BNK Die persönliche Meinung Pathologisch-anatomische und molekularbiologische Grundlagen der Herzinsuffizienz bei ischämischer Genese Rainer M. Bohle, Ludger Fink1 Die manifeste chronische Herzinsuffizienz des Erwachsenen besitzt derzeit eine mindestens genauso ungünstige Prognose wie viele Krebserkrankungen. Sie tritt am häufigsten als Folge einer koronaren Herzerkrankung auf, kann aber auch durch weitere Risikofaktoren wie z.B. Zigarettenrauchen, arterielle Hypertonie etc. bedingt sein. Über eine pathologische, zunächst adaptative Hypertrophie des Herzmuskels führt sie zum progredienten Umbau der Ventrikel. Schon in der präkli- nischen Phase der chronischen Herzinsuffizienz werden auf molekularer Ebene eine Vielzahl von Strukturveränderungen initiiert. Diese Übersicht stellt charakteristische molekularbiologische und pathomorphologische Befunde bei chronischer Herzinsuffizienz ischämischer Genese vor unter spezieller Berücksichtigung der Pathologie der Kardiomyozyten, der extrazellulären Matrix und der Mikrozirkulation. Schlüsselwörter: Chronische Herzinsuffizienz · Herzhypertrophie · Ischämie · Koronare Herzerkrankung · Extrazelluläre Matrix · Mikrozirkulation The Pathology and Molecular Basis of Chronic Ischemic Heart Failure The overt congestive heart failure in the adult is a severe disease with a high mortality rate comparable to common malignant diseases. Ischemic heart disease is the major risk factor of chronic heart failure. After adaptative hypertrophic responses, progressive remodeling of the heart occurs involving serial changes in structure, molecular function and phenotype of various cell types of the heart. This review will focus on characteristic molecular and pathomorphological changes of chronic ischemic heart failure and will highlight the pathology of cardiomyocytes, the extracellular matrix and the microcirculation. Key Words: Chronic heart failure · Myocardial hypertrophy · Ischemia · Coronary disease · Extracellular matrix · Microcirculation Einleitung Die klinisch manifeste Herzinsuffizienz ist quoad vitam eine Erkrankung mit ungünstiger Prognose und deutlich erhöhter altersbezogener Mortalität. Die mittlere Überlebenszeit beträgt bei Frauen 3,2 Jahre, bei Männern 1,7 Jahre [1]. Der Schweregrad der chronischen Herzinsuffizienz wird gewöhnlich klinisch-funktionell nach der NYHA-Klassifikation beschrieben. Pathologisch-anatomisch tritt sie meist in der Folge von strukturellen Erkrankungen des Myokards, des Endokards, des Perikards wie auch der großen Gefäße auf. Zur detaillierteren Dokumentation der Evolution und Progression der chronischen Herzinsuffizienz Erwachsener wurden vor kurzem die Staging-Kriterien der AHA/ACC publiziert. Sie erweitern die bislang gängige Klassifika1 tion um strukturell-morphologische/pathologisch-anatomische Komponenten [2]. Die chronische Herzinsuffizienz Erwachsener ist nun als ein komplexes klinisches Syndrom definiert, das sich als Folge jeglicher struktureller oder funktioneller Herzerkrankung manifestieren kann und die Fähigkeit der Ventrikel zur Blutfüllung oder zum Blutauswurf beeinträchtigt (Tabelle 1). Chronische Herzinsuffizienz ischämischer Genese Wie bei anderen Erkrankungen des kardiovaskulären Systems sind auch für die chronische Herzinsuffizienz mittlerweile Risikofaktoren gut definiert. Die koronare Herzerkrankung gilt als der wichtigste Risikofaktor. Sie ist bei mindestens zwei Drittel der Erwachsenen mit systolischer Dysfunktion ursächlich an der klinischen Institut für Pathologie, Justus-Liebig-Universität Gießen. Herz 2002 · Nr. 6 © Urban & Vogel 557 BNK Manifestation beteiligt [3]. Als weitere etablierte Risikofaktoren gelten das Zigarettenrauchen, die arterielle Hypertonie, geringe körperliche Aktivität, valvuläre Erkrankungen sowie das männliche Geschlecht [4]. Zum Zeitpunkt der klinischen Symptomatik findet sich nahezu immer ein in den Vorhof- oder Kammerdimensionen exzentrisch hypertrophiertes Herz. Mikroskopisch ergeben sich in der Regel vielfältige Hinweise für einen sukzessive abgelaufenen pathologischen Strukturumbau des Myokards, der unter dem Begriff des „Remodeling“ zusammengefasst wird. Zusammenhänge zwischen exzentrischer Hypertrophie und Myokardischämie in Form der so genannten relativen Koronarinsuffizienz sind schon seit Linzbachs [5] Beschreibung des „kritischen Herzgewichtes“ im Jahre 1947 bekannt. Burke et al. [6] konnten in den letzten Jahren belegen, dass eine enge Korrelation zwischen dem Schweregrad der koronaren Herzerkrankung und der Herzhypertrophie besteht. Bereits bei Normotonikern mit Zwei-Gefäß-KHK ist mit einer pathologischen Zunahme des Herzgewichtes (Remodeling) zu rechnen. Bei Patienten mit Drei-Gefäß-KHK ist die Herzhypertrophie noch ausgeprägter. Histopathologische zelluläre und molekulare Alterationen als Korrelate der Herzinsuffizienz lassen sich bei ischämischer Genese der Herzinsuffizienz an den meisten Zellstrukturen des Herzens nachweisen. Sie betreffen sowohl die Mikrozirkulation, das Interstitium mit der extrazellulären Matrix wie auch die Kardiomyozyten selber. Tabelle 1. ACC/AHA-Richtlinien zur Evaluation und zum Management der chronischen Herzinsuffizienz Erwachsener. Schema zur risikofaktorbezogenen und strukturellen Klassifikation der chronischen Herzinsuffizienz [2]. Table 1. ACC/AHA guidelines for evaluation and management of chronic heart failure in adults. Scheme of a risk factor associated and structural-based classification of chronic heart failure [2]. Manifestation der chronischen Herzinsuffizienz an Kardiomyozyten Adaptative Prozesse der Kardiomyozyten (Remodeling) gehen in der Regel der klinischen Manifestation der chronischen Herzinsuffizienz um Monate bis Jahre voraus. Sie werden durch Stimuli wie z.B. transiente oder chronische Ischämie initiiert. Auf dem Wege zur strukturellen Manifestation spielen Mediatoren aus der Gruppe der Wachstumsfaktoren, der Wachstumsfaktorrezeptoren, der Signaltransduktion wie auch die so genannten „immediate early“-Gene eine Rolle (vgl. Tabelle 2). Sie wirken über zirkulierende Hormone (endokrine Effekte), durch Einfluss auf benachbarte Zellen (parakrine Effekte) wie auch autostimulierend (autokrine Effekte). Dabei werden in der Regel verschiedene Signaltransduktionspfade benutzt. Sie induzieren zum einen die Hypertrophie der Kardiomyozyten, zum anderen aber auch Apoptosephänomene und führen zu einer progredienten Änderung der Ventrikelgeometrie. Mit geeigneten mikromorphologischen Techniken wie z.B. der Einzelzellisolation aus komplexen Geweben mit Hilfe der Lasermikrodissektion kann z.B. in adulten Kardiomyozyten eine Heraufregulation der AT2-Rezeptor-mRNA nach segmentaler Myokardischämie bereits am 1. Tage nach Koronarligatur im nicht ischämischen, „remodelierenden“ Myokard beobachtet werden [7]. Als Frühphänomene ischämischer Läsionen von Kardiomyozyten sind Herabregulationen der Expression kontraktiler Filamente wie Aktin, Myosin, Troponin T und Tropomyosin bekannt. Ab etwa 90-minütiger Ischämie tritt eine Herabregulation der Zytoskelettproteine (z.B. Desmin) von Kardiomyozyten auf [8], die bei chronischer Ischämie persistiert. Histochemisch und ultrastrukturell lässt sich, auch in Endomyokardbiopsien, eine zytoplasmatische Akkumulation von Glykogen in Stadium Klinische und strukturelle Merkmale A B C D 558 Asymptomatische Patienten mit hohem Risiko der Entwicklung einer Herzinsuffizienz; keine strukturellen oder funktionellen Läsionen des Perikards, Myokards oder der Herzklappen nachweisbar Asymptomatische Patienten mit Nachweis einer strukturellen Herzerkrankung, die streng mit einer Herzinsuffizienz assoziiert ist Symptomatische Patienten mit früheren oder gegenwärtigen Symptomen einer Herzinsuffizienz assoziiert mit einer strukturellen Herzerkrankung Symptomatische Patienten mit fortgeschrittener struktureller Herzerkrankung und erheblichen Herzinsuffizienzsymptomen in Ruhe trotz maximaler Therapie, die einer Spezialbehandlung bedürfen (z.B. mechanische Kreislaufunterstützung, kontinuierliche Infusion inotroper Substanzen, Herztransplantation usw.) Tabelle 2. Auswahl molekularer Faktoren mit Bezug zur strukturellen Manifestation der chronischen Herzinsuffizienz. Table 2. Selection of molecular factors involved in the structural manifestation of chronic heart failure. Wachstums- WF-Rezeptoren faktoren (WF) Signaltransduktion Angiotensin II AT1R Endothelin 1 AT2R TNF- gp130R TGF- G-Proteine myc Calcineurin fos MAPK jun β-adrenerge Rez. EGR-1 Kinase SR-Ca(2+)-ATPase JAK/STAT b-FGF „Immediate early“ Gene Herz 2002 · Nr. 6 © Urban & Vogel BNK Abbildung 1a – Figure 1a Abbildung 1b – Figure 1b Abbildung 1c – Figure 1c Abbildung 1d – Figure 1d Abbildungen 1a bis 1d. Mikrophotographien chronisch ischämischen humanen Myokards. a) Intrazytoplasmatische Glykogenakkumulation (schwarz) in Kardiomyozyten (Original: Perjodsäure-Schiff-Färbung). b) Reduktion des Zytoskelettproteins Desmin in Kardiomyozyten mit optisch hellem/vakuolisiertem perinukleären Zytoplasma (Original: anti-Desmin, APAAP-Immunhistochemie). c) Myokardiale Mikronarbe (zentral) mit Hypertrophie umgebender Kardiomyozyten (Original: Hämatoxilin-Eosin). d) Zunahme der extrazellulären Matrix mit netzartiger perizellulärer Fibrose (schwarz) (Original: Trichrom-Färbung nach Goldner). Figures 1a to 1d. Microphotographs of chronic ischemic human myocardium. a) Intracytoplasmatic glycogen accumulation (black) in cardiomyocytes (original: perjodic acid-Schiff stain). b) Loss of cytoskeletal protein desmin in cardiomyocytes with perinuclear clear cytoplasm (original: anti-desmin APAAP immunohistochemistry). c) Myocardial microscar (central) with hypertrophy of surrounding cardiomyocytes (original: hematoxilin-eosin). d) Increase of extracellular matrix resulting in a dense perimyocyte net-like fibrosis (black) (original: Goldner’s trichrome stain). den ischämisch insuffizienten Kardiomyozyten nachweisen (Abbildung 1a). Als eindeutiges morphologisches Indiz eines lang andauernden ischämisch induzierten Substratmangels der Kardiomyozyten gilt der Verlust kontraktiler sarkoplasmatischer Filamente, der sich mikroskopisch durch eine starke Aufhellung/grobe Vakuolisierung der Kardiomyozyten oder aber immunhistochemisch durch die hochgradige Reduktion der sarkoplasmatischen Desmin-Immunreaktivität darstellen lässt (Abbildung 1b). Derartige Veränderungen sind Herz 2002 · Nr. 6 © Urban & Vogel am häufigsten z.B. im Rahmen ischämischer Kardiomyopathien schalenförmig subendokardial oder in Randzonen fortgeschritten organisierter Myokardinfarkte nachweisbar. Sie treten aber auch fleckförmig in wenig fibrosiertem Myokard auf. Weitere typische strukturelle Merkmale der chronischen Herzinsuffizienz ischämischer Genese sind isolierte oder konfluierte myokardiale Mikronarben, die ebenfalls am häufigsten im linksventrikulären Subendokard lokalisiert sind (Abbildung 1c). 559 BNK Manifestation der chronischen Herzinsuffizienz an der extrazellulären Matrix Die zweite Zielstruktur morphologischer und funktioneller Anpassungsvorgänge bei chronischer Herzinsuffizienz ist die extrazelluläre Matrix. Sie kann sowohl in ihrer Gesamtmasse zunehmen als auch ihre molekulare Komposition verändern. Experimentelle Untersuchungen konnten belegen, dass es schon wenige Wochen nach induzierter Herzinsuffizienz zur pathologischen Aktivierung von Matrixmetalloproteinasen kommt und dieser Anstieg eng mit den Änderungen der Ventrikelgeometrie korreliert [9]. Im Interstitium chronisch ischämischen humanen Myokards ist die Induktion von Fibronektin und Laminin auf RNA- und Proteinebene nachweisbar. Kollagene des Typs I, Typs III und des Typs VI wie auch die Typ-I- und Typ-III-ProkollagenmRNA werden bei chronischer Ischämie verstärkt exprimiert [10]. Die Induktion von TGF-β und des Angiotensinkonversionsenzyms im Rahmen der Manifestation einer interstitiellen Fibrose ist gut bekannt. Neben einer Zunahme fibrillärer kollagener Fasern kommt es bei chronischer Ischämie aber auch zu einer Hyperplasie interstitieller Makrophagen und Fibroblasten. Im Endstadium besteht eine zellarme netzförmige interstitielle Fibrose, die die Kardiomyozyten umgibt und als Korrelat einer diastolischen Funktionsstörung gilt (Abbildung 1d). se in der Mikrozirkulation zurückgeführt wird [12]. Andererseits wird im chronisch hypoxischen Endothel auch eine Induktion vasoaktiver Gene wie zum Beispiel des Interleukin-1β beobachtet [13]. Auch für endotheliale Zytoskelettproteine (z.B. Vimentin) und Faktoren der Gerinnungshomöostase (z.B. Thrombomodulin, Von-Willebrand-Faktor) ergeben sich Hinweise, dass eine zumindest relative Herabregulation ihrer zellulären Expression ursächlich mit der chronischen Ischämie in Zusammenhang steht. Schlussfolgerungen Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Herzinsuffizienz-Risikoerkrankungen manifestieren sich sowohl an den Kardiomyozyten wie auch an der extrazellulären Matrix und in der Mikrozirkulation strukturell und funktionell charakteristische Veränderungen. Sie sind Korrelate systolischer und diastolischer Funktionsstörungen, die sich in der Regel gegenseitig negativ im Sinne eines Krankheitsprogresses beeinflussen. Da sie jeweils durch unterschiedliche molekulare Faktoren initiiert und perpetuiert werden, wird in Zukunft zur präziseren Erkennung, ggf. auch zur Therapie eine zelltypspezifische Evaluation krankhafter Veränderungen des insuffizienten Herzens notwendig sein. Literatur 1. Manifestation der chronischen Herzinsuffizienz in der Mikrozirkulation Zu dieser Manifestationsform liegen bislang die wenigsten pathomorphologisch verifizierten experimentellen Befunde und Daten aus der Humanpathologie vor. Es gilt allerdings auch schon heute als gesichert, dass zumindest mikrovaskuläre Endothelien mindestens genauso Ischämie-sensibel sind wie die Kardiomyozyten [11]. Strukturell ist die kardiale Mikrozirkulation in zweifacher Hinsicht in die Genese und Manifestation der chronischen Ischämie einbezogen. Zum einen kann sie durch pathologische Hyperplasie von Endothelien und subendothelialer glatter Muskelzellen die Ischämie perpetuieren, sofern eine stenosierende Mikroarteriopathie, ggf. im Rahmen einer arteriellen Hypertonie, besteht. Zum anderen ist eine endotheliale Dysfunktion infolge chronischer Herzinsuffizienz und Hypoxie morphologisch und molekularbiologisch gut charakterisiert. So ist z.B. eine Abnahme des endothelialen Stickstoffmonoxid-(NO-)Gehaltes zu verzeichnen, die auf eine reduzierte Aktivität der endothelialen NO-Syntha- 560 2. 3. 4. 5. 6. 7. Ho KK, Anderson KM, Kannel WB, Grossman W, Levy D. Survival after the onset of congestive heart failure in Framingham Heart Study subjects. Circulation 1993;88:107–15. Hunt HA, Baker DW, Chin MH, Cinquegrani MP, Feldman AM, Francis GS, Ganiats TG, Goldstein S, Gregoratos G, Jessup ML, Noble RJ, Packer M, Silver MA, Stevenson LW, Gibbons RJ, Antman EM, Alpert JS, Faxon DP, Fuster V, Gregoratos G, Jacobs AK, Hiratzka LF, Russell RO, Smith SC Jr. ACC/AHA Guidelines for the Evaluation and Management of Chronic Heart Failure in the Adult: Executive Summary. 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