Vorlesung 3: Erwartungsnutzen Georg Nöldeke Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Basel Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 1/15 3.1 Modellrahmen Wie im vorhergehenden Kapitel: Endliche Menge von Ergebnissen X = {x1 , x2 , · · · , xn } mit n ≥ 2 und x1 < x2 · · · < xn . Menge der Lotterien über X ist ∆. Rationale Präferenzrelation auf der Menge der Lotterien. Präferenzrelatiion wird als stetig und monoton unterstellt. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 2/15 3.2 Erwartungsnutzendarstellung Definition (Erwartungsnutzendarstellung) Eine Präferenzrelation auf ∆ besitzt eine Erwartungsnutzendarstellung, wenn es eine Funktion u : X → R gibt, so dass n U(p) = ∑ pi u(xi ) i=1 die Präferenzrelation darstellt. Man sagt auch: Die Bernoulli-Nutzenfunktion u stellt die Präferenzrelation dar. Interpretation: Die Bernoulli-Nutzenfunktion u ordnet jedem Ergebnis eine Nutzenbewertung so zu, dass sich der Nutzen einer Lotterie als Erwartungswert dieser Nutzenbewertungen berechnen lässt. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 3/15 3.2 Erwartungsnutzendarstellung In ökonomischen Modellen wird fast durchweg angenommen, dass Präferenzrelationen über Lotterien eine Erwartungsnutzendarstellung besitzen. Spieltheorie, Finanzmarkttheorie, Versicherungsökonomie ... Zwei Beispiele für Erwartungsnutzendarstellungen haben wir bereits gesehen: Bewertung der Ergebnisse durch die Bernoulli-Nutzenfunktion u(x) = x. Bewertung der Ergebnisse durch die Bernoulli-Nutzenfunktion u(x) = ln(x). Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 4/15 3.2 Erwartungsnutzendarstellung Beachte: Jede Präferenzrelation auf ∆, die eine Erwartungsnutzendarstellung besitzt ist stetig. Das liegt daran, dass wir X als endlich unterstellt haben. Eine Präferenzrelation , die durch eine Bernoulli-Nutzenfunktion u dargestellt wird, ist genau dann monoton, wenn u : X → R streng steigend ist. Wie beweist man das? Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 5/15 3.2 Erwartungsnutzendarstellung Die wesentliche Eigenschaft einer Erwartungsnutzendarstellung ist, dass die Nutzenfunktion U(p) linear in den Wahrscheinlichkeiten ist. In Machina-Dreieck bedeutet dies, dass die Indifferenzkurven parallele Geraden sind. Allgemeine Gleichung für eine Indifferenzkurve im Machina-Dreieck: U(p1 , 1 − p1 − p2 , p3 ) = k Im Falle einer Erwartungsnutzendarstellung mit Bernoulli-Nutzenfunktion u: p1 u(x1 ) + (1 − p1 − p3 )u(x2 ) + p3 u(x3 ) = k ⇔ p3 [u(x3 ) − u(x2 )] − p1 [u(x2 ) − u(x1 )] = k − u(x2 ) ⇔ p3 = Entscheidung VL 2, FS 12 u(x2 ) − u(x1 ) k − u(x2 ) + p1 . u(x3 ) − u(x2 ) u(x3 ) − u(x2 ) Erwartungsnutzen 6/15 3.3 Fragen Welche Eigenschaften von sichern, dass es eine Erwartungsnutzendarstellung gibt? → Rest dieses Kapitels. Wie lassen sich die Eigenschaften der Bernoulli-Nutzenfunktion in einer solchen Erwartungsnutzendarstellung interpretieren? → Kapitel 4. Wie sieht es mit der empirischen Evidenz aus? → Kapitel 5. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 7/15 3.4 Das Unabhängigkeitsaxiom Definition (Unabhängigkeitsaxiom) Die Präferenzrelation auf ∆ erfüllt das Unabhängigkeitsaxiom, wenn für alle p, q, r ∈ ∆ und α ∈ (0, 1) gilt: p q ⇒ α p + (1 − α)r αq + (1 − α)r Was soll das bedeuten? Zieht man eine Lotterie p einer Lotterie q vor, so sollte diese Präferenz erhalten bleiben, wenn man beide dieser Lotterien mit der gleichen Wahrscheinlichkeit α mit der gleichen anderen Lotterie r mischt. Ist das plausibel? Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 8/15 3.5 Das Erwartungsnutzentheorem John von Neumann (1903-1957) Entscheidung VL 2, FS 12 Oskar Morgenstern (1902-1976) Erwartungsnutzen 9/15 3.5 Das Erwartungsnutzentheorem Theorem (Erwartungsnutzentheorem) Eine rationale und stetige Präferenzrelation auf ∆ kann genau dann durch eine Bernoulli-Nutzenfunktion u dargestellt werden, wenn das Unabhängigkeitsaxiom erfüllt. Die eine Richtung des Beweis (Erwartungsnutzendarstellung impliziert Unabhängigkeitsaxiom) ist einfach. Die andere Richtung (Unabhängigkeitsaxiom impliziert Erwartungsnutzendarstellung) ist schwerer . . . . und wir werden daher nur den Fall einer monotonen Präferenzrelation auf einer Menge von monetären Lotterien mit n = 3 betrachten. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 10/15 3.5 Das Erwartungsnutzentheorem Erwartungsnutzendarstellung impliziert Unabhängigkeitsaxiom: p q ⇒ ∑ pi u(xi ) ≥ ∑ qi u(xi ) i i ⇒ α ∑ pi u(xi ) ≥ α ∑ qi u(xi ) i i ⇒ α ∑ pi u(xi ) + (1 − α) ∑ ri u(xi ) ≥ α ∑ qi u(xi ) + (1 − α) ∑ ri u(xi ) i i i i ⇒ ∑[α pi + (1 − α)ri ]u(xi ) ≥ ∑[αqi + (1 − α)ri ]u(xi )] i i ⇒ α p + (1 − α)r αq + (1 − α)r. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 11/15 3.5 Das Erwartungsnutzentheorem Unabhängigkeitsaxiom impliziert Erwartungsnutzendarstellung: Betrachte den Fall n = 3 und unterstelle Monotonie von . Es genügt zu zeigen, dass die Indifferenzkurven im Machina-Dreieck parallele Geraden sind. 1. Stetigkeit und Monotonie implizieren, dass man zu jeder Lotterie p eine eindeutige Lotterie q mit q2 = 0 finden kann, so dass p ∼ q gilt. 2. Betrachte p ∼ q mit q2 = 0 und wende das Unabhängigkeitsaxiom mit r = p an. Man erhält: p ∼ q ⇒ p ∼ αq + (1 − α)p. Dies bedeutet, dass alle Indifferenzkurven Geraden sind. 3. Betrachte zwei beliebige unterschiedliche Indifferenzkurven. Auf diesen lassen sich Lotterien p0 p und α ∗ ∈ (0, 1) finden, so dass p0 = α ∗ p + (1 − α ∗ )e3 gilt. Betrachte ein beliebiges q ∼ p und wende das Unabhängigkeitsaxiom mit α = α ∗ und r = e3 an. Für q0 = α ∗ q + (1 − α ∗ )e3 folgt p0 ∼ q0 . Da die Strecke zwischen p und q parallel zu der Strecke zwischen p0 und q0 ist, folgt, dass alle Indifferenzkurven parallel sind. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 12/15 3.6 Kardinalität der Bernoulli-Nutzenfunktion Für eine Erwartungsnutzendarstellung U einer Präferenzrelation gilt (wie üblich), dass auch jede monotone Transformation V von U die Präferenzrelation darstellt. Allerdings liefert nicht jede solche monotone Transformation eine Erwartungsnutzendarstellung. Satz (Kardinalität der Bernoulli-Nutzenfunktion) Sei durch die Bernoulli-Nutzenfunktion u dargestellt. Dann gilt: wird genau dann auch durch die Bernoulli-Nutzenfunktion v dargestellt, wenn es Zahlen a und b > 0 gibt, so dass gilt: v(xi ) = a + bu(xi ) für alle i = 1, · · · , n. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 13/15 3.6 Kardinalität der Bernoulli-Nutzenfunktion Um diesen Satz zu zeigen, muss man zwei Argumente führen: 1. Wenn der angegebene Zusammenhang zwischen u und v besteht, dann stellen beide Bernoulli-Nutzenfunktionen die gleiche Präferenzrelation dar. (Das ist einfach zu zeigen.) 2. Wenn u und v die gleiche Präferenzrelation darstellen, dann muss es Zahlen a und b geben, so dass der genannte Zusammenhang besteht. (Ein wenig schwieriger zu zeigen.) Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 14/15 3.6 Kardinalität der Bernoulli-Nutzenfunktion Besitzt eine monotone Präferenzrelation eine Erwartungsnutzendarstellung, so kann man gemäss des Satzes stets u(x1 ) = 0 und u(xn ) = 1 wählen. Die Nutzenbewertungen u(xi ) aller anderen Ergebnisse sind dann durch die Präferenzrelation eindeutig bestimmt . . . und haben eine einfache Interpretation: u(xi ) ist die Lösung der Indifferenzbedingung ei ∼ u(xi )en + (1 − u(xi ))e1 . Wichtig: Die Nutzenbewertung der Ergebnisse in einer Bernoulli-Nutzenfunktion beschreiben also nicht lediglich eine Präferenzrelation über diese Ergebnisse, sondern enthalten zusätzliche Information über Entscheidungen bei Risiko. Entscheidung VL 2, FS 12 Erwartungsnutzen 15/15