leichter radikalisieren lassen.
Weil die Umgebung als dekadent empfunden wird, kommt ein Chorgeist auf: wir
gegen den Rest der Welt. Rücksichten werden nicht genommen - solche
Rücksichtslosigkeit könnte sich eine Religion, die gesellschaftlich in der
Mehrheit wäre, gar nicht leisten. Wenn sich aber eine Minderheit in einer
feindlichen Umgebung wähnt, ist sie zu ganz anderen Dingen fähig als eine
Religion, die große öffentliche Bedeutung hat. Das was Terrororganisationen wie
der IS beispielsweise predigen, lehnen islamische Theologen zwar ab, aber:
O-Ton 23:
Andererseits würde ich auch nicht mehr Vorurteil unterliegen, der IS hat mit dem Islam
nichts zu tun, man muss schon verstehen, warum so eine radikale,
menschenverachtende Auslegung des Islam heute bei so vielen Menschen attraktiv ist,
warum das Antworten auf Sinnsuchen und biografische Krisen impliziert, das ist kein
Zufall dass das der Islam ist, der momentan eben als einzige radikale Alternative zur
westlichen Gesellschaft dargestellt wird. Damit will ich keine Schuldzuweisungen
machen, aber man muss schon verstehen, warum der IS genau im Islam eine Quelle
für seine Ideologie findet.
Musikimpuls
Medien sind dazu da zu vermitteln und zu vereinfachen. Wenn es um die Ursache
von Konflikten geht, wird man der Sache nicht gerecht, wenn man komplexe
Zusammenhänge auf den Faktor Religion reduziert.
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Kopten, Christen verfolgen "Bärtige" in Ägypten.
O-Ton 24:
Jede Berichterstattung über religiös konotierte Konflikte ist immer gefährdet, die Dinge
zu stark auf die Religion zu lenken. Die wissenschaftlichen Bücher, die wir schreiben,
lesen dafür ganz wenige Leute. Das ist ein Problem. Man muss sich die Zeit nehmen,
sich mit der Schwierigkeit, Problematik Religion zu befassen und das dauert eben.
Weiß Oliver Hidalgo vom Excellenzcluster Religion und Politik an der Universität
Münster. Während man früher den Faktor Religion als Konfliktgegenstand eher
unterbewertet hat, erleben wir derzeit eher das andere Extrem. Religionen
werden in Konflikten als entscheidender Faktor wahrgenommen. Ja sogar als
einziger Schlüssel zur Lösung des Konflikts. Heiner Bielefeldt, katholischer
Theologe und bis vor kurzem Sonderberichterstatter für die Vereinten Nationen
in Religionsfragen, weiß, auch das trifft so nicht zu.
O-Ton 25:
Man muss Religion ernst nehmen, aber bitte nicht isoliert betrachten. Und immer eines
nicht vergessen. Es sind Menschen, die in den Religionsgemeinschaften tätig sind, das
ist nie einfach eine Masse. Muslime. Christen, die Protestanten, die Katholiken, da gibt
es auch immer solche, die sich gegen diese fürchterliche Konfliktdynamik stemmen,
die muss man stützen und der erste Schritt ist, dass man die überhaupt zur Kenntnis
nimmt.
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