86 § 6 Die Kreiszahl π und das Problem der Quadratur des Kreises Berechnungen von Kreisumfang U und Kreisinhalt F bei gegebenem Radius r (bzw. Durchmesser d) werden schon seit den Anfängen der Mathematik betrieben. Man hat sehr schnell erkannt, dass sowohl U als auch F proportional zu d bzw. r2 sind. Stimmen beide Proportionalitätsfaktoren überein und wie groß sind der bzw. die Faktoren? Dass in beiden Fällen derselbe Faktor vorliegt, war schon Archimedes (* um 287 v. Chr. in Syrakus, †212 in v. Chr. in Syrakus) bekannt. Es gibt ein hübsches Argument dafür, das schon bei Leonardo da Vinci im 16. Jh. vorkommt, aber auch in alten japanischen Schriften: Wir zerlegen die Kreisfläche F in 4, 8, allgemein 2n gleichgroße Sektoren und bilden daraus jeweils die skizzierte Fläche vom Inhalt 2F , die bei zunehmend feinerer Unterteilung einem Rechteck mit dem Inhalt U · r immer ähnlicher wird. Ist nun U = c1 · d und F = c2 · r 2 , so folgt im Grenzwert c2 · r 2 = F = r r · U = · c1 · d = c1 · r 2 , 2 2 also c1 = c2 . Die gemeinsame Proportionalitätskonstante heißt seit William Oughtred31 und L. Euler (unabhängig voneinander ?) π von dem Anfangsbuchstaben des griechischen Wortes πριϕ´ρια für Peripherie. Bis 1735 schreibt Euler noch p statt π; seit 1737 benutzt er nur noch den Buchstaben π. 31 William Oughtred wurde am 5.3.1575 in Eton geboren, studierte in Cambridge, wurde 1603 zum Priester geweiht und 1608 Pfarrer in Albury. Ab 1628 wurde er zum Erzieher eines Adligen bestellt, und er verfasste für diesen den ”Clavis mathematicae”, der erstmals 1647 gedruckt erschien. Diese Schrift übte großen Einfluss auf die Mathematik in England aus. Oughtred verstarb am 30.6.1660 in Albury. 87 a) Näherungsweise Berechnung von π Alles ist also klar, wenn man π bestimmt hat. Aber das ist nicht ganz so einfach. Ein paar Näherungen für π aus der Geschichte: Wir finden in der Bibel im Alten Testament, 1. Buch von den Königen, Kap. 7, Vers 23: ”Und er machte ein Meer, gegossen zehn Ellen weit, von einem Rande zum anderen, rund umher, und fünf Ellen hoch, und eine Schnur dreißig Ellen lang war das Maß rings um.” Hieraus resultiert: π ≈ 3. Bei den Ägyptern finden wir im Rechenbuch des Ahmes (ca. 1900 v. Chr.) wegen der Vorliebe für Stammbrüche: 2 16 = 3, 16049 3827 (mit einem Fehler von ca. 0.5 %). π≈ 9 Archimedes gibt als erster Abschätzungen für die Zahl π an. Er vergleicht den Kreisumfang mit den Seitenlängen von ein- bzw. umbeschriebenen regelmäßigen n−Ecken. Das einbeschriebene regelmäßige 6-Eck hat den Umfang 6r = 3d, woraus sich sofort π > 3 ergibt. Durch Betrachtung des regelmäßigen 96−Ecks erhält Archimedes 3 1 10 <π<3 , 71 7 d.h. 3.14084 50704 22535 21126 76056 33802 81690 < π < 3.142857 . Archimedes wurde um 287 v. Chr. in Syrakus geboren. Es gilt als sicher, dass er einige Zeit in Alexandria weilte, da die Mehrzahl seiner Schriften in Form von Briefen aus Syrakus an Mathematiker in Alexandria erhalten sind, wie z.B. an Konon von Samos oder Eratosthenes. Archimedes starb 212 v. Chr. während der Einnahme seiner Geburtsstadt Syrakus durch die Römer, nachdem er ihre 2 Jahre dauernde Verteidigung durch die Konstruktion ballistischer Apparate aktiv und erfolgreich unterstützt haben soll. Wir wollen den Weg von Archimedes nachzeichnen. Dazu bezeichnen wir den halben Umfang des regelmäßigen Kn −Ecks mit Kn = 3 · 2n−1 , das den Kreis mit Radius 1 umschreibt, mit an ; ferner sei bn der halbe Umfang des regelmäßigen Kn −Ecks, das in den Kreis mit Radius 1 einbeschrieben ist. Dann können wir mit Hilfe der trigonometrischen Funktionen folgende Beziehungen festhalten (vgl. Skizze): 88 an = Kn · tan( π ) Kn und bn = Kn · sin( π ). Kn Daraus erhalten wir π π ) und bn+1 = 2 · Kn · sin( ). 2 · Kn 2 · Kn Hieraus ergeben sich die Beziehungen 1 1 2 + = und an+1 · bn = (bn+1 )2 , an b n an+1 die Archimedes natürlich nicht mit Hilfe der trigonometrischen Funktionen, sondern aus Flächenbetrachtungen erzielte. Um die beiden letzten Gleichungen einzusehen, benutzen wir hier und auch spter die π folgenden Beziehungen für trigonometrische Funktionen mit dem Argument θ ∈]0, [: 2 θ θ θ θ sin θ = 2 sin cos , cos θ = cos2 − sin2 , 2 2 2 2 und θ θ 1 + cos θ = 2 cos2 und 1 − cos θ = 2 sin2 . 2 2 Es gilt cos Kπn 1 1 π 1 1 + = + = 1 + cos an b n Kn sin Kπn Kn sin Kπn Kn sin Kπn Kn an+1 = 2 · Kn · tan( = 2 2 π π cos Kn sin Kn 2Kn = 2 2 π = 2Kn tan 2Kn an+1 89 und an+1 bn = 2Kn = sin 2Kπ n cos 2Kπ n Kn sin 4Kn2 sin2 π 2Kn sin 2Kπ n π π π = 2Kn2 cos π 2 sin Kn cos 2Kn 2Kn 2Kn = b2n+1 . Aus diesen Formeln kann man ”iterativ” die Zahlen an und bn berechnen. Es ist nämlich an+1 = 2an bn an + b n und bn+1 = p an+1 bn . √ 3 √ Nach heutigen Überlegungen ergibt sich wegen a1 = 3 · 3 und b1 = · 3 für das 2 √ √ regelmäßige Sechseck a2 = 2 · 3 und b2 = 3. Archimedes wählt als Näherung für 3 3180 265 . Mit diesem Wert erhalten wir a3 = ≈ 3.215 und den etwas kleineren Wert 153 989 9540 (b3 )2 = , d.h. b3 ≈ 3.106. Wenn man weiter fortfährt und die auftretenden Wurzeln 989 durch kleinere bzw. größere rationale Zahlen ersetzt, so ergeben sich die oben angegebenen 10 1 unteren und oberen Schranken b6 = 3 und a6 = 3 . 71 7 Die Zahl π mit den ersten 20 korrekten Dezimalstellen nach dem Komma lautet 3.14159 26535 89793 23846 ... . Lange gebräuchlich war die Näherung 1 π ≈ 3 = 3.14285 7 (mit einem Fehler von ca. 0.04 %) . 7 a) Klaudius Ptolemaios32 benutzt einen Wert, der zwischen den obigen Schranken liegt, d.h. 17 = 3.1416 < 3.14285 . . . . 3.14084 . . . < π ≈ 3 120 b) In China finden wir bei Zu Chong-Zhi (430 – 501) die Näherung π≈ 355 = 3.14159 29203 53982 30088 49557 52212 38938 05309 113 73451 32743 36283 18584 07079 64601 76991 15044 24778 76106 19469 02654 86725 66371 68 mit einem Fehler < 2.7 · 10−7 . (Der Dezimalbruch hat die bei Nenner 113 maximale Periodenlänge 112.) 32 Klaudius Ptolemaios wurde um 85 in Ptolemaios in Ägypten geboren. Über sein Leben lassen sich einige Daten nur aus seinen Werken erschließen. Die in seinem Hauptwerk ”Almagest” verwendeten eigenen Beobachtungen wurden in Alexandria durchgeführt und erstreckten sich von März 127 bis Februar 141. Ptolemaios starb um 165. 90 c) Diese Näherung findet sich auch bei Valentin Otho33 . Für Otho ergab sich diese 22 377 Zahl aus den Werten und durch ”Subtraktion” 7 120 355 377 − 22 = . 113 120 − 7 d) Leonardo von Pisa (vgl. S. 18) findet um 1220 durch Betrachtung des 96−Ecks: π≈ 864 = 3.1418 . 275 e) Ludolph van Ceulen34 berechnet π im Jahre 1596 auf 20 Stellen nach dem Komma. Nach ihm nennt man π auch oft Ludolphsche Zahl. Die Zahl π mit den ersten 20 korrekten Dezimalstellen nach dem Komma lautet 3.14159 26535 89793 23846 ... . Posthum veröffentlichte seine Frau eine Arbeit mit 32 Stellen nach dem Komma (1615). f) Ohne Kommentar geben wir eine Möglichkeit zur Berechnung von π an: 1 1 1 1 − + − + −... π = 16 3 5 · 55 7 · 57 5 3·5 1 1 1 1 − 4 − + − + −... . 239 3 · 2393 5 · 2395 7 · 2397 Wir erhalten 16 4 − ≈ 3.18326 3598 , 5 239 16 4 4 16 − − + ≈ 3.14059 7029 5 375 239 3 · 2393 16 16 16 4 4 4 − + 6 − + − ≈ 3.14162 1029 3 5 375 5 239 3 · 239 5 · 2395 und 16 16 16 16 4 4 4 4 − + 6 − − + − + ≈ 3.14159 1772 . 7 3 5 5 375 5 7·5 239 3 · 239 5 · 239 7 · 2397 g) Wir könnten die Jagd nach mehr Stellen weiter verfolgen: im Jahre 1705 sind 72 Stellen, Im Jahr 1794 sind 140 Stellen, im Jahr 1874 sind 526 Stellen, 1947 sind 808 und 1967 sind 500000 Stellen bekannt. 33 Valentin Otho wurde um 1550 in Magdeburg geboren. Ab 1576 war er Professor für ”Höhere Mathematik” (Astronomie) in Wittenberg. 1581 wurde er unter Beschuldigung des Kryptokalvinismus seines Amtes enthoben. Er starb 1605 in Heidelberg 34 Ludolph van Ceulen wurde am 28.1.1540 in Hildesheim geboren. Er war Mathematik-Lehrer in Breda, Amsterdam, Delft, Arnheim und Leiden. Ab 1600 war er Inhaber einer Professur für Kriegsbaukunst in Leiden. Er starb am 31.12.1610 in Leiden 91 h) Heute sind noch mehr Stellen bekannt. Zur numerischen Berechnung von π siehe ”Ramanuian, Modular Equations, and Approximations to Pi” bei http://www.cecem.sfu.ca/organics/papers/borwein, vorher erschienen in American Math. Monthl. 96 (3), 1989. Hier findet sich auch der berühmte superschnelle Algorithmus: Mit den Startwerten √ a0 = 6 − 4 2 √ y0 = 2−1 wird für n ∈ N0 iteriert yn+1 = 1 − (1 − yn4 )1/4 , 1 + (1 − yn4 )1/4 2 an+1 = (1 + yn+1 )4 an − 22n+3 yn+1 (1 + yn+1 + yn+1 ). Dann gilt für alle n ∈ N0 0 < an − 1 n < 16 · 4n e−2·4 π , π grob gesagt vervierfacht sich die Anzahl der richtigen Stellen in jedem Schritt: 1 π 1 0 < a2 − π 1 0 < a3 − π 1 0 < a4 − π 0 < a1 − < 8 · 10−10 < 6 · 10−42 < 3 · 10−172 < 2 · 10−695 Eine Berechnung mit einem (alten) Taschenrechner TI-30 ergibt z.B. √ a0 = 6 − 4 2 ≈ 0.3431458 √ y0 = 2 − 1 ≈ 0.4142136 p 1 − 4 1 − y04 0.007442 p y1 = ≈ ≈ 0.0037349 4 4 1.992558 1 + 1 − y0 a1 = (1 + y1 )4 a0 − 23 y1 (1 + y1 + y12 ) ≈ 0.3483011− ≈ 0.0299912 ≈ 0.3183099 und damit 1 ≈ 3.1415926 . a1 92 i) Es gibt zahlreiche ”Merkregeln” bzw. Gedichte, die helfen sollen, sich die ersten Stellen von π zu merken. Dabei gibt die Anzahl der Buchstaben der einzelnen Worte die entsprechende Ziffer von π an. Hier seien zwei Beispiele genannt, ein Vers in deutscher Sprache und eine ”Merkregel” in englischer Sprache: Wie, o dies π macht ernstlich so vielen viele Müh’, lernt immerhin Jünglinge, leichte Verselein, wie so zum Beispiel dies dürfte zu merken sein! Man kann Jünglinge auch durch Mägdelein ersetzen. Dieser Vers liefert dann 23 Stellen nach dem Komma, wogegen die folgende Merkregel ”nur” 14 Stellen nach dem Komma liefert: How I need a drink - alcoholic of course - after the heavy lectures involving quantum mechanics! Da die Ziffernfolge von π den Charakter von Zufallszahlen hat, benutzt man sie häufig als Testprogramm. b) Quadratur des Kreises Neben diese mehr rechnerischen Probleme stellen wir nun ein geometrisches. Nach Plato sind die einzigen legitimen Hilfsmittel des Geometers Zirkel und Lineal. Also kann sich der Geometer an folgender Aufgabe versuchen: Quadratur des Kreises: Ein gegebener Kreis ist allein mit Zirkel und Lineal in ein flächengleiches Quadrat zu verwandeln. Diese Aufgabe gehört zu den 3 wichtigen Aufgaben der antiken Mathematik; die beiden anderen lauten: Delisches Problem (der Würfelverdoppelung): Konstruiere mit Zirkel und Lineal einen Würfel mit dem doppelten Volumen des Einheitswürfels. Winkeldreiteilung: Teile mit Zirkel und Lineal einen beliebigen Winkel in drei gleich große Teile. Der vollständige Nachweis, dass die Quadratur des Kreises nicht lösbar ist, gelang erst Lindemann im Jahre 1882. Bis dahin gab es viele Versuche, die (natürlich) nur Näherungen brachten, z.B. aus Indien von Śulbasútras (schriftlich fixiert etwa 500 v. Chr.): Will man zu einem Kreis ein flächengleiches Quadrat finden, ziehe man vom Durchmesser 2 ab. Das ist die gesuchte Quadratseite. (Hieraus folgt: π ≈ 3.0044.) 15 Nun einige Bemerkungen zu der Frage, welche Zahlen mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind. Wir gehen vom Koordinatensystem aus, betrachten es als komplexe Zahlenebene und überlegen uns, welche Punkte – ausgehend von (0, 0) und (1, 0) – mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind. Zunächst sind alle ganzen Zahlen Z := {0, ±1, ±2, ±3, . . .} 93 konstruierbar, dann alle Zahlen der Form in mit der imaginären Einheit i und n ∈ Z. 1 Mit Hilfe des Strahlensatzes können wir alle Stammbrüche mit n ∈ N konstruieren und n m mit m ∈ Z und n ∈ N. Ferner läßt sich mit Hilfe des Satzes damit auch alle Brüche n √ von Pythagoras zeigen, dass sich alle Zahlen der Form n mit n ∈ N konstruieren lassen. Mit Hilfe oder des Kathetensatzes im rechtwinkligen Dreieck können wir p√des Höhensatzes √ 4 auch n = n mit n ∈ N konstruieren. Wir wollen uns überlegen, welche Zahlen nicht konstruierbar sind. Dazu folgende Definition Eine komplexe Zahl x ∈ C heißt algebraisch, wenn x eine Gleichung der Form an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 = 0 mit ganzen Zahlen ai ∈ Z erfüllt, die nicht alle Null sind. Anders gesagt: x ist Nullstelle eines von Null verschiedenen Polynoms P ∈ Z[X] (d.h. mit ganzen Koeffizienten). Eine komplexe Zahl x heißt transzendent, wenn sie nicht algebraisch ist. Im Jahre 1882 bewies Carl Louis Ferdinand Lindemann, dass π transzendent ist. Man weiß inzwischen auch, dass neben e auch eπ mit e = lim (1 + n→∞ 1 n ) ≈ 2.71828 n ebenfalls transzendent ist. Es ist aber noch nicht einmal bekannt, ob eπ oder e+π irrational ist. Carl Louis Ferdinand Lindemann wurde am 12.4.1852 in Hannover geboren. Nach einem Studium in Göttingen, Erlangen, München, Paris und London promovierte er 1873 bei Felix Klein in Erlangen. 1877 wurde er Privatdozent in Würzburg und noch im gleichen Jahr Professor an der Universität Freiburg. 1883 wurde er an die Universität Königsberg und 1893 an die Universität München berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1923 tätig war. Lindemann verstarb am 6.3.1939 in München. Es gibt auch einen bekannten Philosophen unter der ”Kreisquadrierern”: Thomas Hobbes35 war bis zu seinem Tod nicht zu überzeugen, dass er nur eine Näherungslösung gefunden hatte. 35 Hobbes wurde am 3.4.1588 in Westport (Malmesbury) geboren. Er studierte von 1603 bis 1608 in Oxford und lebte ab 1610 lange in Frankreich und Italien. Er erteilte als Hofmeister auch mathematischen Unterricht. Hobbes lernte u.a. R. Descartes und G. Galilei kennen. Hobbes war Mitbegründer der Aufklärung. Er kehrte 1651 nach England zurück und starb am 4.12.1679 in Hardwick (Devonshire). 94 Wir wollen so vollständig wie möglich in diesem Abschnitt ”beweisen”, dass die Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal unmöglich ist. Der erste Schritt dazu ist die Algebraisierung der Aufgabe. Wir behandeln das Problem im Koordinatensystem des R2 . Was bedeutet ”Konstruierbarkeit” algebraisch? Ist eine Anzahl von Punkten gegeben oder schon konstruiert, so kann man mit Zirkel und Lineal – eine Gerade durch zwei (verschiedene) dieser Punkte legen, – einen Kreis um einen der Punkte schlagen, dessen Radius der Abstand zweier Punkte ist. Neu konstruierbare Punkte sind genau die Schnittpunkte solcher Kreise und Geraden (und evtl. sind nicht alle diese Punkte neue Punkte). Im Koordinatensystem mit den Koordinaten (x, y) sehen diese Objekte so aus: (1) Eine Gerade durch (x1 , y1 ) 6= (x2 , y2 ) ist die Menge aller (x, y) mit (y2 − y1 )x + (x1 − x2 )y = x1 y2 − x2 y1 , q (2) ein Kreis um (x1 , y1 ) mit Radius r = (x2 − x3 )2 + (y2 − y3 )2 ist die Menge aller (x, y) mit (x − x1 )2 + (y − y1 )2 = r2 , d.h. x2 + y 2 − 2x1 x − 2y1 y = r2 − x21 − y12 . Schnittpunkte bestimmen bedeutet: zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten lösen, die vom Typ (1) oder (2) sind. Für die Koordinaten bedeutet das: Lemma Die Koordinaten eines neu konstruierbaren Punktes sind Lösungen von linearen oder quadratischen Gleichungen, deren Koeffizienten durch sogenannte Körperoperationen (Addition, Subtraktion, Multiplikation bzw. Division) aus Koordinaten ”alter” Punkte hervorgehen. Beweis: (1) Für Schnittpunkte von zwei Geraden ist das klar. Da nicht beide Koeffizienten von x, y Null sind, kann man etwa nach y auflösen y= y2 − y1 x2 y1 − x1 y2 ·x+ x2 − x1 x2 − x 1 und in die zweite Geradengleichung einsetzen. (2) Schnittpunkt(e) von Kreis und Gerade: Man löst die Geradengleichung wie in (1) auf; durch Einsetzen in die Kreisgleichung ergibt sich eine quadratische Gleichung mit Koeffizienten der gewünschten Art. 95 (3) Schnittpunkt(e) von zwei Kreisen: Zu lösen ist das Gleichungssystem x2 + y 2 − 2x1 x − 2y1 y = r12 − x21 − y12 x2 + y 2 − 2x2 x − 2y2 y = r22 − x22 − y22 . Durch Subtraktion beider Gleichungen entsteht eine Geradengleichung 2(x2 − x1 )x + 2(y2 − y1 )y = r12 − r22 + x22 − x21 + y22 − y12 . (Wegen (x1 , y1 ) 6= (x2 , y2 ) können nicht beide Koeffizienten von x bzw. y Null sein, so dass wir nach x oder y auflösen können und wir sind damit in Fall (2).) Ist nun ”der” Kreis zur Quadratur vorgelegt, so haben wir anfangs nur seinen Radius, d.h. 2 Punkte, o.E. (0, 0), (1, 0). Nach dem Lemma ist plausibel, dass alle endlichen Konstruktionen einen gewissen Rahmen nicht verlassen. Für unsere Zwecke genügt der Nachweis, dass Koordinaten stets algebraisch bleiben. Eine etwas genauere Analyse des Prozesses zeigt, dass nur Punkte konstruierbar sind, die sich aus√Quadratwurzeln von Quadratwurzeln von ... aufbauen lassen. Eine Strecke der Länge 3 2 ist nicht konstruierbar. Damit ist auch das Delische Problem mit Zirkel und Lineal unlösbar. Ebenso kann man zeigen, dass das Problem der Winkeldreiteilung (im Allgemeinen) mit Zirkel und Lineal nicht lösbar ist. Beispiele (1) Alle rationalen Zahlen x = qx − p = 0. p mit p ∈ Z, q ∈ N sind algebraisch, denn es ist q √ (2) Nicht nur rationale Zahlen sind algebraisch, z.B. ist x = 10 algebraisch wegen p x2 − 10 = 0. x ist aber nicht rational, denn die Annahme x = liefert 10q 2 = p2 ; q nun endet p2 im Dezimalsystem auf gerade viele Nullen (wenn die Anzahl der Nullen die Zahl 0 ist, so wird 0 als gerade Zahl betrachtet!) und 10q 2 auf ungerade viele, was ein Widerspruch ist. (3) Die komplexe Einheit x = i ist algebraisch wegen x2 + 1 = 0. π π + i sin ist für jedes n ∈ N algebraisch, da nach der Formel von Moivre36 n n gilt: x2n − 1 = 0. (4) x = cos 36 Abraham de Moivre wurde am 26.5.1667 in Vitry in der Champagne geboren. Mit Mathematik beschäftigte sich Moivre fast ausschließlich autodidaktisch. Als Hugenotte gelang ihm 1688 die Emigration nach London, wo er sich bis ins hohe Alter seinen Lebensunterhalt durch Privatunterricht in Mathematik verdiente, aber auch Spieler und Spekulanten in Kaffeehäusern beriet. 1707 bewies er einen Satz, in dem er implizit die nach ihm benannte Formel (cos α + i sin α)n = cos nα + i sin nα verwandte. Moivre starb am 27.11.1754 in London.