L 409: vom zufälligen Entdecken zum Naturgesetz Lehrbuch Zufälliges Entdecken Niemand weiß, wie der Mensch dazu kam, Naturgesetze aufzustellen. Man kann aber den Vorgang des zufälligen Entdeckens in seiner Urform auch heute noch beobachten. Entwicklung des Menschen Aus der Biologie weiß man, dass der Mensch, wie jede andere höhere Lebensform bei seiner individuellen Entwicklung nahezu alle wesentlichen Stadien der niederen Entwicklungsstufen durchläuft: Vom Einzeller über die mehrzelligen Lebensformen; bei der Entwicklung des Herzens von schlauchförmigen Herzen noch ohne Adersystem bis hin zum Vierkammerherzen; vom Kiemenatmer zum Lungenatmer mit zwischenzeitlicher Ausbildung von Schwimmhäuten und Schwanz und deren Rückbildung bis zum lebensfähigen menschlichen Idividuums, das geboren wird. Spätestens von diesem Moment an erlangt das neugeborene Kind Informationen über seine Sinne und fügt sie zu seiner „Ansicht“ der Umwelt zusammen, es entdeckt seine Hände, es entdeckt die Räumlickeit und schließlich auch die Fallgesetze. Es ist bemerkenswert zu beobachten, wie lange das „Spiel“ zur Entdeckung der Fallgesetze dauert. Dazu läßt das Kind beispielsweise einfach einen Gegenstand aus dem Kinderwagen fallen, anfangs ist es überrascht, dass der Gegenstand weg ist. Wenn es beobachten kann, dass ihm der Gegenst and vom Boden her wiedergegeben wird, dauert es nicht lange, dann wirft es den Gegenstand ganz bewusst aus dem Kinderwagen und schaut hinterher. Das macht es eine ziemlich lange Zeit und wohl mit allen Gegenständen. Danach weiß das Kind, dass es eine Regelmäßigkeit gibt: Alle Gegenstände fallen nach unten. Ähnliches kann man zu einem späteren Zeitpunkt der geistigen Entwicklung beobachten, wenn es versucht, verschieden geformte Gegenstände durch Löcher zu stecken, die verschiedene Formen besitzen. Es dauert für einen Erwachsenen überraschend lange, bis das Kind diese Übung auf Anhieb korrekt ausführt. Eine andere Übung ist das Bauen von Türmen mit Bauklötzen. Auch hier gewinnt das Kind langsam Erfahrungen, die zum erfolgreichen Bauen von Türmen führen. Spielen mit Naturgesetzen Lernen durch Imitation Es nicht sicher nachzuvollziehen, welche Denkprozesse ein Kind dabei macht, da es sich nicht durch Reden mitteilen kann. Ebenso lässt sich der Lernzuwachs durch Erklären nicht beschleunigen, da das Kind die zur Erklärung nötigen Wörter nicht versteht. Daher ist das Kind mit der angeborenen Fähigkeit des Nachmachen–Wollens ausgestattet. In Spiel mit Älteren schaut es sich die Regeln ab, die zu stabilen Türmen führen. Obwohl das Kind nach einiger Zeit Türme bauen kann, wird noch viel Zeit vergehen, bis es dafür Regeln in Worte fassen kann. Modellbildung Man nutzt diese naturgegebenen Voraussetzungen zum Lernen auch im Unterricht aus. Der Weg zum Naturgesetz sehr einfach am Beispiel der zweiarmigen Hebelwage und der Formulierung der Hebelgesetze nachvollzogen werden. Bild 1 zeigt eine zweiarmige Hebelwaage. Bild 1: Zweiarmige Hebelwaage Ein erster Schritt für das zufällige Entdecken ist das Zusammentreffen ähnlicher Beobachtungen. Zufällig auftretende Ereignisse, die absolut gleich sind, werden in der Regel nicht wahrgenommen. Wohl aber zufällige Ereignisse, die eine große Ähnlichkeit besitzen. Es überrascht daher niemanden mehr wirklich, wenn Gegenstände herunterfallen. Es überrascht allerdings sehr, wenn gleich schwere Gegenstände auf einer zweiarmigen Waage zu schweben scheinen. Die Überraschung führt zur vergrößerten Aufmerksamkeit auf das Funktionieren von Waagen, während die restlichen Ereignisse der Natur in den Hintergrund des Bewusstseins verdrängt we rden. Hier ist die erste Schwelle auf dem Weg der forschenden Entdeckung der Umwelt zu überwinden. Wenn einem Menschen keine Unterschiede und Gemeinsamkeiten auffallen, kann er kein Interesse entwickeln, die Ursachen hierfür zu finden, dann kann er auch nicht „forschen“. © 2005-2007 HMTC Halbmikrotechnik Chemie GmbH Letzte Änderung 05.04.2007 1. Auswahl treffen Waage Mangelnde Beobachtungsgabe L 409: vom zufälligen Entdecken zum Naturgesetz Lehrbuch 2. Sammeln Wenn ihm aber Unterschiede auffallen, beginnt das Sammeln von gleichen und ungleichen Dingen. Betrachtet man verschiedene zweiarmige Waagen, so stellt man fest, dass eine Waage einen Waagebalken besitzt, der in der Regel waagerecht steht. Das ist immer so, auch wenn sich auf beiden Seiten gleiche Gewichte befinden (Bild 2). – Diese Erkenntnis kann man sich merken. Die Merkregel wird nun zum Naturgesetz erhoben, bis einmal etwas anders zu beobachten ist. Dann gilt es die Ursache für den Unterschied herauszufinden. Gleichgewichte Bild 2: Waagen im Gleichgewicht Ungleichgewicht? Es gibt Waagen, bei denen die Waagschalen nicht waagerecht stehen (Bild 3). Nun beginnt das „Untersuchen“. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass auch hier die Gegenstände nicht herunterfallen. Im Gegensatz zum vorher erkannten Gleichgewicht zeigt sich, dass die Seite mit den schwereren Gegenständen tiefer hängt als die mit den leichteren Gegenständen. Jetzt sollte das „Sich-Wundern“ einsetzen, warum auch das Schiefstehen einen Gleichgewichtszustand arstellt. Da diese Waagen auch zu einem, aber andersartigen Gleichgewicht finden, muss bei der eine verbesserte Beschreibung des Waagengleichgewichts gesucht und gefunden werden. Bild 3: Waagen in scheinbarem Ungleichgewicht Der zweite wesentliche Schritt bei der Erforschung der Natur ist das „Sich-Wundern“. Das Sich-Wundern setzt voraus, dass man in der Lage ist, sich Zustände in der Natur zu merken. Durch unbewusstes Vergleich der Natur mit bekannten, „gemerkten“ Zuständen fällt auf, dass etwas anders ist als gewohnt. 2. Sich Wundern Es ist die Besondernheit des Menschen sich zu wundern, weil er in der Lage ist, Unterschiede zu bemerken. Solange es aber unbewusst bleibt, bringt das „Sich-Wundern“ keine neuen Erkenntnisse über die Natur. Wenn sich ein Mensch darüber nicht wundert, wird er auch keine Neugier entwickeln können, um die Ursachen für das „Auffällige“ zu herauszufinden. An dieser Stelle liegt die Besonderheit im Verhalten von Menschen, die sich als „Forscher“ betätigen. Das „Sich-Wundern“ und die Neugier, die Ursachen herausfinden zu wollen, amchen den Naturforscher aus. Diese Fähigkeiten lassen sich nur schwer erlernen, sie sind meist angeboren. Nun kommt man zum dritten Schritt, dem Forschen nach dem Unterschied in der Natur der Sachverhalte. Beim Forschen will man ganz bewusst einen Grund herausfinden, warum etwas anders ist, als man es schon kennt ist. Nach welchen Regeln das Forschen abläuft, ist genau so sehr einfach zu beschreiben, wie es schwierig ist es durchzuführen. Das systematische Forschen wird zum Hauptgegenstand der späteren Abhandlungen. 3. Suchen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden Ziel ist es herauszufinden, was man übersehen hat. Hat man das Neue herausgefunden, erweitert man seine bekannten Regeln und verbessert damit das (ungenau) bekannte Gesetz. Man muss auch immer damit rechnen, dass die neuen Erkenntnisse es nötig machen, ein bekanntes Gesetz als falsch zu erkennen. System – Umgebung Systemgrenze Zum Untersuchen der Natur teilt man die Natur in zwei Bereiche auf, den einen nennt man System (Bild 5). Das System enthält nur einen sehr , sehr kleinen Ausschnitt aus der Natur, den man möglichst genau beschreiben kann. In diesem Falle ist es eine zweiarmige Hebelwaage, deren beiden Waagschalen leer sind. Der Waagebalken hat sich in die waagerechte Lage begeben und bleibt so stehen. Den Rest der Natur nennt man Umgebung. System und Umgebung sind durch die Systemgrenze getrennt. Bild 4: Das System „Waage“ als Teil der Natur © 2005-2007 HMTC Halbmikrotechnik Chemie GmbH Letzte Änderung 05.04.2007 L 409: vom zufälligen Entdecken zum Naturgesetz Lehrbuch Statisches Gleichgewicht Dieser Zustand des Systems bleibt gleich, auch wenn sich gleich viele, gleich geartete Massenstücke jeweils auf beiden Seiten der Waage befinden. Man sagt: Der Waagebalken befindet sich in einem statischen Gleichgewicht (statisch lat. in Ruhe). Stabiles Gleichgewicht Man kann den Waagebalken auch anstoßen. Er pendelt dann eine zeitlang hin und her, kehrt aber immer in den Zustand des statischen Gleichgewichts zurück. Einen Gleichgewichtszustand, der sich nach einer Störung immer wieder auf die gleiche Weise einstellt, bezeichnet man als stabiles Gleichgewicht. Bild 5: Das System „Waage“ im Gleichgewicht Wenn man verschiedene „Systeme Waage“ untersucht, bei denen der Waagebalken nicht waagerecht steht, so findet man, dass in diesen Fällen die tiefer stehende Waagschale die Summe der Massen größer ist als auf der höher stehenden Waagschale. Deshalb kippt die Waage in eine neue Gleichgewichtslage. Es ist verwunderlich, warum die tieferstehende Waagschale sich nicht bis in die tiefstmögliche Stellung dreht. Offenbar hat man etwas übersehen oder das Gesetz vom Gleichgewicht in der Natur ist falsch. Diese Unklarheit ist der Grund für weitere Experimente, die Klarheit schaffen sollen. Dazu muss man gezielte Veränderungen am System vornehmen. Wenn ein Mensch gezielt Störungen an einem im Gleichgewicht stehende System unternimmt, macht er ein Experiment. Experimente sind demnach vom Menschen bewusst herbeigeführte Veränderungen an bestehenden Systemen. Die Experimente beginnen wieder mit einer möglichst genauen Beschreibung des bestehenden Ausgangsgleichgewichts. Danach wird das Gleichgewicht durch Zufuhr von Energie von außen gestört. Das kann auf viele verschiedene Arten geschehen. Hier werden Gewichte an den Waagebalken verschoben. Dazu benötigt man Energie von außen, denn von allein verändert sich ein bestehendes Gleichgewicht nicht. Massenunterschiede Experiment Angeregtes Gleichgewicht Dabei nimmt die Energie in der Umgebung ab (-Energie). In gleichem Maße nimmt die Energie des System zu (+Energie). Es stellt sich zunächst ein Ungleichgewicht ein. Nach kurzer Zeit geht das System in einen neuen stabilen Gleichgewichtszustand über. Diesen neuen Gleichgewichtszustand bezeichnet man als angeregtes Gleichgewicht. In anderen Experimente werden nicht die Massen von einer Seite zur andere bewegt, sonder nur der Abstand der Massen von Drehpunkt verändert. Liegt ein angeregtes Gleichgewicht vor und entfernt man die vorher zugefügte Störung, dann beobachtet man, dass das angeregte System wieder in das Ausgangsgleichgewicht zurückkehrt. Bild 6: Störung des Gleichgewichts von außen durch Energiezufuhr Rückkehr in das natürliche Gleichgewicht Dabei nimmt die Energie um den gleichen Betrag ab (-Energie) und die Energie der Umgebung wieder zu. Jetzt befindet man sich wieder im natürlichen Gleichgewicht. Damit können die Experimente abgeschlossen werden und die Ergebnisse in Regeln zusammengefasst werden. Bild 7: Störung des Gleichgewichts durch Entfernen von Energie aus dem System Die vierte Stufe auf dem Wege, die Natur zu verstehen, besteht in der Aufstellung von Regeln. Dazu muss man die bestehenden Erkenntnisse in Wörter und Merksätze fassen. Die Wörter, die man zum Beschreiben von Regeln benötigt, entnimmt man der normalen Umgangssprache. Damit man sich mit anderen Forschern verständigen kann, muss man die Bedeutung dieser Wörter neu abgrenzen und festlegen. Diese Neufestlegung nennt man Definition (definieren lat. abgrenzen). Dadurch entwickelt sich die Fachsprache. Sie dient der kurzen, präzisen Verständigung, wenn man die Fachausdrücke im richtigen Zusammenhang gemäß den Definitionen benutzt. Man definiert zwei neue Begriffe, den Drehpunkt und den Schwerpunkt. Für unsere Zwecke gilt: Der Drehpunkt ist der Punkt, um den sich ein beweglicher Körper drehen kann. Der Schwerpunkt ist der Punkt, in dem man sich die gesamte Masse des Körpers vereingt denken kann und der dann die gleichen Eigenschaften bei Bewegungen besitzt, wie der gesamte Körper. © 2005-2007 HMTC Halbmikrotechnik Chemie GmbH Letzte Änderung 05.04.2007 4. Aufstellen von Regeln Definitionen Definition: Drehpunkt Definition: Schwerpunkt L 409: vom zufälligen Entdecken zum Naturgesetz Lehrbuch Den Zustand, den ein drehbar gelagerter Körper von sich aus einnimmt, nennt man eine stabile Lage. Der Merksatz lautet: Bei einem drehbar gelagerten Gegenstand in der stabilen Lage befindet sich der Schwerpunkt exakt unter dem Drehpunkt. Der Merksatz, der das Drehen in die waagerechte Lage beschreibt, lautet: Definition: stabile Lage Hebelgesetz Bei einem drehbar gelagerten Gegenstand im waagerechten Zustand herrscht Gleichgewicht auf beiden Seiten, wenn die Summe der Produkte aus Last und Lastarm aller Massen auf beiden Seiten gleich groß ist. Merkregel: Last * Lastarm = Kraft * Kraftarm Ein Merksatz wird dadurch vom Menschen zum Naturgesetz erhoben, wenn der Merksatz durch keine andere Erklärung oder Experiment widerlegt werden kann. von der Regel zum Gesetz Ein Forscher darf sich aber mit dem Finden eines Naturgesetzes nicht begnügen. Seine Aufgabe ist es, aus den gefundenen Gesetzen Voraussagen für weiteres Naturgeschehen zu treffen. Dabei geschieht es immer wieder, dass man schon gefundene Naturgesetze überarbeiten muss, weil sie das Naturgeschehen nicht vollständig und richtig vorhersagen lassen. In manchen Fällen muss schon einmal eingefundenes „Gesetz“ aufgegeben werden, weil sich Widersprüche zur Natur ergeben. Das ist aber nur unangenehm für die Menschen, die glauben, schon alles zu wissen. Forscher wissen jedoch, dass Naturgesetze nur vom Menschen zum Beschreiben der Natur gemacht sind. Die Natur kennt keine Gesetze Ein Forscher darf sich aber mit dem Finden eines Naturgesetzes nicht begnügen. Seine Aufgabe ist es, aus den gefundenen Gesetzen Voraussagen für weiteres Naturgeschehen zu treffen. Vom Gesetz zur Voraussage Dabei geschieht es immer wieder, dass man schon gefundene Naturgesetze überarbeiten muss, weil sie das Naturgeschehen nicht vollständig und richtig vorhersagen lassen. In manchen Fällen müssen Menschen schon einmal ein vermeindliches „Gesetz“ aufgegeben, weil sich Widersprüche zur Natur ergeben. Das ist aber nur unangenehm für die Menschen, die glauben, schon alles zu wissen. Forscher wissen jedoch, dass Naturgesetze nur vom Menschen zum Beschreiben der Natur gemacht sind. Die Natur benötigt keine vom Menschen aufgestellten Gesetze. Die Natur ist Alles. © 2005-2007 HMTC Halbmikrotechnik Chemie GmbH Letzte Änderung 05.04.2007 Mensch und Naturgesetz