DRAMATURGEN DES STAATSTHEATERS MAINZ ERLÄUTERN THE FAIRY QUEEN Es scheint die unausgesprochene Grundvereinbarung aller darstellenden Künste zu sein: Liebe, vor allem Liebesleid, ist eine der Hauptzutaten beim Schürzen eines dramatischen Knotens. Kaum ein Schauspiel, eine Oper, ein Tanzstück, das ohne eine sich anbahnende, auseinanderbrechende oder gescheiterte Liebesbeziehung auskommt. Die Liebe scheint die „conditio sine qua non“ der Bühne zu sein – vielleicht, weil sie Emotionen freisetzt und zulässt, die der „erhöhten Realität“ des Theaters entgegenkommen. Als Henry Purcell sich fast 100 Jahre nach der Uraufführung von William Shakespeares Ein Sommernachtstraum diesem zwischen Liebestraum und -realität irrlichternden Schauspiels annahm, verschob er die Proportionen des Werkes. Seine semi-opera The Fairy Queen lenkt den Fokus, so legt es der Titel schon nahe, auf die Feenwelt und thematisiert immer wieder die Liebe in ihren vielfältigen Schattierungen. Titania und Oberon, das Elfenkönigspaar, das mit seinem Streit die Welt ins Chaos stürzt und die Gefühle der vier jungen Liebenden im attischen Wald gehörig durcheinander wirbelt, bekommen mit Elfen, allegorischen Figuren und vielen weiteren Charakteren starke Verbündete zur Seite gestellt. In Arien, Duetten und Chören wird kommentiert, karikiert und über die Liebe nachgedacht. Nicht zuletzt durch die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel war der Sommernachtstraum im 19. Jahrhundert gerade in Deutschland einer extremen Romantisierung ausgesetzt: Putzige Elfen mit Flügelchen schwirrten durch einen allzu deutschen Mischwald. Das Ätherische wurde betont, die Derbheit des Elfenstreites und die Unberechenbarkeit eines Pucks zunehmend nivelliert. Und noch immer prägen solche Bilder unsere Rezeptionshaltung dieses Stoffes. Dabei wählte Shakespeare eben keinen mitteleuropäischen Wald als Spielort der Liebeswirren und der Identitätsfindung der jungen Menschen, sondern den Wald bei Athen. Die Antike als Folie für einen Renaissancestoff mit nordisch-heidnischen Einsprengseln in einer zunehmend romantischen Überformung: Gegenüber diesen widersprüchlichen Facetten des Sommernachtstraums muss man sich in einer Inszenierung verhalten. Das strukturell angelegte Nebeneinander von Schauspiel, Tanz und Gesang der Semi-Opera führt Regisseur und Choreograf Jo Strømgren in seiner Inszenierung zusammen. Denn den Shakespeareschen Sommernachtstraum und Purcells Musik in Gänze zu erzählen zu wollen, wäre vermessen – und würde gut und gerne fünf Stunden dauern. Die Spielfassung der Mainzer Inszenierung erzählt die wesentlichen Momente der Handlung, legt dabei aber den Fokus auf die jungen Liebenden sowie Oberon und Titania: Die zwei Extreme von erster, schmerzhafter Liebe und routinierter, streitgestählter Ehe bilden die Pole in diesem Panoptikum der Beziehungen. Hier kann die Musik einhaken und von Gefühlen, Zuständen und Vorgängen erzählen. Wenn Helena das Liebesglück von Hermia und Lysander sieht, wenn sie von Demetrius allein im Wald zurückgelassen wird und wenn plötzlich beide Männer um ihre Zuneigung streiten und sie sich verspottet fühlt, dann können Purcells Arien Spiegel ihrer Gefühlswelt werden, Tanz und Bewegung Assoziationen wecken. Regisseur und Choreograf Jo Strømgren hat sich mit Sängern, Schauspielern und Tänzern dieses Vexierspiels der Gefühle angenommen und erzählt mit leichter Hand und quer durch alle Sparten und Erzählformen vom Verliebtsein und Entlieben, vom ersten Schmerz und den wohl gesetzten Pfeilen im Ehestreit. Dabei spielt er mit den Klischees eines klassisch-antiken Griechenlandes und unseren Erwartungen an Drama und Tragödie. Denn es steckt viel Komik im großen Liebesschmerz. Und Purcells Musik tut dazu ihr übriges: Die Einfachheit eines klagenden Lamento-Basses, die innere Ruhe zweier konzertierender Blockflöten, der royale Triumph von Pauken und Trompeten – sie alle bilden das Bett für eine „charming Night“. Lars Gebhardt Staatstheater Mainz