Fichter, Zürn, Kniep & Kollegen RECHTSANWÄLTE HEILBRONN

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Fichter, Zürn, Kniep & Kollegen
RECHTSANWÄLTE
HEILBRONN
RAE FICHTER, ZÜRN, KNIEP & KOLLEGEN
Landgericht Heilbronn
6. Zivilkammer
Wilhelmstr. 8
LANDGERICHT
74072 Heilbronn
Ein
9
Uhlandstrasse
4
74072
Heilbronn
(Gebäude
der
Kreissparkasse)
Tel: (o 71 31) 8 88 66 - 6
Fax: (o 71 31) 8 88 66 - 7
11 Juni 2005
Gerichtsfach 112
HEILERONN/NECKAR
RECHTSANWÄLTE
16.06.2005
Telefon: 07131 / 8 88 66-80
Telefax: 07131 / 8 88 66-7
Sekretariat: Frau Ensinger
643/05K22 /en (Bitte stets angeben)
Gerhard Fichter
Ludwig Zürn
Prof. Dr. iur. Klaus Kniep
Dietmar Muth* Sabine
Oßwald Harry Binhammer
LLM. (Houston) Daniel
Kanatsiz
EMAIL
Az.: 6 S 16/05 Ab
[email protected]
INTERNET
BERUFUNGSBEGRÜNDUNG
In dem Rechtsstreit
www.kanzlei-heilbronn.de
* Fachanwalt für Familienrecht
des Rechtsanwalts Klaus von Waldeyer-Hartz,
Habrechtstraße 4, 74074 Heilbronn,
- Kläger und Berufungsbeklagter gegen
die Heilbronner Versorgungs GmbH, Weipertstraße 49, 74076 Heilbronn,
vertreten durch ihren Geschäftsführer, Herrn Ataman Turanli,
- Beklagte und Berufungsklägerin Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Fichter, Zürn, Kniep und Kollegen,
Uhlandstraße 4, 74072 Heilbronn
begründen wir die namens der Beklagten mit Schriftsatz vom 22. April 2005
gegen das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn (Az. 15 C 4394/04) eingelegte
Berufung. Wir werden in der mündlichen Verhandlung folgende Anträge stellen:
1.
Das am 15. April 2005 verkündete Urteil des AG Heilbronn
(Az. 15 C 4394/04) wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Begründung:
Kreissparkasse Heilbronn
BLZ 620 500 oo Kto: 11
74 29
Baden-Württembergische Bank
BLZ 620 300 50 Kto: 705 613
7800
Postbank Stuttgart
BLZ 600 100 70
Kto: 2433 53 700
UST.-NR.:
P TIEFGARAGE
65197 / 12O08
Parkmöglichkeit
in der Tiefgarage
2|26
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Preisanpassung. Die Beklagte hat zum
1. Oktober 2004 ihre Gaspreise für Haushaltskunden um etwa 10 % erhöhen müssen.
Das Amtsgericht meint, die Wirksamkeit dieser Preisanpassung am Maßstab des §
315 Abs. 3 BGB messen zu können und fordert von der Beklagten unter Verweis auf
eine BGH-Entscheidung zum Strombereich zur Beurteilung der Billigkeit dieser
Preisanpassung die Offenlegung ihrer Kalkulation für den Gesamtpreis. Das
Vorgericht hat zu Unrecht nicht berücksichtigt, daß die Beklagte den urkundlichen
Beweis geführt hat, daß sie mit der streitgegenständlichen Preisanpassung
ausschließlich ihre gestiegenen Bezugskosten (ohne Erhöhung) weitergegeben hat.
Seine Entscheidung hält daher rechtlicher Nachprüfung nicht stand und wird von der
Beklagten zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt. Unserer Begründung
stellen wir folgende Übersicht voran:
A.
Das angefochtene Urteil
3
B.
Rügen gegen das angefochtene Urteil
4
I.
II.
Unzulässigkeit der Klage
5
1. Die unzutreffende Auffassung des Ausgangsgerichts
2. Fehlendes Feststellungsinteresse
3. Zwischenergebnis
Die Unbegründetheit der Klage
1. Keine entsprechende Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf die
Kontrolle von Gaspreisen
8
a)
b)
2.
3.
Die rechtsirrige Auffassung des Ausgangsgerichts
8
Die zutreffende rechtliche Würdigung
8
aa) Der Vorrang der kartellrechtlichen Spezialregelung (§19
Abs. 4 Nr. 2 GWB)
bb) Ausschluß des § 315 Abs. 3 BGB wegen § l EnWG und §
5AVBGasV
cc) Ausschluß des § 315 Abs. 3 BGB wegen des
Substitutionswettbewerbs zwischen Erdgas und Heizöl
c) Zwischenergebnis
Der „Büh'gkeitsmaßstab" bei der Kontrolle von Gaspreisen
a) Die unzutreffende Auffassung des AG Heilbronn
b) Richtig dagegen: Der Preisbildungsmaßstab determiniert den
Preisprüfungsmaßstab
c) Zwischenergebnis
Der Nachweis der Billigkeit
a)
5
5
7
7
Nachweis der Billigkeit durch Gaspreisvergleich
9
13
13
16
16
17
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19
19
19
b)
Nachweis der Billigkeit wegen Weitergabe (nur) gestiegener
Bezugskosten
20
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20
C.
aa) Keine Auslegung des (eindeutigen) Klageantrags
bb) Unzutreffendes Auslegungsergebnis des erstinstanzlichen
Gerichts
cc) Nachweis der margenneutralen Umlegung der
Bezugskostensteigerung
dd) Die Irrelevanz der Entwicklung der Grenzübergangspreise
Zusammenfassung
D.
Hilfsweise: Zulassung der Revision
24
A.
Das angefochtene Urteil
Das AG Heilbronn hat sein (Feststellungs-)Urteil, wonach die von der
Beklagten in dem zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrag
zum 1. Oktober 2004 vorgenommene Erhöhung der Gastarife unbillig und
unwirksam ist, im wesentlichen wie folgt begründet:
I.
Die Klage sei zulässig. Die selbständige Feststellungsklage sei die richtige
Klageart, wenn die Unbilligkeit einer getroffenen Leistungsbestimmung gem.
§ 315 BGB festgestellt werden soll (UA, S. 6 oben). Das Feststellungsinteresse
folge daraus, daß dem Kläger die Erhebung einer Leistungsklage derzeit nicht
zumutbar sei. Um einen der Leistungsklage zugänglichen Anspruch zu
erhalten, müßte er sich nämlich eines Teils seines Vermögens begeben (UA, S.
7)-
II.
Die Klage sei auch begründet, denn die Beklagte habe die Billigkeit der
streitgegenständlichen Preisanpassung nicht dargelegt (UA, S. 8 oben).
Prüfungsmaßstab sei § 315 Abs. 3 BGB in entsprechender Anwendung, denn
die Monopolpreisrechtsprechung gelte auch für die Kontrolle von Gastarifen
(UA, S. 9 oben). Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB
scheide nicht wegen vorrangiger kartellrechtlicher Regelungen aus, weil die
Zielrichtung des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB nicht derjenigen des § 315 Abs. 3
BGB (UA, S. 12) entspreche. Deshalb ergebe sich aus dem Ergebnis der
Überprüfungen der Landeskartellbehörde Baden-Württemberg kein zugunsten
der Beklagten zu berücksichtigender Aspekt (UA, S. 13 Mitte).
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22
22
23
24
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Der Kläger habe die Billigkeit der Preiserhöhung hinreichend substantiiert
bestritten. Für einen schlüssigen Klagevortrag im Rahmen der für das
besondere Feststellungsinteresse gem. § 256 ZPO erforderlichen Darlegungen
genüge das Bestreiten der Billigkeit eines einseitig festgesetzten Preises (UA,
S. 16 oben). Es sei daher Sache der Beklagten gewesen, die Billigkeit ihrer
Preisanpassung darzulegen. Dazu bedürfe es - obwohl Streitgegenstand nur die
Erhöhung des Tarifpreises ist - der Offenlegung der gesamten
Kostenkalkulation der Beklagten (UA, S. 17 f.). Der Prüfungsumfang des
Gerichts sei nicht dadurch beschränkt, daß sich der Klageantrag nur auf die
Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 beziehe. Denn der Antrag des Klägers sei
dahingehend auszulegen, daß er den Preis insgesamt für unbillig halte (UA, S.
18 f.).
Da die Beklagte die auf den Gesamtpreis bezogenen Kalkulationsunterlagen
nicht vorgelegt und mithin den ihr obliegenden Billigkeitsnachweis nicht
geführt habe, habe die zum l. Oktober 2004 vorgenommene Preiserhöhung für
unbillig und damit für unwirksam erklärt werden müssen (UA, S. 21).
B.
Rügen gegen das angefochtene Urteil
Die vom Amtsgericht zugelassene Berufung muß zur Klageabweisung führen.
Das angegriffene Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung (§513 Abs. l 1. Alt.
i.V.m. § 546 ZPO). Die Klage ist bereits unzulässig (dazu I.), jedenfalls aber
unbegründet (dazu II.)- Das Ausgangsgericht hat die Grenzen der
Monopolpreisrechtsprechung verkannt und daher § 315 Abs. 3 BGB in bezug
auf die Kontrolle eines Gastarifs zu Unrecht für anwendbar gehalten (dazu II.
L). Zu Unrecht verlangt das Gericht den Billigkeitsnachweis durch
Offenlegung der Gesamt-Kalkulation (dazu II. 2.). Hätte es sich - entsprechend
dem Streitgegenstand - auf die Überprüfung der Preiserhöhung beschränkt, so
hätte es mit Hilfe der von der Beklagten vorgelegten Beweismittel erkannt,
daß die Preisanhebung sich innerhalb der zulässigen Schranken der
unternehmerischen Ermessensausübung bewegt. Das wird zusätzlich dadurch
bewiesen, daß der Tarifpreis auch nach seiner Erhöhung dem Vergleich mit
anderen Stadtwerken standhält.
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Unzulässigkeit der Klage
Die Klage ist unzulässig, weil das nach § 256 ZPO erforderliche
Feststellungsinteresse des Klägers fehlt.
1.
Die unzutreffende Auffassung des Ausgangsgerichts
Das Amtsgericht sieht das besondere rechtliche Interesse an der alsbaldigen
Feststellung zum einen darin, daß sich die Beklagte des Rechts berühmt, ab
dem 1. Oktober 2004 einen höheren Preis für ihre Leistungen verlangen zu
können; zum anderen darin, daß wegen der Berechnungen des Bundesamtes
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Zweifel an der Richtigkeit der
von der Beklagten zur Rechtfertigung ihrer Preisanhebung gegebenen
Begründung bestünden (UA, S. 6 f.). Das Feststellungsinteresse scheitere auch
nicht wegen besserer Rechtschutzmöglichkeiten, weil dem Kläger eine
Leistungsklage nicht zugemutet werden könne (UA, S. 7).
2.
Fehlendes Feststellungsinteresse
Nach § 256 Abs. l ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (nur) geklagt werden, wenn der
Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch
richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Nach ständiger
Rechtsprechung entfällt das Feststellungsinteresse, wenn dem Kläger
effektivere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen1. Dies gilt
insbesondere dann, wenn er sein Ziel mit einer Leistungsklage erreichen kann.
a) Dem Kläger ist die Erhebung einer Leistungsklage möglich und zumutbar.
Sein Ziel ist die Feststellung, daß die zum l. Oktober 2004 von der Beklagten
vorgenommene Erhöhung der Gastarife unbillig ist. Spätestens seit Zugang der
Jahresendabrechnung 2004 im Februar 2005 steht fest, daß er dieses Ziel
mittels Leistungsklage erreichen kann. Da er nur den Preiserhöhungsanteil
angreift, hätte der Kläger die hierauf entfallenden rd. 50 € unter Vorbehalt der
Angemessenheit zahlen können, um alsdann einen bereicherungsrechtlichen
Rückforderungsanspruch geltend zu machen. Angesichts des für die
Verhältnisse des Klägers geringfügigen Betrages ist der Einwand der
1
BGHZ 5, 314; NJW 1984, 1118 f.; NJW-RR 2002,1377, 1378; Zöl\er/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 256
Rn. 7a.
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Unzumutbarkeit unverhältnismäßig: Denn das Interesse des Klägers gilt es
abzuwägen mit dem vom Gesetzgeber als besonders schützenswert
vorgehobenen Interesse des Gasversorgungsunternehmens an sofortiger und
vollständiger Zahlung des für die Lieferung von Gas in Rechnung gestellten
Entgelts (§ 30 AVBGasV).2 Aus der Wertung dieser Bestimmung folgt, daß
der Gesetzgeber das Interesse des Vorleistungspflichtigen
Versorgungsunternehmens an sofortiger und ungekürzter Bezahlung
grundsätzlich höher bewertet als das des Kunden, die Rechtmäßigkeit der
Abrechnung prüfen zu können, ohne sich zuvor eines - sehr geringen - Teils
seines Vermögens begeben zu müssen. Dahinter steht der Gedanke, daß der
Verzögerung der Erbringung der Gegenleistung durch den Kunden Tür und
Tor geöffnet wäre, wenn er die Zahlungen auch in den Fällen verweigern
könnte, bei denen die Rechnung oder Abschlagsberechnung des
Versorgungsunternehmens auf den ersten Blick keinen Fehler erkennen läßt.
Eine solche Verzögerung wäre eine unangemessene Benachteiligung der
Interessen des Versorgungsunternehmens, weil dieses nach Erfüllung seiner
Vorleistungspflicht kein anderes Mittel mehr in der Hand hätte, um den
Kunden zur Bezahlung der Versorgungsleistung zu veranlassen. Die
Waffengleichheit gebietet es, daß der Kunde in allen Fällen, in denen kein
offensichtlicher Abrechnungsfehler vorliegt, die Gegenleistung zu erbringen
hat3. Daß dieses Risiko sich für ein Versorgungsunternehmen zu einem
handfesten Problem entwickeln kann, zeigt exemplarisch die vorliegende
Auseinandersetzung. Die Beklagte muß sich mittlerweile - mobilisiert durch
den Kläger und Verbraucherschutzverbände - mit Rechnungskürzungen
zahlreicher Kunden auseinandersetzen. Bei der Summe der insgesamt
drohenden Zahlungsausfälle kann längst nicht mehr von nur unerheblichen
Beträgen gesprochen werden. Dieses besondere, durch § 30 AVBGasV
normativ anerkannte Interesse der Beklagten an sofortiger und vollständiger
Bezahlung steht der Bejahung der Unzumutbarkeit der Teilzahlung auf eine
§ 30 AVBGasV hat folgenden Wortlaut: „Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen
berechtigen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur,
1. soweit sich aus den Umständen ergibt, daß offensichtliche Fehler vorliegen und
2. wenn der Zahlungsaufschub oder die Zahlungsverweigerung innerhalb von zwei Jahren nach
Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlagsberechnung geltend gemacht wird."
Siehe Hermann, in: Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, Kommentar zu den Allgemeinen
Versorgungsbedingungen, Bd. 2 1984, § 30 AVB Rn. 15.
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von der Beklagten bereits erbrachte Leistung jedenfalls unter
Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse dieses Klägers entgegen.
Ohnehin entspricht die Erhebung einer Feststellungsklage in Konstellationen
wie der hier vorliegenden nicht der Prozeßökonomie: Unterliegt der Kläger
mit seiner Feststellungsklage, und zahlt er das von der Beklagten für ihre
Gaslieferungen in Rechnung gestellte Entgelt trotzdem nicht, so ist eine
weitere (Leistungs-)Klage der Beklagten unumgänglich.
b) Zu Unrecht bezweifelt das Vorgericht die Rechtfertigung der Preiserhöhung
deshalb, weil der Kläger auf Berechnungen des Bundesamtes für Wirtschaft
und Ausfuhrkontrolle verwiesen hat. Danach seien die durchschnittlichen
Grenzübergangspreise zwischen Januar und Oktober 2004 um 7,7 % niedriger
als diejenigen des Vorjahreszeitraums gewesen waren. Das ist schon sachlich
falsch (dazu unten S. 23), aber auch rechtlich: Für die Kostenbelastung der
Beklagten beim Gaseinkauf kommt es nicht auf Grenzübergangspreise an,
sondern auf ihre konkreten Preiserhöhungen, die sie kraft Vertrags mit der
Vorlieferantin konkret zu tragen hat. Hierzu aber hat das Vorgericht
festgestellt (UA, S. 21 oben), daß „die Beklagte inzwischen in durchaus
nachvollziehbarer Weise die Bezugskostensteigerung nachgewiesen" hat.
3.
Zwischenergebnis
Der Feststellungsklage fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse. Jedenfalls
diesem Kläger ist es unter Würdigung der in § 30 AVBGasV zum Ausdruck
kommenden Interessenabwägung zuzumuten, die gemäß der
Leistungsabrechnung vom 9. Februar 2005 (B 15) streitigen rd. 50 € unter
Vorbehalt zu zahlen und den Betrag alsdann mittels Leistungsklage
zum ckzu fordern.
u.
Die Unbegründetheit der Klage
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts kann § 315 Abs. 3 BGB vorliegend
nicht zur Kontrolle der Angemessenheit der streitgegenständlichen
Preiserhöhung herangezogen werden (dazu l.). Außerdem würde, selbst wenn
man §315 Abs. 3 BGB auf die Kontrolle von Gaspreisen erstreckte, der
Billigkeitsnachweis nicht die Offenlegung der Kostenkalkulation erfordern.
Solches kann nur dort verlangt werden, wo der zu überprüfende Preis selbst
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ein Kostenpreis ist. Prüfungsmaßstab für die Billigkeit können nämlich nur
diejenigen Grundsätze sein, die auch der Bildung des zu überprüfenden Preises
zugrunde liegen (dazu 2.). Der Gaspreis ist aber kein Kosten-, sondern ein
Marktpreis. Aber selbst wenn: Angesichts des auf die Preiserhöhung
beschränkten Streitgegenstandes hätte das Gericht die von der Beklagten
vorgelegten Nachweise, daß die Tariferhöhung der Bezugskostenerhöhung
recht genau entspricht, bei Prüfung der Billigkeit würdigen müssen (dazu 3.).
1.
Keine entsprechende Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf die Kontrolle
von Gaspreisen
a)
Die rechtsirrige Auffassung des Ausgangsgerichts
Das erstinstanzliche Gericht meint, die streitgegenständliche Preiserhöhung
am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB messen zu können. Dazu überträgt es die
Monopolpreisrechtsprechung auf die Kontrolle von Gaspreisen; die Spezialität
des seit dem 1. Januar 1999 unmittelbar anwendbaren § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB
wird verneint (UA, S. 8 ff.).
b)
Die zutreffende rechtliche Würdigung
Nach der überkommenen Monopolpreisrechtsprechung unterliegen Tarife von
Monopolunternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf die
der andere Teil im Bedarfsfall zwingend angewiesen ist, in entsprechender
Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB der Billigkeitskontrolle. Jedenfalls seit
dem 1. Januar 1999 besteht für diese Rechtsprechung ein nur noch sehr enger
Anwendungsbereich. Denn seither gibt es eine kartellrechtliche
Spezialregelung (dazu aa)). Verneint man den Vorrang dieser Spezialregelung,
so wären jedenfalls die Voraussetzungen, unter denen in der Rechtsprechung
eine Monopolpreiskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB zugelassen wurde, im
Fall der Kontrolle von Gaspreisen nicht erfüllt. Es gibt deshalb bislang keine
obergerichtliche Entscheidung, die einen Gaspreis am Maßstab des § 315 Abs.
3 BGB gemessen hat. Die maßgeblichen rechtlichen und gas wirtschaftlichen
Überlegungen werden unter bb) bis dd) dargestellt.
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aa)
Der Vorrang der kartellrechtlichen Spezialregelung (§ 19 Abs. 4 Nr. 2
GWB)
Seit der 6. GWB-Novelle vom 1. Januar 1999 ist § 19 GWB unmittelbar
anwendbar. Diese Bestimmung ermöglicht jetzt jedem Kunden die gerichtliche
Prüfung der Angemessenheit des von einem marktbeherrschenden
Unternehmen geforderten Preises4. Seit Umgestaltung des § 19 GWB von
einer Eingriffsgrundlage für die Kartellbehörden hin zu einem direkt
wirkenden Verbotstatbestand fehlt es an einer Regelungslücke, welche
Voraussetzung für die (analoge) Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB auf die
Kontrolle von Gaspreisen war. Der Hinweis des Amtsgerichts, daß es nach §
19 GWB keinen Anspruch des Kunden gegen die Kartellbehörden auf ein
behördliches Einschreiten gebe (UA, S. 11 unten), läuft leer; entscheidend ist
allein, daß § 19 GWB ein Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB ist. Jeder Kunde
kann sich gegenüber dem Zahlungsverlangen eines Monopolisten bzw. eines
marktbeherrschenden Unternehmens unmittelbar auf § 19 GWB berufen; einer
vorherigen Anrufung der Kartellbehörden bedarf es nicht.
Dieser Vorrang der Spezialregeln in § 19 Abs. 4 GWB gegenüber der
allgemeinen Norm des § 315 Abs. 3 BGB ist gerichtlich anerkannt. So heißt es
beispielsweise in dem Urteil des LG Bremen (B 13) vom 22. Juli 2004:
„Zwar wurde [§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB] nach früherer
Rechtsprechung analog auf Fälle angewendet, in denen ein
Monopolunternehmen seinen Vertragspartnern Preise quasi
diktieren konnte, weil diese bedingt durch die wirtschaftlichen
Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse keine wirkliche Chance
hatten, Vertragsveränderungen abzulehnen ... Diese
Rechtsprechung war dem Umstand geschuldet, daß das GWB in
seiner Fassung vor dem 1. Januar 1999 nur eine Mißbrauchsund Preisaufsicht durch die Kartellbehörden und direkt keine
zivilrechtlichen Rechtsbehelfe vorsah. Da das GWB seit der
sechsten GWB-Novelle vom 1. Januar 1999 einen unmittelbar
v_.
4
Zuvor sah § 22 GWB a.F. (§ 19 GWB n.F.) nur eine Mißbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden
vor. Mangels Schutzgesetzcharakters des § 22 GWB a.F. konnten Schadensersatz- oder
Unterlassungsansprüche nicht unmittelbar auf diese Vorschrift gestützt werden. Nach neuem Recht ist
§ 19 GWB wegen der Ausgestaltung als Verbotsnorm Schutzgesetz iSd. § 33 GWB; jedermann kann
seitdem Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche unmittelbar auf § 19 GWB stützen, unabhängig
davon, ob ihm Unternehmensqualität zukommt. Auch Privatpersonen können sich daher auf den
Schutz vor Preishöhenmißbrauch berufen (siehe statt vieler: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker,
GWB 3. Aufl., § 33 Rn. 42).
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wirkenden Verbotstatbestand bei Preisüberhöhungsmißbrauch
eingeführt hat, der eine kartellrechtliche Preiskontrolle durch
die Zivilgerichte ermöglicht, ist ein Ausweichen auf die
Regelung des § 315 Abs. 3 S. 2 BGB analog nicht mehr
erforderlich. Vielmehr muß vorrangig die spezialgesetzliche
Regelung des § 19 Abs. 4 Nr. 45 herangezogen werden, die sich
ausdrücklich gegen Preisüberhöhungsmißbrauch durch
marktbeherrschende Unternehmen wendet, die Zugang zu ihren
Netzen gewähren müssen. In diesem Rahmen können die
Zielsetzungen des GWB nach den Vorgaben des Gesetzgebers
angemessen berücksichtigt werden."
Auf derselben Linie liegen das Urteil des LG Köln (B 13) vom 23. Juli 2004
und das Urteil des LG Rostock vorn 12. März 2004. In letzterem heißt es wie
folgt:
„Mit diesen Gesetzen [§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB, § 6 EnWG;
Erläuterung diess.] ist ein wirkungsvolles Instrumentarium zur
Inhaltskontrolle bei Störungen der Funktionsbedingungen der
Privatautonomie geschaffen worden. Für eine Anwendung der
Grundsätze der Billigkeitskontrolle nach §315 BGB bliebe
somit kein Raum."
Anlage BK l
Daß es in diesen Entscheidungen um die Höhe von Netznutzungsentgelten
ging, schließt ihre Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall nicht aus
(entgegen UA, S. 12 oben). Für die Antwort auf die Frage, ob die Vorschriften
der kartellrechtlichen Preiskontrolle Vorrang vor § 315 Abs. 3 BGB haben,
kommt es nicht darauf an, für welche Leistung der beanstandete Preis in
Nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB liegt ein Mißbrauch insbesondere dann vor, w enn ein
marktbeherrschendes Unternehmen sich weigert, dem anderen Unternehmen gegen angemessenes
Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es
dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht
möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden
Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist,
daß ihm die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht
zumutbar ist. Der Netzzugang ist also gegen „angemessenes Entgelt" zu gewähren. Bei dem Merkmal
der Angemessenheit handelt es sich um einen auslegungsbedürftigen, unbestimmten Rechtsbegriff, der
in Nr. 4 nicht weiter konkretisiert wird. Nach herrschender Meinung wird daher im Rahmen des § 19
Abs. 4 Nr. 4 GWB auf die Preisbemessungskriterien des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB zurückgegriffen
(siehe Lutz, RdE 1999, 102, 109; Schnitz, in: Langen/Bunte, GWB 9. Aufl., § 19 Rn. 168; Möschel, in:
Immenga/Mestmäcker, GWB 3. Aufl., § 19 Rn. 204).
DD663174
11|26
Rechnung gestellt worden ist. Verfehlt ist zudem der Hinweis des
Amtsgerichts, daß in den Entscheidungen B 13 auf die Ansicht des BGH,
wonach die Zielrichtungen des GWB und die des § 315 Abs. 3 BGB einander
nicht entsprächen, nicht eingegangen werde (siehe U A, S. 12 oben). Wenn dies
auch nicht ausdrücklich angesprochen wurde, so folgt aus dem Ergebnis beider
Urteile doch eindeutig, daß beide Gerichte für die jeweils zu entscheidenden
Sachverhaltskonstellationen einen solchen Gleichklang bejahen mußten.
Anderenfalls hätten sie nämlich einen Vorrang des § 19 Abs. 4 GWB
verneinen müssen.
Richtig ist allein, daß sich die Zielrichtungen des GWB mit jenen des § 315
Abs. 3 BGB nicht voll decken müssen. Während § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB den
(durch fehlenden oder eingeschränkten Wettbewerb) möglichen Mißbrauch
wirtschaftlicher Macht verhindern will, dient § 315 Abs. 3 BGB der
Vertragsgerechtigkeit: Eine einseitige Preisgestaltung soll gerade daraufhin
überprüft werden, ob sie den vertraglich vereinbarten
Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht; deshalb können in die
Billigkeitsprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB grundsätzlich auch
außerwettbewerbliche Zielsetzungen einfließen. In dem speziellen
Anwendungsbereich des § 315 Abs. 3 BGB der Monopolpreiskontrolle kommt
es zu einem solchen Auseinanderfallen der Prüfungsmaßstäbe des
Kartellrechts einerseits und des Vertragsrechts andererseits indes nicht. Ebenso
wie § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB dient § 315 Abs. 3 BGB in diesem Fall
ausschließlich der Verhinderung des Mißbrauchs privatautonomer
Gestaltungsmacht durch ein Monopolunternehmen6. Es gibt danach keinen in
die Abwägung nach § 315 Abs. 3 bzw. § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB einzustellenden
Umstand, der entweder nur nach der einen oder nach der anderen Norm
Berücksichtigung fände.
Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verhältnis von §§ 19, 20 GWB (n.F.)
zu § 315 Abs. 3 BGB existiert noch nicht, da § 19 GWB erst seit 1999
unmittelbar anwendbar ist. Zu § 26 Abs. 2 GWB a.F. (heute § 20 Abs. l
GWB), der nur die Diskriminierung, d.h. die sachlich nicht gerechtfertigte
unterschiedliche Behandlung anderer Unternehmen erfaßte und anders als § 19
Abs. 4 Nr. 2 GWB keinen Schutz vor Preishöhenmißbrauch bot, hatte der
Siehe Palandt-//ejw-/c/w, BGB 64. Aufl., § 315 Rn. 2.
DD663174
12)26
BGH aber bereits auf die grundsätzliche Konvergenz der Maßstäbe des § 315
Abs. 3 BGB und des Kartellrechts hingewiesen. Er hat dort betont, daß die
Prüfung unter kartellrechtlichen Aspekten im einzelnen Fall oft zu dem
gleichen Ergebnis wie diejenige nach § 315 Abs. 3 BGB führen werde7.
Soweit sich das Amtsgericht auf Entscheidungen des BGH vom 5. Februar
2003 und vom 2. Oktober 1991 beruft, übersieht es, daß diese Entscheidungen
beide nicht zu § 19 GWB (n.F.), sondern zu §§ 22, 26 GWB a.F. ergangen
sind. Der BGH hatte also gar keine Veranlassung, auf die geänderte
Rechtslage und die damit verbundenen Konsequenzen einzugehen.
Das neuere Schrifttum tritt wie schon die Urteile B 13 und BK l gerade für
das Verhältnis von § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB zu § 315 BGB - überwiegend für
den Vorrang der ersten Bestimmung vor der allgemeinen Regelung der
zweiten. Büdenbender8, Salje9 und Rieble10 verneinen die zivilrechtliche
Kontrolle von Energiepreisen am Maßstab des §315 Abs. 3 BGB wegen
Vorrangs des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB". Auch Ehr icke stimmt dieser Meinung
zu. Seinen demnächst in der Zeitschrift „Recht der Energiewirtschaft"
erscheinenden Beitrag „Die Kontrolle von einseitigen Preisfestsetzungen in
Gaslieferungsverträgen nach § 315 Abs. 3 BGB" legen wir als
Anlage BK 2
vor (dort S. 9 ff.). Diese Autoren betonen übereinstimmend, daß der Schutz
vor mißbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht in den §§ 19, 20 Abs. l
GWB geregelt ist, so daß daneben kein Raum mehr für die zivilrechtliche
Kontrolle von Marktmacht im Wege der Analogie zu § 315 Abs. 3 BGB bleibt.
Nach neuem Recht steht sonach fest, daß neben §§ 19, 20 GWB kein Raum für
die vom Amtgericht befürwortete Kontrolle von Marktmacht am Maßstab des
§ 315 Abs. 3 BGB bleibt. Mangels Regelungslücke kann § 315 Abs. 3 BGB
daher nicht zur Kontrolle der hier streitgegenständlichen Preiserhöhung
herangezogen werden. Prüfungsmaßstab ist allein § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB. Der
Kläger ist nach alledem nicht rechtlos gestellt, wenn ihm die Berufung auf §
7
8
9
10
1
'
BGHZ 41, 271, 279 unten.
EuroHeat&Power 2005, 24, 33 f.
ET 2005, 278 ff.
In: Staudinger, BGB Stand Januar 2004, § 315 Rn. 51.
A.A. Held, NZM 2004, 169.
DD663174
13|26
315 BGB versagt wird. Ihm steht im Gegenteil eine spezielle
Anspruchsgrundlage zur Seite.
bb)
Ausschluß des § 315 Abs. 3 BGB wegen § l EnWG und § 5 AVBGasV
In der früheren Rechtssprechung war anerkannt, daß Tarife von
Monopolunternehmen für Leistungen der Daseinsvorsorge, auf deren
Inanspruchnahme der Kunde im Bedarfsfall angewiesen ist, der
Billigkeitskontrolle in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB
unterliegen.
Diese entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB ist hier allerdings
ausgeschlossen, weil anders als beim herkömmlic hen
Leistungsaustauschvertrag, den § 315 BGB im Auge hat, die Beklagte die
Preise von vornherein nicht einseitig frei gestalten und festsetzen kann. Sie
unterliegt nämlich - neben den Auswirkungen des Wettbewerbs mit dem
Heizöl - den Beschränkungen von § l EnWG und § 5 AVBGasV12 Danach hat
sie ihre Preise so zu gestalten, daß sie den Gasbedarfall ihrer Kunden jederzeit
möglichst preisgünstig, sicher und umweltverträglich decken kann. Die hieraus
u.a. resultierende Gruppenbezogenheit der Tarifgestaltung schließt die auf die
individuelle Interessenabwägung bezogene Billigkeitskontrolle nach § 315
Abs. 3 BGB aus. Dies ist vom LG Hannover bereits Anfang der 90er Jahre
richtig entschieden worden. Die auf die Prüfung der (Individual-)Billigkeit
bezogene Vorschrift des § 315 Abs. 3 BGB könne die Besonderheiten der
Gaspreisbildung nicht berücksichtigen. Dieses Urteil des LG Hannover legen
wir nochmals vor als
Anlage BK 3
cc)
Ausschluß des § 315 Abs. 3 BGB wegen des Substitutionswettbewerbs
zwischen Erdgas und Heizöl
Die Unanwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB in bezug auf die Kontrolle von
Gaspreisen folgt jedenfalls daraus, daß die Gaspreise im (Substitutions-)Wett-
12
§ 5 Abs. l S. l AVBGasV lautet: Das GVU ist verpflichtet, den Gasbedarf des Kunden im Rahmen
des § 6 EnWG [heute § 10 EnWG; Erl. diess.] 211 befriedigen und für die Dauer des
Versorgungs vertrages im Umfang der Anmeldung jederzeit Gas zur Verfügung zu stellen.
14|26
bewerb vor allem gegen das Heizöl gebildet werden. Dieser Wettbewerb
begrenzt die Preisgestaltungsfreiheit der Gaslieferanten. Insofern liegen die
Verhältnisse der Gasversorgung entscheidend anders als bei der Strom- oder
der Wasserversorgung. Während ein Strom- oder Wasserkunde im Fall eines
ihm zu hoch erscheinenden Preises nicht einfach auf ein anderes Medium
umsteigen kann, kann der Gaskunde einen anderen Energieträger einsetzen.
Während der Kläger auf die Versorgung mit Strom und Wasser angewiesen ist,
trifft dies auf seine Belieferung mit Gas nicht zu.
Dem wird entgegengehalten, daß sich diese Wahlmöglichkeit auf den
Zeitpunkt der Erstinstallation bzw. auf den Zeitpunkt der Modernisierung
beschränke. Das ist kein rechtserheblicher Einwand. Für die Gasversorgung ist
entscheidend, daß die Preisgestaltung des Versorgungsunternehmens durch
Marktkräfte eingegrenzt und somit faktisch kontrolliert und der Kunde so
geschützt wird. Der Kunde ist zu keinem Zeitpunkt der Willkür des
Gaslieferanten bei der Preisfestsetzung ausgesetzt. Denn der Gaspreis ist auch
für den bereits angeschlossenen und nicht wechselbereiten oder -fähigen
Kunden dauerhaft der gleiche wie für Neukunden. Der Preiswettbewerb
zwischen Heizöl und Gas wirkt sich damit preislich fortlaufend zugunsten
aller bereits angeschlossenen Kunden aus13; Alt- und Neukunden haben keine
unterschiedlichen Gaspreise. Deshalb geht die Behauptung, der einmal
angeschlossene Kunde sei der Preiswillkür seines örtlichen
Gasversorgungsunternehmens ausgeliefert, an der Wirklichkeit des Marktes
vorbei. Die Gasversorgung aller Kunden vollzieht sich zu jedem Zeitpunkt im
Rahmen wirksamer Substitutionskonkurrenz.
Das Amtsgericht folgert die Monopolstellung der Beklagten daraus, daß sie
gegenwärtig der einzige Gasanbieter für Haushaltskunden in Heilbronn ist. Der
grundlegende Rechtsfehler des Gerichts liegt dabei darin, daß es den Markt
unzutreffend abgrenzt. Der Schluß des Amtsgerichts wäre nur dann zutreffend,
wenn es tatsächlich einen eigenständigen Markt für die Belieferung von
Abnehmern mit Gas gäbe. Wegen des oben beschriebenen
Substitutionswettbewerb gibt es einen auf den Energieträger Gas beschränkten
Markt jedoch nicht. Die Belieferung von Haushaltskunden mit Gas erfolgt
vielmehr auf dem sog. Wärmemarkt, auf dem Gas im Wettbewerb zu anderen
13
Siehe Bekl. vom 4. März 2005, S. 5 f.
DD663174
15|26
Energieträgern, insbesondere dem leichten Heizöl steht. Den örtlichen
Gasunternehmen stehen deshalb auf diesem Markt für Raumwärme und
Warmwasserbereitung als Wettbewerber vor allem Heizölanbieter gegenüber14.
Ein Gasversorgungsunternehmen muß sich im Wettbewerb mit diesen
Anbietern messen, wenn es im Markt bestehen und seinen Kundenstamm
erweitern will. Das geht nur, wenn der Gaskunde unter Einrechnung aller
Kosten im Ergebnis besser dasteht als derjenige, der seine Wohnung oder sein
Haus und sein Wasser mit einer anderen Energie heizt.
Diese von der klassischen Vorstellung einseitiger Leistungsbestimmung
eindeutig abweichende Ausgangslage verbietet die Anwendung des § 315 Abs.
3 BGB auf die Kontrolle von Gaspreisen. Dem steht entgegen der Auffassung
des Vorgerichts das BGH-Urteil vom 4. Dezember 1986 nicht entgegen.
Dessen Sachverhalt lag entscheidungserheblich anders: Es ging nämlich nicht
um die Billigkeitskontrolle von Gaspreisen, sondern um die Kontrolle von
Hausanschluß&oste« und Baukostenzuschüssen. Dies sind nach ausdrücklicher
gesetzlicher Regelung Kostenpreise: § 9 Abs. l AVBGasV (für Baukostenzuschüsse) und § 10 Abs. 5 AVBGasV (für Hausanschlußkosten) bestimmen,
daß das Gasversorgungsunternehmen für beide Leistungen nur die Entgelte in
Rechnung stellen darf, die zur Abdeckung der hierfür anfallenden Kosten
notwendig sind. In bezug auf die Kalkulation der Entgelte für diese
Anschlußleistungen war der Versorger unbestreitbar keinem Wettbewerb
ausgesetzt. Das (Orts-)Leitungsnetz und die damit zusammenhängenden
Dienstleistungen stellen ein natürliches Monopol dar.
Hier geht es hingegen nicht um die Höhe des Entgelts für die Erbringung einer
solchen Monopolleistung, sondern um den Preis für eine Leistung, hinsichtlich
derer die Preisgestaltungsfreiheit des Gasversorgungsunternehmens durch den
bestehenden Wettbewerb anderer Wärmeversorger begrenzt wird. Ebenso hat
es das OLG Brandenburg in seinem Urteil vom 10. Januar 2001 (Az. 7 U
16/99) gesehen. Es hat die Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB in der
14
Zu dieser Marktabgrenzung OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. Februar 2005, Az. VI-U (Kart) 19/04:
„Der Angebotsmarkt der Energieversorgung im Raum K.-L- beschränkt sich nicht - wie die Beklagte
meint - auf die Belieferung mit Femwärme. Er umfaßt vielmehr auch die Lieferanten der - aus Sicht
der nachfragenden Kunden funktional austauschbaren - Energieträger Öl, Gas und Elektrizität. Daß die
Klägerin auf dem so abgegrenzten Markt eine beherrschende Position inne hat und als Anbieter von
Energie keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, trägt die Beklagte selbst nicht vor; dazu ist
auch sonst nichts ersichtlich."
DD663174
16|26
Gaswirtschaft - zutreffend - gerade mit Rücksicht auf den oben beschriebenen
Substitutionswettbewerb verneint:
„Die Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB scheitert auch
daran, daß der Klägerin gegenüber der Beklagten keine
Monopolstellung zukommt. Im Bereich der Gasversorgung mag
die Klägerin zwar ein Monopol haben, für die
Energieversorgung der Beklagten insgesamt gilt dies aber nicht.
Der Beklagten stand nämlich die Möglichkeit offen, die
benötigte Energie über die Verbrennung (schweren) Heizöls zu
erlangen, so daß sie auf eine Energieversorgung durch die
Klägerin nicht angewiesen war. Damit ist auch aus dieser Sicht
eine Inhaltskontrolle des Gaslieferungsvertrages zu verneinen."
Anlage BK 4
c)
Zwischenergebnis
Sonach scheidet die Überprüfbarkeit der streitgegenständlichen Preiserhöhung
am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB aus mehreren Gründen aus: Die spezielle,
unmittelbar anwendbare Bestimmung des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB geht der
allgemeinen Norm des § 315 BGB vor. Er bedarf auch nicht des Schutzes
durch die Kontrolle nach §315 BGB, da der Gaspreis der wirksamen
Wettbewerbskontrolle durch andere Marktteilnehmer auf dem Wärmemarkt
unterworfen ist.
2.
Der „Billigkeitsmaßstab" bei der Kontrolle von Gaspreisen
Rechts fehlerhaft sind außerdem und vor allem die Erwägungen des
Ausgangsgerichts zum Prüfungsmaßstab. Selbst wenn man die überkommene
Monopolpreisrechtsprechung zu Unrecht auf die Kontrolle von Gaspreisen
erstrecken wollte, so käme es nach gefestigter Rechtsprechung darauf an, ob
das Entgelt im Rahmen des Marktüblichen liegt und dem entspricht, was
regelmäßig als Preis für eine vergleichbare Leistung verlangt wird, sofern
nicht die umfassende Würdigung des Vertragszwecks sowie die Interessenlage
der Parteien für die Einbeziehung weiterer Gesichtspunkte sprechen. Hieraus
folgt, daß der Grundsatz der Marktüblichkeit nur in besonderen
Ausnahmefällen durch einen anderen (Billigkeits-)Maßstab - etwa die Kosten -
DD663174
17|26
verdrängt werden kann. Bei Überprüfung von Gaspreisen besteht kein Anlaß,
von dem Maßstab der Marktüblichkeit abzurücken.
a)
Die unzutreffende Auffassung des AG Heilbronn
Nach Ansicht des Amtsgerichts soll sich die Art der Billigkeitskontrolle von
Gaspreisen aus der Entscheidung des BGH vom 2. Oktober 1991 ergeben. Sie
betreffe zwar einen Strompreis; ihre Erwägungen beruhten jedoch auf für das
Energiewirtschaftsrecht insgesamt geltenden Grundsätzen. Deshalb müsse der
Gaspreis sich an den Kosten der Beklagten ausrichten (UA, S. 17 f.). Das ist
unhaltbar.
b)
Richtig dagegen: Der
Preisprüfungsmaßstab
Preisbildungsmaßstab
determiniert
den
Nach Meinung des Amtsgerichts soll es hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes
der Billigkeitskontrolle nicht darauf ankommen, welchen äußeren Einflüssen
die der Leistungsbestimmung zugrunde liegende Preisbildung unterworfen ist
(so aber UA, S. 14 oben). Damit offenbart das Gericht einen grundsätzlichen
Rechtsfehler. Es meint, bei der Billigkeitskontrolle andere Prüfmaßstäbe
anwenden zu können, als sie für die Bildung des zu kontrollierenden Preises
maßgeblich sind. Das ist unzutreffend.
Schon aus § 315 Abs. 3 BGB folgt die Kongruenz von Preiskontroll- und
Preisbildungsmaßstab. Eine Billigkeitskontrolle gemäß §315 Abs. 3 BGB
findet nämlich nur dort statt, wo auch die Leistung nach billigem Ermessen
bestimmt werden soll. Eine Kostenkontrolle ist daher auch nur dort zulässig,
wo der zu überprüfende Preis ein Kostenpreis ist. Der Gesetzgeber hat nur für
Strom durch ausdrückliche gesetzliche Regelung das Kostenprinzip
vorgeschrieben15. Der bewußte Verzicht des Gesetzgebers auf eine der BTOElt
entsprechende Kostenkontrolle des Gaspreises verbietet es deshalb mangels
entsprechender normativer Vorgabe - wie jener des § 12 Abs. 2 BTOElt für
Strom -, die Überprüfung der Billigkeit des Gaspreises von dessen
15
Gem. § l Abs. l BTOElt müssen sich die Strompreise für Tarifvertragskunden an den Kosten der
Elektrizitätsversorgung orientieren, wobei § 12 Abs. 2 BTOElt die Genehmigung der Tarife von der
Erforderlichkeit in Anbetracht der Kosten- und Erlöslage des jeweiligen EVU abhängig macht. § 12
Abs. 2 BTOElt hat dabei folgenden Wortlaut: „Die Preisgenehmigung wird nur erteilt, soweit das
Elektrizitätsversorgungsunternehmen nachweist, daß entsprechende Preise in Anbetracht der gesamten
Kosten- und Erlöslage bei elektrizitätswirtschaftlich rationeller Betriebsführung erforderlich sind.".
DD663174
18|26
Kostenkontrolle abhängig zu machen. Der Gesetzgeber hat für den Gaspreis
eine Rechtfertigung für spezielle preisrechtliche Vorgaben nicht gesehen; dem
den Verbraucher schützenden Wettbewerb hat der Gesetzgeber den Vorrang
eingeräumt16.
Diese gesetzgeberische Entscheidung mißachtet das Amtsgericht. Die
Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB setzt es mit der Kostenkontrolle
des Unternehmens gleich. Das Gericht schert den Strompreis und den Gaspreis
unter der Überschrift Energiepreis zu Unrecht über einen Kamm. Daß § l
EnWG für Strom und Gas gleichermaßen gilt, rechtfertigt dieses Vorgehen
nicht. Der Ordnungsrahmen für Strom und Gas ist zwar in vielem vergleichbar,
nicht aber in dem hier entscheidenden Punkt der Preisbildung. Das muß bei der
Kontrolle der Preisbildung beachtet werden. Der BGH hat in dem vom
Amtsgericht angezogenen Urteil aus dem Jahr 1991 die Offenlegung der
Kalkulation verlangen können, weil der dort streitige Strompreis als
Kostenpreis aufgrund der Spezialnorm des § 12 Abs. 2 BTOElt als Kostenpreis
kontrollierbar ist. Das trifft auf den Gaspreis - wie dargelegt - nicht zu17.
Die Auffassung des Amtsgerichts ist nicht nur durch die BTOElt, sondern auch
durch die Rechtsprechung widerlegt. In der Praxis, die seit mehr als 100 Jahren
Erfahrungen mit Inhalt und Umfang des § 315 BGB sammeln konnte, ist eine
Offenlegung der Kostenkalkulation nur dort gefordert worden, wo der zu
überprüfende Preis selbst ein Kostenpreis ist. Es gibt keine obergerichtliche
Entscheidung, die eine Offenlegung der Kostenkalkulation von Preisen fordert,
die durch den Markt gebildet werden. Die Urteile, auf die sich das Amtsgericht
beruft, stützen es nicht. Das Urteil des BGH vom 4. Dezember 1986 betraf
zwar die Gaswirtschaft, aber eben spezielle Kostenpreise gemäß AVBGasV
(siehe oben S. 15). Das LG Frankenthal hat am 9. Oktober 2003 weder über
die Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB noch über die Offenlegung der
Kalkulation von Gaspreisen entschieden. Im Leitsatz zu dieser Entscheidung
heißt es nur:
16
17
Siehe zu den Gründen für einen Verzicht auf eine Tarifpreiskontrolle im Gasgeschäft und zu den
Gründen für die Aufhebung der BTOGas, Bekl. v. 31. März 2005, S. 12.
Nach der wettbewerblichen Öffnung der Strommärkte ist auch die Rechtfertigung entfallen, § 315
Abs. 3 BGB zur Kontrolle der Strompreishöhe heranzuziehen. Da heutzutage jeder Kunde die
Möglichkeit hat, Strom von verschiedenen Lieferanten zu beziehen, ist er auf die Belieferung des ihn
versorgenden EltVU nicht mehr „angewiesen". Für die allgemeine Billigkeitskontrolle ist deshalb kein
Raum mehr (siehe dazu Stappert, NJW 2003, 3177, 3179).
DD663174
19|26
„Im Rahmen eines Eilverfahrens auf Unterlassen der
Einstellung der Energieversorgung ist die Prüfung der Billigkeit
der streitgegenständlichen Gastarife nach § 315 BGB nicht
e r fo rd e r li ch , d ies i s t a l l e in e G eg en s tan d d es
Hauptsache Verfahrens."
c)
Zwischenergebnis
Da Gaspreise Marktpreise sind, können sie auf ihre Billigkeit hin nur anhand
dessen überprüft werden, was im Rahmen des Marktüblichen liegt und dem
entspricht, was als Preis für eine vergleichbare Leistung regelmäßig verlangt
wird. Für die Billigkeitskontrolle eines Strompreises konnte der BGH dagegen
die Offenlegung der Kalkulation verlangen, weil der Strom nach der BTOElt
ein Kostenpreis ist und das Elektrizitätsversorgungsunternehmen deshalb
durch die Spezialnorm des § 12 BTOElt ohnedies verpflichtet ist, seine
gesamte Kosten- und Erlöslage offenzulegen.
3.
Der Nachweis der Billigkeit
Das Urteil des AG Heilbronn muß aus dem weiteren Grund aufgehoben
werden, weil es die von der Beklagten vorgelegten Preisvergleiche B 8 und B
21 als ausreichend hätte ansehen müssen (dazu a). Jedenfalls hätte es den
Billigkeitsnachweis durch den von der Beklagten erbrachten Beweis der
margenneutralen Umlegung der Bezugskostensteigerungen auf die Gaskunden
als erbracht ansehen müssen (dazu b).
a)
Nachweis der Billigkeit durch Gaspreisvergleich
Zu Unrecht hat das Vorgericht den von der Beklagten vorgelegten
Preisvergleichen B 8 und B 21 keine Entscheidungserheblichkeit beigemessen.
Da der Gaspreis ein Marktpreis ist, muß eine Billigkeitskontrolle mittels
vergleichbarer Preise erfolgen18. Aus den Preisvergleichen ist ersichtlich, daß
die Preise der Beklagten auch nach Erhöhung unter dem Durchschnitt
benachbarter Gasversorgungsunternehmen liegen. Das ist nicht rechtserheblich
18
Siehe ausdrücklich BGH NJW-RR 2000, 1560, 1562: Bei der Festsetzung des angemessenen Entgelts
kommt es auf in der Branche anzutreffende marktgerechte Preise an, so daß es der Vorlage von
Kalkulationsunterlagen nicht bedarf.
DD663174
20|26
bestritten. Folglich hat die Beklagte nachgewiesen, daß die streiterhebliche
Preiserhöhung weder mißbräuchlich noch unbillig ist.
b)
Nachweis der Billigkeit wegen Weitergabe (nur) gestiegener Bezugskosten
Das Vorgericht hat den von der Beklagten geführten Nachweis verneint.
Vielmehr hat es rechtsfehlerhaft unter unzulässig erweiternder Auslegung des
eindeutigen Streitgegenstandes die ohnedies unzulässige Kostenkontrolle über
den Umfang der Preiserhöhung hinaus auf den Gesamtpreis der Beklagten
ausgedehnt. Das kann keinen Bestand haben.
Obwohl der Kläger nur die Feststellung verlangt, „daß die zum l. Oktober
2004 von der Beklagten vorgenommene Erhöhung der Gastarife unbillig ist
und, daß statt dessen die vom Gericht zu ermittelnde billige Tariferhöhung
gilt", will das Vorgericht den gesamten Preis einer Billigkeits- und
Kostenkontrolle in voller Höhe unterwerfen (UA, S. 18 f.). Deshalb hat es das
Gericht unterlassen, die Beweismittel der Beklagten überhaupt zu würdigen.
Der Tenor des angegriffenen Urteils ist nicht etwa durch die positive
Feststellung der Unbilligkeit der Preiserhöhung veranlaßt, sondern allein
wegen der angeblich nicht ausreichenden Vorlage von Geschäftsunterlagen zur
Kalkulation des Gesamtpreises.
aa)
Keine Auslegung des (eindeutigen) Klageantrags
Die vom Gericht vorgenommene erweiternde Auslegung des Klageantrags
(siehe UA, S. 19 oben) ist unzulässig. Zwar sind auch Prozeßhandlungen
auslegungsfähig; allerdings finden die Auslegungsregeln des materiellen
Rechts entsprechende Anwendung19. Dementsprechend ist eine Auslegung
nicht statthaft, wenn die fragliche Erklärung eindeutig ist. Da der Antrag des
Klägers eindeutig auf die Überprüfung der Preiserhöhung der Beklagten zum
l. Oktober 2004 beschränkt ist und er diese Beschränkung in der mündlichen
Verhandlung eindeutig bestätigt hat (vgl. Tatbestand des Urteils), durfte das
Gericht den Klägerantrag nicht erweiternd auslegen.
19
BGH NJW-RR 1994, 568; Greger, in: Zöller, ZPO 25. Aufl. vor § 128 Rn. 25.
DD663174
21|26
Während sich der in der Klageschrift angekündigte Antrag noch nicht einmal
auf die Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 bezog, sondern lediglich auf
Feststellung gerichtet war,
„daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Grundpreise und
Verbrauchspreise ihres Gasversorgungstarifs für den Kläger aus
dem Grund zu erhöhen, daß sich angeblich der Ölpreis erhöht
habe",
änderte der Kläger, nachdem die Beklagte auf die Unzulässigkeit dieses
Antrags hingewiesen hatte (siehe KE, S. 2 ff.), seinen Antrag auf Anregung
des Gerichts (siehe Verfügung vom 24. November 2004, S. 2 Mitte). Er hat ihn
wie folgt umgestellt:
„Es wird festgestellt, daß der zwischen den Parteien bestehende
Gaslieferungsvertrag auch nach dem l. Oktober 2004 höchstens
mit den bis dahin geltenden Tarifen fortbesteht oder das Gericht
setzt die billige Tariferhöhung fest."
Diese Antragsfassung hat er später auf den Formulierungsvorschlag des
Ausgangsgerichts hin (siehe Verfügung vom 24. November 200420) noch
einmal geändert und den im Tatbestand genannten Antrag gestellt. Dieser
Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Preiserhöhung zum 1. Oktober
2004 entspricht das entsprechend beschränkte Beweisangebot des Klägers im
Schriftsatz vom 2. Januar 2005:
„Es wird Beweis erhoben zu der Behauptung der Beklagten, die
Preiserhöhung für die Beklagte seitens der Vorlieferantin der
GVS, sei in einem Ausmaß erfolgt, das eine Erhöhung der
Arbeitspreise der Tarife der Beklagten um mindestens 9 % zum
l. Oktober 2004 notwendig gemacht habe."
Es war folglich unzulässig, den Streitgegenstand eigenmächtig auf die Prüfung
des Gesamtpreises zu erstrecken und der Beklagten daraufhin zu erklären, daß
sie hierauf bezogene Kalkulationsunterlagen nicht vorgelegt habe.
20
Es heißt in der Verfügung auf S. 2 Mitte wörtlich: „Einer konkret auf diese Verp flichtung bezogene
Feststellungsklage, etwa es Inhalts, daß der zwischen den Parteien bestehende Gaslieferungsvertrag
auch nach dem l. Oktober 2004 mit den bisherigen Tarifen (vom 19. März 2003) fortbesteht, würde
auch nicht das rechtliche Interesse einer alsbaldigen Feststellung fehlen."
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22|26
Ebensowenig durfte das Vorgericht es unterlassen, die auf den
Streitgegenstand bezogenen Beweise der Beklagten zu würdigen. Schon dieses
Vorgehen des Gerichts reicht zur Urteilsaufhebung.
bb)
Unzutreffendes Auslegungsergebnis des erstinstanzlichen Gerichts
Entgegen der Feststellung im angefochtenen Urteil ergibt sich weder aus dem
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2004 noch aus dem
Tatbestand des Urteils selbst, daß „der Kläger mehrfach deutlich zum
Ausdruck gebracht habe, daß er den Preis insgesamt für unbillig halte" (so
aber UA, S. 19 oben). Der als Richter und Anwalt erfahrene Kläger wußte,
welchen Antrag er schließlich zu Protokoll gegeben hat. Deshalb darf das
Gericht nicht kurzerhand zur Erweiterung des eindeutigen klägerischen
Begehrens schreiten und die Billigkeit des Gesamtpreises überprüfen. Das
kann nur als willkürlich eingestuft werden. Hätte das Amtsgericht sich an den
Klageantrag gehalten, so hätte es die Preiserhöhung zum l. Oktober 2004 nach
§ 19 GWB oder - von uns allerdings verneint - nach § 315 BGB überprüfen
dürfen. Dafür hatte es den erforderlichen Beweis: den der Marktüblichkeit
(siehe dazu oben unter a)) sowie - hilfsweise - den der Kostensteigerung und
ihrer margenneutralen Umlegung auf die Tarifkunden (dazu cc)).
cc)
Nachweis der margenneutralen Umlegung der Bezugskostensteigerung
Von dem - diesseits nicht geteilten - Prüfungsansatz des Vorgerichts
ausgehend werden die von der Beklagten geführten Beweise ihrer Darlegungsund Substantiierungslast gerecht. Das Amtsgericht stellt folgende
Anforderung:
„Die Beklagte müßte also vortragen, inwiefern der geforderte
Gaspreis zur Deckung der Kosten der Gaslieferung und zur
Erzielung eines im vertretbaren Rahmen liegenden Gewinnes
dient, was ihr nur durch die Offenlegung ihrer Kosten- und
Gewinnkalkulation möglich ist." (UA, S. 19 Mitte)
Die Beklagte hat den Umfang der Bezugskostensteigerung zum 1. Oktober
2004 durch Bestätigung B 24 der Vorlieferantin nachgewiesen. Sie hat
außerdem die Umlegung dieser gestiegenen Bezugskosten auf die einzelnen
Kundengruppen unter Zeugenbeweis detailliert beschrieben. Sie hat ferner
DD663I74
23|26
durch ein Wirtschaftsprüfertestat (B 25) bewiesen, daß diese Umlegung der
gestiegenen Kosten kostennah erfolgte. Das alles wird bestätigt durch das
Ergebnis der kartellbehördlichen Prüfung. Die Landeskartellbehörde sieht
keinen Anhaltspunkt für eine mißbräuchliche Preisgestaltung der Beklagten,
denn sie habe nur gestiegene Bezugskosten weitergegeben (siehe B 29). Der
Kläger hat den entsprechenden Vortrag ausdrücklich unstreitig gestellt21.
Folglich steht fest, daß die Preiserhöhung der Beklagten zum l. Oktober 2004
ausschließlich auf gestiegenen Bezugskosten beruht. Hat die Beklagte aber
dergestalt nachgewiesen, daß die streitige Preiserhöhung nur der Deckung
gestiegener Bezugskosten diente, so steht die Billigkeit der
streitgegenständlichen Preiserhöhung selbst nach den vom Amtsgericht zu
Unrecht herangezogenen, weil nur für Kostenpreise geltenden
Bestimmungskriterien der Monopolpreisrechtsprechung fest.
dd)
Die Irrelevanz der Entwicklung der Grenzfibergangspreise
Der Grenzübergangspreis, auf den das Gericht seine Zweifel an der
margenneutralen Umlegung stützt (siehe UA, S. 6 f.), ist für die
Wettbewerbssituation des Erdgases auf dem relevanten Wärmemarkt (für die
Belieferung von Haushaltskunden) ohnedies bar jeder Aussagekraft. In dessen
Ermittlung fließen nämlich nicht nur die Preise des für die Versorgung von
Haushaltskunden benötigten Erdgases ein, sondern mit hohen Mengen auch
die erheblich niedrigeren Preise des Industrie- und Kraftwerksgases. Diese
sind wegen ihrer ganz anderen Wettbewerbssituation nicht an die Preise für
leichtes Heizöl (HEL), sondern an die für das preisgünstigere schwere Heizöl22
oder andere Energieträger (z.B. Kohle) gebunden.
Der Grenzübergangspreis kann noch nicht einmal zur Plausibilisierung der
Entwicklung der Gasbezugskosten der kommunalen Versorger herangezogen
werden, da selbst der Teil der dem BAFA gemeldeten Importpreise, der HELabhängig ist, die Preisentwicklung in den Importverträgen nicht widerspiegelt.
Zwar sind die Importpreise grundsätzlich vom Ölpreis abhängig; die dem
BAFA gemeldeten Preise müssen aber nicht die Gegenleistung für das genau
21
22
Siehe Schriftsatz des Klägers vom 10. März 2005, S. 2 unten.
Schweres Heizöl steht in bezug auf die Versorgung von Haushaltskunden nicht im Wettbewerb zu
Erdgas, weil Haushaltskunden diesen Energieträger schon aus technischen Gründen nicht einsetzen
können.
DD663I74
24|26
in demselben Zeitraum gelieferte Gas darstellen. Nur beispielhaft sei auf
Preisrevisionen für zurückliegende Zeiträume hingewiesen. Dem BAFA
werden diese Preisänderungen im Zeitpunkt der Vereinbarung gemeldet; in
den bereits gemeldeten Zahlen können solche Änderungen allerdings nicht
mehr berücksichtigt werden.
Beweis:
Sachverständigenzeugnis des beim BAFA zuständigen Abteilungsleiters
Gleichwohl sei darauf verwiesen, daß der Grenzübergangspreis zwischen
Januar 2004 und Januar 2005 erheblich gestiegen ist, und zwar um etwa 25 %.
Anlage BK 5
C.
Zusammenfassung
Das Urteil des AG Heilbronn ist aus zahlreichen Gründen aufzuheben. Das
Begehren des Klägers ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet.
Das Amtsgericht löst sich mit seiner Auffassung, die entsprechende
Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB sei auch zur Kontrolle von Gaspreisen
gerechtfertigt, von der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, die §
315 Abs. 3 BGB auf die Kontrolle von Gaspreisen noch nie angewendet hat.
Eine Abkehr von dieser Rechtsprechung liegt aber auch insoweit vor, als daß
das Ausgangsgericht den bei der Billigkeitskontrolle anzulegenden
Prüfungsmaßstab von den für die Preisbildung maßgeblichen Faktoren
entkoppeln will. Schließlich dehnt das erstinstanzliche Gericht den bewußt
beschränkten Streitgegenstand auf die Überprüfung des Gesamtpreises der
Beklagten aus. Selbst wenn das Gericht schon zu Unrecht nach § 315 Abs. 3
BGB prüfen will, so muß es den Gaspreis an dem im Markt für vergleichbare
Leistungen Üblichen messen, nicht aber unter Berufung auf ein Urteil, das sich
mit den Besonderheiten der Strompreisbildung nach der BTOElt befaßt. Jeder
einzelne dieser Punkte rechtfertigt bereits für sich die Aufhebung des
angefochtenen Urteils.
D.
Hilfsweise: Zulassung der Revision
Sollte das Berufungsgericht die Klage doch für begründet halten, so
beantragen wir,
DD663I74
25|26
die Revision zuzulassen.
Gem. § 543 Abs. 2 ZPO hat dies dann zu geschehen, wenn die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine
entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
aufwirft, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat23.
Das kann insbesondere bei Musterprozessen und Verfahren, in denen die
Auslegung typischer Vertragsbestimmungen, Tarife, Formularverträge oder
allgemeiner Geschäftsbedingungen erforderlich wird, aber auch in sonstigen
Fällen, in denen Leitentscheidungen des Revisionsgerichts notwendig
erscheinen, der Fall sein24. Klärungsbedürftigkeit ist dabei immer dann
gegeben, wenn die Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden ist25.
Selbst wenn es sich nicht um eine Rechtsfrage handelt, die in einer
unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann, kann eine Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung haben, dann nämlich, wenn Auswirkungen des
Rechtsstreits die Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße berühren
und ein Tätigwerden des Revisionsgerichts erforderlich machen26.
An diesen Maßstäben gemessen ist hier die grundsätzliche Bedeutung dieses
Rechtsstreits zu bejahen. Die Rechtsfrage, um die es hier geht, ist diejenige, ob
die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB auf die Kontrolle von
Gaspreisen gerechtfertigt ist und bejahendenfalls, ob zum Nachweis der
Billigkeit weitergehende Darlegungen als der Nachweis der Marktüblichkeit
erforderlich sind. Hält das Gericht die Klage nicht bereits für unzulässig oder
deshalb für unbegründet, weil die Beklagte nachgewiesen hat, daß die
streitgegenständliche Preiserhöhung nur aufgestiegenen Bezugskosten beruht,
so kommt es auf diese Rechtsfrage an. Zweifel an der Klärungsbedürftigkeit
dieser Rechtsfrage dürften nicht bestehen, weil es - wie bereits mehrfach
23
24
25
26
BGH NJW 2003, 65, 67 mwN; BAG NJW 2005, 1531, 1532; Gummer, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., §
543Rdnr. 11.
BGH NJW 2003, 65, 67.
BAG NJW 2005, 1531, 1532.
BGH NJW 2003, 65, 67.
DD663174
26|26
betont - bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung gibt, die Gaspreise
einer Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unterwirft.
Nach alledem kann das angegriffene Urteil keinen Bestand haben. Auf unser
gesamtes Vorbringen in diesem Rechtsstreit einschließlich der Beweisantritte wird
ergänzend Bezug genommen und zum Gegenstand des Vortrages in dieser Instanz
gemacht.
(Prof. Dr. Kniep)
Rechtsanwalt
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