124 VwGO, § 78 Abs. 4 AsylVfG

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DR. REINHARD MARX
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Ausländer- und Asylrecht
22. September 2012
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Gliederung
A. Zulassungsberufung
I. Zweck der Berufungszulassung
II. Ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
III. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO)
IV. Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG)
1. Voraussetzungen der Grundsatzrüge
a) Zweck der Grundsatzrüge
b) Prüfungsschema
c) Voraussetzungen des Zulassungsantrags
aa) Bezeichnung der konkreten Grundsatzfrage
bb) Bezeichnung der Klärungsbedürftigkeit der Grundsatzfrage
cc) Bezeichnung der Verallgemeinerungsfähigkeit Grundsatzfrage
dd) Bezeichnung der Entscheidungserheblichkeit der Grundsatzfrage
V. Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG)
1. Voraussetzungen der Divergenzrüge
a) Zweck der Divergenzrüge
b) Prüfungsschema
2. Voraussetzungen des Zulassungsantrags
a) Bezeichnung des abstrakten Grundsatzes im angefochtenen Urteil
b) Bezeichnung des divergierenden Grundsatzes
c) Bezeichnung der objektiven Abweichung
d) Bezeichnung der Entscheidungserheblichkeit
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Gerichtsstand für Streitigkeiten aus Anwaltsvertrag ist Frankfurt am Main
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VI. Verfahrensrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG)
1. Funktion der Verfahrensrüge
2. Verfahrensrügen nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO
3. Gehörsrüge nach § 138 Nr. 3 VwGO
a) Funktion der Gehörsrüge
b) Prüfungsschema
c) Voraussetzungen des Zulassungsantrags
aa) Darlegung der Gehörsverletzung
bb) Rechtsanwendungsfehler
cc) Verletzung der Vorhaltepflicht
dd) Maßgeblichkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts
ee) Ausschöpfung aller verfügbaren prozessualen Möglichkeiten
ff) Aufklärungsrüge im Asylprozess
gg) Unzulässige Überraschungsentscheidung
hh) Beruhenserfordernis
B. Verfassungsbeschwerde
I. Prozessstrategische Überlegungen zur Verfassungsbeschwerde
1. Der Rechtsanwalt wird nach Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs mit
der Einlegung der Verfassungsbeschwerde beauftragt
2. Der Rechtsanwalt war bereits im fachgerichtlichen Verfahren mandatiert
3. Gibt es rechtliche Alternativen zur Verfassungsbeschwerde?
4. Soll im Anschluss an die Verfassungsbeschwerde eine
Menschenrechtsbeschwerde an den EGMR (Art. 34 EMRK) eingereicht werden?
II. Zulässigkeitsprobleme
1. Beschwerdebefugnis
2. Rechtswegerschöpfung
a) Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG
b) Anhörungsrüge (§ 152a VwGO)
c) Abänderungsantrag (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO)
3. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
4. Formerfordernisse
II. Begründetheitsprobleme
1. Begründungspflicht des Beschwerdeführers
2. Annahmeverfahren
3. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde
a) Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte
b) Rechte nach der EMRK
c) Europarecht
4. Wertungsrahmen des BVerfG
5. Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG
6. Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG
III. Eilrechtsschutz (§ 32 BVerfGG)
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A.
Zulassungsberufung
I.
Zweck der Berufungszulassung
Die Berufung findet statt, wenn sie vom Berufungsgericht (Oberverwaltungsgericht oder
Verwaltungsgerichtshof) zugelassen wird (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO § 78 Abs. 2 S. 1
AsylVfG). Im allgemeinen Ausländerrecht kann sie auch durch das Verwaltungsgericht
zugelassen werden (§ 124a Abs. 2 VwGO). Im Asylrecht besteht diese Möglichkeit nicht.
Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch andere Verfassungsbestimmungen gewährleisten einen
Instanzenzug (kritisch zur Einführung der Zulassungsberufung in das allgemeine
Verwaltungsprozessrecht Braun, NVwZ 2002, 690; Philipp, NVwZ 2000, 1265). Sehen
freilich prozessrechtliche Vorschriften - wie früher § 32 AsylVfG 1982 und jetzt § 78 - die
Möglichkeit vor, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, so verbietet Art. 19 Abs. 4
GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des
eröffneten (Teil-)Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu
rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG (Kammer), EZAR 633 Nr. 24; BVerfG (Kammer),
NVwZ-Beil. 1994, 27; BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 126 (128) = NVwZ-Beil. 1995, 9;
BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1995, 17; BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1996, 10;
BVerfG, B. v. 29. 11. 1994 - 2 BvR 2355/93).
§ 124 Abs. 2 VwGO enthält für das allgemeine Verwaltungsprozessrecht und § 78 Abs. 3
AsylVfG für den Asylprozess abschließend die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen
ist. Die weitergehenden Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO sind im Asylprozess nicht
anwendbar (VGH BW, NVwZ-Beil. 1997, 90 = VBlBW 1997299 = AuAS 1997, 237). Für
den allgemeinen verwaltungsprozessualen Zulassungsantrag gewährt das BVerfG erhebliche
Erleichterungen. Danach ist es nicht erforderlich, dass der Antragsteller ausdrücklich einen
der Zulassungsgründe oder die gesetzlich angeführten tatbestandlichen Zulassungsgründe
bezeichnet. Ebenso unschädlich ist es, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem
falschen Zulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei
unterschiedlichen Zulassungsgründen relevant sein können, miteinander vermengt. Denn Art.
19 Abs. 4 GG verpflichtet das Berufungsgericht, den Zulassungsantrag angemessen zu
würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbständig zu ermitteln, welche
Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen
Zulassungsgründen zuzuordnen sind. Erst dann, wenn aus einer nicht auf einzelne
Zulassungsgründe zugeschnittenen Begründung auch durch Auslegung nicht eindeutig
ermittelt werden kann, auf welchen Zulassungsgrund der Antrag gestützt wird, stellt dessen
Zurückweisung keine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur Berufung dar (BVerfG
(Kammer), NVwZ 2011, 547 (548)). Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs muss das
Berufungsgericht dem Rechtsmittelführer vorher rechtliches Gehör gewähren, wenn es den
Antrag zurückweisen will, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als vom
Verwaltungsgericht angenommen als richtig darstellt (BVerfG (Kammer), NVwZ-RR 2011,
460 (461)).
Die asylrechtliche Zulassungsberufung findet auf alle Rechtsstreitigkeiten nach dem AsylVfG
Anwendung (§ 78 Abs. 1 S. 1 AsylVfG). Zulassungsbedürftig ist damit die Berufung in allen
Streitigkeiten nach dem AsylVfG und für alle Beteiligten (Renner, AuslR, § 78 AsylVfG
Rdn. 7). Jedenfalls die Grundsatz- und die Divergenzrüge dient ausschließlich der Wahrung
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der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und damit der Rechtssicherheit und Rechtsfortbildung,
nicht jedoch der Einzelfallgerechtigkeit (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 30; Thür.OVG, NVwZ
2001, 448 (449); Höllein, ZAR 1989, 109 (110); so auch Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78
Rdn. 65). Lediglich die Zulassung wegen eines Verfahrensfehlers nach § 78 Abs. 3 Nr. 3
AsylVfG in Verb. mit § 138 Nr. 3 VwGO dient demgegenüber dem individuellen
Rechtsschutz im Einzelfall. Jedenfalls für die Anforderungen an die Darlegung der
asylprozessualen Gehörsrüge dürfen nach der Rechtsprechung des BVerfG die Anforderungen
nicht überspannt werden (BVerfG, NVwZ-Beil. 1995, 57).
II.
Ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
Die Berufung ist zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
Urteils bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige
Gesichtspunkte bestehen. Hiervon ist stets auszugehen, wenn ein einzelner tragender
Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in
Frage gestellt werden (BVerfG (Kammer), NVwZ 2000, 1163 (1164); s. auch BVerfG
(Kammer), NVwZ-RR 2011, 460; BVerfG (Kammer), NVwZ 2011, 547) und sich ohne
nähere Prüfung die Frage nicht beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise aus
einem anderen Grund richtig ist (umstr.). Es muss die Möglichkeit bestehen, dass die
Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (BVerwG, NVwZRR 2004, 542 (543); a.A. Nieders.OVG, InfAuslR 2012, 230 (231), hinreichende
Wahrscheinlichkeit erforderlich).
Das bedeutet: Die Richtigkeit der Entscheidung kann ernstlich nicht in Zweifel gezogen
werden, wenn das Verwaltungsgericht bei der Sachverhaltsermittlung sachgerecht und
prozessordnungsgemäß
vorgegangen
ist,
die
getroffene
Feststellungen
das
Entscheidungsergebnis tragen und die Entscheidungsbegründung nachvollziehbar, in sich
stimmig und angesichts von Literatur und Rechtsprechung gut vertretbar sind. Eine gut
begründete und dichte Gegenargumentation gegen die Entscheidungsbegründung kann
andererseits den Weg in die Berufung eröffnen. Eine Zulassung der Berufung hat
insbesondere zu erfolgen, wenn eine erneute Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt
(Nieders.OVG, NVwZ 2004, 1381). Auch bei Nichtberücksichtigung des
Beteiligtenvorbringens kann sich eine erneute informatorische Befragung im
Berufungsverfahren aufdrängen. Die Rechtsprechung erachtet aber jedenfalls dann, wenn
dieselben Zeugen wie im erstinstanzlichen Verfahren für das Berufungsverfahren aufgeboten
werden, ohne konkrete Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen, warum diese im Berufungsverfahren
günstigere Aussagen machen werden, eine vorweggenommene Beweiswürdigung im
Antragsverfahren für zulässig (OVG MV, NVwZ-RR 2009, 544). Eine umfassende
Überprüfung ist aber grundsätzlich dem Berufungsverfahren selbst überlassen (BVerfG
(Kammer), NVwZ-RR 2011, 460 (461)).
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfasst alle Fehler, die dem Verwaltungsgericht bei der
Rechtsanwendung und der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen. Defizite bei der
Ermittlung des Sachverhalts können zusätzlich mit der Verfahrensrüge angegriffen werden.
Erst sind – auf der Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts - die
Bedenken gegen die Sachverhaltsfeststellung (zu schmale Tatsachengrundlage,
Nichtberücksichtigung entscheidungserheblichen Vorbringens) geltend zu machen. Werden
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hierbei relevante Fehler festgestellt, führt dies regelmäßig zur Berufungszulassung (BVerfG
(Kammer), NVwZ 2000, 1163 (1164)).
Zu berücksichtigen sind auch Tatsachen und Beweismittel, die dem Verwaltungsgericht nicht
unterbreitet wurden, wenn diese innerhalb der Begründungsfrist ordnungsgemäß dargelegt
werden und vom Verwaltungsgericht mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht von Amts
wegen ermittelt werden konnten. Dies gilt auch dann, wenn diese Umstände dem
Rechtsmittelführer bereits bekannt waren (BVerwG, NVwZ-RR 2002, 894). Auch nach
Zustellung des Urteils eingetretene Tatsachen können berücksichtigt werden (BVerwG,
NVwZ 2003, 490; BayVGH, EZAR 98 Nr. 25). Ebenso können nachträgliche eingetretene
Rechtsänderungen, wenn sie innerhalb der Begründungsfrist ordnungsgemäß dargelegt
werden, berücksichtigt werden (BVerwG, NVwZ 2004, 744; OVG NW, NVwZ-RR 2010,
40). Für nach Fristablauf eintretende Rechtsänderungen gilt dies grundsätzlich nicht, es sei
denn, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils wurden gerade unter Bezug auf eine
bevorstehende Rechtsänderung dargelegt (OVG NW, NVwZ-RR 2010, 40). Andererseits
berücksichtigt die Rechtsprechung nach dem Ergehen des angefochtenen Urteils erfolgte
Ergänzungen von Ermessenserwägungen bereits im Berufungszulassungsverfahren (OVG
NW, AuAS 2011, 152, betrifft Ausweisung). Dies dürfte mit Art. 19 Abs. 4 GG kaum
vereinbar sein.
III.
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2
VwGO)
Die Berufung ist zuzulassen, wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche
Schwierigkeiten aufweist. Dieser Zulassungsgrund ist im Asylrecht nicht zugelassen. Der
Rechtsmittelführer muss geltend machen, dass die Sache überdurchschnittliche
Schwierigkeiten aufweist, die den Normalfall an Schwierigkeiten erheblich übersteigen oder
die Schwierigkeit der Sache signifikant über dem Durchschnitt verwaltungsgerichtlicher Fälle
liegt (VGH BW, NVwZ 1997, 1230; VGH BW, NVwZ-RR 1998, 371). Im Einzelfall kann
schon der Hinweis auf den Begründungsaufwand des Verwaltungsgericht ausreichend sein
IV.
Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG)
1.
Voraussetzungen der Grundsatzrüge
a)
Zweck der Grundsatzrüge
Die Berufung ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die
Grundsatzberufung ist der Grundsatzrevision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nachgebildet.
Sie setzt voraus, dass eine bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärte Frage
aufgeworfen wird, die von verallgemeinerungsfähiger Bedeutung und entscheidungserheblich
ist, also über den zu entscheidenden Fall hinausgeht und im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung
zugänglich ist und dieser Klärung auch bedarf.
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b)
Prüfungsschema
1.
Bezeichnung der konkreten Grundsatzfrage
2.
Bezeichnung der Klärungsbedürftig der aufgeworfenen Grundsatzfrage.
3.
Bezeichnung der Verallgemeinerungsfähigkeit der aufgeworfenen
Grundsatzfrage. Das ist sie nur, wenn in dem künftigen Berufungsverfahren eine
grundsätzliche Klärung in dem Sinne zu erwarten ist, dass über den Einzelfall
hinausgehende verallgemeinerungsfähige Aussagen getroffen werden können.
4.
Bezeichnung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen
Grundsatzfrage. Die Grundsatzfrage muss anhand des Einzelfalls einer Klärung
zugeführt werden können, d.h. die Frage muss entscheidungserheblich sein.
c)
Voraussetzungen des Zulassungsantrags
aa)
Bezeichnung der konkreten Grundsatzfrage
In dem Antrag ist als erstes die konkrete Grundsatzfrage zu bezeichnen. d.h. es obliegt dem
Antragsteller, mit hinreichender Deutlichkeit darzulegen, welche konkrete und in ihrer
Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Grundsatzfrage einer obergerichtlichen
Klärung zugeführt werden soll (Hess.VGH, B. v. 24. 1. 1989 - 13 TE 2168/88). Die
Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten
Rechts- oder Tatsachenfrage, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von
Bedeutung war wie auch für das Berufungsverfahren erheblich sein wird. Darüber hinaus
muss die Antragsschrift wenigstens auf den Grund hinweisen, der die Anerkennung der
grundsätzlichen, d.h. über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache rechtfertigen
soll (VGH BW, B. v. 6. 10. 1983 - A 12 S 1823/93; VGH BW, B. v. 28. 3. 1995 - A 12 S
349/85; OVG Sachsen, B. v. 29. 8. 1995 - A 4S 128/95). Überlässt es die Formulierung des
Antrags dem Berufungsgericht, sich einen Grund für die Berufungszulassung gleichsam
auszusuchen, wird offenkundig dem gesetzlich verankerten Darlegungserfordernis nicht
hinreichend Genüge getan (Hess.VGH, B. v. 24. 1. 1989 - 13 TE 2168/88).
Vielmehr muss eine konkrete Grundsatzfrage bezeichnet und darüber hinaus dargelegt
werden, warum prinzipielle Bedenken gegen den vom Verwaltungsgericht eingenommenen
Standpunkt bestehen, warum es mithin erforderlich ist, dass sich das Berufungsgericht noch
einmal klärend mit dieser Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken
durchgreifen (VGH BW, B. v. 6. 8. 1990 - A 14 S 654/89). Das Berufungsgericht muss über
die Zulassung entscheiden können, ohne den gesamten Streitstoff durchdringen zu müssen.
Das setzt voraus, dass es durch die Begründung in die Lage versetzt werden muss, ohne
weitere Ermittlungen allein anhand der vorgetragenen Gründe darüber zu befinden, ob ein
Zulassungsgrund vorliegt (OVG SH, AuAS 5/1992, 11). Allein die pauschale Bezugnahme
auf früheres Vorbringen reicht deshalb nicht aus (OVG SH, AuAS 5/1992, 11). Deshalb ist es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn für die Darlegung lediglich allgemeine
Hinweise als unzureichend angesehen werden und die Durchdringung des Prozessstoffs
verlangt wird (BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1995, 17; vgl. auch BVerwG, EZAR 634
Nr. 2 = AuAS 1996, 83 (nur LS), für die Nichtzulassungsbeschwerde). Die Begründung muss
deshalb eine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs durch den
Prozessbevollmächtigten und ein Mindestmaß der Geordnetheit des Vortrags erkennen lassen.
Dabei verlangt das Darlegen - wie schon nach dem allgemeinem Sprachgebrauch im Sinne
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von »erläutern« und »erklären« zu verstehen ist - ein Mindestmaß an Klarheit,
Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Ausführungen (BVerwG, EZAR 634 Nr. 2).
§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG umfasst zunächst die Grundsatzberufung wegen Rechtsfragen.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche,
bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage von allgemeiner
Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde
und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts
berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (BVerwG, B. v. 18. 1. 1984 - BVerwG 9 CB 444.81;
Hess.VGH, B. v. 24. 1. 1989 - 13 TE 2168/88; VGH BW, B. v. 6. 10. 1983 - A 12 S
1823/93). Dabei obliegt es dem Antragsteller, mit hinreichender Deutlichkeit darzulegen,
welche konkrete und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage
einer obergerichtlichen Klärung zugeführt werden soll (Hess.VGH, B. v. 24. 1. 1989 - 13 TE
2168/88).
Gegen anfänglichen Widerstand einer Reihe von Obergerichten hat das BVerwG die
Grundsatzberufung auch auf ungeklärte Tatsachenfragen erstreckt (BVerwGE 70, 24 =
Buchholz 402.25 § 32 AsylVfG Nr. 4 = NVwZ 1985, 159 = InfAuslR 1985, 119; so auch
Hess.VGH, NVwZ 1983, 237; VGH BW, EZAR 633 Nr. 2; InfAuslR 1983, 260; OVG
Hamburg, DÖV 1983, 648; InfAuslR 1983, 262; so auch Büchner, DÖV 1984, 578; Ritter,
NVwZ 1983, 203; Höllein, ZAR 1989, 109 (110); Renner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 11;
Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 62f.; dagegen BayVGH, EZAR 633
Nr. 7; BayVBl. 1985, 181; OVG Bremen, NVwZ 1983, 237; OVG NW, EZAR 633 Nr. 6;
OVG Berlin, B. v. 30. 8. 1983 - OVG 8 N 37.83; OVG Saarland, B. v. 1. 9. 1983 - 3 R
262/83; Fritz, ZAR 1984, 23 (26)). Das BVerwG hat den Begriff der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache im Einzelnen dahin konkretisiert, dass sich die grundsätzliche
Bedeutung
allein
aus
ihrem
tatsächlichen
Gewicht
sowie
aus
ihren
verallgemeinerungsfähigen Auswirkungen ergeben könne (BVerwGE 70, 24 (26) = NVwZ
1985, 159 = InfAuslR 1985, 119). Insoweit reiche zwar nicht aus, dass der Einzelfall als
solcher überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweise. Zu bedenken sei aber, dass die in
Asylverfahren geltend gemachten Verfolgungserlebnisse nach ihren Ursachen, ihren
Erscheinungsformen, dem betroffenen Personenkreis sowie den Verfolgungsauswirkungen
häufig von zahlreichen Asylsuchenden in übereinstimmender oder doch ähnlicher Weise
geschildert würden, insbesondere in den zahlreichen Fällen von Gruppenverfolgungen.
An die Darlegung des Zulassungsantrags bei geltend gemachter Grundsatzberufung wegen
Tatsachenfragen sind zwar nach der Rechtsprechung nicht die gleichen Anforderungen wie an
die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision zu stellen (OVG NW, B. v. 2. 11. 1988 18 B 22270/88; OVG SH, AuAS 5/1992, 11; Hess.VGH, NVwZ-RR 1994, 237 = AuAS
1993, 261). Dies gilt wegen des engen Zusammenhangs zwischen Tatsachen- und
Rechtsfragen im Asylrecht an sich grundsätzlich auch für ungeklärte Rechtsfragen. Daher
sind im Allgemeinen die Anforderungen an die Darlegung einer Grundsatzfrage rechtlicher
wie tatsächlicher Art entsprechend den Besonderheiten des Asylrechts grundsätzlich weniger
streng als im Revisionsrecht.
Die rechtliche Grundsatzfrage kann eine Frage der materiellen wie des prozessualen Rechts
wie auch des asylspezifischen Ausländerrechts zum Gegenstand haben. Wegen der Zulassung
der Grundsatzberufung wegen Tatsachenfragen ist jedoch stets präzis herauszuarbeiten, ob
allein eine Rechtsfrage oder eine Tatsachenfrage zum Gegenstand des Antrags gemacht wird.
Werden beide Fragen zusammen zur Prüfung gestellt, sind jeweils die für die Rechtsfrage
7
einerseits wie für die Tatsachenfrage
Voraussetzungen konkret herauszuarbeiten.
andererseits
maßgebenden
spezifischen
Dem Darlegungsgebot ist bei der Grundsatzberufung wegen Tatsachenfragen nur genügt,
wenn eine bestimmte konkrete Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum die
aufgeworfene Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Darüber hinaus muss der Antrag
wenigstens ansatzweise erkennen lassen, in welcher Hinsicht und mit welchem Ziel eine
weitergehende Klärung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsstaat des Klägers in dem
anzustrebenden Berufungsverfahren erreicht werden soll (Hess.VGH, B. v. 27. 6. 1997 - 13
UZ 2109/97.A). Dabei sind insbesondere auch Änderungen der allgemeinen politischen
Verhältnisse im Herkunftsstaat des Asylsuchenden in den Blick zu nehmen, wenn sie für die
rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs maßgeblich sein können und für die
Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblich waren. Die Einschätzung des Gerichts zu
diesen veränderten Entwicklungen ist dann jedenfalls in Grundzügen darzutun und
substanziiert in Zweifel zu ziehen (VGH BW, B. v. 9. 6. 1997 - A 16 S 1693/97). Wendet sich
der Rechtsmittelführer andererseits gegen eine nur begrenzt in isolierte Argumente auflösbare
Gesamtbeurteilung der Gefahrenlage einer Bevölkerungsgruppe in einem anderen Staat und
setzt dieser in Form einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine andere differenzierte
Gesamtbeurteilung entgegen, kann eine weitere Substanziierung nicht verlangt werden
(BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1995, 17f.; s. auch BVerfG (Kammer), AuAS 1994, 238).
Die fachgerichtliche Rechtsprechung verdeutlicht, dass wegen der Zulässigkeit der
Grundsatzrüge wegen Tatsachenfragen die Abgrenzung zwischen der zulässigen Rüge wegen
einer Grundsatzfrage und der nicht rügefähigen Einzelfallwürdigung nicht immer deutlich
und präzis gezogen werden kann. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass sich die Abgrenzung
zur Beweiswürdigung im Einzelfall vorrangig im Rahmen der Grundsatzberufung wegen
ungeklärter Rechtsfragen stellt (vgl. BVerwG, InfAuslR 1984, 292; so auch VGH BW, B. v.
12. 10. 1992 - A 16 S 2356/92; BayVGH, B. v. 2151993 - 6 CZ 92.30906; 30. 4. 1993 - 9 CZ
92.30576).
bb)
Bezeichnung der Klärungsbedürftigkeit der Grundsatzfrage
Im Antrag ist nach der Bezeichnung der konkreten Grundsatzfrage im Einzelnen darzulegen,
dass in einem künftigen Berufungsverfahren anhand des konkreten Rechtsstreits
Grundsatzfragen entschieden werden können, die sich anhand der Rechtsprechung des
BVerfG sowie der des BVerwG oder der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht ohne
weiteres beantworten lassen und warum sie im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Fortentwicklung des Rechts obergerichtlicher
Klärung bedarf und warum sie sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen wird
(Hess.VGH, AuAS 1993, 9; Hess.VGH, AuAS 1999, 115). Zu den Gerichten, deren
Entscheidungen Streitfragen einer Klärung zuführen können, gehören mithin vor allem das
BVerwG und die Obergerichte. Neben den Senatsentscheidungen des BVerfG kommt auch
die Kammerrechtsprechung des BVerfG in Betracht, da durch diese die Leitentscheidungen
des zuständigen Senates in rechtlicher Hinsicht fortentwickelt werden und wegen der
spezifischen Besonderheit der Verfassungsbeschwerde im Asylrecht häufig auch
Tatsachenfragen zum Inhalt hat.
Im Antrag ist darzulegen, welche konkrete und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall
hinausgehende Frage tatsächlicher Art im Berufungsverfahren geklärt werden soll. Sind
Tatsachen, die vorliegen müssen, damit die aufgeworfene Rechtsfrage sich in einem
Berufungsverfahren stellen könnte, vom Verwaltungsgericht nicht festgestellt worden, kann
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die Berufung nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (BVerwG, NVwZ
2011, 507). Nicht der Klärung bedarf eine Frage, die sich aus dem Gesetz mehr oder weniger
zweifelsfrei beantworten lässt. Klärungsbedarf entsteht darüber hinaus nicht schon allein
deshalb, weil Schrifttum und Rechtsprechung sich mit der bezeichneten Frage noch gar nicht
befasst haben, sondern nur dann, wenn sich eine Rechts- oder Tatsachenfrage nur nach
Durchführung eines Hauptsacheverfahrens beantworten lässt (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 30).
Eine Antragszurückweisung mangels Klärungsbedarf ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine
grundsätzliche Frage zweifelsfrei beantwortet werden kann und nicht bereits dann, wenn
bestimmte mit dieser im Zusammenhang stehende Tatsachen offenkundig sind (BVerfG
(Kammer), NVwZ-Beil. 1996, 10). Die Begründung des Zulassungsantrags muss darüber
hinaus deutlich machen, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht
in einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen, warum
es also erforderlich ist, dass sich das Berufungsgericht erstmals oder erneut klärend mit der
aufgeworfenen Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen (VGH
BW, B. v. 9. 6. 1997 - 16 S 1693/97).
Auch wenn sich das angerufene Obergericht mit der aufgeworfenen Grundsatzfrage selbst
noch nicht befasst hat, besteht keine Klärungsbedürftigkeit, wenn das Verwaltungsgericht
diese Frage in Übereinstimmung mit der einhelligen und gefestigten obergerichtlichen
Rechtsprechung im verneinenden Sinne beantwortet hat. Unter diesen Voraussetzungen bietet
das Vorbringen keinen Anlass, diese Frage auch noch durch das angerufene Obergericht einer
Klärung im Berufungsverfahren zuzuführen. Vielmehr hat der Antragsteller auch in diesem
Fall darzulegen, warum die Frage aus Gründen der einheitlichen Rechtsanwendung oder der
Weiterentwicklung des Rechts einer Klärung durch das angerufene Obergericht bedarf
(Hess.VGH, InfAuslR 2001, 156 (157); OVG NW, B. v. 3. 8. 2000 - 1 A 5949/98.A). Eine
vereinheitlichende Wirkung der Rechtsprechung der Obergerichte erscheine nicht nur
hinsichtlich bundesrechtlicher Fragen, sondern auch hinsichtlich solcher Tatsachenfragen
naheliegend, die für die Anwendung des bundesrechtlichen Asylrechts bedeutsam seien und
sich auf Vorgänge im Ausland bezögen, also keine landesrechtlichen Besonderheiten
aufwiesen (Hess.VGH, InfAuslR 2001, 156 (157)).
Die aufgeworfene Rechtsfrage muss eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und
auch für die Rechtsanwendung wichtige Frage betreffen (BFH, NVwZ-RR 2002, 318 (319)).
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird allerdings eingewendet, dass es bei einer zur
Prüfung gestellten grundsätzlichen Rechtsfrage dann nicht der Berufungszulassung bedarf,
wenn die für klärungsbedürftig erachtete Rechtsfrage bereits im Rahmen des
Zulassungsverfahrens behandelt werden kann und es nicht ersichtlich ist, dass sich für die
Beantwortung dieser Rechtsfrage im Berufungsverfahren neue Erkenntnisse ergeben könnten.
Dann aber bedürfe es nicht der Zulassung der Grundsatzberufung. Das Zulassungsverfahren
hat jedoch nicht die Aufgabe, das Berufungsverfahren vorwegzunehmen. An die Begründung
des Zulassungsantrags dürfen deshalb nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an
die spätere Berufungsbegründung (BVerfG (Kammer), NVwZ 2000, 1163 (1164)).
In dem auf die Grundsatzberufung wegen Tatsachenfragen zielenden Antrag ist darzulegen,
dass die aufgeworfene Tatsachenfrage sich nicht ohne weiteres von selbst beantworten lässt,
etwa weil sie bestritten oder nicht bereits ausreichend geklärt ist und daher ein Bedarf an einer
berufungsgerichtlichen Klärung besteht (OVG NW, B. v. 10. 9. 1991 - 22 A 2143/91.A). Die
bloße unterschiedliche Beurteilung einer tatsächlichen Grundsatzfrage durch zwei
Verwaltungsgerichte im Bezirk des angerufenen Berufungsgericht verleiht einer Rechtssache
für sich gesehen nicht ohne weiteres grundsätzliche Bedeutung. Vielmehr ist eine
9
Durchdringung des Streitstoffs des angefochtenen Urteils angezeigt und sind etwaige
unterschiedliche Bewertungsansätze in diesem und sich hieraus ergebende Widersprüche zur
Rechtsprechung des anderen Verwaltungsgerichts herauszuarbeiten und schließlich
darzulegen, weshalb dessen Auffassung die sachlich richtige ist (VGH BW, B. v. 31. 8. 1998
- A 6 S 2094/97; Hess.VGH, B. v. 7. 2. 2003 - 12 UZ 710/02.A).
Mit Blick auf eine widersprüchliche Auskunftslage ist nach der obergerichtlichen
Rechtsprechung die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nur dann dargelegt, wenn
besondere Umstände vorgetragen werden. Denn grundsätzlich ist eine widersprüchliche
Auskunftslage im Rahmen der Sachverhaltsermittlung und -bewertung zu würdigen. Ohne
Hinzutreten weiterer Umstände stellt diese deshalb keinen Zulassungsgrund unter dem
Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung dar (BayVGH, B. v. 9. 4. 1987 - Nr. 25 CZ
87.30311). Insbesondere ist danach darzulegen, in welcher Weise ein Berufungsverfahren
zusätzliche Erkenntnisquellen aufschließen würde, welche die behauptete widersprüchliche
Auskunftslage in verallgemeinerungsfähiger Weise einer grundsätzlichen Klärung näher
bringen könnte (BayVGH, 9. 4. 1987 - Nr. 25 CZ 87.30311). Eine Ablehnung des
Zulassungsantrags mangels Klärungsbedarf ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn eine
grundsätzliche Frage zweifelsfrei beantwortet werden kann und nicht bereits dann, wenn
bestimmte mit dieser im Zusammenhang stehende Tatsachen offenkundig sind (BVerfG
(Kammer), NVwZ-Beil. 1996, 10).
Eine im Laufe des Antragsverfahrens eintretende Klärung der zunächst klärungsbedürftigen
Frage führt nicht ohne weiteres zur Unbegründetheit des Zulassungsantrags, sondern verengt
die Prüfungsreichweite des Berufungsgerichts auf die Frage, ob sich das
verwaltungsgerichtliche Urteil in dem von einem Gericht höherer Instanz nachträglich
gesteckten Rahmen hält (Höllein, ZAR 1989, 109 (110)). Grundsätzliche Bedeutung haben
aufgeworfene Fragen so lange, wie eine Klärung durch die obergerichtliche Rechtsprechung
nicht erfolgt ist. Bei Rechtssätzen muss die zunächst als klärungsbedürftig angesehene Frage
als geklärt angesehen werden, wenn diese durch das BVerwG entschieden worden ist.
Unstrittig ist auch, dass jedenfalls eine Entscheidung des BVerfG einer rechtlichen wie
tatsächlichen Frage jeden weiteren Klärungsbedarf unter ansonsten gleichbleibenden
Verhältnissen nimmt (vgl. BVerwGE 77, 258 (260f.) = EZAR 200 Nr. 19 = NVwZ 1987, 228
= InfAuslR 1987, 228).
Für die höchstrichterliche Klärung von Rechtsfragen ist auf die Entscheidungen des BVerwG
abzustellen (Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 65). Die bloße
Stellungnahme zu einer Rechtsfrage in einer Hilfsbegründung reicht freilich nicht aus
(BVerwG, NVwZ 1987, 55). Bei Tatsachenfragen ist eine nachträgliche Klärung hingegen
dann anzunehmen, wenn das zuständige Obergericht die aufgeworfene Frage entschieden hat
(Höllein, ZAR 1989, 109 (110)). Kommen jedoch andere Obergerichte zu divergierenden
Entscheidungen in dieser Rechtsfrage, kann von einer nachträglichen Klärung der
aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht ausgegangen werden (so wohl auch BVerfG (Kammer),
NVwZ 1993, 465; Hess.VGH, B. v. 14. 4. 1997 - 13 UZ 459/97.A; a.A. BayVGH, B. v.
21. 5. 1993 - 6 CZ 92.30906; BayVGH, B. v. 25. 5. 1993 - 14 CZ 92.31269; BayVGH, B. v.
30. 4. 1993 - 9 CZ 92.30576; VGH BW, B. v. 12. 2. 1993 - A 16 S 2244/92; s. hierzu auch
Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rdn. 122 ff.). Nur in dem Fall, in dem das Berufungsgericht in
Kenntnis divergierender Rechtsprechung anderer Obergerichte an seiner Auffassung festhält,
wird man wohl von einer nicht mehr klärungsbedürftigen Frage auszugehen haben. Hat das
BVerfG sich zu einer Tatsachen- oder Rechtsfrage wiederholt tendenziell anders als das
zuständige Obergericht geäußert, jedoch noch keine verbindliche Aussage getroffen, kann
10
jedenfalls dann nicht von einer fehlenden Klärungsbedürftigkeit ausgegangen werden, wenn
divergierende Rechtsprechung anderer Obergerichte vorliegt.
Hat das zuständige Berufungsgericht eine Frage tatsächlicher Art grundsätzlich geklärt,
können neuere tatsächliche Entwicklungen sowie neue, in der Grundsatzentscheidung nicht
berücksichtigte Erkenntnisquellen erneuten Klärungsbedarf anzeigen und damit eine erneute
Überprüfung der bereits entschiedenen Grundsatzfrage nahe legen. In diesem Fall ist jedoch
unter Benennung genügender Anhaltspunkte und Erkenntnisquellen darzulegen, dass
bedeutsame, bisher vom Berufungsgericht nicht berücksichtigte Aspekte einer Klärung
zugeführt werden können (Hess.VGH, B. v. 6. 2. 1997 - 13 UZ 1895/95; Hess.VGH, B. v.
14. 4. 1997 - 13 UZ 459/96.A; OVG NW, B. v. 21. 3. 1996 - 9 A 6474/95.A; OVG NW, B. v.
21. 3. 1996 - 9 A 5490/95.A; OVG NW, B. v. 21. 3. 1996 - 9 A 317/96.A). Die geltend
gemachten neuen Aspekte müssen verallgemeinerungsfähigen Charakter aufweisen.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die in zulässiger Form erhobene Grundsatzrüge
auch ohne Erfüllung der Bezeichnungsanforderungen wegen Abweichung zugelassen werden
muss, wenn sich der Zulassungsantrag ursprünglich wegen grundsätzlicher Bedeutung
rechtfertigte, dieser Zulassungsgrund aber nachträglich durch eine divergierende
Entscheidung des BVerwG oder des zuständigen Berufungsgerichts entfallen ist (BVerfG
(Kammer), NVwZ 1993, 465 (466); BVerfG (Kammer), InfAuslR 1999, 36; BVerfG
(Kammer), InfAuslR 2000, 308 (310) = NVwZ-Beil. 2000, 34 = EZAR 633 Nr. 38;
Hess.VGH, NVwZ-Beil. 1999, 96; Hess.VGH, B. v. 11. 3. 1997 - 13 UZ 1941/96.A; VGH
BW, InfAuslR 1995, 84; VGH BW, AuAS 2004, 176; VGH BW, B. v. 12. 2. 1993 - A 16 S
2244/92; BayVGH, B. v. 21. 5. 1993 - 6 CZ 92.30906; OVG NW, B. v. 26. 11. 1996 - 25 A
794/96; Thür.OVG, B. v. 30. 7. 1997 - 3 ZO 209/96; so auch Berlit, in: GK-AsylVfG, II § 78 Rdn. 186; s. auch Günther, DVBl. 1998, 678). Grundgedanke ist in diesen Fällen, eine
einmal als zulässig eingelegte Berufung nicht durch nachträgliche Änderungen in die
Unzulässigkeit zu führen. Eine nachträgliche Divergenz ist aber dann nicht mehr zu
entscheiden, wenn die aufgeworfene Frage weder für die streitige Entscheidung noch für
künftige Entscheidungen der Instanzgerichte in „Altfällen“ von Bedeutung wäre. Denn unter
diesen Voraussetzungen könnte im Rechtsmittelverfahren die aufgezeigte Divergenz nicht
berichtigt und damit auch der ihretwegen geforderte Beitrag zur Rechtseinheit nicht geleistet
werden (VGH BW, AuAS 2004, 176 (177), mit Hinweis auf BVerwG, NVwZ 196, 1010;
BVerwG, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 15).
Ebenso wie »nachgewachsene« entscheidungserhebliche Tatsachen Zweifel an der Richtigkeit
einer erstinstanzlichen Entscheidung begründen oder zerstreuen können, können auch
während des Verfahrens auf Zulassung der Berufung eingetretene Rechtsänderungen die
Richtigkeit des angefochtenen Urteils in Frage stellen oder bestätigen können (VGH BW,
NVwZ-RR 2003, 607; OVG NW, NVwZ 1998, 754; Hess.VGH, NVwZ 2000, 85; OVG RhPf, NVwZ 1998, 302; OVG Rh-Pf, NVwZ 1998, 1094 (1095); OVG Hamburg, NVwZ 1998,
863; a.A. VGH BW, NVwZ 1998, 199; BayVGH, NVwZ-RR 2001, 117; Hess.VGH, NVwZRR 2002, 235; OVG NW, NVwZ 2000, 334; s. auch OVG NW, NVwZ-RR 2004, 78). Die
auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bezogene Begründung wird auch auf
die Grundsatzrüge angewendet (OVG NW, NVwZ 1998, 754) und gilt deshalb auch für die
Divergenzrüge. Teilweise werden aber nur Rechtsänderungen berücksichtigt, die innerhalb
der Begründungsfrist eingetreten sind (Hess.VGH, NVwZ 2000, 85; OVG Rh-Pf, NVwZ
1998, 302; Nieders.OVG, DVBl. 1999, 476; OVG Rh-Pf, NVwZ 1998, 1094; so auch
BVerwG, NVwZ-RR 2002, 894). Dies erscheint wenig plausibel, weil Grund für die
Berücksichtigung nachträglicher Rechtsänderungen die Erwägung ist, dass es für die
11
Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl.
§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ankommt, und sich deshalb die maßgebliche Erwartungsannahme auf
den Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts im Berufungsverfahren bezieht. Im
Hinblick auf die revisionsgerichtliche Überprüfung des Berufungsurteils stellt das BVerwG
auf die im Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebliche Rechtslage ab (BVerwGE 41, 227
(230 f.); 96, 86 (87); siehe auch § 77 Abs. 1 AsylVfG).
cc)
Bezeichnung der Verallgemeinerungsfähigkeit der Grundsatzfrage
Eine grundsätzliche Klärung der aufgeworfenen Frage ist nur zu erwarten, wenn in dem
künftigen Berufungsverfahren über den Einzelfall hinausgehend Fragen rechtlicher oder
tatsächlicher Art einer Klärung zugeführt werden können (BFH, NVwZ-RR 2002, 318 (319).
In Asylrechtsstreitigkeiten umfasst die Grundsatzberufung jedoch auch solche Fälle, in denen
sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache allein aus den verallgemeinerungsfähigen
Auswirkungen ergibt, die die in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung von
Tatsachenfragen haben wird (BVerwG, Buchholz 402.25 § 32 AsylVfG Nr. 4). Unklarheiten
oder Fehler bei der Rechtsanwendung im Einzelfall geben andererseits regelmäßig keine
Veranlassung zur Klärung der aufgeworfenen Frage (BVerwG, NVwZ-RR 1996, 359).
Ebenso wenig können in einem künftigen Berufungsverfahren über den konkreten Einzelfall
hinaus verallgemeinerungsfähige Aussagen über die Anforderungen an die asylrechtliche
Prognose getroffen werden, wenn auf die »Unabschätzbarkeit der weiteren Entwicklung« im
Herkunftsland des Asylsuchenden sowie auf die »Auswirkungen nicht mehr abschätzbarer
kriegerischer Konflikte« und auf einen »ständigen Wandel der Verhältnisse« im Bürgerkrieg
hingewiesen wird. Vielmehr geht es in diesem Fall letztlich um den Inhalt der vom
Verwaltungsgericht getroffenen Prognoseentscheidung (Hess. VGH, AuAS 1993, 9 (10).
In der Rechtsprechung wird häufig nicht präzis zwischen den Voraussetzungen, die für die
Verallgemeinerungsfähigkeit maßgeblich sind, und den Kriterien differenziert, die sich auf
die anderen Anforderungen der Grundsatzrüge beziehen. Unklar ist etwa, ob zur Bezeichnung
der Verallgemeinerungsfähigkeit auch Ausführungen zur Umstrittenheit der Grundsatzfrage
gehören. So wird in der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung die Darlegung verlangt, dass
die Grundsatzfrage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe. Soweit im Anschluss
daran festgestellt wird, zur Darlegung gehörten auch Ausführungen zu den Gründen, in
welchem Umfang und von welcher Seite diese Frage umstritten sei (BFH, NVwZ-RR 2002,
318 (319)), wird nicht deutlich, ob dieses Erfordernis sich auf die
Verallgemeinerungsfähigkeit oder Klärungsbedürftigkeit der Grundsfrage bezieht.
Für die Darlegung der verallgemeinerungsfähigen Bedeutung der Frage muss es ausreichen,
dass Ausführungen dazu gemacht werden, dass es sich nicht lediglich um ein vereinzeltes
Verfahren handelt, dessen Klärung zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und
der Rechtsfortbildung nichts beitragen kann. Ob die Gerichte in der Vielzahl anderer
Verfahren die Auffassung im angefochtenen Urteil teilen, ist hingegen keine Frage, die
Einfluss auf die Verallgemeinerungsfähigkeit der Grundsatzfrage hat. Insoweit reicht die
Darlegung aus, dass die zu erwartende Aussage zumindest für einige andere Verfahren von
Bedeutung und auf sie übertragbar ist.
dd)
Bezeichnung der Entscheidungserheblichkeit der Grundsatzfrage
Die Grundsatzfrage muss anhand des konkreten Einzelfalles einer Klärung zugeführt werden
können, also entscheidungserheblich sein. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechts- oder
Tatsachenfrage kann daher nur dann zur Zulassung der Berufung führen, wenn die Frage, so
12
wie sie mit dem Antrag aufgeworfen wird, für das angefochtene Urteil
entscheidungserheblich gewesen ist (Berlit, in: GK-AsylVfG, II-§ 78 Rdn. 153). Dies kann
jedoch nicht bedeuten, dass von vornherein zu allen möglichen Fragen, die eventuell
entscheidungserheblich sein könnten, unabhängig davon Stellung genommen werden muss,
ob sie nach der Begründung der angefochtenen Urteils von Bedeutung waren. Mit derart
umfassenden Anforderungen wären die Anforderungen in einer mit dem Grundrecht auf
wirksamen Rechtsschutz nicht vereinbaren Weise überspannt (BVerfG (Kammer), B. v. 16. 5.
2007 – 2 BvR 1782/04, mit Hinweis auf BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 15 (17); BVerfG
(Kammer), NVwZ 2006, 683 (684); BVerfG (Kammer), DVBl. 2007, 497 (498); BVerfG
(Kammer),NVwZ 2000, 1163 (1164); BVerfG (Kammer), NVwZ-RR 2004, 542 (543)).
Wer die Zulassung der Berufung beantragt, muss damit, dass das Berufungsgericht auf eine
vom Verwaltungsgericht nicht herangezogene Begründung abstellt und daher die
Entscheidungsewrheblichkeit der aufgeworfenen Frage verneint, jedenfalls dann nicht
rechnen, wenn die alternative Begründung nicht auf der Hand liegt und selbst auf einen
Zulassungsgrund führt, indem sie etwa ihrerseits grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen
aufwirft (BVerfG (Kammer), B. v. 16. 5. 2007 – 2 BvR 1782/04, mit Hinweis auf OVG
Berlin, NVwZ 1998, 1318 (1319)). Es begründet deshalb eine Gehörsverletzung, wenn das
Berufungsgericht vor seiner Entscheidung dem Rechtsmittelführer keine Gelegenheit zur
Stellungnahme zu der in Aussicht genommenen alternativen Begründung gewährt (BVerfG
(Kammer), B. v. 16. 5. 2007 – 2 BvR 1782/04).
Aus dieser Begrenzung der Darlegungsanforderungen folgt, dass das Berufungsgericht dem
Rechtsmittelführer in der Regel rechtliches Gehör gewähren muss, wenn es den
Zulassungsantrag mit der Begründung ablehnen will, dass sich die in Anknüpfung an die
tragenden Gründe des angefochtenen Urteils aufgeworfene Grundsatzfrage aus anderen als
den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gründen im Berufungsverfahren nicht stellen
werde (BVerfG (Kammer), NVwZ 2006, 683 (684), mit Verweis auf BVerwG, NVwZ-RR
2004, 542 (543), BVerfG (Kammer), NVwZ 2000, 1163 (1164)).
Im Revisionsrecht ist anerkannt, dass in dem Fall, in dem das angefochtene Urteil
nebeneinander auf mehrere je selbständig tragende Begründungen gestützt wird, zur
Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Grundsatzfrage im Einzelnen
auszuführen ist, dass im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund
vorliegt (BVerwG, InfAuslR 1983, 66; BVerwG, NVwZ-RR 1990, 379 = InfAuslR 1990, 38;
BVerwG, NVwZ 1991, 376). Diese Rechtsprechung wird regelmäßig auch auf die
asylspezifische Grundsatzrüge übertragen (Hess.VGH, B. v. 5. 1. 1989 - 13 TE 2847/88;
Hess.VGH, B. v. 24. 1. 1989 - 13 TE 2168/88; VGH BW, B. v. 16. 8. 1994 - A 13 S 1745/94;
Berlit, in: GK-AsylVfG, II-§ 78 Rdn. 153). Das Erfordernis der Klärungserwartung hat bei
der Grundsatzrevision eine ähnliche Funktion wie das Beruhenserforderns bei der
Divergenzrevision. Eine Klärung der Rechtsfrage ist insbesondere dann nicht zu erwarten,
wenn sie lediglich in einer Hilfsbegründung des angefochtenen Urteils erörtert worden ist, die
Hauptbegründung dagegen die Zulassung nicht rechtfertigt, weil sie mit der
höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmt (Pietzner, in: VwGO. Kommentar, Schoch
u.a., § 132 Rdn. 53).
Folgt man der herrschenden Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung, sind deshalb
unter dem Gesichtspunkt der Klärungserwartung auch bei der asylspezifischen Grundsatzrüge
sämtliche das Urteil tragende Gründe mit der Rüge anzugreifen. Hat das Verwaltungsgericht
etwa eine Gruppenverfolgung verneint und zugleich die Frage eines internen Schutzortes
nicht offen gelassen, sondern verbindlich verneint, müssen beide Gründe mit Rügen
13
angegriffen werden. Ebenso verhält es sich, wenn das Verwaltungsgericht eine Verfolgung
durch nichtstaatliche Akteure verneint und die Frage eines internen Schutzortes als
offenkundig bezeichnet hat (BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1996, 10, zu Bosnien und
Herzegowina). In diesem Fall wird das Urteil zwar durch zwei selbständige Gründe gestützt,
die allerdings nicht tragfähig sind. Ihre mangelnde Tragfähigkeit muss jedoch jeweils mit
Rügen angegriffen werden. Im entschiedenen Fall ging das BVerfG davon aus, dass weder die
Frage nach dem möglichen Verfolgungssubjekt noch nach dem Bestehen eines internen
Schutzortes eindeutig beantwortet worden war, sodass die Zurückweisung des
Zulassungsantrags jedenfalls mit der gegebenen Begründung insgesamt nicht mehr vertretbar
gewesen sei (BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1996, 10).
Der Rechtsmittelführer darf sich nicht darauf beschränken, lediglich die Verneinung
erheblicher Nachfluchtgründe durch das Verwaltungsgericht mit der Rüge anzugreifen,
sondern muss darüber hinaus auch die Verneinung von Vorfluchtgründen zum Gegenstand
des Antrags machen. Wird die auf die Nachfluchtgründe bezogene Rüge zurückgewiesen, hat
das Berufungsgericht sich mit den die Vorfluchtgründe betreffenden Rügen auseinander zu
setzen. Nur wenn die gegen die Verneinung der Nachfluchtgründe zielende Rüge Erfolg hat,
wird die Berufung eröffnet. In diesem Fall wird die Berufung uneingeschränkt eröffnet,
sodass das Berufungsgericht auch die Vorfluchtgründe zu behandeln hat, auch wenn deren
Verneinung durch das Verwaltungsgericht nicht mit Rügen angegriffen wurde. Die selbe
prozessuale Konstellation stellt sich, wenn das Verwaltungsgericht die Gefahr einer
strafrechtlichen Verfolgung und zugleich auch deren politischen Charakter verneint. In
diesem Fall darf der Rechtsmittelführer seine Rügen nicht lediglich auf die tatsächliche Frage
der strafrechtlichen Verfolgung beschränken, sondern muss auch die Verneinung der
Anknüpfung an Verfolgungsgründe mit Rügen angreifen.
Grundsätzlich zielt die Grundsatzrüge aus Anlass des konkreten Einzelfalls auf die
grundsätzliche Klärung verallgemeinerungsfähiger Fragen, deren Bedeutung für die Wahrung
der Einheitlichkeit der Rechtsprechung sowie der Rechtsfortbildung nicht abhängig davon ist,
ob im Einzelfall das Sachvorbringen glaubhaft ist. Dies ist sozusagen die Kehrseite des
Grundsatzes, dass die Grundsatz- und Divergenzrüge nicht der Herstellung von
Einzelfallgerechtigkeit dienen. Hat mithin der Einzelfall lediglich Auslöserfunktion für die
Prüfung und Klärung genereller Fragen, kann es jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der
Entscheidungserheblichkeit derart aufgeworfener grundsätzlicher Fragen nicht entscheidend
auf die Art und Weise des Sachvorbringens im Einzelfall ankommen. Jedenfalls kann nicht
mit dem pauschalen Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit der Person des Asylsuchenden die
Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage verneint werden. Vielmehr muss gerade
das Sachvorbringen, das Auslöser für diese Frage ist, vom Verwaltungsgericht als
unglaubhaft bewertet worden sein.
Daher ist Zurückhaltung angezeigt, soweit es um die tatsächlichen Feststellungen des
Verwaltungsgerichts zur Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden und Glaubhaftigkeit seiner
Angaben geht. Zwar sind für das Zulassungsantragsverfahren die tatsächlichen Feststellungen
des Verwaltungsgerichts zugrunde zu legen. Im Berufungsverfahren ist das Berufungsgericht
indes nicht an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts gebunden (vgl. § 128
VwGO) und kann daher der Rechtsmittelführer das angefochtene Urteil im vollen Umfang
angreifen (BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 126 (130) = NVwZ-Beil. 1995, 9). Auch bei
fehlender Glaubhaftmachung in Ansehung bestimmter Tatsachen kann daher aus Anlass des
konkreten Einzelfalls eine Grundsatzfrage einer Klärung zugeführt werden. Die bloße
Möglichkeit, dass das Berufungsgericht das Verfolgungsvorbringen im Berufungsverfahren
14
abweichend von der Einschätzung des Verwaltungsgerichts als glaubhaft erachtet und deshalb
veranlasst sein könnte, auf die Verfolgungssituation wegen der behaupteten
Organisationszugehörigkeit einzugehen, genügt nicht, um der aufgeworfenen Tatsachenfrage
die notwendige Entscheidungserheblichkeit zu verleihen. Denn entscheidungserheblich für
das Berufungsverfahren sind nur solche Tatsachen- und Rechtsfragen, die bereits für die
erstinstanzliche Entscheidung tragend gewesen sind (Hess.VGH, B. v. 13. 1. 1997 - 13 UZ
3046/96.A)
V.
Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG)
1.
Voraussetzungen der Divergenzberufung
a)
Zweck der Divergenzrüge
Nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG ist die Berufung zuzulassen, wenn das
Urteil des Verwaltungsgerichtes von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes, des BVerwG,
des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, oder des BVerfG abweicht und auf
dieser Abweichung beruht. Die Divergenzrüge dient der Wahrung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung bzw. der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in der Auslegung bestimmter
Rechtsvorschriften. Sie verfolgt damit objektivrechtlich den Zweck de Wahrung der Rechtseinheit und
subjektivrechtlich der Rechtsanwendungsgleichheit (Pietzner, VwGO, Kommentar, Schoch u.a., § 132
Rdn. 57). Die Divergenzrüge soll die Rechtseinheit vor grundsätzlich abweichenden Entscheidungen
bewahren. Die mit der Zulassung der Berufung eröffnete Möglichkeit der Kassation der angefochtenen
Entscheidung des Einzelfalls bildet nur eine Nebenfolge der Grundsatzabweichung zum Zwecke der
Bewahrung von Rechtsgrundsätzen (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 36). Nicht Einzelfallgerechtigkeit,
sondern die Verhinderung der Entwicklung unterschiedlicher Rechtsgrundsätze im Instanzenzug ist
demnach das Ziel der Eröffnung der Berufung (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 36). Die
Divergenzberufung wird allgemein als Unterfall der Grundsatzberufung angesehen (BVerfG
(Kammer), NVwZ 1993, 465; BVerwGE 70, 24 (27) = NVwZ 1985, 159 = InfAuslR 1985, 119;
Hess.VGH, EZAR 630 Nr. 30; Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 36; OVG Lüneburg, B. v. 14. 1. 1988 - 11
OVG B 484/87; OVG Saarland, B. v. 17. 8. 2000 - 1 Q 22/00; BayVGH, B. v. 21. 5. 1993 - 6 CZ
92.30906; B. v. 30. 4. 1993 - 9 CZ 92.30576; B. v. 25. 5. 1993 - 14 CZ 92.31269; Fritz, ZAR 1984, 23
(26); Höllein, ZAR 1989, 109 (110); Pietzner, in: Schoch u.a., VwGO. Kommentar, § 132 Rdn. 58;
Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 68; a.A. BayVGH, BayVBl. 1985, 181; Günther,
DVBl. 1999, 678 (679 ff.); s. auch BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1994, 27).
Die Divergenzberufung unterscheidet sich von der Grundsatzberufung nur dadurch, dass bei
der Divergenzberufung bereits eine Grundsatzrechtsprechung existiert, die Zulassung wegen
grundsätzlicher Bedeutung also nicht mehr erfolgen kann und die Gefährdung der
Rechtseinheit nur durch das spezielle Instrument der Divergenzzulassung abzuwehren ist, und
zwar erforderlichenfalls in jedem Fall der Abweichung (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 6). Liegt
Divergenz vor, hat die Rechtssache immer grundsätzliche Bedeutung. Sie wird vom Gesetz
gleichsam unwiderlegbar vermutet, sodass die Divergenzrüge sich lediglich als ein gesetzliche
besonders hervorgehobener Fall der Grundsatzrüge darstellt (Pietzner, in: Schoch u.a.,
VwGO. Kommentar, § 132 Rd. 58). Weil der Anwendungsbereich der Divergenz mithin
enger ist und sie grundsätzlich nicht der Fortentwicklung der Rechts dient, also nicht in die
Zukunft gerichtet ist, sondern nur die Abwehr divergierender Entscheidungen von
Rechtsgrundsätzen des geltenden Rechts zum Ziel hat, ist sie die schwächste Form der Rüge.
15
a)
Prüfungsschema
Die Abweichung muss grundsätzlicher Art sein. Das ist nur der Fall, wenn das
Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil einen Grundsatz rechtlicher oder tatsächlicher
Art aufstellt, der in Widerspruch zu einem Grundsatz steht, den ein divergenzfähiges Gerichte
aufgestellt hat (BVerwG, InfAuslR 1984, 13 (14); Schenk, in: Hailbronner, AuslR, B 2, § 78
AsylVfG Rdn. 69; Renner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 19). Eine Abweichung liegt nur vor,
wenn das Verwaltungsgericht in einer Rechts- oder Tatsachenfrage anderer Auffassung ist, als
sie von einem nach Abs. 3 Nr. 2 divergenzfähigen Gerichten vertreten worden ist.
Es muss also seiner Entscheidung einen diese tragenden abstrakten Grundsatz zugrunde
gelegt haben, der mit einem in der Rechtsprechung der divergenzfähigen Gerichte
aufgestellten Grundsatz nicht übereinstimmt (VGH BW, B. v. 28. 3. 1995 - A 12 S 349/95;
VGH BW, B. v. 19. 6. 1996 - A 16 S 8/96; vgl. auch BVerwG, InfAuslR 1984, 13 (14);
BVerwG, InfAuslR 1988, 316; Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 69).
Zunächst ist also die Bezeichnung des maßgeblichen abstrakten Grundsatzes rechtlicher oder
tatsächlicher Art und sodann die Darlegung erforderlich, dass der von einem divergenzfähigen
Gericht aufgestellte Grundsatz die Entscheidung trägt (VGH BW, B. v. 28. 3. 1995 - A 12 S
349/95). Anschließend ist darzulegen, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil
einen diesem Grundsatz widersprechenden Grundsatz aufgestellt hat.
Im Zulassungsantrag sind daher aus systematischen Gründen in der folgenden Reihenfolge die
folgenden Fragen zu behandeln:
1.
Welcher abstrakte Grundsatz im angefochtenen Urteil ist Ausgangspunkt
der Rüge?
2.
Welcher abstrakte Grundsatz in der genau bezeichneten Entscheidung
des divergenzfähigen Gerichts ist Bezugspunkt der Divergenz?
3.
Liegt eine objektive Divergenz vor?
4.
Beruht das angefochtene Urteil auf der Divergenz?
2.
Voraussetzungen des Zulassungsantrags
a)
Bezeichnung des abstrakten Grundsatzes im angefochtenen Urteil
Zunächst ist im Zulassungsantrag präzis der inhaltlich bestimmte abstrakte und das Urteil
tragende abstrakte Grundsatz herauszuarbeiten und zu bezeichnen (Hess.VGH, NVwZ 1998,
303 (304); Hess.VGH, AuAS 2007, 59), der Grundlage der Divergenzrüge bilden soll. Die
Entscheidung, von der das angefochtene Urteil abweichen soll, ist möglichst genau zu
bezeichnen. Grundlage für die Rüge können nur die schriftlichen Entscheidungsgründe und
nicht die mündlich mitgeteilten Gründe bilden. Letztere haben nur die Funktion einer
vorläufigen und unmaßgeblichen Information der Beteiligten. Ein Abweichen zwischen
mündlichen und schriftlichen Gründen ist unschädlich. Dementsprechend werden durch die
mündlich mitgeteilten Gründe im Anschluss an die Verkündung des Urteils noch keine
divergenzgeeigneten Grundsätze aufgestellt (VGH BW, NVwZ 1999, 669 = AuAS 1999, 95
(96)).
16
Die Ausführungen in der Antragsschrift dürfen sich nicht in der bloßen Wiedergabe eigener
tatsächlicher und rechtlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichts erschöpfen, ohne
herauszuarbeiten, dass in diesen ein bestimmter, die erstinstanzliche Entscheidung tragender
abstrakter Grundsatz zum Ausdruck kommt. Es ist nicht Aufgabe des Berufungsgerichts im
Zulassungsverfahren einen unbestimmt gehaltenen Vortrag des Antragstellers weitergehend
daraufhin zu überprüfen, ob sich aus ihm etwa bestimmte, üblicherweise in Widerspruch zu
einer ober- oder höchstrichterlichen Entscheidung stehende abstrakte Grundsätze ergeben
könnten (Hess.VGH, NVwZ 1998, 303 (304)). Es ist vielmehr Aufgabe des Antragstellers,
seine Divergenzrüge so präzis zu fassen, dass das Berufungsgericht die sich
gegenüberstehenden abstrakten Grundsätze ohne weiteren Interpretationsaufwand erkennen
und darüber hinaus den Ausführungen des Antrags ohne weiteres zu entnehmen vermag, aus
welchen näheren Gründen das Verwaltungsgericht mit dem von ihm aufgestellten Grundsatz
von der Rechtsprechung eines divergenzfähigen Gerichts abgewichen ist (Hess.VGH, NVwZ
1998, 303 (304)).
Das BVerwG hat ausdrücklich hervorgehoben, dass dem Berufungsgericht für seine Aufgabe,
auf eine einheitliche Beurteilung bestimmter länderspezifischer Erkenntnisquellen
hinzuwirken, auch die verfahrensrechtliche Handhabe der Divergenzberufung in Konsequenz
der Ausweitung der Grundsatzberufung auf Tatsachenfragen zur Verfügung steht (BVerwGE
70, 24 (26) = EZAR 633 Nr. 9 = NVwZ 1985, 199 = InfAuslR 1985, 119). Daher kann mit
dem Antrag eine Abweichung auch in Bezug auf eine abstrakte Tatsachenfrage geltend
gemacht werden (BVerwGE 70, 24 (26); Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 30; Hess.VGH, B. v.
4. 11. 1994 - 12 UZ 1548; Hess.VGH, B. v. 27. 2. 1995 - 12 UZ 381/94; Hess. 16. 7. 1996 12 UZ 3030/95; Hess.VGH, B. v. 24. 10. 2000 - 2 UZ 2394/97.A; Höllein, ZAR 1989, 109
(111); Renner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 18; Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG
Rdn. 68; Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rdn. 158). Den Berufungsgerichten wird insoweit
jedoch Zurückhaltung empfohlen, weil Abweichungen bei einzelfallbezogenen
Tatsachenfeststellungen ohne verallgemeinerungsfähigen Inhalt nicht den Zugang zur
Berufungsinstanz eröffnen (Höllein, ZAR 1989, 109 (111)).
b)
Bezeichnung des divergierenden Grundsatzes
Nach Bezeichnung des abstrakten Grundsatzes im angefochtenen Urteil ist zunächst die
bestimmte Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts zu bezeichnen. Darüber hinaus ist
der abstrakte Grundsatz von dem abgewichen worden sein soll, unter Durchdringung des
Prozessstoffs aufzuarbeiten (Thür.OVG, B. v. 5. 9. 1996 - 3 ZO 577/96; Nieders.OVG, B. v.
24. 5. 1996 - 13 L 2957/96). Ein divergierender Grundsatz ist nicht aufgezeigt, wenn der
Antragsteller sich lediglich auf die ständige Rechtsprechung des zuständigen
Berufungsgerichts zu einer bestimmten Frage beruft und dabei als Beispiele bestimmte
Entscheidungen anführt. Denn die Berufung auf eine nicht näher bezeichnete »ständige
Rechtsprechung« genügt dem Darlegungserfordernis nicht (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 39).
Im Zusammenhang mit der Bezeichnung des divergierenden Grundsatzes ist die bestimmte
Entscheidung des divergenzfähigen Gerichts grundsätzlich mit Datum und Aktenzeichen zu
bezeichnen. Ist die Entscheidung veröffentlich worden, gehört die Angabe der Quelle nicht zu
den notwendigen Angaben. Zwar hat das BVerwG für die revisionsrechtliche Divergenzrüge
festgestellt, dass diese nicht ausreichend begründet ist, wenn sie das Urteil, von dem
abgewichen worden sein soll, allein nach seinem Datum benennt (BVerwG, MDR 1964, 624).
Für die Divergenzrüge nach Abs. 3 Nr. 2 ist das Unterlassen der genauen obergerichtlichen
Entscheidung - mit Datum und Aktenzeichen - jedoch dann unschädlich, wenn sich aus dem
angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, welche
17
obergerichtliche Entscheidung gemeint ist (Hess.VGH, NVwZ-RR 1994, 237 (238) = AuAS
1993, 261).
Die Form der Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG genannten Gerichtes, von
der das Verwaltungsgericht abweicht, ist unerheblich (Nieders.OVG, B. v. 1. 10. 1993 - 8 L
2546/93). Die divergenzfähige Entscheidung kann auch in Form eines Beschlusses (vgl. § 130
a VwGO) ergangen sein. Diese muss auch nicht in allgemein zugänglichen juristischen
Fachzeitschriften oder amtlichen Sammlungen veröffentlicht worden sein. Eine Zulassung der
Berufung wegen Divergenz von einem bislang lediglich als Pressemitteilung bekannten Urteil
des BVerwG ist unzulässig, weil eine solche in knapper und allgemein verständlicher Form
gehaltene Information keinen Aufschluss über die der Entscheidung im Einzelnen zugrunde
liegenden grundsätzlichen Feststellungen und Überlegungen gibt, von denen das
Verwaltungsgericht abweichen könnte (Hess.VGH, NVwZ 1998, 303 (304); Nieders.OVG, B.
v. 10. 8. 1994 - 8 L 4793/94). Das BVerfG hat für eine ähnliche Verfahrenskonstellation dem
Rechtsmittelführer aufgegeben, dass er innerhalb der Rechtsmittelfrist das zuständige Gericht
darauf hinweisen müsse, er könne ohne Kenntnis der vollständigen höchstrichterlichen
Entscheidung, aus der sich die Divergenz ergebe, das Rechtsmittel nicht in der erforderlichen
Weise begründen und er sich diese Entscheidung trotz seiner Bemühungen nicht habe
beschaffen können (BVerfGE 81, 22 (27f.); BVerfG (Kammer), NVwZ 1990, 551 (552)).
Dementsprechend ist gegenüber dem Verwaltungsgericht die Erklärung abzugeben, dass die
bezeichnete Entscheidung noch nicht schriftlich ausgefertigt worden ist. Offen ist, ob die
Divergenzrüge dann zuzulassen ist, wenn die spätere Überprüfung ergibt, dass die
Presseerklärung bezüglich der für die Feststellung der Divergenz maßgebenden Gründe mit
dem Inhalt der schriftlichen Entscheidungsgründe übereinstimmt (Hess.VGH, NVwZ 1998,
303 (304)).
Zu den divergenzfähigen Gerichten gehören das Oberverwaltungsgericht, des BVerwG, der
Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes und das BVerfG. In den
Bundesländern, in denen das Berufungsgericht als Verwaltungsgerichtshof bezeichnet wird,
kommt es auf dessen Entscheidungen an. Die Vorschrift umfasst nur die Abweichung von der
Rechtsprechung des Berufungsgerichtes, das für das Verwaltungsgericht, dessen Urteil
angefochten wird, zuständig ist. In Betracht kommt eine Divergenz in Ansehung aller Senate
des zuständigen Berufungsgerichtes wie auch des BVerwG, und zwar unabhängig davon, ob
diese für Asylrecht zuständig sind.
Steht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des übergeordneten Berufungsgerichts, weicht dieses aber in einer entscheidungserheblichen
Frage von der Rechtsprechung des BVerwG ab, so kann die Divergenzrüge erhoben werden.
Die Grundsatzrüge wird hingegen in einem derartigen Fall für unzulässig angesehen (Berlit,
in: GK-AsylVfG, II - § 78 Rdn. 201). Dem kann nicht gefolgt werden. Wenn zwischen dem
zuständigen Berufungsgericht und dem Revisionsgericht in einer entscheidungserheblichen
Frage Divergenz herrscht, besteht stets Klärungsbedarf und kann deshalb sowohl die
Divergenz- wie auch die Grundsatzrüge erhoben werden. Die Abweichung des Urteils des
Verwaltungsgerichtes von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes eines anderen
Bundeslandes rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung (OVG Bremen, InfAuslR 1983,
86; OVG SH, NVwZ 1992, 200; OVG NW, AuAS 2004, 115117); Nieders.OVG, B. v.
24. 5. 1996 - 13 L 2957/96; so auch Höllein, ZAR 1989, 109 (110); Schenk, in: Hailbronner,
AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 74; Berlit, in: GK-AsylVfG, II - § 78 Rdn. 199 ff.; Köhler,
Asylverfahren, Rdn. 111; s. auch BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1994, 27). In Fällen, in
denen divergierende Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu Rechts- wie
18
Tatsachenfragen vorliegt, kann aber die Zulassung der Berufung nach Abs. 3 Nr. 1 in Betracht
kommen (Thür.OVG, B. v. 17. 6. 1997 - 3 ZKO 217/97).
Teilweise geht die obergerichtliche Rechtsprechung jedoch davon aus, dass mit der
Divergenzrüge lediglich die Abweichung von Entscheidungen einer der beiden Senate des
BVerfG geltend gemacht werden könnte (Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 23 = NVwZ-RR 1995,
56; VGH BW, InfAuslR 1995, 84 (85) = NVwZ-Beil. 1995, 27 = EZAR 631 Nr. 6; Schenk,
in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylvfG Rdn. 73; a.A. BVerwG, B. v. 1. 12. 2000 - BVerwG 9
B 492.00; Hess.VGH, NVwZ-Beil. 1996 43 (44) = InfAuslR 1996, 186 = AuAS 1996, 141;
ebenso Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rdn. 195; wohl auch Hess.VGH, B. v. 27. 2. 1995 - 12
UZ 381/94, Prüfung einer Divergenz von BVerfG (Kammer), InfAuslR 1993, 176). Diese
Ansicht ist deshalb wenig überzeugend, weil die Kammern regelmäßig im Rahmen der von
den Senaten entwickelten Rechtsgrundsätze darauf achten, dass diese von den Fachgerichten
beachtet werden. In der Anwendung dieser Rechtsgrundsätze durch die Kammern mögen sich
gewisse Fortentwicklungen und Präzisierungen zur Verdeutlichung der Senatsrechtsprechung
ergeben. Letztlich handelt es sich jedoch um Bestätigungen und Bekräftigungen von
Rechtsgrundsätzen, die von den Senaten entwickelt wurden, sodass auch Abweichungen von
Entscheidungen der Kammern des BVerfG nach Abs. 3 Nr. 2 gerügt werden können. Nur
dann, wenn die Kammern »verfassungsrechtliches Neuland« betreten, also ohne die nach § 93
c I 1 BVerfGG vorgeschriebene Anknüpfung an die Rechtsprechung des Senates
eigenständige Rechtsgrundsätze entwickeln (Hess.VGH, NVwZ-Beil. 1996, 43 (44); vgl. auch
VGH BW, InfAuslR 1995, 84 (85)), kann diesen ausnahmsweise keine
Entscheidungserheblichkeit bei der Anwendung von Abs. 3 Nr. 2 beigemessen werden.
Die Berufungszulassung kann auch mit einer Abweichung des Verwaltungsgerichts von
tatsächlichen Feststellungen in einer Entscheidung des BVerfG beantragt werden. Denn das
BVerfG nimmt für sich in Anspruch, Entscheidungen der Fachgerichte auch darauf hin zu
überprüfen, ob zutreffend die tatsächlichen Voraussetzungen des Begriffs der politischen
Verfolgung im Einzelfall erfüllt sind (BVerfGE 54, 341 (356) = EuGRZ 1980, 556 = DÖV
1981, 21 = DVBl. 1981, 115 = JZ 1981, 804), d.h. ob die Ermittlung des Sachverhalts durch
das Fachgericht der Bedeutung der verfassungsrechtlichen Asylgewährleistung gerecht wird
(BVerfGE 76, 143 (162) = EZAR 200 Nr. 20 = InfAuslR 1988, 87; BVerfG (Kammer),
InfAuslR 1989, 63). Demgegenüber steht dem BVerwG eine derartige Kompetenz nicht zu.
Vielmehr ist es nach § 137 II VwGO an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden
(BVerwG, NVwZ 1989, 70 (71); Hess.VGH, NVwZ 1998, 303 (304)). Dementsprechend
kann das Verwaltungsgericht zwar von einem tatsächlichen Grundsatz des BVerfG
abweichen. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des BVerwG ist hingegen nur im
Blick auf Rechtsgrundsätze möglich (so auch Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG
Rdn. 68; Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rdn. 196).
Die Abweichung des angefochtenen Urteils in einer entscheidungserheblichen Frage von
einer Entscheidung des BGH ist kein Zulassungsgrund. Verfassungsrechtlichen Bedenken
begegnet dies nicht (BVerfG (Vorprüfungsausschuss), DVBl. 1985, 566 = NJW 1986, 658
(nur LS); Renner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 18). Weder im Hinblick auf Art. 3 I GG noch
mit Blick auf Art. 101 I 2 GG ist eine Rechtsmittelzulassung wegen Divergenz zu einem
fachfremden obersten Bundesgericht erst recht nicht in der Berufungsinstanz
verfassungsrechtlich geboten (BVerfG (Vorprüfungsausschuss), DVBl. 1985, 566). Ergibt
sich im Blick auf fachfremde Revisionsgerichte, wie etwa BGH, BSG, BAG, BFH, eine
Abweichung, kann aber eine Grundsatzrüge in Betracht kommen. Insbesondere formelle
prozessuale oder verfahrensrechtliche Fragen, wie etwa Rechtsprobleme der Zustellung, der
19
Wiedereinsetzung und des Prozesskostenhilferechts, können hier Grundsatzfragen aufwerfen.
Die Zulassung der Berufung wegen einer Divergenz zur Rechtsprechung des EGMR scheidet
danach von vornherein aus (vgl. BVerwG, B. v. 26. 2. 1997 - BVerwG 1 B 5.97, für § 132 II
Nr. 2 VwGO). Das gilt auch für die Divergenz zu einer Entscheidung des EuGH. Hierfür ist
der spezifische Weg des Vorabersuchens vorgesehen.
Erforderlich ist, dass die Grundsatzentscheidung verbindlich getroffen, also über eine Rechtsoder Tatsachenfrage sachlich entschieden worden ist (Nieders.OVG, B. v. 1. 10. 1993 - 8 L
2546/93). Hieran fehlt es häufig in Entscheidungen über den vorläufigen Rechtsschutz, über
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie bei obiter dicta oder bloßen Hinweisen auf die
weitere Sachbehandlung (OVG Berlin, NVwZ 1998, 200 (201); OVG NW, AuAS 2004, 115
(117); Renner, AuslR, § 78 AsylVfG Rdn. 21; Pietzner, in: Schoch u.a., VwGO. Kommentar,
§ 132 Rdn. 81; Köhler, Asylverfahren, Rdn. 111). Bei einem für die Rechtsentwicklung
bedeutsamen obiter dictum oder Hinweis kann aber die Zulassung der Grundsatzberufung in
Frage kommen (Berlit, in: GK-AsylVfG, II - § 78 Rdn. 163); a.A. Pietzner, in: Schoch u.a.,
VwGO. Kommentar, § 132 Rdn. 81, für das Revisionsrecht) Umstritten ist, ob ein die
Berufung oder Revision zulassender Beschluss eine divergenzfähige Entscheidung darstellt
(dafür Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 39; dagegen Hess.VGH, InfAuslR 1999, 480 (481); OVG
NW, B. v. 27. 3. 2000 - 21 A 590/99.A). Grundsätzlich kann eine Divergenz nur zu einem
entscheidungserheblichen Grundsatz in einer abschließenden Sachentscheidung bestehen,
sodass Entscheidungen, mit denen Rechtsmittel zugelassen werden, nicht in Betracht kommen
(Berlit, in: GK-AsylVfG, II - § 78 Rdn. 161f.). Nicht divergenzfähig sind darüber hinaus
Ausführungen in einem Vorlagebeschluss an das BVerfG oder den EuGH (Rdn. 205) oder
nicht das Urteil tragende Hilfserwägungen.
Zur Berufungszulassung führt nur eine Abweichung von einer noch aktuellen Rechtsprechung
(Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rdn. 171; Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78
Rdn. 168). Auch wenn die angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung eines
divergenzfähigen Gerichtes abweicht, wird es deshalb nicht als Abweichung bewertet, wenn
die bezeichnete divergierende Rechtsprechung inzwischen ausdrücklich oder stillschweigend
aufgegeben worden ist. Dementsprechend kommt eine Zulassung der Berufung wegen
Divergenz nach Abs. 3 Nr. 2 nicht in Betracht, wenn eine ursprünglich gegebene Divergenz
infolge einer weiteren Entscheidung desselben Gerichts nachträglich als überholt anzusehen
ist (Nieders.OVG, B. v. 1. 10. 1993 - 8 L 2546/93; Hess. VGH, AuAS 2000, 251 (252); OVG
NW, B. v. 1. 7. 1999 - 14 A 4481/94.A). Ebenso wenig kommt eine Berufungszulassung in
Betracht, wenn das von dem Rechtsmittelführer bezeichnete divergierende Urteil des
übergeordneten Berufungsgericht im Revisionsverfahren aufgehoben worden ist (Hess. VGH,
NVwZ-Beil. 1998, 111).
Insbesondere bei Tatsachensätzen kommt eine Berufungszulassung dann nicht mehr in
Betracht, wenn sich seit der obergerichtlichen Entscheidung, in der ein bestimmter Grundsatz
aufgestellt wurde, die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur unwesentlich geändert haben und
das Verwaltungsgericht seine abweichende Bewertung der Verfolgungssituation unter
Bezeichnung der neu herangezogenen Erkenntnismittel auf diese Veränderungen ausdrücklich
stützt (Hess.VGH, AuAS 2000, 251 (252)). Im Bereich von Tatsachenfragen ist nämlich zu
berücksichtigen, dass die Verbindlichkeit einer Aussage unter dem Vorbehalt der Änderung
der Sachlage steht, der Grundsatz der Geltung nur für die ihm zugrunde gelegte tatsächliche
Erkenntnislage beansprucht (Hess.VGH, AuAS 2000, 251 (252)).
20
c)
Bezeichnung der objektiven Abweichung
Der Antragsteller hat darzulegen, dass das angefochtene Urteil bei objektiver Betrachtung von
dem bezeichneten abstrakten Grundsatz eines divergenzfähigen Gerichts abweicht (BVerfG
(Kammer), InfAuslR 1993, 300 (303); BVerfG (Kammer), InfAuslR 1993, 229 (235);
Hess.VGH, EZAR 630 Nr. 30). Dabei muss die Abweichung sich unmittelbar aus dem
angefochtenen Urteil ergeben. Eine weitere Sachaufklärung darf also nicht erforderlich sein
(Fritz, ZAR 1984, 23 (27)). In dem Antrag ist deshalb die bezeichnete obergerichtliche oder
höchstrichterliche Rechtsprechung und die Rechtsprechung in dem angegriffenen Urteil
nebeneinander zu stellen und anschließend konkret aufzuzeigen, welche Frage das
Verwaltungsgericht abweichend von der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen
Rechtsprechung entschieden hat. Hinreichend ist, dass das Verwaltungsgericht bewusst und
ausdrücklich in einer bestimmten Grundsatzfrage von einem in seiner Entscheidung
zutreffend bezeichneten Grundsatz eines Divergenzgerichts abweicht. Es indiziert allerdings
keine Divergenz, wenn das Verwaltungsgericht an der Rechtsprechung eines
Divergenzgerichtes lediglich Kritik übt oder Zweifel anmeldet, sich ihr dann aber doch
ausdrücklich oder stillschweigend anschließt (Berlit, in: GK-AsylVfG, II - § 78 Rdn. 173).
Das angefochtene Urteil muss objektiv von einem bestimmten abstrakten Grundsatz eines
Divergenzgerichtes abweichen. Die Fälle, in denen das Verwaltungsgericht ausdrücklich und
bewusst von einem abstrakten Grundsatz der bezeichneten Gerichte abweicht und dies in den
Entscheidungsgründen auch deutlich macht, sodass die Abweichung bei einem Vergleich des
angefochtenen Urteils mit der bezeichneten Entscheidung des Divergenzgerichts ins Auge
springt, sind selten. Vielmehr ergibt sich regelmäßig erst aus einer Analyse und Bewertung
des Gesamtzusammenhangs der Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung,
dass eine Abweichung vorliegt (dagegen Berlit, in: AsylVfG, § 78 Rdn. 176f.). Insoweit ist
aber besonders sorgfältig darauf zu achten, dass die Darlegung sich nicht im Aufzeigen eines
Rechtsanwendungsfehlers erschöpft. Dies erklärt die besonderen Schwierigkeiten der
Darlegung und insbesondere auch die sehr geringe Erfolgsträchtigkeit der Divergenzrüge.
Allgemein anerkannt ist zwar, dass der abstrakte Grundsatz im Urteil des Verwaltungsgerichts
nicht ausdrücklich ausgesprochen sein (VGH BW, B. v. 19. 6. 1996 - A 16 S 8/96) oder
bewusst oder gar vorsätzlich erfolgen muss. Das Verwaltungsgericht muss aber von der
bezeichneten Entscheidung in der Weise abweichen, dass es seiner Entscheidung erkennbar
eine Ansicht zugrunde legt, die dem aufgestellten Grundsatz widerspricht (Hess.VGH,
ESVGH 38, 236 = EZAR 633 Nr. 13; Hess.VGH, ESVGH 38, 238; Hess.VGH, EZAR 633
Nr. 30; Hess.VGH, B. v. 13. 6. 1986 - 10 TE 862/86; Hess.VGH, B. v. 4. 11. 1987 - 12 TE
3435/86; Hess.VGH, AuAS 1999, 114 (114)). Andererseits genügt jedenfalls nicht die
Darlegung der bloßen Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils, auch wenn dieses aufgrund
seiner Fehlerhaftigkeit von Entscheidungen des BVerwG etwa in dem Sinne abweicht, dass es
danach notwendige rechtliche und tatsächliche Prüfungen unterlässt (Hess. VGH, EZAR 633
Nr. 25 = AuAS 1993, 127). Denn ein Verstoß gegen Art. 16 a Abs. 1 GG oder das allgemeine
Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG allein rechtfertigt die Zulassung nicht. Diese ist vielmehr
nur dann gerechtfertigt, wenn die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die
Durchführung eines Berufungsverfahrens gebietet.
Eine Divergenz im rechtlichen Bereich kann nicht festgestellt werden, wenn das
Verwaltungsgericht gegen den aufgestellten Rechtssatz dadurch verstößt, dass es diesen
stillschweigend übergeht oder übersieht, den Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang
aufklärt, eine rechtlich gebotene Prüfung unterlässt oder den Sachverhalt fehlerhaft würdigt
(BVerwG, InfAuslR 1996, 29 (30); Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 13; Hess.VGH, NJW 1986,
21
3042; Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 30; VGH BW, B. v. 19. 6. 1996 - A 16 S 8/96; wohl auch
BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 126 (129) = NVwZ-Beil. 1995, 9) und damit
Rechtsgrundsätze unzutreffend auslegt oder anwendet. Nicht jeder Rechtsverstoß in der Form
einer unzutreffenden Auslegung oder Anwendung gefährdet die Einheit der Rechtsprechung
(Hess.VGH, EZAR 631 Nr. 39; Hess.VGH, B. v. 4. 11. 1994 - 12 ZU 1548/94; Hess.VGH, B.
v. 27. 5. 1995 - 12 ZU 381/94; Hess.VGH, B. v. 14. 1. 1997 - 10 ZU 3236/94.A). Diese aus
dem Revisionsrecht übernommene Rechtsprechung ist jedoch auf die Divergenz zu einer
bestimmten abstrakten Rechtsfrage beschränkt. (vgl. BVerwG, InfAuslR 1996, 29 (30);
BVerwG, NVwZ-RR 1996, 359; Hess.VGH, EZAR 630 Nr. 30). Weicht etwa das
Berufungsgericht bei der Anwendung des Prognosemaßstabs von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung ab und erschöpft sich die Rüge darin, dass das Berufungsgericht, den
herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab unrichtig angewendet habe, wird ein
Zulassungsgrund im rechtlichen Bereich nicht aufgezeigt.
Aus den Darlegungsanforderungen für die Divergenzrüge wird der extrem schmale Grad
deutlich, der zwischen einer erheblichen objektiven Abweichung und einer lediglich
fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall besteht. Das BVerfG hat im Grundsatz diese
engen Voraussetzungen der Divergenzrüge nicht beanstandet (BVerfG (Kammer), InfAuslR
1995, 126 (129) = NVwZ-Beil. 1995, 9), fordert jedoch eine strenge Überprüfung der
Entscheidungsgründe im Hinblick auf eine Divergenz. Dies hat insbesondere Bedeutung für
die Divergenz im tatsächlichen Bereich bei der Anwendung der Prognosegrundsätze (für das
Revisionsrecht s. BVerwG, InfAuslR 1996, 29 (30); BVerwG, NVwZ-RR 1996, 359). Die
Differenzierungen zwischen fehlerhafter Rechtsanwendung und objektiver Divergenz sind
mitunter derart haarfein, dass Prognosen über den Ausgang des Verfahrens kaum möglich
sind. So sieht die Rechtsprechung keine objektive Abweichung von einem abstrakten
Grundsatz des Berufungsgerichts, demzufolge die Gefahr der Sippenhaft im Iran dann
erheblich ist, wenn wegen der Person des Asylberechtigten oder der von ihm entfalteten
politischen Aktivitäten von einem gesteigerten Verfolgungsinteresse auszugehen sei, das
Verwaltungsgericht hingegen von einer widerleglichen Vermutung der Sippenhaft ausgeht.
Begründet wird dies damit, dass das Verwaltungsgericht die maßgebliche Rechtsprechung des
Berufungsgerichtes ausdrücklich in Bezug genommen und sich damit die dort aufgestellten
Grundsätze zur Sippenhaft zu eigen gemacht habe (OVG NW, B. v. 23. 4. 1996 - 9 A
1620/96.A).
d)
Bezeichnung der Entscheidungserheblichkeit
Im Zulassungsantrag ist die Entscheidungserheblichkeit der Divergenz darzulegen, weil nach
dieser Vorschrift das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruhen muss. Es muss in den
tragenden Entscheidungsgründen auf einer abweichenden Ansicht beruhen (Fritz, ZAR 1984,
23 (27); Höllein, ZAR 1989, 109 (111); Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG
Rdn. 75; BayVGH, AuAS 2002, 240). Das Kausalitätserfordernis bedeutet bei der
Divergenzzulassung nichts anderes als bei der Grundsatzzulassung die Notwendigkeit, dass
die Grundsatzfrage entscheidungserheblich sein muss, weil sie sonst einer Klärung nicht
zugänglich ist. Angeknüpft wird in beiden Fällen an grundsätzliche Aussagen, die im
konkreten Fall auch angewendet und nicht nur beiläufig geäußert worden sein müssen.
Das angefochtene Urteil beruht auf der Divergenz, wenn mindestens die Möglichkeit besteht,
dass das Verwaltungsgericht auch ohne den gerügten Rechtsverstoß zu einem anderen
Ergebnis gekommen wäre, d.h. zu einer dem Rechtsmittelführer sachlich günstigeren
Entscheidung hätte gelangen können ((BVerfG (Kammer); NVwZ-Beil. 1999, 11); BVerwGE
22
77, 65 (68); BVerwG, B. v. 10. 6. 1992 - BVerwG 9 B 176.91; Hess.VGH, NVwZ 1998, 303
(305); OVG NW, B. v. 21. 3. 1996 - 9 A 6474/95.A; OVG NW, B. v. 21. 3. 1996 - 9 A
317/96.A; Pietzner, in: Schoch u.a., VwGO. Kommentar, § 132 Rdn. 78; Berlit, in: GKAsylVfG, II - § 78 Rdn. 203), sich also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der
Divergenz und dem Ergebnis nicht ausschließen lässt. Dies ist im Einzelnen anhand der
Entscheidungsgründe zu belegen.
Am Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit scheitern viele Divergenzrügen. So wird
davon ausgegangen, dass die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung nicht in Betracht
kommt, wenn das Sachvorbringen insgesamt als unglaubhaft bewertet wird. In einem
derartigen Fall beruht das angefochtene Urteil schon allein deshalb nicht auf der behaupteten
Abweichung (Hess. VGH, B. v. 13. 1. 1997 - 13 UZ 3046/96). Hat indes der Einzelfall
lediglich Auslöserfunktion für die Prüfung und Klärung genereller Fragen, kann es jedenfalls
auch bei der Divergenzrüge unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungserheblichkeit derart
aufgeworfener grundsätzlicher Fragen nicht entscheidend auf die Art und Weise des
Sachvorbringens im Einzelfall ankommen. Vielmehr muss gerade das Sachvorbringen, das
Auslöser für diese Frage ist, vom Verwaltungsgericht als unglaubhaft bewertet worden sein.
Umstritten ist, ob in Anlehnung an die Grundsatzberufung die Entscheidungserheblichkeit der
Divergenzrüge Darlegungen dazu voraussetzt, dass sich das angefochtene Urteil auch aus
anderen Gründen nicht als richtig erweist. Das BVerwG verlangt auch im Hinblick auf die
revisionsrechtliche Divergenzrüge, dass zu jedem tragenden Begründungselement des
angefochtenen Urteils Rügen erhoben werden. Sei ein Urteil auf mehrere selbständig tragende
Begründungen gestützt, so könne die Revision nur dann zugelassen werden, wenn im Blick
auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht werde und auch vorliege
(BVerwGE 54, 99 (100f.); 99, 99 (100f.); BVerwG, B. v. 10. 6. 1992 - BVerwG 9 B 176.91;
so auch OVG NW, EZAR 633 Nr. 18 zu § 32 II Nr. 2 AsylVfG 1982; OVG SA, NVwZ-Beil.
1999, 57; OVG MV, NVwZ-Beil. 2000, 93; a.A. Hess.VGH, EZAR 631 Nr. 39, S. 5;
Hess.VGH, NVwZ-RR 1998, 203 (204); Hess.VGH, B. v. 16. 7. 1996 12 UZ 3030/95).
Besteht die naheliegende Möglichkeit, dass das Berufungsgericht die angefochtene
Entscheidung aus anderen Gründen als das Verwaltungsgericht bestätigt, so ist die
Divergenzfrage im Berufungsverfahren unter Umständen nicht entscheidungserheblich. Zur
ordnungsgemäßen Darlegung der Divergenz muss sich der Antrag in einem derartigen Fall
deshalb mit der Frage auseinandersetzen und schlüssig dartun, dass auch das
Berufungsgericht die bezeichnete Entscheidung, von der abgewichen worden sein soll, im
künftigen Berufungsverfahren seiner Entscheidung wird zugrundelegen müssen (Kummer,
Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rdn. 168). Andererseits ist von der Vorschrift des § 144
Abs. 4 VwGO zurückhaltend Gebrauch zu machen und deshalb bei bestehender Divergenz die
Berufung regelmäßig zuzulassen (Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rdn. 205 ff.). Es ist nicht die
Aufgabe des Berufungsgerichts im Zulassungsverfahren, unabhängig von den es insoweit
bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts über diese hinwegzugehen und dem
angefochtenen Urteil einen Inhalt zu geben, den es nicht hat. Hier besteht stets die
Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung (BVerfG (Kammer); NVwZ-Beil. 1999, 11).
Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem vom Verwaltungsgericht
zugrundegelegten Prognosemaßstab zu. So kommt die Möglichkeit einer günstigeren
Entscheidung nicht in Betracht, wenn die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur
Vorverfolgung zwar möglicherweise von der maßgeblichen Rechtsprechung abweichen, es
jedoch ausdrücklich offen lässt, ob eine von der Klägerin behauptete Verfolgung
asylerheblich ist, weil sie auch bei Annahme einer Vorverfolgung hinreichend sicher vor
23
Verfolgung im Heimatland ist (Hess.VGH, B. v. 13. 3. 1997 - 13 UZ 125/96). Ebenso liegt
zwar eine Divergenz des erstinstanzlichen Urteils zur Rechtsprechung des BVerfG und
BVerwG vor, wenn in diesem für eine den Asylsuchenden im Falle der Rückkehr
offenstehende interne Schutzalternative vorausgesetzt wird, dass ihm dort nach dem Maßstab
der beachtlichen Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung droht, während unter diesen
Voraussetzungen BVerfG und BVerwG die Gefahr der Verfolgung nach dem herabgestuften
Wahrscheinlichkeitsmaßstab beurteilen. Führt das Verwaltungsgericht jedoch andererseits
aus, dass dem Asylsuchenden auch bei Anwendung des strengeren Sicherheitsmaßstabes in
Teilen des Herkunftslandes keine Verfolgung droht, beruht das Urteil nicht auf der
Abweichung (BVerwG, NVwZ 1996, 359 = EZAR 634 Nr. 1).
VI.
Verfahrensrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 78 Abs. 3 AsylVfG)
1.
Funktion der Verfahrensrüge
Die Verfahrensrüge dient der Korrektur besonders schwerwiegender Verfahrensfehler
innerhalb des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzugs. Andererseits dient die Verfahrensrüge
anders als die Grundsatz- und Divergenzrüge der Einzelfallgerechtigkeit, sodass bei der
Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO der Grundsatz des
Grundrechtsschutzes durch Verfahrensgewährleistung im Vordergrund steht.
Die Verfahrensrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO unterscheidet sich wesentlich von der
Verfahrensrüge nach § 78 Abs. 3 AsylVfG). Die allgemeine verwaltungsprozessuale
Verfahrensrüge ist der revisionsgerichtlichen Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
nachgebildet und umfasst alle gerichtlichen Verfahrensvorschriften. Demgegenüber ist die
Verfahrensrüge nach § 78 Abs. 3 AsylVfG ausdrücklich auf die absoluten Revisionsgründe
des § 138 Nr. 3 VwGO beschränkt. Dieser Unterschied hat insbesondere Bedeutung für die
Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO), die nach allgemeiner, aber so pauschal nicht
zutreffender Meinung der Obergerichte im Asylprozess nicht gegeben ist. Erfolgversprechend
in der Praxis ist die Gehörsrüge nach § 138 Nr. 3 VwGO. Die anderen absoluten
Revisionsgründe des § 138 VwGO werden hier nicht behandelt.
2.
Verfahrensrügen nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO
Gerügt werden können Mängel des Gerichtsverfahrens. Verfahrensfehler im
Verwaltungsverfahren können nur ausnahmsweise geltend gemacht werden, wenn sich diese
unmittelbar auf das Gerichtsverfahren auswirken (BVerwG, NVwZ-RR 1995, 113; BVerwG,
NVwZ-RR 2000, 339). Rügeverlust (§ 173 VwGO in Verb. mit § 295 ZPO) tritt ein, wenn der
Verfahrensmangel bereits im Verfahren bekannt war und nicht rechtzeitig gerügt wurde
(OVG Sachsen, NVwZ-RR 1998, 693). Eine Divergenzrüge, mit der die fehlerhafte
Anwendung von Prozessrecht betrifft, wird als Verfahrensrüge behandelt (BVerwG, NVwZ
2001, 918).
Im Zulassungsantrag ist zunächst der Verfahrensfehler schlüssig darzulegen. Es müssen der
Sachverhalt geschildert und der Verfahrensfehler auch in rechtlicher Hinsicht substanziiert
dargelegt werden. Anschließend ist die Kausalität zwischen dem Verfahrensfehler und der
angefochtenen Entscheidung zu behandeln. Es muss ein der Beurteilung des
24
Berufungsgerichts überprüfbarer Verfahrensmangel gerügt werden. Nicht rügefähig sind z.B.
die rechtswidrige Gewährung der Wiedereinsetzung, Terminsladungen und –aufhebungen, ein
Verweisungs- oder Verbindungsbeschluss. Fehler des materiellen Rechts (Beweismaßstab,
Prognosegrundsätze, Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO) sind nicht rügefähig (BVerwG, NVwZ-RR 2002, 140 (141)).
Für den Indizienbeweis macht das BVerwG eine Ausnahme: Die Beachtung der gebotenen
Folgerungen im Indizienbeweis ist eine Frage der richtigen Überzeugungsbildung. Insoweit
wird die freie Beweiswürdigung eingeschränkt. Demgemäß kann die Missachtung der
Voraussetzungen für einen Indizienbeweis ein Verfahrensmangel sein. Das ist dann der Fall,
wenn sich der bei der richterlichen Überzeugungsbildung auftretende Verstoß gegen
Denkgesetze hinreichend eindeutig von der rechtlichen Subsumtion und damit von der
korrekten Anwendung des Rechts abgrenzen lässt. Diese Abgrenzung ist möglich, wenn die
dem Beweisgang zugrunde gelegten Hilfstatsachen aus logischen Gründen ungeeignet sind,
die gefolgerte Haupttatsache zu tragen (BVerwGE 84, 271 (273); zum Indizienbeweis Marx,
AsylVfG, 7. Aufl., 2009, § 78 Rdn. 651 ff.).
Die größte Bedeutung hat die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO). Die Anforderungen sind
sehr hoch. Es muss schlüssig dargelegt werden, dass sich dem Verwaltungsgericht eine
weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen. Das ist insbesondere der Fall, wenn es
wesentliche Umstände übergeht. Dabei hat es jedoch nicht sein Bewenden. Vielmehr muss
vorgetragen werden, anhand welcher im Zulassungsantrag im Einzelnen zu bezeichnenden
Aufklärungsmaßnahmen sich welches Beweisergebnis zugunsten des Beteiligten ergeben
hätte, welches Beweismittel dafür in Frage gekommen wäre, welches Ergebnis die
unterbliebene Aufklärungsmaßnahme gehabt hätte und inwiefern die unterbliebene
Aufklärung überhaupt zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geboten gewesen war
und inwiefern das Ergebnis der vermissten Aufklärung zu einer für den Beteiligten
günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG, NVwZ 1995, 373; s. hierzu Marx,
AsylVfG, 7. Aufl., 2009, § 78 Rdn. 1070 ff.; s. auch nachfolgend unter Gehörsrüge). Ein
Verwaltungsgericht verstößt grundsätzlich nicht gegen seine Aufklärungspflicht, wenn ein
anwaltlich vertretener Beteiligter von der Stellung eines Beweisantrags absieht (BVerwG,
NVwZ-RR 2002, 140).
Bei den Ausführungen zum Beruhenserfordernis ist zu bedenken, dass es für die gerichtliche
Handhabung der Verfahrensvorschriften auf die rechtliche Ansicht des Verwaltungsgerichts
ankommt.
3.
Gehörsrüge nach § 138 Nr. 3 VwGO
a)
Funktion der Gehörsrüge
Die Gehörsrüge ist verfahrensrechtlicher Ausdruck des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf
rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, d.h. der in dieser Verfassungsnorm verbürgte
Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsgedankens für das
gerichtliche Verfahren (BVerfGE 84, 188 (190); BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 69 (70);
s. auch Spiecker genannt Döhmann, NVwZ 2003, 1464; s. auch Wimmer, DVBl. 1985,773).
Dieser Anspruch stellt nicht nur »das prozessuale Urrecht des Menschen« dar, »sondern ein
objektiv-rechtliches Verfahrensprinzip, das für ein gerichtliches Verfahren im Sinne des
Grundgesetzes konstitutiv und schlechthin unabdingbar ist« (BVerfGE 55, 1 (6); 70, 180
25
(188)). Es verwehrt daher, dass mit dem Menschen »kurzer Prozess« gemacht wird (BVerfGE
55, 1 (6)). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor Gericht dient nicht nur der Abklärung
der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen, sondern auch der Achtung der Würde des
Menschen, der in einer so schwerwiegenden Lage, wie ein Prozess sie für gewöhnlich
darstellt, die Möglichkeit haben muss, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu
behaupten (BVerfGE 55, 1 (5f.); Fritz, ZAR 1984, 189f.). Ausgehend von der Rechtsposition
des Rechtssuchenden kommt dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Widerstreit öffentlicher
und privater Interessen eine wesentliche Schutzfunktion zu, kraft derer eine Eingrenzung oder
gar Abwehr von Bestrebungen erreicht wird, Verfahrensgestaltungen einseitig nach
staatlichen Interessen auszurichten (Feuchthofen, DVBl. 1984, 170).
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen (BVerfGE 42,
364 (367); 47, 182 (187); 69, 141 (143); 70, 215 (218); 79, 51 (61); 83, 24 (35); BVerwG,
NVwZ-RR 1994, 298). Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht
sicherstellen, dass die vom Gericht zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern
ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des
Sachvortrags der Parteien haben (BVerfGE 50, 32 (35); 54, 86 (91); 69, 141 (143); 70, 215
(218)). Dementsprechend gibt Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten ein Recht zur Äußerung
über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage (BVerfGE 83, 24 (35)). Sie sollen nicht
bloß Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die ihre Recht betrifft, zu
Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können
(BVerfGE 84, 188 (190)). Da dies nicht nur durch tatsächliches Vorbringen, sondern
vielmehr auch durch Rechtsausführungen geschehen kann, gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG
den Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde
liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (BVerfGE 60, 175 (210); 64,
135 (143); 65, 227 (234); 86, 133 (144)).
Sie haben ferner das Recht, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (BVerfGE 6, 19
(20); 15, 303 (307); 36, 85 (87); 64, 135 (143f.)). In diesem Zusammenspiel von Äußern und
Gehörtwerden, mithin in der diskurssicheren Funktion des Prozessrechts verwirklicht sich die
für ein rechtsstaatliches Verfahren zentrale Befugnis, die Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet
(BVerfGE 64, 135 (144)). Die Verwaltungsgerichte sind daher verpflichtet, das Urteil nur auf
Tatsachen und Beweisergebnisse zu stützen, zu denen die Beteiligten sich zuvor äußern
konnten, und die Gründe in dem Urteil anzugeben, die für die richterliche Überzeugung
leitend gewesen sind. Sie dürfen deshalb nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse
verwerten, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet
zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen die Beteiligten sich äußern
konnten (BVerfGE 70, 180 (189); BVerwG, InfAuslR 1982, 250; BVerwG, InfAuslR 1983,
184; BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 60; Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 22; Renner,
ZAR 1985, 62 (70f.)).
Im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Ausgangslage kommt der Gehörsrüge im
Verwaltungsprozess eine besondere Bedeutung zu. Während die Erfolgsaussichten bei der
Grundsatz- und Divergenzrüge eher als sehr gering einzuschätzen sind und auch die anderen
Verfahrensrügen nach § 138 VwGO in aller Regel nicht durchgreifen, kann eine gut
begründete Gehörsrüge wegen der überragenden Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör zum Erfolg führen. Allerdings müssen der Prozess und insbesondere die mündliche
Verhandlung sehr gut vorbereitet und müssen während der mündlichen Verhandlung alle für
den Erfolg der Gehörsrüge erforderlichen prozessualen Möglichkeit ausgeschöpft werden.
26
Denn die Gehörsrüge greift nur durch, wenn der Rechtsmittelführer dartun kann, dass er im
erstinstanzlichen Verfahren alles unternommen hat, damit das Gericht von sich aus den
Gehörsverstoß beseitigt.
b)
Prüfungsschema
Um die Gehörsrüge erfolgversprechend begründen zu können, empfiehlt es sich, folgende
Fragen in der vorgestellten Reihenfolge abzuhandeln:
1.
Darlegung der den Gehörsverstoß begründenden Tatsachen und Umstände
unter Durchdringung des bisherigen Prozessstoffs in systematischer und
nachvollziehbarer Weise. Dabei sind bloße Verweise auf bisheriges Sachvorbringen
zu vermeiden. Vielmehr sind die für die Prüfung der Gehörsverletzung
erforderlichen Tatsachen im Zulassungsantrag unter Auseinandersetzung mit dem
bisherigen Prozessstoff herauszuarbeiten. Dies hat seinen Grund darin, dass das
Berufungsgericht nicht gehalten ist, zur Prüfung der Schlüssigkeit zunächst die
Akte durchzuarbeiten. Vielmehr muss es anhand des Antragsvorbringens in die
Lage versetzt werden, die Gehörsrüge zu prüfen.
2.
Darlegung, dass der nicht berücksichtigte Tatsachenvortrag nach der
Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war (ist
grundsätzlich bei allen Prüfungspunkten zu beachten. Sollte daher nicht als
eigenständiger Prüfungsschritt behandelt werden).
3.
Darlegung, dass alle verfügbaren und zumutbaren prozessualen
Möglichkeiten im erstinstanzlichen Verfahren ausgeschöpft wurden. Hier ist
vorrangig die Prozessordnungswidrigkeit der Ablehnung des in der erforderlichen
prozessualen Form gestellten Beweisantrags zu erörtern und darüber hinaus
darzulegen, dass nach der Zurückweisung des Beweisantrags Gegenvorstellung
erhoben wurde bzw. ist darzulegen, welche anderen verfügbaren und zumutbaren
prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um das Verwaltungsgericht von
der Prozessordnungswidrigkeit des abgelehnten Beweisantrags zu überzeugen Dies
gilt nicht bei der unzulässigen Überraschungsentscheidung.
4.
Darlegung der Umstände, die belegen, dass kein Rügeverlust eingetreten ist.
In aller Regel wird diesem prozessualen Erfordernis bereits mit der schlüssigen
Darlegung, dass alle verfügbaren und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten
ausgeschöpft wurden, genügt.
5.
Ausführliche Darlegung des alternativen (abgeschnittenen) Sachverhalts.
Zweck: Erforderlich für das Beruhenserfordernis (Frage: besteht bei
Berücksichtigung des alternativen Sachverhalts die Möglichkeit einer für den
Rechtsmittelführer günstigeren Entscheidung?). Anmerkung: Obwohl das
Rechtsmittelgericht auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht festgestellten
Tatsachen entscheidet, ist bei diesem Prüfungsschritt nach Rücksprache mit dem
Mandanten und unter Bezugnahme auf relevante Schriftsätze und Protokolle sowie
Niederschriften der Sachverhalt zu bezeichnen, der vorgebracht worden wäre, hätte
der Beteiligte den Gehörsverstoß voraussehen können).
6.
Darlegung, dass das angefochtene Urteil auf dem Gehörsverstoß beruht. Das
Beruhenserfordernis ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten. Ist bereits
mit der schlüssigen Gehörsrüge dargelegt, dass das Verwaltungsgericht durch die
Gehörsverletzung weiteres Sachvorbringen abgeschnitten hat, ist zugleich das
27
Beruhenserfordernis dargelegt. Mit der schlüssigen Darlegung der
prozessordnungswidrigen Ablehnung des Vertagungsantrags oder einer
unzulässigen Überraschungsentscheidung ist stets dargetan, dass weiterer
Sachvortrag abgeschnitten wurde. Beim abgelehnten Beweisantrag mögen im
Einzelfall zusätzliche Ausführungen zum Beruhenserfordernis erforderlich werden.
6.
Darlegung,
dass
das
nicht
berücksichtigte
Sachvorbringen
entscheidungserheblich ist. Entsprechende Darlegungen sind nur erforderlich, wenn
mit dem Verfahrensverstoß nicht weiteres Sachvorbringen abgeschnitten wurde.
c)
Voraussetzungen des Zulassungsantrags
aa)
Darlegung der Gehörsverletzung
Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs muss hinreichend deutlich zum Ausdruck
bringen, durch welche gerichtliche Verfahrensweisen im Einzelnen der Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt worden ist. Einer ausdrücklichen Benennung der Vorschriften des
Art. 103 Abs. 1 GG, des § 138 Nr. 3 VwGO bedarf es unter diesen Umständen nicht
(Hess.VGH, InfAuslR 1994, 245 (246) = AuAS 1994, 166). Die Feststellung, wann im
Einzelnen davon ausgegangen werden kann, dass das Verwaltungsgericht in
prozessordnungswidriger Weise Sachvorbringen nicht zur Kenntnis genommen hat, ist im
Einzelfall häufig schwierig zu treffen (BVerfGE 42, 364 (368)). Geht das Verwaltungsgericht
jedoch auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die
für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so
lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem
Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstanziiert ist
(BVerfGE 86, 133 (146); BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1998, 1 (2)).
Die Voraussetzungen der Gehörsrüge sind im Lichte des verfassungsrechtlichen Grundsatzes
des Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und seinem einfachgesetzlichen Ausdruck in § 108 Abs.
1 und 2 VwGO zu bestimmen. Danach ist bei der Darlegung der Voraussetzungen der
Gehörsrüge zu bedenken, dass das Verwaltungsgericht tatsächliches und rechtliches
Sachvorbringen der Beteiligten zwar zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und in
seiner Entscheidung zu verarbeiten hat. Es ist jedoch nicht gehalten, sich mit jedem
Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfGE 13, 132 (149);
42, 364 (368); 47, 182 (187); 51, 126 (129); BVerwG, InfAuslR 1984, 326; BVerwG,
Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 60; BVerwG, NVwZ-RR 1994, 298; Hess.VGH, InfAuslR
1994, 245 = AuAS 1994, 166). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist deshalb erst dann
anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass im Einzelfall das wesentliche
Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei
der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 27, 248 (251f.); 47, 182
(187f.), 51, 126 (129); 65, 293 (295f.); 70, 288 (293); 86, 133 (145f.)). Grundsätzlich geht das
BVerfG davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen
zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (BVerfGE 40, 101 (104f.); 47, 182
(187); 86, 133 (146); ausdr. bekräftigt BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1998, 1 (2)).
Aus der fehlenden Erörterung von Teilen des Vorbringens muss mithin der Schluss gezogen
werden können, dass diese nicht erwogen worden sind. Dies ist der Fall, wenn Tatsachen oder
Tatsachenkomplexe übergangen werden, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt
28
(BVerwG, NVwZ-RR 1994, 298). Beim abgelehnten Beweisantrag ist aufzuzeigen, dass der
Beweisantrag gestellt wurde, was insbesondere die Mitteilung der aufgestellten
Beweisbehauptung (Beweisthema) und des für diese angebotenen Beweismittels erfordert.
Darüber hinaus ist darzulegen, dass das Beweisthema nach der Auffassung des
Verwaltungsgerichtes entscheidungserheblich und das angebotene Beweismittel zur Klärung
der unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptung tauglich gewesen ist. Schließlich ist in
Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen darzulegen, dass die Ablehnung im
Prozessrecht keine Stütze findet (Hess.VGH, AuAS 2007, 59).
So verletzt es etwa das rechtliche Gehör des Beteiligten, wenn dessen vorgetragene
exilpolitische Aktivitäten weder in der Darstellung des Sachverhalts noch in der
Entscheidungsbegründung erwähnt werden (BVerfG (Kammer), AuAS 1996, 211 (212); ähnl.
BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1998, 1 (2)). Ebenso verletzt das Verwaltungsgericht das
rechtliche Gehör des Klägers, wenn es zwar im Tatbestand darauf hinweist, dieser habe
verschiedene Zeitungsartikel vorgelegt, in den Entscheidungsgründen jedoch jede
Auseinandersetzung mit der aus der Sicht des Klägers als Nachweis seiner individuellen
Gefährdung dienenden wesentlichen Presseberichterstattung unterlässt (VGH BW, B. v.
13. 2. 1997 - A 14 S 313/97).
Die Darlegung der Gehörsrüge muss demzufolge den wesentlichen Kern des Sachvorbringens
herausarbeiten und darlegen, dass insoweit ein substanziierter Sachvortrag abgegeben worden
war. Darüber hinaus ist im Einzelnen aufzuzeigen, dass dieses Sachvorbringen vom
Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen worden
ist. Ob die Gehörsverletzung zur Berufungszulassung führt, ist allerdings von weiteren
Voraussetzungen abhängig, insbesondere davon, dass der Rechtsmittelführer alle ihm
verfügbaren und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Ergibt sich aus
den Ausführungen des Gerichts, dass es den Sachvortrag von seinem Rechtsstandpunkt aus
nicht für entscheidungserheblich ansieht, ist gegebenenfalls die Divergenzrüge nach Abs. 3
Nr. 2 zu erheben.
bb)
Rechtsanwendungsfehler
Es ist darzulegen, dass es sich um eine Gehörsverletzung und nicht um eine inhaltlich
unrichtige Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung handelt. Diese begründet zwar
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, aber keine Gehörsverletzung. Das Recht auf
Gehör gibt dem Beteiligten grundsätzlich keine verfahrensrechtliche Handhabe gegen eine
unzureichende Verwertung des festgestellten Tatsachenmaterials. Daher werden nach der
Rechtsprechung des BVerwG anders als beim Zulassungsgrund der »ernstlichen Zweifel«
Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem
sachlichen Recht zugeordnet (BVerwG, NVwZ-RR 1996, 359 = EZAR 634 Nr. 1; BVerfG
(Kammer), InfAuslR 1991, 262 (263); zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der
fachgerichtlichen Feststellungen zu Glaubhaftigkeitszweifeln s. BVerfG (Kammer), NVwZBeil. 2001, 17). Ein Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung betrifft ebenso wie
die unrichtige Gesetzesauslegung den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung, nicht
den äußeren Verfahrensgang (BVerwG, NVwZ-RR 1996, 359).
Andererseits verlangt das Gebot der freien Beweiswürdigung, dass das Gericht seiner
Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt (vgl. § 108 Abs. 1
Satz 1 VwGO). Wenn es daher seiner Entscheidung gewichtige Tatsachen- oder
Tatsachenkomplexe, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt, unerwähnt lässt, so
spricht vieles dafür, dass es den entsprechenden Tatsachenstoff entweder nicht zur Kenntnis
29
genommen oder jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat (BVerwG, EZAR 630 Nr. 34). Die
darin liegende Gehörsverletzung kann allerdings nur unter den weiteren Voraussetzungen der
Gehörsrüge nach § 138 Nr. 3 VwGO gerügt werden.
Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung wird deshalb im Hinblick auf die unrichtige,
weil die Tatsachen falsch bewertende Rechtsanwendung von vornherein die Gehörsrüge
versagt (OVG Hamburg, AuAS 2005, 172 (173);Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78
AsylVfG Rdn. 89, m. Hw.). Das BVerwG begründet seine Differenzierung zwischen dem
nicht angreifbaren inneren Prozess der richterlichen Rechtsfindung und dem rügefähigen
äußeren Verfahrensablauf mit dem Zweck der Revisionszulassung wegen Verfahrensmängel:
Dieser bestehe in der Kontrolle des Verfahrensganges, nicht der Rechtsfindung. Ein Fehler,
der sich nicht im Verfahrensablauf, sondern ohne Auswirkung auf den Verfahrensgang
lediglich im Kopf des Richters ereigne, sei deshalb kein Verfahrensfehler, sondern ein Fehler,
der die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung betreffe (BVerwG, NVwZ-RR 1996, 359).
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird in dem Fall ein erheblicher Gehörsverstoß
angenommen, in dem dem Verwaltungsgericht bei der Umrechnung einer Bestechungssumme,
die nach dem Vortrag des Asylsuchenden einem Beamten übergeben worden ist, eine
offensichtliche Fehleinschätzung unterläuft und dieser insbesondere deshalb besonderes
Gewicht zukommt, weil es aus dieser vermeintlichen Unrichtigkeit der Angaben des
Beteiligten nicht nur auf deren Unglaubhaftigkeit, sondern darüber hinaus auf dessen
Unglaubwürdigkeit insgesamt geschlossen hat (Hess.VGH, InfAuslR 1994, 245 (247) =
AuAS 1994, 166). Ebenso ist eine Gehörsverletzung anzunehmen, wenn mit dieser
Auswirkung das Gericht zeitliche Angaben des Asylsuchenden falsch umrechnet.
Eine mit der Gehörsrüge angreifbare fehlerhafte Würdigung wesentlicher Sachangaben liegt
auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht »schwerwiegende Widersprüche« aus einem
Vergleich der Angaben vor der Grenzbehörde mit dem Vorbringen vor dem Bundesamt
ableitet. Es widerspricht anerkannten Auslegungs- und Beweiswürdigungsgrundsätzen, wenn
die eingeschränkten grenzbehördlichen Ermittlungsfunktionen bei der Bewertung der
Angaben von Asylsuchenden gegenüber der Grenzbehörde außer acht gelassen werden
(Hess.VGH, InfAuslR 1994, 245 (247))). Diesen Aussagen kommt wesentlich geringeres
Gewicht für die Beweiswürdigung zu (BVerfGE 94, 166 (205) = NVwZ 1996, 678 = EZAR
632 Nr. 25; Hess.VGH, EZAR 210 Nr. 4; Hess.VGH, InfAuslR 1994, 245 (247)). Daher
kommt es einer fehlenden Würdigung wesentlichen Sachvorbringens gleich, wenn das
Verwaltungsgericht die in sich stimmigen und detaillierten Angaben des Asylsuchenden
gegenüber dem zur asylrechtlichen Sachentscheidung berufenen Bundesamt allein mit der
Begründung als unerheblich bewertet, weil sie im Widerspruch zu den Angaben gegenüber
der Grenzbehörde stehen.
cc)
Verletzung der Vorhaltpflicht
Bei Unstimmigkeiten und Widersprüchen im klägerischen Sachvortrag besteht zwar
grundsätzlich keine Verpflichtung des Gerichts, von sich aus Nachforschungen durch weitere
Fragen anzustellen und begründet dementsprechend die Tatsache, dass in der mündlichen
Verhandlung nicht ausdrücklich auf bestimmte tatsächliche Gesichtspunkte eingegangen
wurde, die in der Entscheidung maßgeblich verwertet werden, noch keine Gehörsverletzung.
Die obergerichtliche Rechtsprechung prägt eine extrem zurückhaltende Tendenz in dieser
Frage. Danach sei das Verwaltungsgericht bei umfassender Vernehmung und Anhörung des
Asylsuchenden zum Verfolgungsvorbringen grundsätzlich nicht verpflichtet, sämtliche
etwaige Widersprüchlichkeiten« des Asylsuchenden zu seinem früheren Vorbringen
30
aufzuklären (Hess.VGH, AuAS 2003, 176 (178); Nieders.OVG, AuAS 2003, 226 (227)).
Erfolge wie üblich eine informatorische Befragung des Asylsuchenden zur Ermittlung des
entscheidungserheblichen Sachverhalts ersichtlich gerade auch unter dem Gesichtspunkt der
Glaubhaftigkeit der Sachangaben des Asylsuchenden, sei für diesen erkennbar, dass es auch
um die Stimmigkeit der Gesamtheit seiner Angaben bzw. der verschiedenen geschilderten
Tatsachenkomplexe untereinander gehe sowie um die Übereinstimmung der Angaben bei der
informatorischen Befragung durch das Gericht und den früheren Erklärungen des
Asylbewerbers (OVG Brandenburg, EZAR 631 Nr. 50, S. 3 = DÖV 2000, 300).
Eine prozessual sachgerechte Lösung ist aus dem Spannungsverhältnis zwischen den
verfahrensrechtlichen Fürsorgepflichten einerseits und den Mitwirkungspflichten der
Beteiligten andererseits abzuleiten. Die Asylsuchenden müssen erkennen können, was das
Verwaltungsgericht für entscheidungserheblich erachtet und hierauf ihre Mitwirkungspflicht
einstellen. Zwar verpflichtet die gerichtliche Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 104 Abs. 1,
§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dazu, den Asylsuchenden auf jeden Widerspruch und jede
Unstimmigkeit in seinem Sachvorbringen hinzuweisen. Andererseits kann vom diesem nicht
erwartet werden, dass er über die erschöpfende Erfüllung seine Mitwirkungspflichten hinaus
jede mögliche nachträgliche Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts voraussehen und
seinen Sachvortrag darauf entsprechend einstellen kann. Der Grundsatz der freien
Beweiswürdigung sichert den Verwaltungsgerichten keinen unbegrenzten Vorrat an
Glaubhaftigkeitsbedenken, deren Zustandekommen verfahrensrechtlich fragwürdig ist und
den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widerspricht.
Ob das Verwaltungsgericht bedenken muss, dass der Asylsuchende Unstimmigkeiten und
Zweifel ausräumen kann, ist vom bisherigen Sachvorbringen abhängig. Hat der Asylsuchende
im bisherigen Verfahren und auch im Rahmen der informatorischen Befragung die
wesentlichen Tatsachenkomplexe in sich stimmig und widerspruchsfrei vorgetragen, zwingt
die gerichtliche Fürsorgepflicht dazu, den Asylsuchenden darauf hinzuweisen, dass aus Sicht
des Gerichts entscheidungserhebliche Tatsachenkomplexe noch offen sind und der
Aufklärung durch den Asylsuchenden bedürfen. Ob ein Sachvorbringen in sich stimmig und
widerspruchsfrei ist, kann zwar erst im Rahmen der freien Beweiswürdigung entschieden
werden. Hat der Asylsuchende jedoch im bisherigen Verlauf des Verfahrens und auch
während der informatorischen Befragung durch das Gericht, entscheidungserhebliche
Unstimmigkeiten oder
Widersprüche überzeugend
ausgeräumt, entzieht das
Verwaltungsgericht ihm die Möglichkeit, sich klärend zu äußern, wenn es ihn nicht vorher auf
seine Zweifel hinweist.
Ermittelt das Verwaltungsgericht nur zu bestimmten einzelnen Sachverhaltspunkten, darf der
Asylsuchende darauf schließen, dass es entscheidungserheblich nur auf diese Tatsachen
ankommt. Schließt das Verwaltungsgericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung aufgrund
von als entscheidungserheblich eingeschätzten Tatsachenangaben, die nicht Gegenstand der
Befragung waren, auf die fehlende Glaubhaftigkeit der Tatsachen insgesamt, verletzt es das
rechtliche Gehör des Beteiligten (OVG Brandenburg, EZAR 631 Nr. 50, S. 3 = DÖV 2000,
300). Das rechtliche Gehör wird ferner verletzt, wenn das Verwaltungsgericht einen
Beteiligten mit einer Beweiswürdigung überrascht, mit der dieser nach dem bisherigen
Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte (OVG Hamburg, AuAS 1993, 223). Das
Verwaltungsgericht verstoße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn es die vom
Beteiligten in der mündlichen Verhandlung geschilderten Foltererlebnisse als unglaubhaft
qualifiziere, ohne in der Verhandlung seine Zweifel an dem Sachvortrag zu äußern.
31
Angesichts dessen dürfe der Beteiligte darauf vertrauen, dass das Verwaltungsgericht keine
überraschende Entscheidung treffe (OVG Hamburg, AuAS 1993, 223).
Ebenso verstößt das Verwaltungsgericht gegen das Verbot einer unzulässigen
Überraschungsentscheidung, wenn es einen vorgelegten Haftbefehl als falsch qualifiziert,
ohne in der mündlichen Verhandlung seine hierauf abzielenden Bedenken zu äußern (OVG
Hamburg, AuAS 1993, 81). Mit einer solchen dem Prozessrecht widersprechenden
Beweiswürdigung brauchte der Beteiligte nicht zu rechnen. Vielmehr durfte er im Hinblick
darauf, dass das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung keine Zweifel an der
Echtheit des Haftbefehls äußerte, sondern diesen lediglich durch den Dolmetscher übersetzen
ließ und überdies keinerlei gutachtliche Stellungnahmen über die Beschaffenheit und
Bekanntmachung türkischer Haftbefehle in das Verfahren eingeführt worden waren, darauf
vertrauen, dass vor einer abschließenden Entscheidung ein Gutachten über die Echtheit des
von ihm vorgelegten Haftbefehls eingeholt werde (OVG Hamburg, AuAS 1993, 81; s. hierzu
aber OVG NW, AuAS 1997, 83).
dd)
Maßgeblichkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts
Zu bedenken ist bei der Darlegung der Gehörsverletzung, dass der nicht berücksichtigte
Tatsachenvortrag nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich
sein muss (BVerfGE 86, 133 (146); BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1998, 1 (2); BVerwG,
InfAuslR 2002, 150 (151); Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 22; VGH BW, EZAR 633 Nr. 15;
OVG Hamburg, AuAS 1993, 80 (81); Hess.VGH, AuAS 2007, 59). Kommt es nach der
materiellen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts auf den nicht berücksichtigten
Tatsachenstoff nicht an, können im konkreten Einzelfall allerdings die Voraussetzungen der
Grundsatz- oder Divergenzrüge gegeben sein. Diese muss allerdings ausdrücklich geltend
gemacht werden. Eine Umdeutung der Gehörsrüge in eine Grundsatz- oder Divergenzrüge
durch das Berufungsgericht kommt nicht in Betracht.
ee)
Ausschöpfung aller verfügbaren prozessualen Möglichkeiten
Im Antrag ist darzulegen, dass im erstinstanzlichen Verfahren die nach Lage der Sache
gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, um sich das rechtliche
Gehör zu verschaffen (BVerfGE 74, 220 (225); BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1995, 57;
BVerwG, InfAuslR 1984, 89 (90); BVerwG, EZAR 610 Nr. 25; BVerwG, NJW 1992, 3185
(3186); BVerwG, NJW 1995, 799 (780); OVG Hamburg, AuAS 1993, 80; Thür.OVG, EZAR
633 Nr. 28; Hess.VGH, EZAR 633 Nr. 22; a.A. OVG NW, InfAuslR 1984, 22 (23);
Nieders.OVG, NVwZ-Beil. 1996, 67 (69); Nieders.OVG, AuAS 1998, 141; VGH BW, AuAS
1996, 251 (252)). Das BVerfG hat diese Voraussetzung allerdings nur im Hinblick auf die
Verfassungsbeschwerde entwickelt. Wegen ihres subsidiären Charakters könne eine
Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG mit der Verfassungsbeschwerde nur dann mit Erfolg
gerügt werden, wenn der Beschwerdeführer zuvor die nach Lage der Sache gegebenen
prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft habe, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen.
Ob und in welchem Umfang dieser, im Wesentlichen für das verfassungsprozessuale
Verfahren entwickelte Grundsatz im fachgerichtlichen Verfahren Geltung beanspruchen kann,
hat es jedoch ausdrücklich offen gelassen (BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1995, 57).
Jedenfalls dürfen insoweit die Anforderungen an die Darlegung der Gehörsrüge nicht
überspannt werden (BVerfG, NVwZ-Beil. 1995, 57).
Insbesondere kommt hier dem Beweisantrag eine besondere Bedeutung zu. Hätte der
Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren die unterlassene Aufklärung mittels eines
32
Beweisantrags abwenden können, droht die Zurückweisung des Antrags. Grundsätzlich ist der
Beweisantrag unbedingt zu stellen (Hinweise in Marx, AsylVfG, 7. Aufl., 2009, § 78 Rdn.
587; zur Protokollierungspflicht BVerwG, NVwZ 2012, 512). Durch die Behandlung eines
bedingten Antrags kann jedoch das rechtliche Gehör verletzt werden, wenn dieser rechtsirrig
mit der Begründung abgelehnt wird, der angebotene Beweis reiche zur Widerlegung des
Fehlens einer Verfolgung nicht aus (VGH BW, AuAS 1994, 56 (57 f.)) oder das Gericht sich
über die Bindungswirkung der Wahrunterstellung hinwegsetzt (VGH BW, AuAS 2012, 45
(47)).
Bei der Gehörsrüge im Blick auf den abgelehnten Beweisantrag ist darzulegen, dass der
Antragsteller die ordnungsgemäße Stellung eines Beweisantrags aufzeigt. Dies erfordert die
Mitteilung der jeweils aufgestellten Beweisbehauptung (Beweisthema) und des für sie jeweils
angebotenen Beweismittels, ferner die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des
Beweisthemas nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts und die Tauglichkeit des
Beweisthemas. Schließlich ist in Auseinandersetzung mit dem vom Verwaltungsgericht in der
mündlichen Verhandlung oder in den Urteilsgründen angegebenen Gründen für die
Beweisablehnung darzulegen, dass die Ablehnung des Beweisantrags prozessual nicht
ordnungsgemäß war (Hess.VGH, AuAS 2007, 59). Soweit die obergerichtliche
Rechtsprechung darüber hinaus die Berufung trotz dargelegten Gehörsverstoßes nicht
zulassen will, wenn der Gehörsverstoß sich nicht auf andere das Urteil tragende
Feststellungen bezieht (Nieders.OVG, NVwZ-RR 2008, 142), wird hierdurch der Zugang zur
Berufung unzumutbar erschwert (Art. 19 Abs. 4 GG). Auch können die Auswirkungen eines
Gehörsverstoßes auf die einzelnen Feststellungen jedenfalls nicht jeweils mit der gebotenen
Präzision im Zulassungsverfahren identifiziert werden.
Zwar fällt die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs in den gerichtlichen
Verantwortungsbereich. Es ist auch keine generelle Pflicht der Verfahrensbeteiligten
anerkannt, mögliche Verfahrensverstöße des Gerichts durch Hinweise oder Nachfragen
abzuwenden. Voraussetzung für die Gehörsrüge ist, dass in der mündlichen Verhandlung
noch der Versuch unternommen wird, sich Gehör zu verschaffen.
Beim abgelehnten Beweisantrag ist in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich
Gegenvorstellung zu erheben und sind im Zulassungsantrag entsprechende Ausführungen
erforderlich. Die Gehörsrüge ist nur dann begründet, wenn der Beteiligte sich nicht noch in
der mündlichen Verhandlung hätte Gehör verschaffen können und wenn überdies die
Ablehnung des Beweisantrags nicht aus (weiteren) prozess- oder materiell-rechtlichen
Gründen gerechtfertigt gewesen wäre (OVG Brandenburg, AuAS 2004, 58 (59); Hess.VGH,
AuAS 2005, 273 (275); a.A. VerfGH Berlin, AuAS 2007, 47; Sächs.OVG, AuAS 2006, 129
(130 f.)). Dazu gehört insbesondere, dass Ausführungen zur Prozessordnungswidrigkeit der
Beweisablehnung zu Protokoll erklärt werden (Hess.VGH, AuAS 2005, 273 (275)). Es ist
deshalb je nach Art der Gehörsverletzung darzulegen, welche prozessualen Möglichkeiten im
erstinstanzlichen Verfahren zur Verfügung standen, um die diskurssichernde Funktion des
Verfahrensrechts zu verwirklichen. So wird man regelmäßig erwarten können, dass die
Beteiligten einen
weiteren
Beweisantrag
stellen, wenn
aus
ihrer Sicht
entscheidungserhebliche Tatsachenkomplexe aufklärungsbedürftig sind. Die Erörterung der
Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags sowie im Falle der
Durchführung der Beweisaufnahme die Erörterung des erzielten Ergebnisses sichern im
besonderen Maße die diskurssichernde Funktion des Verfahrensrechts.
Gegen diese Auffassung wird eingewandt, es begründe eine Gehörsverletzung, wenn beim
abgelehnten Beweisantrag Darlegungen gefordert würden, dass das Verwaltungsgericht in der
33
mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden sei, die Ablehnung sei
prozessordnungswidrig und verletze das rechtliche Gehör des Beteiligten. Die Annahme einer
solchen generellen Rügeobliegenheit – außerhalb im Einzelfall gegebener
Korrekturmöglichkeiten gerichtlicher Pannen, Irrtümer oder Missverständnisse bei Ablehnung
eines Beweisantrages – stelle eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu
rechtfertigende Erschwernis für die Beschreitung des eröffneten Rechtsweges dar (VerfGH
Berlin, AuAS 2007, 47; Sächs.OVG, AuAS 2006, 129 (130 f.)).
ff)
Aufklärungsrüge im Asylprozess
Nicht in allen Fällen der Gehörsverletzung kann die Stellung eines Beweisantrags zur
prozessualen Voraussetzung der Gehörsrüge gemacht werden. So ist evident, dass das
Verwaltungsgericht bei einer unzulässigen Überraschungsentscheidung die ihm obliegende
Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs durch Diskursverweigerung ebenso verletzt wie bei
einer sonstigen prozessordnungswidrigen Nichtberücksichtigung eines Sachvorbringens in
welcher prozessualen Form auch immer, insbesondere durch prozessordnungswidrige
Zurückweisung eines Vertagungsantrags. In diesen Fällen nimmt das Gericht den
Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, prozessuale Möglichkeiten zur Wahrung des
rechtlichen Gehörs auszuschöpfen, sodass mit der Bezeichnung der Gehörsverletzung die
Gehörsrüge regelmäßig durchgreift.
War für den Beteiligten aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht erkennbar, dass er
seinen Sachvortrag zu bestimmten Tatsachen substanziieren muss, muss das Gericht diesem
zu erkennen geben, dass es aufgrund des bisherigen Vortrags den geltend gemachten
Anspruch nicht für hinreichend substanziiert hält (BVerfG, NJW 1991, 2823 (2824)).
Dementsprechend wird im Schrifttum die Aufklärungsrüge entgegen der überwiegenden
Rechtsprechung (z.B. VGH BW, AuAS 2012, 9 (10); VGH BW, AuAS 2012, 45 (46);
Hess.VGH, AuAS 2007, 59) auch im Asylprozess für zulässig erachtet, wenn das Gericht
etwa Beweisanregungen oder schriftlich angekündigte Beweisanträge eines Beteiligten ohne
Begründung übergangen hat (Höllein, ZAR 1989, 109 (113); Marx, AsylVfG, 7. Aufl., 2009,
§ 78 Rdn. 1058 ff.). Dasselbe muss gelten, wenn der Beteiligte substanziiert und konkret
Umstände vorgetragen hat, die eine Aufklärung von Amts wegen erfordern, das Gericht
jedoch keinen Hinweis auf die sich hieraus ergebenden prozessualen Konsequenzen gibt.
So erachtet es die Rechtsprechung im Blick auf die Beweiswürdigung für unzulässig, wegen
der Täuschung über die Identität und den Reiseweg auf die Unwahrheit der Darlegungen zur
Verfolgung zu schließen. Damit verletzt das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht.
Um die unterlassene Aufklärung als Gehörsverletzung rügen zu können, ist aufzuzeigen, dass
das Verwaltungsgericht wesentliches Vorbringen des Asylklägers übergangen hat (VGH BW,
AuAS 2012, 9 (11)). Weigert sich das Verwaltungsgericht den Asylsuchenden anzuhören, ist
Parteivernehmung (Marx, AsylVfG, 7. Aufl., 2009, § 78 Rdn. 632, 965) oder jedenfalls
dessen informatorische Befragung zu beantragen und darauf zu achten, dass dessen
wesentliche Angaben zu Protokoll genommen werden.
Zwar sind Hinweis-, Aufklärungs- und Erörterungspflichten, die über das Recht der
Beteiligten hinausgehen, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden
Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, grundsätzlich nicht vom Schutzbereich
des Art. 103 Abs. 1 GG erfasst (BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1980, 1093). Dieser
Verfassungsnorm ist kein allgemeines Frage- und Aufklärungsrecht des Gerichts zu
entnehmen (BVerfG, NJW 1991, 2823 (2824); Thür.OVG, AuAS 1998, 190). Es kommt
jedoch der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis
34
Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und
rechtskundiger Beteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte
(BVerfG, NJW 1991, 2832 (2824)).
Die Hinweispflicht nach § 104 Abs. 1 VwGO steht im engen Zusammenhang mit der Pflicht
des Gerichts, beratend auf die Stellung sachdienlicher Anträge und die Ergänzung
ungenügender tatsächlicher Angaben hinzuwirken (§ 86 Abs. 3 VwGO). Diese Hinweis- und
Beratungspflicht steht wiederum - wie sich bereits aus der systematischen Stellung ergibt - im
engen Sachzusammenhang mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO.
Das Verwaltungsgericht muss Äußerungen der Parteien zu allen unter Umständen relevanten
rechtlichen Überlegungen anregen. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Art. 103
Abs. 1 GG genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs setzt nämlich voraus, dass der
Beteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf
welchen Sachvortrag es für die gerichtliche Entscheidung ankommt (BVerfG, NJW 1991,
2823 (2824)). Gerichtliche Hinweispflichten dienen damit gerade im besonderen Maße der
Verwirklichung des rechtlichen Gehörs. Diese sind zwar bei anwaltlich vertretenen
Beteiligten geringer, jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG (Kammer), NVwZ
1992, 559). Die Verwaltungsgerichte dürfen die Klage nicht an der Unbeholfenheit des
Beteiligten bei der Wahrnehmung seiner Rechte scheitern lassen. Sie müssen ihm vielmehr
aufgrund ihres besseren Überblicks bei der Rechtsverfolgung durch die in § 86 Abs. 3 VwGO
zur Pflicht gemachten Hinweise behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er im
Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten das erstrebte Ziel am besten und
zweckmäßigsten erreichen kann (BVerwG, InfAuslR 1984, 292; BVerwG, U. v. 22. 4. 1986 BVerwG 9 C 318.85).
Die Sachaufklärungspflicht, die das Gericht ohnehin von Amts wegen zur weiteren
Beweiserhebung zwingt, und die Mitwirkungspflicht des Beteiligten sind zwei
zusammenhängende Elemente eines prozessualen Wirkungszusammenhangs. Die
Mitwirkungspflichten, die ihrerseits die Aufklärungspflicht begrenzen, sind im
Verwaltungsprozess einerseits sehr hoch, andererseits aber auch im besonderen Maße
verfassungsrechtlich durch den Grundsatz des rechtliches Gehörs geschützt. Trägt der
Beteiligte daher in Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht konkrete und substanziierte Umstände
vor, ohne zu erkennen, welche prozessualen Folgen hieraus zu ziehen sind, so hat er zur
optimalen Verwirklichung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ein verfassungsrechtlich
geschütztes Recht darauf, durch das Gericht auf die gebotenen prozessualen Konsequenzen
hingewiesen zu werden.
Teilweise schirmt die obergerichtliche Rechtsprechung die gerichtliche Aufklärungspflicht
gegen Verfahrensrügen ab: Mit dem Zulassungsantrag könne nicht im Gewande der
Verfahrensrüge die dem Verwaltungsgericht vorbehaltene Feststellung des Sachverhalts und
die rechtliche Würdigung angegriffen werden. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liege
vielmehr regelmäßig dann nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht den
entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der beigezogenen Verwaltungsvorgänge für
aufgeklärt hält und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten Beweiserhebungen nicht
in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gebotenen Form beantragt hätten (BayVGH, AuAS 2005,
206 (207)).
Hohe prozessuale Hürden bei der Darlegung stehen häufig dem Erfolg der Aufklärungsrüge
entgegen. Für den Asylprozess ergibt sich hierbei wegen der eingeschränkten
Geltendmachung der Aufklärungsmängel auf den durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
35
begrenzten Bereich eine weitere prozessuale Verschärfung: Zunächst sind im
Zulassungsantrag neben der verletzten Rechtsnorm die Tatsachen konkret und bestimmt zu
bezeichnen, die den gerügten Mangel ergeben. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG
ist der Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung nur dann ausreichend
bezeichnet, wenn angegeben wird, inwiefern sich der Vorinstanz - ausgehend von deren
materiellrechtlicher Sicht - eine weitere Erforschung des Sachverhalts hätte aufdrängen
müssen, anhand welcher im Zulassungsantrag im Einzelnen zu bezeichnenden
Aufklärungsmaßnahmen sich welches Beweisergebnis zugunsten des Beteiligten ergeben
hätte, welche Beweismittel dafür in Frage gekommen wären, welches Ergebnis die
unterbliebene Aufklärung im Einzelnen gehabt hätte und inwiefern die vermissten weiteren
Ermittlungen überhaupt zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geboten gewesen wäre
und inwiefern das Ergebnis der vermissten Aufklärung zu einer für den Rechtsmittelführer
günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG, NVwZ 1995, 373 = InfAuslR 1995,
23 = AuAS 1995, 20; BVerwG, InfAuslR 1998, 219 (220); BVerwG, B. v. 21. 11. 1994 BVerwG 9 B 666.94; BVerwG, B. v. 13. 5. 1996 - BVerwG 9 B 174.96; BVerwG, B. v. 17. 5.
2006 – BVerwG 1 B 100.05; BayVGH, AuAS 2005, 206 (207)). Nur wenn die Möglichkeit
bestand, dass die Vorinstanz zu einer in diesem Sinne günstigeren Entscheidung hätte
gelangen können, »beruht« die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel
(BVerwG, B. v. 10. 6. 1992 - BVerwG 9 B 176.91). Es sind also regelmäßig nähere
Ausführungen dazu geboten, welche tatsächlichen Feststellungen mit der Rüge angegriffen
werden und zu welchen konkreten Tatsachenfeststellungen das Verwaltungsgericht keine
Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt hat. Überdies ist darzulegen, was gegebenenfalls dazu
- bei Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - vorgetragen worden wäre und
inwiefern dieser Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet, also
entscheidungserheblich gewesen wäre, in welcher Weise der Beteiligte also bei der vom
Gericht gewählten prozessualen Verfahrensweise gehindert gewesen ist, sich mit bestimmten
- näher bezeichneten - tatsächlichen und rechtlichen Argumenten rechtliches Gehör zu
verschaffen (OVG NW, B. v. 20. 3. 1997 - 8 B 334/97).
Da aus Art. 103 Abs. 1 GG keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts folgt
(BVerfG, NJW 1991, 2823 (2824)), muss also der Rechtsmittelführer in der Vorinstanz
weitere Sachaufklärung zumindest substanziiert angeregt haben, um später mit der
Gehörsrüge die unterbliebene Sachaufklärung als Verfahrensmangel geltend machen zu
können. Im Unterschied dazu genügt nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Darlegung, dass und
aus welchen Gründen sich die Klärungsbedürftigkeit einer bestimmten Frage geradezu hätte
aufdrängen müssen (Höllein, ZAR 1989, 109 (113)).
gg)
Unzulässige Überraschungsentscheidung
Das Verbot einer unzulässigen Überraschungsentscheidung verbietet es, dass das Gericht
einen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erörterten rechtlichen oder
tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht, wenn es damit dem
Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verfahrensverlauf
nicht zu rechnen brauchten (BVerfGE 84, 188 (190); BVerfG (Kammer), InfAuslR 1992, 231
(234); BVerfG (Kammer), NJW 2002, 1334 = NVwZ 2002, 852 (LS); BayVerfGH, NJW
1992, 1094; BVerwG, NJW 1983, 770; BVerwG, NJW 1984, 140; BVerwG, NJW 1986, 445;
BFH, NVwZ-RR 2002, 239; Nieders.OVG, AuAS 1998, 125 (126) = NVwZ-Beil. 1997, 74
(LS); Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rdn. 284). Art: 103 Abs. 1 GG verlangt zwar
grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung
hinweist. Ihr ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts zu
36
entnehmen. Das setzt freilich voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von
ihm zu verlangenden Sorgfalt schon von sich aus erkennen kann, auf welche Gesichtspunkte
es für die Entscheidung ankommen kann (BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 69 (79) =
EZAR 630 Nr. 33 = AuAS 1995, 7 = NVwZ-Beil. 1995, 11; BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil.
1995, 66). Es kann dann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleichkommen, wenn
das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen
auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der
Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu
rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188 (190); BVerfG (Kammer), InfAuslR 1995, 69 (70);
BVerfG (Kammer), NVwZ 1995, 66).
Dagegen kann von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das
Gericht Schlussfolgerungen aus dem tatsächlichen Vorbringen zieht, die nicht den
Erwartungen eines Beteiligten entsprechen und von ihm für unrichtig gehalten werden.
Vielmehr ist das Gericht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs grundsätzlich nicht
verpflichtet, seine Schlussfolgerungen vorab mit den Beteiligten zu erörtern (BVerwG, B. v.
14. 11. 2007 – BVerwG 10 B 47.07).
Eine Gehörsverletzung in Gestalt der unzulässigen Überraschungsentscheidung kann auf einer
Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht beruhen. Bei Unstimmigkeiten und
Widersprüchen im klägerischen Sachvortrag besteht zwar grundsätzlich keine Verpflichtung
des Gerichts, von sich aus Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen (BVerwG, U.
v. 22. 4. 1986 - BVerwG 9 C 318.85; Thür.OVG, AuAS 1998, 190 (191); Nieders.OVG
AuAS 1997, 213 (214); Nieders.OVG, B. v. 18. 5. 2000 - 9 L 1171/00). Darüber hinaus ist
das Gericht auch grundsätzlich nicht gehalten, auf die Stellung eines Beweisantrages
hinzuwirken (BSG, NVwZ-RR 1998, 203). Lehnt das Verwaltungsgericht den Antrag auf
Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens mit der Begründung ab, dass ihm
bereits genügende Erkenntnismittel zu der Beweisfrage vorliegen, ist die Ablehnung des
Beweisantrags mit dieser Begründung prozessordnungsgemäß. Sie kann daher auch nicht
unter dem prozessualen Gesichtspunkt der unzulässigen Überraschungsentscheidung das
Gehör des Beteiligten verletzen (Hess. VGH, AuAS 1999, 21 (22)).
Eine das rechtliche Gehör der Beteiligten verletzende Überraschungsentscheidung ist jedoch
dann anzunehmen, wenn das Verwaltungsgericht einen Gesichtspunkt, zu dem bereits etwa
durch Zeugenvernehmung Beweis erhoben worden ist, nicht mehr für entscheidungserheblich
ansieht. In diesem Fall kann eine Gehörsverletzung nur durch einen ausdrücklichen Hinweis
des Verwaltungsgerichts, dass und warum es bei seiner Entscheidung entgegen der bisher
erkennbar gewordenen Auffassung auf diesen Punkt nicht einzugehen beabsichtigt, vermieden
werden (BVerwG, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 65). Wird andererseits ein Beteiligter schon
vor der mündlichen Verhandlung darauf aufmerksam gemacht, dass z.B. der bisher lediglich
schriftsätzlich gestellte Klageantrag nicht bedenkenfrei ist, ist er gehalten, diese Frage
zusammen mit dem Gericht in der mündlichen Verhandlung zu erörtern (BVerfG (Kammer),
NVwZ 1992, 259). Der gerichtlichen Fürsorgepflicht korrespondiert auch insoweit eine
Mitwirkungspflicht des Beteiligten (BVerfG (Kammer), NVwZ 1992, 259).
hh)
Beruhenserfordernis
Zwar wird die Gehörsrüge den absoluten Revisionsgründen zugeordnet, sodass anders als bei
der Verfahrensrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 5, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an sich keine
besonderen Ausführungen zum Beruhenserfordernis erforderlich sind. Die herrschende
Ansicht legt für den Asylprozess bei der Gehörsrüge jedoch die zu § 132 II Nr. 3 VwGO
37
entwickelten Darlegungsanforderungen zugrunde. Allerdings ist es in den Fällen, in denen
bereits mit der Bezeichnung der Gehörsverletzung dargelegt wird, dass durch die gerichtliche
Verfahrensweise das Sachvorbringen abgeschnitten worden ist, nicht möglich, hypothetische
Tatsachen vorzutragen, um die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung darzutun.
Daher ist anerkannt, dass für die Gehörsrüge allein die Bezeichnung des Gehörsverstoßes
ausreichen kann, wenn der Beteiligte sich zu dem Prozessstoff insgesamt, also dem
Gesamtergebnis des Verfahrens im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, nicht äußern
konnte, etwa weil das Gericht ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ohne dass die
Voraussetzungen dafür vorlagen, oder wenn zwar eine mündliche Verhandlung stattgefunden
hat, das Gericht die Teilnahme eines Beteiligten an ihr oder dessen Äußerung in ihr gänzlich
verhindert hat. Eine eingeschränkte Darlegungslast kann auch daraus folgern, dass dem
Beteiligten in rechtswidriger Weise auch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist die begehrte
Akteneinsicht nach § 100 VwGO verweigert worden ist (OVG NW, AuAS 2007, 45 (46)).
Beim abgelehnten Beweisantrag setzt die schlüssige Darlegung voraus, dass die Tatsachen
bezeichnet werden, aus denen sich ergibt, dass dieser in prozessordnungswidriger Weise nicht
behandelt worden ist. Das Gericht muss Beweisanträge nicht behandeln, wenn das
Beweisthema nicht hinreichend substanziiert wird. Mit der Bezeichnung der Tatsachen, die
zur Substanziierung des Beweisthemas vorgetragen worden sind, ist damit zugleich auch die
Basis für die erforderliche Hypothese dargelegt. In all diesen Fällen bedarf es zur
Geltendmachung des Gehörsverstoßes nicht der Darlegung etwaigen weiteren Vorbringens
bei ordnungsgemäßer Verfahrensweise des Gerichts. Denn der Verfahrensverstoß beruht ja
gerade auf der Nichtberücksichtigung entscheidungserheblichen Vorbringens (Hess.VGH,
EZAR 633 Nr. 22, S. 9; VGH BW, EZAR 610 Nr. 34). Wird eine in der mündlichen
Verhandlung prozessordnungswidrig begründete Ablehnung eines Beweisantrags in den
schriftlichen Entscheidungsgründen durch eine prozessordnungsgemäße Begründung ersetzt,
ist eine Gehörsrüge nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nur schlüssig erhoben, wenn
der Rechtsmittelführer darlegt, wie er sich auf die ihm erst durch das Urteil bekannt
gewordenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe erklärt hätte, wenn sein in der
mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag vorab mit der im Urteil gegebenen
Begründung abgelehnt worden wäre (OVG NW, AuAS 2002, 212 (213)). Bei einem
prozessordnungswidrig präkludierten Beweisantrag verlangt die Rechtsprechung, dass sich
die Gehörsrüge mit dem in den Entscheidungsgründen geltend gemachten Einwand der
Entscheidungsunerheblichkeit der Beweisfrage auseinandersetzt (Hess.VGH, AuAS 2005,
273 (275); s. aber Rdn. 382 ff.).
Eines Vortrags von Umständen und Tatsachen, die der Beteiligte bei
prozessordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, bedarf es nur
dann, wenn den Beteiligten während des Verfahrens überhaupt Gelegenheit gegeben worden
ist, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den für die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern
(Hess.VGH, AuAS 1997, 69 (71)). Hatte er hingegen wegen Nichtteilnahme an der
mündlichen Verhandlung überhaupt keine Möglichkeit, sich umfassend zur Sach- und
Rechtslage zu äußern, ist die Möglichkeit einer anderweitigen gerichtlichen Entscheidung
auch ohne entsprechenden Vortrag des Beteiligten in Betracht zu ziehen, wenn diesem
rechtliches Gehör gewährt worden wäre.
38
B.
Verfassungsbeschwerde
I.
Prozessstrategische Überlegungen zur Verfassungsbeschwerde
1.
Der Rechtsanwalt wird nach Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtsweges mit der
Einlegung der Verfassungsbeschwerde beauftragt
In diesem Fall ist im Rahmen der Begutachtung sehr sorgfältig zu prüfen ist, ob die
Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen (insbesondere Substanziierung der Grundrechtsrüge
dem Grunde nach im fachgerichtlichen Verfahren/Ausschöpfung aller rechtlichen und
sonstigen Rechtsbehelfe) sowie die entscheidungserheblichen Tatsachen als glaubhaft
gemacht gewertet wurden. Erst nach positiver Prüfung dieser Voraussetzungen kann die
Prüfung der materiellrechtlichen Voraussetzungen der Grundrechtsrüge geprüft werden. Hier
ist zu bedenken, dass im Blick auf materielle Fragen die Verfassungsbeschwerde
insbesondere im Asylrecht weitgehend durch das Verfahren der Vorabentscheidung nach Art.
267 Abs. 3 AEUV zurückgedrängt worden ist. Insoweit konnte auch bereits früher (§ 51 Abs.
1 AuslG 1990) eine Grundrechtsbeschwerde nur auf der extrem engen Grundlage des
Willkürverbotes eingelegt bzw. im Blick auf die Ausschaltung des EuGH die Rüge nach Art.
101 Abs. 1 Satz 2 GG erhoben werden. Das BVerfG hat bislang diese Frage allerdings nicht
problematisiert.
2.
Der Rechtsanwalt war bereits im fachgerichtlichen Verfahren mandatiert
In diesem Fall ist während des fachgerichtlichen Verfahrens darauf zu achten, dass dieses im
Hinblick auf die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde nach Maßgabe der unter Nr. I
bezeichneten Gesichtspunkte ordnungsgemäß betrieben wird.
3.
Gibt es rechtliche Alternativen zur Verfassungsbeschwerde?
Die Verfassungsbeschwerde ist nur in Ausnahmefällen das Mittel, um rechtgrundsätzliche
Fragen einer Klärung zuführen zu lassen (Grundsatzannahme nach § 93a BVerfGG). Im
Asylrecht kann angesichts der Dichte der revisionsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen
Entscheidungen zum materiellen Asylrecht von der Einlegung der Verfassungsbeschwerde
nur abgeraten werden, es sei denn, es soll eine Gehörsverletzung (Durchsetzungsannahme
nach § 93a BVerfGG) gerügt werden.
Im Ausländerrecht ist die Ausgangslage allerdings anders. Aber auch hier sind in den letzten
Jahren insbesondere zu Art. 6 GG eine Reihe von verfassungsgerichtlichen Klärungen erfolgt.
Insbesondere der ausweisungsrechtliche Schutz der Angehörigen der Zweiten Generation ist
noch immer nicht ausreichend verfassungsrechtlich abgesichert, sofern nicht Art. 7 Satz 1
ARB 1/80 oder die Daueraufenthaltsrichtlinie den ausweisungsrechtlichen Schutz verstärkt.
Für die Durchsetzungsannahme kann angesichts der zunehmend strenger gehandhabten
Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen vor der vorschnellen Einlegung der
Verfassungsbeschwerde nur gewarnt werden. Im Grundsatz gilt, nie ohne Not den Weg der
Verfassungsbeschwerde wählen. Stets ist vor der auf die Durchsetzungsannahme gerichteten
39
Verfassungsbeschwerde zu prüfen, ob es im Hinblick auf das angestrebte Bleiberecht
aufenthaltsrechtliche Alternativen zur Verfassungsbeschwerde gibt, wie z.B.
-
-
-
-
Verfahren der Härtfallkommission (§ 23a AufenthG).
Petition beim Landtag (wegen aufenthaltsrechtlicher Lösung) und/oder beim
Bundestag (wegen asylverfahrensrechtlicher Lösung).
Härtefallkommission und Petition beim Landtag schließen sich allerdings
gegenseitig aus. Wenn nicht wie etwa in Hessen der Weg zur HFK über die
Petition läuft, ist stets die Einschaltung der HFK in geeigneter Weise (kein
Antragsrecht!) zu empfehlen.
Antrag auf Duldung wegen tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit der
Abschiebung (§ 60a Abs. 2 und 4 AufenthG)). Insbesondere dann, wenn es um
die familiäre Gemeinschaft zwischen nichtsorgeberechtigtem Vater und seinem
Kind geht, ist dies der geeignete Weg zur Streitschlichtung.
Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (muss gegebenenfalls
ohnehin als Zulässigkeitsvorausaussetzung der Verfassungsbeschwerde
eingereicht werden).
Wiederaufgreifensantrag nach § 51 Abs. 5 VwVfG beim Bundesamt für
Migration
und
Flüchtlinge
(insbesondere
bei
medizinischen
Abschiebungshindernissen).
Mit dem Mandanten muss allerdings ausführlich der zur Verfassungsbeschwerde alternative
Weg erörtert werden. Nach Fristablauf ist die Option der Verfassungsbeschwerde entfallen.
Durch Aktenvermerke und Bestätigungsschreiben an den Mandanten sollte der Rechtsanwalt
sich insoweit gegenüber späteren Regressansprüchen absichern.
4.
Soll im Anschluss an die Verfassungsbeschwerde eine Menschenrechtsbeschwerde an
den EGMR (Art. 34 EMRK) eingereicht werden?
Zulässigkeitsvoraussetzung der Menschenrechtsbeschwerde ist die vollständige
Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges. Dazu gehört für die Vertragsstaaten, in
denen das System der Verfassungsbeschwerde besteht, auch die Einlegung der
Verfassungsbeschwerde. Dies hat der EGMR u.a. für Deutschland (Nr. 38365/97, 17. Okt.
2002 – Thieme v. Germany) entschieden. Die Rechtsprechung des EGMR verlangt, dass die
Rügen der Sache nach und in Übereinstimmung mit den förmlichen Voraussetzungen sowie
auch den Fristbestimmungen im innerstaatlichen Verfahren geltend gemacht und sämtliche
verfahrensrechtlichen innerstaatlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden (EGMR, Series A
Nr. 2000, S. 18, § 34 – Cardot v. France = HRLJ 1991, 158; EGMR, HRLJ 1997, 203 (209) –
Akvidar et. al. v. Turkey).
Wird mithin die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen, kann dies dazu führen,
dass der EGMR die Beschwerde ebenfalls als unzulässig zurückweist, weil das innerstaatliche
Verfahren nicht sachgerecht geführt wurde. Allerdings prüft der EGMR in Fällen, in denen
die Verfassungsbeschwerde nicht verfristet, aber aus anderen Gründen als unzulässig zurück
gewiesen wurde, sorgfältig, ob der Sache nach die Beschwerde beim BVerfG wie auch beim
EGMR genügend substanziiert war bzw. ist.
Der Sache nach müssen die die Beschwerde nach Art. 34 EMRK stützenden Rügen innerhalb
des innerstaatlichen Verfahrens geltend gemacht worden sein. Wer erst nach Zurückweisung
40
der Verfassungsbeschwerde die Menschenrechtsbeschwerde auf bislang nicht vorgebrachte
Tatsachen und Umstände stützt, wird deshalb auch beim EGMR scheitern. Der
Beschwerdeführer muss im innerstaatlichen Verfahren nicht die Konventionsnormen
bezeichnet haben, wohl aber die tatsächlichen Gründe, die den gerügten Verletzungen
zugrunde liegen. In diesem Fall muss der Beschwerdeführer darlegen, dass das im
innerstaatlichen Verfahren gerügte Recht mit dem Konventionsrecht in etwa identisch ist
(EKMR, DR 9, 175 (179) – Krzycki v. Germany). Wenn Sachverhalte nach Art. 6 Abs. 1 und
2 GG oder Art. 1 Abs. 1 in Verb. mit Art. 2 Abs. 2 GG im innerstaatlichen Verfahren gerügt
wurden, kann mithin im Beschwerdeverfahren die Rüge auf Art. 8 oder Art. 3 EMRK gestützt
werden.
Der EGMR überprüft grundsätzlich nicht die Tatsachenermittlungen der innerstaatlichen
Instanzen, es sei denn, es liegt Willkür vor. Der EGMR hat wiederholt darauf hingewiesen,
dass er seine eigenen Feststellungen nicht an die Stelle der Tatsachenermittlungen der
innerstaatlichen Instanzen setzt (EGMR, Series A Nr. 269, §§ 29 – Klaas; EGMR, 26. 10.
2000, Nr. 61479/00 – Damla), sodass in Fällen unglaubhaften Tatsachenvortrags die
Menschenrechtsbeschwerde scheitert.
I.
Zulässigkeitsprobleme
1.
Beschwerdebefugnis
S. hierzu BVerfGE 35, 382 (397); 53, 30 (53 f.); 59, 63 (83 f.); 76, (40); Lechner/Zuck,
BVerfGG. Kommentar, § 90 Rdn. 64 ff., 120 ff.
Der Beschwerdeführer muss darlegen, dass er selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen
ist (Betroffenheitstrias). Aus Maßnahmen gegen einen Familienangehörigen kann eine
selbständige Beschwer folgen (BVerfG (Kammer), InfAuslR 2002, 171 (172); BVerfG
(Kammer), InfAuslR 2006, 320: das nichtssorgeberechtigte Kind wird durch
aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Vater in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1
und 2 GG betroffen; s. hierzu auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur
Klagebefugnis/Antragsbefugnis des Ehegatten sowie die Kinder (Marx, Aufenthalts-, Asylund Flüchtlingsrecht, 4. Aufl., 2011, S. 906 ff.). Allerdings müssen im Blick auf jeden
Angehörigen
die
Zulässigkeitsvoraussetzungen
(insbesondere
Verfristung
der
Verfassungsbeschwerde) dargelegt werden.
2.
Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG)
Zweck der Rechtswegerschöpfung ist die Entlastung des BVerfG. In diesem Zusammenhang
hat das BVerfG in E 94, 166 (214) grundsätzlich Ausführungen zum Verhältnis zwischen
Verfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit gemacht und wohl zu seiner Entlastung den
Verwaltungsgerichten jedenfalls für den Bereich des Asylrechts die vorrangige Aufgabe des
Grundrechtsschutzes zugewiesen.
a)
Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG
Nicht erschöpft ist der Rechtsweg, wenn der Beschwerdeführer sich nicht fristgerecht oder in
der gebotenen Form darum bemüht hat, mittels der je gegebenen Rechtsbehelfe schon im
fachgerichtlichen Verfahren die Beseitigung des Hoheitsaktes zu erreichen, dessen
41
Grundrechtswidrigkeit er geltend macht. Die Verfassungsbeschwerde ist deshalb unzulässig,
wenn im fachgerichtlichen Verfahren
-
ein Rechtsmittel als unzulässig verworfen wurde und dies auf prozessualer
Nachlässigkeit des Beschwerdeführers beruht (BVerfGE 16, 124 (127) oder
-
wenn ein statthaftes Rechtsmittel deshalb nicht genutzt wurde, weil seine
Erfolgsaussichten ungewiss sind (BVerfGE 16, 1 (2); 51, 386 (395 f.); 52, 380 (387),
es sei denn, die Erschöpfung des Rechtsweges war unzumutbar (BVerfGE 9, 7 (7 f.);
10, 308 (308 f.) – heute wohl kaum noch relevant; s. hierzu Hänlein, AnwBl. 1995,
60).
Es sind danach alle ordentlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen, so z. B. der
berufungsgerichtliche Zulassungsantrag (BVerfG (Kammer), InfAuslR 1994, 18), die
Berufung, die revisionsrechtliche Nichtzulassungsbeschwerde, die Revision und
gegebenenfalls nach Zurückverweisung erneut Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde
einschließlich Revision.
Auch gegen Entscheidungen im Eilrechtsschutzverfahren kann Verfassungsbeschwerde
erhoben werden (s. hierzu BVerfG (Kammer), InfAuslR 2006, 122 (123): Bereits die
Versagung des Eilrechtsschutzes hat die Möglichkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers
und damit die Vereitelung des von ihm beanspruchten Rechts auf ein ununterbrochenes
familiäres Zusammenleben mit seinem Kind zur Folge (Dem Sachverhalt kann nicht
entnommen werden, ob Antrag nach § 32 BVerfGG gestellt wurde). Der Beschwerdeführer
greift die Versagung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung und damit eine spezifische
Besonderheit des vorläufigen Rechtsschutzes an. Gerade hierin liegen die gerügten
grundrechtsrelevanten Nachteile. Der Grundrechtsverstoß liegt hier in der Verletzung der
verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die nach § 80 Abs. 1
VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und
Klage ist eine adäquate Ausprägung dieser Garantie (BVerfG (Kammer), B. v. 29. März 2007
– 2 BvR 1977/06). Die Verletzung des Gebots der Rechtswegerschöpfung kann nachträglich
geheilt werden. So wird die fristgerecht und in prozessual zulässiger Weise gegen das
Berufungsurteil
gerichtete
Verfassungsbeschwerde
mit
Zurückweisung
der
Nichtzulassungsbeschwerde nachträglich zulässig, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig
und in zulässiger Weise das revisionsrechtliche Beschwerdeverfahren erfolglos betrieben hat
BVerfGE 54, 53 (66)).
b)
Anhörungsrüge (§ 152a VwGO)
Wird die Gehörsrüge nach Art. 103 Abs. 1 GG erhoben, muss der Beschwerdeführer darlegen,
dass er im fachgerichtlichen Verfahren die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO erhoben hat
(s. hierzu Schenke, NVwZ 2005, 729; Zuck, NVwZ 2005, 739; Heinrichsmeier, NVwZ 2010,
229). Zum Umgang mit der Anhörungsrüge in Beziehung zur Verfassungsbeschwerde gelten
folgende Grundsätze:
-
-
Gegenvorstellung und außerordentliche Beschwerde (s. hierzu BVerfGE 63, 77
(79); 73, 322 (326 f.) werden durch die Anhörungsrüge ersetzt. Ein unter den
früheren Bezeichnungen erhobener außerordentlicher Rechtsbehelf ist in eine
Anhörungsrüge umzudeuten.
Gegenstand der Anhörungsrüge sind Gehörsverletzungen. Bei der Verletzung
anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften (z.B. § 86 Abs. 1, § 104 Abs. 1, §
42
-
-
-
-
c)
108 Abs. 2 VwGO) muss bedacht werden, dass in diesen regelmäßig eine
Gehörsverletzung enthalten sein kann, so dass im Zweifel die Anhörungsrüge
zu erheben ist. Das BVerfG prüft nämlich, ob dem Vorbringen eine
Gehörsverletzung zu entnehmen ist (BVerfG (Kammer), InfAuslR 2011, 287
(288)).
Auf die Verletzung materiellrechtlicher Vorschriften bezieht sich die
Anhörungsrüge nicht (unklar Zuck, NVwZ 2005, 739 (743)). Diese sind
innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG beim BVerfG
geltend zu machen. Die Kammern verwerfen nicht nur die Gehörsrüge, sondern
auch die anderen innerhalb der Monatsfrist geltend gemachten
Grundrechtsrügen als unzulässig, wenn die Anhörungsrüge nicht erhoben
wurde.
Dringend ist anzuraten neben der Anhörungsrüge beim Fachgericht
(Zweiwochenfrist) zugleich auch die verfassungsrechtliche Gehörsrüge
zusammen mit den anderen Grundrechtsrügen (Monatsfrist) beim BVerfG zu
erheben (Doppelverfahren) und dieses auf die zugleich geltend gemachte
Anhörungsrüge hinzuweisen. Die Verfassungsbeschwerde erhält dann zunächst
nur eine AR-Nummer.
Nach
Zustellung
des
zurückweisenden
Beschlusses
im
Anhörungsrügeverfahren ist das BVerfG hierüber zu informieren, damit die
Verfassungsbeschwerde nunmehr bearbeitet werden kann. Gegen den
Beschluss kann innerhalb der Monatsfrist die Gehörsrüge nach Art. 103 Abs. 1
GG erhoben werden, wenn dieser seinerseits diese Norm verletzt (BVerwG,
NVwZ 2009, 329, zum fachgerichtlichen Prüfungsumfang im
Anhörungsrügeverfahren).
Das BVerfG hält die Heilung eines Gehörsverstoßes durch ergänzende
Erwägungen in einer die Anhörungsrüge als unbegründet zurückweisenden
Entscheidung jedenfalls dann für statthaft, wenn das Fachgericht dem
Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen zum Beteiligtenvorbringen in
der Anhörungsrüge abhelfen kann (BVerfG (Kammer), NVwZ 2009, 580
(581), mit Hinweisen auf Kammerrechtspr.). In diesem Fall wird die
Gehörsrüge als unbegründet zurückgewiesen. Die anderen Grundrechtsrügen
sind hiervon nicht betroffen.
Abänderungsantrag (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO)
Nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG ist als Ausfluss der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde stets der
Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen, wenn die entsprechenden
prozessualen Voraussetzungen erfüllt sind (BVerfGE 70, 180; BVerfG (Kammer), InfAuslR
2003, 244; BVerfG (Kammer), NVwZ 1998, 1174; BVerfG (Kammer), NVwZ 1998, 272
(273); Roeser/Hänlein, NVwZ 1995, 1082). Einerseits hat der Beschwerdeführer als
Zulässigkeitsvoraussetzung den Abänderungsantrag zu stellen, andererseits erhält nicht jeder
mit dem Abänderungsantrag geltend gemachte Verstoß die Frist nach § 93 Abs. 1 Satz 1
BVerfGG:
Die Verfassungsbeschwerdefrist wird durch die Einlegung eines nicht offensichtlich
unzulässigen Rechtsbehelfs dergestalt offen gehalten, dass mit der den Rechtsbehelf
zurückweisenden Entscheidung zugleich die Ausgangsentscheidung fristgerecht angegriffen
43
werden kann (BVerfG (Kammer), InfAuslR 2003, 244 (247); s. auch BVerfG (Kammer),
InfAuslR 1994, 159).
Gebot des Doppelverfahrens: Ob die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO erfüllt
sind, der Abänderungsantrag mithin nicht offensichtlich unzulässig ist, kann naturgemäß nicht
prognostiziert werden. Es empfiehlt sich deshalb in Zweifelsfällen die Stellung des
Abänderungsantrags und die gleichzeitige Einreichung der Verfassungsbeschwerde. Zugleich
sollte das BVerfG auf den zugleich gestellten Abänderungsantrag hingewiesen werden. In
diesem Fall wird die Verfassungsbeschwerde zunächst nur unter einer AR-Nummer registriert
und erst nach Mitteilung des den Abänderungsantrag zurückweisenden Beschlusses unter der
für Verfassungsbeschwerdeverfahren üblichen BvR-Nr. registriert. Stets, auch wenn nicht das
Doppelverfahren gewählt wird, sind mit der Verfassungsbeschwerde die Erstentscheidung wie
auch die Abänderungsentscheidung anzugreifen.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann das Abänderungsverfahren Verletzungen des
Anspruchs auf rechtliches Gehör korrigieren, wobei dieses Verfahren dann zugleich
Gelegenheit bietet, auch andere mutmaßliche verfassungsrechtliche Mängel zu beseitigen, die
mit dem geltend gemachten Gehörsverstoß nicht notwendig im Zusammenhang stehen. Nur
wenn der Abänderungsantrag in diesem Sinne genutzt wird, hält er die
Verfassungsbeschwerdefrist offen. Werden hingegen im Änderungsantrag neue oder bisher
nicht vorgebrachte Umstände geltend gemacht, so handelt es nicht um einen Rechtsbehelf
gegen die Erstentscheidung (BVerfG (Kammer), NVwZ 1998, 1174).
Diese Rechtsprechung ist dahin zu verstehen, dass für neue oder unverschuldet bisher nicht
vorgebrachte Umstände der Weg über § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu wählen ist und bei
drohender Abschiebung gegen den zurückweisenden Beschluss des letztinstanzlichen
Verwaltungsgerichts die Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann (vgl. BVerfG
(Kammer), InfAuslR 2006, 122 (123)). Bei verschuldet nicht vorgebrachten Umständen
scheitert die Verfassungsbeschwerde am Einwand der fehlenden Rechtswegerschöpfung.
3
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
S. hierzu Lechner/Zuck, BVerfGG. Kommentar, § 90 Rdn. 159 ff.; Hänlein, Anwaltsblatt
1995, 60; van den Hövel, NVwZ 1993, 549; BVerfG (Kammer), NJW 1993, 1060
Die wichtigste Ausformung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist
die prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzung der Rechtswegerschöpfung. Er umfasst aber
weitere Voraussetzungen.
Danach muss der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren alle prozessualen
Möglichkeiten nutzen, um eine Korrektur der Grundrechtsverletzung in der
Fachgerichtsbarkeit zu erwirken oder von vornherein zu verhindern. Hierunter fallen
insbesondere die Fälle des Rügeverlustes wie auch der Präklusion.
Dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung ist nicht genügt, wenn ein Verfassungsverstoß
im fachgerichtlichen Verfahren zwar gerügt wurde, jedoch deshalb nicht geprüft werden
konnte, weil die Rüge prozessual präkludiert (vgl. § 87 b Abs. 3 VwGO) war (BVerfGE 54,
53 (56)). Der Beschwerdeführer muss im Verfahren seine prozessualen Verfahrensrechte
nutzen, hier im strafprozessualen Revisionsverfahren die Aufklärungsrüge erheben (BVerfGE
110, 1 (12)).
44
Ob auch der unterlassene Beweisantrag im Asylprozess zu den gebotenen prozessualen
Verfahrensrechten gehört, kann angesichts der Vielzahl und Dichte von Erkenntnismitteln
jedenfalls für den Sachverständigenbeweis nicht pauschal eingewandt werden. Als Grundsatz
wird man insoweit festhalten müssen, dass das BVerfG vom Beschwerdeführer in gefestigter
Rechtsprechung verlangt, Mängel in ordnungsgemäßer Form zu rügen (z.B. BVerfGE 107,
257 (267)), sodass die Verfassungsbeschwerde erfolglos bleibt, wenn ein an sich gegebenes
Rechtsmittel aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt.
Daraus wird man folgern können, dass der unterlassene Beweisantrag in der jeweiligen
Tatsacheninstanz nicht zu den prozessualen Pflichten des Beschwerdeführers gehört, wenn
sich ihm dessen Geltendmachung nicht offensichtlich aufdrängen musste. Der prozessuale
Zusammenhang zwischen der Aufklärungsrüge und der Gehörsrüge ist eng. Andererseits lehnt
die obergerichtliche Rechtsprechung die Zulässigkeit der Aufklärungsrüge für den
Asylprozess ab. Nur in sehr eindeutigen Fällen wird man daher im unterlassenen
Beweisantrag in Verbindung mit der unterlassenen zulassungsrechtlichen Gehörsrüge einen
prozessualen Einwand gegen die Verfassungsbeschwerde erkennen können. Scheitert der
Zulassungsantrag im Ausländer- oder im Asylrecht aber an allgemeinen prozessualen
Einwänden wirkt sich dies negativ auf die Verfassungsbeschwerde aus.
Für das gerichtliche Verfahren bedeutet der Subsidiaritätsgrundsatz, dass der
Beschwerdeführer seine prozessualen Möglichkeiten innerhalb des fachgerichtlichen
Verfahrens zu nutzen. Dies bedeutet im Einzelnen (vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG.
Kommentar, § 90 Rdn. 161 ff.):
o Der Beschwerdeführer muss im Verfahren den erforderlichen
Tatsachenvortrag halten (s. oben).
o Der Beschwerdeführer muss im Verfahren einfach-rechtlich erschöpfend
zur Rechtslage vortragen (Rechtsvortrag). Er muss bereits im
fachgerichtlichen Verfahren Angriffe gegen den beanstandeten Hoheitsakt
so deutlich vortragen, dass deren Prüfung in diesem Verfahren
gewährleistet ist. Dazu gehört, dass er sich auch mit der Begründung
auseinandersetzt, auf die sich die angegriffene Maßnahme stützt (BVerfGE
73, 174 (190)).
o Umstritten war, ob der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren
auch materielle Grundrechtsargumente bei der Beurteilung der einfachrechtlichen Rechtslage vorbringen muss (krit. hierzu Lechner/Zuck,
BVerfGG. Kommentar, § 90 Rdn. 162 mit zahlreichen Hinweisen). Das
BVerfG hatte früher gefordert, dass der Beschwerdeführer im
fachgerichtlichen Verfahren zwar nicht das in Rede stehende Grundrecht
rügen muss. Er habe jedoch einen Sachverhalt darzulegen und
verfassungsrechtlich zu beanstanden, aus dem sich die Grundrechtsrelevanz
ohne weiteres ergibt (BVerfGE 59, 985 (101)).
o Das BVerfG hat diesen Streit inzwischen geklärt. Danach muss der
Beschwerdeführer bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht
darlegen, dass er von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an
verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vorgetragen hat.
Vielmehr kann er sich im fachgerichtlichen Verfahren darauf beschränken,
auf eine ihm günstige Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts
hinzuwirken, ohne dass ihm daraus prozessuale Nachteile im
45
Verfassungsbeschwerdeverfahren erwachsen. Er ist durch das Gebot der
Rechtswegerschöpfung nicht verpflichtet, bereits das fachgerichtliche
Verfahren als „Verfassungsprozess“ zu führen (BVerfGE 112, 50 (61); s.
auch Lübbe-Wolff, AnwBl. 2005, 509 (514 f.)).
o Wird mit der Verfassungsbeschwerde die fachgerichtliche Verletzung von
Verfassungsrecht bei der Auslegung des einfachen Rechts und Handhabung
der Subsumtionsvorgänge gerügt, bedarf es allerdings einer erhöhten
prozessualen Darlegung, warum bei der Auslegung und Anwendung des
einfachen Rechts spezifisches Verfassungsrecht verletzt wurde. Dies ist
nämlich nur der Fall, wenn der Auslegungsfehler auf einer grundsätzlich
unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts,
insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht und auch in seiner
materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht
ist (BVerfGE 18, 85 (93), krit. hierzu Weyreuther, DVBl. 1997, 925 (929)).
Insbesondere bei asylrechtlichen Verfassungsbeschwerden misst das
BVerfG die tatrichterlichen Feststellungen anhand des den Fachgerichten
überlassenen „Wertungsrahmens“ (BVerfGE 76, 143 (162)). Dies wird von
Vertretern der Fachgerichtsbarkeit als unzulässiger Eingriff in deren
Zuständigkeitsbereich heftig kritisiert.
4.
Formerfordernisse
Der Beschwerdeführer muss sämtliche Behördenbescheide und gerichtlichen Entscheidungen,
soweit sie ihn belasten, innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bezeichnen und
diese Entscheidungen dem Schriftsatz beilegen.
Wichtig: Die Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig verworfen, wenn eine der den
Beschwerdeführer belastenden Entscheidungen in Kopie nicht innerhalb der Monatsfrist
vorgelegt wird. Ratsam ist auch alle sonstigen Unterlagen, wie etwa Bescheide, Urteile aus
anderen Verfahren und Erkenntnismittel, innerhalb der Monatsfrist vorzulegen, soweit unter
Hinweis hierauf die Verfassungsbeschwerde begründet wird.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend
substanziiert, wenn die angefochtenen Entscheidungen nicht entweder selbst vorgelegt oder
ihr wesentlicher Inhalt mitgeteilt wird. Ihre teilweise Wiedergabe etwa in einem Beschluss
des Revisionsgerichtes und in der fristgerecht eingereichten Revisionsbegründungsschrift
reicht nicht aus (BVerfGE 88, 40 (44 f.)). Zwar kann hiernach auch an Stelle der Vorlage der
wesentliche Inhalt der angegriffenen Entscheidung mitgeteilt werden. Vor einem derartigen
Verfahren ist angesichts der zunehmend strenger gehandhabten Substanziierungspflichten
jedoch deutlich zu warnen. Es ist unabdingbar, stets eine Kopie der angefochtenen
Entscheidungen innerhalb der Monatsfrist vorzulegen.
Weitere im Verfahren ergangene Entscheidungen sowie sonstige Unterlagen, die zur Stützung
der Argumentation in der Verfassungsbeschwerde bezeichnet werden, sind ebenfalls
innerhalb der Monatsfrist vorzulegen. Werden sie nicht vorgelegt, kann die
Verfassungsbeschwerde am Einwand der mangelnden Substanziierung scheitern, weil die
Behauptungen nicht belegt sind. Früher ließ das BVerfG im Allgemeinen zusätzlichen
Vortrag nach Fristablauf zu, aber nicht, um eine unschlüssige Verfassungsbeschwerde
nachträglich schlüssig zu machen (Zuck, NJW 1993, 2641 (2642).
46
Das BVerfG zieht keine Akten der Fachgerichte bei, sondern entscheidet allein auf der
Grundlage des ihm vorgetragenen Sachverhalts. Daher ist der Beschwerdeführer gehalten,
sämtliche Unterlagen aus dem fachgerichtlichen Verfahren, die in diesem von
entscheidungserheblicher Bedeutung waren und deren Kenntnis und Berücksichtigung für die
Bewertung der Grundrechtsverletzung wesentlich ist, innerhalb der Monatsfrist vorzulegen.
II.
Begründetheitsprobleme
S. hierzu Zuck, NJW 1993, 2641; Hänlein, AnwBl. 1995, 116
1.
Begründungspflicht des Beschwerdeführers
Eine Verfassungsbeschwerde ist nur dann hinreichend begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92
BVerfGG), wenn sie sich mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen
Sachverhalts auseinandersetzt und substanziiert darlegt, dass eine Grundrechtsverletzung
möglich erscheint. Bei Urteilsverfassungsbeschwerden verlangt dies in der Regel eine ins
Einzelne gehende, argumentative Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung (BVerfG (Kammer), NVwZ 1998, 949; BVerfG (Kammer), NJW 2000, 3557;
BVerfG (Kammer), NVwZ 2010, 441);
Musterantrag:
Es wird unter Vorlage einer besonderen Vollmacht beantragt,
festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch die bezeichneten Entscheidungen in
seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 in Verb. mit Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 und Art.
6 Abs. 1 und 2 GG verletzt wird.
Nimmt das BVerfG die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt,
entspricht es im Beschlusstenor diesem Feststellungsantrag und hebt zugleich die
letztinstanzliche Entscheidung des fachgerichtlichen Verfahrens auf und verweist die Sache
an diese Instanz zurück.
In der Begründung sehr ausführlich darlegen, inwiefern der in Rede stehende Hoheitsakt das
entsprechende Grundrecht verletzt (materielle Auseinandersetzung mit den angefochtenen
Entscheidungen)
2.
Annahmeverfahren
Zum Annahmeverfahren (§ 93a Abs. 1 BVerfGG s. BVerfGE 90, 22 (24 f.); BVerfG,
InfAuslR 2007, 162; Hänlein, AnwBl. 1995, 116 (118); Klein, NJW 1993, 2073.
Bei der Abfassung der Begründung der Verfassungsbeschwerde sollten stets die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG als Maßstab für die Begründung der
Grundrechtsrügen insgesamt bedacht und diese hierauf abgestellt werden. Ein eigenständiger
Abschnitt in der Begründung; in dem gesondert die Annahmevoraussetzungen abgehandelt
werden, empfiehlt sich grundsätzlich nicht. Das Gericht überprüft ohnehin die gesamte
47
Begründung am Maßstab des § 93a Abs. 2 BVerfGG. Bei einer mehr als zehn Seiten
umfassenden Begründung sollte allerdings zu Beginn oder am Schluss eine
Zusammenfassung der Begründung erfolgen. Diese kann mit den entsprechenden
Annahmevoraussetzungen (z.B. „Die Verfassungsbeschwerde bedarf zur Durchsetzung der
verletzten Grundrechte sowie auch zur Abwehr eines besonders schweren Nachteils zu Lasten
des Beschwerdeführer der Annahme zur Entscheidung, weil …. ( anschließend folgt die
Zusammenfassung)“). Bei einer längeren Begründung sollte eine Gliederungsübersicht
vorangestellt
werden.
Schwerpunkt
der
Verfassungsbeschwerden
bildet
die
Durchsetzungsannahme im Sinne von § 93a Abs. 2b BVerfGG.
3.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde
Die gerügte Grundrechtsverletzung muss sorgfältig begründet werden. Dazu ist zunächst das
verletzte Recht zu bezeichnen. Anschließend sind unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zum Inhalt und zur Reichweite sowie zu den Grenzen
des Rechts, dessen Verletzung behauptet wird, die Tatsachen und Umstände zu bezeichnen,
die eine Verletzung des Rechts begründen.
a)
Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte
Zu Art. 6 Abs. 1 und 2 GG (BVerfG (Kammer), InfAuslR 2002, 172; BVerfG (Kammer),
InfAuslR 2004, 280; BVerfG (Kammer), InfAuslR 2002, 172; BVerfG (Kammer), NVwZ
2007, 1300 (1301) = InfAuslR 2007, 443; BVerfG (Kammer), NVwZ 2007, 946 (948) =
InfAuslR 2007, 275)
b)
Rechte nach der EMRK
Zwar kann die Verletzung von Konventionsnormen nicht mit der Verfassungsbeschwerde
geltend gemacht werden (BVerfGE 10, 271 (274); 34, 384 (395); 41, 88 (105 f.); 41126
(149); 64, 135 (157); 74, 102 (128)). Das BVerfG zieht bei der Auslegung des Grundgesetzes
jedoch auch Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK in Betracht, sofern dies nicht zu einer
Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt. Dies bedeutet, dass die
Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und
Reichweite von Grundrechtsnormen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des GG dient
(BVerfGE 74, 358 (370); bekräftigt BVerfG (Kammer), InfAuslR 2004, 280 (281), zur
Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK für das deutsche
Ausweisungsrecht BVerfG (Kammer), InfAuslR 2001, 116, BVerfG (Kammer), InfAuslR
2004, 280, BVerfG (Kammer), NVwZ 2007, 1300 (1301) = InfAuslR 2007, 443; BVerfG
(Kammer), NVwZ 2007, 946 (948) = InfAuslR 2007, 275).
c)
Europarecht
Das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht ist weitgehend vergemeinschaftet worden. Die
Richtlinienumsetzungsgesetze 2007 und 2011 belegen dies. Während Unionsrecht bis dahin
nur bei Unionsbürgern und diesen gleichgestellten Personen sowie bei türkischen
Assoziationsberechtigten eine spezifische Bedeutung erlangen konnte, hat sich dies seit
einigen Jahren geändert Dies gilt in Besonderheit für das Asylrecht, die Rechtsstellung von
48
langfristig Aufenthaltsberechtigten und deren Erlöschen sowie die Unterwerfung des
entsprechenden Ausweisungsschutzes unter das starre deutsche System (vgl. § 56 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1a AufenthG, s. hierzu EuGH, InfAuslR 2012, 43 Ziebell), das schwerwiegende
unionsrechtliche
Bedenken
aufwirft.
Darüber
hinaus
wird
durch
die
Familienzusammenführungsrichtlinie die Familienzusamenführung unionsrechtlichen
Grundsätzen unterworfen. Für Flüchtlinge ist von Bedeutung, dass deren Asylgesuch nach
Maßgabe der Richtlinie 2004/83/EG, ab Dezember 2013 in Gestalt der Änderungsrichtlinie
2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zu behandeln ist.
Stets ist allerdings sorgfältig zu prüfen, ob der zur Prüfung gestellte Sachverhalt überhaupt
nach Unionsrecht geregelt wird. Nicht alle im Zusammenhang mit der familiären
Gemeinschaft stehenden Fragen werden durch die entsprechende Richtlinie behandelt (z.B.
Aufenthaltsrecht oder Duldungsanspruch des nichtsorgeberechtigten Vaters, Nachzug von
deutsch-verheirateten Ehegatten). Die Qualifikationsrichtlinie regelt allerdings abschließend
alle mit den flüchtlingsrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen zusammenhängenden
Fragen, nicht jedoch die Asylanerkennung (diese ist allerdings seit BVerfGE 94, 166 (1995)
für die Verfassungsbeschwerde kaum noch von Bedeutung)
Unzulässig ist im Verfahren der Verfassungsbeschwerde die Rüge der Verletzung des
Europarechts. Unionsrechtlich begründete Rechte gehören nicht zu den Grundrechten oder
grundrechtsgleichen Rechten. Für die Verletzung des Anwendungsvorrangs ist das BVerfG
nicht zuständig (BVerfG, NJW 2006, 1261 – Oddset).
Sekundäres Unionsrecht (Verordnungen, Richtlinien) wird grundsätzlich nicht am Maßstab
der Grundrechte geprüft, solange die Union insbesondere die Rechtsprechung des EuGH
einen wirksamen Grundrechtsschutz gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften
generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen
Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (BVerwG, NVwZ 2005, 1178
(1181), unter Bezugnahme auf die Solange-Rechtsprechung des BVerfG; s. auch BVerfGE
102, 128).
Soweit Richtlinien den Grundrechtsstandard des Unionsrechts verletzen sollten, gewährt der
EuGH Grundrechtsschutz entweder unmittelbar nach Maßgabe des Art. 173 Abs. 2 EGV oder
im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV (BVerfG (Kammer), NVwZ 1993,
883; zum Grundrechtsschutz durch den EuGH und zur Vorlagepflicht App, DZWIR 2002,
232; Rossi, in: Callies/Ruffert, EUV-EGV, Kommentar, 3. Aufl., Art 658 EGV Rdn. 3 ff.;
Oster, JA 2007, 96
Für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde ergeben sich hieraus nachfolgende
Folgerungen:
-
Eine Verletzung einfachgesetzlicher Umsetzungsnormen (z.B. § 60 Abs. 1 AufenthG
in Verb. mit Art. 4 bis 10 RL 2004/83/EG) kann als solche nur nach Maßgabe des
Willkürverbotes im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht werden (BVerfG
(Kammer), NVwZ 1993, 460: Die Anwendung des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 kann Art.
3 Abs. 1 GG verletzen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist ein Richterspruch erst dann
willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und
sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist
anhand objektiver Kriterien festzustellen. Willkür liegt erst vor, wenn die Rechtslage
krass verkannt wird. Hingegen kann von willkürlicher Missdeutung nicht gesprochen
werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und
49
seine Auffassung nicht jeglichen sachlichen Grundes entbehrt (BVerfGE 112, 216
(215 f.), mit Hinweisen). Nicht subjektive Willkür führt zu einem Verfassungsverstoß,
sondern die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit einer Maßnahme in
Verbindung zu der tatsächlichen Situation, deren sie Herr werden soll (BVerfGE 62,
189 (192); 80, 48 (51)). Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt zwar noch nicht
vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten.
Hinzukommen muss vielmehr, dass diese bei verständiger Würdigung der das
Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher
der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen (BVerfGE 4, 1
(7); 62, 189 (192)). Dies ist etwa der Fall, wenn der Inhalt einer Norm in krasser
Weise missdeutet wird (BVerfGE 87, 273 (279); s. auch BVerfG (Kammer), NVwZ
2012, 426 = InfAuslR 2012, 7, willkürliche Auslegung des § 6 Abs. 5 Satz 3
FreizügG/EU):
-
Eine unanfechtbare Klageabweisung kann den Weg zum EuGH als „gesetzlichem
Richter“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sperren und deshalb eine
Grundrechtsverletzung darstellen. Denn der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne
des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339 (366 f.); BVerfG (Kammer), NVwZ
2012, 426 (427) = InfAuslR 2012, 7). Zu den Voraussetzungen einer entsprechenden
Grundrechtsverletzung hat das BVerfG festgestellt:
1. Eine Vorlagepflicht kann nur bei dem Gericht eintreten, das letztinstanzlich
über die Zulassung des Rechtsmittels zu entscheiden hat BVerfG (Kammer),
NVwZ 2012, 426 (427) = InfAuslR 2012, 7). Das ist im
Berufungszulassungsverfahren
das
Berufungsgericht,
im
Revisionszulassungsverfahren das BVerwG. Dass sich nach erfolgter
Zulassung ein weiteres Rechtsmittel anschließt, ändert daran nichts. Wird das
Rechtsmittel nicht zugelassen, ist diese Entscheidung an den
verfassungsrechtlichen
Maßstäben
für
die
Vorlageverpflichtung
letztinstanzlicher Gerichte zu messen (BVerfG (Kammer), NVwZ 2012, 426
(427) = InfAuslR 2012, 7; BVerfG (Kammer), NJW 1994, 2017, mit Verweis
auf BVerfGE 82, 159 (192 ff.); BVerfG (Kammer), NJW 2001, 1267; BVerfG
(Kammer), NVwZ 2005, 572 (574); s. hierzu auch Kleine-Cosack,
Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, 2. Aufl., 2007, S.
20 ff.; zu den verfassungsgerichtlichen Maßstäben BVerfGE 82, 159 (194 ff.)
= NVwZ 1991, 53; BVerfGE 126, 286 (315 ff.) = NVwZ 2010, 3422; BVerfG
(Kammer), NJW 1994, 2017, mit Verweis auf BVerfGE 82, 159 (192 ff.);
BVerfG (Kammer), NJW 2001, 1267; BVerfG (Kammer), NVwZ 2005, 572
(574); s. hierzu auch Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und
Menschenrechtsbeschwerden, 2. Aufl., 2007, S. 20 ff.).
3. Wäre im Berufungs- oder Revisionsverfahren voraussichtlich eine
Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, kann die Erfolgsaussicht des
Rechtsmittels erst nach Abschluss des Zulassungsverfahrens sicher beurteilt
werden. Beschließt das Rechtsmittelgericht, das Rechtsmittel nicht zuzulassen,
liegt darin zugleich die Entscheidung, die unionsrechtliche Frage dem EuGH
nicht vorzulegen, sondern sie in eigener Verantwortung zu beurteilen.
4. Offensichtlich unhaltbar und daher verfassungswidrig gehandhabt wird die
Vorlagepflicht insbesondere in den Fällen, in denen ein letztinstanzliches
Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach
50
bestehenden – Entscheidungserheblichkeit überhaupt nicht in Erwägung zieht,
obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage
hegt. Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche
Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der EuGHRechtsprechung abweicht und gleichwohl nicht oder nicht erneut vorlegt.
5. Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts
einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vor oder hat eine
vorliegende
Rechtsprechung
die
entscheidungserhebliche
Frage
möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine
Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte
Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das
letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig
zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat.
Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu
der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom
Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfG (Kammer),
NJW 1994, 2017, mit Verweis auf BVerfGE 82, 159 (192 ff.); BVerfG
(Kammer), NVwZ 2012, 426 (427) = InfAuslR 2012, 7).
6. Für die Auslegung der gerade in der Familienzusammenführungs- wie auch
in der Qualifikationsrichtlinie enthaltenen zahlreichen Freistellungsklauseln auch Öffnungsklauseln genannt – ist ebenfalls der EuGH und nicht das BVerfG
zuständig. Diese eröffnen den Mitgliedstaaten für die Beibehaltung ihres
nationalen Rechts einen beträchtlichen Spielraum. Ob und in welchem Umfang
eine Abweichung von den Mindestnormen der Richtlinie zulässig ist, ist jedoch
eine unionsrechtlich determinierte Frage und deshalb der Zuständigkeit des
BVerfG entzogen (BVerfG (Kammer), NVwZ 2004, 1346).
7. Auch wenn es materiellrechtlich im fachgerichtlichen Verfahren um eine
unionsrechtliche Norm geht, kann das Verwaltungsgericht durch die Art und
Weise des gewählten Verfahrens das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
oder der verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG)
verletzen. Es verletzt die Rechtsschutzgarantie, wenn das Gericht trotz
Vorliegens erheblicher Zweifel der Gerichte anderer Mitgliedstaaten an der
Gültigkeit einer unionsrechtlichen Norm den Eilrechtsschutz versagt (BVerfG
(Kammer), NVwZ 2004, 1346 (1347)). Die Nichtzulassung der Berufung trotz
divergierender Rechtsprechung zu einer Frage des § 51 Abs. 1 AuslG 1990
verletzt Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG (Kammer), NVwZ 1993, 465). Die
Nichtberücksichtigung eines zur Aufklärung eines nach § 51 Abs. 1 AuslG
1990 einscheidungserheblichen Sachverhaltes gestellten Beweisantrags verletzt
Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG (Kammer), NVwZ 1994, 60); s. auch BVerfG
(Kammer), B. v. 16. Mai 2007 – 2 BvR 1782/04: Gehörsverletzung in einem
auf § 51 Abs. 1 AuslG 1990 gerichteten fachgerichtlichem Verfahren.
4. Wertungsrahmen des BVerfG
Zwar ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die
Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall nach der
ständigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung allein Sache des Fachgerichts und der
51
Nachprüfung durch das BVerfG entzogen. Nur bei einer Verletzung von spezifischem
Verfassungsrecht durch das Fachgericht kann das BVerfG auf Verfassungsbeschwerde hin
eingreifen (BVerfGE 18, 85 (92); 42, 143 (148); 43, 130 (135); 108, 282 (294)). Die
entsprechende Grenze kann jedoch nicht stets präzise gezogen werden. Allgemein werden die
normalen Subsumtionsvorgänge dem einfachen Recht zugeordnet, es sei denn, es werden
Auslegungsfehler erkennbar, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der
Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und
auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind,
etwa wegen der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung (BVerfGE 18, 85 (92); 42, 143
(148); 43, 130 (135); 108, 282 (294)). Je nachhaltiger ein Urteil im Ergebnis in die
Grundrechtssphäre des Betroffenen eingreift, desto strengere Anforderungen sind an die
Begründung dieses Eingriffs zu stellen und desto weiter reichen die
Nachprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE 43, 130 (135)).
Soweit allerdings das Fachgericht, dessen Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde
angegriffen wird, Grundrechtsbestimmungen unmittelbar selbst ausgelegt und angewandt hat,
obliegt es dem BVerfG, Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und
festzustellen, ob Grundrechte nach ihrem Umfang und Gewicht in verfassungsrechtlich
zutreffender Weise berücksichtigt worden sind (BVerfGE 108, 282 (294)). Betrifft die
Anwendung des einfachen Rechts unmittelbar die Anwendung der Grundrechtsnorm, ja die
Trägerschaft des Grundrechts, unterfällt einerseits die rechtliche Bewertung des ermittelten
Sachverhalts und andererseits auch die Einschätzung von Sachverhaltselementen selbst der
Nachprüfung durch das BVerfG (BVerfGE 76, 143 (162)).
Im Asylprozess hat dieses Problem wegen der nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG, sondern auf Art.
1 A Nr. 2 GFK in Verb. mit der Qualifikationsrichtlinie beruhenden Auslegung und
Anwendung der materiellen Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes keine Bedeutung mehr.
Bei subsidiären Schutz bleibt allerdings die Berufungsmöglichkeit auf Art. 1 Abs. 1 in Verb.
mit Art. 2 Abs. 2 GG). Im Ausländerrecht kann diese Rechtsprechung bei Berufung auf Art. 6
GG von Bedeutung sein.
5. Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG
Es ist mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar, bei pflegebedürftigen stammberechtigten
Ehegatten, der auf die Lebenshilfe seines Partners angewiesen ist, die begehrte
Aufenthaltserlaubnis allein mit Blick auf den Visumverstoß abzulehnen (BVerfG (Kammer),
InfAuslR 2011, 286); BVerfG (Kammer), InfAuslR 2011, 287 (290), zur
Beistandsgemeinschaft. Hat der ausländische Elternteil regelmäßig Umgang mit seinem Kind,
ist von einer familiären Lebensgemeinschaft auszugehen. Dafür spricht insbesondere, dass
dieser sich bereits kurze Zeit nach der Geburt die Vaterschaft bei Gericht um die Feststellung
der Vaterschaft bemüht hat BVerfG (Kammer), InfAuslR 2009, 150 (151 f.).
6. Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG
Das BVerfG räumt Art. 19 Abs. 4 GG neben Art. 103 Abs. 1 GG erhebliche Bedeutung bei.
Allerdings ist hier das Verhältnis zwischen Einzelgrundrecht und Art. 19 Abs. 4 GG nicht
klar.
Der grundrechtliche Schutz, der die Fachgerichte bei der Tatsachenfeststellung und
Würdigung leitet, wird durch Art. 19 Abs. 4 GG verstärkt. Diese Norm gewährleistet dem
52
Einzelnen im Hinblick auf die Wahrung oder Durchsetzung seiner subjektiv-öffentlichen
Rechte eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Dies schließt einen möglichst
lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen der Individualrechtssphäre durch
Eingriffe der öffentlichen Gewalt ein (BVerfGE 101, 106 (122 f.), stdg. Rspr.). Diese
Verfassungsnorm stellt im Zusammenwirken mit anderen verfassungsrechtlichen
Gewährleistungen sowie weiteren aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anforderungen an
das gerichtliche Verfahren die zentrale Verbürgung gerichtlichen Rechtsschutzes auch der
Grundrechte im gerichtlichen Verfahren vor den Fachgerichten dar.
Zwar bestimmt sich das Maß wirkungsvollen Rechtsschutzes entscheidend nach dem
sachlichen Gehalt der Einzelgrundrechte. Jedoch gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG zusätzlich,
dass durch die normative Ausgestaltung der gerichtlichen Verfahrensordnung die umfassende
Nachprüfung des Verfahrensgegenstandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eine
dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung
sichergestellt wird (BVerfGE 60, 253 (297)). Zur Effektivität des Rechtsschutzes gehört es
insbesondere, dass das Fachgericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnis besitzt, um drohende
Rechtsverletzungen abzuwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen zu beheben (BVerfGE
101, 106 (123)).
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist dahin zu verstehen, dass die
gerichtliche Durchsetzbarkeit bereits wesensnotwendiger Bestandteil der einzelnen
materiellen Grundrechte selbst ist und diese den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten
Individualrechtsschutz ergänzen (BVerfGE 49, 252 (257)) und verstärken (BVerfGE 60, 253
(297)). Die Literatur sieht dieses in seiner konkreten Auswirkung nicht vollständig geklärte
Nebeneinander unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Grundlagen für die gerichtliche
Durchsetzbarkeit materieller Grundrechtsverbürgungen eher kritisch und betont stärker den
selbständigen Regelungsgehalt von Art. 19 Abs. 4 GG. Zum Zuge dürfte Art. 19 Abs. 4 GG
insbesondere dann kommen, wenn die grundrechtliche Verbürgung als solche keinen
Anspruch
auf
eine
verfassungsgerichtliche
Prüfung
der
fachgerichtlichen
Sachverhaltsfeststellung und Rechtsanwendung gewährleistet. Einen derartigen Anspruch hat
das Bundesverfassungsgericht bislang nur für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG
und Art. 16a Abs. 1 GG, inzwischen aber auch für das Verbot religiöser Vereinigungen
anerkannt. Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung und Rechtsanwendung können andererseits
stets nach Art. 19 Abs. 4 GG gerügt werden. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
gehört insbesondere, dass dem Richter eine hinreichende Prüfungsbefugnis hinsichtlich der
tatsächlichen und rechtlichen Seite eines Streitfalls zukommt (BVerfGE 113, 273 (310); 118,
168 (208)). Das Gericht muss daher die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung selbst
ermitteln (BVerfGE 101, 106 (123)).
Mit der Rüge nach Art. 19 Abs. 4 GG kann insbesondere die Verhinderung oder unzumutbare
Erschwerung des Zugangs zum Gerichtsverfahren geltend gemacht werden. In diesem
Rahmen kann auch die Zurückweisung des Zulassungsantrags nach Art. 19 Abs. 4 GG gerügt
werden, wenn aus der obergerichtlichen Begründung eine unzumutbare Erschwernis des
Zugangs zum Berufungsverfahren deutlich wird. So verletzt es diese Norm, wenn das
Berufungsgericht die Begründung des Verwaltungsgerichts mit Erwägungen aufrechterhält,
die nicht ohne weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit
Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens zu leistenden
Prüfungsumfang hinausgeht (BVerfG (Kammer), NVwZ-RR 2011, 460). Art. 19 Abs. 4 GG
verpflichtet das Berufungsgericht, den Zulassungsantrag angemessen zu würdigen und durch
53
sachgerechte Auslegung selbständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach
geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind.
Erst dann, wenn aus einer nicht auf einzelne Zulassungsgründe zugeschnittenen Begründung
auch durch Auslegung nicht eindeutig ermittelt werden kann, auf welche Zulassungsgrund der
Antrag gestützt wird, stellt dessen Zurückweisung keine unzumutbare Erschwerung des
Zugangs zur Berufung dar (BVerfG (Kammer), NVwZ 2011, 547 (548)).
Das BVerfG erstreckt seine Prüfung im Rahmen der Verfassungsbeschwerde auch dann auf
Art. 19 Abs. 4 GG, wenn der Beschwerdeführer selbst eine Verletzung dieses Rechts nicht
ausdrücklich rügt (BVerfGE 54, 117 (124); 58, 163 (167); 71, 202 (204)). Es hat deshalb von
sich aus eine Überprüfung an diesem Maßstab vorgenommen, um die im
Verfassungsbeschwerdeverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen rechtsgrundsätzlicher Klärung
zuzuführen. Der Sicherung des fachgerichtlichen Vorrangs kommt seiner Ansicht nach
insbesondere dann besonderes Gewicht zu, wenn die Verwaltungsgerichte bei ihrer Prüfung
die Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie und der GFK unmittelbar zu beachten haben,
während diese Normen im Verfassungsbeschwerdeverfahren jedenfalls nicht unmittelbar als
Prüfungsmaßstab von Bedeutung sind. Sieht § 78 Abs. 3 und 4 AsylVfG die Möglichkeit vor,
die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung
und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs
in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert
(BVerfG (Kammer), Beschluss vom 12. Mai 2008 – 2 BvR 378/05, in InfAuslR 2008, 263
nicht abgedruckt). Damit setzt das BVerfG seine Linie fort, bei divergierender
obergerichtlicher Rechtsprechung zu unionsrechtlichen Fragen nach Art. 19 Abs. 4 GG die
Verfassungsbeschwerde anzunehmen, wenn der Beschwerdeführer derartige Fragen mit der
Grundsatzberufung im Zulassungsantragsverfahren nach § 124 Abs. 2 VwGO oder § 78 Abs.
3 AsylVfG geltend gemacht hatte (BVerfG (Kammer), Beschluss vom 11. Februar 2008 – 2
BvR 2575/07; BVerfG (Kammer), InfAuslR 2009, 417, beide zur umstrittenen Frage der
Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) RL 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte
Türken, s. hierzu aber jetzt EuGH, InfAuslR 2012, 43 Ziebell).
Die Rüge nach Art. 19 Abs. 4 GG gegen die Versagung fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes
hat Erfolg, wenn dargelegt wird, dass Art. 8 EMRK und seine Auswirkung auf § 25 Abs. 4
Satz 2, Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Hauptsacheverfahren zu klärende Sach- und Rechtsfragen
aufgeworfen hatte (BVerfG (Kammer), InfAuslR 2011, 235 (236)) oder das
Verwaltungsgericht
im
Eilrechtsschutzverfahren
methodisch
fehlerhaft
eine
Wiederholungsgefahr im Falle des von Ausweisung betroffenen Beschwerdeführers
festgestellt hatte (BVerfG (Kammer), InfAuslR 2011, 287 (289 f.)). Die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts, einen im Rahmen eines Klageverfahrens wegen eines Asylfolgeantrags
gestellten Abänderungsantrag im Blick auf die anwaltliche Vertretung als unzulässig zu
bewerten und ihn nicht in Anwendung von § 88 VwGO als neuerlichen Antrag nach § 123
VwGO auszulegen oder zumindest vor einer Entscheidung in Anwendung von § 86 Abs. 3
einen Hinweis auf mögliche Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags zu geben,
verletzt Art. 19 Abs. 4 GG. Jedenfalls dann, wenn das Rechtsschutzziel klar aus dem Antrag
und seiner Begründung zu erkennen ist und dieses Rechtsschutzziel zulässigerweise verfolgt
werden kann, stellt die Behandlung des Antrags als unzulässig auch gegenüber einem
anwaltlich vertretenen Antragsteller eine unzumutbare Erschwerung des Rechtswegs dar
(BVerfG (Kammer), Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 2 BvR 542/07).
III.
Eilrechtsschutz (§ 32 BVerfGG)
54
S. hierzu Lechner/Zuck, BVerfGG. Kommentar, § 32 Rdn. 41 ff.;Hänlein, AnwBl. 1995, 116
(119); Marx, Kommentar zum AsylVfG, 7. Auflage, 2009, § 36 Rdn. 190 ff.; Rozek, DVBl.
1997, 519 (523); BVerfGE 94, 166 (215) = NVwZ 1996, 678; BVerfG, InfAuslR 2005, 48
(49); BVerfG, InfAuslR 2005, 471.
Für den Asylprozess hat das BVerfG entschieden, insbesondere im Flughafenverfahren
grundsätzlich keinen Eilrechtsschluss mehr zu gewähren, weil den Verwaltungsgerichten die
primäre Aufgabe des Grundrechtsschutzes übertragen worden sei (BVerfGE 94, 166 (215) =
NVwZ 1996, 678; s. hierzu Marx, AsylVfG, 7. Aufl., 2009, § 36 Rdn. 197 ff.). Es hat in der
Folgezeit jedoch wiederholt Eilrechtsschutz im Flughafenverfahren gewährt (BVerfG
(Kammer), AuAS 2008, 226
Der Antrag sollte im unmittelbaren Anschluss an den Antrag im Hauptsacheverfahren gestellt
werden und lautet:
Musterantrag:
Des Weiteren wird beantragt
Zur Abwehr schwerer Nachteile für den Beschwerdeführer dessen Abschiebung in
die Türkei einstweilen auszusetzen
Es gibt keine Notkompetenz des einzelnen Richters. Auch gibt es keine gerichtsinternen
Vorkehrungen für einen Notdienst (Hänlein, AnwBl. 1995, 116 (119). Stillhaltezusagen
werden im Allgemeinen nicht eingeholt. In der früheren Gerichtspraxis war allerdings die
Schiebeanordnung praktiziert worden (BVerfGE 85, 127 (128); 88, 185 (186 f.); s. hierzu
Marx, Kommentar zum AsylVfG, 7. Auflage, 2009, § 36 Rdn. 216 f.). Das BVerfG kann auf
Antrag oder von Amts wegen zur Sicherung eines in der Sache vor dem BVerfG später
durchzuführenden Eilrechtsschutzverfahrens die Schiebeanordnung erlassen. Dabei wird
gefordert, dass der Eilrechtsschutzantrag nicht nur rechtzeitig gestellt, sondern grundsätzlich
auch begründet wird (BVerfG (Kammer), NVwZ-Beil. 1996, 9).
Wer die Verfassungsbeschwerde mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
verbindet, sollte das Risiko eines solchen Vorgehens für die Verfassungsbeschwerde
bedenken. Das BVerfG muss schnell entscheiden. Eine tiefreichende Auseinandersetzung mit
den Argumenten des Beschwerdeführers wird dadurch möglicherweise verhindert
(Lechner/Zuck, BVerfGG. Kommentar, § 32 Rdn. 42). Deshalb sollte nur in nicht von der
Hand zu weisenden Notfällen der Antrag nach § 32 BVerfGG gestellt werden. Manchmal
kann auch durch eine Petition beim Landtag oder durch eine Stillhaltezusage der zuständigen
Ausländerbehörde das mit dem verfassungsprozessualen Eilrechtsschutz verfolgte Anliegen
erreicht werden
Das BVerfG trifft grundsätzlich keine gesonderte Entscheidung über den
Eilrechtsschutzantrag, sondern entscheidet zugleich in der Sache. Es tenoriert in diesen
Fällen, dass die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird und sich
damit der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt hat oder umgekehrt, dass
die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und ihr stattgegeben wird und
sich dadurch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt hat.
Literatur zur Verfassungsbeschwerde
55
Hänlein, Andreas, Prozessuale Probleme der Verfassungsbeschwerde in Asylsachen, in:
AnwBl. 1995, 116
Hänlein, Andreas, Prozessuale Probleme der Verfassungsbeschwerde in Asylsachen, in:
AnwBl. 1995, 57
Heinrichsmeier, Paul, Probleme der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im
Zusammenhang mit dem fachgerichtlichen Anhörungsrügeverfahren, in: NVwZ 2010, 229
Klein, Eckart, Konzentration durch Entlastung?, in: NJW 1993, 2073
van den Hövel, Markus, Die Urteils-Verfassungsbeschwerde als einzig erforderliche
Verfassungsbeschwerde in der Rechtspraxis?, in: NVwZ 1993, 549
Kleine-Cosack, Michael, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, 2. Aufl.,
2007
Lechner, Hans/Zuck, Rüdiger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Kommentar, 5. Aufl., 2006
Lübbe-Wolff, Die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde, in: AnwBl. 2005, 509
Roeser, Thomas/ Hänlein, Andreas, Das Abänderungsverfahren nach § 80 VII VwGO und der
Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, in: NVwZ 1995, 1082
Rozek, Jochen, Abschied von der Verfassungsbeschwerde auf Raten?, in: DVBl. 1997, 519
Schenke, Wolf-Rüdiger, Außerordentliche Rechtsbehelfe im Verfassungsprozess nach Erlass
des Anhörungsrügengesetzes, in: NVwZ 2005, 729
Zuck, Rüdiger, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 3. Aufl., 2006
Weyreuther, Felix, Bundesverfassungsgericht und Verfassungsbeschwerde; Kompetenz und
Kompetenzüberschreitung, in: DVBl. 1997, 925
Zuck, Rüdiger, Das Verhältnis von Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde, in: NVwZ
2004, 739
Zuck, Rüdiger, Neues zum rechtlichen Gehör, in: NVwZ 2012, 479
Anhang:
Auswertungsbogen für Fortbildungsveranstaltung
Berufungszulassungsrecht und Verfassungsbeschwerde im Ausl- und AsylR
mit Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx
in Frankfurt am Main am 22. September.2012, Tagungszentrum Cosmopolitan im Hbf
(18 abgegebene Bewertungsbögen)
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I. Kriterien für Auswahl des Seminars
Zufriedenheit mit den Leistungen des Dozenten hinsichtlich
der fachlichen Kompetenz 16: vollkommen zufrieden 2 zufrieden 0 unzufrieden
der Praxisnähe/Praxisrelevanz: 13 vollkommen zufrieden 5 zufrieden 0 unzufrieden
der rhetorischen Fähigkeit, den Stoff zu vermitteln: 11 vollkommen zufrieden 7 zufrieden
der didaktisch-methodischen Fähigkeiten: 7 vollkommen zufrieden 11 zufrieden 0
unzufrieden
der Struktur des Vortrags: 10 vollkommen zufrieden 8 zufrieden 0 unzufrieden
Anregung/Kritik: Bester Vortrag seit langem. – Referent kann wieder eingeladen werden. –
Das Skript ist sehr gut, daher war noch mehr Diskussion/Erfahrungsaustausch möglich.
Verhältnis Stofffülle zur verfügbaren Zeit
11 genau richtig 2 zu wenig 4 zu viel 1 k.A.
Beurteilung der Themenauswahl und –gewichtung
18 in Ordnung 0 recht in Ordnung
weil folgende Themen fehlten oder zu oberflächlich behandelt wurden:
Zufriedenheit mit den Seminarunterlagen hinsichtlich
Umfangs: 12 vollkommen zufrieden 6 zufrieden 0 unzufrieden
Gestaltung: 10 vollkommen zufrieden 8 zufrieden 0 unzufrieden
Inhalts: 12 vollkommen zufrieden 6 zufrieden 0 unzufrieden
Anregung/Kritik
- Lob für die Chance, das Skript vorher auszudrucken. – Mailversand sollte immer erfolgen.
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