begründen, verstehen, beurteilen – Argumentation, Hermeneutik und Kritik als Methoden wissenschaftlichen Arbeitens 190170 VO, UE - Grundlagen: philosophische Methoden, 2.2.3 [21b2] laut Studienplan Pädagogik 2002 (2 Std.) Lehrveranstaltungsleiter: Mag. Dr. Martin Steger /TutorInnen: Emanuel Frass, Claudia Gusenbauer, Angela Janssen, Markus Mandl, Marlis Stöckl Donnerstag, 8.00 - 10.00, HS C1 Campus 10. Termin 25.01.07: Konkretisierung am Text: theoretischer Kontext/ Modelle des Verstehens Formalia: Rückmeldungen 1. Gruppenarbeit: Ich habe jetzt endlich alle Feedbacks ausgeschickt – sollte Ihre Gruppe keines erhalten haben, schicken Sie mir bitte ein mail, ich sende es dann noch einmal. Ich habe mich jetzt doch entschlossen, auch im Detail zu feedbacken – das hat leider Zeit gebraucht, ich hoffe, Sie haben etwas davon. Wegen Anfragen nochmals vom letzten Skript: Falls Sie sich nicht ganz ausgekannt haben, wo Sie beurteilungsmäßig stehen: Ich habe versucht, Ihnen Niveauorientierungen zubieten, aber ich habe die Arbeit nicht benotet. Sie werden sich vielleicht noch an das Skript mit den Formalia zu dieser Arbeit erinnern (3.Termin): Zudem bekommen Sie nach der ersten Gruppenarbeit Rückmeldung und können somit in der zweiten Gruppenarbeit verstärkt auf Ihre Schwächen achten. Diese zweite Arbeit – und Ihr Lernfortschritt – sind vor allem beurteilungsrelevant. Es gab schon Gruppen, die nach wirklich schlechter 1. Arbeit mit 'Sehr Gut' abgeschlossen haben. Manche Gruppen haben daher sehr gute Rückmeldungen erhalten, ohne das 'Sehr gut' schon in der Tasche zu haben, andere haben in einem Aspekt die Spielregeln nicht beachtet, etwa indem sie plaudernd erzählt haben, was Ihnen in der Gruppe eingefallen ist, anstatt Wahrheit zu begründen – die haben eine schlechte Rückmeldug erhalten, obwohl ihnen noch jede Note offen steht. Abgabe 2. Gruppenarbeit: Weil es bezüglich der Termine Unklarheiten gibt: Abgabe ist durch Verschiebung der 07er-Termine der 12.02. Eine zweite Möglichkeit haben Sie zum Ende der Semesterferien, 2. Abgabetermin: 26.2.2007. Ich empfehle diesen Termin ausdrücklich nicht, weil nach meiner Erfahrung vor allem (aber nicht nur) Gruppen mit wenig 1 Zusammenhalt oft verspätet mit der Arbeit beginnen, dann den 2.Termin wählen – aber über die Ferien endgültig zerfallen und gar nicht abgeben. Zum ersten Termin bekommen Sie innerhalb 2 Wochen eine Rückmeldung (mit Beurteilung) – allerdings kürzer als die erste, die ja auf Tipps für die zweite Arbeit bezogen war. Dazu gleich eine inhaltliche Erinnerung aus dem Skript 7.Termin zur zweiten Arbeit: Kritik zu üben, d.h.– positiv wie negativ – wertend begründet zu urteilen ist noch nicht Aufgabe dieser Arbeit. Wenn Sie allerdings Kritikpunkte finden und nächstes Semester auch teilnehmen, notieren Sie das ruhig – da wird es relevant werden. Ich möchte niemand verbieten, schon jetzt Kritik zu üben – allerdings sind Sie dafür dann auch verantwortlich. Im Sommersemester wird es also um Kritik und in Folge um Bezüge zur Pädagogik gehen. Wir werden mit den selben Texten und nach Möglichkeit in den selben Gruppen arbeiten, daher ersparen Sie sich Arbeit, wenn Sie die aufkommenden Kritikpunkte gleich festhalten. Termin der Lv ist wie dieses Semester Donnerstag, 8 –10 Uhr, Hs C1. Wir haben diesmal das Vergnügen, tatsächlich am ersten Tag des Semesters, am 01.03. 07., mit der Lv zu beginnen. Das heißt aber auch, dass wir nach dem gedrängten Wintersemester (11.gehaltene Termine, davon 2 formale) nun ein Semster mit absehbar 16 Terminen vor uns haben – da können wir uns Zeit und Muße gönnen: Zum Wiederholen offener Fragen aus dem Winter, für die Gruppenarbeiten etc.. Inhalt: zum Verständnis des wissenschaftstheoretischen Kontextes: Wir haben letztes Mal in einer schnellen Skizze die Kontexte bei Buck und Habermas besprochen – und einiges mehr finden Sie auch noch im Skript des letzten Termins. Wozu wir nicht mehr gekommen sind, ist der Luhmann-Text. Wie knüpfen wir diesen an? Phänomenologie Kant Luhmann /Systemtheorie Konstruktivismus Buck Hermeneutik Kritischer Rationalismus Habermas Einigungstheorien 1. Person Skepsis 3. Person 2 Kurz hergeleitet: Wir können eine gedankliche Linie ziehen von Kant: Wir erkennen die Welt nicht unvermittelt (keine Wahrheit im Sinne direkter Korrespondenz zur Wirklichkeit), können aber aufgrund der im Prinzip bei allen Menschen (als einzig bekanntes 'Exemplar' von Vernunftwesen) gleichen Vernunft (als 'reine', d.h. solange sie nicht von unterschiedlichen Erfahrungen 'affiziert' ist und in formalen, inhaltsunabhängigen Aspekten) allgemeingültige Aussagen treffen – diese betreffen aber streng genommen nicht die Wirklichkeit, sondern unsere Art, sie zu erkennen. über Hegel: Dessen 'objektiver Geist', wie wir ihn im Zuge der Hermeneutik kennengelernt haben, lässt sich ja schon als eine Entwicklung weg von Kants Reflexion auf das Abstrakte, bloss Formale (das Erkenntnisvermögen) verstehen - hin zu einer Perspektive, die den Menschen, wie er faktisch in der Welt steht, betont: als historisches, kulturelles (und später: soziales) Wesen. Anstelle der einen 'reinen' Vernunft garantiert nun der 'objektive Geist' Wahrheitsfähigkeit - als Kulmination des bisher Gedachten, als 'Sphäre des gemeinsamen Wissens', an der wir teilhaben: eine historisch-kulturelle Deutung des Gemeinsamen in unserem Denken, die sich durch die gesamten Hermeneutik zieht (als Voraussetzung dafür, in 'die Haut des anderen zu schlüpfen' (Schleiermacher), sich 'im Anderen wiederzufinden' (Dilthey)). über Heidegger: der diese Wendung weiterführt und nicht die Reflexion auf ein gemeinsames Abstraktes (formale Vernunft, objektiver Geist), sondern auf die je eigene konkrete Lebenswelt betont. Er tut es (wie Habermas erwähnt) im Rahmen einer Ontologie (einer 'Seinslehre'): Sein lässt sich erschließen in Differenz zum Nicht-Seienden, zum Nichts. Der Mensch ist sich als Einziger seines Seins bewusst – im Vollzug dieses Seins als konkretes 'Dasein' – "seiend versteht er sein Sein". Die Reflexion geht also auf den Sinn dieses Seins (vor der Folie des Nicht-Daseins: des Todes – um auch diesen berühmten Gedanken des 'Seins zum Tode' einzubinden): In dieser Konstruktion - der sinnbezogenen, 'verstehenden' Reflexion auf das eigene Leben in Differenz zum Nicht-Sein - zeigt sich auch ein wenig, warum unterschiedlichste Denkschulen sich heute auf Heidegger berufen: Phänomenologen (das konkrete Sein als Gegenstand des Denkens), Existenzialisten (die Unbedingtheit der 'Existenz' (im Bewusstsein des Todes)), Hermeneutiker (der Sinn des Seins), Systemtheoretiker (das Verstehen des Seins in Differenz zu etwas),... über Gadamer, der ein dialogisches Moment in die Hermeneutik einführt (wie vor ihm etwa Martin Buber in die Erkenntnistheorie), wenn er das Gemeinsame je als Begegnung, als 3 'echte' Erfahrung deutet (und Wahrheit damit im Gegensatz zu Methode und dem wissenschaftlichen 'allgemeingültig über etwas sprechen' sieht) hin zu Habermas, der das Gemeinsame im Diskurs, in der Kommunikation, durch die wir die je eigene Welt als gemeinsame erst verstehen können, verankert. Um es in einem 'Kurzschluss' dieser Entwickung zu formulieren: Habermas beruft sich gerne auf Kant – er ersetzt dessen eine Vernunft, die für sich Wahrheit garantiert jedoch durch einen Kommunikationsprozess, eine 'Vereinigung' der Vernunft im Gedankenaustausch. (Wahrheit als Konsens, als Einigung über das, was wirklich ist (und pragmatisch als gültig angesehen wird, solange niemand widerspricht)). Damit haben wir eine Linie gezogen vom Menschenbild des Subjektes als individuellem Vernunftwesen, das kraft/in seiner Vernunft frei von Zwängen der Natur ist, hin zum Menschen als sozialem Wesen, das in rationaler Kommunikation soziale Ordnung konstituiert. Zu betonen ist wieder einmal, dass das natürlich nur eine von vielen denkbaren Linien ist, festgemacht an einigen wenigen von vielen nennenswerten Denkern (in einem ihrer Themen). 'Taufen' könnten wir diese Linie als eine der zunehmenden Erfassung der Komplexität des menschlichen Denkens/Seins ausgehend von Kants grundsätzlicher Beschreibung der Vernunft (von der formalen Abstraktion zum zunehmenden Bezug auf anderes Denken (geschichtlich, kulturell, sozial) bis zum gemeinsamen Denken). Dann wäre ein naheliegender nächster Schritt (oder nächster Haken) derjenige, an dem das Denken der Komplexität das Subjekt als 'vermittelnde Instanz' verliert: etwa hin zu Luhmanns Systemtheorie, bei der Gesellschaft als 'eigendynamisches' System und nicht mehr als Ergebnis der Vielzahl einzelner Akteure beschrieben wird. Die Systemtheorie gehört inzwischen zu den wichtigen 'Supertheorien' im Bereich der Human- und Sozialwissenschaften, - so nennt Luhmann Theorien, die vom Geltungsbereich her im Prinzip die ganze Welt und auch sich selbst zum Thema haben. Niklas Luhmann Warum habe ich diesen Text gewählt? Ich denke, er kann unseren Zugang zu Verstehen wesentlich erweitern: als Gegenposition zur Hermeneutik – er ist auf erkenntnistheoretischer Ebene den Annahmen der Hermeneutik geradezu entgegengesetzt (kein Subjekt, Anschlussfähigkeit statt Verbindlichkeit, Konstruktion statt Wirklichkeit etc. – siehe unten) 4 als Text, der aber über das selbe Phänomen spricht wie die Hermeneutik, auch (aus einem ganz anderen Weltbild heraus) an sie anknüpft und auf der Ebene des Phänomens zu analogen Beschreibungen kommt – in diesem Grat aus großer Nähe auf Phänomenebene und Distanz auf Metaebene ist er wunderbar geeignet zum Vergleich. Zudem kann meistgefragten es nicht schaden, sich in erkenntnistheoretischen 'philosophische Positionen Methoden' der mit letzten einer der Jahrzehnte auseinanderzusetzen – zumal sie einige ungewohnte Denkfiguren beinhaltet, die man sich zumindest einmal bewusst überlegen sollte. Zum Autor: Niklas Luhmann (1927 – 1998) ist neben Talcott Parsons – und in dessen 'Nachfolge' - der wohl bekannteste und wichtigste Systemtheoretiker. Ursprünglich Jurist mit Verwaltungskarriere am Oberverwaltungsgericht Lüneburg lässt er sich für ein Studium der Verwaltungswissenschaft in Harvard/Boston beurlauben, wo er Talcott Parsons kennenlernt. Nach Promotion und Habilitation auch in Soziologie übernimmt er den Lehrstuhl für Soziologie zunächst kurz in Frankfurt (Vertretung Adorno) und 1968 an der neugegründeten Universität Bielefeld, wo er über 30 Jahre eine 'systemtheoretische Schule' aufbaut. Was ist ein System? Der Begriff System hat seit knapp 100 Jahren Konjunktur – als Versuch, komplexe, dynamische Phänomene zu beschreiben. Unter anderen Schlagworten hat die Komplexitätsdiskussion lange Tradition – vor allem als Problem des Verhältnisses eines Ganzen zu seinen Teilen (der Satz: 'Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile' ist ursprünglich ein griechischer) – z.B. als eines der zentralen Themen in der sozial und politisch orientierten Philosophie der Neuzeit (Verhältnis Mensch Gesellschaft/Staat Hobbes, Humes, Smith, Rousseau, Hegel, Marx,...). Schon in der Antike kannte man das Wort systema, abgeleitet aus dem zusammengesetzten Begriff synhistamein (syn: zusammen; histamein: stehen). Es ging also um das Zusammengestellte, Zusammengeordnete. Demokrit, Platon, Aristoteles und die Stoiker benutzten den Systembegriff und verstanden darunter im wesentlichen "ein Gebilde, daß irgendein Ganzes ausmacht und dessen einzelne Teile in ihrer Verknüpfung irgendeine Ordnung aufweisen".2 Im Prinzip bewegt der Systembegriff sich schon von der Antike an, weg von der reinen ontologischen Vorstellung einer dinghaften Welt, zur Vorstellung, einer Welt der 5 Sachverhalte. Der Begriff Sachverhalt legt hier die Fährte. Es geht um Verhältnisse und Sachen, um Relationen und Einheiten. Wir haben bislang in unserem Modell das erkenntnistheoretische Grundverhältnis als 'Mensch beobachtet Welt', also als Subjekt-Objekt-Beziehung dargestellt - komplexere Phänomene werden dabei gedacht als Objekte, die wiederum aus Objekten (bei Gesellschaft als Zusatzproblem: aus Objekten, die immer auch Subjekte (also willentlich agierend) sind) bestehen. Dabei rückt dann auch - wie anfangs angesprochen - das Verhältnis dieser 'Teile' zum 'Ganzen' in den Mittelpunkt des Interesses: Je komplexer dieses Ganze ist, umso weniger lässt es sich allein aus den Eigenschaften seiner Teile heraus erklären (das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile). Wenn wir jetzt also die Geschichte der Erkenntnistheorie (und der Wissenschaft insgesamt) als eine Problemgeschichte erzählen, stehen wir in unserem Modell vor folgender Situation: Immanuel Kant hat in den Möglichkeiten des Menschen, Wirklichkeit zu erkennen (nämlich mittels Sinne und Vernunft) zugleich die prinzipielle Beschränktheit der Erkenntnis festgestellt - nämlich eben die Eigenschaften dieser Sinne und Vernunft als 'Filter' der Wirklichkeit. Er hat im folgenden die Eigenschaft der Vernunft beschrieben - im Prinzip als formale Fähigkeit, Inhalte (Welt, wie wir sie mit unseren Sinnen erkennen) nach Regeln (Verstand) und Ideen (Vernunft) zu strukturieren und derart damit umzugehen. Damit rücken - wie bei jeder Problemlösung - die Folgeprobleme in den Mittelpunkt des Interesses, die mit Kant nicht erklärbar sind (auch die Kritik an Kant wirft ihm ja nicht vor, etwas 'Falsches' zu behaupten, sondern thematisiert, was im Kantschen Theoriekomplex an 'Erklärungsresten' bleibt): Wenn Kant von den Inhalten weg auf die Form des Denkens als die eine, 'reine Vernunft' hin abstrahiert, vermag er über die jeweiligen Konkretionen nichts Prinzipielles auszusagen: Wie sich Denken in seinen kulturellen Bezügen äußert und wie dieses an konkreten Inhalten spezifizierte Denken einem anderen anders spezifizierten Denken gegenübertritt - die historischen, sozialen und kommunikativen Aspekte des Menschen. In unserem Modell haben wir Einigungstheorien als Beispiel für Versuche genannt, diesen sozialen Bezug als Erkenntnismoment/-aspekt zu integrieren (dialogische Theorien, Diskurstheorien Habermas). Diese Theorien bleiben aber eben auch im Schema von Subjekt-Objekt-Beziehungen verhaftet und stehen daher (wie oben erwähnt) vor dem Problem, komplexe Ganzheiten über das Verhältnis seiner Einzelteile beschreiben zu müssen (Gesellschaft über die darin agierenden Menschen – wenn auch schon die Beziehung zwischen diesen Menschen im Blickpunkt steht). 6 Daneben hat sich aber eine Position herausgebildet, die dieses Problem grundsätzlich anders lösen will: Systemtheorien. So wie die Geisteswissenschaften (u.a. Dilthey mit seiner Hermeneutik um 1900) kritisieren, dass der Mensch in seiner Reflexivität letztlich nicht nur kausal (also in UrsacheWirkungsmustern) beschreibbar ist, beginnen wenig später auch Vertreter anderer Wissenschaftsbereiche (Malinowski oder Radcliffe-Brown) von der anderen - der 'objektiven' Seite - des Beobachtungsspektrums her ihre Kritik an der Kausalität als dominantem wissenschaftlichen 'Beschreibungsmodus': Auch die Welt ist demnach nicht kausal beschreibbar - wenn man sie nämlich soweit wie möglich in ihrer Komplexität erfassen will. Dementsprechend kommt dieser Ansatz zunächst aus Bereichen, die sich mit komplexen, dynamischen Phänomenen beschäftigen: Biologie, Thermodynamik, Kulturanthropologie, später Soziologie. Was passiert bei kausalen Beschreibungsmustern? Es wird ein Phänomen möglichst isoliert betrachtet, um feststellen zu können, welche Ursache welche Wirkung hervorruft: U W Beschreibt man Phänomene mit mehr als einem ursächlichen Einflussfaktor, kann man sich eine Zeitlang noch mit Ausmittelungen, Interdependenzberechnungen etc. behelfen (simples Beispiel: die Vektorengrafiken bei Krafteinwirkungen auf ein Objekt in der Physik) W U O U Was aber bei komplexen Phänomenen, bei denen die Objekte wechselseitig Ursache und Wirkung sind (simples Beispiel: die wechselseitige Abhängigkeit der Populationen von Jägern und Beutetieren in einem Gebiet)? 7 Derartig komplexe Phänomene lassen sich durch einzelne Ursachen-Wirkungsbeziehungen durch das Wirken der einzelnen Teile - nicht mehr sinnvoll beschreiben: die Dynamik biologischer Lebensräume, die Entwicklung von Kulturen etc. - andererseits ist die Kultur aber auch nicht selbst Subjekt - sie agiert nicht als Einheit mit eigenem Willen. Die Systemtheorie behauptet nun, dass diese komplexen Phänomene - in ihrer Terminologie 'Systeme' - prinzipiell nicht mehr zufriedenstellend als Verhältnis eines Ganzen zu seinen Teilen beschrieben werden können und wählt einen grundlegend anderen Weg: Ein System wird nicht bestimmt durch seine Teile, sondern durch die Form der Beziehung zwischen den Teilen: durch seine Struktur. Das ist der Ansatz von Talcott Parsons als Begründer der ersten komplexen Fassung der Systemtheorie im Sozialbereich. Verschärft wurde dieser Ansatz später von Parsons Schüler Niklas Luhmann, der Systeme über das Geschehen in Beziehungen – also als Beziehungen von Beziehungen – erklärt (z.B: Wie folgt Kommunikation auf Kommunikation?) Das hat grundlegende Konsequenzen: Wenn ich auf Relationen anstelle von Teilen schaue, denke ich nicht an Gegenstände, an Objekte und Subjekte: In dieser nicht-gegenständlichen Perspektive geht es somit nicht um das Handeln (und Erleiden) Einzelner, um ihren Willen, ihre Intentionen und Werthaltungen – sondern um Strukturveränderungen: Wenn ich nicht auf den Einzelnen achte, bleibt mir auch sein 'Innenleben', seine Seele und Persönlichkeit verborgen – eine klare Gegenposition zur Hermeneutik. Wenn ich nicht auf Gegenstände achte – also auf 'rundum' definierte Einheiten – benötige ich jeweils neue, 'punktuelle' Unterscheidungen, um mich zu orientieren: Ich denke nicht in Einheit, sondern in Differenz (digital nicht analog), achte auf Unterscheidungen, nicht Gemeinsamkeiten. Wenn ich nicht Gegenstände beschreibe, beschreibe ich zunächst nicht die Welt – die Wirklichkeit – sondern bin eine Metaebene weiter: Ich beschreibe von vornherein ein Konstrukt von Wirklichkeit. Systemtheorie ist eine konstruktivistische Position – Systeme existieren nicht wirklich, sie sind bereits eine Abstraktion. Wir sprechen im Rahmen der Systemtheorie nicht so sehr von Wahrheit, als von Brauchbarkeit – d.h. wir fragen nicht: "Ist das wirklich so (z.B dass Systeme füreinander Umwelt sind)?" sondern "Ist es brauchbar, wenn ich das so (z.B dass Systeme füreinander Umwelt sind) beschreibe? Bringt es mir insgesamt Erkenntnisgewinn? Komme ich mit diesem Modell weiter?" Wenn ich nicht auf Gegenstände, sondern auf Relationen achte, beschreibe ich nicht mehr, wie sich etwa bei einer Einwirkung diese Gegenstände entsprechend kausaler 8 Gesetze verändern, sondern ich beschreibe, wie sich dadurch die Struktur verändert, wie weitgehend das System dadurch betroffen ist Bildlich gesprochen gleicht das kausale Denken einem Pfeilschuss: Ich visiere ein punktuelles Ziel an und versuche dabei alle Störfaktoren auszublenden. Das systemische Denken hingegen gleicht einem Steinwurf ins Wasser: Ich beobachte, welche Kreise die Einwirkung verursacht und wie weit die Wasserfläche dadurch bewegt wird. Der Unterschied zwischen diesen Perspektiven zeigt sich immer wieder auch aktuell in der Diskussion komplexer Phänomene (Gentechnik, Atomkraft etc.) - das Problem besteht meist darin, dass die Ansätze 'Ich will etwas Bestimmtes erreichen' und 'Welche Auswirkungen hat das auf das Gesamtsystem?' kaum eine gemeinsame, aufeinander Bezug nehmende Diskussion zulassen. Sehen wir uns noch einmal das Modell eines Systems an: Wenn dieses System nicht durch seine Teile, sondern durch die Struktur bestimmt ist, zeigt sich sofort das grundlegende Problem dieses Ansatzes: Beziehungen sind weit weniger stabil als Dinge selbst: Wie sichere ich die Stabilität eines Systems? Wie gehe ich mit der Beschreibung der Veränderung und Dynamik um, ohne den Zusammenhalt des Systems zu gefährden? Das war das Hauptanliegen von Parsons, er hat daher die stabilisierenden Faktoren betont, die Struktur: Wenn ein Phänomen sinnvoll als System beschreibbar ist ( konstruktivistischer Ansatz), ist davon auszugehen, dass die Dynamiken innerhalb des Systems die Gesamtausrichtung überwiegend unterstützen: Diese Entsprechung nannte Parsons Funktion. Die Funktion als systemkompatible Struktureinwirkung ist der dynamische Faktor des Modells, es gilt: die Funktion folgt der Struktur. (Beispiel: Sozialisation als Entwicklung des Menschen zu überwiegend gesellschaftsstabilisierendem 'funktionalen' Verhalten – Sozialisation meint 9 daher nicht seine Charakter-/Persönlichkeitsbildung, sondern lediglich die Entwicklung seiner Beziehungsmuster/sozialen Verhaltensweisen) Das Problem dieses Konstruktes zeigt sich, wenn man nicht nur ein System, sondern die Interaktion zweier Systeme betrachtet: Parsons spricht von 'offenen Systemen', d.h., Systeme unterscheiden sich durch die unterschiedliche Struktur, sie haben keine faktische Grenze gegenüber einem anderen System und interagieren dementsprechend frei: Ein Input wird im System verarbeitet und ein Output wird erzeugt. Da Parsons aber Veränderungen über den Begriff der Funktion an die Struktur bindet, hat er wenig Möglichkeit, zu beschreiben, was mit dem Input im System geschieht (weil ja Funktionen nicht die Strukturen beeinflussen, sondern umgekehrt). Beschrieben wird somit lediglich: Output folgt auf Input – wird somit offensichtlich von Input verursacht. Damit sind wir wieder in der selben komplexitätsreduzierenden Kausalität, die mit dem Systembegriff vermieden werden sollte. Systemtheorie nach Luhmann An diesem Punkt der mangelnden Beschreibbarkeit von Dynamik und Interaktion setzt auch die Kritik und Weiterentwicklung der Systemtheorie von Niklas Luhmann an. Luhmann dreht die Prioritäten Parsons um: structure follows function. Er stärkt den dynamischen Aspekt der Beschreibung eines Systems, indem er annimmt, dass die Elemente eines Systems temporär, vergänglich sind. Die Elemente sind dabei nicht gleich den Teilen eines Systems (den Gegenständen/Objekten/Subjekten), sondern sind die Beziehungen/Relationen zwischen ihnen. Bei den drei Systemarten, die Luhmann unterscheidet, sind das: o Leben bei biologischen Systemen o Bewusstsein bei psychischen Systemen o Kommunikation bei sozialen Systemen Dass Lebens-, Bewusstseins- und Kommunikationsformen vergänglich sind, ist wohl nachvollziehbar – wichtig ist nun, dass ein System bei Luhmann nicht wie bei Parsons dann bestehen bleibt, wenn es Strukturen stabil hält, sondern wenn es gelingt, die vergänglichen Elemente immer wieder durch neue zu ersetzen, wenn das System anschlussfähig bleibt (eine Idee weiterentwickelt, bevor sie vergessen ist,...) Diese neuen Elemente werden von den alten Elementen gebildet – das System ist autopoietisch – indem sich ein System immer auf sich selbst bezieht – das System ist 10 selbstreferentiell - und neue Information nutzt, um entsprechend seiner Selbstreferenz neue Elemente zu produzieren. Z.B.: Wenn ich gefragt werde, wie spät es ist, antworte ich etwa mit der Uhrzeit: Kommunikation (Frage) erzeugt Kommunikation (Antwort) – natürlich ist es ein Mensch – ich, Subjekt,... – der den Satz sagt und Derartiges bestreitet die Systemtheorie auch nicht, aber es ist hier nicht relevant: Ich sage die Uhrzeit nicht, weil ich der Typ bin der laut auf der Straße Uhrzeiten sagt, sondern es wurde gefragt und es wird geantwortet. Z.B.: Frühjahr 2003: Der ÖGB (die österreichische Dachorganisation des sozialen Systems Gewerkschaften) sagt (kommuniziert): "Wir streiken immer, wenn die soziale Situation der Arbeitnehmer massiv verschlechtert wird. Unsere neuen Informationen besagen, dass das mit der Pensionsreform geschieht, also streiken wir am 6.5.03" (neue Kommunikation wird aus alter Kommunikation unter Referenz auf diese eigene alte Kommunikation aufgrund neuer Information gebildet). Luhmann beschreibt also Systeme prozessorientiert. Wie kann man sich nun diesen autopoietischen, selbstreferentiellen Prozess vorstellen? Ein System 'bildet sich selbst', indem eine grundlegende Unterscheidung getroffen wird, die zwischen 'drinnen' und 'draussen' – zwischen System und Umwelt unterscheiden lässt und damit als 'Leitdifferenz' dient. Diese Unterscheidung ist also geeignet, Identität (wir – z.B ÖGB: organisierte Arbeitnehmer) und Differenz (nicht wir – nicht organisiert, nicht Arbeitnehmer) festzustellen – das System schließt sich damit von seiner Umwelt ab: Luhmann Systeme sind geschlossene, nicht offene wie die von Parsons. Das heißt, anhand der Leitdifferenz definiert das System sowohl seine Umwelt wie auch sich selbst – was in der grundlegenden Unterscheidung nicht fassbar ist, ist nicht systemrelevant (der ÖGB vertritt auch Spitzenbeamte mit Höchstgehältern – er ist nicht für Arme, sondern für Arbeitnehmer da – arm / reich, links / rechts, progressiv / konservativ ist letztlich irrelevant, der ÖGB ist vielleicht eines davon 'eher', wenn es den Interessen seiner Mitglieder dient und daher aufgrund immer wieder getroffener Entscheidungen dem autopoietisch und selbstreferentiell entstandenen 'Selbstbild' entspricht). die Umwelt kann nicht direkt auf ein System einwirken. Was immer in der Umwelt geschieht, wird vom System lediglich als Information wahrgenommen und selbstreferentiell zur autopoietischen Bildung neuer Elemente genutzt (der Streik des ÖGB wird nicht von der Regierung 'verursacht' (im kausalen Sinn einer notwendigen, gesetzmäßig ablaufenden Wirkung), sondern das Verhalten der Regierung erzeugt einen vom System ÖGB 11 wahrnehmbaren Unterschied (= Information), die Grundlage einer eigenen Entscheidung ist ( man hätte ja auch nicht oder anders streiken können). Wie läuft dieser Prozess im Detail ab? Ein System definiert sich und seine Umwelt anhand einer Leitdifferenz, die ihm ermöglicht zu sagen 'wer zum Club gehört' und wer nicht – es schließt sich damit ab. Das System beobachtet sich und seine Umwelt: die Leitdifferenz stellt die Umweltgrenze fest, (zumindest) eine zweite Unterscheidung stellt eine Differenz in System oder Umwelt fest (=Information: die Pensionen werden anders geregelt). Diese Information wird 'ins System getragen' (Selbstreferenz) und dort verarbeitet (neue Elemente erzeugt – Autopoiesis) – bei Luhmann heißt das re-entry'. Z.B: Leitdifferenz ÖGB: organisierte Arbeitnehmer - Information: andere Pensionsregelung – re-entry der Information ins System: Pension ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebenseinkommes der Arbeitnehmer - Selbstreferenz: die Situation unserer Mitglieder wird verschlechtert, in solchen Fällen reagieren wir immer – Autopoiesis: Wir rufen zum Streik auf (neues Element) und bestätigen uns damit auch selbst wieder als Interessensvertreter der Arbeitnehmer. Der Unterschied zum Konzept von Parsons liegt auf der Hand: Bei Parsons wird das System statisch über die Stuktur definiert und die Stabilisierung dieser Struktur als funktionaler, dynamischer Aspekt beschrieben. Luhmann beginnt mit der Dynamik: Funktional ist für das geschlossene System die Informationsverarbeitung: das Feststellen eines identitätsstiftenden Unterschieds, auf den ein zweiter Unterschied (selbstreferentiell) bezogen wird und daraus Handlungsfähigkeit (Autopoiesis neuer Elemente) gewonnen wird. Aus den so gewachsenen selbstreferentiellen und immer wieder neu zu bestätigenden (oder zu ändernden) Informationsbeständen 'sedimentiert' Struktur – als resistenter Informationsbestand. Das setzt allerdings voraus, dass das System 'Wahlmöglichkeit' – und ein Bewusstsein über diese Möglichkeit - hat, wie es neue Information verarbeitet: 'Kontingenz' (wir streiken so oder anders oder gar nicht). Ansonsten wäre eben die kausale Notwendigkeit eines bestimmten Outputs aus einem bestimmten Input gegeben. Diese Handlungsalternativen (komplexe Unterscheidungsmuster) bezeichnet Luhmann als Sinn. Aus den jeweils getroffenen Entscheidungen ergeben sich in der Zeit beständige identitätsstiftende Muster – 'Strukturen'. 12 Resümierend zu unserem Modell: Wir haben somit in der Systemtheorie eine spezifische Ausformung des Konstruktivismus (im Modell – fasst man alle theoretischen Aussagen zusammen, dann kann man darüber streiten: Luhmann betont zum Beispiel, dass es Systeme (Organisationen, Kulturen,...) wirklich und nicht nur als Konstrukt gibt. Zumeist wird Luhmanns Systemtheorie daher als 'operativer Konstruktivismus' im Unterschied zu Foersters oder Glasersfelds 'radikalem Konstruktivismus' angesprochen): Konstruktivismus: Wenn wir die Welt an sich nicht erkennen können, dann behandeln wir unsere Erkenntnisse eben wie Erfindungen (Konstruktionen) und überprüfen, ob sie 'funktionieren' u.a. Luhmann. Systemtheorie als Sonderfall des Konstruktivismus, der nicht auf eine gegenständliche Welt, sondern auf die Relationen zwischen diesen Gegenständen (auf die Struktur) achtet – aber wieder ist das Kriterium die Funktionalität Ein paar Anmerkung zur Relationierung unserer drei Autoren zueinander: Luhmann hat zu Habermas eine große Nähe und große Distanz zugleich: eine Nähe im Thema: beide haben die Eingebundenheit des Menschen in sein soziales Umfeld zum Thema – von daher sind auch in den beiden Texten zu Verstehen viele ähnliche Ansätze feststellbar: etwa die Betonung der Bedeutung von Kommunikation für Verstehen. eine Distanz im erkenntnistheoretischen Ansatz (Habermas und Luhmann lagen hier auch über Jahrzehnte im öffentlichen Disput): Diesem Thema nähern sie sich aus entgegengesetzten Richtungen, sie schauen aus gegenüberliegenden Perspektiven aufs 13 Gleiche: Bei Habermas handeln Subjekte, indem sie mit anderen Subjekten kommunizieren und konstituieren damit gemeinsam eine soziale Einheit - bei Luhmann geschieht Kommunikation in einer sozialen Einheit als konstitutives Element dieser Einheit und stellt dabei Relationen zwischen ihren Teilen her. Buck und Habermas vertreten ein hermeneutisches Verstehensmodell, das jeder in seine Richtung weiterentwickelt hat – wobei Habermas nicht nur wie Buck auf den Gegenstandsbereich, sondern auf die implzite Logik abzielt. Luhmann hingegen ist kein Hermeneutiker, er erkennt auf erkenntnistheoretischer Ebene das gegenständliche und subjektbezogene Denken der Hermeneutiker nicht an - wobei die Hermeneutik in Vergleich zu empirischen Wissenschaften ja bereits auf 'halbem Weg' zur Systemtheorie ist: Sie kennt zumindest als Prozess (wenn auch nicht in der Logik) zirkuläre Denkprozesse, sie verweist weg vom Gegenstand auf ein Inneres, Relationierendes (Sinn als Zusammenhang) etc. (siehe unser historisch strukturiertes Theoriemodell aus letzter Lv). Das macht es Luhmann vergleichsweise leicht, den Sinnbegriff als einen zentralen in die Systemtheorie 'einzubauen'. Begründung wie auch Bezug der Zirkularität unterscheiden sich aber grundsätzlich (siehe Raster) und mit ihnen der theoretische Kontext und die Legitimation der Beschreibung von 'Verstehen'. auf Ebene des Phänomens 'Verstehen' ist Luhmann ganz nahe bei Hermeneutikern, vor allem bei Habermas, der wie er den kommunikativen Aspekt in den Mittelpunkt stellt. Hier unterscheidet sich Buck – der verstehen als Reflexion von Handeln begreift – von den beiden anderen Autoren. Bei Habermas und Luhmann tritt der Aspekt der Kommunikation in den Vordergrund, beide betonen als Soziologen den sozialen Aspekt des Verstehens und sind nicht mehr als Hermeneutiker zu betrachten: Jürgen Habermas versucht entsprechend seiner Herkunft aus der 'Frankfurter Schule' über den Aspekt rationaler Begründungen eine kritische Perspektive in die Hermeneutik einzuführen. Die 'Kritiklosigkeit' der Hermeneutik ist ihr altes Problem: Verstehen eines vorgegebenen Sinns bedeutet natürlich auch, nicht hinter diesen Sinn steigen zu können, als 'Verstehen' über keinen externen Standpunkt zur Kritik zu verfügen. Historisch-faktisch hat sich die Hermeneutik und ihre Vertreter vor allem im 3. Reich diskreditiert – als überwiegend kritiklose Ausleger nationalsozialistischen Gedankenguts (bis hin zu Heidegger). Jürgen Habermas ist somit nicht in einer Gegenposition zur Hermeneutik, sondern sucht sie aus einer modifizierten erkenntnistheoretischen Position heraus zu erweitern. 14 Niklas Luhmann steht hingegen sehr wohl in einer Gegenposition: Er beschreibt zwar das Phänomen analog zur Hermeneutik (vor allem in der kommunikativ erweiterten Position von Habermas), auf erkenntnistheoretischer Ebene lehnt er jedoch grundsätzliche Annahmen der Hermeneutik ab. Vor allem die Vorstellung des Subjekts ist dem Systemtheoretiker Luhmann suspekt (siehe zum Begriff des 'System' Skript zum 3. Termin), und er möchte das Monopol des Menschen (als einzelnes Subjekt) auf Verstehen brechen – bei Luhmann verstehen soziale Systeme (Organisationen, Institutionen, Gesellschaften) ebenso wie psychische Systeme (Menschen). Inhalte: Modelle des Verstehens Bei der Konkretisierung der Vorlesungsinhalte an den Texten haben wir letzte Stunde den theoretischen Kontext – vor allem: Systemtheorie - lange diskutiert. Dem habe ich auch Vorrang eingeräumt: Erstens weil ich prinzipiell der Diskussion Vorrang vor dem Erzählen von Inhalten einräume, die Sie auch im Skript lesen können, zweitens, weil Systemtheorie vor allem im Sozialbereich immer mehr an Relevanz gewinnt und dabei oft genug unverstanden bleibt. Die Modelle des Verstehens, die für diesen Termin ursprünglich am Menuplan standen, liefere ich Ihnen daher hier wie besprochen nach – Fragen dazu werde ich nächste Woche in der Lv vorrangig behandeln: Zunächst wieder die übliche inhaltliche Anknüpfung an das, was wir vor Weihnachten besprochen haben. Was ist Verstehen im hermeneutischen Sinn? Wir haben mit Dilthey geantwortet: Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas (Menschliches) und gleichzeitig das Erfassen seiner Bedeutung. Das heißt: Wenn ich etwas wahrnehme, erkenne ich es nicht als einen Gegenstand an sich, sondern bereits in seinem Bezug zu mir: Die Phänomenologie würde sagen: aus meiner gerichteten Intentionalität heraus, die Hermeneutik sagt: in seiner Bedeutung (zB. einen Sessel nehme ich nicht als eine Holzkonstruktion wahr, bei der ich mir im zweiten Schritt überlege, was man damit tun könnte, sondern von vornherein als Sessel.) Darin liegt auch schon das Spannungsfeld, in dem sich Verstehen bewegt: zwischen subjektiver Sinnzuschreibung und verbindlichem/objektivem Erfassen vorgegebenen Sinns. zwischen subjektiv Erlebtem– d.h. einem Verständnishorizont an den man anknüpfen kann - und faktisch / objektiver Erlebbarkeit in einem gemeinsamen – intersubjektiven - Bedeutungsfeld 15 damit sehen wir schon, was beim Verstehen geschieht: Ich verknüpfe ein Äußeres mit einem Inneren, mit meiner Vorstellung von Welt, um mich darin zu orientieren und handlungsfähig zu sein. In unserem Modell – d.h. in seiner erkenntnistheoretischen Dimension - entspricht das in etwa folgendem Bild: Hier sehen wir Beschränktheit auch der die erkenntnistheoretische Hermeneutik: Sinn haben Gegenstände, soweit sie ein Mensch auf sich bezieht, Sinn zuweist – d.h. wir sprechen in der Hermeneutik immer nur von der Welt, soweit sie den Menschen betrifft (also von der linken Seite der Skizze bis hin zum Kantschen 'Filter' des Erkenntnisvermögens – das entspricht auch dem phänomenologischen Ansatz, dass wir nicht die Welt an sich, sondern Phänomene, also bereits subjektive Repräsentanzen der Welt thematisieren)., im Erfassen von Sinn sprechen wir nur von menschlichen Handlungen und Handlungsprodukten. Warum – weil wir hier auf die Zirkularität des sich selbst bewussten Menschen treffen. Dem können wir natürlich den dynamischen Aspekt hinzufügen: Wenn ich jetzt wieder auf diesen Gegenstand treffe, hat sich dadurch – und durch alles Mögliche, was ich sonst noch erlebt habe, meine innere Vorstellung von Welt verändert; nachdem ich den Gegenstand immer bereits in seiner Bedeutung erkenne, ist er für mich auch etwas anderes und verlangt eine neue Orientierung. Verstehen hat somit keinen Anfang und kein Ende. Das ist der hermeneutische Zirkel in seiner theoretischen Dimension. Wie kann aber der vorgegebene Sinn eines Anderen verstanden werden – wenn man dessen subjektive Sinnkontexte nicht erlebt hat? Auf der konkrete 'individuellen' Vermittlung, Kommunikation vor (aber Ebene durch allem durch auch die 'Selbstdarstellung des Handelns' bei Buck) – um aber kommunizieren zu können und um auch dort verstehen zu können, wo ich nicht mit dem 'Schöpfer' einer Bedeutung 16 kommunizieren kann, muss ich auf eine gemeinsame Basis zurückgreifen, in der Erleben eben nicht bloß individuell, sondern gemeinsam ist bzw. durch den selben Faktor geformt ist. Eine derartige Basis findet sich in jedem hermeneutischen Modell, am bekanntesten ist die Vorstellung des 'objektiven Geistes' bei Dilthey (nach Hegel), eine 'Sphäre der Gemeinsamkeit', die für jeden verbindlich ist, weil sie vorgegeben ist, weil jeder an ihr Anteil hat, ohne über sie verfügen zu können. Jeder Gedanke wird in einer bestimmten Sprache gedacht, jede Handlung ist in gemeinsame Konventionen eingebunden, jede Beziehung stützt sich auf eine gemeinsame Weltsicht und einen Komplex gemeinsamer Selbstverständlichkeiten. Diese gemeinsame Sphäre, die das Verstehen sichert, die ein verbindendes, unhintergehbares Drittes zwischen zwei Subjekten ist, ist kulturell und historisch geformt. Diese Notwendigkeiten, zwischen Formen des objektiven Geistes zu übersetzen, ist aber nicht der einzige Grund, dass keine Allgemeingültigkeit der Verbindlichkeit des Verstehens behauptet werden kann. Ein zweiter ist, dass die Sinnzuschreibungen und Sinndeutungen jedes Menschen zwar in den objektiven Geist hineinreichen, aber sich nicht darin erschöpfen. Es bleibt immer eine Individualität des Verständnisses, die dafür verantwortlich ist, dass eine bedeutungsvolle Äußerung nie ganz und nie genau gleich verstanden werden kann. Dieser unterschiedliche Anteil im Verstehen wird als hermeneutische Differenz bezeichnet. Die hermeneutische Differenz ist nie zur Gänze überwindbar, zugleich ist es Anspruch der Hermeneutik, sie durch Bezug auf einen übergeordneten, gemeinsamen Sinneszusammenhang möglichst aufzuheben –bis hin zur Vorstellung, dass der Interpret den Text besser versteht als der Autor ( Buck). Das ist eines der Grundbilder der Hermeneutik, das wir mit verschiedenen Bezeichnungen in unterschiedlichen Modellen des Verstehens vorfinden. In dieses Bild ist auch noch einmal der hermeneutische Zirkel mitgedacht: In seiner zweiten Form als Methode des wechselseitigen Bezugs von Allgemeinem (Kultur/objektiver Geist) und Besonderem (individuelle Kommunikation) aufeinander: Ohne Kommunikation ist keine Kultur, ohne Kultur keine Kommunikation vermittelbar. Im wechselseitigen Bezug entwickelt sich Verstehen (auf konkreter Ebene der Textinterpretation meint das auch den Bezug von Gesamttext und Detail aufeinander). Damit sind wir bereits bei der Hermeneutik als Lehre vom Verstehen: Was wir bis hierher besprochen haben, ist das Skelett des gemeinsamen Fundaments der Hermeneutik – für unsere Zwecke haben wir es auf diese zwei Grundbilder - hermeneutischer Zirkel und hermeneutische Differenz – zugespitzt. Ansonsten ist die Hermeneutik - wie auch wenige 17 Paradigmen – natürlich auch kein homogenes Dogma. Anhand der beiden Bilder können wir die Unterschiede zwischen den Modellen schön herausarbeiten und erhalten wir dabei quasi als wesentliches Nebenprodukt die Prioritäten der Autoren – die Unterschiede in den Modellen folgen dem, was den einzelnen Autoren wichtig ist. Innerhalb der Hermeneutik haben wir 3 Modelle des Verstehens besprochen: Schleiermacher Dilthey Gadamer allg. Methode der Textinterpretation allgemeine Methode der Geisteswissenschaften Daseins-auslegung / Zurückdrängung des TechnischMethodischen Voraussetzung Sprachgemeinschaft objektiver Geist wirkungsgeschichtliches Bewusstein Gegenstand Text Sinnobjektivationen/ Kulturphänomene Dasein / Sinnobjektivationen Formen grammatisches V psychologisches V elementares V höheres V nicht wiss.-methodisch orientiert Perspektive des psychologischen V.: komparativ (aufs Allgemeine) Sinn-v. (aufs Allgemeine) nicht wiss.-methodisch orientiert Interesse psychologisch (aufs Besondere) divinatorisch (aufs Besondere) Betonung Balance im Zirkel Allgemeines- des Allgemeinen im Zirkel Besonderes Allgemeines-Besonderes des Besonderen im Zirkel Allgemeines-Besonderes Modell V als Reproduktion V als Wiederfinden V als Begegnung Sinngehalt SinnAutor SinnAutor SinnInterpret SinnInterpret SinnAutor SinnInterpret Analog haben wir einen Raster für die Modelle unserer Autoren erarbeitet. Dazu zwei Anmerkungen: Dieses Tabelle hat nicht den gleichen Anspruch wie die vorige – Wir haben nur einen kurzen Text, nicht den Querschnitt aus dem Lebenswerk, als Grundlage zur Verfügung – wir können daher einiges nicht oder nur als Vermutung eintragen Bei allen 3 Texten – vor allem Habermas - sollte man diesen Raster zweimal ausfüllen, denn sie beziehen sich auf zwei Ebenen: o die des Verstehens als Phänomen und o auf die der Lehre des Verstehens – v.a. die Hermeneutik – und ihren Status in der Wissenschaft. 18 Interesse Voraussetzung Buck Habermas Luhmann Erweiterung auf Handlungshermeneutik Objektivität des Verstehens Einführung/Neudeutung des Phänomens in Systemtheorie Praxis, Lebenswelt Rationalität, intersubjektive Lebenswelt Analogie der Funktionen und Prozesse von Systemen Kommunikation Selbstreferentialität / Sinn (nicht vorgegeben/überschneidend Kommunikation für richtiges V Selbstdarstellung des Handelns Wissenschaftlichkeit/ Nützlichkeit der Hermeneutik für Sozialwissenschaft performativer Sprachgebrauch Gegenstand Handeln – paradigmatisch: Sprechen Formen Explikatives V (von implizitem kommunikatives V Sinn) kritisches V beobachtendes V (im Hinblick auf Selbstreferentialität) Perspektive je nach implizitem Sinn auf beides?(Allgemeines u. Besonderes) Teilnahme /Kontextbezug /Normativität aufs Besondere Analogie (auf Einheit) Betonung ? des Allgemeinen Modell V als Reflexion V als rationale Rekonstruktion V als Beobachtung Sinngehalt SinnAutor SinnAutor SinnAutor theor. Kontext Phänomenologie SinnInterpret Bedeutungsobjektivation – paradigmatisch: Sprechen Systeme Beobachtung (auf Differenz) Rationalität (aufs Allgemeine) SinnInterpret SinnInterpret Kritische Theorie/komm Handeln Systemtheorie Autor/Interpret Subjekt Subjekte in Kommunikation System Verhältnis H Erweiterung zu Kritik erkenntnistheoretisch Vertreter – erweiternd zu Handlungshermeneutik Gegenposition Wir haben schon bei den drei 'klassischen' Autoren eine zunehmende Stärkung des Interpreten festgestellt (von bloßer Reduktion von Sinn zur Begegnung im Verstehen). Diese setzt sich in der Position Günther Bucks fort, in dessen Text wir ein 4. Modell des Verstehensprozesses kennenlernen (wissenschaftshistorisch bei weitem nicht so wesentlich – aber exemplarisch für einen Entwicklungsstrang in der Nachfolge Gadamers): 'Verstehen' vollzieht sich hier als Reflexion des sich in einer Handlung darstellenden Sinnes. Diese Darstellung geht über den bewussten 'Zweck'/'Grund' zu Handeln, wie er dem Handelnden bewusst ist, hinaus – verstehen ist Explikation von implizitem Sinn einer Handlung und ihrer Produkte (das inkludiert auch Sprache und Texte). Der Interpretierende versteht in diesem Sinne mehr als der Handelnde, der, um handeln zu können, 'Sinnvolles' zugunsten des Handlungszieles unbewusst lässt (Sprache zugunsten des ausgesprochenen Inhalts). 19 d.h. natürlich nicht, dass man das, was explizit gesagt/ getan wird, ignoriert – aber Interpretation beschränkt sich eben nicht darauf: die eigentlich interpretatorische Leistung ist, das auszudrücken, was eben nicht schon offensichtlich dasteht/ausgedrückt ist! Das ist der Grund, warum bei derartigen Lvs (z.B. bei mir) Arbeiten, die sich auf Inhaltsangabe beschränken, nicht als Interpretation im Sinne einer Verstehensleistung anerkannt werden. Bei Habermas und Luhmann tritt der Aspekt der Kommunikation in den Vordergrund (der bei Buck nicht thematisiert wird), beide betonen als Soziologen den sozialen Aspekt des Verstehens und sind nicht mehr (nur) als Hermeneutiker zu betrachten: Jürgen Habermas versucht entsprechend seiner Herkunft aus der 'Frankfurter Schule' über den Aspekt rationaler Begründungen eine kritische Perspektive in die Hermeneutik einzuführen. Die 'Kritiklosigkeit' der Hermeneutik ist ihr altes Problem: Verstehen eines vorgegebenen Sinns bedeutet natürlich auch, nicht hinter diesen Sinn steigen zu können, als 'Verstehen' über keinen externen Standpunkt zur Kritik zu verfügen. Historisch-faktisch hat sich die Hermeneutik und ihre Vertreter vor allem im 3. Reich diskreditiert – als überwiegend kritiklose Ausleger nationalsozialistischen Gedankenguts (bis hin zu Heidegger). Jürgen Habermas ist somit nicht in einer Gegenposition zur Hermeneutik, sondern sucht sie aus einer modifizierten erkenntnistheoretischen Position heraus zu erweitern. Niklas Luhmann steht hingegen sehr wohl in einer Gegenposition: Er beschreibt zwar das Phänomen analog zur Hermeneutik (vor allem in der kommunikativ erweiterten Position von Habermas), auf erkenntnistheoretischer Ebene lehnt er jedoch grundsätzliche Annahmen der Hermeneutik ab. Vor allem die Vorstellung des Subjekts ist dem Systemtheoretiker Luhmann suspekt (siehe zum Begriff des 'System' Skript zum 12. Termin), und er möchte das Monopol des Menschen (als einzelnes Subjekt) auf Verstehen brechen – bei Luhmann verstehen soziale Systeme (Organisationen, Institutionen, Gesellschaften) ebenso wie psychische Systeme (Menschen). Zusammenschau Verstehen Das Folgende ist im Prinzip eine Wiederholung von bereits Besprochenem mit besonderer Beachtung der Positionen der von uns besprochenen Autoren zu Kernaspekten des Phänomens 'Verstehen' in hermeneutischer Deutung. "Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas (Menschliches) und gleichzeitig das Erfassen seiner Bedeutung" (Dilthey) Findet sich dieses 'Bild', diese Annahme auch bei unseren Autoren? 20 Buck: JA Habermas: JA Luhmann: JEIN - Verstehen können selbstreferentielle Systeme: Deren 'Träger' sind zwar Menschen, aber darauf kommt es nicht an – das System versteht (eine Gesellschaft – nicht 'nur' ihre Mitglieder) Allerdings könnte man eine ganz ähnliche (analoge) Definition finden, die die Systemtheorie akzeptieren würde: Verstehen ist das Beobachten von etwas als kontingent (systemrelativ) in Bezug auf seinen Sinn. Gegensatz: verstehen – erklären Verstehen zielt auf Sinn, Bedeutung, erklären dagegen ist das Herleiten von Tat-sachen aus Ur-sachen, das Ableiten einer Gegebenheit von einem Prinzip, Gesetz. Buck: JA – Verstehen ist Explikation impliziten Sinns Habermas: JA - explizit im Beispiel der Laute Luhmann: : JA - explizit im Beispiel der Knöpfe Gegensatz Sinn 'erzeugen'/'zuschreiben' – Sinn erfassen subjektiv - objektiv erlebensorientiert - erlebbar Inneres - Äußeres Buck: JA Habermas: JA Luhmann: : JA – mit einer Einschränkung: der Begriff des Subjektiven findet sich nicht bei Luhmann (er wird teilweise durch Systemrelativität und die Funktionsbeschreibungen 'autopoietisch' und 'selbstreferentiell' ersetzt). Diese Vermeidung des Subjektiven zeichnet Luhmann als Gegenpol zur Hermeneutik aus. 2. Wie geschieht Verstehen? Auslöser bewussten Verstehen ist die Störung eines 'selbstverständlichen' Kontextes (Dilthey) Buck: JA – in einer Variation: Verstehen ist Bewusstmachung eines im Handeln 'selbstverständlichen' Sinns – wodurch auch immer ausgelöst 21 Habermas: JA Luhmann: JA Vorgang des Verstehens – Modelle des Verstehens Es existieren verschiedene Vorstellungen, auf welche Weise Verstehen geschieht: Schleiermacher: dadurch, dass die Perspektive des Anderen eingenommen wird – bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist der des Autors: S S Dilthey: dadurch, dass das eigene Erleben im Anderen wiedergefunden wird , nachbilden bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist wieder v.a. der des Autors: S S Gadamer: dadurch, dass man sich vom Anderen (und vom Sinngehalt seiner Handlung) ansprechen lässt, dass man dem Anderen 'begegnet' bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist eine 'Begegnung zweier Sinnzuschreibungen, d.h. steht 'zwischen' Autor und Interpreten S S Habermas: dadurch, dass man mit dem Anderen kommuniziert (zumindest vorgestellt) bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist 'Austausch' zweier Sinnzuschreibungen (mit Gründen in Absicht einer Einigung) , d.h. steht 'zwischen' Autor und Interpreten S S Luhmann: wieder dadurch, dass man mit dem anderen (System) kommuniziert bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist 'Austausch' zweier Sinnzuschreibungen, d.h. steht 'zwischen' Autor und Interpreten S S Buck: dadurch, dass impliziter Sinn reflektiert und damit bewusst gemacht wird bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist Reflexionsleistung Interpreten – auf Basis des Erkennens impliziter Sinnzusammenhänge – er ist beim Interpreten lokalisiert S S 22 Bei allen vorgestellten Modellen wird Verstehen als ein prinzipiell nicht abschließbarer zirkulärer Prozess (der Kommunikation Hermeneutikern (Schleiermacher, hermeneutischer Zirkel, bei / Reflexion Dilthey, Luhmann als etc.) Gadamer, zirkulärer beschrieben: Buck, bei den Habermas) als Referenzprozess (nicht als hermeneutischer Zirkel, weil kein Subjekt daran beteiligt ist!) Wie ist Verstehen möglich? • individuell • allgemein - kulturell Durch einen gemeinsamen Verständnishorizont – weil wir nicht alles neu erfinden, sondern auf gemeinsame Kultur und Geschichte (Sprache, Traditionen etc.) zurückgreifen – eine 'Sphäre der Gemeinsamkeit' Hegels Begriff des 'objektiven Geistes'. • allgemein - funktional Durch Vorstellungen Verstehen zugrunde gleicher/gemeinsamer liegen Fähigkeiten/'Funktionsweisen', (Reflexionsfähigkeit des die Subjekts/Selbstreferentialität dem des Systems) Buck: JA Habermas: JA Luhmann: JA – allerdings ist das Gemeinsame, das Verstehen ermöglicht, bei Luhmann schlicht die Funktionsgleichheit selbstreferentieller Systeme – ein System versteht ein anderes, weil es genauso selbstreferentiell agiert wie das beobachtete. Vollkommenes Verstehen und hermeneutische Differenz Es bleibt aber immer auch eine Individualität des Verständnisses, die dafür verantwortlich ist, dass eine bedeutungsvolle Äußerung nie ganz und nie genau gleich verstanden werden kann. Die hermeneutische Differenz ist nie zur Gänze überwindbar, zugleich ist es Anspruch der Hermeneutik, sie durch Bezug auf einen übergeordneten, gemeinsamen Sinneszusammenhang möglichst aufzuheben. Buck: JA – durch die bewusste Reflexion des Impliziten kann der Interpret den Autor allerdings sogar besser verstehen als dieser sich selbst (solange der Autor nicht selbstaufklärend auch eigenes Handeln reflektierend interpretiert - d.h. ein Gegenbild der hermeneutischen Differenz), allerdings versteht er dabei etwas Anderes als der Autor, nie genau dasselbe. 23 Habermas: JA Luhmann: JA – allerdings wieder in nicht-hermeneutischem Vokabular. Insgesamt sehen wir also weitgehende Gemeinsamkeiten der Autoren in Ihrem Verständnis von 'Verstehen'. Wichtig sind vor allem folgende Differenzierungen: o Buck und Habermas vertreten ein hermeneutisches Verstehensmodell, das jeder in seine Richtung weiterentwickelt hat. Luhmann hingegen ist kein Hermeneutiker, er erkennt auf erkenntnistheoretischer Ebene das gegenständliche und subjektbezogene Denken der Hermeneutiker nicht an wobei die Hermeneutik in Vergleich zu empirischen Wissenschaften ja bereits auf 'halbem Weg' zur Systemtheorie ist: Sie kennt zumindest als Prozess (wenn auch nicht in der Logik) zirkuläre Denkprozesse, sie verweist weg vom Gegenstand auf ein Inneres, Relationierendes (Sinn als Zusammenhang) etc.. Das macht es Luhmann vergleichsweise leicht, den Sinnbegriff als einen zentralen in die Systemtheorie 'einzubauen'. o auf Ebene des Phänomens 'Verstehen' ist Luhmann ganz nahe bei Hermeneutikern, vor allem bei Habermas, der wie er den kommunikativen Aspekt in den Mittelpunkt stellt. Hier unterscheidet sich Buck – der verstehen als Reflexion von Handeln begreift – von den beiden anderen Autoren. 24