Predigt: Reformationssonntag 2.11.08 – Mt 10,26-33 Heute am Reformationssonntag, liegt es nahe, zurück zu schauen auf die Anfänge unserer evangelischen Kirche. Der Blick richtet sich dabei schnell auf die Grossen der Geschichte: auf Martin Luther Zwingli, Calvin, dessen 500. Geburtstag dies Jahr gefeiert wird, und andere bedeutende Personen des reformatorischen Aufbruchs. Viele, die noch heute aufgrund ihrer damaligen Taten berühmt sind, waren in jener Zeit sehr umstritten. Sie brachten aber den Mut auf, eine eigene Meinung zu vertreten. Wir erinnern uns an die berühmt gewordenen Worte Martin Luthers auf dem Reichstag zu Worms: „ Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Wuchtig und trotzig klingen diese Worte, so, als habe keine Angst diese Überzeugung erschüttert. Aber: so war es nicht. Durch schwere persönliche Krisen, tiefe Zweifel und Verzweiflung hindurch hat Luther schliesslich die Überzeugung gewonnen. Was ich bin, ist Gottes Geschenk. Und dafür hat er und all die anderen viele Unannehmlichkeiten in Kauf genommen und die Ablehnung vieler Zeitgenossen. Woher nahmen Luther und andere den Mut und die Energie, das alles zu tun? Der Predigttext, den ich für den heutigen Sonntag ausgewählt habe, zeigt uns, was Menschen genügend Halt gibt, auch schwierige Situationen durch zu stehen und die eigene Überzeugung nicht aufzugeben. Es sind Worte, die Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern mit auf den Weg gibt, als er sie in kleinen Gruppen losschickt zu predigen. Mt. 10,26-33 1 Jesus stärkt mit diesen Worten seine Jüngerinnen und Jünger. Zum einen ermutigt er sie, ihrer eigenen Erfahrung zu vertrauen. Das, was sie erlebt haben, was in ihrem Innersten verborgen ist und was sie sich vielleicht gar nicht laut zu sagen trauen – das sollen sie nun öffentlich verkünden. „Was ich euch im Dunklen sage, das sagt im Licht (davon redet am hellen Tag)“. Was ist das, was Gott, was Jesus zu Menschen im Dunklen sagt? Wir erleben das wohl unterschiedlich. Es können Gedanken sein und Überzeugungen, die wir im Innersten hegen. Manchmal leise Ahnungen. Vielleicht Träume, die uns mit der Wahrheit unseres Lebens konfrontieren. Ein Moment des Innehaltens. Eine Situation, die uns anrührt, bewegt. Zu manchen Zeiten sind wir empfänglicher dafür, in anderen eher nicht. Im Leben der meisten Menschen gibt es solche verborgenen Gedanken und Gefühle. Mag sein, es ist uns peinlich, sie auszusprechen – wir reden nicht über solche Dinge, die in unserem Innersten geschehen. Vielleicht wissen oder ahnen wir auch, dass wir damit nur auf Ablehnung oder Unverständnis stossen. Da sind wir verletzlich. 2 Und manchmal finden wir einfach keine Worte dafür. So unsagbar oder unglaublich erscheint das, was mir da geschieht. Aber doch geschieht es. In jedem Fall sind die Worte Jesu eine Ermutigung, zu diesen Gefühlen und Überzeugungen zu stehen, unsere innersten Gedanken ans Licht zu bringen, sie auszusprechen. „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts verborgen, was nicht bekannt wird. Was ist euch im Dunklen sage, davon redet am hellen Tag, Und was ihr ins Ohr geflüstert bekommt, das ruft aus auf den Dächern.“ Und dann geht es weiter: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.“ Also wir Menschen haben eine Seele, die man nicht so leicht zerstören kann. Es ist ja oft gerade das Verborgene, Versteckte, Dunkle von uns, das unsere Seele ausmacht. Seele kommt vom deutschen Wort See. See- le: ein kleiner See. Und wie den See eine Oberfläche und noch viel mehr Verborgenes unter der Oberfläche ausmachen, so unsere Seele. Der grösste Teil ist im Dunklen und doch macht dieser dunkle Teil uns aus. Da unten wird uns etwas zugeflüstert, wovon wir am hellen Tag reden sollen. Solange diese Seele gesund ist, solange können uns auch körperliche Einschränkungen, Verletzungen nicht eigentlich von unserem Auftrag abhalten. Und der Auftrag heisst: zu dem öffentlich zu stehen, was in unserem Innersten sich Gehör verschaffen will. Da geht es um Taten. Mutige Taten, die sich gegen das auflehnen, wie es halt so ist. Da geht es gegen unsere Bequemlichkeit. 3 Christa Wolf zitiert in ihrem Buch: `Der Schatten eines Traumes` Bettina von Arnim: „Kämen die Taten und überflügelten unsere Sehnsucht, dass wir nicht immer ans Herz schlagen müssten, über den trägen Lebensgang… das wäre die wahre Gesundheit, und wir würden dann scheiden lernen von dem, was wir lieben, und würden lernen die Welt bauen, und das würde die Tiefen der Seele beglücken. So müsste es sein, denn es ist viel Arbeit in der Welt, mir zum wenigsten deucht nichts am rechten Platz.“ Das Bild von der Seele macht deutlich: es gibt eine Dimension meines Seins, die sich dem menschlichen Zugriff entzieht. Und mit dem Beispiel von den Spatzen und den Haaren, die jeweils so viel kleiner sind als der Mensch selbst, wird deutlich: In allem was geschieht, wie schlimm es auch sein mag, wirkt doch Gott und ist nicht abwesend. Gott erscheint hier wie ein geheimer, innerer Zusammenhang der Welt und ihrer Geschichte oder auch wie der rote Faden, der die Dinge durchwebt. Eichendorff hat das mit den schönen Worten ausgedrückt: Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort. Der Predigttext benennt eine Erfahrung innerer Gewissheit, die wohl viele so nicht benennen können und die doch gelegentlich aufscheint. Vieles, was in dieser Hinsicht geschieht, behalten wir lieber für uns selbst. Und oft zweifeln wir ja auch an der eigenen, inneren Wahrnehmung. 4 Der Text aber fordert uns auf, es gerade nicht für uns zu behalten, sondern die Zweifel zu überwinden und solche Erfahrungen miteinander zu teilen. Das heisst auch, zu diesen inneren Erfahrungen zu stehen. Dazu Beispiel: Ich erlebe oft, dass vor allem ältere Frauen sagen: ich trau mich nicht, wenn es darum geht öffentlich zu einer wichtigen inneren Erfahrung oder Überzeugung zu stehen. So sagte neulich eine ältere Frau zu mir: „Die jungen Frauen sind in vielen Dingen viel selbstbewusster als wir Alten und lassen sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Aber gegenüber ihren Kindern sind sie anscheinend gar nicht selbstbewusst und lassen sich alles gefallen, schon wenn die Kinder ganz klein sind. Ich habe das Gefühl, das ist nicht in Ordnung. Aber ich traue mich nicht, meiner Tochter das zu sagen.“ Vielleicht wäre es für die Tochter hilfreich einmal diese Erfahrung ihrer Mutter zu hören. Ja, sie sollte davon mit ihr reden. Wenn ich von etwas zuinnerst überzeugt bin, dann habe ich den Auftrag das anderen mitzuteilen. Und wo das geschieht, liebe Gemeinde, wo wir uns zu Gefühlen bekennen und zu unseren Erfahrungen stehen, da werden wir auch erleben, das uns das stärkt. Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Wir werden selbstsicherer und wir gewinnen Zutrauen in unser Innerstes. Wir lernen, dem zu trauen, was wir im Verborgenen, in der Dunkelheit der Nacht erfahren und erleben. Und das wiederum lässt uns mutiger werden nach aussen. 5 Und dann kann ich loslassen Was ich nicht tragen kann Was mich erdrückt und klein macht. Zulassen Was mich stärkt Was mich kräftigt Und mir die Richtung gibt. Offen lassen Was ich nicht klären kann, was noch im Dunklen liegt und noch nicht an der Zeit ist. Freilassen Mich selbst Das Leben in mir. Der Reformationssonntag 2008 und das Gedenken an die grossen Personen in der Geschichte unserer evangelischen Kirche – das hält uns vor Augen, wozu wie in der Lage sind, wenn wir uns ein Herz fassen. Und das gilt für jede und jeden von uns - nicht nur für die Grossen der Geschichte. Amen 6