I. Zulässigkeit der Klage

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Dr. Gregor Bachmann
Sommersemester 2002
Universitätsrepetitorium Vertragliche Schuldverhältnisse
Fall 5: "Doppelt bezahlen ?"
Der Passauer Schlüsselhersteller Schließer GmbH (S) möchte eine neue Produktionsstätte eröffnen, die im Juli den Betrieb aufnehmen soll. Zu diesem Zweck bestellt S Anfang
März bei dem Münchner Maschinenhändler Machinek AG (M) zwei Schlüsselprägemaschinen. Für die erste Maschine "Typ X", ein serienmäßig hergestelltes Gerät, wird ein Preis von
€ 2.000 vereinbart. Sie soll "in der 16. Kalenderwoche" geliefert werden. Bei der zweiten, für
€ 6.000 veräußerten Maschine handelt es sich um eine aufwändige Spezialanfertigung vom
"Typ Y", die M ihrerseits bei der darauf spezialisierten Weinbeißer-AG (W) in Würzburg
bestellen muss. Um Zeit zu sparen, einigen sich S und M darauf, dass die zweite Maschine
direkt von W an S geliefert werden soll. Diese Lieferung soll "spätestens Ende Juni" erfolgen.
Einige Zeit später gerät bei M aus unaufgeklärten Gründen der Betrieb ins Stocken, so
dass "Typ X" nicht termingerecht an S ausgeliefert werden kann. Obendrein kommt es zu
Ärger mit W über unbezahlte Rechnungen der M. Als M trotz wiederholter Mahnungen durch
W ihren Zahlungspflichten nicht nachkommt, erklärt ihr W, die Geschäftsbeziehung sei für
sie "beendet". S, die von alledem nichts mitbekommen hat, fragt Ende Mai bei W nach, wann
genau mit Lieferung von "Typ Y" zu rechnen sei. W teilt ihr mit, dass man die Beziehung zu
M leider auflösen musste. Die Maschine "Typ Y" könne daher nur ausgeliefert werden, wenn
S einen neuen Kaufvertrag mit ihr, der W, schließe und ihr den mit M vereinbarten Preis dafür
bezahle. S, die langsam unter Zeitdruck gerät, ruft sofort bei M an, deren Betrieb aber soeben
durch einen (rechtmäßigen) Streik lahm gelegt worden ist. Daraufhin schickt sie M am 3. Juni
ein Fax, in dem sie "Lieferung von Typ X binnen zwei Wochen" fordert und fragt, was mit
"Typ Y" sei. M antwortet, wegen des Streiks sei eine Lieferung von "Typ X" frühestens Ende
Juni möglich. S nimmt daraufhin das Angebot der W an und überweist dieser den geforderten
Kaufpreis. W liefert "Typ Y" noch am nächsten Tag an S aus. Am 7. Juni schickt S an M ein
Fax, mit dem sie das gesamte Geschäft "storniert".
"Typ Y" wird installiert und arbeitet einwandfrei. "Typ X" erwirbt S bei einem anderen Händler für € 2.500. Die Anlieferung erfolgt allerdings erst Anfang Juli, so dass S einen
Produktionsausfall in Höhe von € 1.000 erleidet. Zu ihrer Überraschung meldet sich nun M
und verlangt von S Zahlung des Kaufpreises für "Typ Y". S verweigert das, da sie nicht einsehe, die Maschine doppelt zu bezahlen. M solle sich mit W auseinandersetzen. M bleibt jedoch hartnäckig. Nach längerem Schriftwechsel verklagt sie S Ende Oktober vor dem Landgericht Passau auf Zahlung von € 6.000. Auf Rat ihres Anwalts erklärt S jetzt ausdrücklich
den Rücktritt von den Verträgen mit M.
1.
Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
2.
Welche Rechte hat S gegen M?
3.
Zusatzfrage WFG 7: Ändert sich etwas, wenn M ihren Sitz in Wien hat?
2
Lösung
(Problemkreise: Erfüllung durch Leistung an und von Dritten; Gesamtgläubiger; vorübergehende Unmöglichkeit; Nichtleistung; Rücktritt; Verzug; Schadensersatz statt der Leistung;
Verzögerungsschaden)
Frage 1:
Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
I.
Zulässigkeit der Klage
1.
2.
II.
Das LG Passau ist nach § 12 ZPO iVm § 17 ZPO örtlich und nach § 71 GVG
iVm § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
Hinsichtlich des Vorliegens der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind
keine Bedenken ersichtlich. Die Klage ist zulässig.
Begründetheit
Der Anspruch der M könnte sich aus § 433 II BGB ergeben.
1. Ein Kaufvertrag zwischen M und S ist zustande gekommen. Dass es sich um eine erst herzustellende Sache handelt, ändert an der Anwendung der §§ 433 ff. BGB gem. § 651 S. 1
BGB grundsätzlich nichts.
2. Der Kaufpreisanspruch könnte durch Erfüllung, § 362 I BGB, erloschen sein. Allerdings
hat S nicht an M, sondern an W gezahlt:
a. Erfüllungswirkung könnte nach § 362 II BGB eingetreten sein (vgl. Fall 2).
Fraglich ist aber bereits, ob S mit seiner Zahlung an W überhaupt die gegenüber M bestehende Schuld tilgen wollte. In jedem Fall müßte M gem. § 362 II
BGB iVm § 185 BGB der Leistung an W zugestimmt haben. M war zwar damit einverstanden, dass W direkt an S liefert. Dass S auch direkt an W zahlen
sollte, hat M hingegen nicht zum Ausdruck gebracht. Es entspräche auch nicht
seinem Interesse. Eine Tilgung gem. § 362 II BGB scheidet damit aus.
b. Erfüllungswirkung könnte noch nach § 422 I 1 BGB iVm §§ 428, 429 III 1
BGB eingetreten sein. Dann müßten M und W gegenüber S Gesamtgläubiger
sein.1 Gesetzlich angeordnet ist Gesamtgläubigerschaft nur im Fall des § 2151
III, der hier nicht vorliegt. Auch für eine vertragliche Vereinbarung einer Gesamtgläubigerschaft ist nichts ersichtlich. Der bloße Umstand, dass M und W
Zahlung wegen derselben Sache begehren, rechtfertigt für sich genommen
nicht die Annahme einer Gesamtgläubigerschaft.2 Somit ist gegenüber M keine
Erfüllung eingetreten.
3. Der Kaufpreisanspruch könnte aber gem. § 326 I (iVm § 275 IV) erloschen sein.
1
Vertiefungshinweis: Gesamtgläubigerschaft ist für den Schuldner bequem, weil er sich um das Innenverhältnis
seiner Gläubiger zueinander nicht kümmern muss. Für den Gläubiger ist es gefährlich, weil er das Solvenzrisiko
des Mitgläubigers trägt, an den geleistet worden ist (vgl. Medicus, SAT, Rn. 786; Brox, SAT Rn. 433).
2
Vgl. Brox, SAT Rn. 433; Medicus, SAT Rn. 790.
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3
a) Die Anwendung des § 326 I BGB wäre ausgeschlossen, wenn der Gläubiger des Gegenleistungsanspruchs (hier: M) seinerseits schon voll erfüllt hätte. Die Gefahr wäre dann
endgültig auf den Gläubiger des Leistungsanspruchs (hier: S) übergegangen, so dass für
die Gefahrtragungsregel des § 326 I BGB kein Raum bliebe. 3 M selbst hat ihre Pflicht zur
Übergabe und Übereignung der Maschine nicht erfüllt. In Betracht kommt jedoch die Erfüllung durch einen Dritten gem. § 267 I BGB. Dritte im Sinne des § 267 I BGB sind aber
nur solche Personen, welche die vom Gläubiger zu beanspruchende Leistung nicht selbst
schulden4. W war aufgrund des zwischen ihr und S abgeschlossenen Kaufvertrages selbst
zur Übergabe und Übereignung der Maschine verpflichtet und hat ersichtlich auf diese eigene Verbindlichkeit geleistet. Sie hat damit nicht die Verbindlichkeit der M getilgt 5. Die
Anwendung des § 326 I ist somit nicht ausgeschlossen.
b) Voraussetzung des § 326 I BGB ist, dass der Schuldner gem. § 275 BGB nicht zu leisten
braucht. Der Schuldner braucht gem. § 275 I BGB nicht zu leisten, solange ihm die Leistung "unmöglich" ist. Gemeint ist damit nur die "echte" oder "wirkliche" Unmöglichkeit.6
Zwar ist M derzeit nicht zur Leistung in der Lage, da die zur Lieferung bestimmte Maschine nicht (mehr) zu ihrer Disposition steht. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass M
sich die nur der Gattung nach bestimmte Maschine bei einem anderen Hersteller noch beschaffen kann. Somit liegt nur ein Fall vorübergehender Unmöglichkeit vor, der im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist.
 Nach bislang überwiegender Ansicht soll vorübergehende Unmöglichkeit der dauernden
Unmöglichkeit dann gleichzustellen sein, wenn dem Vertragsgegner "nach dem Grundsatz
von Treu und Glauben und billiger Abwägung der Belange beider Vertragsteile die Einhaltung des Vertrages nicht zugemutet werden kann"7. Das soll auch nach neuem Recht
gelten.8
 Diese Ansicht ist abzulehnen. Ist es dem Schuldner vorübergehend nicht möglich, die
Leistung zu erbringen, liegt ein Fall der Nichtleistung vor, der in §§ 281, 323 eine präzise
Regelung erfahren hat. In der Sache ging es früher darum, den Gläubiger in extremen Fällen auch ohne das Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen vom Vertrag zu befreien. Diesem Bedürfnis trägt die Neuregelung hinreichend Rechnung.9
4. Der Kaufpreisanspruch könnte ferner durch wirksamen Rücktritt gem. § 323 BGB erloschen sein.
a) Eine Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB hat S zwei Mal abgegeben: Zum einen durch
die „Stornierung“ am 7. Juni, zum anderen nach Rechtshängigkeit der Sache im Oktober.
b) Fraglich ist der Rücktrittsgrund.
aa) Er könnte sich aus § 326 V BGB ergeben.
3
Palandt/Heinrichs, § 323 aF Rn. 2.
Esser/Schmidt, Schuldrecht Band I, Allgemeiner Teil, Teilband 1, 8. Aufl. 1999, § 17 III 1 (S. 285).
5
Vgl. BGHZ 75, 303; BGHZ 46, 352; Palandt/Heinrichs, BGB, § 267 Rn. 4. Auch das österreichische Recht
differenziert danach, ob der Leistende auf eigene oder fremde Verbindlichkeit leistet, vgl. Art. 1422 ABGB
6
RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 129 (reSp); Dauner-Lieb, Schuldrechtskommentar, § 275 Rn. 10.
7
BGHZ 83, 197, 200; Palandt/Heinrichs, § 275 Rn. 18;
8
RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 129; Canaris, JZ 2001, 499, 500.
9
So auch Medicus, SAT, Rn. 383.
4
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4
Die aus sich heraus nicht ohne weiteres verständliche Regelung soll die Fälle irreparabler
Schlechtleistung und teilweiser Unmöglichkeit erfassen.10 In beiden Fällen soll der Gläubiger gem. § 323 V vom ganzen Vertrag zurücktreten können, ohne eine Frist setzen zu
müssen, wenn er an der teilweisen bzw. mangelhaften Leistung kein Interesse hat.11 Hier
liegt aber ein Fall sog. zeitweiliger Unmöglichkeit vor, der nicht unter § 326 V fällt.
bb) Der Rücktrittsgrund kann sich aus § 323 BGB ergeben.
(1) Der zwischen M und S geschlossene Kaufvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag iSd §
323 I BGB.
(2) Der Anspruch war durchsetzbar. Er müsste auch fällig gewesen sein:
Die Lieferung sollte spätestens Ende Juni erfolgen. Damit war die Leistung jedenfalls
am 30. Juni fällig (vgl. § 192 BGB). Die erste Rücktrittserklärung erfolgte zwar schon
vorher. Der Rücktritt wäre danach nur wirksam, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits „offensichtlich“ war, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten würden (vgl. §
323 IV BGB). Doch kann diese Frage dahinstehen, da S eine zweite Rücktrittserklärung im Oktober, also nach Fälligkeit abgegeben hat.
(3) S müsste erfolglos eine angemessene Nachfrist gesetzt haben. Das ist bezüglich „Typ
Y“ nicht geschehen. Die Fristsetzung müsste daher gem. § 323 II BGB entbehrlich
gewesen sein.
- M hat auf die Frage, "was mit Typ Y sei", nicht reagiert. Sie hat die Leistung aber
nicht "ernsthaft und endgültig verweigert" (§ 323 II Nr. 1 BGB)
- Ein sog. relatives Fixgeschäft (§ 323 II Nr. 2 BGB) war ebenfalls nicht gegeben.
Zwar hatte S ein erhebliches Interesse daran, die Maschine auf jeden Fall vor Eröffnung der neuen Betriebsstätte (Anfang Juli) zu erhalten; doch hat sie den Fortbestand ihres Leistungsinteresses nicht im Vertrag an diese Voraussetzung geknüpft.
- Daher ist zu prüfen, ob besondere Umstände vorlagen, die unter Abwägung der
beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 323 II Nr. 3
BGB). Der besondere Umstand kann hier darin liegen, dass S sich die versprochene Maschine bereits anderweitig besorgt und daher an einer weiteren Lieferung
durch S kein Interesse mehr hat. Dagegen spricht aber, dass der Gläubiger, wenn er
kein Fixgeschäft vereinbart hat, dem Schuldner zunächst durch Nachfristsetzung
die Gelegenheit zur Erfüllung geben muss, bevor er sich anderweitig eindeckt.12
Hier kommt jedoch hinzu, dass M selbst ersichtlich nicht daran interessiert ist, eine
zweite Maschine zu liefern, vielmehr den Kaufpreis mit Rücksicht auf die durch W
erfolgte Lieferung geltend macht. W hat die Maschine aber zur Tilgung der eigenen Verbindlichkeit geleistet. Darin könnte eine Verletzung des Vertrages mit M
liegen, doch muss sich diese insoweit an W halten. Auch nach Abwägung beider
Interessen ist daher anzunehmen, dass angesichts der besonderen Umstände ein sofortiger Rücktritt durch S gerechtfertigt ist13.
(4) Der Rücktritt könnte gem. § 323 VI BGB ausgeschlossen sein. Dann müßte S für das
Ausbleiben der Leistung der M weit überwiegend "verantwortlich" sein. S hat die von
M zur Erfüllung vorgesehene Maschine noch vor Fälligkeit selbst von deren Lieferanten erworben. In einer derartigen Umgehung des Vertragspartners liegt grundsätzlich
10
Bei vollständiger Unmöglichkeit bedarf es des Rücktritts nach § 326 V nicht, weil die Pflicht zur Gegenleistung schon von Gesetzes wegen entfällt (§ 326 I). Eine etwa schon erbrachte Gegenleistung kann von Gesetzes
wegen zurückverlangt werden (§ 326 IV iVm § 346 I).
11
Vgl. Medicus, SAT, Rn. 503e; Dauner-Lieb, Schuldrechtskommentar, § 326 Rn. 15 ff.
12
Canaris, JZ 2001, 499, 510 (mit Fußnote 112); Huber, Leistungsstörungen, § 48 III 3 (S. 509).
13
Gleichwohl war das Unterlassen einer Fristsetzung durch S riskant, da das Nachfristerfordernis von der Rechtsprechung sehr ernst genommen wird, vgl. Canaris, JZ 2001, 510; Huber, Leistungsstörungen, § 48 I (S. 495).
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ein Verstoß gegen vertragliche Loyalitätspflichten (§ 241 II).14 Angesichts der besonderen Umstände blieb S aber gar keine andere Wahl, um die geschuldete Maschine
zeitgerecht zu erlangen. W hätte die Maschine ohnehin nicht für M geliefert. Auch
hatte S die M zuvor ausdrücklich nach dem Schicksal von „Typ Y“ gefragt, ohne darauf eine Antwort zu erhalten. Somit war S zumindest nicht „weit überwiegend“ verantwortlich für die Leistungsstörung.
c. Keine Verwirkung, § 242
aa.
bb.
Die Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts ist an keine Frist gebunden.
Auch eine Analogie zu § 314 III BGB scheidet aus, da der Gesetzgeber das gesetzliche Rücktrittsrecht, wie sich aus § 350 BGB ergibt, bewusst nicht zeitlich
beschränken wollte.
Das Rücktrittsrecht könnte aber verwirkt worden sein, da es erst im Oktober
ausgeübt wurde. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner über einen
gewissen Zeitraum hin wegen der Untätigkeit seines Gläubigers bei objektiver
Beurteilung darauf einrichten dufte und auch eingerichtet hat, dieser werde
sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (BGH NJW 2002, 669, 670). Das
Verstreichen eines längeren Zeitraums allein kann die Verwirkung nicht begründen (BGH, aaO). Hier wusste M, dass W sich vom Vertrag lösen wollte.
Sie konnte sich also gerade nicht darauf einrichten, dass S keine Recht mehr
geltend machen würde. Verwirkung ist daher nicht eingetreten.
Ergebnis: S ist wirksam vom Vertrag zurückgetreten und daher von ihrer Zahlungspflicht befreit.
Antwort: Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg.
Frage 2: (Rechte S gegen M)
I.
Anspruch S gegen M auf Lieferung Typ Y aus § 433 I BGB
Erloschen gem. § 346 BGB (s.o.).
II.
Anspruch S gegen M auf Lieferung Typ X aus § 433 I BGB
1. wirksamer Kaufvertrag (+)
2. Erloschen gem. § 346 BGB ?
a. Rücktrittserklärung, § 349 (+) (jedenfalls im Oktober)
b. Rücktrittsgrund; § 323 BGB
(1) gegenseitiger Vertrag
(2) Anspruch fällig und durchsetzbar (+)
(3) Nichtleistung (+)
14
Vgl. Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 29.
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(4) Erfolglose Fristsetzung (+)
(5) kein Ausschluss gem. § 323 VI BGB ?
S hat bereits am 7. 6., also vor Ablauf der Nachfrist, den Rücktritt erklärt. Nach
dem Sinn der Nachfrist darf der Gläubiger den Schuldner bis zum Ablauf der
Nachfrist nicht davon abhalten, die Leistung noch zu erbringen. M hätte die
Leistung aber nach eigenem Bekunden ohnehin nicht vor Ende Juni erbringen
können. Die uU verfrühte Rücktrittserklärung schließt daher das Rücktrittsrecht der S nicht aus.
c. Rücktrittsrecht nicht verwirkt (+)
Ergebnis: S kann vom M keine Lieferung der Maschine verlangen.
III.
Anspruch S gegen M auf Zahlung von € 500 aus § 280 I, III iVm § 281 BGB
1. Schuldverhältnis (+)
2. Pflichtverletzung durch Nichtleistung auf fälligen und durchsetzbaren Anspruch
(+)
Lieferung „Typ X“ sollte in der 16. Kalenderwoche erfolgen. Diese lief am 19.
Mai aus. Bis dahin ist nicht geliefert worden.
3. Vertretenmüssen ?
a. Die Gründe für den Betriebsausfall, der zur Verzögerung der Leistung führte,
sind ungeklärt. Dies geht zu Lasten der M (vgl. § 280 I 2 BGB). M hat die
Nichtleistung bei Fälligkeit also zu vertreten.
b. Fraglich ist, ob der Schuldner auch das weitere Ausbleiben der Leistung während der Nachfrist zu vertreten haben muss.15 Die Frage kann dahin stehen,
wenn M für das weitere Ausbleiben der Leistung ohnehin einzustehen hat. Die
weitere Nichtleistung beruhte auf einem Streik, also "höherer Gewalt". Dies
hat M weder nach § 276 BGB noch - da der Streik rechtmäßig war - nach §
278 BGB zu vertreten.16 M könnte die Nichtleistung aber gem. § 287 S. 2
BGB zu vertreten haben. Dann müsste sie sich zum Zeitpunkt des Streiks im
Verzug befunden haben:
Voraussetzungen des Schuldnerverzugs gem. § 286 BGB17
(1) Der Anspruch der S war fällig und durchsetzbar.
(2) Die Leistung war zum Zeitpunkt der Fälligkeit noch möglich
(3) Mahnung: entbehrlich gem. § 286 II Nr. 1 BGB18
15
Nach altem Recht sollte es darauf nicht ankommen, vgl. Staudinger/Otto, § 326 Rn. 111 (unter Hinweis auf
RG WarnR 1910 Rn. 424). Die Gesetzesbegründung geht aber offenbar davon aus, dass auch das weitere Ausbleiben der Leistung während der Nachfrist verschuldet sein müsse (vgl. BT-DruckS. 14/6040, S. 139 re.Sp., S.
140 li.Sp.).
16
Vgl. Palandt/Heinrichs, § 278 Rn. 8; Staudinger/Löwisch, § 278 Rn. 30.
17
Vgl. Brox, SAT Rn. 272 ff.; Medicus, SAT, Rn.
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7
(4) Nichtleistung: (+)
(5) Vertretenmüssen, § 286 IV (+) (s.o. 3.a.).
Da M sich im Verzug befand, hat sie somit gem. § 287 S. 2 BGB "wegen der Leistung" auch für Zufall einzustehen. Darunter fällt auch die zufällige weitere Verzögerung der Leistung.19 M kann sich somit nicht darauf berufen, dass sie die Nachfrist
wegen des Streiks nicht einhalten konnte.
4. Erfolglose Fristsetzung (+)
a. Eine Frist von zwei Wochen wurde am 3. Juni gesetzt. Angesichts des schon
um zwei Wochen überschrittenen spätesten Lieferzeitpunkts erscheint das angemessen. Die Nachfrist lief demnach gem. §§ 187 I, 188 II BGB am 17. Juni
um 24 Uhr ab.
b. Die Fristsetzung müsste „erfolglos“ gewesen sein. In der Tat hat M binnen der
Nachfrist nicht geliefert. Problematisch könnte allerdings sein, dass S den Ablauf der Nachfrist nicht abgewartet hat, sondern M schon am 7. Juni erklärt hat,
dass Geschäft sei „storniert“. Der Gläubiger, der den Schuldner davon abhält,
während der Nachfrist zu leisten, ist gem. § 242 BGB daran gehindert, sich auf
die Erfolglosigkeit der Nachfrist zu berufen.20 Hier jedoch hat M selbst erklärt,
dass sie die Nachfrist gar nicht einhalten könne ("Lieferung frühestens Anfang
Juli"). Nach dem Gedanken des § 281 II kann aber nicht verlangt werden, den
Ablauf einer Nachfrist abzuwarten, wenn dies von vornherein sinnlos ist (siehe
bereits oben die vergleichbare Argumentation zu § 323 BGB). Das Erfolglosigkeit der Fristsetzung ist daher zu bejahen.
5. Schaden:
a. Nach § 281 kann SE "statt der Leistung" verlangt werden. Darunter fällt ein
Mehrpreis, den der Gläubiger entrichten muss, um sich die geschuldete Leistung anderweitig zu besorgen (sog. Deckungskauf). Dieser Mehrpreis beträgt
hier € 500.
b. Fraglich ist, ob S dadurch gegen die Schadensminderungspflicht des § 254
BGB verstoßen hat, dass er sich die Maschine zu einem höheren Preis besorgt
hat, obwohl der neue Lieferant ebenfalls nicht vor Anfang Juli liefern konnte.21
Nach Ablauf der Nachfrist steht es dem Gläubiger aber grundsätzlich frei, sich
den geschuldeten Gegenstand woanders zu besorgen. Wollte man ihn über §
254 BGB weiter für verpflichtet halten, zwecks Schadensminderung doch noch
auf den Schuldner zurückzugreifen, würde der Sinn der Nachfrist konterkariert
werden. Ein Mitverschulden der S ist daher abzulehnen.22
18
Merke: Grundsätzlich liegt in der Fristsetzung gem. § 281 I BGB oder § 323 I BGB auch eine Mahnung iSv §
286 BGB. Der Fall, dass der Gläubiger SE gem. §§ 280, I, III, 281 BGB verlangen und nach § 323 BGB zurücktreten kann, der Schuldner sich aber noch nicht in Verzug befindet, kann daher praktisch kaum auftreten (RegE
BT-DruckS. 14/6040, S. 138, liSp).
19
So schon vor der Reform Staudinger/Löwisch, § 287 Rn. 12.
20
Vgl. Brox, SAT Rn. 286; Staudinger/Otto, § 326 a.F. Rn. 63.
21
Vgl. zur Berücksichtigung einer Mitverantwortung des Gläubigers im Rahmen von § 254 RegE BT-DruckS.
14/6040 S. 187 liSp; Staudinger/Otto, § 326 a.F. Rn. 161.
22
Vertiefungshinweis: § 254 BGB kann den Gläubiger in eine mißliche Situation bringen, weil er einerseits dem
Schuldner zumindest innerhalb der Nachfrist die Chance zu Erfüllung geben muss, andererseits gehalten ist, den
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Ergebnis: S kann von M Zahlung von € 500 verlangen.
IV.
Anspruch S gegen M auf Zahlung von € 1.000
1. aus § 280 I, III iVm § 281 BGB
c. Die Voraussetzungen sind erfüllt (s.o.)
d. Fraglich ist nur, ob die € 1.000 entgangener Gewinn unter den Schaden "statt
der Leistung" fallen und damit gem. §§ 280 I, III iVm § 281 BGB zu ersetzen
sind, oder ob es sich um einen sog. Verzögerungsschaden handelt, der nach
dem § 280 II BGB "nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286"
verlangt werden kann. Grundsätzlich fällt der durch einen Produktionsausfall
entgangene Gewinn unter den Verzögerungsschaden.23 Man kann aber auch
die Ansicht vertreten, dass die nach Ablauf der Nachfrist entstehenden Schäden stets unter § 280 III, 281 BGB fielen.24
Hier kann die Frage - wie meist - dahin stehen, da auch die Voraussetzungen
des § 286 vorliegen:
2. aus § 280 I, III iVm § 286 BGB (+), (s.o.).
Ergebnis: S kann Zahlung von € 1.000 verlangen.
_________________
Hinweis: Der Fall ist teilweise nachgebildet der Entscheidung BGH NJW 1995, 2101 = WM
1995, 1103 (mit krit. Anmerkungen von Enderlein, IPrax 1996, 182; Schlechtriem, EWiR
1995, 451; Schmidt-Kessel, RIW 1996, 66). Im Original war der Fall nach UN-Kaufrecht zu
beurteilen. Die Lösung des Falles nach (neuem) deutschem Schuldrecht ist deshalb lehrreich,
weil die Schuldrechtsreform ausdrücklich am Vorbild des UN-Kaufrechts ausgerichtet ist
(vgl. RegE BT-DruckS. 14/6040, S. 86).
Schaden möglichst gering zu halten, sich also rechtzeitig woanders einzudecken. Vgl. zum problematischen Fall
eines Deckungskaufs vor Ablauf der Nachfrist BGH NJW 1994, 22480.
23
Vgl. Staudinger/Löwisch, § 286 Rn. 19; Dauner-Lieb, Schuldrechtskommentar, § 281 Rn. 50.
24
In diese Richtung Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 288 f. (mit Beispiel), die allerdings
nicht auf den Ablauf der Nachfrist, sondern auf den "Wegfall der Leistungspflicht" abstellen, der erst dann eintritt, wenn der Gläubiger zurücktritt oder sein SE-Verlangen geltend gemacht hat (vgl. § 281 IV). Begründung:
Erst dann sei der Erfüllungsanspruch endgültig ausgeschlossen, so dass erst ab diesem Zeitpunkt der Schadensersatz an die Stelle der Leistung treten könne.
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