28 best practice Kundenrentabilität Der Kunde ist König – aber nicht um jeden Preis Langfristig profitable Kundenbeziehungen und gleichzeitig zufriedene Kunden zu haben – ein pragmatischer Ansatz zeigt, wie sich das erreichen lässt. _V O N M A R K S P R A U E R , MICHAEL ERZINGER UND STEFANIA LOTTANTI VON MANDACH Die Kundenbeziehung rentabler und die Marktbearbeitung wirkungsvoller zu gestalten, rückt immer mehr in den Fokus von Wissenschaft und Praxis. Die bedürfnisgerechte Betreuung der Kunden ist heute eine der grossen Herausforderungen: Kunden gewinnen und halten – aber nicht um jeden Preis. Die Gratwanderung zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenrentabilität ist anspruchsvoll, lässt sich aber meistern – wenn Kundenbedürfnisse und -wert sowie die eigenen Marketing- und Vertriebsstrukturen genau durchleuchtet werden. overview M A R K S P R A U E R , lic. rer. pol., ist Partner bei Abegglen Management Partners und hat diverse Projekte mit dem Fokus Kundenrentabilität in verschiedenen Schweizer Unternehmen begleitet. [email protected] MICHAEL ERZINGER, lic. oec. HSG/M. Sc., arbeitet als Senior Berater bei Abegglen Management Partners. [email protected] STEFANIA LOTTANTI V O N M A N D A C H , lic. phil. I, arbeitet als Senior Berater bei Abegglen Management Partners. [email protected] uche die Nähe zum Kunden, sammle Informationen über seine Erwartungen und Ansprüche und behandle ihn entsprechend. Dieses Grundkonzept ist nach wie vor gültig – trotz der bekannten Probleme bei der Realisierung von Customer Relationship Managements: schwere Umsetzbarkeit der Konzepte und hohe Investitionen in die IT-Infrastruktur sowie in die Handhabung und Aktualisierung der Daten. Nicht alle Kunden wünschen die gleiche Art und Intensität der Kundenbeziehung: Transaktionsorientierte Kunden suchen eine minimale bis gar keine persönliche Beziehung zum Unternehmen. Andere Kunden erwarten eine beratende oder gar partnerschaftliche Beziehung mit einer individuelleren Betreuung. Deshalb sind die zur Verfügung stehenden Vertriebskanäle und Marketinginstrumente entsprechend den jeweiligen Kundenbedürfnissen einzusetzen. So können die Kunden effektiv bearbeitet und langfristig profitable Kundenbeziehungen (aus Unternehmenssicht) aufgebaut werden. S Konsequentes Ausrichten auf die Kundenrentabilität Gerade das Element Profitabilität wird jedoch häufig ausgeblendet. Das Konzept Customer Value Management (CVM) stellt diesen Aspekt in den Mit- telpunkt. Als ein mit CRM eng verwandtes Konzept fokussiert es auf die Ausrichtung sämtlicher Marketing- und Vertriebsmassnahmen auf den Kundenwert beziehungsweise auf die Profitabilität der Kunden. Beide Konzepte adressieren im Kern Grundsätze, die wahrscheinlich so alt sind wie die Kundenbeziehung selbst: Ω Nicht alle Kunden wünschen die gleiche Betreuung. Sie sollten deshalb entsprechend ihren Bedürfnissen betreut und bearbeitet werden. Ω Weder rechnet sich für alle Kunden die gleiche Bearbeitung, noch zahlt sich in jedem Fall die vom Kunden gewünschte Bearbeitung aus. Diese Grundsätze hören sich bestechend einfach und einleuchtend an, wurden bis anhin aber nur von wenigen Unternehmen systematisch umgesetzt. Die Assoziation mit aufwändigen und teuren IT-Systemen und die erwähnten Probleme in der Umsetzung umfassender CRM- beziehungsweise CustomerValue-Konzepte schrecken viele Unternehmen ab. Aber es geht auch anders: Verschiedene Schweizer Unternehmen haben sich, zu Gunsten einer beschleunigten Umsetzung, für Kundensegmente anstelle von Individualkunden als Analyse- und Handlungsebene entschieden. Das individualisierte Management der Kundenbeziehung verliert io new management Nr. 7-8 | 2004 Kundenrentabilität dadurch zwar etwas an Schärfe, dieser Verlust wird aber durch die realisierte Komplexitätsreduktion und Handhabbarkeit mehr als kompensiert. Zusammengefasst lässt sich der in Abbildung 1 dargestellte Ansatz folgendermassen umschreiben: Pro Segment wird die optimale Kombination von Kundenbearbeitungsformen (Instrumente und Kanäle) und Bearbeitungsintensitäten eingesetzt, die die Kundenbedürfnisse im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen und der angestrebten Kundenrentabilität am effektivsten befriedigt. Ein Projektvorgehen in folgenden drei Schritten hat sich dabei bewährt: 1. Kundenanalyse und Segmentbildung Schritt 1 beinhaltet die qualitative und quantitative Analyse der Kunden nach Kundenbedürfnissen sowie Kundenwert. Letzterer umfasst den Kundenumsatz, eine Einschätzung des Kun- denpotenzials sowie die Kundenprofitabilität (auf die Berechnung der Kundenprofitabilität wird in Punkt 3 näher eingegangen). Auf Grundlage der Kundenbedürfnisse wird abgeleitet, wie ein Kundensegment am effektivsten bearbeitet wird beziehungsweise welche Bearbeitungs- und Betreuungsformen geeignet sind. In Kundensegmente werden Kunden mit ähnlichen Bedürfnissen und aus ähnlichen Kundenwertklassen zusammengefasst. Der Kundenwert wird auf Stufe der Kundensegmente analysiert und bestimmt die Obergrenze des potenziellen Ressourceneinsatzes für die Bearbeitung und Betreuung. 2. Analyse des Marketings und Vertriebs Schritt 2 bildet die qualitative und quantitative Analyse des eigenen Marketings und Vertriebs: Welche Fähigkeiten besitzt das Unternehmen diesbezüglich? Welche Kosten werden verursacht, das heisst welche «Cost to Serve» (CTS) ent- best practice stehen? Auf der qualitativen Dimension bestimmen diese Fähigkeiten, welche und wie Kundenbedürfnisse effektiv befriedigt werden können. Quantitativ betrachtet beeinflussen diese Fähigkeiten die CTS. Die Höhe der CTS ist in Unternehmen kaum auf Knopfdruck abrufbar. Deren Quantifizierung anhand der betroffenen Prozesse ist jedoch absolut notwendig. Insbesondere in diesem Vorgehensschritt gilt: So pragmatisch wie möglich, so akribisch wie nötig. Abbildung 2 illustriert die Verteilung der CTS eines Unternehmens des öffentlichen Verkehrs für ein ausgewähltes Segment in aggregierter Form. Der Kundenumsatz minus die CTS ergibt in diesem Fall eine Kundenprofitabilität von 12,1 Prozent Ebit-Marge (Ebit = Earnings before Interest and Taxes). Die Betrachtung des gesamten Kundensegments-Portfolios, dargestellt in Abbildung 3 am Beispiel eines Tele- Abb. 1: Gedankenmodell «Zufriedene und rentable Kunden» Marketing / Vertrieb Welche Bedürfnisse haben unsere Kunden? Welche Fähigkeiten hat unser Marketing / Vertrieb? Qualitative Dimension Kunden Welche Kundenbeziehung ist effektiv? 1 2 4 Kundenpositionierung 3 5 1 2 3 4 Kundenbearbeitung 5 1 2 3 4 5 Welche Kundenbeziehung ist profitabel? Wie viel ist der Kunde wert? Was sind unsere «Cost to Serve»? Der Ansatz analysiert die Kundenbedürfnisse und den Kundenwert mit dem Ziel, die Kunden sinnvoll zu segmentieren, die zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einzusetzen und die Kundenrentabilität insgesamt zu erhöhen. io new management Nr. 7-8 | 2004 Quantitative Dimension Zielmodell Kundensegmentierung 29 best practice Kundenrentabilität kommunikationsanbieters, führt nicht selten zu angeregten Diskussionen. Rentable beziehungsweise unrentable Kunden können hier leicht identifiziert werden. Kundensegmente links von der roten Funktionslinie (Breakeven) weisen einen negativen Ebit aus. Kundensegmente zwischen der roten und der blauen Funktionslinie sind zwar rentabel, das heisst, sie weisen einen positiven Gewinn aus, erreichen aber nicht die gewünschte Zielrentabilität von – in diesem Fall – 15 Prozent Ebit-Marge. Kunden auf der blauen Funktion und rechts davon erfüllen respektive übertreffen das Rentabilitätsziel. Besonders diese quantitative Betrachtung sorgt in Projekten immer wieder für Überraschungen oder bestätigt unterschwellige Befürchtungen: Wenige hochrentable Kunden subventionieren oft eine grosse Masse unrentabler Kunden. 3. Integration und Konzeption Schritt 3 führt die gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Für jedes Kundensegment werden anhand der identifizierten Rentabilitäten und Bedürfnis- se Stossrichtungen für die zukünftige Bearbeitung sowie Rentabilitätsziele definiert. Die Diskussion erfolgt anhand generischer Normstrategien – Segment halten, ausbauen, abschöpfen oder rentabilisieren – oder besser noch: anhand differenzierter Segmentsstrategien. So muss z. B. die Frage gestellt werden, ob es sich lohnt, in unrentable Kundensegmente zu investieren. Hat das Segment Potenzial, sodass kurzfristig ein tieferer Ebit als angestrebt in Kauf genommen werden darf? Oder müssen diese Kunden sofort rentabilisiert werden, indem eine weniger kostspielige Betreuung gewählt wird? In rein qualitativ geführten Diskussionen – ohne quantifizierte Segmentsrentabilitäten – werden die vermuteten, unrentablen Kundenbeziehungen gerne mit dem Argument eines vorhandenen Potenzials leichtfertig verteidigt; insbesondere, wenn die Gesamtrendite über alle Segmente stimmt. Ein quantifizierter jährlicher Segmentsverlust in Millionenhöhe hingegen bedarf einer hieb- und stichfesten Argumentation, wieso diese Kosten als rentable Investi- tion betrachtet werden können. Auch macht eine Kundenportfolio-Betrachtung deutlich, dass Ressourcen, die für unrentable Kundensegmente verwendet werden, Opportunitätskosten in der Bearbeitung rentabler Kundensegmente darstellen. Bei einer unveränderten Gesamtrendite fehlen diese Ressourcen für die Betreuung rentabler Kunden und machen sie anfällig für Abwerbungsversuche der Konkurrenz. Quersubventionen zwischen den Segmenten verhindern Gerade deshalb müssen auch hochrentable Kundensegmente hinterfragt werden. Können die übermässig rentablen Kunden mit der gegenwärtigen Betreuung gehalten werden, oder sind sie mittelfristig absprunggefährdet, weil sie vernachlässigt werden? Die Entscheidung, die CTS zu Gunsten einer intensivierten Betreuung zu erhöhen und die Kundenrentabilität zu verringern, mag schwerfallen (siehe Abbildung 3, Segment 1). Das Argument, dass der Verlust gerade dieser überdurchschnittlich ren- Abb. 2: Fallbeispiel öffentlicher Verkehr – Kosten und Erträge eines durchschnittlichen Kunden 100% 42,9% 57,1% Ein durchschnittlicher Kunde in Segment «A» erwirtschaftet 12,1% Ebit 21,4% 1,2% 9,4% CTS = Cost to Serve 30 10,2% 2,3% 0,6% 12,1% Bruttoumsatz Umsatzminderungen/ -abgaben Nettoumsatz Kosten Produktion/ Infrastruktur Kosten Marketingprozess Kosten Verkaufsprozess Kosten Kosten Produktions-/ After-SalesKonsum/Serviceprozess prozess Kosten Overhead Ebit Verteilung der «Cost to Serve» für einen Kunden am Beispiel eines Unternehmens des öffentlichen Verkehrs: Der Kundenumsatz abzüglich der verursachten Kosten ergibt die Kundenprofitabilität. io new management Nr. 7-8 | 2004 Kundenrentabilität io new management Nr. 7-8 | 2004 Abb. 3: Kundensegment-Portfolio an einem Fallbeispiel Breakeven (Ebit = 0%) 14000 Cost to Serve (in Franken pro Kunde pro Jahr) tablen Kunden verhindert werden muss, ist jedoch einleuchtend. Nicht in jedem Fall wird eine Ausrichtung aller Segmente an die gleiche Zielrentabilität angestrebt. Die Diskussion am Kundensegment-Portfolio garantiert jedoch, dass sich unterschiedliche Kundensegment-Rentabilitäten auf einen bewussten und begründeten Entscheid stützen, und verhindert ungewollte Quersubventionen zwischen einzelnen Segmenten, was mittelfristig die Gesamtrentabilität aller Segmente gefährdet. Resultat der Diskussion am Portfolio sind einzelne Segmentsstrategien mit klar definierten quantitativen und qualitativen Zielen sowie Massnahmen in der Bearbeitung und Betreuung, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Eine quantitative Modellierung detailliert und verifiziert diese. Das heisst, es wird simuliert, welche Art und Intensität der Betreuung und Bearbeitung sich bei welchen Kunden lohnt beziehungsweise welche Auswirkungen diese auf die Kundenrentabilitäten haben: Verbessert sich die Kundenrentabilität eines unrentablen Kundensegments in der notwendigen Grössenordnung, wenn Anfragen der Kunden anstelle von einem persönlichen Ansprechpartner zukünftig von einem Call-CenterAgenten beantwortet werden? Wie verändert sich die Rentabilität der Kunden in einem Segment, wenn diese nicht mehr persönlich besucht, sondern telefonisch kontaktiert werden? Wie viele Direct Mailings sind für ein spezifisches Segment rentabel? Mittels der Simulation wird die Strategie in den effizientesten, meist unmittelbar umsetzbaren Mix von Kundenbearbeitungsmassnahmen übersetzt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die mittels des beschriebenen Vorgehens erarbeiteten Kundenbearbeitungsmodelle in der Regel in drei bis sechs Monaten umgesetzt werden können. Organi- best practice 12000 Zielrentabilität (Ebit = 15%) Unrentabler Bereich: Kosten (CTS) grösser als Umsatz S1 10000 Realisierte Zielposition S1 auf Grund intensiverer Kundenbetreuung 8000 S2 6000 4000 S3 2000 Ursprüngliche Ausgangsposition Segment 1 (S1) S4 S5 5000 10000 15000 20000 Umsatz (in Franken pro Kunde pro Jahr) Die Rentabilität einzelner Segmente lässt sich mittels eines Kundensegment-Portfolios leicht identifizieren (Fallbeispiel Telekommunikationsanbieter, absolute Werte verändert). satorisch waren meist nur minimale bis gar keine Änderungen nötig. Auch Anpassungen der IT-Systeme waren nur notwendig, wenn Unternehmen, die ihre Kunden neu segmentierten, dies auch systemisch abbilden mussten. Kundenabgänge konnten gestoppt werden Operative Erfolge stellten sich in allen Fällen ausnahmslos unmittelbar ein. Der hohe Detaillierungsgrad der quantitativen Modellierung erlaubte es, diese in der Umsetzungsphase als Instrument für die Vertriebs- und Kundenbearbeitungsplanung einzusetzen. Zudem hat sie sich als geeignetes Mittel zur Dimensionierung der Vertriebs- und Verkaufsorganisation erwiesen. Und vor allem wurden die Kundenrentabilitäten jeweils erfolgreich an den gesetzten Zielsetzungen ausgerichtet. Die Kundenzufriedenheit stieg generell signifikant, und es konnten sogar die massiven Kundenabgänge gemäss den Zielen, die sich die Unternehmen dafür gesetzt hatten gestoppt werden. Es ist unumgänglich, dass zwischen einer effektiven Kundenbearbeitung und rentablen Kundenbeziehungen Zielkonflikte entstehen: «Was wünschen unsere Kunden?» versus «Was können wir uns leisten?» Dieses Dilemma lässt sich allerdings minimieren: Durch die konsequente Ausrichtung der gewählten Kundenbearbeitungsmassnahmen auf die Kundenerwartungen wird sichergestellt, dass Letztere im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal erfüllt werden. Indem dieses Vorgehen nicht auf einzelne Kunden, sondern ganze Kundensegmente angewendet wird, kann das aufwändige und in vielen Fällen unmögliche Beschaffen von Informationen über Einzelkunden elegant umgangen werden. Die Gratwanderung zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenrentabilität kann auf diese Weise in nützlicher Frist und mit angemessenem personellen und finanziellen Aufwand gemeistert werden. 31