Vorkurs Mathematik 2013 Dr. Michael Welter 1 Zwei grundlegende Prinzipien der natürlichen Zahlen Axiom 1.1 (Prinzip der vollständigen Induktion) Es sei A eine Teilmenge der natürlichen Zahlen , also A ⊂ IN, die den folgenden Bedingungen genügt: (IV) Die natürliche Zahl 1 liegt in A (in Zeichen: 1 ∈ A), (IS) Gilt für eine natürliche Zahl n, dass sie in A liegt, so liegt auch n + 1 in A. kurz: n ∈ A ⇒ n + 1 ∈ A. Dann ist A = IN. Bemerkung 1 Die Bedingung (IV) nennt man die Induktionsverankerung und (IS) den Induktionsschluss oder -schritt. Axiom 1.2 (Prinzip der vollständigen Induktion, 2. Version) Es sei A eine Teilmenge der natürlichen Zahlen, also A ⊂ IN, die den folgenden Bedingungen genügt: (IV) 1 ∈ A, (IS’) Gilt für die natürlichen Zahlen 1, 2, . . . , n, dass sie in A liegen, so liegt auch n + 1 in A. kurz: 1, 2, . . . , n ∈ A ⇒ n + 1 ∈ A. Dann ist A = IN. Axiom 1.3 (Prinzip vom kleinsten Element) Jede nichtleere Teilmenge M der natürlichen Zahlen hat ein kleinstes Element, d.h. M ⊂ IN, M 6= ∅ ⇒ ∃m0 ∈ M ∀m ∈ M : m0 ≤ m. 1 Satz 1.4 (Euklidischer Divisionsalgorithmus, Division mit Rest) Es seien a, b ∈ Z, b 6= 0. Dann existieren ganze Zahlen q und r mit a = bq + r und 0 ≤ r < |b|. q und r sind eindeutig bestimmt. Satz 1.5 Das Prinzip der vollständigen Induktion und das Prinzip vom kleinsten Element sind logisch äquivalent. 2 Teilbarkeit Definition 2.1 Es seien m, n ganze Zahlen und m 6= 0. m teilt n (m ist ein Teiler von n) genau dann, wenn eine ganze Zahl q existiert, so dass n = qm ist. In Zeichen: m|n :⇔ ∃q ∈ Z : n = qm. Satz 2.2 Es seien l, m, n1 , n2 ganze Zahlen. 1. ∀n 6= 0 : n|0, n|n 2. m|n ⇒ m| − n, −m|n 3. ∀n : 1|n 4. m|n, n 6= 0 : |m| ≤ |n| 5. n|1 ⇒ n ∈ {−1, 1} 6. m|n, n|m ⇒ m = n oder m = −n 7. l|m, m|n ⇒ l|n 8. l 6= 0, m|n ⇒ lm|ln 9. m|n1 , m|n2 ⇒ m|(n1 + n2 ) 10. m|n ⇒ ∀l : m|ln 11. m|n, m|(n + l) ⇒ m|l Definition 2.3 Es seien m, n ganze Zahlen, nicht beide 0. Wir sagen d > 0 ist der größte gemeinsame Teiler von n und m (in Zeichen: d = ggT (n, m) = (n, m)), falls gilt: 1. d|m und d|n, 2. t|m, t|n ⇒ t|d. 2 Lemma 2.4 Es seien n, m ∈ IN0 , n ≥ m. Dann gilt ggT (n, m) = ggT (m, n − m). Lemma 2.5 Hat man die Darstellung a = qb + r, so gilt ggT (a, b) = ggT (b, r). Korollar 2.6 Zu ganzen Zahlen m, n, die nicht beide Null sind, existieren ganze Zahlen u, v mit ggT (n, m) = un + vm. 3 Primzahlen und der Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie Definition 3.1 Wir definieren die Teileranzahlfunktion τ : IN → IN durch τ (n) := #{1 ≤ d ≤ n| d|n}. Definition 3.2 Eine natürliche Zahl p heißt genau dann Primzahl, wenn τ (p) = 2 ist. P := {n ∈ IN|τ (n) = 2} ist die Menge aller Primzahlen. Eine natürliche Zahl n 6= 1 heißt zusammengesetzt, falls n 6∈ P ist. Lemma 3.3 Ist eine natürliche Zahl n zusammengesetzt, so existieren Zahlen a, b ∈ {2, 3, . . . , n − 1} mit n = ab. Satz 3.4 Für jede von 1 verschiedene natürliche Zahl p sind äquivalent 1. p ∈ P 2. ∀a, b ∈ Z : p|ab ⇒ p|a ∨ p|b Satz 3.5 (Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie) Jede von 1 verschiedene natürliche Zahl ist als Produkt endlich vieler Primzahlen darstellbar; diese Darstellung ist eindeutig, wenn man die Primzahlen der Größe nach ordnet. Definition 3.6 Für jede natürliche Zahl n und Primzahl p setzen wir νp (n) := max{k ∈ IN0 | pk |n}. Man nennt dies die Ordnung oder Vielfachheit von p in n. Satz 3.7 Es seien n, m ∈ Z und d := ggT(n, m). Dann gilt Y d= pmin(νp (n),νp (m)) . p∈P 3 4 Kongruenzrechnung Definition 4.1 Es seien a, b ∈ Z und m ∈ IN. Dann ist a kongruent zu b modulo m, falls a − b von m geteilt wird. Wir schreiben dann a ≡ b mod m oder a ≡ b(m) oder a ≡m b. Satz 4.2 Es seien a, b, c ∈ Z und m ∈ IN. Dann gilt: 1. a ≡ a mod m 2. (a ≡ b mod m) ⇒ (b ≡ a mod m) 3. (a ≡ b mod m, b ≡ c mod m) ⇒ (a ≡ c mod m) Satz 4.3 Es seien a, b, c, d ∈ Z und m ∈ IN. Gelten a ≡ b mod m und c ≡ d mod m, so gelten auch a + c ≡ b + d mod m und ac ≡ bd mod m. Satz 4.4 (Kürzungsregel) Es seien a, b, c ∈ Z und m ∈ IN. Ist d := ggT (c, m), so gilt ac ≡ bc mod m ⇔ a ≡ b mod m. Satz 4.5 Es seien a, b ∈ Z, m ∈ IN und d := ggT (a, m). Die lineare Kongruenz ax ≡ b mod m ist genau dann lösbar, wenn d|b gilt. Gilt d|b und sind u, v derart, dass ua+vm = d ist, so sind alle Lösungen der Kongruenzgleichung durch b m x=u +t d d mit ganzzahligem t gegeben. Satz 4.6 (Chinesischer Restsatz, einfache Version) Es seien a, b ∈ Z, m, n ∈ IN und d := ggT (n, m). Weiter seien u, v ganze Zahlen derart, dass un+vm = d ist. Die simultane Kongruenzen x ≡ a x ≡ b mod m mod n sind genau dann lösbar, wenn a ≡ b mod d ist. In diesem Fall sind die simultanen Kongruenzen äquivalent zu der einfachen Kongruenz x ≡ a − un a−b d 4 mod nm . d 5 Einführung in die Gruppentheorie Definition 5.1 Es sei M 6= ∅. Unter einer Verknüpfung ◦ auf M wollen wir eine Abbildung der Art ◦:M ×M → (a, b) 7→ M a◦b verstehen. D.h. ∀a, b ∈ M ∃!c ∈ M : a ◦ b = c. Definition 5.2 Es sei G 6= ∅ eine Menge und ◦ eine Verknüpfung auf G. Dann heißt (G, ◦) eine Gruppe, falls die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind: (A) ∀a, b, c ∈ G : (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c), (N) ∃e ∈ G∀a ∈ G : e ◦ a = a ◦ e = a, (I) ∀a ∈ G∃a0 ∈ G : a ◦ a0 = a0 ◦ a = e. Eine Gruppe (G, ◦) heißt kommutativ oder abelsch, falls zusätzlich gilt: (K) ∀a, b ∈ G : a ◦ b = b ◦ a. Definition 5.3 Es sei (G, ◦) eine Gruppe und U eine nichtleere Teilmenge von G. U heißt Untergruppe von G, falls (U, ◦) eine Gruppe ist. Definition 5.4 Es sei a ∈ Z und m ∈ IN. Wir definieren a := [a] := [a]m := {b ∈ Z|a ≡ b(m)} die Menge aller zu a modulo m kongruenten Zahlen. Wir nennen dies die Restklasse von a modulo m. a heißt Repräsentant der Restklasse. Lemma 5.5 Es seien a, b ∈ Z, m ∈ IN. Dann gilt a ≡ b(m) ⇔ [a]m = [b]m ⇔ [a]m ∩ [b]m 6= ∅. Definition 5.6 Für m ∈ IN setzen wir Zm := {[0]m , [1]m , . . . , [m − 1]m }. Jede Menge {a1 , a2 , . . . , am } ⊂ Z mit {[a1 ]m , [a2 ]m , . . . , [am ]m } = Zm heißt vollständiges Restsystem modulo m. Wir definieren auf Zm zwei Verknüpfungen ⊕ und durch [a] ⊕m [b] = [a + b] und [a] m [b] = [ab]. Satz 5.7 (Zm , ⊕m ) ist eine endliche abelsche Gruppe mit m Elementen. 5 Satz 5.8 (Zm \ {[0]}, m ) ist genau dann eine endliche abelsche Gruppe, wenn m eine Primzahl ist. Definition 5.9 Es seien K eine Menge und +, · Verknüpfungen auf K. Das Tripel (K, +, ·) heißt dann ein Körper, wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind 1. (K, +) ist eine abelsche Gruppe (mit neutralem Element 0), 2. (K \ {0}, ·) ist eine abelsche Gruppe, 3. ∀a, b, c ∈ K : a · (b + c) = (a · b) + (a · c). Satz 5.10 (Zp , ⊕p , p ) ist genau dann ein Körper, wenn p eine Primzahl ist. Definition 5.11 Es seien (G, ◦) eine endliche Gruppe, d.h. G hat endlich viele Elemente, und a ∈ G. Wir definieren Potenzen von a induktiv durch a0 = e und an = an−1 ◦ a für n ∈ IN. Lemma 5.12 Es seien (G, ◦) eine endliche Gruppe und a ∈ G. Dann ist hai := {an |n ∈ IN} eine Untergruppe von G. Man nennt hai die von a erzeugte Untergruppe. Lemma 5.13 Es seien (G, ◦) eine endliche Gruppe und a ∈ G. Weiter sei ord(a) := min{n ∈ IN|an = e} die Ordnung des Elements a. Für jedes n ∈ IN mit an = e gilt dann ord(a)|n. Definition 5.14 Es bezeichne #G die Anzahl der Elemente von G. Man nennt dies auch die Ordnung der Gruppe G. Satz 5.15 (Satz von Lagrange) Es seien (G, ◦) eine endliche Gruppe und U eine Untergruppe von G. Dann gilt #U |#G. Korollar 5.16 Es seien (G, ◦) eine endliche Gruppe und a ∈ G. Dann gilt ord(a) = #hai|#G 6 6 Der Satz von Euler-Fermat Satz 6.1 Setzt man Um := {[r] ∈ Zm | ggT (m, r) = 1}, so ist (Um , m ) für jedes m ∈ IN eine endliche abelsche Gruppe. Definition 6.2 Wir nennen Um die Einheitengruppe von Zm und bezeichnen die Ordnung von Um mit ϕ(m); also ϕ(m) := #{1 ≤ r ≤ m|ggT (m, r) = 1}. Satz 6.3 Für alle [a] ∈ Um gilt: [a]ϕ(m) = [1]. Satz 6.4 (Satz von Euler-Fermat) Es seien a ∈ Z, m ∈ IN mit ggT (a, m) = 1. Dann gilt aϕ(m) ≡ 1 mod m. Satz 6.5 Es seien m, n ∈ IN \ {1} mit ggT (n, m) = 1. Weiter sei A ein Repräsentantensystem von Zn und B eines von Zm . Dann gilt 1. {am + bn|a ∈ A, b ∈ B} ist ein Repräsentantensystem von Znm . 2. [am + bn] ∈ Umn ⇔ [a] ∈ Un und [b] ∈ Um . Korollar 6.6 Für teilerfremde natürliche Zahlen n, m gilt ϕ(mn) = ϕ(m)ϕ(n). Korollar 6.7 Für natürliche Zahlen n > 1 gilt Y ϕ(n) = pνp (n)−1 (p − 1). p 6.8 Anwendung in der Codierungstheorie Eine endliche Menge Σ heißt Alphabet. Für ein Tupel (x1 , . . . , xn ) ∈ Σn schreibt man üblicherweise x1 . . . xn und nennt dies ein Wort über Σ der Länge n. Σ∗ bezeichnet die Menge aller Worte über Σ einschließlich des leeren Wortes . Es sei nun Σ ein Quellalphabet und Γ ein Zielalphabet. Eine Abbildung K : Σ → Γ∗ heißt Codierung. Ist w = x1 . . . xn ∈ Σn so setzt man K(w) = K(x1 ) . . . K(xn ). 7 6.9 Anwendung in der Kryptographie Eine Kodierungsfunktion E verschlüsselt eine Nachricht x mittels eines Schlüssels k1 : E(x, k1 ). Eine Dekodierungsfunktion D verschlüsselt eine Nachricht y mittels eines Schlüssels k2 : D(y, k2 ). Für alle Nachrichten x sollte gelten D(E(x, k1 ), k2 ) = x. Der RSA-Algorithmus nach Rivest, Shamir und Adleman: 1. Wähle zwei große Primzahlen p und q. 2. Wähle e so, dass ggT (e, (p − 1)(q − 1)) = 1, d.h. [e] ∈ U(p−1)(q−1) . 3. Bestimme das Inverse [d] von [e] in (U(p−1)(q−1) , (p−1)(q−1) ). 4. Setze n := pq. Öffentlicher Schlüssel: (e, n) Privater Schlüssel: d Mittels RSA können nun alle Nachrichten m mit m < n und ggT (m, n) = 1 mit E(m, (e, n)) = [me ]n verschlüsselt werden. Die Entschlüsselungsfunktion lautet D(c, (d, n)) = [cd ]n . 8