Der Kunde ist König – aber nicht um jeden Preis

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best practice
Kundenrentabilität
Der Kunde ist König –
aber nicht um jeden Preis
Langfristig profitable Kundenbeziehungen und gleichzeitig zufriedene Kunden zu haben –
ein pragmatischer Ansatz zeigt, wie sich das erreichen lässt. _V O N M A R K S P R A U E R ,
MICHAEL ERZINGER UND STEFANIA LOTTANTI VON MANDACH
Die Kundenbeziehung rentabler und die Marktbearbeitung wirkungsvoller zu gestalten, rückt
immer mehr in den Fokus von Wissenschaft und Praxis. Die bedürfnisgerechte
Betreuung der Kunden ist heute eine der
grossen Herausforderungen: Kunden gewinnen und halten – aber nicht um jeden
Preis. Die Gratwanderung zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenrentabilität ist anspruchsvoll, lässt sich aber meistern – wenn Kundenbedürfnisse und -wert
sowie die eigenen Marketing- und Vertriebsstrukturen genau durchleuchtet
werden.
overview
M A R K S P R A U E R , lic. rer.
pol., ist Partner bei Abegglen
Management Partners und hat
diverse Projekte mit dem Fokus
Kundenrentabilität in verschiedenen Schweizer Unternehmen
begleitet.
[email protected]
MICHAEL ERZINGER,
lic. oec. HSG/M. Sc., arbeitet als
Senior Berater bei Abegglen Management Partners.
[email protected]
STEFANIA LOTTANTI
V O N M A N D A C H , lic. phil.
I, arbeitet als Senior Berater bei
Abegglen Management Partners.
[email protected]
uche die Nähe zum Kunden,
sammle Informationen über seine Erwartungen und Ansprüche
und behandle ihn entsprechend. Dieses
Grundkonzept ist nach wie vor gültig –
trotz der bekannten Probleme bei der
Realisierung von Customer Relationship Managements: schwere Umsetzbarkeit der Konzepte und hohe Investitionen in die IT-Infrastruktur sowie in die
Handhabung und Aktualisierung der
Daten. Nicht alle Kunden wünschen die
gleiche Art und Intensität der Kundenbeziehung: Transaktionsorientierte
Kunden suchen eine minimale bis gar
keine persönliche Beziehung zum Unternehmen. Andere Kunden erwarten
eine beratende oder gar partnerschaftliche Beziehung mit einer individuelleren Betreuung. Deshalb sind die zur Verfügung stehenden Vertriebskanäle und
Marketinginstrumente entsprechend
den jeweiligen Kundenbedürfnissen
einzusetzen. So können die Kunden
effektiv bearbeitet und langfristig profitable Kundenbeziehungen (aus Unternehmenssicht) aufgebaut werden.
S
Konsequentes Ausrichten auf
die Kundenrentabilität
Gerade das Element Profitabilität wird
jedoch häufig ausgeblendet. Das Konzept Customer Value Management
(CVM) stellt diesen Aspekt in den Mit-
telpunkt. Als ein mit CRM eng verwandtes Konzept fokussiert es auf die
Ausrichtung sämtlicher Marketing- und
Vertriebsmassnahmen auf den Kundenwert beziehungsweise auf die Profitabilität der Kunden. Beide Konzepte
adressieren im Kern Grundsätze, die
wahrscheinlich so alt sind wie die Kundenbeziehung selbst:
Ω Nicht alle Kunden wünschen die
gleiche Betreuung. Sie sollten deshalb entsprechend ihren Bedürfnissen betreut und bearbeitet werden.
Ω Weder rechnet sich für alle Kunden
die gleiche Bearbeitung, noch zahlt
sich in jedem Fall die vom Kunden
gewünschte Bearbeitung aus.
Diese Grundsätze hören sich bestechend einfach und einleuchtend an,
wurden bis anhin aber nur von wenigen
Unternehmen systematisch umgesetzt.
Die Assoziation mit aufwändigen und
teuren IT-Systemen und die erwähnten
Probleme in der Umsetzung umfassender CRM- beziehungsweise CustomerValue-Konzepte schrecken viele Unternehmen ab. Aber es geht auch anders:
Verschiedene Schweizer Unternehmen
haben sich, zu Gunsten einer beschleunigten Umsetzung, für Kundensegmente anstelle von Individualkunden
als Analyse- und Handlungsebene entschieden. Das individualisierte Management der Kundenbeziehung verliert
io new management Nr. 7-8 | 2004
Kundenrentabilität
dadurch zwar etwas an Schärfe, dieser
Verlust wird aber durch die realisierte
Komplexitätsreduktion und Handhabbarkeit mehr als kompensiert.
Zusammengefasst lässt sich der in
Abbildung 1 dargestellte Ansatz folgendermassen umschreiben: Pro Segment
wird die optimale Kombination von
Kundenbearbeitungsformen (Instrumente und Kanäle) und Bearbeitungsintensitäten eingesetzt, die die Kundenbedürfnisse im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen und der
angestrebten Kundenrentabilität am
effektivsten befriedigt. Ein Projektvorgehen in folgenden drei Schritten hat
sich dabei bewährt:
1. Kundenanalyse und Segmentbildung
Schritt 1 beinhaltet die qualitative und
quantitative Analyse der Kunden nach
Kundenbedürfnissen sowie Kundenwert. Letzterer umfasst den Kundenumsatz, eine Einschätzung des Kun-
denpotenzials sowie die Kundenprofitabilität (auf die Berechnung der Kundenprofitabilität wird in Punkt 3 näher
eingegangen). Auf Grundlage der Kundenbedürfnisse wird abgeleitet, wie ein
Kundensegment am effektivsten bearbeitet wird beziehungsweise welche
Bearbeitungs- und Betreuungsformen
geeignet sind. In Kundensegmente werden Kunden mit ähnlichen Bedürfnissen
und aus ähnlichen Kundenwertklassen
zusammengefasst. Der Kundenwert
wird auf Stufe der Kundensegmente analysiert und bestimmt die Obergrenze des
potenziellen Ressourceneinsatzes für die
Bearbeitung und Betreuung.
2. Analyse des Marketings und Vertriebs
Schritt 2 bildet die qualitative und quantitative Analyse des eigenen Marketings
und Vertriebs: Welche Fähigkeiten besitzt das Unternehmen diesbezüglich?
Welche Kosten werden verursacht, das
heisst welche «Cost to Serve» (CTS) ent-
best practice
stehen? Auf der qualitativen Dimension
bestimmen diese Fähigkeiten, welche
und wie Kundenbedürfnisse effektiv
befriedigt werden können. Quantitativ
betrachtet beeinflussen diese Fähigkeiten die CTS. Die Höhe der CTS ist in
Unternehmen kaum auf Knopfdruck
abrufbar. Deren Quantifizierung anhand der betroffenen Prozesse ist jedoch
absolut notwendig. Insbesondere in diesem Vorgehensschritt gilt: So pragmatisch wie möglich, so akribisch wie
nötig. Abbildung 2 illustriert die Verteilung der CTS eines Unternehmens
des öffentlichen Verkehrs für ein ausgewähltes Segment in aggregierter
Form. Der Kundenumsatz minus die
CTS ergibt in diesem Fall eine Kundenprofitabilität von 12,1 Prozent Ebit-Marge (Ebit = Earnings before Interest and
Taxes).
Die Betrachtung des gesamten Kundensegments-Portfolios, dargestellt in
Abbildung 3 am Beispiel eines Tele-
Abb. 1: Gedankenmodell «Zufriedene und rentable Kunden»
Marketing / Vertrieb
Welche Bedürfnisse
haben unsere Kunden?
Welche Fähigkeiten hat unser
Marketing / Vertrieb?
Qualitative
Dimension
Kunden
Welche
Kundenbeziehung ist
effektiv?
1
2
4
Kundenpositionierung
3
5
1
2
3
4
Kundenbearbeitung
5
1
2
3
4
5
Welche
Kundenbeziehung ist
profitabel?
Wie viel ist
der Kunde wert?
Was sind
unsere «Cost to Serve»?
Der Ansatz analysiert die Kundenbedürfnisse und den Kundenwert mit dem Ziel, die Kunden sinnvoll zu segmentieren,
die zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einzusetzen und die Kundenrentabilität insgesamt zu erhöhen.
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Quantitative
Dimension
Zielmodell
Kundensegmentierung
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Kundenrentabilität
kommunikationsanbieters, führt nicht
selten zu angeregten Diskussionen. Rentable beziehungsweise unrentable Kunden können hier leicht identifiziert
werden. Kundensegmente links von der
roten Funktionslinie (Breakeven) weisen einen negativen Ebit aus. Kundensegmente zwischen der roten und der
blauen Funktionslinie sind zwar rentabel, das heisst, sie weisen einen positiven Gewinn aus, erreichen aber nicht
die gewünschte Zielrentabilität von – in
diesem Fall – 15 Prozent Ebit-Marge.
Kunden auf der blauen Funktion und
rechts davon erfüllen respektive übertreffen das Rentabilitätsziel. Besonders
diese quantitative Betrachtung sorgt in
Projekten immer wieder für Überraschungen oder bestätigt unterschwellige Befürchtungen: Wenige hochrentable Kunden subventionieren oft eine
grosse Masse unrentabler Kunden.
3. Integration und Konzeption
Schritt 3 führt die gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Für jedes Kundensegment werden anhand der identifizierten Rentabilitäten und Bedürfnis-
se Stossrichtungen für die zukünftige
Bearbeitung sowie Rentabilitätsziele
definiert. Die Diskussion erfolgt anhand
generischer Normstrategien – Segment
halten, ausbauen, abschöpfen oder rentabilisieren – oder besser noch: anhand
differenzierter Segmentsstrategien. So
muss z. B. die Frage gestellt werden, ob
es sich lohnt, in unrentable Kundensegmente zu investieren. Hat das Segment Potenzial, sodass kurzfristig ein
tieferer Ebit als angestrebt in Kauf
genommen werden darf? Oder müssen
diese Kunden sofort rentabilisiert werden, indem eine weniger kostspielige
Betreuung gewählt wird?
In rein qualitativ geführten Diskussionen – ohne quantifizierte Segmentsrentabilitäten – werden die vermuteten,
unrentablen Kundenbeziehungen gerne mit dem Argument eines vorhandenen Potenzials leichtfertig verteidigt;
insbesondere, wenn die Gesamtrendite
über alle Segmente stimmt. Ein quantifizierter jährlicher Segmentsverlust in
Millionenhöhe hingegen bedarf einer
hieb- und stichfesten Argumentation,
wieso diese Kosten als rentable Investi-
tion betrachtet werden können. Auch
macht eine Kundenportfolio-Betrachtung deutlich, dass Ressourcen, die für
unrentable Kundensegmente verwendet werden, Opportunitätskosten in der
Bearbeitung rentabler Kundensegmente darstellen. Bei einer unveränderten
Gesamtrendite fehlen diese Ressourcen
für die Betreuung rentabler Kunden und
machen sie anfällig für Abwerbungsversuche der Konkurrenz.
Quersubventionen zwischen
den Segmenten verhindern
Gerade deshalb müssen auch hochrentable Kundensegmente hinterfragt werden. Können die übermässig rentablen
Kunden mit der gegenwärtigen Betreuung gehalten werden, oder sind sie mittelfristig absprunggefährdet, weil sie
vernachlässigt werden? Die Entscheidung, die CTS zu Gunsten einer intensivierten Betreuung zu erhöhen und die
Kundenrentabilität zu verringern, mag
schwerfallen (siehe Abbildung 3, Segment 1). Das Argument, dass der Verlust
gerade dieser überdurchschnittlich ren-
Abb. 2: Fallbeispiel öffentlicher Verkehr – Kosten und Erträge eines durchschnittlichen Kunden
100%
42,9%
57,1%
Ein durchschnittlicher
Kunde in Segment «A»
erwirtschaftet
12,1% Ebit
21,4%
1,2%
9,4%
CTS = Cost to Serve
30
10,2%
2,3%
0,6%
12,1%
Bruttoumsatz
Umsatzminderungen/
-abgaben
Nettoumsatz
Kosten
Produktion/
Infrastruktur
Kosten
Marketingprozess
Kosten
Verkaufsprozess
Kosten
Kosten
Produktions-/ After-SalesKonsum/Serviceprozess
prozess
Kosten
Overhead
Ebit
Verteilung der «Cost to Serve» für einen Kunden am Beispiel eines Unternehmens des öffentlichen Verkehrs: Der Kundenumsatz
abzüglich der verursachten Kosten ergibt die Kundenprofitabilität.
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Kundenrentabilität
io new management Nr. 7-8 | 2004
Abb. 3: Kundensegment-Portfolio an einem Fallbeispiel
Breakeven
(Ebit = 0%)
14000
Cost to Serve (in Franken pro Kunde pro Jahr)
tablen Kunden verhindert werden
muss, ist jedoch einleuchtend.
Nicht in jedem Fall wird eine Ausrichtung aller Segmente an die gleiche
Zielrentabilität angestrebt. Die Diskussion am Kundensegment-Portfolio
garantiert jedoch, dass sich unterschiedliche Kundensegment-Rentabilitäten auf einen bewussten und begründeten Entscheid stützen, und verhindert
ungewollte Quersubventionen zwischen einzelnen Segmenten, was mittelfristig die Gesamtrentabilität aller
Segmente gefährdet.
Resultat der Diskussion am Portfolio
sind einzelne Segmentsstrategien mit
klar definierten quantitativen und qualitativen Zielen sowie Massnahmen in
der Bearbeitung und Betreuung, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Eine
quantitative Modellierung detailliert
und verifiziert diese. Das heisst, es wird
simuliert, welche Art und Intensität der
Betreuung und Bearbeitung sich bei
welchen Kunden lohnt beziehungsweise welche Auswirkungen diese auf
die Kundenrentabilitäten haben: Verbessert sich die Kundenrentabilität eines unrentablen Kundensegments in
der notwendigen Grössenordnung,
wenn Anfragen der Kunden anstelle
von einem persönlichen Ansprechpartner zukünftig von einem Call-CenterAgenten beantwortet werden? Wie verändert sich die Rentabilität der Kunden
in einem Segment, wenn diese nicht
mehr persönlich besucht, sondern telefonisch kontaktiert werden? Wie viele
Direct Mailings sind für ein spezifisches
Segment rentabel? Mittels der Simulation wird die Strategie in den effizientesten, meist unmittelbar umsetzbaren
Mix von Kundenbearbeitungsmassnahmen übersetzt.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die
mittels des beschriebenen Vorgehens
erarbeiteten Kundenbearbeitungsmodelle in der Regel in drei bis sechs Monaten umgesetzt werden können. Organi-
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12000
Zielrentabilität
(Ebit = 15%)
Unrentabler Bereich:
Kosten (CTS) grösser als
Umsatz
S1
10000
Realisierte
Zielposition S1
auf Grund
intensiverer
Kundenbetreuung
8000
S2
6000
4000
S3
2000
Ursprüngliche Ausgangsposition
Segment 1 (S1)
S4
S5
5000
10000
15000
20000
Umsatz (in Franken pro Kunde pro Jahr)
Die Rentabilität einzelner Segmente lässt sich mittels eines Kundensegment-Portfolios leicht
identifizieren (Fallbeispiel Telekommunikationsanbieter, absolute Werte verändert).
satorisch waren meist nur minimale bis
gar keine Änderungen nötig. Auch
Anpassungen der IT-Systeme waren nur
notwendig, wenn Unternehmen, die
ihre Kunden neu segmentierten, dies
auch systemisch abbilden mussten.
Kundenabgänge konnten
gestoppt werden
Operative Erfolge stellten sich in allen
Fällen ausnahmslos unmittelbar ein.
Der hohe Detaillierungsgrad der quantitativen Modellierung erlaubte es, diese in der Umsetzungsphase als Instrument für die Vertriebs- und Kundenbearbeitungsplanung einzusetzen. Zudem hat sie sich als geeignetes Mittel zur
Dimensionierung der Vertriebs- und
Verkaufsorganisation erwiesen. Und
vor allem wurden die Kundenrentabilitäten jeweils erfolgreich an den gesetzten Zielsetzungen ausgerichtet.
Die Kundenzufriedenheit stieg generell signifikant, und es konnten sogar
die massiven Kundenabgänge gemäss
den Zielen, die sich die Unternehmen
dafür gesetzt hatten gestoppt werden.
Es ist unumgänglich, dass zwischen
einer effektiven Kundenbearbeitung und
rentablen Kundenbeziehungen Zielkonflikte entstehen: «Was wünschen unsere Kunden?» versus «Was können wir
uns leisten?» Dieses Dilemma lässt sich
allerdings minimieren: Durch die konsequente Ausrichtung der gewählten
Kundenbearbeitungsmassnahmen auf
die Kundenerwartungen wird sichergestellt, dass Letztere im Rahmen der zur
Verfügung stehenden Ressourcen optimal erfüllt werden. Indem dieses Vorgehen nicht auf einzelne Kunden, sondern
ganze Kundensegmente angewendet
wird, kann das aufwändige und in vielen Fällen unmögliche Beschaffen von
Informationen über Einzelkunden elegant umgangen werden. Die Gratwanderung zwischen Kundenzufriedenheit
und Kundenrentabilität kann auf diese
Weise in nützlicher Frist und mit angemessenem personellen und finanziellen
Aufwand gemeistert werden.
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