Zerstörung oder Erhaltung unserer Lebensgrundlagen?

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Akademie Solidarische Ökonomie
Dezember 2013
Dr. Johannes Bickel
Zerstörung oder Erhaltung unserer Lebensgrundlagen?
Konturen einer zukunftsfähigen Umwelt- und Wirtschaftspolitik 1)
Die Situation
In Westeuropa haben sich in den vergangenen 30 Jahren einige Umweltprobleme spürbar verringert: etwa die Luft- und
die Wasserverschmutzung. Global gesehen sieht die Situation jedoch anders aus. Die Globalisierung, d.h. das
neoliberale Weltwirtschaftssystem, ist mit zunehmenden Umweltgefahren und Umweltschäden verbunden. Die
wichtigsten davon sind: die Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung bzw. der Mangel an sauberem Trinkwasser in
vielen Ländern, die Überfischung der Meere, die wachsenden Abfallberge, der Klimawandel, das Ozonloch in der
oberen Atmosphäre, die Rodung der Urwälder, die abnehmende Artenvielfalt, die Abnahme der Bodenfruchtbarkeit, die
gentechnisch veränderten Lebensmittel und die Nanomaterialien (deren Auswirkungen noch niemand kennt) sowie die
hohen Risiken und ungelösten Fragen der Atomenergie. Die neoliberale Globalisierung betrachtet die Umwelt, plakativ
formuliert, fast nur als kostenloses Rohstofflager einerseits und als Deponie für Abfälle und Abgase andererseits. Der
heutige Produktions- und Konsumstil ist nicht globalisierbar und nicht von Dauer, nicht nachhaltig. Experten haben
errechnet: wenn die Welt mit ihrem Umweltverbrauch bis 2050 so weitermacht wie bisher, so würden wir etwa 3
Erdkugeln brauchen. Wir haben aber nur eine. Deshalb kann die Globalisierung, d.h. der Versuch der Industrieländer,
ihr Wirtschaftssystem beizubehalten und weltweit durchzusetzen, auf Dauer nicht gelingen. Zu einigen
Alltagsbeispielen für Umweltgefahren bzw. Umweltschäden, die zudem oft gleichbedeutend sind mit
Gesundheitsgefahren, s. die Anlage.
Man darf natürlich nicht nur schwarz malen. Manchmal bringt die Globalisierung durchaus Vorteile für die Umwelt
mit sich. Weltweit können sich neue Umwelttechnologien wie abgasarme Autos oder erneuerbare Energien schneller
durchsetzen. Inzwischen sind auch viele internationale Umweltabkommen abgeschlossen worden, darunter das
erfolgreiche Montreal-Abkommen zur Beendigung der FCKW-Emissionen, die das Ozonloch verursachten. Und
schließlich machen es Technologien wie Internet und EMail für NROs und Netzwerke möglich, Umweltskandale
schneller bekannt zu machen und Protest zu organisieren. Greenpeace u.a. Organisationen haben damit oft
problematische Projekte verhindert und zum Schutz von Mensch und Natur beigetragen. So etwa bei dem Protest, mit
dem 1995 das Versenken der Ölplattform Brent Spar in der Nordsee verhindert wurde - ein Beispiel für die
„Globalisierung von unten“.
Aber zurück zu den Umweltproblemen. Davon gibt es zwei ganz verschiedene Arten: den übermäßigen
Ressourcenverbrauch (insb. endliche Rohstoffe inkl. Wasser, Energie, Böden und Wälder) und den Abfall- bzw.
Schadstoffausstoß, also die Umweltverschmutzung. Anders ausgedrückt: wir gewinnen Rohstoffe aus der Natur und
lassen unseren Abfall in der Natur zurück. Für Unternehmen ist das der Input bzw. der Output. Wenn sie ihren
1)
Abkürzungen: IL = Industrieländer, EL = Entwicklungsländer (gemeint ist der globale Süden, d.h. Benachteiligte in Süd und
Nord); NROs = Nicht-Regierungsorganisationen
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spezifischen Ressourcenverbrauch, insb. ihren Material- oder Energieverbrauch, und damit ihre Kosten reduzieren,
erhöht das ihre Wirtschaftlichkeit und dient zugleich der Umwelt. Deshalb sind Unternehmen daran idR interessiert,
zumal viele Weltrohstoffpreise in letzter Zeit stark gestiegen sind (z.B. der Kupferpreis). Dies sind zugleich die
Maßnahmen, aufgrund derer oft pauschal behauptet wird, Ökonomie und Ökologie seien keine Gegensätze. Dies gilt
jedoch nicht für die zweite Kategorie: wenn Unternehmen ihren Schadstoffausstoß (ihre Emissionen) senken, dient dies
zwar der Umwelt, belastet aber meist ihre GuV-Rechnung. Hierbei widersprechen sich Ökonomie und Ökologie - daher
sind Unternehmen bei Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltverschmutzung viel zögerlicher. Außerdem ist in allen
Ländern der Welt der zweite Effekt weit größer als der erste, die „Effizienzrevolution“: Automotoren sind heute
effizienter als vor 20 Jahren, aber dieser Fortschritt wird durch den Zuwachs an Autos und gefahrenen Kilometern weit
überkompensiert (sog. Rebound-Effekt). Entsprechend dieser beiden Kategorien der Umweltprobleme werden auch in
der Umweltpolitik zwei verschiedene Bereiche unterschieden: die Ressourcenpolitik (zur Entkopplung des
Ressourcenverbrauchs vom Wachstum) und die Emissions-, insb. die Klimapolitik.
Die Weltwirtschaft basiert seit über 150 Jahren und bis heute auf einer exzessiven Ausbeutung der fossilen
Energieressourcen, d.h. von Erdöl, Erdgas und Kohle, deren Vorräte jedoch langsam zu Ende gehen. Der Scheitelpunkt
der Erdölproduktion (Peak Oil) wurde bereits überschritten. Viele Umweltprobleme werden durch unsere verkehrs- und
energieintensive Wirtschaftsweise verursacht: die Verschmutzung der Meere durch Öltanker und Ölplattformen (wie
2010 im Golf von Mexiko!), die CO2-Emissionen, der Klimawandel u.a. – Aspekte, die in der Buchhaltung der
Unternehmen kaum erfasst werden. Experten haben deshalb den ökologischen Rucksack berechnet: die Menge an
Material, die der Natur für ein Produkt entnommen wird, einschließlich der Masse, die man für die notwendige Energie
benötigt. Der Preis eines Produkts in Euro spiegelt diesen Aufwand an Natur für ein Produkt oft nicht im Geringsten
wieder. Rindfleisch z.B. müsste ein Mehrfaches kosten, um die mit seiner Produktion einhergehende Umweltzerstörung
wiederzuspiegeln. Noch umfassender als der ökologische Rucksack ist das Konzept MIPS (Material-Input pro
Serviceeinheit), da es den Aufwand an Material und Energie nicht nur für die Produktion, sondern „von der Wiege bis
zur Bahre“ wiedergibt, d.h. für die Herstellung des Produkts/der Dienstleistung, seine Nutzung und Reparatur und seine
Entsorgung. Das vom Wuppertal-Institut entwickelte Konzept misst z.B. den lebenszykluslangen Materialverbrauch, der
sich ergibt, wenn man mit einem Auto 100 km fährt. Der Treibstoffverbrauch liegt dabei typischerweise nur bei 15%.
Der Rest wird für den anteiligen Bau des Autos, seine Wartung, Erhaltung und seine Verschrottung benötigt. Der damit
ermittelte, höhere ökologische Preis ist heute sehr aktuell, da er auf die zunehmende Knappheit endlicher Ressourcen
mit ihren häufigen Konflikten hinweist. In dieser Perspektive stellen sich Hybridautos (mit ihren 2 Motoren) als
ökologisch bedenklich heraus, und die deutsche Abwrackprämie als Betrug an der Umwelt und am Steuerzahler.
Wohl das größte Problem, mit dem die Menschheit heute konfrontiert ist, ist der Klimawandel. Er droht uns nicht – er
ist bereits im Gang, nicht nur in dem Film The Day after Tomorrow. Nach den Schätzungen des Weltklimarats (IPCC)
von 2013 dürfte die durchschnittliche Erdtemperatur zwischen 1990 und 2100 um etwa 1,5-4,5 Grad steigen. Fast jeden
Monat erreichen uns neue Nachrichten über das Abschmelzen der Gletscher, den ansteigenden Meeresspiegel,
Hitzerekorde und Dürren, Orkane und Überschwemmungen, die viele Menschenleben kosten. Wenn der Klimawandel
sich fortsetzt – könnten sogar die Kipppunkte umschlagen: dass etwa das Polareis noch schneller schmilzt oder der
3
Golfstrom seine wärmende Kraft verliert. Der Klimawandel wird auch unseren Alltag spürbar beeinflussen. So wird
sich die Zahl der Umweltflüchtlinge nach Europa, die bisher schon mit der Frontex-Organisation, d.h. mit militärischen
Mitteln, bekämpft werden, weiter erhöhen. Und Prof. Schönwiese sagt trocken: „Der Rheingau-Riesling wird
verschwinden.“ Die globalen Emissionen müssen bis 2050 um mindestens 50% reduziert werden, in den IL sogar um
mind. 80%, so die Ansicht praktisch aller Klimaexperten (gegen die allerdings eine millionenschwere Kampagne
bestimmter Industriezweige geführt wird). Die bisherigen Maßnahmen der Weltgemeinschaft gegen die
Klimakatastrophe sind völlig unzureichend: dies gilt für die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) von 1992 und das
Kyoto-Protokoll von 1997 (seit 2005 in Kraft). Das Scheitern aller Klimagipfel der letzten Jahre ist ein Alarmsignal.
Bereits das bisher anvisierte Ziel einer globalen Erwärmung von max. 2 Grad bedeutete ein eklatantes Versagen der
Politik: dadurch würden in Afrika die Ernteerträge um bis zu 40% zurückgehen, und in Asien würden 40% der 630 Mio
Menschen, die in niedrigen Küstenzonen leben, dem steigenden Meeresspiegel ausgesetzt. Auch aus wirtschaftlichen
Gründen muss die Menschheit umsteuern: der Stern-Report hat bereits 2006 nachgewiesen, dass eine mutige Politik
gegen den Klimawandel jährlich ca. 1% des Weltinlandsprodukts kostet, die Folgen des Klimawandels jedoch das 5- bis
20-fache! Umsteuern können auch wir persönlich: weniger fliegen und Auto fahren, die Häuser besser dämmen – und
weniger Fleisch essen, u.a. weil bei der Rinderhaltung Methan entsteht, das 25 mal stärker auf das Klima wirkt als CO2.
Auch die Biodiversität ist akut bedroht, d.h. die Pflanzen, Tiere und Ökosysteme auf unserem Planeten. Allein
zwischen 1970 und 2000 sind rd. 40% aller bekannten Pflanzen- und Tierarten ausgestorben. Pro Jahr sind das zwischen
20.000 und 60.000 Arten! Besonders betroffen davon sind einerseits die Fischbestände der Meere und andererseits die
Tropenwälder in den EL. 80% der ursprünglichen Tropenwälder sind inzwischen unwiederbringlich verloren. Bei den
Nutztieren sind in den letzten 100 Jahren 1.000 von 6.400 anerkannten Rassen ausgestorben. Klaus Töpfer, der
international renommierte Umweltexperte und CDU-Politiker, macht für den Artenschwund besonders die Entwicklung
in den IL verantwortlich.
Der Artenverlust ist auch riskant für die Welternährung: sie ist heute zum Großteil von nur zehn Kulturpflanzen
abhängig, meist Getreidearten. Die abnehmende Vielfalt macht die Landwirtschaft der Welt anfälliger. Wo sie sich auf
nur wenige Hochertragssorten und –rassen konzentriert, können sich Schädlinge und Krankheiten leichter ausbreiten.
Das haben z.B. BSE und die Vogelgrippe gezeigt, und auch bei einzelnen Getreidesorten gab es wiederholt sich
epidemieartig ausbreitende Krankheiten. Wenn dann nicht genug andere Sorten vorhanden sind, ist das gefährlich – für
die Ernährung in den EL, aber auch in den IL. Dass der Artenverlust noch erheblich verstärkt wird durch die
Konzentration bei den Saatgut-Multis und ihre Förderung der Gentechnik, sei hier nur angemerkt.
Von Energiemanagern wurde bis vor kurzem, auch als Mittel gegen den Klimawandel, häufig von einer Renaissance der
Atomenergie gesprochen. Auch wenn noch einzelne neue Atomkraftwerke gebaut werden mögen – die Zahl der noch
betriebenen Atommeiler (gegenwärtig 440) nimmt auf Grund regelmäßiger Stilllegungen etwa in den USA ständig
weiter ab. Diese Energie hat aus vielen Gründen keine Zukunft:
a) weil diese Großtechnologie nicht beherrschbar ist (s. Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima),
b) weil Atomkraftwerke nicht gegen Unfälle versichert sind (!),
c) weil auch die Uranvorkommen bald erschöpft sind,
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d) weil auch diese Kraftwerke mit klimaschädlichen Emissionen verbunden sind (erhebliche CO2-Emissionen bei der
Uranproduktion und dem Abbau der Kraftwerke),
e) weil die Entsorgungsfrage weltweit ungelöst ist und
f) weil kein Projekt ohne massive staatliche Subventionen realisierbar ist (d.h. fehlende Wirtschaftlichkeit).
Tatsächlich wurde von den seit 1950 weltweit angekündigten Projekten nur ein verschwindend kleiner Teil realisiert.
Die Katastrophe in Japan hat vielerorts zu einem Nachdenken über diese Technologie geführt. Die Alternative dafür ist
längst vorhanden: Energiesparen (Steigerung der Energieeffizienz) und der beschleunigte Ausbau erneuerbarer
Energien.
Die regelmäßige Warnung des Club of Rome, dass das Wachstum bald an seine biophysikalischen Grenzen stoßen
wird, ist gegenwärtig dabei, sich zu bewahrheiten. Dies zeigen der überhöhte CO2-Ausstoß bzw. der Treibhauseffekt,
aber auch die vielen Konflikte und Kriege um Rohstoffgewinnung und -export aus den EL, etwa um Erdöl oder Coltan.
Derartige Krisen treten überraschend auf, wie Unfälle von Öltankern oder in Atomkraftwerken, oder sie sind
schleichender Natur und fallen weniger auf, wie das Artensterben oder der Klimawandel. Der Wettlauf aller Länder um
ein hohes Wachstum, zumal es immer noch an dem überholten Maßstab des BIP gemessen wird, wird sich bald als
Illusion entpuppen. Die tieferen Gründe für die globalen Krisen liegen in dem Zivilisationsmodell der IL, dem
Glauben, wir müssten von allem immer mehr haben. Einkommen, Konsum und Kapitalrendite sind unsere Ziele, unsere
modernen Götter. Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem ist konsumintensiv, energieintensiv, auf unbegrenzte
Bedürfnisse und dauerndes Wachstum ausgerichtet. Dieses Denken ist überholt, darauf hat schon der Konziliare Prozess
für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung hingewiesen, und es ist jetzt existenzbedrohend geworden.
Wann schließt sich das Zeitfenster? Wie viel Zeit bleibt der Menschheit noch, um die Zerstörung ihrer
Lebensgrundlagen zu verhindern? Oder ist es gar möglich, dass sich unsere Zivilisation sehenden Auges selbst
vernichtet? Selbst dies ist von namhaften Autoren als möglich bezeichnet worden: von Hoimar von Ditfurth, von den
Umweltforschern Dennis und Donella Meadows oder dem World Watch Institute in seinen jährlichen Berichten Zur
Lage der Welt. Das Ehepaar Meadows hat in seinen berühmten Büchern zu den Grenzen des Wachstums (1972, 1992
und 2006) die Ursachen für den möglichen Crash unserer Erde systematisch behandelt, in Computermodelle gefasst und
sogar zeitlich einzugrenzen versucht.
Die Auswirkungen auf Entwicklungsländer
Die Umweltkrisen sind nicht gleichmäßig über den Globus verteilt, sondern belasten die Entwicklungsländer
erheblich stärker als uns. Die Themen „Umwelt“ und „Entwicklung“ sind deshalb nicht voneinander zu trennen.
Der Rohstoffimport aus den EL, den multinationale Unternehmen durchführen, ist für den Norden absolut
unerlässlich. Hierbei kommt es aber immer wieder zu einer Kumpanei zwischen den Konzernen, autoritären
Regierungen und Militärs, die zu erheblichen Schäden in der Natur und bei der lokalen (indigenen) Bevölkerung führt.
Viele multinationale Firmen glauben, Regeln, die in Industrieländern eine Selbstverständlichkeit sind, in Ländern mit
schwacher Regierung nicht beachten zu müssen. Ein Beispiel dafür ist Nigeria. Dort kooperierte Shell eng mit der
5
Diktatur, die mit ihrer Armee brutal gegen die lokale Bevölkerung, ja das ganze Ogoni-Volk vorging, um den
Erdölexport zu sichern. Das Paradebeispiel für die ungehemmte Ausbeutung seines Ressourcenreichtums ist jedoch der
Kongo. Dieses Land ist unvorstellbar reich an Kupfer, Diamanten, Silber, Uran, Coltan (für unsere Handys und PCs)
u.a. Seit 2002 ermittelten mehrere Expertenberichte der UN, dass 85 transnationale Unternehmen mit den einheimischen
Eliten rücksichtslos ihre Geschäfte verfolgten, zu denen regelmäßig Diebstähle, die Fehlleitung öffentlicher Gelder,
Schmuggel, Steuerbetrug, Bestechung und die Verletzung von Menschenrechten gehörten. Das Interesse insb. der IL
und inzwischen auch der Schwellenländer (u.a. von China) an derlei Rohstoffen ist eine Seite der Medaille.
Die andere Seite besteht darin, dass sich die IL zunehmend auf Dienstleistungen konzentrieren und ihre
schadstoffemittierenden „Schmutzindustrien“ wie z.B. metallverarbeitende Betriebe in ärmere Länder verlagern
(Umweltdumping). Durch derartige Industrien werden oft die Lebensbedingungen besonders der Armen in städtischen
Slums beeinträchtigt. Ernst Ulrich von Weizsäcker, der deutsche Umweltpapst, hat als einer der Ersten darauf
verwiesen, dass die IL auf Kosten der EL leben, wenn diese ihre Luft, ihren Boden und ihre Gewässer an den Norden
„verkaufen“. Dies gilt auch, wenn Urwälder abgeholzt werden, um Rinderfarmen oder Sojafelder für unseren hohen
Fleischverbrauch anzulegen, oder wenn wir unseren Sondermüll legal oder illegal an den Küsten der Dritten Welt
abladen (vgl. die Anlage).
Noch immer gilt die Faustregel, dass rd. drei Viertel aller Umweltschäden der Welt durch die IL, d.h. nur ein Sechstel
der Weltbevölkerung, verursacht werden. Die neoliberale Globalisierung führt deshalb nicht nur zu Umwelt-, sondern
auch zu Verteilungsproblemen. Sie verschärft die ökonomische und soziale Kluft zwischen und innerhalb der Länder
der Welt und führt dazu, dass die Benachteiligten immer öfter mit Widerstand, Hass oder auch mit Gewalt reagieren.
Umweltschutz und weltweite Gerechtigkeit sind deshalb nicht voneinander zu trennen. Eine fairere Verteilung der
Welt-Ressourcen einerseits und der Welt-Umweltverschmutzung andererseits ist unerlässlich. Dies würde zugleich
zu mehr Sicherheit in allen Ländern, auch den Industrieländern, führen - und zu mehr Demokratie zwischen den
Ländern. Der Globalisierung der Gewalt ist auf Dauer nur durch die Globalisierung der Gerechtigkeit beizukommen.
Vom Norden aber wird die Gerechtigkeit meist klein geschrieben und nur mehr Demokratie in den Entwicklungsländern
gefordert.
Die Hintergründe und die Akteure
Die Globalisierung mit ihren Umweltrisiken und Umweltschäden wurde seit den 1980-er Jahren durch den Siegeszug
der neoliberalen Richtung in den Wirtschaftwissenschaften ermöglicht. Der Neoliberalismus wird wesentlich durch zwei
Elemente charakterisiert:
1. die Privatisierung vieler öffentlicher Organisationen, inzwischen sogar von Gesundheits- und von
Bildungsinstitutionen und
2. die Freihandelsdoktrin bzw. die Forderung nach Liberalisierung des Außenhandels und des Kapitalverkehrs.
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Beides ist auch verbunden mit der Verlagerung von Entscheidungen von der lokalen und nationalen Ebene auf die
internationale Ebene, d.h. auf internationale Konzerne einerseits und öffentliche Organisationen andererseits, d.h. die
EU, die Welthandelsorganisation (WTO), die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die G 20.
Die multinationalen Unternehmen (überwiegend aus den IL, inzwischen aber auch aus Schwellenländern) sind die
eigentlichen global players, die treibenden Kräfte der Globalisierung. Die Umsätze zahlreicher Multis sind höher als das
Bruttoinlandsprodukt vieler Länder. Regierungen müssen nationale Grenzen beachten, Multis dagegen kaum noch. Sie
verlegen ihren Rohstoffbezug, ihre Produktion, ihre Beschäftigung und ihre Steuerbasis dorthin, wo es am billigsten ist
und die laschesten Regeln gelten – oder sie drohen damit. Seit dem Zerfall des sozialistischen Blocks 1989 ist es zum
Wettbewerb aller Länder um niedrige Steuern und möglichst geringe Sozial- und Umweltvorschriften gekommen
(Sozial- und Umweltdumping). Natürlich gibt es einzelne Unternehmen oder Wirtschaftsverbände (z.B. B.A.U.M. eV.
oder den European Business Council e5), die sich auch für ökologische Ziele einsetzen. Die meisten haben sich jedoch
allein dem Shareholder Value verschrieben, schon allein aufgrund des ruinösen Wettbewerbs auf den Weltmärkten und
der herrschenden Dominanz der Kapitalmärkte.
Auf Macht und Einfluss der Welthandelsorganisation (WTO) wird hier nicht näher eingegangen. Der internationale
Handel mit seinen hohen Wachstumsraten verbreitet westliche Konsummuster mit ihren Umweltfolgen über den ganzen
Globus. Der zentrale Pfeiler der WTO-Politik ist die Freihandelsdoktrin, nach der alle, auch kleine Länder vom
Freihandel profitieren würden.2) Diese Doktrin ist von der Wirklichkeit häufig widerlegt worden und auch
problematisch, da sie dem ungehinderten Handel, d.h. einem wirtschaftlichen Ziel, einen höheren Rang einräumt als
dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der menschlichen Gesundheit! Unter ökologischen Aspekten ist
der Welthandel ein Problem, weil er zu einem enormen Zuwachs des Verkehrs zu Land, zu Wasser und in der Luft
geführt hat – mit allen Konsequenzen: dem Kampf um Erdölfelder, der Aufheizung der Atmosphäre, dem Ausbau der
Verkehrsnetze mit ihrem großen Flächenbedarf, der Verschmutzung der Weltmeere durch den Schiffsverkehr und der
Subventionierung insb. des LKW- und des Flugverkehrs (keine Bezahlung seiner Umweltschädigung). Die Alternative
kann deshalb nur in der nachdrücklichen Förderung des Regionalverkehrs und der regionalen Versorgung liegen.
Die Machtverlagerung von der nationalen Ebene auf multinationale Organisationen und die vielen Privatisierungen in
Nord und Süd, d.h. die schrittweise Entstaatlichung, stellen keineswegs, wie oft behauptet, Naturgesetze dar, sondern
sind von den Regierungen der Industrieländer in die Wege geleitet worden. Sie haben die Machtfülle der WTO
abgesegnet. Regierungen und Parlamente werden immer stärker beeinflusst von Lobbyisten und beugen sich den
Forderungen von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, d.h. vor allem der Kapitaleigner, anstatt die Interessen der
Gesamtbevölkerung zu vertreten.3) In Deutschland ist das häufige Einknicken der Politiker etwa bei dem CO2Emissionshandel, der LKW-Maut, dem Dosenpfand, den Gesundheitsreformen (Stichwort Pharmaindustrie) und der
Verzögerung des Atomausstiegs in unguter Erinnerung.
2)
Dieses Prinzip wird jedoch von der EU und den USA selbst in der Wirklichkeit missachtet: s. ihren Agrarprotektionismus!
3)
Verlässliche Zahlen über die Anzahl der Lobbyisten in Berlin gibt es nicht. Lt. Süddeutscher Zeitung sollen es etwa 3.000, nach
anderen Quellen 10.000 sein (FR v. 4.4.08)! In Brüssel wurde ihre Zahl auf 15-20.000 geschätzt.
7
Von den in Deutschland befragten BürgerInnen hielten 2004 noch 92% den Umweltschutz für einen wichtigen
Politikbereich. Als die Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Arbeitsplätze gefährdete, galt dies nicht mehr. 2010 sahen die
Menschen Umweltschutz aber wieder als den drittwichtigsten Politikbereich an, und nach der Atomkatastrophe in Japan
dürfte dies verstärkt gelten. In der Politik aber rangierte er bisher nicht an vorderer Stelle. Dabei müsste er gerade bei
konservativen Parteien hoch im Kurs stehen, denn Umweltengagierte schützen das Bestehende – sie kämpfen gegen die
Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, gegen den drohenden Kollaps unseres Planeten.
Grundlagen einer zukunftsfähigen Umwelt- und Wirtschaftspolitik
a) Bisherige Ansätze
Zur Lösung der beschriebenen Probleme werden von Konzernen und Wirtschaftsverbänden auch selbst Vorschläge
gemacht. Sie betonen dann meist ihre unternehmerische Verantwortung (die Corporate Social Responsibility/CSR) und
schlagen freiwillige Selbstverpflichtungen vor, um für sie ungünstigere Gesetze oder Verordnungen zu verhindern.
Dazu zählen auch freiwillige Verhaltenskodizes (Codes of Conduct), die ökologische und soziale Standards enthalten.
Das wichtigste herkömmliche Instrument sind internationale Umweltschutzverträge. Inzwischen gibt es bereits mehr
als 100 globale Umweltabkommen, darunter das Washingtoner Artenschutzabkommen/CITES, das bedrohte Tiere und
Pflanzen schützt, die Artenschutzkonvention (Convention on Biological Diversity/CBD), die Konvention zur
Bekämpfung der Wüstenbildung (beide 1992 in Rio geschlossen) und über 140 regionale Abkommen, etwa zum Schutz
des Rheins, des Mittelmeers u.a.
Aus dem UN-Bereich ist ferner der von Kofi Annan 1999 initiierte Global Compact zu nennen, der Regeln zu
Umweltschutz, Arbeits- und Menschenrechten enthält und dem sich inzwischen über 7.000 Unternehmen aus der
ganzen Welt angeschlossen haben.
All diese Selbstverpflichtungen bzw. Vereinbarungen haben jedoch zwei erhebliche Mängel: ihre Einhaltung wird nicht
von unabhängiger Seite kontrolliert, und bei Verletzungen greifen keinerlei Sanktionen.
b) Weitergehende Lösungsansätze oder: Alternativen zur neoliberalen Globalisierung
Aufgrund der bedrohlichen Situation unseres Planeten sind wirksamere Maßnahmen notwendig. Auch wenn sie der
Wirtschaft teilweise zusätzliche Kosten auferlegen, würden sie wirtschaftliches Handeln mittel- und langfristig
überhaupt erst sichern, denn Ökologie ist Langfrist-Ökonomie!
Unabdingbar wäre, dass die vier Kernprinzipien, die seit der UNCED-Konferenz in Rio 1992 die Grundlage einer
nachhaltigen Politik bilden, national und international verbindlich festgelegt werden:

Haftung bei auftretenden Umweltschäden (Verursacherprinzip),
8

das Vorsorgeprinzip, das oft die Umkehr der Beweislast erfordert (etwa bei Mobilfunkantennen oder
Nanomaterialien);5)

die Einbeziehung von Umweltkosten („externen Kosten“) in die Buchhaltung der Unternehmen, z.B. durch
wirksame Ökosteuern oder -abgaben, sowie

die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Projekten.
Viele NROs fordern auch, dass multinationale Konzerne durch eine internationale Konvention zu ökologischen und
sozialen Mindeststandards verpflichtet werden. Als Basis dafür könnten die Normen für Multis dienen, die die UNUnterkommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte 2003 vorgelegt hat und zu denen auch solche
zum Schutz der Umwelt gehören. Globale Probleme erfordern globale Lösungen!
Von zentraler Bedeutung ist die Lösung des Konflikts zwischen Handelsrecht und Umweltrecht, etwa durch eine
grundlegende Reform der WTO. Freihandel wäre gut - wenn er nicht nur auf das Recht des Stärkeren (des stärkeren
Landes oder Unternehmens) hinausliefe und wenn ihm kein höherer Rang eingeräumt würde als dem Schutz unserer
Lebensgrundlagen und der menschlichen Gesundheit.
Außerdem ist die gleichberechtigte Mitsprache der Entwicklungsländer gegenüber den Industrieländern zu fordern, d.h.
die Durchsetzung der Demokratie auch zwischen den Ländern. „Als reichtumsverwöhnte Inseln in einer Welt
massenhaften Elends können die IL auf Dauer nicht auf Stabilität und Sicherheit hoffen.“ (W. Sachs)
Schließlich müssen die für Umweltfragen zuständigen UN-Institutionen (insg. 44!) besser koordiniert werden. Die
wichtigste davon, das UN Environmental Programme (UNEP), dem bis 2006 Klaus Töpfer vorstand, muss dringend
aufgewertet und finanziell besser ausgestattet werden. Von den Vereinten Nationen wäre auch der verbindliche,
internationale Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter zu erarbeiten (insb. Luft, Wälder, Meere, Klima und die
biologische Vielfalt).5) Dasselbe gilt für Nutzungsentgelte auf genetische Ressourcen für EL, damit nicht nur Multis
auf diese von ihnen oft nur leicht veränderten Ressourcen Patenteinnahmen erzielen. Derlei Entgelte auch für die
Ursprungsländer der Ressourcen (EL) sind im CBD-Abkommen von 1992 bereits grundsätzlich vorgesehen.
All diese Forderungen sind keineswegs besonders einseitig oder radikal. Im Grunde sind sie nur Ausfluss der in der
europäischen Geschichte mühsam erworbenen Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit, die keinen Vorrang wirtschaftlicher
vor sozialen und ökologischen Werten kennen.
5)
D.h. am Beispiel der Nanomaterialien: dass solche Produkte erst produziert werden, wenn nachgewiesen ist, dass sie nicht der
Gesundheit schaden (statt dass Hunderte solcher Materialien hergestellt und verwendet werden und evt. erst nach Jahren bewiesen
werden kann, dass sie die Gesundheit vieler Menschen geschädigt haben – wie bei den Contergan-Betroffenen)!
5)
Dasselbe gilt für das globale Sozialkapital: die Gesundheit, die Partizipation und Integration, die Verteilungsgerechtigkeit und
intakte menschliche Beziehungen.
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Reformen, die die Zukunftsfähigkeit der Weltwirtschaft sichern, erfordern - u.a. im Blick auf den Treibhauseffekt –
eine grundlegende Transformation des herrschenden Wirtschaftssystems, u.a. auch Änderungen in der
Landwirtschaft, der Bauwirtschaft und der chemischen Industrie, vor allem aber eine Energie- und eine
Verkehrswende. Ein Beispiel dafür ist immer noch die Glorifizierung stärkerer und schnellerer Autos. Die
durchschnittliche Motorleistung deutscher Autos stieg schon von 1960-93 von 34 auf 85 PS. „Die heutigen
Tempowagen auf die Straße zu schicken, ist ebenso rational, wie Butter mit der Kreissäge zu schneiden“ (W. Sachs).
Nötig ist die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, insb. von Erdöl und Kohle, d.h. ein
Innovationsschub zugunsten von Erdgas-, Hybrid-, Elektro- und Solarautos, sowie die (nicht nur verbale) Förderung des
öffentlichen Verkehrs. Neben einer drastisch steigenden Energieeffizienz ist inzwischen ein baldiger, vollständiger
Übergang zu erneuerbaren Energien unausweichlich geworden. Als Einstieg hierzu war der Handel mit
Verschmutzungsrechten gedacht (CO2-Emissionshandel), der aber mit Betrügereien verbunden und inzwischen
gescheitert ist. In Deutschland wäre schon viel erreicht, wenn die hohen umweltschädlichen Subventionen abgebaut
würden (u.a. für Straßen- und Luftverkehr, Atomenergie und Kohlebergbau). Damit würden zugleich viele bisher
externalisierten Umweltkosten ihren Verursachern angelastet und die Versorgung aus regionalen Quellen verstärkt. Die
notwendige Energiewende sollte nach der Atomkatastrophe in Japan einen stärkeren Schub erhalten.
Da die heutigen Marktpreise die zunehmende Knappheit der Ressourcen nicht reflektieren, sollte zudem eine
Ressourcensteuer erhoben werden. Für ihre Ausgestaltung wurde etwa vorgeschlagen, dass alle Unternehmen, die
Rohstoffe aus der Natur entnehmen oder importieren, eine Steuer entrichten, die auf dem Gewicht der Rohstoffe basiert.
Zum Ausgleich könnte eine andere Steuer gesenkt werden.
Schon in den nächsten 10-20 Jahren muss sich eine fundamentale Änderung der Produktions- und Konsummuster,
d.h. unseres Lebensstils ergeben – vor allem des Lebensstils im Norden. Fortschritt muss bei erheblich geringerem
Materialverbrauch, geringeren Verkehrsleistungen und durch vermehrte Arbeits-, z.B. Serviceleistungen erbracht
werden. Es muss doch zu denken geben, dass bisher über 80% der Materialien, die zur Güterherstellung verwendet
werden, zu Abfall werden, noch bevor das Produkt fertig ist – Abraum in Bergwerken, weggeworfene Biomasse,
Resthitze aus Kraftwerken u.a.m.
Wichtig ist, dass die notwendigen Änderungen unseres Lebensstils nicht immer nur mit dem Eindruck von „Verzicht“
verbunden werden, sondern durchaus positive, angenehme Seiten mit sich bringen, bzw. dass die gegenwärtige Situation
mit vielen Verzichtsleistungen erkauft ist: etwa mit dem Verzicht auf mehr Ruhe vor dem oft unzumutbaren
Verkehrslärm oder mit dem Verzicht auf Wohlbefinden, wenn man einer gesundheitsgefährdenden Tätigkeit nachgeht.
Der überfällige Strukturwandel wird auch zu einem anderen Wohlstandsindikator als dem Bruttoinlandsprodukt
führen. Das BIP taugt dafür schon lange nicht mehr: es steigt etwa durch Verkehrsunfälle und auch, wenn nicht
erneuerbare Rohstoffe, d.h. unwiederbringliche Naturschätze wie Erze, abgebaut und verbraucht werden. Ein
veränderter Wohlstandsindikator wäre zugleich Ausdruck einer neuen Wirtschaftswissenschaft, die soziale, ökologische
und kulturelle Aspekte aus ihrer Betrachtung nicht mehr ausblendet. Wichtige Vorarbeiten hierzu wurden bereits
geleistet: von dem Ökonomen Herman Daly/USA, dem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie bzw. seinen
10
Studien Zukunftsfähiges Deutschland (1996 und 2008), der Glücksforschung sowie der 2009 von Sarkozy
eingesetzten Stiglitz-Kommission. Die Wirtschaft ist, was viele bis heute nicht wahrhaben wollen, eben nur ein
Subsystem der Biosphäre, und wir Menschen sind nicht allmächtig, sondern (nur) ein Teil des Netzwerks der Natur.
Natürlich stellt sich die Frage, wer solche fundamentalen Reformen anstoßen und durchsetzen könnte. Nationale
Regierungen allein scheinen dazu kaum mehr in der Lage, da sie sich von Konzernen und Wirtschaftsverbänden oft
beeinflussen oder erpressen lassen. Wenn Großunternehmen nur ihre Lobbyinteressen verfolgen und Grenzen nicht
mehr beachten, gibt es logischerweise nur ein Mittel dagegen: die internationale Koordinierung der nationalen
Politiken, auch als Weltinnenpolitik bezeichnet. Dies würde etwa die Vereinbarung von Mindeststandards zur
Vermeidung von Umwelt-Dumping zwischen möglichst vielen bzw. wirtschaftlich starken Ländern bedeuten, z.B. in
der EU.4)
Umso wichtiger ist es, dass Regierungen und die EU zum Handeln gedrängt werden. Dies geschieht erfreulicherweise
immer häufiger durch die Zivilgesellschaft, d.h. NROs, Basisgruppen und Bürgerinitiativen, die sich - fast als einzige
- nicht für eigene Interessen engagieren, sondern für andere. In Deutschland sind hier etwa der BUND, Greenpeace,
Germanwatch, die Deutsche Umwelthilfe, Attac und viele lokale Initiativen zu nennen. Internationale Beispiele sind der
Bürgerprotest gegen die Narmada-Staudämme in Indien und die Umsiedlung von Millionen (!) Menschen oder die
Landarbeiterbewegung in Brasilien. Viele gemeinnützige Organisationen (NROs) engagieren sich gegen die
Ökonomisierung aller Lebensbereiche und für die Globalisierung – allerdings die Globalisierung der Solidarität mit
den Benachteiligten und mit der Natur. Sie organisieren auf Produkte bzw. Konzerne bezogene Kampagnen oder
arbeiten für die Einführung von Öko- u.a. Siegeln (etwa „Der blaue Engel“, das BIO-Siegel oder das Siegel für fair
gehandelte Produkte).
Jakob von Uexküll, der Stifter des Alternativen Nobel-Preises, sagte vor wenigen Jahren: „Dies ist seit
Menschengedenken die erste Generation, die ihren Kindern und Enkeln keine bessere Welt hinterlassen will und
hinterlässt.“ Allerdings sind die Aussichten für einen tief greifenden Strukturwandel vielleicht doch nicht so ungünstig.
Die Empfehlungen der Umweltorganisationen sind bisher fast alle umgesetzt worden - nur oft Jahre oder gar Jahrzehnte
später als möglich: der Katalysator, die Schwefelfilter in den Fabrikschornsteinen, die Niedrig- bzw. Null-EnergieHäuser, die Nutzung der Wind- und der Solarenergie u.v.m. Die Krisen der neoliberalen Globalisierung haben das
Empfinden für die Notwendigkeit der Transformation unseres Wirtschaftssystems inzwischen weltweit wachsen
lassen, auch wenn dies durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wieder etwas verdrängt wurde. Die Frage ist einerseits,
ob dieser Wechsel noch rechtzeitig vollzogen wird, und andererseits, ob einzelne Menschen, Kommunen, Kirchen oder
Länder zu den Nachzüglern oder den Spitzenreitern des Wandels gehören werden, ob sie noch in der Welt von 1980
oder im Blick auf 2040 leben.
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Dasselbe gilt für Mindeststandards in der Sozialpolitik, der Steuerpolitik, der Kontrolle des internationalen Kapitalverkehrs und
der Wettbewerbspolitik. Mindeststandards sind notwendig, weil gleiche Maßnahmen/Politiken zwischen vielen Ländern nur schwer
zu vereinbaren sind.
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Literatur
Brot f.d.Welt/EED/BUND (Hrg.), Zukunftsfähiges Dtld. in einer globalisierten Welt, 2008
Marc Engelhardt/M. Steigenberger, Umwelt: verhandelt und verkauft?, AttacBasis-Text, 2003
C. Leggewie/H. Welzer, Das Ende der Welt, wie wir sie kannten (Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie),
Fischer-Verlag, 2011
Donella H. Meadows u.a., Grenzen des Wachstums - Das 30-Jahre-Update, 2006
Wolfgang Sachs, Nach uns die Zukunft, Der globale Konflikt um Gerechtigkeit und Ökologie, 2. Aufl., 2003
Andreas Schlumberger, 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Welt zu retten ..., 2004
I. Seidl/A. Zahrnt (Hrsg.), Postwachstumsgesellschaft, Konzepte für die Zukunft, 2010
Stiftung Forum für Verantwortung/ASKO EUROPA-Stiftung u.a. (Hrsg.), Zwölf Bücher zur Zukunft der Erde, 2007
Ernst U. von Weizsäcker, Erdpolitik, 5. Aufl., 1997
Welzer/Wiegandt, Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung, 2011
Worldwatch Institute/Germanwatch/H. Böll-Stiftung (Hrsg.), Zur Lage der Welt, jährlich (www.zurlagederwelt.de)
www.erdcharta.de
www.germanwatch.org
www.greenpeace.de
www.umweltbundesamt.de
www.wbgu.de (Wissenschaftl. Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen)
www.wupperinst.org (Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie)
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Anlage
Alltagsbeispiele für Umweltgefahren bzw. Umweltschäden
1. Chemikalien
2006 berichten das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und die NRO Foodwatch,
dass in Paprika, Feldsalat u.a. Gemüse Rückstände von Pflanzenschutzmitteln waren - in 60% aller Proben. In
verschiedenen Milchprodukten fand man längst verbotene Substanzen wie DDT und Lindan. Auch wenn sich
diese Kontrollergebnisse bis heute verbessert haben, warnt Greenpeace nach Labortests jährlich, dass sich in
Obst- und Gemüsesorten noch Pestizide befinden. Aber beides sind „nur“ Nahrungsmittel. Insgesamt werden in
Europa über 100.000 verschiedene Chemikalien angewendet, inzwischen auch über 800 Nanomaterialien. Die
Informationen über die Gesundheitsfolgen dieser Chemikalien waren bislang völlig unzureichend. Erst seit
wenigen Jahren gibt es ein UN-System sowie zwei EU-Verordnungen zur Bewertung und Begrenzung von
Umweltrisiken durch Chemikalien (u.a. das REACH-Programm der EU). Das ist kein Thema für einige
Experten, sondern für alle BürgerInnen – weil es die ihre Gesundheit berührt.
Generell gilt: Viele Umweltprobleme führen zu Gesundheitsproblemen – etwa zu Allergien oder erhöhtem
Krebsrisiko. Andere Beispiele dafür sind Krankheiten durch Asbest, giftige Holzschutzmittel oder
verschmutztes Trinkwasser in den Entwicklungsländern.
2. Elektronikmüll
Schon 2006 wurde weltweit eine Milliarde Mobiltelefone verkauft. Die Geschwindigkeit von PC-Prozessoren
verdoppelt sich alle zwei Jahre. Entsprechend viele Altgeräte insb. aus den IL müssen entsorgt werden. Jedes
Jahr fallen bis zu 50 Mio Tonnen des mit Blei, Cadmium, Barium, Quecksilber und anderen Giftstoffen
belasteten Elektroschrotts an. Ein großer Teil dieses Wohlstandsmülls verschwindet auf illegalem Wege auf
Deponien in Kenia, Nigeria und anderen Entwicklungsländern und löst dort Umwelt- und Gesundheitsschäden
aus. Die armen „Bewohner“ der Deponien, oft Kinder, lösen aus dem Elektroschrott die Bestandteile heraus, die
sich noch verkaufen lassen. Das Hantieren mit dem belasteten Müll verursacht viele Krankheiten. Die
Bleikonzentration liegt bei vielen dieser Menschen erheblich über den Grenzwerten (Welt-Sichten 4/2008).
3. Wasser
In EL ist oft nicht genug Trinkwasser vorhanden, viele Länder liegen in trockenen Gebieten, und Regen ist
schlecht über das Jahr verteilt. Außerdem ist Wasser aus Brunnen und Flüssen (nicht dem Wasserhahn) häufig
verschmutzt. 80% aller Krankheiten in EL werden durch fehlendes oder unsauberes Wasser verursacht.
Gegenwärtig fehlt es noch 1,3 Mrd Menschen an sauberem Wasser, d.h. am wichtigsten Lebensmittel. In
Westeuropa scheint Wasser kein Problem zu sein: dass genug Wasser aus dem Wasserhahn fließt, scheint eine
Selbstverständlichkeit. Nur selten gibt es dauernde Trockenheit, nur selten große Überschwemmungen (wie
2002 an der Elbe). Also brauchen die Deutschen wohl kein Wasser zu sparen.
Aber für die Herstellung von 1 kg Zitrusfrüchten braucht man 1 m3 Wasser, für 1 kg Palmöl 2 m3 und für 1 kg
Rindfleisch (oft aus Lateinamerika) 15 m3 Wasser. Bei der Herstellung eines Autos (oft aus dem Ausland)
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werden mindestens 20.000 l Wasser verbraucht, für einen Computer noch mehr. D.h. die Deutschen
verbrauchen keineswegs nur das Wasser aus ihrem Land, sondern auch viel Wasser aus anderen, trockeneren
Ländern, sog. virtuelles Wasser. Und unser Lebensstil wird in EL bewundert. Fazit: Auch die Deutschen sind
deshalb gut beraten, Wasser zu sparen: a) weil sich die EL die IL zum Vorbild nehmen und b) weil in vielen
EL, aus denen Deutschland seine Konsumgüter importiert, Wassermangel herrscht.
4. Agrotreibstoff
In der EU wurden in den letzten Jahren diverse Maßnahmen zur Verwendung von „Biosprit“ beschlossen , um
der Knappheit fossiler Rohstoffe und dem Klimawandel entgegenzuwirken. Allerdings muss ein Großteil der
entsprechenden Rohstoffe aus EL eingeführt werden (z.B. Soja zur Ethanolherstellung aus Brasilien oder
Palmöl aus Indonesien). Bald stellte man aber fest, dass der Umwelteffekt nicht so hoch oder gar negativ ist,
insb. wegen der damit verbundenen Rodung des Tropenwaldes. Dann merkte man, dass der Anbau der
Energiepflanzen häufig in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungspflanzen steht, und dies bei fast 1 Mrd
Hungernden in der Welt. Und schließlich verweisen Experten auf die mit dieser Intensivlandwirtschaft oft
verbundenen, sozialen und Menschenrechtsprobleme wie Landkonflikte, Vertreibungen und
Gesundheitsschäden durch überhöhten Einsatz von Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln. Kurz: die
Hoffnungen auf das „Wundermittel“ Biotreibstoff sind aus entwicklungspolitischen und ökologischen Gründen
inzwischen weitgehend geschwunden.
5. Das Auto
Das Auto ist ein unverzichtbares Verkehrsmittel. Aber es ist eine Erfindung, die Gesundheitsschäden verursacht
und die Schöpfung gefährdet. Pro Jahr gibt es allein in Deutschland über 3.000 Verkehrstote und 50 x so viel
Verletzte. Eine neue Erfindung mit diesen Folgen hätte kaum ein Chance, zur Produktreife entwickelt zu
werden. Durch Kohlenstoff- und Stickoxide entstehen weitere Gesundheitsschäden: durch die RußpartikelEmissionen aus Dieselmotoren sterben in Deutschland jährlich 14.000 Menschen (Deutsche Umwelthilfe). Auch
das Waldsterben, die Zersiedlung der Landschaft und die Erderwärmung sind durch das Auto mitverursacht.
Lärm und Autoschrott machen den Menschen zu schaffen. Wenn das alles in den Benzin- bzw. Dieselpreis
einginge, müsste er nach Berechnung von Forschern etwa doppelt so hoch liegen wie heute. All dies zeigt, dass
das Auto keineswegs nur ein Fortschritt ist.
Andererseits ist das Auto ein unverzichtbares Verkehrsmittel, vor allem in ländlichen Gebieten. Aber man muss
sich fragen, ob es wirklich schnell ist (bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit zumindest in Städten von 15
km/Std.), ob es ein Fahrzeug oder nicht oft nur ein Stehzeug ist und ob es den Menschen mehr Zeit oder nur
mehr Hektik bringt.
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