FH D Fachhochschule Düsseldorf Prof. Dr.-Ing. Frank Kameier Prof. Dr.-Ing. Walter Müller Bachelor Studiengänge PP und PEU Fachbereich 4 Maschinenbau und Verfahrenstechnik Josef-Gockeln-Str. 9 40474 Düsseldorf Praktikum Strömungstechnik I Messdatenerfassung (0211) 4351-848 (0211) 4351-424 Fax (0211) 4351-468 email [email protected] email [email protected] http://ifs.muv.fh-duesseldorf.de WS 2011/2012 3. Versuch: Düsseldorf, den 15.11.2011 Rotationsviskosimeter Die Aufgabenstellung in diesem Versuch ist, die rheologischen Eigenschaften, d.h. das "Fließverhalten", unterschiedlicher Flüssigkeiten zu erfassen. Hierzu stehen ein ZylinderRotationsviskosimeter ("Rotovisco RV 30"), ein Kegel-Platte-Viskosimeter („CV 20“) sowie ein Höppler-Kugelfallviskosimeter der Fa. Haake zur Verfügung. 1. Rheologische Eigenschaften Zur Beschreibung rheologischer Eigenschaften verwendet man die Parameter Schergeschwindigkeit/Schergefälle (Formelbuchstaben oder D) und die Schubspannung . Das Schergefälle ist ein Maß für die Beanspruchung eines Fluids. Stellt man sich eine Flüssigkeit zwischen zwei Platten vor, von denen die obere mit der Geschwindigkeit c nach rechts bewegt wird (Bild 1), so beträgt das Schergefälle dc dy mit dy = Abstand der Platten (1) Bild 1: Schematische Darstellung eines Scherversuchs. Das Schergefälle wird also umso größer, je größer der Geschwindigkeitsunterschied dc und je kleiner der Abstand dy ist. Die Schubspannung stellt die zum Bewegen der Platte benötigte Kraft F, bezogen auf die Plattenfläche, dar: F A Kameier/Müller (2) 1 FH Düsseldorf 2011 Der Quotient aus Schubspannung und Schergefälle wird als "dynamische Viskosität" bezeichnet. Je höher die Viskosität, desto mehr Kraft benötigt man zum Bewegen der Platte in Bild 1 mit einem gegebenen Schergefälle. (3) Die Auftragung der Schubspannung über dem Schergefälle oder D nennt man „Fließkurve“ einer Substanz. Hängt die dynamische Viskosität (im folgenden vereinfacht „Viskosität“ genannt) eines Fluids nur von Temperatur und Druck ab, so spricht man von einem „newtonschen“ Fluid. Hierzu zählen alle Gase sowie niedermolekulare, einphasige Flüssigkeiten wie Wasser, Mineralöle, organische Lösungsmittel und viele mehr. Die Fließkurve einer newtonschen Substanz stellt eine Gerade durch den Ursprung dar mit der Geradengleichung (Umkehrung von Gl. 3): dc dy (4) Bild 2: Schubspannungsverläufe über dem Schergefälle für verschiedene Medien. Bei höhermolekularen Stoffe sowie mehrphasigen Systemen ist die Viskosität oft zusätzlich von der Beanspruchung abhängig. So sind z.B. Farben und Lacke bei der Verarbeitung mit Pinsel oder Sprühgerät dünnflüssiger als im bereits aufgetragenen (aber noch nicht getrockneten) Zustand. Flüssigkeiten, deren Viskosität vom Schergefälle bzw. von der Scherzeit abhängen, werden „nicht-newtonsche Flüssigkeiten“ genannt. Hierzu zählen auch Stoffe, deren Eigenschaften sowohl Festkörper- wie auch Flüssigkeitsmerkmale aufweisen (die sogenannten viskoelastischen Flüssigkeiten). Bei nicht-newtonschen Substanzen ist die Fließkurve keine Gerade durch den Ursprung (gemäß Gl. 4). Ihre Fließkurven sind mehr oder weniger stark gekrümmt oder weisen einen Ordinatenabschnitt auf (Bild 2). Solche Fließanomalien hängen ausschließlich mit der Struktur der betreffenden Flüssigkeit zusammen. Ein sogenanntes „Bingham-Medium“ verhält sich unterhalb einer Mindestschubspannung o (Bild 2) wie ein Festkörper, d.h. elastisch. Beim Überschreiten dieser „Fließgrenze“ setzt Fließen ein; das Medium verhält sich bei höheren Schubspannungen wie eine newtonsche Flüssigkeit. Das Fließgesetz lautet entsprechend (B = Bingham-Viskosität): 0 B (4a) Klassische Beispiele für solche Substanzen sind Zahnpasta oder Fette. Drückt man Zahnpasta aus der Tube heraus, wird die Fließgrenze nur an der Wand der Tubenöffnung überschritten, der Rest bleibt starr und gleitet auf dem dünnen, fließenden äußeren Film nach außen ab. Wird die Belastung abgebrochen, kommt auch das Fließen augenblicklich zum Stillstand. Kameier/Müller 2 FH Düsseldorf 2011 Bei „strukturviskosen“ Flüssigkeiten nimmt die Schubspannung mit steigendem Schergefälle nur unterproportional zu. Dies bedeutet andererseits, dass die (scheinbare) Viskosität einer solchen Flüssigkeit mit steigendem Schergefälle sinkt (Bild 3). Ein solches Verhalten zeigen z.B. viele Malerfarben: während der Pinselbewegung (Schergefälle!) ist das Material dünnflüssig und lässt sich leicht verarbeiten, hört die Bewegung auf, haftet die Farbe an der Oberfläche und läuft nicht ab. Ein anderes Beispiel ist Haargel, das beim Auftragen (Verreiben) dünnflüssig sein, aber im Ruhezustand die Frisur stabilisieren soll. Gründe für dieses Verhalten sind (auch dem Namen nach) in der Struktur der Flüssigkeit zu suchen: entweder handelt es sich um eine hochmolekulare Substanz (Kunststoffschmelze, Zelluloselösung, Eiweiß) oder um eine Dispersion (Mayonnaise, Dispersionsfarbe). Langkettige Moleküle richten sich im Belastungszustand in Strömungsrichtung aus und erleichtern das „Vorbeigleiten“ einzelner Schichten. In Dispersionen werden bestehende Teilchenverbände mit zunehmendem Schergefälle mehr und mehr in Einzelpartikel zerlegt, was ebenfalls den Fließwiderstand vermindert. Bild 3: Exemplarische Darstellung der Viskosität als Funktion des Schergefälles. Das Gegenteil von Strukturviskosität nennt man „Dilatanz“ (Bilder 2 und 3). Die Viskosität einer dilatanten Flüssigkeit steigt mit zunehmendem Schergefälle. Dieses Verhalten ist viel seltener als Strukturviskosität und tritt praktisch nur bei hochkonzentrierten Suspensionen wie z.B. nassem Sand auf. Bei strukturviskosen und dilatanten Flüssigkeiten lässt sich die Schubspannung als Funktion des Schergefälles oft nach der Potenzfunktion K m (4b) ausdrücken. Dieses "Fließgesetz" wird "Potenzgesetz" oder auch "Ostwald-de-Waele'sches Gesetz" genannt; entsprechend werden Flüssigkeiten benannt, die diesem Gesetz gehorchen. Der Faktor K wird als "Konsistenzfaktor" und der Exponent m als "Fließindex" bezeichnet; für newtonsche Flüssigkeiten ergibt sich mit m = 1 und K = unmittelbar Gl.(4). Den bisher genannten Eigenschaften liegen zeitunabhängige Effekte zugrunde. Die Veränderung der Viskosität tritt augenblicklich nach Beginn der Belastung auf und stellt sich sofort nach dem Ende des Belastungszustands wieder vollständig zurück. Es gibt auch Flüssigkeiten, deren Viskosität zusätzlich zeitabhängig ist. Zeitabhängiger „Strukturviskosität“ liegen sehr ähnliche Effekte zugrunde wie oben beschrieben (Ausrichtung von Molekülketten in Strömungsrichtung, Aufbrechen von Partikelverbänden), mit dem Unterschied, daß die Veränderung allmählich und nicht schlagartig erfolgt. Solche Flüssigkeiten nennt man „thixotrop“. Oft sind dreidimensional vernetzte Molekülstrukturen beteiligt, die unter Belastung langsam aufbrechen, sich aber nach Wegnahme der Belastung wieder zurückbilden. Viele Farben, Gelatinelösung und synthetische Schmierstoffe gehören hierzu. Stoffe mit gegenteiligem Verhalten nennt man „rheopex“; sie sind jedoch extrem selten. Kameier/Müller 3 FH Düsseldorf 2011 Bild 4: Schematische Darstellung zeitabhängiger Viskositätseffekte. Misst man die Fließkurve einer thixotropen Flüssigkeit, so ergeben sich je nach Dauer der Belastung unterschiedliche Kurvenverläufe (Bild 4 links). Bei steigendem Schergefälle verläuft die Kurve auf höherem Schubspannungsniveau als bei fallendem Schergefälle, da die inzwischen vergangene Beanspruchungszeit zu einer niedrigeren Viskosität führt. Mit Hilfe einer Fließkurve ist der Thixotropieeffekt lediglich qualitativ bestimmbar. Bei konstantem Schergefälle (Bild 4 rechts) kann dieser Effekt in Abhängigkeit von der Scherzeit beobachtet werden; hierbei ist die Messung von charakteristischen Zeitkonstanten möglich. Zu beachten ist, dass irreversible Zerstörungen, d.h. Aufbrechen vernetzter Molekülstrukturen bzw. Agglomerate, die sich nach Ende der Belastung auch nach langer Zeit nicht zurückbilden, keine Thixotropie darstellen. Das gleiche gilt für Erwärmung von Flüssigkeiten bei andauernder Belastung (z.B. Öle in Lagern). Das hieraus resultierende Absinken der Viskosität hat nichts mit Thixotropie zu tun. Zu den bis jetzt beschriebenen „reinviskosen“ Flüssigkeiten treten zur Vervollständigung die „viskoelastischen“ Stoffe hinzu. Hierbei handelt es sich um Substanzen, die sowohl Flüssigkeitswie auch Festkörpereigenschaften haben. Sie können z.B. bei kurzzeitiger Belastung Zugspannungen aufnehmen, die aber wieder „relaxieren“, wenn die Belastung länger andauert: die Substanz fließt. Gute Beispiele für solche Stoffe sind Eiweiß, Polymerlösungen und Kunststoffschmelzen, deren elastische Eigenschaften von stabil vernetzten Makromolekülen herrühren. Meist sind solche Stoffe gleichzeitig strukturviskos bzw. thixotrop. 2. Die Strömung im Ringspalt Zur Bestimmung der rheologischen Eigenschaften fließfähiger Substanzen existieren eine Reihe gebräuchlicher Rotationsviskosimeter, bei denen zwischen zwei Flächen ein Schergefälle erzeugt wird, in dem eine der beiden Flächen rotiert. Die bekanntesten sind ZylinderRotationsviskosimeter, hierbei wird die Substanz im Ringspalt zwischen einem feststehenden Innenzylinder und einem rotierenden Außenzylinder (Couette-Anordnung) oder einem feststehenden Außenzylinder und einem rotierenden Innenzylinder (Searle-Anordnung) geschert. Diese Anordnung eignet sich besonders zur Untersuchung strukturviskoser, dilatanter oder thixotroper Flüssigkeiten. Die Strömung im Ringspalt eines Zylinder-Rotationsviskosimeters soll im folgenden beispielhaft aus den Grundgleichungen hergeleitet werden. Kameier/Müller 4 FH Düsseldorf 2011 Bild 5: Schematische Darstellung der Zylinderanordnung eines Rotationsviskosimeters. Zur Berechnung der Geschwindigkeitsverteilung im Ringspalt geht man zweckmäßigerweise von einem zylindrischen Koordinatensystem aus (Bild 5 links). Ausgangsbasis sind die Navier-StokesGleichungen für stationäre Strömung. Der einzige Grund für die Strömung ist die Rotationsbewegung der Zylinder in -Richtung; d.h. in radialer und auch in axialer Richtung wird keine Strömung stattfinden: cr und cz werden zu 0 und damit auch ihre Differentiale c r c r c z c ; ; und z . Geht man von einer rotationssymmetrischen Geschwindigkeitsverteilung r z r z c c aus, was bei exakt konzentrischen Zylindern erfüllt sein wird, so sind auch und 0. z Damit reduzieren sich die Navier-Stokes-Gleichungen aus Symmetriegründen auf den Ausdruck d 1 dc r 0 dr r dr (5) Zweimalige Integration dieses Ausdrucks liefert c (r ) A B r 2 r (A und B Integrationskonstanten) (6) Mit den Randbedingungen für die Searle-Anordnung: - innerer Zylinder dreht: c (ri) = 2n ri (n = Drehzahl) - äußerer Zylinder steht: c (ra) = 0 ergibt sich nach längerer Umformung c (r ) 2n ri2 ra2 r 2 2 ra ri r (7) Bild 5 rechts (Seite "II") gibt die grafische Auftragung der Profilgleichung wieder. Die Auftragung auf der Seite "I" würde sich bei drehendem äußerem Zylinder ergeben. Die Schergefälleverteilung im Ringspalt ergibt sich nicht durch bloße Differenzierung der Gl. (7) durch Bildung von dc/dr, da der bei gleicher Winkelgeschwindigkeit zurückgelegte Scherweg mit zunehmendem Radius wächst. Es muss daher zunächst die Verteilung der Winkelgeschwindigkeit im Ringspalt berechnet werden: Kameier/Müller 5 FH Düsseldorf 2011 c (r ) (r ) r 2n ri2 ra2 1 ra2 ri2 r 2 (8) Daraus lässt sich die Schergefälleverteilung berechnen zu (r ) r d(r ) dr (r ) r 2n ri2 ra2 4n ri2 ra2 2 2 2 2 ra2 ri2 r 3 ra ri r Führt man das Radienverhältnis (9) ra ein, so wird daraus ri 4n ra2 2 1 r 2 (r ) (10) Am Innen- und Außenradius betragen die Schergefälle 4n 2 (ri ) 2 1 (ra ) (11) 4n 2 1 (12) Für enge Spaltweiten lässt sich ein für die Beanspruchung "repräsentatives Schergefälle" in guter Näherung als arithmetisches Mittel der Innen- und Außenwerte bilden: rep (ri ) (ra ) 2 1 2n 2 2 1 (13) Bei bekannten Radien ri und ra bzw. bekanntem Radienverhältnis kann man durch Messung der Drehzahl n direkt das repräsentative Schergefälle bestimmen. Ist der Ringspalt mit einer zähen Flüssigkeit gefüllt, so führen die oben berechneten Beanspruchungen zu einer Schubspannungsverteilung im Ringspalt. Diese beträgt am Innenzylinder i Md ri 2 ri (14) und am Außenzylinder a mit Md ra 2 ra Md (15) Drehmoment am Innen- und Außenzylinder Länge des Innenzylinders Die "repräsentative Schubspannung" ist (wie im Falle des Schergefälles) in einer für schmale Spalte sehr guten Näherung durch die arithmetische Mittelung der Schubspannungen am Außenund Innenzylinder zu erhalten: Kameier/Müller 6 FH Düsseldorf 2011 rep i a 2 (16) 1 1 i ra2 Nach Gl. (14) ist i ~ 2 und nach Gl. (15) a ~ 2 ; d.h. 2 2 . Damit wird ra a ri ri i 2i 2 1 rep i 2 2 2 M 2 1 rep 2 d ri 2 2 2 (17) (18) Bei bekanntem Radius ri, bekanntem Radienverhältnis und bekannter Zylinderlänge l kann man damit durch Messung des Drehmomentes Md am Innenzylinder direkt die repräsentative Schubspannung bestimmen. Eine „repräsentative Viskosität“ lässt sich aus Gln. (13) und (18) wie folgt berechnen: rep rep rep (19) Für nicht-newtonsche Flüssigkeiten ergibt sich an jedem neuen Messpunkt ein anderer Wert für die repräsentative Viskosität. In DIN 53018/Teil 1 und 2 sowie DIN 53019/Teil 1 und 2 werden die Grundlagen der Viskositätsmessung und der Fließkurvenbestimmung mittels Rotationsviskosimetern sowie Fehlerquellen und Korrekturverfahren beschrieben. 3. Das Zylinder-Rotationsviskosimeter der Fa. Haake Im Haake-Viskosimeter („Rotovisco RV30“) rotiert der innere Zylinder (Searle-Prinzip). Der äußere Zylinder wird „Messbecher“ genannt. Er ist von außen temperierbar. Die inneren Zylinder („Messkörper“) sind an Boden und Deckel mit scharfkantigen Rücksprüngen versehen, so dass die Flüssigkeit den Messkörper nur an der äußeren Mantelfläche benetzen kann. Durch diese Maßnahme kann die in der DIN 53018, Teil 2 genannte "Stirnflächenkorrektur" c L entfallen. Bild 6 zeigt die Messanordnung im Schnitt sowie die Daten für die drei zur Verfügung stehenden Messkörper MV 1 – MV 3 (MV = mittelviskos) Das Schergefälle (auch als D in der Messdatenerfassung benannt) ist gemäß Gl. (13) mit den für MV1 geltenden Radien ra=21 mm und ri=20,04 mm zu bestimmen. Analog gilt für die Schubspannung Gl. (18), wobei die Einheit des Momentenmesswertes in eine ISO-Einheit (Nm) umzurechnen ist. Das Haake-Rotovisco ist direkt über PC-Schnittstelle steuerbar; die Daten werden direkt eingelesen und verarbeitet. Zur Messung lassen sich feste Schergefälle (über definierte Zeiten) einstellen oder auch Drehzahlrampen vorgeben, wobei die Schrittzahl sowie die Messzeit vorgewählt werden können. Kameier/Müller 7 FH Düsseldorf 2011 Messeinrichtung Messkörper Radius ri Länge Messbecher Radius ra Füllvolumen [mm] [mm] [mm] [cm3] MV1 20,04 60,0 21,0 34,0 MV2 18,4 60,0 21,0 46,0 MV3 15,2 60,0 21,0 66,0 Bild 6: Abmessungen des verwendeten Rotationsviskosimeters. 4. Kegel-Platte-Rotationsviskosimeter (steht zur Zeit als Experiment nicht zur Verfügung) Bei einem Kegel-Platte-Viskosimeter (auch „Drehkegel-Viskosimeter“) wird die Substanz in einem sich radial nach außen erweiternden Spalt zwischen einem flachen, rotierenden Kreiskegel und einer feststehenden Platte geschert (Bild 7). Diese Anordnung eignet sich wegen der einfachen Befüllung besonders für die Untersuchung von Substanzen mit Fließgrenze (Pasten etc.) sowie viskoelastischer Stoffe. Da die scherenden und Schubspannung aufnehmenden Flächen insgesamt jedoch erheblich kleiner sind als bei einem Zylinder-Rotationsviskosimeter, ist die Messung der rheologischen Parameter stärker fehlerbehaftet. Bild 7: Abmessungen des Kegel-Platte-Viskosimeters. An jedem beliebigen Radius im Kegelspalt beträgt das Schergefälle bei der Winkelgeschwindigkeit : (r ) r 2 n r 2 n h (r ) r tan tan . (20) Da sich der Radius r insgesamt herauskürzt, ist also das Schergefälle an jeder Stelle im Kegelspalt gleich groß. Dies gilt für beliebige Kegelwinkel . Aufgrund des konstanten Schergefälles hat auch die Schubspannung überall in der Flüssigkeit den gleichen Wert. Diese ergibt sich aus dem Drehmoment, das auf den Kegel wirkt. Am Flächenelement dA des Kegelmantels greift die Umfangskraft dA an, die das Drehmoment r dA bezogen auf die Drehachse erzeugt. Das gesamte Drehmoment ergibt sich durch Integration über die gesamte Kegelfläche: Kameier/Müller 8 FH Düsseldorf 2011 M r dA r r0 2 r 2r dr 3 r 3 0 (21) r 0 Damit wird die Schubspannung zu M (22) 2 r03 3 5. Kugelfallviskosimeter nach Höppler Die dynamischen Viskositäten newtonscher Flüssigkeiten können auch mit einfacheren Viskosimetern bestimmt werden, bei denen kein definiertes Schergefälle einstellbar ist. Ein bekanntes Gerät hierfür ist das Kugelfallviskosimeter nach Höppler (Hersteller: ebenfalls Fa. Haake), vgl. Bild 8. Es wird in diesem Versuch als Vergleichsgerät benutzt. Das Messprinzip beruht auf der Endfallgeschwindigkeit einer Kugel in einer zähen Flüssigkeit. Die Fallbewegung findet allerdings in einem Glasrohr von ca. 16 mm Durchmesser statt, so dass die Umströmung der Kugel stark von der Rohrwand beeinflusst ist. Zur Erzielung einer gleichmäßigen Fallbewegung ist das Fallrohr leicht schräg angeordnet, so dass die Kugel auf der Rohrunterseite abrollt. Die Bedingungen sind demnach sehr verschieden von der Sinkbewegung in unendlich ausgedehnter Flüssigkeit, wodurch die entsprechenden Gleichungen (z.B. die Stokes-Gleichung) hier nicht anwendbar sind. Zwischen zwei Markierungen im Fallrohr wird die Fallzeit der Kugel gemessen und die dynamische Viskosität wird anhand einer empirischen, auf Gerät und Kugeln abgestimmten Zahlenwertgleichung bestimmt: dyn K t K L (23) dyn: dynamische Viskosität in mPa*s K: Kugelkonstante t: Fallzeit in s K: Dichte des Kugelmaterials (Borosilicat glas bzw. Edelstahl) in g/cm 3 L: Dichte der Flüssigkeit (aus Aräometermessung) in g/cm 3 Bild 8: Kugelfallviskosimeter nach Höppler. Die Dichte der benutzten Flüssigkeiten bestimmt man mit Hilfe von Tauchkörpern (Aräometer). Die Flüssigkeitsdichte in g/cm3 lässt sich direkt an der Skala des Tauchkörpers entsprechend der Eintauchtiefe ablesen. Auf exakte Temperierung der Flüssigkeit ist zu achten! Kameier/Müller 9 FH Düsseldorf 2011 6. Messflüssigkeiten Als Testsubstanz für eine newtonsche Flüssigkeit dient Glycerin, ein dreiwertiger Alkohol, der üblicherweise aus Propylen synthetisiert wird. Die Viskosität in reinem Zustand beträgt ca. 1,3 Pas bei Umgebungsbedingungen; durch Mischung mit Wasser lassen sich beliebige kleinere Viskositäten bis 1 mPas einstellen. Glycerin wird häufig als Feuchthalter für kosmetische Produkte, für Kopiertinten, Stempelkissen uvm. eingesetzt. Polyacrylamid (PAA) ist ein wasserlösliches Polymer mit sehr hohem Molekulargewicht, dessen Lösungen in Wasser stark strukturviskos und auch viskoelastisch sind (vergleichbar etwa dem Eiweiß; im Gegensatz zum Eiweiß kann man PAA-Lösungen aber nicht durch starke Beanspruchung "zerscheren"). Technisch wird PAA in geringen Konzentrationen in Kläranlagen als Flockungshilfsmittel eingesetzt. Geringe Zusätze etwa bei der Förderung wässriger Lösungen durch sehr lange Pipelines vermindern außerdem den Fließwiderstand; man spart also Pumpenergie ein. Das rheologische Verhalten des hier gewählten Holzschutzgels ist deutlich strukturviskos (typisch für die meisten Anstrichfarben) und thixotrop eingestellt. Die Farbe soll lt. Hersteller vor Gebrauch nicht gerührt werden, um die anfängliche höhere Viskosität bei der Verarbeitung zu erhalten. Die Farbe tropft somit nicht vom Pinsel und wird erst beim Aufstreichen dünnflüssiger (besonders wichtig für Über-Kopf-Arbeiten). Im aufgetragenen Zustand bleibt die niedrigere Viskosität zunächst erhalten, um ein gutes Ineinanderlaufen der vom Pinsel erzeugten Spuren zu gewährleisten. 7. Versuchsdurchführung 7.1 Vermessung der Fließkurven mit dem Zylinder-Rotationsviskosimeter von Glycerin Polyacrylamid (1,5 Gew.-%) Holzschutzgel Messprogramm jeweils 0 n 50 min-1 in 3 min; 100 Schritte 50 n 0 min-1 in 3 min; 100 Schritte 7.2 Messung der dynamischen Viskosität und Dichte von Glycerin mit Höppler-Kugelfallviskosimeter und Aräometern. 8. Berechnungen, Auswertungen und Dokumentation 8.1 Berechnen Sie aus den aufgenommenen (Glycerin, PAA, Gel) und zur Verfügung gestellten (Glycerin 25°C) Daten (Drehzahl n [1/min] und Drehmoment M [N/cm]) für alle Messpunkte das - Schergefälle (auch als D in der Messdatenerfassung benannt) aus Gleichung 13, - die Schubspannung aus Gleichung 18 - und die (scheinbare) dynamische Viskosität aus Gleichung 19. 8.2 Fügen Sie Ihrer Auswertung beispielhaft eine Seite der Messdatentabelle in formatierter Form bei. Die Berechnungen sind auf dieser Seite durch Ausdruck der ExcelBerechnungsformeln als Kommentarzeile zu dokumentieren! Der besseren Übersichtlichkeit wegen sollten die Excel-Felder mit Namen gekennzeichnet werden, siehe Beispiel-Tabelle Excel_mit_Namen_kameier280103.xls und die noch folgenden Kameier/Müller 10 FH Düsseldorf 2011 Erklärungen unter 9. Erklären Sie die Verwendung von Namen unter Excel mit eigenen Worten. 8.3 Tragen Sie alle gemessenen Fließkurven und die Kurve für Glycerin (25°C) jeweils in ein Diagramm: Diagramm 1: Schubspannung über Schergefälle - linearer Maßstab Diagramm 2: Schubspannung über Schergefälle - doppeltlogarithmischer Maßstab Diagramm 3: Scheinbare dynamische Viskosität über Schergefälle - linearer Maßstab 8.4 Ermitteln Sie für Glycerin den Mittelwert der dynamischen Viskosität aus den Versuchen mit dem Kugelfallviskosimeter. 8.5 Für die Glycerin-Messung im Rotationsviskosimeter ermitteln Sie die Viskosität durch Kurvenregression im linearen Maßstab (Schnittpunkt = 0 voreinstellen!), weitere Hinweise finden Sie unter 9. Erklären Sie die Verbindungslinien unter Excel. Was ist eine Ausgleichskurve (Trendlinie), was ist ein Spline (ungeeignete Excel typische Verbindungslinie). 8.6 Vergleichen Sie die Werte (Rotations- und Kugelfallviskosimeter) und ermitteln Sie die prozentuale Abweichung. Bitte dokumentieren Sie alle Berechnungen ausreichend und nachvollziehbar. Welches Gerät liefert Ihrer Meinung nach genauere Werte für die dynamische Viskosität? 8.7 Ermitteln Sie aus den Glycerin- und PAA-Versuchen, inwieweit die Fließkurven dem Potenzgesetz (Gl. 4b) folgen und bestimmen Sie die Parameter K und m durch Kurvenregression mit Hilfe von EXCEL. Hierbei kann es sinnvoll sein, die Werte im Bereich kleiner Schergefälle (z.B. die ersten 10% des Schergefällebereichs) nicht in die Regression einzubeziehen. 8.8 Die schriftliche Diskussion der Ergebnisse sollte anhand der Diagramme erfolgen. Beschreiben Sie die Kurvenverläufe und leiten Sie hieraus das Fließverhalten der Flüssigkeiten ab! Kameier/Müller 11 FH Düsseldorf 2011 9. Auswertung von Messergebnissen mit EXCEL 9.1 Übernahme von Messreihen aus anderen Programmen Viele Programme erlauben die Speicherung von Messdaten als ASCII-Datei (*.asc) oder als Textdateien (z.B. *.txt, *.prn). Solche Dateien lassen sich einfach in EXCEL einlesen, in dem man zunächst EXCEL startet und aus EXCEL heraus diese Dateien öffnet (Dateien sind nur sichtbar, wenn als Dateityp z.B. „Alle Dateien“ eingegeben wird!) Es öffnet sich der EXCEL-Textkonvertierungs-Assistent. Hier müssen Sie eingeben, ob die Datenfelder getrennt sind und durch welches Trennzeichen (z.B. Semikolon). Da die Daten aus solchen Dateien in aller Regel mit amerikanischer Interpunktion abgespeichert sind (Dezimaltrennung „.“, Tausendertrennung „,“) werden die Zahlenwerte nur dann richtig übernommen, wenn der Rechner auf amerikanische Zahlenschreibweise eingestellt ist (hierzu nach der Trennzeicheneingabe für die Spalten auf "Weiter" und in der nächsten Eingabemaske auf "Erweitert" klicken, es wird nach "Dezimaltrennzeichen" und "Tausender-Trennzeichen" gefragt). 9.2 Verwendung von Namen in Excel-Tabellen Zur besseren Übersichtlichkeit verwendet man für die Excel-Berechnungen keine Feldbezeichnungen (z.B. A4, D15), sondern sinnvoll gewählte Namen. So lassen sich die Berechnungsformeln leichter nachvollziehen. Jede Berechnung wird im Ausdruck mit einer Kommentarzeile versehen, die die Berechnungsformel enthält (siehe nachfolgendes Beispiel). Konstante D_1 0,8 [m] [m/s] c_1 [m^3/s] V_pkt 2,5 3,9 5 8 1,26 1,96 2,51 4,02 V_pkt=c_1*PI()*D_1^2/4 Cursor in Feld 0,8 rechte Maustaste, Namen definieren D_1 wird automatisch als Name vorgeschlagen (der Name muss sich von einer Zellbezeichnung unterscheiden, daher der Unterstrich! Zahlenwerte einer Spalte markieren und mit der rechten Maustaste Namen definieren! Zeile zur Kommentierung der Berechnung 9.3 Doppeltlogarithmische Diagramme Logarithmische Achseneinteilungen werden oft verwendet, wenn der darzustellende Wertebereich mehrere Größenordnungen umfasst. Ist nur eine Achse logarithmisch, spricht man von halblogarithmischer, sind beide Achsen logarithmisch, von doppeltlogarithmischer Darstellung. In doppeltlogarithmischer Darstellung werden Potenzfunktionen (y=axm) als Geraden wiedergegeben; der Exponent m stellt die Geradensteigung dar. Zur logarithmischen Skalierung einer Achse klicken Sie diese mit der rechten Maustaste an. Im Kontextmenü dann „Achse formatieren“ wählen und unter Achsenoptionen dann „Logarithmische Skalierung“. Bitte beachten Sie unbedingt: Kameier/Müller 12 FH Düsseldorf 2011 - Die x-Achsenbeschriftung steht immer ganz unten, die y-Achsenbeschriftung immer ganz links. Dies können Sie unter „Vertikale Achse schneidet...“ bzw. „Horizontale Achse schneidet...“ einstellen, jeweils den passenden Achsenwert eingeben! - Die Länge der Dekaden (Faktor 10-Schritte) muss unbedingt für beide Achsen gleich groß gewählt werden, damit die Dekaden quadratisch abgebildet werden. Nur so werden Geradensteigungen korrekt dargestellt. Leider bietet Excel hierfür keine Einstellmöglichkeit; diese notwendige Korrektur muss von Hand durch Verschieben vorgenommen werden! Bild 8 zeigt ein nach diesen Gesichtspunkten erstelltes typisches Diagramm. 100.000 PAA 1,5 % Glycerin 20°C y = 5.2332x0.3212 Schubspannung / Pa 10.000 y = 0.1436x 1.000 0.100 0.100 1.000 10.000 100.000 Schergefälle D / 1/s Bild 8 Doppeltlogarithmisches Diagramm Bitte berücksichtigen Sie zur Erstellung Ihrer Tabellen und Diagramme auch die im ersten Versuch gegeben Hinweise (siehe Skript zu Versuch 2!). Falsch formatierte Tabellen und Diagramme führen zu Punktabzug! Kameier/Müller 13 FH Düsseldorf 2011 Klassifizierung von Medien nach ihrem mechanischen Verhalten elastisch viskos f , 0 f , 0 zum Beispiel G (Hooke) zum Beispiel (Newton) oder K m (nichtlinear-viskos, z.B. strukturviskos) viskoelastisch f , ,... , , ,... 0 zum Beispiel elastoviskos f , ,... , ,,... 0 G (Kelvin) zum Beispiel G (Maxwell) fest flüssig, gasförmig plastisch f , 0 für 0 f , 0 für 0 zum Beispiel Kameier/Müller G für 0 0 für 0 (Bingham) 14 FH Düsseldorf 2011