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Menschen und Landschaften 28.08.2005 Die Hexen von Zugarramurdi Traditionelle baskische Kultur in den spanischen Pyrenäen Von Daniel Guthmann und Joachim Palutzki ATMO Bach in der Höhle von Zugarramurdi MUSIK Baskischer Chorgesang O-TON Lourdes liest einen baskischen Text SPRECHERIN 1 Oh Geist, der du die Geheimnisse des Lebens kennst. Lehre mich den Weg der Wahrheit! Lass mich am Feuer meiner Vorfahren tanzen! Lehre mich, frei zu sein wie die Luft, stark zu sein wie der Adler und weise wie die Natur! ATMO Theaterperformance in der Höhle ERZÄHLER Jedes Jahr zur Sommersonnenwende kommen Tausende in ein kleines Dorf in den spanischen Pyrenäen, um die kürzeste Nacht des Jahres in einer großen Höhle am Dorfrand zu verbringen. Schaurige Legenden aus tiefer Vergangenheit in einer wilden, dünn besiedelten Berglandschaft ziehen alljährlich eine wachsende Zahl von Besuchern an. In alten Chroniken wird berichtet, das gesamte Dorf sei einst verhext gewesen, auf geheime Hexenzusammenkünfte folgten grausame Strafen der katholischen Inquisition. Gerüchte von wilden Partys in der Höhle locken ein eher jugendliches Publikum aus vielen Regionen Spaniens und Frankreichs nach Zugarramurdi. ATMO Fest, Trommeln, Txistu, Natur ERZÄHLER Zugarramurdi liegt unmittelbar an der französischen Grenze in den westlichen Ausläufern der spanischen Pyrenäen, eine knappe Autostunde von der Atlantikküste und San Sebastián entfernt. Geographisch gehört das Dorf zum Baztan-Tal, das eine natürliche Barriere zwischen der südfranzösischen Ebene und dem spanischen Kernland bildet. Nördlich und südlich ist es von zwei etwa tausend Meter hohen Gebirgspässen begrenzt. Administrativ gehört das Tal mit etwa 8000 Einwohnern zur Region Navarra, aber kulturell und sprachlich fühlen sich die Menschen dem Baskenland zugehörig. ATMO Natur, Pferd läuft durch ERZÄHLER In sanften Wellen entwickeln sich die Höhenzüge, bewachsen von einer üppigen Vegetation. Eichenwälder und ausgedehnte Wiesen mit einer Vielfalt an Kräutern und Blumen sind Rückzugsgebiete für zahlreiche geschützte Tierarten. Ein Naturund Wanderparadies abseits der Durchgangsstraßen. Die seit Jahrhunderten bewirtschafteten Ackerflächen im Besitz einzelner Familien fügen sich ebenso harmonisch in das Landschaftsbild ein wie die traditionelle Fachwerkarchitektur der Bauernhöfe. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Ich bin in einem der typischen alten Bauernhäuser geboren und stamme von einer sehr traditionellen Familie ab, sowohl mütterlicherseits wie väterlicherseits. Ich komme wie meine Mutter aus dem kleinen Dorf „Arizcun“. Mein Vater stammt aus einem anderen Dorf mit vielleicht 150 Einwohnern, sieben Kilometer von hier entfernt. Meine Eltern waren auch Bauern, 2 und natürlich hat man unter Bauern geheiratet und die alte Tradition weitergeführt. ATMO Platz in Elizondo ERZÄHLER Teresa Maritorena lebt heute in Elizondo, der Hauptstadt des Baztan-Tals. Die 60-jährige Hausfrau denkt gern an ihre Kindheit zurück, als die Großfamilie noch unter einem Dach, in ihrem „Caserio“ wohnte. In den geräumigen, bis zu 600 Jahre alten, dreistöckigen Fachwerkhäusern befanden sich traditionell auch die Ställe für das Vieh. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Wir hatten zu Hause ungefähr zehn Kühe, die wir mit dem ernährten, was unsere Felder und Wiesen hergaben. Und dann haben sie immer mehr dazugekauft, so dass mein Bruder zum Schluss 26 Kühe und 50 Schweine besaß. ERZÄHLER Im Erdgeschoss der „Caserios“ befanden sich die Ställe, im ersten Stock die Wohnräume und im zweiten die Lagerräume für die Ernte. Auch wenn die Häuser heutzutage modernisiert werden, die massive Bauweise aus Bruchstein, Lehm und Eichenhölzern hat sich unverändert erhalten. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Früher gab es in den Häusern kein fließendes Wasser. Wir hatten eine Quelle, dort ging man auch hin, um die Wäsche zu waschen, weil wir natürlich keine Waschmaschinen hatten. Toiletten gab es nur selten in den Häusern. Wir hatten zwar eine, aber verbunden mit einem aufgehängten Wassereimer, an dem man ziehen musste – sehr unbequem. Die Leute, die keine Toilette hatten, gingen in den Stall… 3 ERZÄHLER Bauern und kleine Handwerksbetriebe produzierten über Jahrhunderte die meisten der lebensnotwendigen Güter für den Eigenverbrauch. Handelsbeziehungen nach außen gab es kaum, und Geld hatten die Familien in der Regel wenig zur Verfügung. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Bei uns zu Hause wurde ziemlich viel Besuch empfangen. Früher war es so üblich, dass die Pfarrer und Lehrer oft in die Häuser gingen. Unser Essen war aber sehr einfach. Wenn eine etwas höher gestellte Person kam, eine Respektsperson aus dem Dorf, dann lief meine Mutter schnell den Schinken holen und schnitt ihn auf. Außerdem gab es noch Dosen mit Paprikaschoten, und sie machte viele Suppen, denn wir hatten Hühner und Eier. Also, es war alles Hausmannskost. Zum Nachtisch gab es auch nicht viel Auswahl, da man nichts einfrieren konnte. Von Oktober bis zur Sommersonnenwende gab es nur eine Sorte Äpfel, die wir auf dem Speicher hatten, also gab es zum Nachtisch Äpfel. Gehungert haben wir nicht, aber wir lebten auch nicht im Luxus. MUSIK Baskische Musik ERZÄHLER Viele Familien im Baztan-Tal sind miteinander verwandt, da in dem über lange Zeit isolierten Tal traditionell nur untereinander geheiratet wurde. Strenge Erbschaftsregelungen garantieren seit vielen Generationen den Bestand an Grund und Boden, der auch heute nur in seltenen Fällen verkauft wird. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Mein Bruder hat das Haus und den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb geerbt, weil man hier im Baztan-Tal den Grundbesitz nicht unter den Kindern aufteilt. Das ist so Tradition. 4 ERZÄHLER Jedes Haus hat einen Namen, der von den Familien auch als Familienname angenommen wurde. Jeder Familiensitz hat sogar ein eigenes Wappen, seit im 15. Jahrhundert ein spanischer König alle Einwohner des Tals in den Adelsstand erhob. Mit dieser Maßnahme wollte die spanische Krone den Bewohnern des Baztan-Tales schmeicheln und ihre Ungebundenheit und Aufsässigkeit gegen fremde Obrigkeiten zügeln. In der abgelegenen, seit Urzeiten baskisch geprägten Region, hatte das Christentum erst im Laufe des 13. Jahrhunderts langsam Fuß fassen können. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Heute wird viel für die baskische Kultur getan, und es gibt viele Diskussionen darum. Ich erinnere mich, als ich noch klein war und zwei Kilometer weg von Elizondo lebte, nannte man mich hier in der Stadt „La Casera“, die Landpomeranze, weil ich kaum Spanisch konnte. Wir waren eben ein bisschen unterprivilegiert, weil auf dem Lande kaum Spanisch gesprochen wurde. Heute dagegen ist es genau umgekehrt, es werden viele Veranstaltungen und Feste organisiert, um Geld zu sammeln für die „Castolas“. Das sind unsere Schulen, in denen Baskisch gelehrt wird. Es werden immer mehr von diesen Schulen eröffnet. Das hat natürlich eine stark politisch geprägte Komponente, aber weniger hier als in den anderen Teilen des Baskenlandes. Das Baztan-Tal ist eine sehr ruhige Region, und es hat hier eigentlich kaum Auseinandersetzungen um den Gebrauch der baskischen Sprache gegeben. ERZÄHLER Die Castolas, spezielle baskische Schulen, sind eine Erscheinung der Demokratisierung und Regionalisierung nach dem Ende der Franco-Diktatur. Als sie noch ein Kind war, erzählt Teresa, wurde auf die Schulbildung im Baztan-Tal generell wenig Wert gelegt. 5 O-TON Teresa SPRECHERIN 2 In der Schule wurde uns nur das Notwendigste beigebracht. Wir lernten kochen und nähen, und nach der Schule mussten wir zu Hause arbeiten. In allen Häusern gab es einen Kamin. Wir mussten Feuerholz holen oder zur Zeit der Kastanienernte die Kastanienspeicher leeren. Dann mussten wir die Kastanien schälen und aufs Feuer legen. Manchmal wurden wir aus der Schule gerufen, um eine Kuhherde zu führen, wenn sie auf eine andere Weidefläche sollte, oder um die Pferde zusammen zu treiben. Während unserer Kindheit ging man nicht aus. Am Sonntag besuchte man die Messe, und nachmittags gab es gemeinsame große Mahlzeiten. Nach dem Essen ging man im Dorf spazieren. Ich erinnere mich, dass in Arizcun auch traditionelle Musik gespielt wurde: Tambor und Txistu. Das sind typische Instrumente der Region. ATMO Txistu O-TON Musiker SPRECHER 1 Für uns ist es schon etwas Besonderes, diese Musik zu spielen. Sie führt uns zurück zu den Wurzeln unserer Kultur, denn es ist alte Musik aus dieser Region. Nicht alle jungen Leute interessieren sich dafür, aber wir sind der Meinung, dass es jemanden geben muss, der an die Kulturtraditionen anknüpft, sie erhält und bereichert, damit sie nicht aussterben. Und genau das wollen wir tun! ERZÄHLER Mikel und Ernesto üben in der offenen Markthalle von Elizondo traditionelle Stücke für ein Dorffest am Wochenende. Wie die baskische Sprache haben auch die alten Feste in letzter Zeit einen Aufschwung erlebt. Die beiden Musiker können sich über mangelnde Engagements nicht beklagen. O-TON Musiker 6 SPRECHER 1 Eigentlich ist es ja dasselbe, ob man sich zu Elizondo, zu Navarra oder zum Baskenland zugehörig fühlt, aber die Leute fühlen sich schon in erster Linie als Basken. Baskisch wird hier im Baztan-Tal von über 98 Prozent der Bevölkerung gesprochen. Unsere traditionelle Kleidung, unsere Tänze, die Musik – das alles kommt aus der baskischen Kulturtradition. MUSIK Baskische Musik ERZÄHLER Wer von den jungen Leuten studieren will, geht in der Regel an die Universitäten von San Sebastián oder Pamplona. Und weil sie in der Heimat kaum eine berufliche Perspektive haben, bleiben viele dann auch in den Großstädten. Die beiden Musiker haben sich nach ihrem Studium bewusst dafür entschieden, ins Baztan-Tal zurückzukehren. O-TON Musiker SPRECHER 1 Früher wollte keiner von hier weg, aber die Nachteile des Kapitalismus bringen es mit sich, dass immer mehr Leute zum Arbeiten woanders hingehen müssen, zum Beispiel nach Pamplona. Die Landwirtschaft wirft immer weniger ab. Unsere Lebensgrundlage waren die Kleinbauern, die sich selbst erhalten und unabhängig sind. Heute ist es immer mehr so, dass nur noch die großen Höfe überleben können und die Anderen gezwungen sind, zum Arbeiten in die Städte zu gehen. Damit wandelt sich der ursprüngliche Lebensrhythmus. Alles wird hektischer und vom Stress bestimmt. Das ist eben der Rhythmus, der uns von dieser Gesellschaft aufgezwungen wird. ATMO Landstraße im Baztan-Tal ERZÄHLER Die Einwohnerzahl des ohnehin schon dünn besiedelten BaztanTals hat sich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten noch um ein Drittel verringert. Viele machen dafür die Krise in der 7 Landwirtschaft verantwortlich und kritisieren die Richtlinien der Europäischen Union. So dürfen sie zum Beispiel die Ernte nicht mehr im eigenen Caserio lagern, sondern müssen dafür extra Lagerhallen bauen. Das hat viele kleinere Bauern veranlasst, ihren Betrieb aufzugeben. Mit etwas Glück gelingt es ihnen, die Anbauflächen an größere Betriebe zu verpachten. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Auch mein Bruder sagte sich: Tja, was mache ich jetzt? Ich müsste Millionen investieren, um die vorgeschriebenen Lagerhallen zu errichten, aber wozu soll ich das Geld ausgeben, wenn meine Kinder den Betrieb sowieso nicht weiterführen wollen. - Und so hat er vor ungefähr drei Jahren die Landwirtschaft aufgegeben. Die Felder sind noch da und das gesamte landwirtschaftliche Gerät und die Traktoren auch, aber er hat als Bauarbeiter angefangen. Weil er sich sagt, dass er damit in der Zukunft besser dastehen wird. Die Unabhängigen hier verdienen weniger als die Angestellten, und wenn er mal in Rente geht, wird er als Angestellter weitaus mehr bekommen. ATMO Natur ERZÄHLER Doch leer stehende schöne alte Bauernhäuser, eine jahrhundertealte, gewachsene Kulturlandschaft und die Natur der Pyrenäen bieten auch die Chance für einen Strukturwandel. Anfang der 90er Jahre beschloss die Regionalregierung in Pamplona ein Programm, das dem sanften Tourismus im Baztan-Tal den Weg ebnen sollte. Nach anfänglicher Skepsis in der nach außen traditionell eher verschlossenen Bevölkerung wird das Angebot inzwischen mehr und mehr angenommen. O-TON Teresa SPRECHERIN 2 Früher war es so, dass die einzigen Touristen, die kamen, ehemalige Emigranten waren, und da wir uns alle im Tal 8 kannten, wirklich alle, erfuhren wir es sofort, wenn jemand in einem Dorf neun Kilometer weiter weg gerade angekommen war. Heute kommen natürlich immer mehr Leute ins Tal, die man nicht kennt… ATMO Feststimmung in Zugarramurdi ERZÄHLER Die meisten kommen allerdings nach Zugarramurdi. Die riesige Kalksteinhöhle, mit der Legenden von Hexenzusammenkünften verbunden werden, und das große Fest zur Sommersonnenwende, das in der Höhle veranstaltet wird, haben den kleinen Ort überregional bekannt gemacht. Gemeinsam mit dem Nachbarort Urdazubi bildet Zugarramurdi auf dem Gebirgszug, der Spanien von Frankreich trennt, eine kleine, seit jeher auf Unabhängigkeit vom Baztan-Tal bedachte Gemeinde. O-TON Ignacio SPRECHER 1 Die Leute aus Zugarramurdi und Urdazubi könnten geographisch ja eigentlich sogar zu Frankreich gehören, und jenseits des südlichen Eingangs zum Baztan-Tal ändert sich auch die Mentalität der Menschen. Wir hier in Zugarramurdi haben uns eigentlich immer eher nach Frankreich ausgerichtet. Es würde uns auch nichts ausmachen, uns als Bewohner des Baztan-Tals zu sehen, wenn man sich dort uns gegenüber korrekt verhalten würde. Wir sehen es so, dass man sich im Baztan-Tal des Reichtums von Zugarramurdi bemächtigen will. Eines Reichtums, den wir dank unserer Höhlen besitzen. Das heißt aber nicht, dass wir uns mit den Leuten nicht gut verstehen würden. Es gibt viele, die mit jemandem aus dem Baztan-Tal verheiratet sind, und auf dieser Ebene ist das ein völlig normales Verhältnis. Aber auf der politischen Ebene ist es schwer vorstellbar, uns mit dem Baztan-Tal zu einigen. 9 ERZÄHLER Ignacio kommt aus einer Familie, die seit Jahrhunderten in Zugarramurdi lebt. Gemeinsam mit seiner Mutter bewohnt er das alte Caserio der Familie mitten im Dorf. Seit vielen Jahren hilft der 45-Jährige mit beim großen Fest. O-TON 15 Ignacio SPRECHER 1 Ich habe vorher mit meinem Vater und meinem Bruder von der Milchwirtschaft gelebt. Ich habe lange Jahre die Kühe versorgt, aber dann, mit dem Programm für den „Turismo rural“, den ländlichen Tourismus, fing man hier an, die ersten Gästezimmer einzurichten. Seitdem habe ich mich auch mehr und mehr dafür engagiert, während mein Bruder und seine Frau weiterhin in der Landwirtschaft tätig sind. ATMO Höhle von Zugarramurdi ERZÄHLER Die offene Höhle von Zugarramurdi liegt am nördlichen Ortsausgang. Sie ist geformt aus einem bis zu 25 Meter hohen natürlichen Tunnel aus Kalkstein und erstreckt sich über eine Länge von knapp 100 Metern. Durch die Höhle hindurch fließt ein Bach, der auf Baskisch „Infernuka erreka“, Höllenbach genannt wird. Schon allein durch ihre Größe ist die Höhle spektakulär, aber es ist bei weitem nicht die einzige. Die bekanntesten sind die großen Höhlen von Sare auf der französischen Seite und die kleine, aber archäologisch bedeutende Höhle von Urdazubi. O-TON Höhlenführer José SPRECHER 2 Der berühmte französische Höhlenforscher Norbert Casteret hat hier vor 70 Jahren Höhlenzeichnungen gefunden, ein Wisent, einen Hirsch und ein Pferd, neben anderen sehr interessanten symbolischen Zeichnungen. Auch in dem roten Stein, der sich am Berg befindet, hat man Symbolzeichnungen gefunden. Sie sind zwischen 13 000 und 9000 Jahre alt. 10 ATMO Höhle von Urdazubi ERZÄHLER Da die geschlossene Höhle von Urdazubi mit ihren weit verzweigten, engen Gängen schwerer zugänglich ist als die Höhle von Zugarramurdi, kann José auf seinen Führungen immer nur kleine Gruppen mit hinein nehmen. Die Besucher sind begeistert von den weißen Kalksteinformen und der eigentümlichen Geräuschkulisse, die von dem kleinen Fluss herrührt, der tief im Inneren durch den Berg hindurch fließt. Wie in anderen Regionen Europas verbinden sich auch im Baskenland mit den Höhlen zahlreiche Legenden. Als heilige Orte besitzen sie insbesondere dort, wo sie von Quellen oder Flussläufen durchkreuzt werden, eine mythologische Bedeutung, die weit in die Vergangenheit zurück reicht. MUSIK Baskische Musik O-TON Höhlenführer José SPRECHER 2 Diese Höhle hier trägt den Namen Ikaburo. Das ist ein baskisches Wort und wahrscheinlich kommt es von „Kara“, also würde die Übersetzung lauten: der Ort, der Furcht einflößt. In alten Legenden und Erzählungen wird berichtet, wenn man längere Zeit hier in der Höhle sitzt, im Dunklen, und dem Rauschen des Baches zuhört, wird man bald eine Stimme hören. Und man erzählt sich, also, ein älterer Mann hat mir erzählt, dass ihm als Kind gesagt wurde, es sei die Stimme einer Fee, die da zu hören ist. Es ist eine sehr hübsche Frau mit langem Haar, und sie kämmt sich mit einem goldenen Kamm. Sie erscheint sonst nur auf dem Berg Mondarrain. Das ist der Berg, auf den die Hirten im Sommer die Ziegen führen. Die Fee macht die Hirten in sich verliebt, und man sagt, dass sie manchmal ihren Kamm vergisst. Sie kommt hierher zum Fluss, um sich zu 11 kämmen, und versteckt sich in der Höhle. Das ist die Legende der Mia, der Fee. MUSIK Popol Vuh ERZÄHLER Mit den Höhlen verbanden sich nicht nur Mythen und Legenden, sie waren auch lange Zeit Schauplatz nächtlicher Feste, die tief in der baskischen Volkskultur verankert waren, die so genannten Akelarres oder Alkelarres. Doch im 17. Jahrhundert wurde die katholische Inquisition auf diese Feste aufmerksam. O-TON Lourdes SPRECHERIN 1 Der Begriff „Akelarre“ ist baskisch. Aker bedeutet Ziegenbock. Larre heißt Feld. Also Feld des Ziegenbocks. Aber der Begriff ist eine historische Verfälschung. Tatsächlich wurden die Zusammenkünfte von den Teilnehmern als Alkelarre bezeichnet. ALKE wird von der Pflanzenbezeichnung Alka, Dactylisis hispanica abgeleitet. Für den, der etwas von narkotischen Pflanzen versteht, ist klar, dass sich davon die Bezeichnung der Zusammenkünfte ableitete. Die Inquisitoren verdrehten den Sinn zur Rechtfertigung ihrer Anklagen. Sie behaupteten, der leibhaftige Teufel in Gestalt eines Ziegenbocks hätte an den geheimen Treffen teilgenommen. ERZÄHLER Lourdes ist eine engagierte und attraktive Frau um die 30. Sie stammt aus Elizondo und hat in eine Familie in Zugarramurdi eingeheiratet. Wohl niemand im Dorf kennt sich mit der Geschichte der Alkelares und der Hexenverfolgung in Zugarramurdi besser aus als sie. O-TON Lourdes SPRECHERIN 1 Ich habe begonnen, mich für das Thema zu interessieren und Nachforschungen anzustellen, weil mein Großvater mütterlicherseits hier aus dem Dorf stammt. Er ist allerdings 12 schon sehr früh, nämlich 1916, aus dem Baztan-Tal weggegangen. Als ich dann vor sieben Jahren als Führerin für die Höhlen angestellt wurde, habe ich die Forschungen intensiviert. Ich möchte herausfinden, was hier wirklich passiert ist, denn es gibt viele Legenden über die Geschichte der Höhlen. ERZÄHLER Lourdes ist im Laufe ihrer Nachforschungen zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den nächtlichen Zusammenkünften um rituelle Feste gehandelt haben muss, denen naturreligiöse Vorstellungen zugrunde lagen. O-TON Lourdes liest baskischen Text SPRECHERIN 1 Mein Körper ist Erde. Mein Blut Wasser. Die Atmung Luft. Und meine Seele das Feuer. ERZÄHLER Im Mittelpunkt der Alkelarres standen die Anbetung des Mondes und Feiern zu Ehren der Nacht. O-TON Lourdes SPRECHERIN 1 Der Mond heißt auf Baskisch „ilargi“. „argi“ bedeutet Licht. Die Vorsilbe „il“ bezieht sich auf die Toten. Also aus der Übersetzung geht hervor, dass der Mond das Licht der Toten ist. Was nun die heimlichen Zusammenkünfte in den Höhlen angeht, da ging es einfach nur um alte heidnische Bräuche. Es waren sicherlich sehr freizügige Feste, aber nicht in dem Sinne, wie wir uns Orgien vorstellen. Hier in den Höhlen und in der unmittelbaren Umgebung gibt es kleine Nischen und Kammern, so dass man sich denken kann, dass einzelne Paare sich während des Festes dorthin zurückzogen. Also, man soll das nicht so verstehen, dass jeder mit jedem und alle zusammen! MUSIK Popol Vuh 13 ERZÄHLER So hat es aber die katholische Kirche im 17. Jahrhundert verstehen wollen. Einfache Bauersfrauen und Musiker, die an den Festen in den Höhlen teilnahmen, wurden zu Hexen und Zauberern erklärt, die mit dem Teufel im Bunde stehen. Wie so oft in der dunklen Geschichte der Hexenverfolgung beeinflussten auch hier politische und ökonomische Motive die Unterdrückung alter baskischer Bräuche. Um 1600 gelangte Zugarramurdi unter die weltliche und geistliche Vormundschaft des Klosters San Salvador in Urdax. Viele der vormals freien Bauern und Hirten aus dem Dorf weigerten sich, die vom Kloster eingeforderten Steuern zu zahlen. O-TON Lourdes SPRECHERIN 1 Daraufhin wurden Inquisitoren nach Zugarramurdi entsandt. Unter der Herrschaft Heinrichs des IV. kam zunächst ein Franzose namens Pierre de Langle ins Dorf. Er war Richter in Bordeaux. Eine sehr zwiespältige, geisteskranke Person. Seine eigene Großmutter war eine Baskin, hier aus der Region, aber er hasste alles Baskische. Und er war der erste, der behauptet hat, hier gäbe es geheime Zusammenkünfte, die mit dem Teufel in Verbindung stehen. ERZÄHLER Schließlich befasste sich die Inquisition von Logroño mit dem Fall. Die Untersuchungskommission kam zu dem Ergebnis, das mehr als 300 Personen an den geheimen Zusammenkünften in den Höhlen teilgenommen hätten. Nahezu die gesamte Bevölkerung von Zugarramurdi und Urdazubi geriet unter den Verdacht der Hexerei. 31 Personen wurden nach Logroño verschleppt und eingekerkert. 13 der Inhaftierten starben bereits nach kurzer Zeit an den unmenschlichen Haftbedingungen. 1610 schließlich erfolgte der Richterspruch. Sechs Angeklagte aus dem engeren Kreis der nächtlichen Alkelarres von Zugarramurdi wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. 14 ATMO Glocken von Zugarramurdi, Bach an der Höhle O-TON Lourdes liest die Namen und das Alter der Verurteilten SPRECHERIN 1 Maria de Arburu, Mutter eines Ordenbruders, 70 Jahre alt. Maria de Baztan de la Borda, 68 Jahre, auch sie war die Mutter eines Klerikers. Graciana Xarra, 66 Jahre alt. Eine Schwester aus dem Kloster von Urdax… ERZÄHLER Der jüngste sei gerade mal 36 Jahre alt gewesen, liest Lourdes vor. Eine als Königin der Hexen angeklagte Frau starb im Alter von fast 90 Jahren im Gefängnis. MUSIK Baskischer Chorgesang O-TON Lourdes liest baskischen Text Oinen beste miresten duzuena. Eta beraren izenean, beriz. Zigortzen gaituzuena. SPRECHERIN 1 Wer ist dieser Gott, den du so sehr anbetest und in dessen Namen du uns folterst? ERZÄHLER Seit jener Zeit galt Zugarramurdi als ein Zentrum der Hexerei im Baskenland. Die Bevölkerung wurde geächtet, und die Geschehnisse prägten sich tief in das kollektive Gedächtnis der Dorfbewohner ein. Auch Ignacio hat einen Vorfahren, der auf dem Scheiterhaufen brannte. O-TON Ignacio SPRECHER 1 Wir haben immer mit den Höhlen gelebt, deshalb waren sie für uns nichts Besonderes. Zum Beispiel wurde dort früher Kalk gewonnnen. Aber die älteren Generationen nutzten die Höhlen für andere Zwecke. Zum Beispiel, um dort Sachen 15 aufzubewahren. Und in den Schmuggelhochzeiten wurden dort auch Waren versteckt. O-TON Isidro SPRECHER 2 In den Jahren 1945, 46, also nach dem zweiten Weltkrieg, waren die Verhältnisse in Frankreich sehr schlecht. Und wir hatten ja hier den General Franco, bei uns war alles rationiert, alle Lebensmittel, das Öl, der Zucker, alles. Die Grenzen wurden streng bewacht vom Militär und der Guardia Civil, und wir gingen immer zwischen Frankreich und Spanien hin und her, um Brot, Zucker und Kaffee zu kaufen. Das war das Einzige, was die Franzosen hatten, allerdings in reichlichen Mengen. Dafür hatten sie weder Kleidung und Schuhe, wenig Alkohol, keine Schokolade, keinen Reis. Das alles kam von hier als Tauschware. Auch die Seife kam aus Spanien. Alles wurde über die Berge geschafft, es gab noch nicht einmal Zollstationen, die Grenze war komplett abgeriegelt. ATMO Felsen über der Höhle ERZÄHLER Isidro Barlesa ist einer der Ältesten im Dorf. Das alte „Caserio“, das er bewohnt, könnte man, so wie es ist, in ein Freilichtmuseum stellen. Auch in den spartanisch möblierten Innenräumen ist kaum ein Einrichtungsgegenstand jünger als 50 Jahre. O-TON Isidro SPRECHER 2 Diese Art von Geschäften hörte irgendwann auf und dann begann der Schmuggel mit Kupfer, über viele Jahre hinweg. Ich glaube, das Kupfer kam ursprünglich aus Südafrika über Frankreich. Das waren große Lieferungen, tonnenschwer, und natürlich war es nicht einfach, solche Mengen zu verstecken. Kleine Sachen kann man gut verstecken, aber solche großen Mengen nicht. Da musste man dann der Guardia Civil ein 16 bisschen Schmiergeld geben. Dadurch war das Ganze nicht mehr gefährlich, sie wurden ja bezahlt. ERZÄHLER Die Leute in Zugarramurdi erzählen gern von der Zeit des Schmuggels, stets mit einem Augenzwinkern oder einem zweideutigen Lächeln. Das Geschäft war so einträglich, dass heute die reichsten Leute im Baztan-Tal aus dem Kreis der ehemaligen Schmuggler stammen. Nach dem Wegfall der Zollschranken lagen die Höhlen brach und wurden wenig genutzt, höchstens mal von durchreisenden „Gitanos“ auf der Suche nach einem Platz für die Nacht. ATMO Stimmung in der Höhle vor Konzertbeginn ERZÄHLER Bis man schließlich im Dorf auf die Idee kam, die Höhle für den Tourismus zu erschließen. Dabei erinnerte man sich auch wieder an die Hexengeschichte. Das war 1983. Und seitdem gibt es die „Alkelarres“, die Feste zur Sommersonnenwende. O-TON Ignacio SPRECHER 1 Die Ursprungsidee hatte der damalige Bürgermeister. Wir wollten einen neuen „Fronton“ bauen, eine Spielfläche für das baskische Pelota-Spiel, und überlegten, wie wir das Geld dafür aufbringen könnten. Damals wurde viel „Pelota“ gespielt, und die besten Spieler kamen aus dem Baztan-Tal. So entstand die Idee, um die Sommersonnenwende herum in den Höhlen ein Fest zu veranstalten. Nur um genügend Geld für den „Fronton“ zusammen zu bekommen. Aber dann ist das Fest immer größer geworden. ATMO Camping bei der Höhle ERZÄHLER Inzwischen ist die nächtliche Riesenfete in der Höhle eine der wichtigsten Einnahmequellen für das Dorf. Ein Rockkonzert mit 17 mehreren Bands lockt ein junges, hauptsächlich französisches Publikum an. Bis zu 10 000 Besucher kommen, alle Wiesen rund um Zugarramurdi stehen voller Zelte und bunter Campingwagen. Im Dorf sind an vielen Stellen kleine improvisierte Bars eingerichtet. In der Höhle wird eine große Bühne installiert. O-TON Ignacio SPRECHER 1 Die Leute aus dem Dorf machen alle mit, sonst wäre es auch unmöglich. Es ist ein Fest, das viel Organisation und Arbeit erfordert. ATMO Theaterperformance in der Höhle, Rockmusik ERZÄHLER Der Höhepunkt ist weit nach Mitternacht erreicht. Unter der Anleitung einer Schauspieltruppe aus Bilbao wird eine kurze, aber spektakuläre Theaterperformance aufgeführt, die ein historisches Alkelarre darstellen soll. Dabei hält man sich allerdings erstaunlicherweise an die überlieferte schwarze Legende der Hexenzusammenkünfte, wie sie von der katholischen Inquisition erfunden wurde. Mit viel Feuerwerk, Lichteffekten und Trommeln tragen verkleidete Schauspieler nach Mitternacht zwei große Puppen durch die Höhle. Der Teufel in Gestalt eines Ziegenbocks und die Königin der Hexen, die in einem pompösen Finale einen symbolischen sexuellen Akt vollziehen. Nach dem Spektakel und dem letzten Konzert verwandelt sich die Höhle in eine Diskothek. Einige französischen Teenager geben sich hemmungslos die Kante… ATMO Einer jault ins Mikro ERZÄHLER …andere genießen das traumhafte Ambiente der effektvoll beleuchteten Höhle. 18 O-TON Lourdes SPRECHERIN 1 Um meine ehrliche Meinung zu sagen, ich finde es ein bisschen schade, wie sich dieses Fest entwickelt hat. Die Leute, die hierher kommen, halten das für eine ganz normale Party, an der nur außergewöhnlich ist, dass sie in dieser großen Höhle stattfindet, was übrigens einzigartig ist in ganz Spanien. Aber was die Geschichte betrifft, die Folklore und den Ursprung der Feierlichkeiten hier in den Höhlen, haben mindestens 80 Prozent der Leute, die kommen, davon keine Ahnung. Ich finde, es könnte anders sein. Alles hängt von der Musik ab. Ich denke, wenn man mehr folkloristische Musik spielen würde, wenn statt 6000 vielleicht nur 1000 Personen eingelassen würden, wenn es mehr Platz gäbe und man ein traditionelles Essen veranstalten würde, wie es hier jedes Jahr am 18. August für die Dorfbewohner stattfindet, dann könnte es ein völlig anderes Fest sein. ERZÄHLER Auch außerhalb des Baztan-Tals steigt das Interesse an der Wiederentdeckung der alten baskischen Kultur. Unlängst wurden in Pamplona die vollständigen Prozessakten der Inquisition aus dem Jahr 1610 wieder aufgefunden. In Zugarramurdi wird eines der leer stehenden schönen Caserios restauriert, um darin ein Museum einzurichten. In der Hauptstadt Navarras überlegt man, das kleine Dorf zu einem zentralen Ort des Angedenkens an die Hexenverfolgungen und die Unterdrückung alter Kulturbräuche durch die katholische Kirche zu machen. ATMO Kirchenglocke von Zugarramurdi ERZÄHLER Die Bewohner von Zugarramurdi halten sich bedeckt, wenn man sie nach ihrer Meinung zur Hexerei fragt. Im alten „Caserio“ von Isidro findet sich jedoch noch ein Hinweis auf die Rolle, die der Hexenglaube im Dorf einmal gespielt haben mag. 19 O-TON Isidro SPRECHER 2 In dieses Haus, ich weiß nicht genau wann, sollen einmal Hexen durch den Kamin gekommen sein… Steht doch mal auf… (geht zum Kamin) Seht ihr diese zwei kleinen Kreuze hier? Man glaubte damals, dass die Hexen zum Kamin hereinkommen. Um das zu verhindern, hat man an den Ketten, die im Kamin aufgehängt sind, zwei Eisenkreuze angebracht, weil man glaubte, dass dies ein wirksamer Schutz gegen die Hexen war. Mein Haus ist das einzige, in dem die Kreuze noch hängen, aber es gab viele Häuser, die im Kamin solche Kreuze hatten. Doch meist wurden sie bei Renovierungsarbeiten entfernt. Und die Ketten waren eigentlich dafür da, um über dem offenen Feuer einen Kessel zum Kochen befestigen zu können. So war das. ATMO Bach MUSIK Baskischer Chorgesang 20