Gut angelegt

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TageblaTT
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Montag, 19. Mai 2014
Gut angelegt
Tageblatt-Serie zu den Europawahlen 2014 / Teil 6: EU-Gelder in Göttingen und der Region
Am 25. Mai sind auch die Göttinger aufgerufen, das achte
Europäische Parlament zu wählen. 25 Parteien und Vereinigungen kämpfen in Deutschland um 96 der 751 Sitze im
Parlament. Das Tageblatt zeigt
in einer sechsteiligen Serie unter anderem, wie viel Europa in
unserer Milch steckt oder wie
Gelder der EU Göttingen und
die Region verändert haben.
Von Jonas Rohde
Göttingen. Wenn man Marvin
Oberdiek und Daniel Igoe heute
gegenübersitzt, fällt es schwer
sich vorzustellen, dass beide
jungen Männer jemals orientierungslos gewesen sein könnten.
Die beiden Freunde scheinen zu
wissen, wo sie im Leben hinwollen und machen gerade ihren
Realschulabschluss nach. Der
Tisch, an dem sie mit Beraterin
Susanne Kessel sitzen, steht im
Pro Aktiv Center (Pace): eine
Einrichtung der Beschäftigungsförderung Göttingen (BFGoe),
die junge Menschen beim Start
ins Berufsleben begleitet. Mitfinanziert wird sie, wie so vieles in
und um Göttingen, von der Europäischen Union.
Der 23-jährige Oberdiek muss
grinsen, wenn man ihn nach der
ersten Begegnung mit dem Pace
fragt. „Ich wurde hier sehr nett
empfangen“, sagt er in die Richtung von Kessel. Gemeinsam
mit dem 21-jährigen Igoe wurde
er bislang ein Jahr betreut –
nicht nur bei der Selbstfindung,
sondern auch im Alltag: „Mir
wurde hier in jeder Hinsicht geholfen. Wann immer ich Probleme hatte, konnte ich herkommen“, sagt Igoe.
Das Zentrum existiert seit
2004 und bezieht derzeit die
Hälfte seiner Finanzierung
(240 000 Euro) aus dem Europäischen Währungsfonds (ESF).
„Unsere Hilfe in Anspruch zu
nehmen, ist aber kostenlos. Jeder kann kommen, ohne Anmeldung“, betont Frauke Müller-Brandt, Abteilungsleiterin
der Jugendberatung der BFGoe.
Das Pace unterstützt junge Menschen bei der schulischen und
beruflichen Orientierung, bietet
Qualifizierungsmöglichkeiten
an, hilft bei der Erstellung von
Bewerbungsunterlagen und begleitet Menschen wie Oberdiek
und Igoe beim nachträglichen
Erwerb von Schulabschlüssen.
„Aber auch bei alltäglichen, aber
zentralen Dingen wie der Wohnungssuche helfen wir“, ergänzt
Kessel. Igoe sagt: „Wenn es das
Pace nicht gegeben hätte, hätte
ich es nicht so weit geschafft.“
Im Sommer wollen beide ihren
Realschulabschluss in der Tasche haben.
Doch genauso wie er und
Oberdiek noch am Anfang stehen, ist auch die Geschichte der
EU-Förderungen noch längst
nicht zu Ende erzählt. Beileibe
nicht. Allein die Mittel des ESF
machen rund 10 Prozent des EUHaushaltes aus, der übrigens im
Gegensatz zu seinen Mitgliedsstaaten völlig schuldenfrei ist.
Hilft seit 2004 bei der beruflichen Orientierung: das Pace.
JRO
info
Diese Parteien stehen zur Wahl
• Christlich demokratische Union deutschlands (CdU)
• sozialdemokratische Partei deutschlands (sPd)
• Bündnis 90/die grünen (grüne)
• Freie demokratische Partei (FdP)
• die Linke
• Christlich-soziale Union in Bayern e.V. (CsU)
• Freie Wähler
• die Republikaner (ReP)
• Partei Mensch Umwelt tierschutz (tierschutzpartei)
• Familien-Partei deutschlands (FaMiLie)
• Piratenpartei deutschland (PiRaten)
• Ökologisch-demokratische Partei (ÖdP)
• Partei Bibeltreuer Christen (PBC)
• demokratie durch Volksabstimmung – Politik für die Menschen
(Volksabstimmung)
• Bayern-Partei (BP)
• Christliche Mitte – Für ein deutschland nach gottes geboten
(CM)
• Partei für arbeit, Umwelt und Familie, Christen für deutschland
(aUF)
• deutsche Kommunistische Partei (dKP)
• Bürgerrechtsbewegung solidarität (Büso)
• Partei für soziale gleichheit, sektion der Vierten internationale
(Psg)
• alternative für deutschland (afd)
• Bürgerbewegung Pro nRW (PRo nRW)
• Marxistisch-Leninistische Partei deutschlands (MLPd)
• nationaldemokratische Partei deutschlands (nPd)
• Partei für arbeit, Rechtsstaat, tierschutz, elitenförderung und
basisdemokratische initiative (die PaRtei)
Gut beraten: Susanne Kessel geht mit Marvin Oberdiek dessen Bewerbungsunterlagen durch.
Die Stadt Göttingen hat in den
letzten fünf Jahren 4,4 Millionen
ESF-Mittel erhalten. Der ESF ist
aber nicht die einzige Quelle, aus
der Göttingen profitiert. 8,7 Millionen zwischen 2007 und 2013
erhielten Projekte der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung (GWG) aus dem Europäischen Fonds für regionale
Entwicklung (EFRE). Aus diesem Topf bezog die Stadt nochmals rund 4,2 Millionen Euro.
Diese Aufzählung ist noch immer unvollständig, da es zum
Beispiel viele private Unternehmen gibt, die durch EU-Fonds
gefördert werden. Aber nicht
nur die Wirtschaft, sondern auch
die Wissenschaft profitiert: Für
Forschungsprojekte an der
Georg-August-Universität hat
die EU bislang circa 30 Millionen Euro ausgegeben.
Vielleicht machen andere
Zahlen, diesmal aus dem Land-
Darf es noch
ein bisschen
mehr sein?
Europa. In der Serie zu den anstehenden Europawahlen wurde
vor allem eines deutlich: Europa
ist anders als man denkt. Und
obwohl es ganz nah ist, fühlt es
sich manchmal ganz fern an.
Dennoch sind die Wahlen zum
Europäischen Parlament genauso wichtig wie nationale und
kommunale Wahlen – deshalb
braucht Europa informierte
Bürger.
Wer seine politischen Ansichten mit den Wahlprogrammen
der Parteien vergleichen möchte, kann in diesem Jahr erstmals
auch für die Europawahlen den
Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung nutzen.
Alle 25 Parteien, die in Deutschland um den Einzug ins Parlament konkurrieren, haben 38
kurze Fragen zu wichtigen politischen Themen beantwortet. Jeder Wähler sollte es ihnen im
Netz gleich tun.
jro
gturl.de/wahlomat
kreis Göttingen, das Ausmaß der
EU-Hilfen deutlicher: Hier flossen in den vergangenen Jahren
beispielsweise 4,3 Million in die
Förderung von Kleinen und
Mittleren Unternehmen. Dadurch konnten über 240 Arbeitsplätze geschaffen werden – was
vielleicht anders als alle genannten Förderungen besonders plastisch macht, wie sehr die Region
Göttingen von der Europäische
Union geprägt ist.
Profitiert Deutschland
wirklich von der EU?
Doch woher genau kommt
dieses Geld? Viele Mythen ranken sich um den EU-Haushalt,
der ganz anders beschaffen ist,
als ihn sich viele Bürger vorstellen: Für das Jahr 2014 beträgt er
etwa 142,6 Milliarden Euro. Zum
Vergleich: Die 28 Mitgliedsstaa-
ten geben rund 50 Mal so viel
aus wie die EU. Da der Haushalt
ausgeglichen ist, können 94 Prozent direkt für Programme und
Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsstaaten ausgegeben werden. Die oft als bodenlos bezeichnete Verwaltung verbraucht die restlichen sechs Prozent – eine sehr gute Bilanz.
Auch die Annahme, dass
Deutschland die EU finanziert,
stimmt so nicht. Alle Mitgliedsstaaten zahlen den gleichen
Prozentsatz ihre Bruttonationaleinkommens. Wer mehr erwirtschaftet, gibt also auch
mehr ab. Richtig: Das ist genau
jenes Prinzip, dessen konsequente Umsetzung sich viele
Bundesbürger auf nationaler
Ebene wünschen würden. Und:
Der Gewinn, den die Exportnation Deutschland aus dem Handel mit starken Partnern zieht,
ist zwar nur schwierig zu bezif-
JRO
fern, kann aber nicht hoch genug geschätzt werden.
Für den Einzelnen ist jedoch
vor allem eines wichtig: Die Umverteilung von Kapital durch
EU-Töpfe, die Regionen gezielt
fördern, bringt Geld dorthin, wo
es sonst nie gelandet wäre. Zum
Beispiel zum Pace. Und genau
deshalb zögern Marvin Oberdiek und Daniel Igoe keine Sekunde, als sie gefragt werden, ob
sie sich an der Wahl beteiligen
werden. Denn das Parlament bestimmt über den Haushalt, von
dem wir alle profitieren.
Die Serie
1. eU-Parlament
2. agrarpolitik lokal
3. Verbraucherschutz
4. eU in der Kritik
5. arbeitsmarkt eU
6. EU-Gelder in Göttingen
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