Mathematik f¨ur Chemiker

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II, 1–146 (2012)
c 2012
Mathematik für Chemiker
Dr. Jürgen Bolik
Georg-Simon-Ohm-Hochschule
Nürnberg
f (t )
−μt
e cos(ω t)
e−μt
t
−e−μ t
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
2
Inhaltsverzeichnis
1
2
3
4
Komplexe Zahlen
1.1 Aufbau des Zahlensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Die Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Die Exponentialfunktion und Trigonometrische Funktionen . . .
1.4 Die Moivresche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5 Die Wurzelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.6 Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . .
1.7 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.7.1 Komplexe Darstellung harmonischer Schwingungen . .
1.7.2 Addition harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz
Differentialrechnung von Funktionen einer und
mehrerer reellen Veränderlichen
2.1 Stetigkeit von Funktionen einer Variablen . . . . . . . . . . .
2.1.1 Folgen und Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2 Stetigkeit von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Differentialrechnung von Funktionen einer Variablen . . . . .
2.2.1 Der Differentialquotient . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.3 Lokale Extrema, Mittelwertsatz, Krümmungsverhalten
2.2.4 Approximation durch affin-lineare Funktionen . . . .
2.3 Taylor-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Differentialrechnung von Funktionen mehrerer
unabhängiger Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.2 Approximation durch affin-lineare Funktionen . . . .
2.4.3 Lokale Extrema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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19
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Integralrechnung
3.1 Das Riemannsche Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Integration und Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung
3.2.2 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Kurven im Rn und deren Länge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Volumen von Rotationskörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.6 Integralrechnung im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Lineare Algebra
103
4.1 Lineare Gleichungssysteme und der Gauß-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . 103
4.1.1 Einführung des Gauß-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
4.1.2 Grundlagen des Gauß-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
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116
120
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Gewöhnliche Differentialgleichungen
5.1 Beispiele gewöhnlicher Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Gewöhnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Lineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 Differentialgleichungen mit getrennten Variablen . . . . . . . . . . . .
y
5.2.3 Die Differentialgleichung y 0 = f ( ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
x
5.3 Gewöhnliche Differentialgleichungen n-ter Ordnung . . . . . . . . . . . . . .
5.3.1 Gewöhnliche homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten
Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2 Gewöhnliche inhomogene lineare Differentialgleichungen mit
konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
129
130
130
133
133
135
4.2
4.3
4.4
5
4.1.3 Unlösbare und unterbestimmte lineare Gleichungssysteme
4.1.4 Allgemeine lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . .
Matrizenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eigenwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1
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Komplexe Zahlen
Aufbau des Zahlensystems
Die Menge N der natürlichen und die Menge Z der ganzen Zahlen
Die Zahlen 1, 2, 3, ... werden als natürliche Zahlen bezeichnet.
Wir schreiben für die Menge der natürlichen Zahlen N, wobei
N = {1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} .
Um auch die Zahl 0 zu berücksichtigen, schreiben wir
N0 = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} .
Häufig wird auch folgende Notation verwendet:
N = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, ....}
und
N∗ = {1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} .
Die Menge der ganzen Zahlen ist
Z = {0, ±1, ±2, ±3, ....} .
Der Körper Q der rationalen und der Körper R der reellen Zahlen
Wir bezeichen Zahlen, die sich als Quotienten
darstellen lassen, als rationale Zahlen.
p
q
zweier Zahlen p ∈ Z und q ∈ Z, wobei q 6= 0,
Wir schreiben für die Menge der rationalen Zahlen Q, wobei
p
Q = { | p, q ∈ Z, q 6= 0} .
q
Die Menge der √
reellen Zahlen R ist umfassender als Q und enthält auch irrationale Zahlen, wie
beispielsweise 2.
Wir sprechen von einem Körper K, wenn auf der Menge K die Verknüpfungen Addition und
Multiplikationen definiert und folgende Axiome und das Distributivgesetz erfüllt sind:
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Axiome der Addition
• Assoziativgesetz
(x + y) + z = x + (y + z) für alle x, y, z ∈ K .
• Kommutativgesetz
x + y = y + x für alle x, y ∈ K .
• Existenz der Null
Es gibt eine Zahl 0 ∈ K mit x + 0 = x für alle x ∈ K .
• Existenz des Negativen
Zu jedem x ∈ K existiert ein − x ∈ K mit x + (−x) = 0 .
Axiome der Multiplikation
• Assoziativgesetz
(x · y) · z = x · (y · z) für alle x, y, z ∈ K .
• Kommutativgesetz
x · y = y · x für alle x, y ∈ K .
• Existenz der Eins
Es gibt eine Zahl 1 ∈ K, 1 6= 0, so dass x · 1 = x für alle x ∈ K .
• Existenz des Inversen
Zu jedem von 0 verschiedenen x ∈ K existiert ein x−1 ∈ K mit x · x−1 = 1 .
Distributivgesetz
x · (y + z) = x · y + x · z für alle x, y, z ∈ K .
Beispielsweise sind Q und R Körper.
5
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Der Körper C der komplexen Zahlen
Die Menge R × R der geordneten Paare reeller Zahlen bildet auch dann einen Körper, wenn wir
die Addition mittels
(x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 )
und die Multiplikation mittels
(x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 )
definieren. Auch diese Multiplikation ist assoziativ und kommutativ.
Der Körper (R2 , +, ·) wird als der Körper C der komplexen Zahlen bezeichnet.
Nach unserer Multiplikationsregel erhalten wir
(x, y) · (1, 0) = (x, y) .
Daher ist (1, 0) das neutrale Element der Multiplikation.
Das multiplikative inverse Element von z = (x, y) 6= (0, 0) erhalten wir aus der Gleichung
(x, y) · (u, v) = (1, 0) .
Die eindeutige Lösung dieser Gleichung ist
x
y
−1
z = (u, v) =
,−
.
x2 + y 2 x2 + y 2
Wir können reelle Zahlen x dabei als (x, 0) schreiben. Setzen wir zusätzlich
i := (0, 1) ,
so zeigt sich, dass
(x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) = x + iy für x, y ∈ R .
Außerdem erhalten wir
i2 = (0, 1)(0, 1) = (−1, 0) = −1 .
Anmerkung: In der Mathematik ist die Bezeichnung i für die imaginäre Einheit üblich, während
in der Technik oft j verwendet wird.
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1.2
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Die Gaußsche Zahlenebene
Für den Körper der komplexen Zahlen können wir
C = {x + iy | x, y ∈ R}
schreiben. Veranschaulichen lassen sich die komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene
(komplexen Zahlenebene):
imaginäre Achse
z=x+iy
y
x
reelle Achse
Abbildung 1.1 Darstellung einer komplexen Zahl
Die Addition zweier komplexer Zahlen entspricht der Vektoraddition
in R2 :
imaginäre Achse
z 1+z 2
z2
z1
reelle Achse
Abbildung 1.2 Addition zweier komplexer Zahlen
Ist z = x + iy mit x, y ∈ R, so sind Real- und Imaginärteil der komplexen Zahl z definiert
durch
Re(z) := x, Im(z) := y .
Zwei komplexe Zahlen z1 und z2 sind genau dann gleich, wenn
Re(z1 ) = Re(z2 ) und Im(z1 ) = Im(z2 ) .
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8
Beispiele zur Lösung quadratischer Gleichungen
• Die beiden Lösungen der quadratischen Gleichung x2 = −b2 lauten
x1,2 = ±ib .
• Die Gleichung x2 − 2x + 5 = 0 ist äquivalent zu (x − 1)2 = −22 . Daher erhalten wir als
Lösung
x1,2 = 1 ± 2i .
Die konjugiert komplexe Zahl
Die euklidische Norm k~xk ∈ R+ := {x ∈ R | x ≥ 0} eines Vektors
x
~x =
∈ R2
y
ist durch
p
x2 + y 2 definiert.
Mit Hilfe der konjugiert komplexen Zahl
z := x − iy .
lässt sich der Wert x2 + y 2 auch als Produkt von z und z schreiben, da
zz = (x + iy)(x − iy) = x2 + y 2 .
In der Gaußschen Zahlenebene wird die Konjugation einer komplexen Zahl durch Spiegelung
an der reellen Achse dargestellt:
imaginäre Achse
z=x+iy
y
x
reelle Achse
̄z=x−iy
Abbildung 1.3 Die konjugiert komplexe Zahl
Ist Im(z) = 0, so gilt z = z.
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Rechenregeln für die Konjugation
Seien z, z1 , z2 ∈ C. Dann gilt
• z = z,
• z1 + z2 = z1 + z2 ,
• z1 z2 = z1 z2 .
Der Betrag einer komplexen Zahl
Unter dem Betrag einer Zahl z ∈ C versteht man die Größe
p
√
|z| := zz = x2 + y 2 .
Der Betrag einer komplexen Zahl ist daher mit dem euklidischen Abstand des Punktes z vom
Nullpunkt in der Gaußschen Zahlenebene identisch.
Für alle z ∈ C gilt |z| = |z|.
Der Betrag einer komplexen Zahl
• Sei z ∈ C. Es gilt stets |z| ≥ 0 und |z| = 0 genau dann, wenn z = 0.
• Dreiecksungleichung: |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | für alle z1 , z2 ∈ C.
• |z1 z2 | = |z1 ||z2 | für alle z1 , z2 ∈ C.
Anmerkung: Es lässt sich auch zeigen, dass
|z1 − z2 | ≥ | |z1 | − |z2 | | für alle z1 , z2 ∈ C
gilt.
Mit Hilfe des Betrages, können wir auch den euklidischen Abstand dist(z1 , z2 ) zweier Punkte
z1 , z2 ∈ C der komplexen Zahlenebene definieren:
dist(z1 , z2 ) = |z2 − z1 | .
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10
Sei z0 ∈ C ein fester Punkt in der komplexen Zahlenebene und r ∈ R∗+ := {x ∈ R | x > 0}.
• Die Punktmenge
{z ∈ C | |z − z0 | < r}
ist die Kreisscheibe (ohne Rand) mit Radius r um den Punkt z0 .
• Die Punktmenge
{z ∈ C | |z − z0 | = r}
ist die Kreislinie mit Radius r um den Punkt z0 .
imaginäre Achse
r
. z0
y
x
reelle Achse
Abbildung 1.4 Eine Kreisscheibe in der
komplexen Ebene
Die Polarkoordinaten (r, ϕ) ∈ R∗+ × R sind gegeben durch die kartesischen Koordinaten
(x, y) ∈ R2 \{0} mittels
(x, y) = (r cos ϕ, r sin ϕ) .
Dabei gilt
r=
p
x2 + y 2 .
Die Größe ϕ gibt den Winkel zwischen der positiven x-Achse und dem Strahl von 0 durch (x, y)
an.
Betrachten wir statt der Ebene R2 die komplexe Ebene, so erhalten wir
z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) ,
wobei auch der Ursprung z = 0 zugelassen ist.
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11
Anmerkung zu Winkelmaßen
Für Winkel in Bogenmaß gilt:
ϕ :=
b
r
Ist b = 2πr, so gilt ϕ = 2π.
180◦
.
Somit gilt 360◦ = 2π rad und 1 rad =
π
Für z 6= 0 ist der Winkel ϕ durch die Angabe der kartesischen Koordinaten eindeutig bestimmt.
Dieser Winkel wird als Argument von z bezeichnet. Wir schreiben
ϕ = arg z .
Um den Winkel ϕ eindeutig zu bestimmen, wird üblicherweise vorausgesetzt, dass
0 ≤ ϕ < 2π oder − π < ϕ ≤ π .
Darstellung der Multiplikation in der komplexen Zahlenebene
Sei z, w ∈ C∗ := {z ∈ C | z 6= 0} und arg z = ϕ, arg w = ψ.
Dann erhalten wir, mit Hilfe der Additionstheoreme der trigonometrischen Funktionen,
wz = |w| · |z|(cos ψ + i sin ψ)(cos ϕ + i sin ϕ)
= |w| · |z|(cos(ψ + ϕ) + i sin(ψ + ϕ)) .
Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen werden
• die Beträge multipliziert und
• die Argumente addiert.
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12
Ist w ∈ C∗ fest, so ist die Abbildung
f : C → C, z 7→ wz
eine Drehstreckung und, im Falle von |w| = 1, eine Drehung.
imaginäre Achse
.w
w⋅z
.
i
.z
φ+ψ
ψ φ
.
1
reelle Achse
Abbildung 1.5 Multiplikation in C
Das hinsichtlich der Multiplikation inverse Element von z 6= 0 ist
z −1 =
x2
1
1
1
(x − iy) = 2 z =
(cos ϕ − i sin ϕ) .
2
+y
|z|
|z|
Daher gilt für die Division von w ∈ C∗ durch z ∈ C∗
w
|w|
=
(cos ψ + i sin ψ)(cos ϕ − i sin ϕ)
z
|z|
=
|w|
(cos(ψ − ϕ) + i sin(ψ − ϕ)) .
|z|
Anmerkung: Dabei verwenden wir Symmetrieeigenschaften und Additionstheoreme der trigonometrischen Funktionen sin und cos, die in folgendem Abschnitt vorgestellt werden.
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1.3
13
Die Exponentialfunktion und Trigonometrische Funktionen
Die Exponentialfunktion in R, und analog in C, wird mit Hilfe einer (absolut konvergenten)
Reihe, der Exponentialreihe
exp : R → R , x 7→ exp(x) =
∞
X
xn
n=0
n!
definiert.
Damit lässt sich zeigen, dass
exp(x + y) = exp(x) exp(y) für x, y ∈ R
und mit Hilfe dieser Funktionalgleichung wiederum, dass
exp(x) > 0 für x ∈ R ,
exp(−x) = (exp(x))−1 für x ∈ R
und
exp(n) = en für n ∈ Z .
Die Exponentialfunktion in C ist gegeben durch
exp : C → C , z 7→ exp(z) =
∞
X
zn
n=0
n!
.
Die Exponentialfunktion exp ist in C stetig.
Ferner gilt
• die Funktionalgleichung
exp(z1 + z2 ) = exp(z1 ) exp(z2 ) für alle z1 , z2 ∈ C ,
• die Eigenschaft exp(z) 6= 0 für alle z ∈ C
• und exp(z) = exp(z) für alle z ∈ C.
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14
Die Definition der Exponentialfunktion zur Basis a lässt sich, wenn wir uns auf reelle Werte von
a beschränken, sehr einfach verallgemeinern. Ist der Definitionsbereich der Funktion R, so ist
ax folgendermaßen erklärt:.
Definition: Sei a ∈ R∗+ . Dann ist die Exponentialfunktion zur Basis a definiert durch
ax : R → R , x 7→ ax := exp(x ln a) .
Entsprechend ist die Funktion az für a ∈ R∗+ auf dem Definitionsbereich C erklärt:
Definition: Sei a ∈ R∗+ . Dann ist die Exponentialfunktion zur Basis a definiert durch
az : C → C , z 7→ az := exp(z ln a) .
Anmerkung: Auf die Verallgemeinerung von az für a ∈ C∗ wird hier verzichtet.
Für alle x ∈ R gilt
|eix | = 1 ,
da
|eix |2 = eix eix = eix eix = eix e−ix = e0 = 1 .
Wir können daher eix als Punkt des Einheitskreises in der komplexen Ebene darstellen:
imaginäre Achse
. z=e ix
reelle Achse
Abbildung 1.6 Die Zahl eix als Punkt am Einheitskreis
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15
Mit Hilfe der Definition
cos x := Re(eix ) und sin x := Im(eix )
folgt unmittelbar die Eulersche Formel
eix = cos x + i sin x .
Die Variable x lässt sich sich als (orientierte) Bogenlänge verstehen.
Betrachten wir neben eix auch e−ix , so können wir auch folgende Gleichungen herleiten:
1
1
cos x = (eix + e−ix ) und sin x = (eix − e−ix ) .
2
2i
imaginäre Achse
. z 1 =eix
sin x
cos x
reelle Achse
. z 2 =e−ix
Abbildung 1.7 Die Winkelfunktionen cos und sin
Nach der Definition der trigonometrischen Funktion cos und sin und der Definition der Exponentialfunktion zeigt sich, dass
cos(−x) = cos x , sin(−x) = −sin(x)
und
cos2 x + sin2 x = 1 .
Mit Hilfe der Eulerschen Formel und der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion erhalten
wir eine einfache Herleitung folgender Additionstheoreme:
cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y für alle x ∈ R ,
sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y für alle x ∈ R .
Begründung: Gemäß der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion gilt
ei(x+y) = eix eiy ,
und umgeformt, mittels der Eulerschen Formel,
cos(x + y) + i sin(x + y) = (cos x + i sin x)(cos y + i sin y)
= (cos x cos y − sin x sin y) + i(sin x cos y + cos x sin y) .
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16
Analog zu den Beziehungen für Sinus sin
1
sin x = (eix − e−ix )
2i
und Cosinus cos
1
cos x = (eix + e−ix )
2
werden die Funktionen Sinus hyperbolicus sinh : R → R durch
1
sinh x := (ex − e−x )
2
und Cosinus hyperbolicus cosh : R → R durch
1
cosh x := (ex + e−x )
2
definiert.
Die Hyperbelfunktionen sinh und cosh sind stetig.
y
cosh x
sinh x
x
Abbildung 1.8 Die Hyperbelfunktionen cosh und sinh
Für alle x, y ∈ R gilt
cosh(x + y) = cosh x cosh y + sinh x sinh y ,
sinh(x + y) = sinh x cosh y + cosh x sinh y
und
cosh2 x − sinh2 x = 1 .
Die Funktion tanh : R → R ist durch
sinh x
tanh x :=
cosh x
definiert.
Die Umkehrfunktionen von sinh, cosh und tanh heißen arsinh, arcosh bzw. artanh.
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1.4
17
Die Moivresche Formel
Jede Zahl z ∈ C∗ lässt sich eindeutig schreiben als
z = |z|eiϕ = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) mit ϕ ∈ [0, 2π) .
Selbstverständlich können wir auch andere halboffene reelle Intervalle der Länge 2π wählen.
Schreiben wir zwei komplexe Zahlen w und z folgendermaßen in Polarkoordinaten:
w = |w|eiψ und z = |z|eiϕ ,
so lässt sich deren Produkt sehr einfach ausdrücken als
wz = |w||z|ei(ψ+ϕ) .
Demnach und nach der Funktionalgleichung gilt
(eiϕ )n = einϕ für alle n ∈ Z .
So erhalten wir die Moivresche Formel
(cos ϕ + i sin ϕ)n = cos(nϕ) + i sin(nϕ) für alle n ∈ Z .
Damit lässt sich z n folgendermaßen schreiben:
z n = |z|n einϕ = |z|n (cos(nϕ) + i sin(nϕ)) .
Die Formel von Abraham de Moivre gestattet eine einfache Herleitung der Darstellung von
cos(nϕ) und sin(nϕ), mit n ≥ 1, als Polynom in cos ϕ und sin ϕ, indem Real- und Imaginärteil
getrennt betrachtet werden.
Beispielsweise erhalten wir
cos(3ϕ) = cos3 ϕ − 3 cos ϕ sin2 ϕ
und
sin(3ϕ) = 3 cos2 ϕ sin ϕ − sin3 ϕ .
Der Term
(cos ϕ + i sin ϕ)n mit n ∈ N
lässt sich auch allgemein mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes umformen.
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1.5
18
Die Wurzelfunktion
n-te Einheitswurzeln: Sei n ∈ N mit n ≥ 2. Dann hat die Gleichung
zn = 1
genau n Lösungen in C. Diese sind
ζnk = ei
2kπ
n
mit k = 0, 1, ..., n − 1 .
imaginäre Achse
2π
ζ 1 =e 5
ζ 2 =e
4π
i
5
i
.
.
.1
6π
ζ 3 =e 5
i
reelle Achse
.
.
ζ 4 =e
8π
i
5
Abbildung 1.9 Die fünften Eineitswurzeln
Sei z ∈ C, a ∈ C∗ und n ∈ N mit n ≥ 2. Unter diesen Voraussetzungen suchen wir Lösungen
der Gleichung
zn = a .
Ist a = 1 und
ζn = exp(i
2π
),
n
so sind die n-ten Wurzeln von a die Zahlen
1, ζn , ..., ζnn−1 .
Ist a = |a|eiϕ , so lassen sich n-ten Wurzeln von z in Polarkoordinaten folgendermaßen schreiben:
p
i
n
|a| exp( (ϕ + 2kπ)) mit k ∈ Z .
n
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1.6
19
Der Fundamentalsatz der Algebra
Die Gleichung
z n − a = 0 , mit z ∈ C, a ∈ C∗ ,
lässt sich auch als Aufgabe, die Nullstellen des Polynoms
p(z) = z n − a
zu finden, verstehen.
Um quadratische Polynome in Linearfaktoren zu zerlegen, gibt es einfache Verfahren. Nun stellt
sich die Frage, ob sich Polynome auch allgemein in Linearfaktoren zerlegen lassen, wenn der
Zahlenkörper R oder aber C vorausgesetzt wird.
Allgemein sind Polynome in C folgendermaßen definiert:
Definition: Sei am ∈ C, m = 0, 1, ..., n, und an 6= 0. Dann ist
p : C → C, z 7→ p(z) = a0 + a1 z + ... + an−1 z n−1 + an z n
ein Polynom vom Grade n.
Wir schreiben
• p(z) ∈ C[z], wenn die Koeffizienten des Polynoms p
komplexe Zahlen und
• p(z) ∈ R[z], wenn die Koeffizienten des Polynoms p
reelle Zahlen sind.
Ein Polynom p(z) ∈ C[z] heißt komplexes Polynom und ein Polynom p(z) ∈ R[z] reelles
Polynom.
Sei pm (z) ∈ C[z] ein Polynom des Grades m ∈ N und z, z1 ∈ C mit z 6= z1 . Dann ist der Rest
der Division von pn (z) durch (z − z1 ) gleich pn (z1 ), d.h.:
pn (z) = (z − z1 )pn−1 (z) + pn (z1 ) .
Ist pn (z) ohne Rest durch (z − z1 )k , jedoch nicht durch (z − z1 )k+1 teilbar, so ist z1 eine k-fache
Nullstelle des Polynoms pn (z).
Fundamentalsatz der Algebra: Jedes nicht-konstante komplexe Polynom hat mindestens eine
Nullstelle in C.
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20
Faktorisierungssatz: Das Polynom
p : C → C, z 7→ p(z) = a0 + a1 z + ... + an−1 z n−1 + an z n ,
mit am ∈ C, m = 0, 1, ..., n und an 6= 0 ,
lässt sich eindeutig (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) als Produkt
p(z) = an (z − z1 )m1 · (z − z2 )m2 · ... · (z − zr )mr
schreiben. Dabei sind z1 , ..., zr ∈ C paarweise verschiedene Nullstellen, deren jeweilige Vielfachheit m1 , m2 , ..., mr ∈ N und m1 + m2 + ... + mr = n.
Das Polynom p(z) ∈ C[z] zerfällt also vollständig in Linearfaktoren.
Für Polynome p(z) ∈ R[z] gilt
p(z) = p(z).
Daher ist mit jeder Nullstelle zi auch zi eine Nullstelle.
Ferner ist
(z − zi )(z − zi )
ein reelles quadratisches Polynom.
Daraus folgt, dass sich jedes Polynom p(z) ∈ R[z] vom Grade n ≥ 1, eindeutig als Produkt
reeller Linearfaktoren und reeller quadratischer Polynome darstellen lässt.
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1.7
1.7.1
Anwendungen
Komplexe Darstellung harmonischer Schwingungen
Harmonische Schwingungen genügen der Differentialgleichung
x00 (t) + ω 2 x(t) = 0 .
Die allgemeine Lösung unserer Bewegungsgleichung hat folgende Form:
x(t) = c1 · sin(ωt) + c2 · cos(ωt) .
Andere Darstellungen der allgemeinen Lösung lauten
x(t) = A · sin(ωt + α0 )
und
x(t) = A · cos(ωt + ϕ0 ) .
In der Ortsfunktion x(t) = A · cos(ωt + ϕ0 ) bezeichnet
• A die Amplitude, d.h. die maximale Auslenkung aus der Ruhelage, und
• ϕ0 den Nullphasenwinkel.
Die Ortsfunktion lässt sich als Realteil von
z(t) = Aei(ωt+ϕ0 ) =: z0 eiωt
darstellen. Die Amplitude
z0 = Aeiϕ0
ist hierbei komplex.
21
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22
Es ist auch eine praktische Darstellung von cos und sin mit Hilfe des Einheitskreises möglich:
g ( x )=cos( x)
f ( x )=sin ( x)
r=1
f ( x )=sin ( x)
x
g ( x )=cos( x)
x
Abbildung 1.10 Die Funktionen sin und cos und der Einheitskreis
Entsprechend können wir eiωt+ϕ0 als Punkt des Einheitskreises in der komplexen Ebene
darstellen:
Im(z)
. z (t )=ei( ω t +φ )
1
0
sin (ω t 1+φ0 )
cos(ω t 1 +φ 0 )
Re(z)
Abbildung 1.11 Die Funktion ei(ωt+ϕ0 ) und der Einheitskreis
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1.7.2
23
Addition harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz
Gegeben seien zwei harmonische Schwingungen gleicher Richtung und gleicher Frequenz:
y1 (t) = A1 sin(ωt + α1 )
und
y2 (t) = A2 sin(ωt + α2 ) .
Die Resultierende beider Schwingungen ist gegeben durch
y(t) = y1 (t) + y2 (t) = (A1 cos α1 + A2 cos α2 ) sin(ωt) + (A1 sin α1 + A2 sin α2 ) cos(ωt) .
Wir suchen zwei Konstanten A und α, so dass
A1 cos α1 + A2 cos α2 = A cos α und A1 sin α1 + A2 sin α2 = A sin α .
Diese sind gegeben durch
q
A = A21 + A22 + 2A1 A2 cos(α2 − α1 )
und
tan α =
A1 sin α1 + A2 sin α2
.
A1 cos α1 + A2 cos α2
Damit können wir y(t) auch folgendermaßen schreiben:
y(t) = A sin(ωt + α) .
Andererseits lassen sich die beiden Gleichungen zur Bestimmung von A und α auch zu einer
Gleichung in C zusammenfassen:
A1 (cos α1 + i sin α1 ) + A2 (cos α2 + i sin α2 ) = A(cos α + i sin α)
Mit Hilfe der Eulerschen Formel
eiα = cos α + i sin α
erhalten wir
A1 eiα1 + A2 eiα2 = Aeiα =: z0 .
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24
Setzen wir
z0,1 = A1 eiα1 und z0,2 = A2 eiα2 ,
so nimmt die vorangegangene Gleichung die einfache Form
z0,1 + z0,2 = z0
an.
Die Addition zweier komplexer Zahlen lässt sich auch in einem Zeigerdiagramm veranschaulichen:
Im(z)
z 1+z 2
y 1+ y 2
z2
z1
y1
y2
x1 + x 2
x2
x1
Re(z)
Abbildung 1.12 Zeigerdiagramm und Addition komplexer Zahlen
Die Addition sinusförmiger Schwingungen verschiedener Amplitude und Phase aber gleicher
Frequenz lässt sich mit Hilfe von Zeigerdarstellungen sehr einfach durchführen:
h (φ)= f (φ)+g (φ)
A
f (φ)= A1 sin (φ)
φ
φ=ω t +φ0
g (φ)= A2 cos(φ)
Abbildung 1.13 Addition sinusförmiger Schwingungen
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25
Wie das folgende Diagramm zeigt, ist die Amplitude der resultierenden Schwingung nicht notwendigerweise größer als die der einzelnen Schwingungen.
g (φ)= A2 sin (φ+β0 )
h (φ)= f (φ)+g (φ)
f (φ)= A1 sin (φ+α 0 )
A
φ
φ=ω t +φ0
Abbildung 1.14 Addition sinusförmiger Schwingungen
Die Funktion
z(t) = Aei(ωt+α) = z0 eiωt
genügt der Differentialgleichung
z 00 (t) + ω 2 z(t) = 0 .
Sowohl deren Real- als auch deren Imaginärteil repräsentieren harmonische Schwingungen.
Beispielsweise gilt
y(t) = Im(z(t)) = Im(z0 eiωt ) = A · Im(eiα eiωt ) = A · Im(ei(ωt+α) )
= A(sin(α) cos(ωt) + cos(α) sin(ωt))
= A sin(ωt + α) .
Beispiel: Die Funktion
y(t) = sin(ωt) + cos(ωt)
lässt sich mit Hilfe des Additionstheorems
sin(α + β) = sin α cos β + cos α sin β
umformen zu
y(t) = A sin(ωt + ϕ0 ) ,
wobei ϕ0 =
π
4
und A =
√
2 sind.
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26
Andererseits können wir A und ϕ0 auch mittels z(t) ∈ C bestimmen. Hierzu betrachten wir die
Funktionen
π
z1 (t) = eiωt , z2 (t) = ei 2 · eiωt
und deren Summe
z(t) = z1 (t) + z2 (t) = z0 eiωt .
Die komplexe Amplitude z0 lässt sich folgendermaßen darstellen:
√
π
π
z0 = 1 + ei 2 = 1 + i = 2 · ei 4 .
Hieraus folgt
A=
√
2, ϕ =
π
4
und
y(t) = sin(ωt) + cos(ωt) =
√
π
2 · sin(ωt + ) .
4
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2
27
Differentialrechnung von Funktionen einer und
mehrerer reellen Veränderlichen
2.1
2.1.1
Stetigkeit von Funktionen einer Variablen
Folgen und Grenzwerte
Unter einer Folge reeller Zahlen versteht man eine Abbildung
n 7→ an ,
wobei n ∈ N0 = {0, 1, 2, 3, ...} oder n ∈ N = {1, 2, 3, ...} und an ∈ R.
Die Zahlenfolge ist daher eine Abbildung von N0 → R.
Man schreibt dafür (an )n∈N0 oder (a0 , a1 , a2 , ...).
1
1
Beispiel: Die Abbildung n 7→ √ definiert eine Folge ( √ )n∈N .
n
n
Beispiele
(1) an = (−1)n , n ∈ N0 : (1, −1, 1, −1, 1, −1, ...)
(2) arithmetische Folge: an = a1 + (n − 1) · d, n ∈ N, d ∈ R
(3) geometrische Folge: an = a1 q n−1 , n ∈ N, q ∈ R\{0, 1}
(4) an =
n
,
n+1
n ∈ N0 : (0, 12 , 23 , 34 , 45 , ...)
(5) Sei a0 = 1, a1 = 1 und an = an−1 + an−2 für n ≥ 2.
Diese Folge (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, ...) heißt Folge der ”Fibonacci-Zahlen”.
Definition: Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Die Folge heißt konvergent gegen a ∈ R,
falls
zu jedem > 0 ein N = N () ∈ N0 existiert, so dass
|an − a| < für alle n ≥ N .
Schreibweise: lim an = a
n→∞
Die reelle Zahl a heißt Grenzwert oder Limes der Zahlenfolge (an )n∈N0 .
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28
Beispiele für konvergente Folgen
Die Folge ( n12 )n∈N konvergiert:
1,2
an
1
0,8
0,6
0,4
0,2
0
1
2
3
4
5
6
7
n
Abbildung 2.1 Die Folge (n−2 )n∈N
1
Die Folge ((−1)n )n∈N konvergiert:
n
0,6
an
0,4
0,2
0
-0,2
-0,4
-0,6
-0,8
-1
-1,2
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Abbildung 2.2 Die Folge ((−1)n n−1 )n∈N
n
11
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29
1
Die Folge ( √ )n∈N konvergiert:
n
an
2
1,8
1,6
1,4
1,2
1
0,8
0,6
0,4
0,2
0
1
2
3
4
5
6
7
n
8
√
Abbildung 2.3 Die Folge (( n)−1 )n∈N
Beispiele zum Grenzwert
(1) Sei an = n1 , n ∈ N. Die Folge lautet also
1 1 1
(an )n∈N = (1, , , , ...) .
2 3 4
Es gilt
1
= 0,
n→∞ n
lim
da zu > 0 ein N () ∈ N existiert, so dass
|an − a| = |
1
1
− 0| = < für alle n ≥ N () .
n
n
Hierzu muss lediglich N () >
1
gewählt werden.
(2) Sei an = 1 − n1 , n ∈ N. Die Folge
1 2 3
(an )n∈N = (0, , , , ...) .
2 3 4
konvergiert gegen 1, da
|an − a| = |1 −
1
1
− 1| =
n
n
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und wir wie in (1) argumentieren können.
(3) Sei an = 1 +
(−1)n
,
n
n ∈ N. Die Folge
3 2 3
(an )n∈N = (0, , , , ...) .
2 3 4
konvergiert gegen 1, da
|an − a| = |1 +
(−1)n
1
− 1| =
n
n
und wir wieder wie in (1) verfahren können.
(4) Sei an =
√1 ,
n
n ∈ N. Die Folge
1 1 1
(an )n∈N = (1, √ , √ , √ , ...) .
2 3 4
konvergiert gegen 0, da zu > 0 ein N () ∈ N existiert, so dass
1
1
|an − a| = | √ − 0| = √ < für alle n ≥ N () .
n
n
Hierzu muss lediglich N () >
1
gewählt werden.
2
30
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31
Wenn die reelle Zahlenfolge gegen keine reelle Zahl konvergiert, dann wird sie divergent genannt.
Beispiele für divergente Folgen
Die Folge (n)n∈N divergiert, wie die nächste Abbildung zeigt:
8
an
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
n
8
Abbildung 2.4 Die Folge (n)n∈N
Die Folge (n2 )n∈N divergiert:
120
an
100
80
60
40
20
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
n
Abbildung 2.5 Die Folge (n2 )n∈N
Definition: Eine Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen heißt bestimmt divergent gegen +∞ (bzw. −∞),
wenn es zu jedem K ∈ R ein N ∈ N0 gibt, so dass
an > K (bzw. an < K) für alle n ≥ N .
Schreibweise: lim an = ∞
n→∞
Statt bestimmt divergent sagt man auch uneigentlich konvergent.
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32
Die Folge ((−1)n )n∈N divergiert:
1,5
an
1
0,5
0
-0,5
-1
-1,5
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
n
14
Abbildung 2.6 Die Folge ((−1)n )n∈N
Eine Zahl a heißt Häufungspunkt einer Folge (an )n∈N0 , wenn es eine Teilfolge von (an ) gibt,
die gegen a konvergiert.
Beispielsweise besitzt die Folge ((−1)n )n∈N0 die Häufungspunkte
+1 und -1.
Reihen
Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Die Folge der Partialsummen
sn :=
n
X
ak , mit n ∈ N0 ,
k=0
heißt (unendliche) Reihe und wird mit
∞
P
ak bezeichnet.
k=0
Konvergiert die Folge (sn )n∈N0 , so wird ihr Grenzwert ebenfalls mit
∞
P
k=0
ak bezeichnet.
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2.1.2
33
Stetigkeit von Funktionen
Definition: Grenzwerte bei Funktionen
Sei f : D → R eine reelle Funktion auf D ⊂ R und a ∈ R ein Punkt derart, dass es mindestens
eine Folge (an )n∈N0 , an ∈ D mit lim an = a gibt.
n→∞
Wir schreiben
lim f (x) = c ,
x→a
falls für jede Folge (xn )n∈N0 , xn ∈ D, mit lim xn = a gilt:
n→∞
lim f (xn ) = c .
n→∞
Rechtsseitiger und linksseitiger Grenzwert: Gilt für die Folgeglieder xn > a (xn < a ), so
erhalten wir den rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert.
Anmerkung: Selbstverständlich können wir statt lim f (x), mit x > a, auch
x→a
lim f (a + h) ,
h→0
und entsprechend
lim f (a − h)
h→0
für den linksseitigen Grenzwert, schreiben.
Definition: Stetigkeit
Sei f : D → R eine Funktion und a ∈ D. Die Funktion heißt stetig im Punkt a, falls
lim f (x) = f (a) .
x→a
f heißt stetig in D, falls f in jedem Punkt von D stetig ist.
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34
Beispiele für stetige und unstetige Funktionen
Die Funktionen xn , n ∈ N, sin x, cos x, tan x, ln x, ax , |x| sind stetig.
Die Funktion
1 für x ≥ 0
f (x) =
0 für x < 0
ist in x0 rechtsseitig, aber nicht linksseitig stetig und daher unstetig.
Die Betragsfunktion
abs : R → R , x 7→ |x|
ist stetig.
y
f ( x )=∣x∣
x
Abbildung 2.7 Die Betragsfunktion
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35
Die entier-Funktion
entier : R → R , x 7→ [x]
ist nicht stetig.
y
f ( x )=[ x]
x
Abbildung 2.8 Die entier-Funktion
Sätze über stetige Funktionen
Zwischenwertsatz: Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit f (a) < 0 und f (b) > 0 (bzw.
f (a) > 0 und f (b) < 0). Dann existiert ein p ∈ [a, b] mit f (p) = 0.
y
a
b
x
Abbildung 2.9 Existenz einer Nullstelle
Folgerung
Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion und c eine reelle Zahl zwischen f (a) und f (b). Dann
existiert ein p ∈ [a, b] mit f (p) = c.
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36
Eine Funktion f : D → R heißt beschränkt, wenn sie obere und untere Schranken besitzt, d.h.
wenn ein M ∈ R existiert, so dass
|f (x)| ≤ M für alle x ∈ D .
Jede in einem abgeschlossenen beschränkten Intervall stetige Funktion f : [a, b] → R ist beschränkt und nimmt ihr Maximum und Minimum an, d.h. es gibt x1 , x2 ∈ [a, b] mit
f (x1 ) ≤ f (x) ≤ f (x2 ) für alle x ∈ [a, b] .
Satz: Sei
f : [a, b] → R
eine stetige, streng monoton wachsende (bzw. streng monoton fallende) Funktion. Dann bildet
f das Intervall [a, b] bijektiv auf das Intervall [f (a), f (b)] ab, und die Umkehrfunktion
f −1 : [f (a), f (b)] → R
ist ebenfalls stetig und streng monoton wachsend (bzw. streng monoton fallend).
Das -δ-Kriterium der Stetigkeit: Sei D ⊂ R. Die Funktion f : D → R ist genau dann in
x0 ∈ D stetig, wenn es zu jedem > 0 ein δ > 0 gibt, so dass
|f (x) − f (x0 )| < für alle x ∈ D mit |x − x0 | < δ .
y
ϵ
f ( x 1)
x2
−3
x1
δ
x
f ( x 2)
Abbildung 2.10 Das -δ-Kriterium der Stetigkeit
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2.2
2.2.1
37
Differentialrechnung von Funktionen einer Variablen
Der Differentialquotient
Definition: Sei D ⊂ R und
f : D −→ R
eine Funktion. Es existiere eine Folge (ξn ) ⊂ D\{x} mit lim ξn = x.
n→∞
f heißt in einem Punkt x ∈ D differenzierbar, falls der Grenzwert
f 0 (x) :=
lim
ξ→x
ξ∈D\{x}
f (ξ) − f (x)
ξ−x
in R existiert. Dieser Grenzwert f 0 (x) heißt Differentialquotient oder Ableitung von f im Punkte
x.
Anmerkung: Der Definition liegt der Begriff des Grenzwertes bei Funktionen zu Grunde. Der
Grenzwert von
g(ξ) :=
f (ξ) − f (x)
ξ−x
existiert nicht, wenn die Folge g(ξn ) divergiert, d. h., wenn ihr Wert von der Wahl der Folge
(ξn )n ∈ N abhängt oder bestimmt divergiert.
Der Differenzenquotient
f (ξ) − f (x)
ξ−x
ist die Steigung der Sekante durch die Punkte (x, f (x)) und (ξ, f (ξ)) des Graphen der Funktion
f.
Existiert der Grenzwert des Differenzenquotienten für ξ → x, so geht bei diesem Grenzübergang die Sekante in die Tangente an den Graphen von f im Punkt (x, f (x)) über.
Statt f 0 (x) ist auch die Schreibweise
df (x)
üblich.
dx
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38
f ( ξ)
f ( ξ)− f ( x )
f (x)
x
ξ−x
ξ
Abbildung 2.11 Die Steigung der Sekante
Beispiele zur Berechnung der Ableitung
• Sei f : R → R, f (x) = x2 . Dann gilt
f (x + h) − f (x)
(x + h)2 − x2
= lim
h→0
h→0
h
h
f 0 (x) = lim
2xh + h2
= lim (2x + h) = 2x .
h→0
h→0
h
= lim
• Sei f : R∗ := R\{0} und f : R∗ → R, f (x) =
1
. Dann gilt
x
1
1
1
f (x + h) − f (x)
= lim (
− )
h→0 h x + h
h→0
h
x
f 0 (x) = lim
x − (x + h)
−1
1
= lim
=− 2.
h→0 h(x + h)x
h→0 (x + h)x
x
= lim
• Sei f : R → R, f (x) = exp x. Dann gilt
exp(x + h) − exp(x)
exp(h) − 1
= exp(x) lim
.
h→0
h→0
h
h
f 0 (x) = lim
Da
ex − 1
= 1,
x→0
x
x6=0
lim
erhalten wir
f 0 (x) = exp(x) .
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39
• Sei f : R → R, f (x) = sin x. Dann gilt
2 cos(x + h2 ) sin h2
sin(x + h) − sin(x)
f (x) = lim
= lim
h→0
h→0
h
h
!
sin h
h
= lim cos(x + ) · lim h 2 .
h→0
h→0
2
2
0
Da die Funktion cos stetig ist, erhalten wir
h
lim cos(x + ) = cos x .
h→0
2
Weiterhin gilt
sin x
= 1.
x→0
x
x6=0
lim
Das ergibt schließlich
f 0 (x) = cos x .
Die Betragsfunktion
abs : R → R , x 7→ |x|
ist stetig, jedoch nicht differenzierbar.
y
f ( x )=∣x∣
x
Abbildung 2.12 Die Betragsfunktion
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40
Beweis: Die Folge (hn )n∈N mit
hn := (−1)n
1
mit n ∈ N
n
konvergiert gegen Null. Für
qn :=
abs(0 + hn ) − abs(0)
hn
gilt
qn =
1
n
−0
n
1 = (−1) .
n
(−1) n
Da lim qn nicht existiert, ist die Funktion abs im Nullpunkt nicht differenzierbar.
n→∞
Wie bei der rechtsseitigen und linksseitigen Stetigkeit, lassen sich auch entsprechende Differentialquotienten einführen.
Definition: Sei D ⊂ R und
f : D −→ R
eine Funktion. Dann heißt f im Punkt x von rechts differenzierbar, falls der Grenzwert
f+0 (x) := lim
ξ&x
f (ξ) − f (x)
ξ−x
existiert. Die Funktion f heißt im Punkt x von links differenzierbar, falls der Grenzwert
f−0 (x) := lim
ξ%x
f (ξ) − f (x)
ξ−x
existiert.
Beispiel: Die Funktion abs ist im Nullpunkt zwar nicht differenzierbar, jedoch sowohl von
rechts als auch von links differenzierbar, wobei
abs0+ (0) = +1 und abs0− (0) = −1 .
Während aus der Stetigkeit einer Funktion nicht deren Differenzierbarkeit folgt, impliziert jedoch umgekehrt die Differenzierbarkeit einer Funktion deren Stetigkeit.
Satz: Ist die Funktion f : D −→ R in x ∈ D differenzierbar, so ist sie in x auch stetig.
Eine Funktion f : D −→ R heißt in x ∈ D stetig differenzierbar, wenn sie in x differenzierbar
und der Differentialquotient f 0 in x stetig ist.
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2.2.2
Ableitungsregeln
Produktregel
Seien f, g : D −→ R in x ∈ D differenzierbare Funktionen. Dann ist auch die Funktion
f · g : D −→ R
in x ∈ D differenzierbar, und es gilt
(f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) .
Quotientenregel
Ist g(ξ) 6= 0 für alle ξ ∈ D, so ist auch die Funktion
f
: D −→ R
g
in x ∈ D differenzierbar und es gilt
f 0 (x)g(x) − f (x)g 0 (x)
f
.
( )0 (x) =
g
g(x)2
Beispiel
Für die Funktion
tan : R\{
π
+ kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ tan x
2
erhalten wir
tan0 (x) =
cos2 x + sin2 x
1
sin0 (x) cos(x) − sin(x) cos0 (x)
=
=
.
2
2
cos x
cos x
cos2 x
41
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42
Ableitung der Umkehrfunktion
Sei D ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall. Ferner sei
f :D→R
eine stetige und streng monotone Funktion und
ϕ = f −1 : D∗ → R , mit D∗ = f (D) ,
deren Umkehrfunktion.
Ist f im Punkt x ∈ D differenzierbar mit f 0 (x) 6= 0, so ist ϕ im Punkt y := f (x) differenzierbar
und es gilt
ϕ0 (y) =
1
f 0 (x)
=
1
f 0 (ϕ(y))
.
Beispiel
Die Funktion ln : R∗+ → R ist die Umkehrfunktion von exp : R → R. Daher gilt
ln0 (x) =
1
exp0 (ln x)
=
1
1
= .
exp(ln x)
x
Kettenregel
Seien f : D −→ R und g : E −→ R Funktionen mit f (D) ⊂ E. Die Funktion f sei im Punkt
x ∈ D und g im Punkt f (x) ∈ E differenzierbar. Dann ist die zusammengesetzte Funktion
g ◦ f : D −→ R
im Punkt x ∈ D differenzierbar, und es gilt
(g ◦ f )0 (x) = g 0 (f (x))f 0 (x) .
Beispiel
Sei a ∈ R und
f : R∗+ → R, x 7→ xa .
Mit xa = exp(a ln x) und der Anwendung der Kettenregel erhalten wir
dxa
d
a
= exp0 (a ln x) (a ln x) = exp(a ln x) = a xa−1 .
dx
dx
x
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43
Ableitungen höherer Ordnung
Sei f : D → R in D ∩ (x − , x + ) und f 0 : D → R in x ∈ D differenzierbar. Demnach
existiert der Grenzwert (f 0 )0 (x). Die Ableitung (f 0 )0 (x) wird als zweite Ableitung von f in x
bezeichnet. Gebräuchlich ist die Schreibweise
2
d2 f (x)
d
d df (x)
00
0 0
=
=
f (x) .
f (x) := (f ) (x) =
2
dx
dx
dx
dx
Allgemein lassen sich so k-te Ableitungen einführen.
Definition: Eine Funktion f : D → R heißt k-mal differenzierbar im Punkt x ∈ D, falls ein
> 0 existiert, so dass f in D ∩ (x − , x + ) (k − 1)-mal differenzierbar und die (k − 1)-te
Ableitung von f in x differenzierbar ist. Gebräuchlich ist die Schreibweise
f
(k)
(x) := (f
d
) (x) =
dx
(k−1) 0
dk−1 f (x)
dk−1 x
Ableitungen einiger Funktionen
Die Ableitung der konstanten Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = c
ist
f 0 (x) = 0 .
Die Ableitung der Potenzfunktion
f : R∗+ → R , x 7→ f (x) = xa , mit a ∈ R ,
ist
f 0 (x) = a xa−1 .
Trigonometrische Funktionen
Die Ableitung der sin-Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = sin x
ist
f 0 (x) = cos x .
dk f (x)
=
=
dxk
d
dx
k
f (x) .
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Die Ableitung der cos-Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = cos x
ist
f 0 (x) = − sin x .
Die Ableitung der tan-Funktion
f : R\{
π
+ kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ f (x) = tan x
2
ist
f 0 (x) =
1
.
cos2 x
Die Ableitung der cot-Funktion
f : R\{kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ f (x) = cot x
ist
f 0 (x) = −
1
.
sin2 x
Exponentialfunktionen
Die Ableitung der exp-Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = ex
ist
f 0 (x) = ex .
Sei a ∈ R∗+ . Die Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis a
f : R → R , x 7→ f (x) = ax
ist
f 0 (x) = ax · (ln a) .
44
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Hyperbelfunktionen
Die Ableitung der sinh-Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = sinh x
ist
f 0 (x) = cosh x .
Die Ableitung der cos-Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = cosh x
ist
f 0 (x) = sinh x .
45
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2.2.3
46
Lokale Extrema, Mittelwertsatz, Krümmungsverhalten
Definition: Sei D ⊂ R eine offene Menge und f : D → R. Die Funktion f besitzt in D ein
lokales Maximum (Minimum), wenn ein > 0 existiert, so dass
f (x) ≥ f (ξ) (bzw. f (x) ≤ f (ξ)) für alle ξ mit |x − ξ| < .
Dieser Extremwert wird als isoliertes lokales Maximum (Minimium) bezeichnet, wenn f (x) 6=
f (ξ) in einer beliebig kleinen Umgebung von ξ ist.
Sei D ⊂ R eine offene Menge und f : D → R. Die Funktion f besitze in D ein lokales
Extremum und sei in x differenzierbar. Dann gilt f 0 (x) = 0.
Der Satz von Rolle besagt, dass zwischen zwei Nullstellen einer Funktion eine Nullstelle der
Ableitung liegt.
Satz von Rolle: Sei a < b. Ferner sei f : [a, b] → R eine stetige und in (a, b) differenzierbare
Funktion mit f (a) = f (b). Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit f 0 (ξ) = 0.
Eine Folgerung des Satzes von Rolle ist der folgende Mittelwertsatz.
Mittelwertsatz der Differentialrechnung: Sei a < b und f : [a, b] → R eine stetige und in (a, b)
differenzierbare Funktion. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b), so dass
f (b) − f (a)
= f 0 (ξ) .
b−a
Das bedeutet, dass die Steigung der Sekante durch die Punkte (a, f (a)) und (b, f (b)) gleich der
Steigung der Tangente an den Graphen von f an einer Stelle (ξ, f (ξ)) mit ξ ∈ (a, b) ist.
y
f (x)
f (b)− f (a)
b−a
a
ξ
b
x
Abbildung 2.13 Die Sekantensteigung und f 0 (ξ)
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47
Mit Hilfe der Ableitung lassen sich die Monotoniebereiche und damit die Extrema bestimmen.
Sei f : [a, b] → R eine stetige und in (a, b) differenzierbare Funktion. Gilt
• f 0 (x) ≥ 0 (f 0 (x) > 0) für alle x ∈ (a, b), so ist f in [a, b]
(streng) monoton wachsend,
• f 0 (x) ≤ 0 (f 0 (x) < 0) für alle x ∈ (a, b), so ist f in [a, b]
(streng) monoton fallend.
Beispiel: Monotoniebereiche und Extremwerte
y
f (x)
f ( x 1)
f ' ( x)>0
f ' ( x)<0
f ' ( x)>0
f ( x 2)
x1
x2
x
Abbildung 2.14 Monotoniebereiche und
Extremwerte
Eine hinreichende Bedingung für ein isoliertes lokales Extremum bietet der folgende Satz:
Sei f : (a, b) → R eine differenzierbare Funktion, die im Punkt x ∈ (a, b) zweimal differenzierbar ist. Gilt
f 0 (x) = 0 und f 00 (x) > 0 (bzw. f 00 (x) < 0) ,
so besitzt f in x ein isoliertes lokales Minimum (bzw. Maximum).
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48
Krümmungsverhalten
Sei D ⊂ R ein (endliches oder uneigentliches) Intervall.
Eine Funktion f : D → R heißt konvex, wenn für alle x1 , x2 ∈ D und alle λ mit 0 < λ < 1 gilt
f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) .
Eine Funktion f heißt konkav, wenn −f konvex ist.
Sei f : D → R zweimal differenzierbar. Die Funktion f ist genau dann konvex (bzw. konkav),
wenn für alle x ∈ (a, b) gilt
f 00 (x) ≥ 0 (bzw. f 00 (x) ≤ 0) .
Beispiel: Krümmungsverhalten
y
f (x)
f ' ' ( x)<0
f ( x 0)
f ' ' ( x)>0
x0
x
Abbildung 2.15 Konvexe und konkave Bereiche einer
Funktion
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2.2.4
49
Approximation durch affin-lineare Funktionen
Die Differenzierbarkeit einer Funktionen kann auch durch die Approximierbarkeit mittels affinlineare Funktionen ausgedrückt werden.
Sei D ⊂ R und a ∈ D ein Punkt, der Grenzwert mindestens einer Punktfolge (xn )n∈N ⊂ D\{a}
ist. Eine Funktion f : D → R ist genau dann im Punkt a differenzierbar, wenn eine Konstante
c ∈ R existiert, so dass
f (x) = f (a) + c(x − a) + ϕ(x) für x ∈ D ,
wobei ϕ eine Funktion ϕ : D → R mit der Eigenschaft
ϕ(x)
=0
x−a
x∈D\{a}
lim
x→a
ist. In diesem Fall gilt c = f 0 (x). Der Graph unserer affin-linearen Funktion
L(x) = f (a) + c(x − a)
ist die Tangente an den Graphen von f im Punkt (a, f (a)).
Beispiel
Approximation der Funktion
f : R → R , x 7→ f (x) = sin x
in Umgebung des Punktes a = 0.
Wir erhalten
x
0,1
0,2
sin x 0,09983 0,19867
0,3
0,4
0,29552 0,38942
Approximation einiger Funktionen in der Umgebung von a = 0
Es gilt
(1 + x)α ≈ 1 + α x , mit α ∈ R,
ex ≈ 1 + x,
sin x ≈ x,
ln(1 + x) ≈ x.
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2.3
50
Taylor-Reihen
Wie wir gesehen haben, kann der Funktionswert einer differenzierbaren Funktion f in der Umgebung einer Stelle a durch
f (a) + (x − a)f 0 (a)
näherungsweise bestimmt werden.
Da die Berücksichtigung höherer Ableitungen zu einer verbesserten Approximation von ganzrationalen Funktionen führen kann, stellt sich allgemein die Frage, wann sich Funktionen, zumindest lokal, durch Polynome approximieren lassen.
Eine ganzrationale Funktion
f (x) =
n
X
ak x k ,
k=0
lässt sich auch folgendermaßen schreiben
f (x) =
n
X
f (k) (0)
k!
k=0
xk .
Ersetzen wir hierbei den Punkt 0 durch den Punkt a, so erhalten wir entsprechend
f (x) =
n
X
f (k) (a)
k!
k=0
(x − a)k .
Taylorsche Formel: Sei I ⊂ R ein Intervall und a, x ∈ I. Ferner sei f : I → R eine (n + 1)-mal
stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt
f (x) = f (a) +
=
n
X
f (k) (a)
k=0
k!
f 0 (a)
f 00 (a)
f (n) (a)
(x − a) +
(x − a)2 + ... +
(x − a)n + Rn+1 (x)
1!
2!
n!
(x − a)k + Rn+1 (x) ,
wobei
1
Rn+1 (x) =
n!
Zx
a
(x − t)n f (n+1) (t) dt .
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51
Die Lagrangesche Form dieses Restgliedes Rn+1 (x) lautet:
Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass
Rn+1 (x) =
f (n+1) (ξ)
(x − a)n+1 .
(n + 1)!
Mit Hilfe der Taylor-Entwicklung lässt sich folgender Satz beweisen:
Sei I ⊂ R ein Intervall und x ∈ I. Ferner sei f : I → R eine n-mal stetig differenzierbare
Funktion. Dann gilt
f (x) =
n
X
f (k) (a)
k!
k=0
(x − a)k + η(x)(x − a)n ,
wobei η : I → R eine Funktion mit der Eigenschaft
lim η(x) = 0
x→a
ist.
Definition
• Sei f : I → R eine n-mal differenzierbare Funktion und a ∈ I.
Dann heißt
n
X
f (k) (a)
k=0
k!
(x − a)k
Taylor-Polynom n-ter Ordnung von f mit Entwicklungspunkt a.
• Sei f : I → R eine beliebig oft differenzierbare Funktion und a ∈ I. Dann heißt
∞
X
f (k) (a)
k=0
k!
(x − a)k
Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt a.
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52
Anmerkungen
• Der Konvergenzradius einer Taylor-Reihe ist nicht notwendigerweise positiv.
• Auch wenn die Taylor-Reihe von f konvergiert, konvergiert sie nicht notwendigerweise
gegen f .
• Für x ∈ I konvergiert die Taylor-Reihe von f (x) genau dann gegen f (x), wenn Rn+1 (x)
gegen 0 konvergiert.
Beispiele
(1) Wir entwickeln die Funktion
f : (−1, 1) → R , f (x) =
√
1 + x,
für den Entwicklungspunkt a = 0, in erster Ordnung.
Es gilt
1
1
f (0) = 1 , f (0) = √
= .
2 1 + x x=0 2
0
Demnach erhalten wir
√
x
f (x) = 1 + x = 1 + + η(x)x mit lim η(x) = 0
x→0
2
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53
(2) Die Exponentialreihe
Die Exponentialfunktion
exp : R → R
ist definiert als Exponentialreihe, so dass
exp(x) :=
∞
X
xn
n=0
n!
.
Demnach ist die Exponentialreihe die Taylor-Reihe von exp mit Entwicklungspunkt a = 0.
Zur Konvergenz der Taylor-Reihe für exp(x)
y
e
x
T 15 ( x)
T 10 ( x)
x
T 5 ( x)
T 3 ( x)
T 1( x)
Abbildung 2.16 Approximation von exp durch Taylor-Polynome Tn
der Ordnung n = 1, 3, 5, 10, 15
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54
ex
y
T 10 ( x)
T 2 ( x)
T 4 ( x)
x
Abbildung 2.17 Approximation von exp durch Taylor-Polynome Tn
der Ordnung n = 2, 4, 10
(3) Die Taylor-Reihen von Sinus und Cosinus
Die Funktionen sin und cos sind gegeben durch
∞
X
x2k+1
sin x =
(−1)k
(2k + 1)!
k=0
und
cos x =
∞
X
k=0
(−1)k
x2k
.
(2k)!
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55
Zur Konvergenz der Taylor-Reihe für sin(x)
y
T 7(x)
T 3 ( x)
T 1 ( x)
T 5 ( x)
T 11 ( x)
sin x
T 31 ( x )
x
Abbildung 2.18 Approximation von sin durch einige
Taylor-Polynome Tn
(4) Die Logarithmusreihe
Sei −1 < x ≤ +1. Dann gilt
ln(1 + x) =
∞
X
(−1)n−1
n=1
n
xn .
(5) Die Arcus-Tangens-Reihe
Sei |x| ≤ 1. Dann gilt
∞
X
x2n+1
arctan x =
(−1)n
.
2n
+
1
n=0
(6) Die Binomische Reihe
Sei α ∈ R und |x| < 1. Dann gilt
∞ X
α n
α
(1 + x) =
x ,
n
n=0
wobei
Y
n
α
α−k+1
=
.
n
k
k=1
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2.4
56
Differentialrechnung von Funktionen mehrerer
unabhängiger Variablen
Funktionen mehrere Variablen treten in der Physik und Chemie sehr häufig auf. Beispielsweise
lassen sich
• die Zustandsgleichung idealer Gase
pV = nRT
• und das Ohmsche Gesetz
R=
U
I
als Funktionen mehrerer Variablen, wie p(n, V, T ) oder U (R, I), betrachten.
Dabei wird der Definitionsbereich oft stärker als mathematisch notwendig eingeschränkt, da
Naturgesetze sinnvolle naturwissenschaftlichen Gegebenheiten wiedergeben. So können wir für
den Druck p = p(V, T ) eines idealen Gases als Definitionsbereich beispielsweise
Dp = {(V, T ) ∈ R2 | T ≥ 0, V > 0}
wählen, wenn wir n als konstant voraussetzen.
Der Definitionsbereich Dp lässt sich dann folgendermaßen veranschaulichen
T
Dp
V
Abbildung 2.19 Dp für ein ideales Gas bei n = const.
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57
Der Definitionsbereich einer Funktion mit n reellen Variablen ist eine Punktmenge im Rn . Bei
zwei Variablen kann das in einfachen Fällen beispielsweise ein Rechteck
{(x, y) ∈ R2 | a ≤ x ≤ b, c ≤ y ≤ d}
sein
y
d
Df
c
a
b
x
Abbildung 2.20 Rechteck als Punktmenge des R2
oder eine Kreisfläche
{(x, y) ∈ R2 | (x − x0 )2 + (y − y0 )2 ≤ r2 } .
y
( x , y)
y0
Df
x0
x
Abbildung 2.21 Kreisfläche als Punktmenge des R2
Ebenen
Geometrisch lassen sich Gleichungen wie
x + y + z = b mit (x, y, z) ∈ R3 ,
zu festem b ∈ R, als Ebenen im R3 beschreiben.
Eine Teilmenge A ⊂ R3 ist genau dann eine Ebene, wenn es zu b ∈ R Zahlen a1 , a2 , a3 ∈ R
mit (a1 , a2 , a3 ) 6= (0, 0, 0) gibt, so dass
A = {(x1 , x2 , x3 ) ∈ R3 | a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = b}
gilt.
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58
Da nicht alle Koeffizienten der Ebenengleichung verschwinden, existiert auch eine Darstellung
der Form
z = z(x, y) .
Jedoch müssen Funktionen f (x, y) nicht linear von den Variablen x und y abhängen. Allgemeiner betrachten wir Abbildungen f von Teilmengen D ⊂ Rn nach R, d.h.
f : D → R , (x1 , ..., xn ) 7→ f (x1 , ..., xn ) .
Der Graph von f ist die Menge
Γf := {(x, y) ∈ D × R | y = f (x)} .
Demnach ist Γf ⊂ Rn+1 .
Die folgende Abbildung zeigt den Graphen der Funktion
f : D → R , (x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 + y 2
für D = [−10, 10] × [−10, 10].
Abbildung 2.22 Graph von f (x, y) = x2 + y 2 (Rotationsparaboloid)
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59
Die folgende Abbildung zeigt den Graphen der Funktion
f : D → R , (x, y) 7→ z = f (x, y) = x3 − y 3
für D = [−3, 3] × [−3, 3].
Abbildung 2.23 Graph von f (x, y) = x3 − y 3
Eine Funktion f : U → R mit U ⊂ Rn , n ≥ 2, lässt sich auch durch die Schar Nf (c), c ∈ R,
ihrer Niveaumengen
Nf (c) := {x ∈ U | f (x) = c} ⊂ Rn
beschreiben.
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60
Im Fall n = 2 werden die Niveaumengen auch Höhenlinien genannt.
1.0
0.8
0.6
0.4
0.2
0.0
- 0.2
- 0.4
- 0.6
- 0.8
- 1.0
- 1.0
- 0.8
- 0.6
- 0.4
- 0.2
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
Abbildung 2.24 Höhenlinien von f (x, y) = x2 + y 2
3
2
1
0
-1
-2
-3
-3
-2
-1
0
1
2
3
Abbildung 2.25 Höhenlinien von f (x, y) = x3 − y 3
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2.4.1
61
Partielle Ableitungen
Definition: Sei U ⊂ Rn eine offene Menge und
f :U →R
eine Funktion. Ferner sei ei ∈ Rn der i-te Einheitsvektor
ei = (0, ...., 1, ...., 0) ,
wobei nur an der i-ten Stelle eine 1, sonst aber nur 0-Einträge auftreten. Die Funktion f heißt im
Punkt x ∈ U partiell differenzierbar bezüglich der i-ten Koordinatenrichtung, falls der Limes
∂f (x)
f (x + hei ) − f (x)
:= lim
h→0
∂xi
h
existiert, wobei h ∈ R∗ mit x + hei ∈ U ist.
∂f (x)
schreiben wir auch ∂xi f (x).
∂xi
Nehmen wir an, dass für x = (x1 , ...., xn ) ∈ U nur eine Koordinate variabel ist, die anderen
n − 1 Koordinaten aber fest, so erhalten wir Funktionen
Statt
ξ 7→ fi (ξ) := f (x1 , ...., xi−1 , ξ, xi+1 , ..., xn ) .
Die partielle Ableitung der i-ten Koordinatenrichtung lässt sich dann als gewöhnliche Ableitung
von f (ξ) formulieren. Demnach gilt
∂f (x)
= fi0 (xi )
∂xi
und wir können unsere Ergebnisse und Definitionen der Differentialrechnung einer reellen Variablen nutzen.
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62
Beispiele
• Für die partielle Ableitung von
f (x, y) = x + 2xy
nach x erhalten wir
∂f (x, y)
= 1 + 2y
∂x
und für die partielle Ableitung nach y
∂f (x, y)
= 2x .
∂y
• Für die partielle Ableitung von
1
f (x, y) = x2 + exy
2
nach x erhalten wir
∂f (x, y)
= x + y exy
∂x
und für die partielle Ableitung nach y
∂f (x, y)
= x exy .
∂y
Höhere Ableitungen
Sei U ⊂ Rn offen und
f :U →R
eine partiell differenzierbare Funktion. Sind alle partiellen Ableitungen
∂f
: U → R, 1 ≤ i ≤ n,
∂xi
partiell differenzierbar, so heißt f zweimal partiell differenzierbar. Entsprechend wird der Begriff k-mal partiell differenzierbar erklärt.
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63
Eine übliche Schreibweise für die zweiten Ableitungen von f ist
∂ 2f
∂xj ∂xi
und, falls i = j,
∂ 2f
.
∂xi ∂xi
Beispiel
Für die Funktion
f (x, y) = cos x · sin y
erhalten wir für die ersten Ableitungen
∂f (x, y)
∂f (x, y)
= − sin x · sin y ,
= cos x · cos y
∂x
∂y
und für die zweiten
∂ 2 f (x, y)
∂ 2 f (x, y)
=
−
cos
x
·
sin
y
,
= − sin x · cos y
∂x2
∂y∂x
und
∂ 2 f (x, y)
∂ 2 f (x, y)
= − sin x · cos y ,
= − cos x · sin y .
∂x∂y
∂y 2
Eine Funktion f : U → R heißt k-mal stetig partiell differenzierbar, wenn sie k-mal partiell
differenzierbar ist und alle partiellen Ableitungen der Ordnung ≤ k stetig sind.
Satz: Sei U ⊂ Rn offen und f : U → R zweimal stetig partiell differenzierbar. Dann gilt für
alle a ∈ U
∂f
∂f
=
für 1 ≤ i, j ≤ n .
∂xi ∂xj
∂xj ∂xi
Anmerkung: Die Eigenschaft
∂f
∂f
=
∂x∂y
∂y∂x
können wir auch für das vorangegangene Beispiel nutzen.
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2.4.2
64
Approximation durch affin-lineare Funktionen
Sei U ⊂ Rn offen und f : U → Rm eine Abbildung, die im Punkt x0 ∈ U differenzierbar sei.
Dann lässt sich f durch affin-lineare Funktionen
f (x) = f (x0 ) + A · (x − x0 )
approximieren, wobei für die Matrix A = (aij ) mit 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ n gilt
aij =
∂fi
(x0 ) .
∂xj
Diese Matrix wird als das Differential oder die Jacobi- oder Funktional-Matrix von f im Punkte
x0 bezeichnet
Anmerkung: Die Variable x und der Punkt x0 sind Elemente des Rn .
Ist m = 1 und n = 2, so ist A der Vektor
(
∂f ∂f
,
)(x0 ) ,
∂x1 ∂x2
wobei x0 = (x0,1 , x0,2 ). Selbstverständlich können wir hier für x1 auch x und für x2 auch y
schreiben.
Im Falle n = 1 haben wir die Funktion durch die Geradengleichung der Tangente approximiert.
Hier gehen wir entsprechend vor. Statt der Geradengleichung erhalten wir eine Ebenengleichung.
Tangentialebene
Sei U ⊂ R2 und f : U → R eine in (x0 , y0 ) stetig partiell differenzierbare Funktion.
Wir betrachten die Tangentialebene an den Graphen von f im Punkte P mit den Koordinaten
(x0 , y0 , f (x0 , y0 )). Die beiden Richtungsvektoren
(1, 0, ∂x f (x0 , y0 )) und (0, 1, ∂y f (x0 , y0 ))
liegen in der Tangentialebene des Punktes (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) und sind linear unabhängig.
Daher erhalten wir als Parameterdarstellung dieser Ebene
(x, y, z) = (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) + λ(1, 0, ∂x f (x0 , y0 )) + µ(0, 1, ∂y f (x0 , y0 )) ,
wobei λ, µ ∈ R.
Allgemeiner nennen wir eine Teilmenge A ⊂ Rn Ebene, wenn es v, w1 , w2 ∈ Rn gibt, wobei
w1 und w2 linear unabhängig sind und
A = {u ∈ Rn | u = v + λ1 w1 + λ2 w2 mit λ1 , λ2 ∈ R}
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65
gilt. Kürzer schreiben wir hierfür
A = v + Rw1 + Rw2 .
Ist A ⊂ Rn eine Ebene, so wird ein s ∈ Rn als orthogonal zu A, oder als Normalenvektor von
A, bezeichnet, wenn für alle v1 , v2 ∈ A gilt
hs, v1 − v2 i = 0 .
Ist A = v + Rw1 + Rw2 , so ist s orthogonal zu A genau dann, wenn
s ⊥ w1 und s ⊥ w2 ist.
Der Vektor
~n := w
~1 × w
~ 2 = (−∂x f (x0 , y0 ), −∂y f (x0 , y0 ), 1)
ist orthogonal zu unserer Tangentialebene.
Da
h~n, ((x, y, z) − (x0 , y0 , f (x0 , y0 )))i = 0
gilt, erhalten wir
nx (x − x0 ) + ny (y − y0 ) + nz (z − z0 ) = 0
und als weitere Darstellung der Tangentialebene von f in (x0 , y0 )
z − f (x0 , y0 ) =
∂f (x0 , y0 )
∂f (x0 , y0 )
(x − x0 ) +
(y − y0 ) .
∂x
∂y
Anmerkung: Letztere Darstellung ergibt sich auch unmittelbar aus obiger Parameterdarstellung.
Beispiel
Mit Hilfe unserer Approximation sollen Funktionswerte von
√
z = f (x, y) = x · y 2
in der Umgebung des Punktes P (1, 2) berechnet werden.
Es gilt f (1, 2) = 4 und
√
y2
z − 4 = ( √ )(1,2) 4x + ( x · 2y)(1,2) 4y = 2 4x + 4 4y ,
2 x
mit 4x := x − x0 und 4y := y − y0 .
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66
Für 4x = −0, 05 und 4y = 0, 06 erhalten wir nach dieser Approximation
f (0, 95 , 2, 06) = 4 − 2 · 0, 05 + 4 · 0, 06 = 4, 140 .
Setzen wir x = 0, 95 und y = 2, 06 stattdessen direkt in f (x, y) ein, so erhalten wir
f (0, 95 , 2, 06) = 4, 136.
Fehlerrechung
Um zu bestimmen, wie sich Fehler von Messungen in einer Meßgröße niederschlagen, betrachten wir die jeweilige funktionale Abhängigkeit und bestimmen neben dem resultierenden
Mittelwert auch die resultierende Abweichung der Meßgröße im Rahmen einer linearen Approximation.
Dabei nehmen wir an, dass die Messgröße
f : U → R, x 7→ f (x) ,
mit U ⊂ Rn , von x = (x1 , ..., xn ) abhängt. Werte der Variablen xi werden durch einen Messung
bestimmt. Dabei treten Messfehler auf, so dass wir statt xi die Große xi ± 4xi betrachten.
Die Mittelwerte der Größen xi legen einen Wert für die Messgröße f (x) fest. Wie sich dabei
die Fehler 4xi , im Falle 4xi xi , fortplanzen, zeigen wir im folgenden Abschnitt.
Für f : U → R mit U ⊂ Rn können wir, bei kleinen Fehlern 4xi , die Näherung
n
X
∂f
(x0 )4xi
4z =
∂x
i
i=1
verwenden.
Als maximalen absoluten Fehler |4z| definieren wir dann
n X
∂f
|4z| :=
∂xi (x0 ) |4xi | .
i=1
Damit steht uns ein einfaches Fehlerfortpflanzungsgesetz zur Verfügung.
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67
Beispiele
• Nach der Zustandsgleichung für ideale Gase,
pV = nRT ,
lässt sich beispielsweise der Druck p des idealen Gases als Funktion p = p(n, V, T )
schreiben.
Nach unserer Näherung erhalten wir für 4p
4p =
∂p
∂p
∂p
4V +
4T +
4n .
∂V
∂T
∂n
Mit
∂p
nRT
∂p
nR
∂p
RT
=− 2 ,
=
und
=
∂V
V
∂T
V
∂n
V
und p0 = p(n0 , V0 , T0 ) ergibt sich für den maximalen relativen Fehler
−1 4p n
RT
n
RT
n
R
RT
0
0
0
0
0
0
|4V | +
|4T0 | +
|4n| .
p0 =
V0
V02
V0
V0
Demnach gilt
4p 4V
p0 = V0
4T 4n +
+
T0 n0 .
Für
4V
V0
4T 4n , T0 , n0 = 2%
erhalten wir somit
4p p0 = 6% .
• Für den Ohmschen Widerstand gilt
R=
U
.
I
Hier erfolgt die Messung des Widerstandes R anhand einer Messung der Spannung U
und der Stromstärke I.
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68
Um den maximalen relativen Fehler von R = R(U, I) abzuschätzen, nutzen wir die Beziehung
4R 4U 4I =
+
R0 U0 I0 .
Somit erhalten wir für I = (10 ± 0, 3) A und U = (220 ± 2) V
4R U0
≈ 4% .
R0 =
= 22, 0 Ω und I0
R0 Beispiele für Fehlerabschätzungen
Funktionen z = f (x, y)
Maximaler absoluter bzw. relativer Fehler
z = x + y, z = x − y
|4z| = |4x| + |4y|
x
z = c xy, z = c
y
4z 4x 4y =
+
z0 x0 y0 α β
∗
z = c x y mit α, β ∈ R
Dabei setzen wir z0 := f (x0 , y0 ).
4z 4x 4y = α
+ β
z0 x0 y0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
2.4.3
69
Lokale Extrema
Sei f : U → R und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ein Punkt x ∈ U heißt lokales Extremum, oder
genauer lokales Maximum oder lokales Minimum von f , falls es eine Umgebung V ⊂ U gibt,
so dass,
• im Falle eines lokalen Maximums,
f (x) ≥ f (y) für alle y ∈ V ,
• und im Falle eines lokalen Minimums,
f (x) ≤ f (y) für alle y ∈ V ,
gilt.
Sofern zusätzlich f (x) = f (y) nur für x = y gilt, so wird das jeweilige lokale Extremum als
isoliert bezeichnet.
Definition: Sei A = (aij ) eine reelle Matrix mit 1 ≤ i, j ≤ n und aij = aji . Dann heißt A
• positiv definit, falls
hξ, Aξi > 0 für alle ξ ∈ Rn \{0} ,
• positiv semidefinit, falls
hξ, Aξi ≥ 0 für alle ξ ∈ Rn ,
• negativ definit, bzw. negativ semidefinit, falls die Matrix −A positiv definit, bzw. positiv
semidefinit ist,
• und indefinit, falls es Vektoren ξ, η ∈ Rn gibt, so dass
hξ, Aξi > 0 und hη, Aηi < 0
gilt.
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70
Definition: Sei f : U → Rm und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ferner sei f eine stetig partiell
differenzierbare Funktion. Unter dem Differential, der Jacobi- oder Funktional-Matrix von f
im Punkte x ∈ U wird der Term
(Df )(x) := Jf (x) :=
∂fi
(x)
∂xl
1≤i≤m
1≤l≤n
verstanden.
Anmerkung: Für m = 1 ist das ist ein Element aus Rn (Vektor). Der Ausdruck
∂f
grad f (x) :=
(x)
∂xl
1≤l≤n
heißt Gradient.
Definition: Sei f : U → R und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ferner sei f eine zweimal stetig
partiell differenzierbare Funktion. Als Hesse-Matrix von f im Punkte x ∈ U wird der folgende
Term bezeichnet:
2
∂ f
.
(Hf )(x) :=
(x)
∂xl ∂xm
1≤l≤n
1≤m≤n
Anmerkung: Die Hesse-Matrix ist ein Element aus Rn × Rn .
Satz: Sei f : U → R und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ferner sei f eine zweimal stetig partiell
differenzierbare Funktion und x ∈ U ein Punkt mit
grad f (x) = 0 .
Einen Punkt, in dem der Gradient verschwindet, bezeichnen wir als kritischen Punkt.
• Ist die Matrix (Hf )(x) positiv definit, so hat f in x ein isoliertes lokales Minimum.
• Ist (Hf )(x) negativ definit, so hat f in x ein isoliertes lokales Maximum.
• Ist die Matrix (Hf )(x) indefinit, so hat f in x kein lokales Extremum.
Der Vektor grad f (x) besteht aus zwei Komponenten.
Satt grad f (x) = 0 können wir
∂f (x1 , x2 )
∂f (x1 , x2 )
= 0 und
=0
∂x1
∂x2
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schreiben.
Für die Formulierung der Hesse-Matrix Hf (x) sind einige Abkürzungen sinnvoll:
a11 :=
∂ 2f
∂ 2f
(x)
,
a
:=
(x) ,
12
∂x21
∂x1 ∂x2
∂ 2f
∂ 2f
(x) , a22 :=
(x) .
∂x2 ∂x1
∂x22
Da f eine zweimal stetig partiell differenzierbare Funktion ist, gilt außerdem
a21 :=
a21 = a12 .
Mit dieser Schreibweise erhalten wir
Hf (x) =
a11 a12
a21 a22
.
Ferner ist Hf (x) in x ∈ U
• positiv definit, wenn det(Hf (x)) > 0 und a11 > 0
• negativ definit, wenn det(Hf (x)) > 0 und a11 < 0
• indefinit, wenn det(Hf (x)) < 0 ist.
Im folgenden Abschnitt schreiben wir der Einfachheit halber D statt det(Hf (x)).
Anmerkung
Ist die Hessesche Matrix in einer Nullstelle des Gradienten von f lediglich semidefinit, wie beispielsweise im Falle von f (x, y) = x2 + y 4 oder f (x, y) = x2 + x3 , so
lassen sich unsere Kriterien nicht anwenden.
Für beide Funktionen gilt
grad f (0) = 0
und
Hf (0) =
20
00
.
Daher ist die Hessesche Matrix im Nullpunkt positiv semidefinit. Während jedoch
die Funktion f (x, y) = x2 +y 4 im Nullpunkt ein isoliertes lokales Minimum besitzt,
hat f (x, y) = x2 + x3 dort kein lokales Extremum.
71
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72
Für f : R2 → R mit
(x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 − y 2
verschwindet der Gradient lediglich bei (x, y) = (0, 0).
In dem kritischen Punkt (0, 0) ist D < 0. Daher besitzt f im Punkt (0, 0) kein lokales Extremum.
Der Graph von f ist eine sog. Sattelfläche.
Abbildung 2.26 Graph von f (x, y) = x2 − y 2
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Beispiele
• Sei f : R2 → R mit
(x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 − 2x + 1 + y 2 = (x − 1)2 + y 2 .
Für die partiellen Ableitungen erster und zweiter Ordnung erhalten wir
∂x f (x, y) = 2x − 2 , ∂y f (x, y) = 2y
und
∂x2 f (x, y) = 2, ∂y ∂x f (x, y) = 0, ∂y2 f (x, y) = 2 .
Die Bedingung
∂x f (x, y) = ∂y f (x, y) = 0
für einen kritischen Punkt impliziert, dass
2x − 2 = 0 und 2y = 0 .
Daher ist P (1, 0) der einzige kritische Punkt. Da außerdem für P
D > 0 und a11 = ∂x2 f (x, y) = 2 > 0
gilt, besitzt f in P ein lokales Minimum.
Abbildung 2.27 Graph von f (x, y) = (x − 1)2 + y 2
• Sei f : R2 → R mit
f (x, y) = x3 − 3xy + y 3 .
Für die partiellen Ableitungen erster und zweiter Ordnung erhalten wir
∂x f (x, y) = 3x2 − 3y , ∂y f (x, y) = −3x + 3y 2
73
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74
und
∂x2 f (x, y) = 6x, ∂y ∂x f (x, y) = −3, ∂y2 f (x, y) = 6y .
Die Bedingung
∂x f (x, y) = ∂y f (x, y) = 0
für einen kritischen Punkt impliziert, dass
y = x2 und x = y 2 .
Betrachten wir x = x4 , so erhalten wir, wegen x(1 − x3 ) = 0, die Nullstellen x = 0 und
x = 1 und damit die kritischen Punkte P (0, 0) und Q(1, 1).
Da im Punkt P
D = −9 < 0
gilt, hat die Funktion f in P kein lokales Extremum.
Im Punkt Q gilt
D = 27 > 0 und a11 = ∂x2 f (x, y) = 6 > 0 ,
so dass dort ein lokales Minimum vorliegt.
Abbildung 2.28 Graph von f (x, y) = x3 − 3xy + y 3
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3
3.1
75
Integralrechnung
Das Riemannsche Integral
Das Riemannsche Integral geeigneter Funktionen und Intervalle wird im Rahmen eines Grenzwertprozesses für Treppenfunktionen eingeführt.
Treppenfunktionen
Sei a, b ∈ R mit a < b. Eine Funktion
ϕ : [a, b] → R
heißt Treppenfunktion, falls es eine Unterteilung
a = x0 < x1 < ... < xn−1 < xn = b
des Intervalls [a, b] und Konstanten ck ∈ R gibt, so dass
ϕ(x) = ck für alle x ∈ (xk−1 , xk ) mit 1 ≤ k ≤ n .
Die Funktionswerte ϕ(tk ) sind beliebig.
y
a
x1
x2
x3 x4
x5
b
x
Abbildung 3.1 Treppenfunktion und Unterteilung des Intervalls
Das Integral für Treppenfunktionen
Sei ϕ eine Treppenfunktion, die hinsichtlich der Unterteilung
a = x0 < x1 < ... < xn = b
so definiert ist, dass
ϕ(x ,x ) = ck für k = 1, ..., n .
k−1
k
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76
Dann wird
Zb
n
X
ϕ(x) dx :=
ck (xk − xk−1 )
k=1
a
definiert. Die Menge aller Treppenfunktionen ϕ : [a, b] → R bezeichnen wir mit T [a, b].
Definition: Sei f : [a, b] → R eine beschränkte Funktion. Dann wird das Oberintegral als
 b

Zb ∗
Z

f (x) dx := inf
ϕ(x) dx | ϕ ∈ T [a, b], ϕ ≥ f


a
a
und das Unterintegral als
Zb
f (x) dx := sup
a
 b
Z

∗
ϕ(x) dx | ϕ ∈ T [a, b], ϕ ≤ f



a
bezeichnet. Dabei heißt eine reelle Zahl
• Supremum sup, falls sie die kleinste obere und
• Infimum inf, falls sie die größte untere Schranke ist.
f
y
φ≥ f
φ≤ f
x
Abbildung 3.2 Treppenfunktionen und Integration
Definition: Eine beschränkte Funktion f : [a, b] → R heißt Riemann-integrierbar, wenn
Zb
Zb
∗
f (x) dx
f (x) dx =
a
a
∗
gilt. Dann wird
Zb
Zb
f (x) dx :=
a
gesetzt.
∗
f (x) dx
a
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77
Beispiele
• Treppenfunktionen ϕ ∈ T [a, b] sind Riemann-integrierbar.
• Die Funktion f : [0, 1] → R mit
1 für x ∈ Q
f (x) =
0 für x ∈ R\Q
ist nicht Riemann-integrierbar, da
Z1
Z1
∗
f (x) dx = 1 und
0
f (x) dx = 0 .
0
∗
Im folgenden Abschnitt schreiben wir statt Riemann-integrierbar lediglich integrierbar.
Satz: Jede stetig Funktion f : [a, b] → R ist integrierbar.
Das lässt sich mit Hilfe der Approximierbarkeit stetiger Funktionen und der Ober- und Unterintegrale durch Treppenfunktionen ϕ, ψ ∈ T [a, b], mit ϕ ≤ f ≤ ψ, und die jeweiligen Oberund Untersummen zeigen.
Mit dieser Eigenschaft lässt sich auch der folgende Satz beweisen.
Satz: Jede monotone Funktion f : [a, b] → R ist integrierbar.
Linearität und Monotonie des Integrals
Satz: Seien f, g : [a, b] → R integrierbar und λ ∈ R. Dann sind auch die Funktionen f + g und
λf integrierbar und es gilt:
Zb
Zb
(f + g)(x) dx =
(i)
a
g(x) dx,
a
Zb
(λf )(x) = λ
a
f (x) dx +
a
Zb
(ii)
Zb
f (x) dx,
a
(iii) Ist f ≤ g, so gilt
Rb
a
f (x) dx ≤
Rb
a
g(x) dx.
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78
Intervallgrenzen
Satz: Sei a < b < c und f : [a, c] → R. Die Funktion f genau dann integrierbar, wenn f |[a,b]
und f |[b,c] integrierbar sind. Dann gilt
Zc
Zb
f (x) dx =
a
Zc
f (x) dx +
a
f (x) dx .
b
Definition
• Für identische obere und untere Intervallgrenze a wird
Za
f (x) dx := 0
a
gesetzt.
Zb
• Die Integration
f (x)dx kann für b < a mittels
a
Zb
Za
f (x)dx := −
a
behandelt werden.
f (x) dx
b
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3.2
79
Integration und Differentiation
Betrachten wir statt des Integrals
Zb
f (t) dt
a
einer integrierbaren Funktion f : [a, b] → R, das entsprechende Integral mit einer variablen
Integrationsgrenze x ∈ (a, b], so erhalten wir die Funktion
Zx
F (x) :=
f (t) dt .
a
3.2.1
Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung
Eine differenzierbare Funktion
F :I→R
heißt Stammfunktion einer Funktion
f : I → R,
falls f die Ableitung der Funktion F , d.h.
F0 = f
ist.
Beispiel
Die Funktion
F (x) =
1
xn+1 , n ∈ N ,
n+1
ist Stammfunktion von f (x) = xn .
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80
Sei F : I → R Stammfunktion von f : I → R Eine weitere Funktion G : I → R ist genau
dann Stamfunktion von f , wenn
F (x) − G(x) = c für x ∈ I ,
mit einer Konstanten c ∈ R, gilt.
Beweis
(i) Sei F − G = c mit einer Konstanten c ∈ R. Dann gilt G0 = (F − c)0 = F 0 = f .
(ii) Sei G Stammfunktion von f . Demnach gilt G0 = f = F 0 und daher (F − G)0 = 0. Nach
dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist F − G = c mit einer Konstanten c ∈ R.
Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung
Sei f : I → R eine stetig Funktion und F eine Stammfunktion von f . Dann gilt
Zb
f (x) dx = F (b) − F (a) mit a, b ∈ I .
a
Beweis
Definieren wir
Zx
f (t) dt mit x ∈ I ,
F0 (x) :=
a
so ist F0 : I → R eine Stammfunktion von f mit
Zb
F0 (a) = 0 und F0 (b) =
f (t) dt .
a
Eine beliebige Stammfunktion F von f kann sich von F0 nur durch eine additive Konstante
c ∈ R unterscheiden. Daher gilt
Zb
F (b) − F (a) = F0 (b) − F0 (a) = F0 (b) =
f (t) dt .
a
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81
Beispiel
Eine einfache Integration ist bereits erforderlich, soll die entlang eines Weges verrichtete Arbeit
berechnet werden, wenn die Kraft in Wegrichtung nicht konstant ist.
Das ist beispielsweise in der Elektrostatik der Fall, wenn wir die Arbeit W berechnen, die bei
beliebigen Verschiebungen einer Ladung q im Coulomb-Feld F einer Ladung Q verrichtet wird.
Soll sich deren Ort vom Abstand r1 auf den Abstand r2 vergrößern, so erhalten wir
Zr2
W12 = −
qQ
F (r) dr = −
4π0
1
qQ 1
1
qQ 1 r2
· =
( − ).
dr =
2
r
4π0 r r1
4π0 r2 r1
r1
r1
3.2.2
Zr2
Integrationsmethoden
Substitutionsregel
Sei f : I → R eine stetige Funktion und
ϕ : [a, b] → R
eine stetig differenzierbare Funktion mit ϕ([a, b]) ⊂ I. Dann gilt
Zb
Zϕ(b)
f (ϕ(t))ϕ0 (t) dt =
f (x) dx .
a
ϕ(a)
Beweis
Sei F : I → R eine Stammfunktion von f . Dann gilt nach der Kettenregel
(F ◦ ϕ)0 (t) = F 0 (ϕ(t))ϕ0 (t) = f (ϕ(t))ϕ0 (t) .
Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechung erhalten wir daher
Zb
Zϕ(b)
b
f (ϕ(t))ϕ (t) dt = (F ◦ ϕ(t)) = F (ϕ(b)) − F (ϕ(a)) =
f (x) dx .
0
a
a
Beispiele zur Substitutionsregel
• Wir erhalten
Z
1
2
1
dt = ln |2 + 3t| + C , wobei t 6= − ,
2 + 3t
3
3
mit Hilfe der Substitution ϕ(t) := 2 + 3t,
ϕ(a)
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• und
Z
2
2
2
t et dt = et + C
mittels ϕ(t) := t2 .
Einige Substitutionen
Z
• Für Integrale der Form
f (ax + b) dx, mit a 6= 0, erhalten wir
Z
Z
1
f (ax + b) dx =
f (u) du .
a
Z
• Für Integrale der Form f (x) · f 0 (x) dx erhalten wir
Z
1
f (x) · f 0 (x) dx = (f (x))2 + C .
2
Z
1
1
Beispiel: sin x · cos x dx = sin2 x + C1 = − cos2 x + C2
2
2
Z 0
f (x)
• Für Integrale der Form
dx erhalten wir
f (x)
Z 0
f (x)
dx = ln |f (x)| + C .
f (x)
Z
Beispiel: tan x dx = − ln | cos x| + C, wobei − π2 < x < π2 .
• Ist f eine rationale Funktion, so werden Integrale der Form
Z
√
f (x, 1 − x2 ) dx oft mittels x =: cos u
umgeformt. Dabei erhalten wir
Z
Z
√
2
f (x, 1 − x ) dx = f (cos u, | sin u|) sin u du .
• Ist f eine rationale Funktion, so werden Integrale der Form
Z
√
f (x, x2 − 1) dx oft mittels x =: cosh u
umgeformt. Dabei erhalten wir
Z
Z
√
f (x, x2 − 1) dx = f (cosh u, | sinh u|) sinh u du .
82
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83
Partielle Integration
Seien f, g : [a, b] → R zwei stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt
Zb
b Z b
f (x)g 0 (x) dx = f (x)g(x) − g(x)f 0 (x) dx .
a
a
a
Beweis
Nach der Produktregel erhalten wir für die Ableitung von F := f g
(f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x)
und mit dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung
Zb
Zb
0
f (x)g(x) dx +
b
b
f (x)g 0 (x) dx = F (x) = f (x)g(x) .
a
a
a
a
Beispiele zur partiellen Integration
Z
• Für x eax dx gilt
Z
1
1
x e dx = eax · x −
a
a
ax
Z
1 ax
e (ax − 1) + C ,
a2
eax dx =
Z
• für
ln x dx, mit x > 0, gilt
Z
Z
ln x dx = x · ln x −
Z
• und für
Z
x·
1
dx = x · ln x − x + C
x
x
x arctan( ) dx gilt
a
x
1
x
x arctan( ) dx = x2 arctan( ) −
a
2
a
Z
a 2
1
dx ,
x · 2
2
a + x2
was sich mittels
x2
x 2 + a2 − a2
a2
=
=
1
−
a2 + x 2
a2 + x 2
a2 + x2
umformen lässt zu
Z
x
1
x
a
x arctan( ) dx = (x2 + a2 ) arctan( ) − x + C .
a
2
a
2
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84
Partialbruchzerlegung
Seien m, n ∈ N,
p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + ... + an xn
und
q(x) = b0 + b1 x + b2 x2 + ... + bn xm
Polynome mit reellen Koeffizienten. Ferner sei D := {x ∈ R | q(x) 6= 0}. Dann heißt die
Funktion
r : D → R, x 7→ r(x) =
p(x)
q(x)
rationale Funktion.
Lässt sich r nur mit Nennerpolynomen des Grades m > 0 darstellen, so werden die Funktionen
r auch als gebrochenrationale Funktionen bezeichnet.
Polynomdivision: Seien p und q Polynome und r eine rationale Funktion. Dann gibt es ein
Polynom p0 und ein Polynom pr , dessen Grad kleiner als der Grad von q ist, so dass
r(x) =
pr (x)
p(x)
= p0 (x) +
.
q(x)
q(x)
pr (x)
wird auch als echt gebrochen bezeichnet.
q(x)
Das sind rationale Funktionen, deren Zählerpolynom einen kleineren Grad hat als deren Nennerpolynom.
Sei f eine rationale Funktion
Die rationale Funktion
n
P
f (x) =
i=0
m
P
ai x i
mit n ≤ m und bm = 1 ,
b j xj
j=0
wobei ai , bj ∈ R und das Zähler- und Nennerpolynom keine gemeinsamen Nullstellen besitzen.
Dann lässt sich f eindeutig in eine Summe von sogenannten Partialbrüchen, d.h. Termen der
Form
Aνkν
mit 1 ≤ ν ≤ N, 1 ≤ kν ≤ kN
(x − x0,ν )kν
und
Bµlµ + Cµlµ x
mit 1 ≤ µ ≤ M, 1 ≤ lµ ≤ lM .
(x2 + pµ x + qµ )lµ
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85
zerlegen. Dabei sind ν, µ, kν , lµ ∈ N und Aνkν , Bµlµ , Cµlµ , pµ , qµ ∈ R und x0,ν die Nullstellen
des Nennerpolynoms.
Ferner gilt
p2µ
− qµ < 0 für 1 ≤ µ ≤ M .
4
Beispiele
Z
• Um
1
dx zu berechnen, können wir folgende Partialbruchzerlegung verwenden:
1 − x2
1
B
A
+
.
=
1 − x2
1−x 1+x
Mittels Koeffizientenvergleich folgt
A=B=
1
.
2
Demnach gilt
Z
Z
Z
1
1
1
1
1
dx
=
dx
−
dx
=
(ln |x + 1| − ln |x − 1|) + C
1 − x2
2
x+1
x−1
2
1 x + 1 +C.
= ln 2
x − 1
Z
1
dx zu berechnen, können wir folgende Partialbruchzerlegung verwenden:
• Um
3
x − x2
x3
1
1
A B
C
= 2
= + 2+
.
2
−x
x (x − 1)
x x
x−1
Mittels Koeffizientenvergleich folgt
A = −1, B = −1, C = 1 .
Demnach gilt
Z
Z
Z
Z
1
1
1
1
dx = −
dx −
dx +
dx
3
2
2
x −x
x
x
x−1
x − 1 1
1
+ +C.
= − ln |x| + + ln |x − 1| + C = ln x
x x
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86
Beispiele zur Flächenberechnung
• Gesucht ist die Fläche, die der Funktionsgraph von
f : [a, b] → R , x 7→ f (x) = c , mit c ∈ R∗+ ,
mit der Abszisse und den Geraden x = a und x = b einschließt.
y
f ( x )=c
c
b
a
x
Abbildung 3.3 Flächeninhalt eines Rechtecks
Wir erhalten
Zb
c dx = c · (b − a) .
a
• Gesucht ist die Fläche, die der Funktionsgraph von
f : [0, a] → R , x 7→ f (x) = m x , mit m ∈ R∗+ ,
mit der Abszisse und der Geraden x = a einschließt.
y
f ( x )=m x
0
a
x
Abbildung 3.4 Flächeninhalt eines Dreiecks
Wir erhalten
a
Za
x2 h a2
1
m x dx = m = ·
= ah ,
2 0
a 2
2
0
mit h := f (a).
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87
• Der Flächeninhalt eines Kreises {(x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 = r2 } lässt sich mit Hilfe des
Integrals
Zb √
r2 − x2 dx , mit − r < a < b < r ,
a
und dieses mittels
Zb √
1 − x2 dx , mit − 1 < a < b < 1 ,
a
bestimmen.
Hier berechnen wir die Fläche eines Halbkreises mit Hilfe des Funktionsgraphen von
√
f : (−1, 1) → R , x 7→ y = f (x) = 1 − x2 .
y
f ( x )= √ 1− x 2
x
Abbildung 3.5 Flächeninhalt eines Halbkreises
Nach der Substitution x = sin t und den Definitionen u := arcsin a und v := arcsin b
folgt
Zb √
Zv p
Zv
1 − x2 dx =
1 − sin2 t · cos t dt = cos2 t dt .
a
u
u
Da
1
cos2 t = (cos(2t) + 1)
2
gilt, können wir
Zb √
a
1
1 − x2 dx =
2
Zv
u
v 1 v
1
(cos(2t) + 1) dt = sin(2t) + t
4
2 u
u
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schreiben.
Mit
p
sin(2t) = 2 sin t · cos t = 2 sin t · 1 − sin2 t
erhalten wir
Zb √
1−
x2
b
1 √
2
dx = (x 1 − x + arcsin x) .
2
a
a
Da der Term stetig von den Integrationsgrenzen abhängt, folgt hieraus, dass
Z1 √
1 − x2 dx =
π
2
−1
der Flächeninhalt eines Halbkreises mit Radius 1 ist.
88
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3.3
89
Uneigentliche Integrale
Hier betrachten wir die Fälle, dass
• das Intervall uneigentlich ist,
• der Integrationsbereich eine Singularität der zu integrierenden Funktion enthält.
Definition: Sei f : [a, ∞) → R eine Funktion, die über jedem Intervall [a, b], mit a < b < ∞,
Riemann-integrierbar ist. Falls der Grenzwert
Zb
lim
f (x) dx
b→∞
a
existiert, heißt das Integral
R∞
f (x) dx konvergent und es wird
a
Z∞
Zb
f (x) dx := lim
f (x) dx
b→∞
a
a
gesetzt.
Anmerkung: Entsprechend wird verfahren, wenn statt des uneigentlichen Intervalls [a, ∞) die
uneigentlichen Intervalle (−∞, b] oder (−∞, ∞) auftreten.
Beispiel
Das Integral
Z∞
1
dx , mit s ∈ R und s > 1 ,
xs
1
konvergiert, da
Zb
1
1
1
1 b
dx =
· s−1 =
s
x
1−s x
s−1
1
1
und daher
Z∞
1
1
1
dx =
.
s
x
s−1
1
1 − s−1
b
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90
Definition: Sei f : (a, b] → R eine Funktion, die über jedem Teilintervall [a + , b] ⊂ (a, b]
Riemann-integrierbar ist. Falls der Grenzwert
Zb
lim
&0
a+
f (x) dx
existiert, heißt das Integral
Rb
f (x) dx konvergent und es wird
a
Zb
Zb
f (x) dx := lim
&0
a+
a
f (x) dx
gesetzt.
Beispiel
Das Integral
Z1
1
dx , mit s ∈ R und s < 1 ,
xs
0
konvergiert, da
Z1
1
1
1 1
1
dx
=
·
(1 − 1−s )
=
s
s−1
x
1−s x
1−s
und daher
Z1
0
1
1
dx
=
.
xs
1−s
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3.4
91
Kurven im Rn und deren Länge
Definition: Eine Kurve im Rn ist eine stetige Abbildung
f : I → Rn ,
wobei I ⊂ R ein eigentliches oder uneigentliches Intervall ist.
Beispiel
Sei r, c ∈ R mit r > 0 und c 6= 0. Die Kurve
f : R → R3 , t 7→ (r cos t, r sin t, ct)
ist eine Schraubenlinie.
Z
X
Y
Abbildung 3.6 Schraubenlinie
Länge einer Kurve
Ist x = (x1 , ..., xn ) ∈ Rn . Dann nennen wir
q
kxk = x21 + ... + x2n
die euklidische Norm von x.
Sei f : [a, b] → Rn eine Kurve. Das Intervall [a, b] wir folgendermaßen unterteilt:
a = t0 < t1 < ... < tk = b .
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92
Verbinden wir die Punkte f (ti−1 ) mit f (ti ) für i = 1, ..., k durch Geradenstücke, so erhalten
wir einen Polygonzug.
f (b)
f (t k −1 )
f (t 2)
f (a )
f (t 1 )
Abbildung 3.7 Polygonzug
Die Länge des Polygonzugs ist gleich
k
X
kf (ti ) − f (ti−1 )k .
i=1
Für eine stetig differenzierbare Kurve f : [a, b] → Rn existiert eine Folge beliebig feiner Unterteilungen, so dass die zugehörige Länge des Polygonzugs gegen die Länge L der Kurve
konvergiert. Für die Länge gilt
Zb
L=
kf 0 (t)k dt .
a
Ist I ⊂ R ein Intervall und ϕ : I → R eine stetige Funktion. Dann kann der Graph dieser
Funktion,
Γϕ = {(x, y) ∈ I × R | y = ϕ(x)} ,
als Kurve f im R2 aufgefasst werden mit
f : I → R2 , t 7→ (t, ϕ(t)) .
In diesem Fall erhalten wir für die euklidische Norm
p
kf 0 (t)k = 1 + (ϕ0 (t))2 ,
da sich die Länge des Polygonzug dann zu
s
k
X
(ϕ(ti ) − ϕ(ti−1 ))2 + (ti − ti−1 )2
i=1
umformulieren lässt.
Anmerkung: Statt t können wir hier selbstverständlich auch x schreiben.
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93
Beispiel
Um die Länge eines Kreises mit Radius r zu bestimmen, betrachten wir den Funktionsgraphen
von
√
ϕ : (−r, r) → R , x 7→ r2 − x2 .
Es gilt
x
ϕ0 (x) = − √
.
r 2 − x2
Demnach beträgt die Länge des Halbkreises
Zr
L=r
−r
1
√
dx = r
2
r − x2
Z1
√
−1
Anmerkung: Wenn der Integrand statt
hier arcsin durch arsinh ersetzen.
1
1
dx = r arcsin x = rπ
2
−1
1−x
√
1 − x2 den Term
√
1 + x2 enthielte, dann müssten wir
Wir können einen Kreisbogen auch mit Hilfe von Polarkoordinaten ausdrücken.
Seien r, ϕ ∈ R∗+ und r fest. Durch
f : [0, ϕ] → R2 , t 7→ f (t) = r · (cos t, sin t)
wird ein Kreisbogen beschrieben. Es gilt
f 0 (t) = r · (− sin t, cos t)
und daher
kf 0 (t)k = r
p
sin2 t + cos2 t = r .
Somit erhalten wir für die Bogenlänge
Zϕ
0
Zϕ
kf (t)k dt = r
L=
0
dt = rϕ .
0
Der Umfang eines Kreises ist 2πr.
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3.5
94
Volumen von Rotationskörpern
Sei f : [a, b] → R+ stetig. Dann bezeichnen wir die Menge
K := {(x, y, z) ∈ [a, b] × R2 | y 2 + z 2 ≤ f (x)2 }
als Rotationskörper.
x
z
y
Abbildung 3.8 Rotationskörper (kugelförmig)
x
z
y
Abbildung 3.9 Rotationskörper (torusförmig)
Das Volumen eines Rotationskörpers lässt sich mit Hilfe der Formel
Zb
V =π
a
berechnen.
f (x)2 dx
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95
Diese Formel ist das Ergebnis einer Approximation des Volumens mittels Kreiszsylindern mit
den Volumina
Vk = πf (xk )2 4x .
y
f  x
f  xk 
a
xk
b
x
Δx
Abbildung 3.10 Volumen eines Rotationskörpers
Beispiele
3
• Hinsichtlich f : [0, ] → R+ , x 7→ x2 soll das Volumen des Rotationskörpers
2
3
K := {(x, y, z) ∈ [0, ] × R2 | y 2 + z 2 ≤ f (x)2 }
2
bestimmt werden.
y
f ( x )=x
2
x
Abbildung 3.11 Der Graph von f (x) = x2
Für das Volumen des Rotationskörpers erhalten wir
3
Z2
V =π
0
x5 32
π
f (x) dx = π = ·
5 0
5
2
5
3
.
2
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96
• Um das Volumen eine Kugel mit Radius r zu bestimmen, betrachten wir wieder den
Funktionsgraphen von
√
ϕ : (−r, r) → R , x 7→ r2 − x2 .
y
f ( x )= √ 1− x 2
x
Abbildung 3.12 Halbkreis
Für das Volumen der Kugel erhalten wir
Zr
V =π
−r
(r2 − x2 ) dx = π (r2 x −
4π 3
1 3 r
x ) =
r .
3
3
−r
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97
Integralrechnung im Rn
3.6
Mehrfache Integrale auf achsenparallelen Quadern Q ⊂ Rn lassen sich als Verallgemeinerung
der Integrale für f : [a, b] → R definieren.
Sei
Q = I1 × I2 × ... × In ,
wobei Ik := [ak , bk ] ⊂ R, und
f : Q → R , x 7→ f (x)
eine stetige Funktion.
Anmerkung: Statt x ∈ Rn können wir auch (x1 , ..., xn ) mit xi ∈ R schreiben.
Ist (x2 , ..., xn ) ∈ I2 × ... × In fest, so kann die Funktion f hinsichtlich x1 über das Intervall I1
integriert werden. Setzen wir
Zb1
F1 (x2 , ...., xn ) :=
f (x1 , x2 , ..., xn ) dx1 ,
a1
so ist
F1 : I2 × ... × In → R
stetig, wie sich zeigen lässt. Ist nun (x3 , ..., xn ) ∈ I3 × ... × In fest, so kann die Funktion F1
hinsichtlich x2 über das Intervall I2 integriert werden. Setzen wir


Zb2
Zb2 Zb1
F2 (x3 , ...., xn ) := F1 (x2 , ..., xn ) dx2 =  f (x1 , x2 , ..., xn ) dx1  dx2 ,
a2
a2
a1
so ist
F2 : I3 × ... × In → R
stetig. Nach n-maliger Wiederholung dieses Verfahrens ergibt sich
b b


Z
Zbn
Z2 Z1
f (x1 , ..., xn ) dx1 ....dxn = ...   f (x1 , x2 , ...., xn ) dx1  dx2  ...dxn .
Q
an
a2
a1
Z
Z
f (x1 , ..., xn ) dx1 ....dxn schreiben wir auch kürzer
Statt
Q
Q
f (x)dn x.
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98
Linearität und Monotonie des Integrals
Seien f, g : Q → Rn integrierbar und λ ∈ R. Dann sind auch die Funktionen f + g und λf
integrierbar und es gilt:
Z
Z
n
(f (x) + g(y))d x =
(i)
Q
Z
(ii)
Z
n
Q
λ · f (x)dn x = λ ·
Z
g(x) dn x,
f (x) d x +
Q
f (x)dn x,
Q
Q
Z
n
Z
f (x)d x ≤
(iii) Ist f ≤ g, so gilt
g(x) dn x .
Q
Q
Integration über rechteckige Bereiche
Der Integrationsbereich ist hierbei ein Rechteck
M := {(x, y) ∈ R2 | x0 ≤ x ≤ x1 , y0 ≤ y ≤ y1 } .
y
y1
M
y0
x0
x1
x
Abbildung 3.13 Rechteck als Integrationsbereich
Ist f : M → R integrierbar, so gilt




ZZ
Zx1 Zy1
Zy1 Zx1
f (x, y) dx dy =  f (x, y) dy  dx =  f (x, y) dx dy .
M
x0
y0
y0
x0
Demnach kann die Integrationsreihenfolge vertauscht werden.
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99
Integration über allgemeinere Bereiche im R2
Der Integrationsbereich M ⊂ Rn kann auch allgemeiner gewählt werden, wie folgendes Beispiel zeigt:
Abbildung 3.14 Ein Integrationsbereich
Ist der Integrationsbereich die Menge
M := {(x, y) ∈ R2 | x0 ≤ x ≤ x1 , y0 (x) ≤ y ≤ y1 (x)}
= {(x, y) ∈ R2 | x0 (y) ≤ x ≤ x1 (y), y0 ≤ y ≤ y1 } ,
so erhalten wir für eine integrierbare Funktion f : M → R




xZ1 (y)
Z
Zx1 yZ1 (x)
Zy1




f (x, y) dx dy = 
f (x, y) dy  dx = 
f (x, y) dx dy
M
x0
y0 (x)
y0
x0 (y)
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100
Beispiele
• Sei f : M → R, (x, y) 7→ f (x, y) = x sin(πy) und
M := {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ x ≤ 2, 0 ≤ y ≤ 1}.
Dann gilt
Z2
ZZ
x sin(πy) dx dy =
 1

Z
 x sin(πy) dy  dx .
0
0
M
Außerdem erhalten wir
Z1
1 2x
x
x sin(πy) dy = − cos(πy) =
π
π
0
0
und
Z2
2x
x2 2
4
dx = = .
π
π 0 π
0
Kehren wir die Integrationsreihenfolge um, so ergibt sich


Z
Z1 Z2
x sin(πy) dx dy =  x sin(πy) dx dy .
0
M
0
Ferner gilt
Z2
x2 2
x sin(πy) dx = sin(πy) = 2 sin(πy)
2 0
0
und
Z1
0
1
2
4
2 sin(πy) dy = − cos(πy) = .
π
π
0
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101
• Sei f : M → R, (x, y) 7→ f (x, y) = xy 2 und M das von den Geraden x = 0, y = 0 und
y = − 12 x + 1 berandete Gebiet im ersten Quadranten.
Es gilt
ZZ
xy 2 dx dy =
Z2

− 12 x+1
Z


0
M


xy 2 dy  dx .
0
Außerdem erhalten wir
− 21 x+1
y 3 − 12 x+1 x
1 3 3 2 3
=
xy dy = x − x + x − x+1
3 0
3
8
4
2
Z
2
0
und
Z2 1
1 4
1 3
1 2 2
1
1 4 1 3 1 2 1
5
x +
x −
x +
x =
.
− x + x − x + x dx = −
24
4
2
3
24 · 5
4·4
2·3
3·2
15
0
0
Bei umgekehrter Integrationsreihenfolge berechnen wir


ZZ
Z1 2−2y
Z
xy 2 dx dy = 
xy 2 dx dy .
0
M
0
Es gilt
2−2y
Z
x2 2−2y
= 2y 2 1 − 2y + y 2
xy dx = y
2 0
2
2
0
und
Z1
2
3
y − 2y + y
2
0
4
dy = 2
1 3 1 4 1 5 1
1
y − y + y =
.
3
2
5
15
0
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102
Transformation auf Polarkoordinaten
Wir erhalten die (ebenen) Polarkoordinaten (r, ϕ) ∈ R∗+ ×R durch die kartesischen Koordinaten
(x, y) ∈ R2 \{0} mittels
(x, y) = (r cos ϕ, r sin ϕ) .
Ist M in folgender Form
M := {(r, ϕ) ∈ R∗+ × [0, 2π) | r1 (ϕ) ≤ r ≤ r2 (ϕ), ϕ1 ≤ ϕ ≤ ϕ2 }
gegeben, so können wir die Integration über kartesische Koordinaten vermeiden, indem wir
folgende Identität


ZZ
Zϕ2 rZ2 (ϕ)


f (r, ϕ) r dr dϕ
f (x, y) dx dy = 
ϕ1
M
r1 (ϕ)
nutzen.
Beispiel
Sei M ein Viertelkreis mit Radius r = 2 und
f : M → R , (x, y) 7→ f (x, y) = xy .
Dann erhalten wir
π
Z2
ZZ
xy dx dy =
Z2

0
M


r2 sin ϕ cos ϕ r dr dϕ .
0
Ferner gilt
Z2
Z2
2
r sin ϕ cos ϕ r dr = sin ϕ cos ϕ
0
r4 2
r dr = sin ϕ cos ϕ 4 0
3
0
= 4 sin ϕ cos ϕ = 2 sin(2ϕ)
und
π
Z2
2
π
2
sin(2ϕ) dϕ = − cos(2ϕ) = 2 .
0
0
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4
103
Lineare Algebra
In diesem Abschnitt befassen wir uns vorwiegend mit der Lösung linearer Gleichungssysteme.
4.1
Lineare Gleichungssysteme und der Gauß-Algorithmus
Der Gauß-Algorithmus bietet ein Verfahren zur Umwandlung eines linearen Gleichungssystems
Ax = b
in eine Form
A 0 x = b0 ,
wobei die unterhalb der Hauptdiagonalen von A0 stehenden Elemente gleich Null sind.
Beispiel für ein lineares Gleichungssystem
Es soll 1 Liter einer Lösung hergestellt werden, die 1, 9 mol der
Substanz A und 4, 3 mol der Substanz B enthält.
Zur Herstellung der Lösung stehen 3 Komponenten L1 , L2 , L3 zur Verfügung mit den einzelnen
Konzentrationen
A
B
L1
3, 0 mol/l
4, 0 mol/l
L2
4, 0 mol/l
2, 0 mol/l
L3
5, 0 mol/l
1, 0 mol/l
Welche Volumina x, y, z der einzelnen Komponenten sind erforderlich, um die gewünschte
Lösung herzustellen?
Für
• die Volumenbilanz gilt: x + y + z = 1
• die Konzentration des Stoffes A gilt: 3x + 4y + 5z = 4, 3
• die Konzentration des Stoffes B gilt: 4x + 2y + z = 1, 9 ,
wobei x, y, z in der Einheit l angegeben werden.
Um derartige Gleichungssysteme zu lösen, behandeln wir im nächsten Abschnitt den GaußAlgorithmus.
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4.1.1
104
Einführung des Gauß-Algorithmus
Bei linearen Gleichungssystemen sind mehrere lineare Gleichungen gegeben, die gleichzeitig
erfüllt sein sollen.
Beispiel zur Anwendung des Gauß-Algorithmus
2x − 2y = 0
(I)
2x + 2y − 2 = −4z (II)
−y − x − z = −1 (III)
Die zweite Gleichung sollte umgeformt werden zu
2x + 2y + 4z = 2 .
Wenn wir nun die dritte Gleichung mit 2 multiplizieren, so folgt
2x − 2y
=0
(I)
2x + 2y + 4z = 2
(II)
−2x − 2y − 2z = −2 (III) .
Mit (II)-(I) und (III)+(I) erhalten wir
2x − 2y = 0
(I)
4y + 4z = 2
(II)
−4y − 2z = −2 (III) .
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105
In Matrix-Schreibweise formulieren wir das folgendermaßen:

  

2 −2 0
x
0
0 4 4 y  =  2  .
0 −4 −2
z
−2
Mit (II)+(III) ergibt sich eine Dreiecksform der Matrix:

   
2 −2 0
x
0
0 4 4y  = 2 .
0 0 2
z
0
Aus Gleichung (III) erhalten wir
z = 0.
Damit folgt aus Gleichung (II)
4y + 4 · 0 = 2
und somit
y=
1
.
2
Schließlich erhalten wir nach Gleichung (I)
2x − 2 ·
1
=0
2
und damit
x=
1
.
2
Die Lösung des Gleichungssystems lautet also x = 21 , y = 12 und z = 0.
Man hätte auch versuchen können, das Gleichungssystem von einer Dreiecksform in Diagonalform umzuwandeln.
Wir formen folgendes Gleichungssystem weiter um:

   
2 −2 0
x
0
0 4 4y  = 2 .
0 0 2
z
0
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106
Beispielsweise lässt sich Gleichung (II) durch 2 teilen und dann Gleichung (III) davon abziehen.
Das ergibt

   
2 −2 0
x
0
0 2 0y  = 1 .
0 0 2
z
0
Wenn wir nun Gleichung (II) zu Gleichung (I) addieren, erhalten wir

   
200
x
1
0 2 0y  = 1 .
002
z
0
Dann teilen wir alle Gleichungen durch 2. Das ergibt

   1 
2
100
x

0 1 0y  =  1 
.
2 
001
z
0
4.1.2
Grundlagen des Gauß-Algorithmus
Folgende Äquivalenzumformungen sind im Gauß-Algorithmus erlaubt:
• Vertauschen zweier Zeilen,
• Multiplikation einer Zeile mit λ ∈ K : λ 6= 0,
• Addition oder Subtraktion eines beliebigen Vielfachen einer Zeile zu einer anderen Zeile.
Diese Umformungen heißen elementare Zeilenumformungen.
Mit K bezeichnen wir hier die Körper R und C.
Der Gauß-Algorithmus dient dazu, die Koeffizientenmatrix so umzuwandeln, dass sie die Form
einer oberen Dreiecksmatrix besitzt.
Der Gauß-Jordan-Algorithmus ist eine Variante des Gauß-Algorithmus. Durch dessen Anwendung soll die Koeffizientenmatrix die Form einer Diagonalmatrix annehmen.
Beispiel zur Umwandlung in eine Diagonalmatrix
Gesucht ist die Lösung des Gleichungssystems

   
x1
5
8 4 2 1
 −1 1 −1 1   x2   2 

   
 4 2 1 1   x3  =  3  .
7 3 1 0
x4
7
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Geschrieben als erweiterte Koeffizientenmatrix lautet es


8 4 2 1 5
 1 −1 1 −1 −2 


4 2 1 1 3  .
7 3 1 0 7
Nach Vertauschung der ersten beiden Zeilen ergibt sich


1 −1 1 −1 −2
8 4 2 1 5 


4 2 1 1 3  .
7 3 1 0 7
Die erste Zeile nutzen wir nun zu folgender Umformung der Zeilen 2 bis 4:


1 −1 1 −1 −2
 0 12 −6 9 21 


 0 6 −3 5 11  .
0 10 −6 7 21
Ersetzen wir Zeile 2 durch ein Sechstel dieser Zeile, so erhalten wir


1 −1 1 −1 −2


 0 2 −1 32 72 


 0 6 −3 5 11  .


0 10 −6 7 21
Mit Hilfe der zweiten Zeile ergibt sich


1 −1 1 −1 −2


 0 2 −1 23 72 


0 0 0 1 1  .

2
2 
1 7
0 0 −1 − 2 2
und somit

1

0

0

0
−1 1 −1 −2
1 − 12
0
1
0
0
3
4
1
2

7
4


.
− 72 

1 1
Demnach lautet die Lösung
x1 = 2, x2 = −1, x3 = −4, x4 = 1 .
107
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4.1.3
108
Unlösbare und unterbestimmte lineare Gleichungssysteme
Unlösbare lineare Gleichungssysteme
Wir betrachten das lineare Gleichungssystem
2x + y = 3
4x + 2y = 12 .
Diese Gleichungen lassen sich folgendermaßen umformen:
y = −2x + 3
1
y = (−4x + 12) = −2x + 6 .
2
y
y=−2x+3
y=−2x+6
x
Abbildung 4.1 Parallele Geraden
Wenn wir (II) durch (II)-2(I) ersetzen, so erhalten wir
2x + y = 3
0 = 6.
Unterbestimmte lineare Gleichungssysteme
Sei beispielsweise für zwei Variablen nur eine Gleichung gegeben:
x − y = 3.
Alle Punkte, die auf der Geraden liegen, bilden die Lösungsmenge dieser Gleichung. Es gibt
also unendlich viele Lösungen.
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
109
Es kann aber auch unendlich viele Lösungen geben, wenn man genauso viele Gleichungen wie
Variablen hat, wie das folgende Beispiel zeigt:
x−y =3
−3x + 3y = −9 .
Die zweite Gleichung ist ein Vielfaches der ersten. Beide Gleichungen beschreiben die gleiche
Gerade.
Ersetzen wir (II) durch (II)+3(I), so erhalten wir
x−y =3
0 = 0.
Die Lösungsmenge ist
L = {(x, y) ∈ R2 | x = 3 + y mit y ∈ R} .
Lineare Gleichungssysteme mit weniger nicht-trivialen Gleichungen als Variablen heißen unterbestimmte Gleichungssysteme.
Beispiel
Gesucht ist die Lösungsmenge des Gleichungssystems
2x + 4y + 6z = 8
5x + 6y + 7z = 8
9x + 10y + 11z = 12 .
In Matrixschreibweise heißt das

   
2 4 6
x
8
5 6 7 y  =  8  .
9 10 11
z
12
Wir verwenden nun den Gauß-Algorithmus.
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Mit 12 (I), (II)- 52 (I) und (III)- 92 (I) erhalten wir

  

1 2 3
x
4
 0 −4 −8   y  =  −12  .
0 −8 −16
z
−24
Nun betrachten wir - 14 (II) und - 18 (III). Damit ist

   
123
x
4
0 1 2y  = 3 .
012
z
3
Mit (III)-(II) folgt

   
123
x
4
0 1 2y  = 3 .
000
z
0
Betrachten wir nun Gleichung (II) und (I). So erhalten wir:
y = 3 − 2z
und
x + 2 · (3 − 2z) + 3z = 4 .
Daher ist die Lösungsmenge
L := {(x, y, z) ∈ R3 | x = −2 + z und y = 3 − 2z mit z ∈ R} .
110
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111
Gleichungssysteme mit reellen Parametern
Es sei folgendes Gleichungssystem gegeben:

   
11 2
x
1
 4 2 12   y  =  10  .
14 a
z
b
Mit (II)-4(I) und (III)-(I) erhalten wir

  

1 1
2
x
1
 0 −2
4 y  =  6  .
0 3 (a − 2)
z
b−1
Nun ersetzen wir (II) durch - 21 (II):

  

11
2
x
1
 0 1 −2   y  =  −3  .
0 3 (a − 2)
z
b−1
Ersetzen wir (III) durch (III)-3(II), so folgt

  

11
2
x
1
 0 1 −2   y  =  −3  .
0 0 (a + 4)
z
b+8
Was lässt sich nun zur Lösbarkeit des Gleichungssystems sagen?
(1) Für a 6= −4 gibt es eine eindeutige Lösung.
(2) Für a = −4 und b = −8 ist das Gleichungssystem (einfach) unterbestimmt. Es gibt
unendlich viele Lösungen.
(3) Für a = −4 und b 6= −8 ist das Gleichungssystem unlösbar.
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112
Für Fall (1) gilt
z=
b+8
a+4
y = −3 + 2z = −3 + 2
b+8
a+4
x = 1 − y − 2z = 1 + 3 − 2z − 2z = 4 − 4z = 4 − 4
b+8
.
a+4
Für Fall (2) gilt

  

11 2
x
1
 0 1 −2   y  =  −3 
00 0
z
0
und daher
y = −3 + 2z
und
x = 4 − 4z .
Die Lösungsmenge ist daher
L = {(x, y, z) ∈ R3 | x = 4 − 4z und y = −3 + 2z mit z ∈ R} .
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4.1.4
113
Allgemeine lineare Gleichungssysteme
Ein lineares Gleichungssystem läßt sich folgendermaßen darstellen:
Ax = b ,
wobei die Koeffizientenmatrix A durch


a11 a12 a13 ... a1n
 a21 a22 a23 ... a2n 


 .

.
.
.
.

A=
 .
.
. . . 


 .
.
. . . 
am1 am2 am3 ... amn
gegeben ist und aij ∈ K sei.
Wir schreiben für die Menge solcher Matrizen M (m × n, K).
Der Vektor x ist definiert durch
 
x1
 x2 
 
 . 

x=
 . 
 
 . 
xn
und der Vektor b durch
 
b1
 b2 
 
 . 

b=
 . .
 
 . 
bm
Sind alle bi = 0, so heißt das Gleichungssystem homogen, ansonsten inhomogen.
Die Elemente aii heißen Hauptdiagonalelemente.
Anmerkung: Ein homogenes Gleichungssystem ist immer lösbar, nämlich durch die Nulllösung.
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114
Lösungskriterien
Die erweiterte Koeffizientenmatrix (A|b) ist definiert durch

a11 a12 a13
 a21 a22 a23

 .
.
.
(A|b) = 
 .
.
.

 .
.
.
am1 am2 am3
... a1n
... a2n
. .
. .
. .
... amn

b1
b2 

. 
.
. 

. 
bm
Rang einer Matrix
Der Rang rg A einer Matrix A ∈ M (m × n, K) ist gleich
• der Maximalzahl linear unabhängiger Spalten und
• der Maximalzahl linear unabhängiger Zeilen.
Neben den oben genannten elementaren Zeilenumformungen, existieren analog erklärte elementare Spaltenumformungen. Zusammenfassend werden diese als elementare Umformungen
bezeichnet.
Der Rang einer Matrix wird durch elementare Umformungen nicht verändert.
Beispiel zur Bestimmung des Ranges einer Matrix
Um den Rang einer Matrix zu bestimmen, dürfen wir elementare Zeilen- und Spaltenumformungen verwenden. Es gilt






1 −2 −3 0
1 −2 −3 0
1 −2 −3 0
rg  2 3 8 7  = rg  0 7 14 7  = rg  0 1 2 1 
−1 1 1 −1
0 −1 −2 −1
0 −1 −2 −1




1 −2 −3 0
1010
= rg  0 1 2 1  = rg  0 1 0 1  = 2 .
0 0 0 0
0000
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115
Lösungskriterien
Sei A ∈ M (m × n, K) und
Ax = b .
Demnach ist n ∈ N die Anzahl der Variablen xi .
Ist
• rg A = rg (A|b) = n,
dann ist das lineare Gleichungssystem eindeutig lösbar,
• rg A = rg (A|b) < n,
dann ist das lineare Gleichungssystem lösbar und unterbestimmt,
• rg A 6= rg (A|b),
dann ist das lineare Gleichungssystem unlösbar.
Beispiel
Gegeben sei


 
 
111
2
0
A :=  1 1 1  und b1 :=  2  , b2 :=  3  .
111
2
0
Gesucht sind die jeweiligen Lösungsmengen von
Ax = b1 und Ax = b2 .
Während im ersten Fall alle x1 , x2 , x3 ∈ R : x1 + x2 + x3 = 2 das Gleichungssystem lösen,
existiert im zweiten Fall keine Lösung.
Um die obigen Lösungskriterien anzwenden, bestimmen wir nun rg A und rg (A|b1 ) sowie
rg (A|b2 ). Es gilt




111
111
rg A = rg  1 1 1  = rg  0 0 0  = 1 .
111
000
Für den jeweiligen Rang der beiden erweiterten Koeffizientenmatrizen erhalten wir




1112
1112
rg (A|b1 ) = rg  1 1 1 2  = rg  0 0 0 0  = 1
1112
0000
und



1110
111
rg (A|b2 ) = rg  1 1 1 3  = rg  0 0 0
1110
000

0
3 = 2.
0
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4.2
116
Matrizenrechnung
Wir betrachten Matrizen mit Koeffizienten aij ∈ K, wobei unter K der Körper R oder C verstanden wird.
Statt

a11 a12 a13
 a21 a22 a23

 .
.
.
A=
 .
.
.

 .
.
.
am1 am2 am3

... a1n
... a2n 

. . 

. . 

. . 
... amn
können wir auch
A = (aij ) i=1,...,m
j=1,...,n
oder
A = (aij ) ∈ M (m × n, K)
schreiben.
Addition und Multiplikation von Matrizen
Die Addition und Skalarmultiplikation einer Matrix werden elementweise durchgeführt.
Definition: Seien (aij ), (bij ) ∈ M (m × n, K) und λ ∈ K. Dann wird
(aij ) + (bij ) := (aij + bij ) ∈ M (m × n, K)
und
λ(aij ) := (λaij ) ∈ M (m × n, K)
gesetzt.
Definition: Seien A = (aik ) ∈ M (r × m, K) und B = (bkj ) ∈ M (m × n, K). Dann wird das
Produkt C := AB ∈ M (r × n, K) mit
C = (cij ) i=1,...,r ,
j=1,...,n
durch
cij :=
m
X
k=1
definiert.
aik bkj
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117
Der Koeffizient cij wird demnach bestimmt, indem
• die Einträge der i-ten Zeile von A mit den Einträgen der j-ten Spalte von B für die jeweils
festen Werte von k multipliziert
• und diese dann für k = 1 bis k = m summiert werden.
So gilt beispielsweise für c12
m
X
c12 =
a1k bk2 = a11 b12 + a12 b22 + a13 b32 + ... + a1m bm2 .
k=1
Beispiel zur Matrizenmultiplikation
12
34
87
1·8+2·6
·
=
65
3·8+4·6
1·7+2·5
3·7+4·5
=
20 17
48 41
Anmerkung: Um das Produkt AB zu bilden, muss, wie oben vorausgesetzt, die Anzahl der
Spalten von A mit der Anzahl der Zeilen von B übereinstimmen. Auch wenn, AB definiert ist,
muss daher BA nicht notwendigerweise existieren.
Die Matrizenmultiplikation
• ist assoziativ, d.h. es gilt
(AB)C = A(BC) ,
• ist, hinsichtlich der Addition, distributiv, d.h.
A(B + C) = AB + AC und (A + B)C = AC + BC .
Die Matrizenmultiplikation
• ist nicht kommutativ, d.h. es existieren Matrizen A, B, so dass
AB 6= BA ,
• nicht nullteilerfrei, d.h. es existieren Matrizen A 6= 0, B 6= 0, so dass
AB = 0 .
Beispiel
Für
A :=
01
01
, B :=
11
00
gilt
AB = 0 und BA 6= AB .
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118
Beispiel zur Matrizenmultiplikation
Die relative Anzahl der Kunden dreier Unternehmen A, B und C wird über zwei Jahre beobachtet, wobei auch die ”Wanderungsbewegung” der Kunden zwischen den Unternehmen untersucht
wird.
Jeder Kunde lässt sich in dem Zeitraum eindeutig einem der drei Unternehmen zuordnen. Zu
Beginn des ersten Jahres werden
• 55% der Kunden als Kunden des Unternehmens A,
• 35% als Kunden des Unternehmens B und
• 10% als Kunden des Unternehmens C
bezeichnet.
Bei zusätzlich gegebenem Wechselverhalten, ist nach der relativen Anzahl der Kunden der drei
Unternehmen zum Ende des zweiten Jahres gefragt.
Am Ende des ersten Jahr zeigt sich folgendes Wechselverhalten:
von
A
B
C
0,8 0,1
0,1 0,7
0,1 0,2
0,3
0,2
0,5
A
B
C
0,6 0,2
0,1 0,6
0,3 0,2
0,1
0,1
0,8
nach
A
B
C
und am Ende des zweiten Jahres:
von
nach
A
B
C
Der jeweilige Anteil am Ende des ersten Jahres lässt sich beispielsweise mittels

 

0, 8 0, 1 0, 3
0, 55
 0, 1 0, 7 0, 2  ·  0, 35 
0, 1 0, 2 0, 5
0, 10
berechnen.
So ergibt sich beispielsweise für Unternehmen A zum Ende des ersten Jahres ein Anteil von
0, 8 · 0, 55 + 0, 1 · 0, 35 + 0, 3 · 0, 10 = 0, 505 .
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119
Zum Ende des zweiten Jahres betragen die Anteile

 
 
 

0, 6 0, 2 0, 1
0, 8 0, 1 0, 3
0, 55
0, 3845
 0, 1 0, 6 0, 1  ·  0, 1 0, 7 0, 2  ·  0, 35  =  0, 2600  .
0, 3 0, 2 0, 8
0, 1 0, 2 0, 5
0, 10
0, 3555
Dabei ist das Produkt assoziativ, so dass das Produkt der beiden Matrizen angewandt auf den
”Anteilsvektor” zum gleichen Ergebnis führt, wie die jahresweise Berechnung der Anteile.
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4.3
Determinanten
Eine Matrix A ∈ M (n × n, K), lässt sich schreiben als


a11 a12 a13 ... a1n
 a21 a22 a23 ... a2n 


 . . . . . 

A=
 . . . . . .


 . . . . . 
an1 an2 an3 ... ann
Bezeichnen wir die einzelnen Zeilen durch die Vektoren
ai := (ai1 , ai2 , ai3 , ...ain ) ,
so können wir A folgendermaßen umformulieren:
 
a1
 a2 
 
 . 

A=
 . .
 
 . 
an
Die Abbildung
det : M (n × n, K) → K
heißt Determinante, falls sie folgende Eigenschaften besitzt:
• Die Abbildung det ist linear in jeder Zeile, d.h. für A ∈ M (n × n, K)
– und ai = a0i + a00i , mit i = 1, ..., n, gilt
 
 
 
.
.
.
 . 
 . 
 . 
 
 
 
 . 
 . 
 . 
 
 0
 00 





det  ai  = det  ai  + det 
 ai 
 . 
 . 
 . 
 
 
 
 . 
 . 
 . 
.
.
.
– und ai = λa0i , mit λ ∈ K, gilt
 
 
.
.
 . 
 . 
 
 
 . 
 . 
 
 0



det  ai  = λ · det 
 ai  .
 . 
 . 
 
 
 . 
 . 
.
.
120
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121
• Die Abbildung det ist alternierend, d.h. wird A durch Vertauschen zweier Zeilen in A0
verwandelt, so gilt
det A0 = − det A .
• Ist E ∈ M (n × n, K) die Einheitsmatrix


1 0 0 ... 0
 0 1 0 ... 0 


. . . . .

E=
. . . . .,


. . . . .
0 0 0 ... 1
so gilt
det E = 1 .
Statt

a11
 a21

 .
det 
 .

 .
an1
a12
a22
.
.
.
an2
...
...
.
.
.
...

a1n
a2n 

. 

. 

. 
ann
schreiben wir auch
a11 a12 ... a1n a21 a22 ... a2n . . . . . . . . .
. . . . an1 an2 ... ann Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
122
Sei A ∈ M (n × n, K) → K.
• Für n = 1 und A = (a) gilt
det(a) = a .
• Für n = 2 gilt
a11 a12 a21 a22 = a11 a22 − a12 a21 .
• Für n = 3 gilt
a11 a12 a13 a21 a22 a23 a31 a32 a33 = a11 a22 a33 − a11 a23 a32 − a12 a21 a33 + a12 a23 a31 + a13 a21 a32 − a13 a22 a31 .
Regel von Sarrus
Sei A ∈ M (3 × 3, K) → K. Nach der Regel von Sarrus erhalten wir die oben genannte Formel
mittels der Anordnung
a11
a12
a22
a31
h
a23
a32
h
a33
a12
a21
h
a11
h
a21
a13
a22
a31
a32
und der Konvention, die Produkte längs der drei Diagonalen von links oben nach rechts unten
mit positivem Vorzeichen und die Produkte von links unten nach rechts oben mit negativem
Vorzeichen zu versehen.
Beispiel
1 3 2
4 2 1 = 1 · 2 · 2 + 3 · 1 · 3 + 2 · 4 · 1 − (3 · 2 · 2 + 1 · 1 · 1 + 2 · 4 · 3) = −16 .
3 1 2
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123
Laplacescher Entwicklungssatz
Entwicklung der Determinante nach der i-ten Zeile: Ist n ≥ 2 und A ∈ M (n × n, K), so gilt
det A =
n
X
(−1)i+j aij det Aij für alle i = 1, ..., n .
j=1
Dabei bezeichnet Aij die Matrix, die aus A entsteht, wenn die i-te Zeile und die j-te Spalte
weggelassen werden.
Entwicklung der Determinante nach der j-ten Spalte: Ist n ≥ 2 und A ∈ M (n × n, K), so gilt
n
X
det A =
(−1)i+j aij det Aij für alle j = 1, ..., n .
i=1
Beispiel
Mit dem Laplaceschen Entwicklungssatz lässt sich

 0 1 2
012
det  3 2 1  = 3 2 1 1 1 0
110
folgendermaßen berechnen:
0 1 2
2 1
3 2 1 = 0 · − 1 · 3
1 0
1
1 1 0
3
1 +
2
·
1
0
= 0 · (−1) − 1 · (−1) + 2 · 1 = 3 .
2 1
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
124
Sei


a1
 a2 
 
 . 

A=
 .  ∈ M (n × n; K) .
 
 . 
an
Die Determinante
det : M (n × n, K) → K
hat folgende Eigenschaften:
• Für jedes λ ∈ K gilt
det(λ · A) = λn · det A .
• Gibt es eine Zeile i mit ai = (0, ..., 0), so gilt
det A = 0 .
• Entsteht A0 durch Vertauschung zweier Zeilen aus A, so gilt
det A0 = − det A .
• Ist λ ∈ K und entsteht A0 durch Addition von λaj = (λaj1 , ..., λajn ) zu ai mit i 6= j, so
gilt
det A0 = det A .
• Es gilt
det A = 0
genau dann, wenn die Zeilenvektoren a1 , ..., an linear abhängig sind.
• Ist A eine obere Dreiecksmatrix, d.h.


a11 a12 ... a1n
 0 a22 ... a2n 


 . . . . 

,
A=

.
.
.
.


 . . . . 
0 0 ... ann
so gilt
det A = a11 · ... · ann .
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125
Ist A ∈ M (n × n, K), so ist das das lineare Gleichungssystem
Ax = b
genau dann eindeutig lösbar, wenn
det A 6= 0 .
Cramersche Regel
Sei A ∈ M (n × n, K) mit det A 6= 0, b ∈ Kn und x ∈ Kn die eindeutig bestimmte Lösung des
linearen Gleichungssystems
A · x = b.
Unter a1 , ..., an verstehen wir die Spaltenvektoren von A. Dann gilt
xi =
det(a1 , ..., ai−1 , b, ai+1 , ..., an )
.
det A
Beispiel
Gesucht ist die Lösung des linearen Gleichungssystems
Ax = b
mit


 
110
1
A =  0 1 1  und b =  1  .
321
0
Wir erhalten
det A = 2
und, nach der Cramerschen Regel,
1 1 0
1 1 0
1
1
x1 = 1 1 1 = −1 , x2 = 0 1 1 = 2
2
2
0 2 1
3 0 1
und
1 1 1
1
x3 = 0 1 1 = −1 .
2
3 2 0
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4.4
126
Eigenwertprobleme
Ein Element λ ∈ K heißt Eigenwert einer Matrix A ∈ M (n × n, K), wenn es ein x ∈ Kn ,
x 6= 0, mit
Ax = λx
gibt. Dann heißt x Eigenvektor von A zum Eigenwert λ.
Beispiel
Gegeben sei die Matrix
01
A=
.
10
Dann ist
1
x1 =
1
ein Eigenvektor zum Eigenwert λ1 = 1 und
1
x2 =
−1
ein Eigenvektor zum Eigenwert λ2 = −1.
Das charakteristische Polynom
Das lineare Gleichungssystem
A − λE = 0
hat genau dann nichttriviale lösungen, wenn
rg (A − λE) < n
ist. Das ist wiederum genau dann der Fall, wenn
det(A − λE) = 0
ist.
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127
Für das charakteristische Polynom
pA (λ) := det(A − λE)
gilt
pA (λ) = a0 + a1 λ + ... + an λn ,
mit λ ∈ K, ai ∈ K und an 6= 0.
Beispiel
Das charakteristische Polynom der Matrix
12
A=
01
lautet
pA (λ) = det
1−λ 2
0 1−λ
= (1 − λ)2 .
Demnach sind die Eigenwerte
λ1,2 = 1 .
Die zugehörigen Eigenvektoren x sind Lösungen von
12
· x = 1 · x.
01
Somit erhalten wir
1
x=µ
mit µ ∈ R\{0} .
0
Anmerkung: Es muss keine reellen Eigenwerte geben, wie beispielsweise die Bestimmung des
charakteristischen Polynoms von
0 −1
A=
1 0
zeigt. Hier erhalten wir
p(λ) = det(A − λE) = det
−λ −1
1 −λ
= λ2 + 1 > 0 .
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128
Beispiel
Das charakteristische Polynom der Matrix


0 1 −1
A= 1 0 1 
−1 1 0
lautet


−λ 1 −1
p(λ) = det(A − λE) = det  1 −λ 1  .
−1 1 −λ
Der Wert der Determinante wird nicht verändert, wenn wir zu einem Zeilenvektor das Vielfache
eines anderen Zeilenvektors addieren. Daher gilt






−λ 1 −1
−λ + 1 1 − λ 0
−λ + 1 1 − λ
0
−λ 1  = det  0
−λ + 1 1 − λ 
det  1 −λ 1  = det  1
−1 1 −λ
−1
1 −λ
−1
1
−λ
= (−λ + 1) ((−λ + 1)(−λ) − (1 − λ)) − (1 − λ)2
= −(1 − λ)2 · (λ + 2) .
Die Eigenwerte sind demnach
λ1,2 = 1 , λ3 = −2
und die zugehörigen Eigenvektoren
 
 
1
0



x1,2 = µ 1 + ν 1  mit µ, ν ∈ R : x1,2 6= 0
0
1
und


1
x3 = µ  −1  mit µ ∈ R\{0} .
1
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5
Gewöhnliche Differentialgleichungen
Gleichungen zwischen einer gesuchten Funktion und einigen ihrer Ableitungen heißen
Differentialgleichungen.
5.1
Beispiele gewöhnlicher Differentialgleichungen
• Der Harmonische Oszillator mit Reibungsterm und äußerer Kraft
Dx(t) + kx0 (t) + mx00 (t) = Fa (t)
• Der RLC-Serienschwingkreis mit äußerer Spannung
1
Q(t) + RQ0 (t) + LQ00 (t) = Ua (t)
C
• Diffusionsgleichung
c0 (t) = k(ca − c(t))
• Das mathematische Pendel
d2 ϕ(t) g
+ sin ϕ(t) = 0
dt2
l
• Die logistische Differentialgleichung
P 0 (t) = γP (t) − τ P 2 (t)
• Kinetik bimolekularer chemischer Reaktionen (A + B → C)
c0 (t) = k(ca − c(t))(cb − c(t)) .
129
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5.2
130
Gewöhnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung
Definition: Sei G ⊂ R2 und
f : G → R, (x, y) 7→ f (x, y)
eine stetige Funktion. Dann wird
y 0 = f (x, y)
als eine Differentialgleichung erster Ordnung bezeichnet.
5.2.1
Lineare Differentialgleichungen
Sei I ⊂ R und seien a, b : I → R stetige Funktionen. Dann heißt
y 0 = a(x)y + b(x)
lineare Differentialgleichung erster Ordnung.
Ist b = 0, so wird diese Differentialgleichung als homogen, ansonsten als inhomogen bezeichnet.
Sei I ⊂ R, x0 ∈ I und c ∈ R. Dann gibt es genau eine Lösung ϕ : I → R der Differentialgleichung
y 0 = a(x)y ,
die der Bedingung
ϕ(x0 ) = c
genügt. Für diese Lösung gilt
Zx
ϕ(x) = c exp( a(t) dt) .
x0
Beispiel
Sei k ∈ R. Für die Lösung ϕ : R → R der Differentialgleichung
y 0 = ky
mit der Anfangsbedingung
ϕ(x0 ) = c
gilt
ϕ(x) = cek(x−x0 ) .
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131
Anmerkung: Beispielsweise kann die Konzentration y(t) eines Stoffes A, die, infolge einer chemischen Reaktion A → B, abnimmt und der Differentialgleichung
y 0 (t) = −κy(t)
und der Anfangsbedingung
y(t0 ) = y0
genügt, auf diese Art bestimmt werden.
Die Methode der Variation der Konstanten
Die Methode der Variation der Konstanten lässt sich zwar auch auf gewöhnliche lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung anwenden, jedoch beschränken wir uns hier auf Differentialgleichungen erster Ordnung.
Sei I ⊂ R ein Intervall und seien a, b : I → R stetige Funktionen.
Dann gibt es zu beliebigem x0 ∈ I und c ∈ R genau eine Lösung
ψ:I→R
der Differentialgleichung
y 0 = a(x)y + b(x)
mit der Anfangsbedingung ψ(x0 ) = c.
Ist ϕ : I → R ein Lösung der homogenen Differentialgleichung
ϕ0 (x) = a(x)ϕ(x)
mit ϕ(x0 ) 6= 0, so lässt sich eine beliebige Lösung ψ : I → R der inhomogenen Gleichung
schreiben als
ψ(x) = ϕ(x)u(x)
mit einer stetig differenzierbaren Funktion u : I → R.
Für die Ableitung ψ 0 erhalten wir
ψ 0 = ϕ0 u + ϕu0 = a ϕu + ϕu0 .
Da ψ eine Lösung der inhomogenen Gleichung ist, gilt außerdem
ψ 0 = a ψ + b = a ϕu + b .
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Daraus folgt, dass
ϕu0 = b
und somit
Zx
u(x) =
ϕ(t)−1 b(t) dt + c
x0
ist.
Diese Lösung unseres Anfangswertproblems lautet daher
Zx
ψ(x) = ϕ(x)(c +
ϕ(t)−1 b(t) dt) ,
x0
wobei
Zx
ϕ(x) = exp(
a(t) dt) .
x0
Beispiel
Gegeben sei das Anfangswertproblem
y 0 = 2xy + x3 mit y(0) = −1 .
Die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung
y 0 = 2xy
lautet

Zx
ϕ(x) = c exp 

2
2t dt = cex .
0
Daher gilt für die Lösung ψ der inhomogenen Gleichung, unter der
Anfangsbedingung ψ(0) = −1,


Zx
2
2
ψ(x) = ex −1 + t3 e−t dt .
0
Nach Substitution und partieller Integration erhalten wir schließlich
1 1 2
1 2 1
x2
−x2
ψ(x) = e
−1 + − (x + 1)e
= − ex − (x2 + 1) .
2 2
2
2
132
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5.2.2
133
Differentialgleichungen mit getrennten Variablen
Seien I, J ⊂ R offene (eigentliche oder uneigentliche) Intervalle und f : I → R und g : J → R
zwei stetige Funktionen, wobei g(y) 6= 0 für alle y ∈ J gelte.
Dann ist das Anfangswertproblem
y 0 = f (x)g(y) in I × J mit y(x0 ) = y0
in einer hinreichend kleinen Umgebung von x0 eindeutig lösbar.
Die Lösung erhalten wir, indem wir die Gleichung
Zy
dt
=
g(t)
y0
Zx
f (t) dt
x0
nach y auflösen.
Beispiel
Das Anfangswertproblem
y 0 y + x = 0 , y(1) = 1
lässt sich mit Hilfe der Integration
Z
Z
y dy = − x dx + C
lösen. So ergibt sich
y2
x2
=C−
.
2
2
Die Anfangsbedingung y(1) = 1 impliziert, dass C = 1 ist.
Schließlich erhalten wir
√
y(x) = 2 − x2 .
5.2.3
y
Die Differentialgleichung y 0 = f ( )
x
Sei I ⊂ R und sei f : I → R eine stetige Funktion. Die Differentialgleichung
y
y 0 = f ( ) , mit x ∈ R∗ , y ∈ R ,
x
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lässt sich, mittels der Substitution z :=
z0 =
134
y
, in die Differentialgleichung
x
1
(f (z) − z)
x
umwandeln. Diese Differentialgleichung gehört zu dem bereits behandelten Typ von Differentialgleichungen mit getrennten Variablen.
Beispiel
Die Differentialgleichung
y0 = 1 +
y y 2
+
, x 6= 0 ,
x
x
geht, mittels z :=
z0 =
y
, über in
x
1
(1 + z 2 ) .
x
Demnach erhalten wir
Z
Z
1
1
dz
=
dx + C
1 + z2
x
und schließlich y = y(x) nach Umformung von
arctan z = ln |x| + C .
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5.3
135
Gewöhnliche Differentialgleichungen n-ter Ordnung
Definition: Sei G ⊂ R × Rn und
f : G → R, (x, y) 7→ f (x, y)
eine stetige Funktion.
Dann wird
y (n) = f (x, y, y 0 , ..., y (n−1) )
als eine Differentialgleichung n-ter Ordnung bezeichnet.
Sei I ⊂ R und seien b, ak : I → R, mit 0 ≤ k ≤ n − 1, stetige Funktionen. Dann heißt
y (n) + an−1 (x)y (n−1) + ... + a1 (x)y 0 + a0 (x)y = b(x)
lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung.
Ist b = 0, so wird diese Differentialgleichung als homogen, ansonsten als inhomogen bezeichnet.
Wir nennen
• LH den Vektorraum aller Lösungen der homogenen und
• LI die Menge aller Lösungen der zugehörigen inhomogenen Differentialgleichung.
Dann gilt für ein beliebiges ψ0 ∈ LI
LI = ψ0 + LH .
Demnach setzt sich die allgemeine Lösung y einer inhomogenen linearen Differentialgleichung
• aus der allgemeinen Lösung yh der zugehörigen homogenen Gleichung und
• einer partikulären (speziellen) Lösung yp der inhomogenen Gleichung zusammen.
Dabei gilt
y = yp + yh .
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5.3.1
136
Gewöhnliche homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten
Koeffizienten
Sei
D :=
d
und P (D) = a0 + a1 D + .... + an Dn .
dx
Dann lässt sich eine homogene lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten folgendermaßen schreiben:
P (D)y = 0 .
Es gilt
P (D)eλx = P (λ)eλx für alle λ ∈ C ,
wobei P (λ) ein Polynom ist. Es wird als das charakteristisches Polynom der Differentialgleichung bezeichnet.
Nullstellen von P (λ)
a) Das charakteristische Polynom P (λ) habe n paarweise verschiedene Nullstellen
λ1 , ..., λn ∈ C.
Dann bilden die Funktionen ϕl : R → C
ϕl (x) := eλl x , l = 1, ..., n
ein Fundamentalsystem von Lösungen (= Basis des Lösungsvektorraumes) der Differentialgleichung P (D)y = 0.
b) Das charakteristische Polynom P (λ) habe r paarweise verschiedene Nullstellen λl ∈ C,
1 ≤ l ≤ r, mit den Vielfachheiten kl .
Dann bilden die Funktionen ϕlm : R → C
ϕlm (x) := xm eλl x , 1 ≤ l ≤ r, 0 ≤ m ≤ kl − 1
ein Fundamentalsystem von Lösungen der Differentialgleichung P (D)y = 0.
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Die allgemeine Lösung ϕ der Differentialgleichung ist die Linearkombination
n
X
ci ϕi , mit ci ∈ C ,
i=1
des Lösungsfundamentalsystems {ϕi }.
Beispiele
• Das charakteristische Polynom der Differentialgleichung
y 00 + 4y 0 + 3y = 0
lautet
P (λ) = λ2 + 4λ + 3 .
Die Nullstellen von P (λ) sind
λ1 = −1 , λ2 = −3 .
Als allgemeine Lösung ϕ erhalten wir demnach
ϕ(x) = c1 e−x + c2 e−3x .
• Das charakteristische Polynom der Differentialgleichung
y 000 − y 00 − 2y 0 = 0
lautet
P (λ) = λ3 − λ2 − 2λ .
Die Nullstellen von P (λ) sind
λ1 = 0 , λ2 = −1 , λ3 = 2 .
Als allgemeine Lösung ϕ erhalten wir demnach
ϕ(x) = c1 + c2 e−x + c3 e2x .
• Das charakteristische Polynom der Differentialgleichung
y 000 − 2y 00 + y 0 = 0
lautet
P (λ) = λ3 − 2λ2 + λ = λ(λ − 1)2 .
Die Nullstellen von P (λ) sind
λ1 = 0 , λ2 = 1 (doppelt) .
Als allgemeine Lösung ϕ erhalten wir demnach
ϕ(x) = c1 + c2 ex + c3 xex .
137
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138
Anwendungen
Freie gedämpfte mechanische Schwingungen
Die Auslenkung x(t) genüge der Differentialgleichung
Dx(t) + kx0 (t) + mx00 (t) = 0 ,
wobei
· Trägheitskraft: mx00 (t)
· Reibungskraft: −kx0 (t)
· Rückstellkraft: −Dx(t).
Der RLC-Serienschwingkreis ohne äußere Spannungsquelle
Hier genügt die Ladung Q(t) der Differentialgleichung
1
Q(t) + RQ0 (t) + LQ00 (t) = 0 ,
C
wobei
· Kapazität: C
· Ohmscher Widerstand: R
· Induktivität: L .
Lösung einer homogenen linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten
Koeffizienten
Wir betrachten nun die allgemeine Lösung der Gleichung
y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = 0 ,
wobei ω0 ∈ R und µ ∈ R∗+ , und Lösungen unter bestimmten Anfangsbedingungen.
Schwingungen unter der Bedingung 0 < µ < ω0
Mit dem Ansatz y(t) = eλt und den Ableitungen y 0 (t) = λeλt und y 00 (t) = λ2 eλt erhalten wir
λ2 + 2µλ + ω02 = 0 .
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139
Die Nullstellen dieser Gleichung sind die komplexen Zahlen
q
λ1,2 = −µ ± µ2 − ω02 = −µ ± iω ,
wobei ω :=
p
ω02 − µ2 .
Die allgemeine Lösung unserer Differentialgleichung
y(t) = c1 eλ1 t + c2 eλ2 t = c1 e(−µ+iω)t + c2 e(−µ−iω)t
lässt sich umformen zu
y(t) = e−µt (c1 eiωt + c2 e−iωt ) .
Mit Hilfe der Eulerschen Formel
e±iωt = cos(ωt) ± i sin(ωt)
erhalten wir
y(t) = e−µt (d1 cos(ωt) + d2 sin(ωt)) .
f (t )
−μt
e cos(ω t)
e−μt
t
−e−μ t
Abbildung 5.1 Gedämpfte Schwingung
Mit den Anfangsbedingungen
y(t = 0) = y0
und
y 0 (t = 0) = 0
folgt
y0 = y(t = 0) = e−µ·0 (d1 cos(ω · 0) + d2 sin(ω · 0))
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140
und
0 = y 0 (t = 0) = −µe−µ·0 (d1 cos(ω · 0) + d2 sin(ωt · 0)
+ e−µ·0 (−d1 ω sin(ω · 0) + d2 ω cos(ω · 0)) .
Die erste dieser beiden Gleichungen impliziert
d1 = y 0
und die zweite
µ
d2 = · y 0 .
ω
Insgesamt erhalten wir damit
y(t) = y0 e−µt (cos(ωt) +
µ
sin(ωt)) .
ω
Der aperiodischen Grenzfall (für µ = ω0 )
Die Nullstellen von
λ2 + 2µλ + ω02 = 0
sind
λ1,2 = −µ .
Die allgemeine Lösung ist
y(t) = e−µt (c1 + c2 t) .
Unter der Anfangsbedingung x(t = 0) = x0 und x0 (t = 0) = 0 erhalten wir die eindeutig
bestimmte Lösung
y(t) = y0 e−µt (1 + µt) ,
wobei µ = ω0 .
Der aperiodische Fall (Kriechfall) (für µ > ω0 )
Die Nullstellen von
λ2 + 2µλ + ω02 = 0
sind
λ1,2
q
= −µ ± µ2 − ω02 < 0 .
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141
Die allgemeine Lösung ist
y(t) = c1 e−µ1 t + c2 e−µ2 t wobei µi := −λi > 0 .
Unter der Anfangsbedingung y(t = 0) = y0 und y 0 (t = 0) = 0 erhalten wir die eindeutig
bestimmte Lösung:
y(t) =
5.3.2
x0
(µ2 e−µ1 t − µ1 e−µ2 t ) .
µ2 − µ1
Gewöhnliche inhomogene lineare Differentialgleichungen mit
konstanten Koeffizienten
Zu den Methoden, eine partikuläre Lösung einer
inhomogenen gewöhnlichen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten
zu finden, gehören
• die Variation der Konstanten und
• die Laplace-Transformation.
Es gibt auch eine Reihe von Ansatzfunktionen, die sich nutzen lassen.
Ansatzfunktionen für eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung
Es sei
P (D) = Dn + an−1 Dn−1 + ... + a1 D + a0
mit Konstanten ak ∈ R. Ferner sei I ⊂ R und
b:I→R
sei eine stetige Funktion.
Dann lassen sich mittels folgender Ansatzfunktionen partikuläre Lösung der Differentialgleichung
P (D)y = b
bestimmen.
Seien bi , Ai ∈ R und α, β ∈ R.
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142
• Ist b ein Polynom mit
b(x) = b0 + b1 x + ... + bm xm
und P (λ = 0) 6= 0, so ist
yp (x) = A0 + A1 x + ... + Am xm
ein Lösungsansatz.
• Ist
b(x) = (b0 + b1 x + ... + bm xm )eαx
und P (λ = α) 6= 0, so ist
yp (x) = (A0 + A1 x + ...Am xm )eαx
ein Lösungsansatz.
• Ist g(x) = cos(βx) oder sin(βx),
b(x) = (b0 + b1 x + ... + bm xm )g(x)
und P (λ = iβ) 6= 0, so ist
yp (x) = (A0 + A1 x + ...Am xm ) cos(βx) + (B0 + B1 x + ...Bm xm ) sin(βx)
ein Lösungsansatz.
Beispiel
Um die Lösung der inhomogenen Differentialgleichung
y 000 − y = 1 + x3
zu lösen, bestimmen wir die allgemeine Lösung yh der homogenen Gleichung
y 000 − y = 0
und die partikuläre Lösung yp der inhomogenen Gleichung mit dem oben beschriebenen Ansatz
yp (x) = A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3 .
Für die Lösung yh der homogenen Gleichung bestimmen wir die Nullstellen des charakteristischen Polynoms
P (λ) = λ3 − 1 = (λ − 1)(λ2 + λ + 1) .
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143
Da für die Nullstellen
λ1 = 1 , λ2,3
√
1
3
=− ±i
2
2
gilt, folgt
√
− x2
yh (x) = c1 ex + e
!
√
3
3
c2 cos(
x) + c3 sin(
x) .
2
2
Setzen wir yp in die inhomogene Differentialgleichung ein, so erhalten wir
3 · 2 · A3 − (A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3 ) = 1 + x3
und demnach
A3 = −1 , A2 = 0 , A1 = 0 , A0 = −7 .
Daher gilt
yp (x) = −7 − x3 .
Die allgemeine Lösung y der inhomogenen Gleichung lautet daher
!
√
√
x
3
3
y(x) = −7 − x3 + c1 ex + e− 2 c2 cos(
x) + c3 sin(
x) .
2
2
Anwendungen
Erzwungene gedämpfte mechanische Schwingungen
Hier betrachten wir ein System, das sinusförmig schwingen kann, beispielsweise ein quasielastisches Pendel, dessen Schwingungen durch die Stokes-Reibung gedämpft werden.
Die Auslenkung x(t) genüge der Differentialgleichung
Dx(t) + kx0 (t) + mx00 (t) = Fa (t) .
Es wirke eine periodische äußere Kraft Fa (t), wobei
Fa (t) = F0 cos(ωt) .
Die Kraft Fa (t) ist daher harmonisch veränderlich mit der konstanten Kreisfrequenz ω und der
konstanten Anregungsamplitude F0 .
Zusätzlich gehen wir hier davon aus, dass
r
k
D
0<
<
2m
m
gilt.
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144
Um eine partikuläre Lösung unserer inhomogenen Gleichung
y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = ya (t)
zu finden, können wir die Differentialgleichung zu einer Differentialgleichung für komplexe
Funktionen verallgemeinern und den Realteil dieser Lösung bestimmen.
Wir betrachten daher die Differentialgleichung
z 00 (t) + 2µ z 0 (t) + ω02 z(t) = y0,a eiωt ,
wobei µ, ω0 und y0,a wie bisher definiert sind.
Mit dem Ansatz
z(t) = z0 eiωt
erhalten wir
z0 =
ω02
y0,a
− ω 2 + 2iµω
und damit eine partikuläre Lösung yp (t).
Die komplexe Amplitude z0 lässt sich auch als
z0 = Aeiϕ , mit A ∈ R,
schreiben.
Der Ansatz
z(t) = Aei(ωt+ϕ) ,
impliziert
A(−ω 2 + 2iµω + ω02 ) = y0,a e−iϕ .
Daraus folgt für die Amplitude der erzwungenen Schwingung
y0,a
A= p 2
.
(ω0 − ω 2 )2 + 4µ2 ω 2
Betrachten wir nun, für den Fall µ <
A= p
y0,a
(ω02
− ω 2 )2 + 4µ2 ω 2
ω0
√
,
2
die Amplitude
,
so zeigt sich, dass deren Maximalwert bei ω = ωR :=
y0,a
y0,a
Amax = A(ωR ) = p 2
=
2
2µωµ
2µ ω0 − µ
beträgt.
Die Frequenz ωR heisst daher Resonanzfrequenz.
p
ω02 − 2µ2 angenommen wird und
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Symbolverzeichnis
N = {1, 2, 3, ....} Menge der natürlichen Zahlen
N0 = {0, 1, 2, 3, ....}
Z = {0, ±1, ±2, ....} Menge der ganzen Zahlen
p
Q = { | p, q ∈ Z, q 6= 0} Menge der natürlichen Zahlen
q
R Körper der reellen Zahlen
R+ := {x ∈ R | x ≥ 0}
R∗ := {x ∈ R | x 6= 0}
C Körper der komplexen Zahlen
145
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146
Quellen und
Literatur
[1] I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik, B. G. Teubner, Nauka
[2] A. Budó, Theoretische Mechanik, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften
[3] P. Dörsam, Oberstufenmathematik leicht gemacht,
Band 2: Lineare Algebra, Analytische Geometrie, PD-Verlag
[4] G. Fischer, Lineare Algebra, Vieweg
[5] W. Fischer, I. Lieb, Funktionentheorie, Vieweg
[6] O. Forster, Analysis 1, 2, 3, Vieweg
[7] J. Hartung, Statistik, Oldenbourg
[8] H. Heuser, Gewöhnliche Differentialgleichungen, B. G. Teubner
[9] K. Jänich, Lineare Algebra, Springer
[10] R. Remmert, Funktionentheorie 1, Springer
[11] F. Reinhardt, H. Soeder, dtv-Atlas zur Mathematik, Deutscher Taschenbuch Verlag
[12] W. Walter, Gewöhnliche Differentialgleichungen, Springer
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