WS 2009/10 Prof. Dr. Hans-Werner Hahn Vorlesung: Zwischen Revolution und deutscher Reichsgründung 1871: Europäische Geschichte 1848-1871. 13. Vorlesung: Die deutsche Frage 1859-1866. I: Die Debatte um die Reform des Deutschen Bundes In der neu entfachten Diskussion über die deutsche Frage gab es seit 1859, grob gesprochen, drei Grundkonzepte: 1. eine dualistische Bundesreform, bei der sich Österreich und Preußen die Herrschaft über Deutschland teilten. 2. eine trialistische Bundesreform, die neben den beiden Großmächten auch den Interessen der Kleinstaaten, vor allem aber denen der Mittelstaaten (Bayern, Sachsen) Rechnung trug. 3. eine hegemoniale Lösung, die dann aber nicht mehr in Form einer Bundesreform stattfinden konnte, sondern im Grunde auf die Zerschlagung des Deutschen Bundes und die Hinausdrängung einer der beiden Vormächte hinauslief. II. Geschichtswissenschaft und deutsche Frage 1859-1866 Die deutsche Geschichtswissenschaft hat durch die seit 1866/71 zunächst vorherrschende kleindeutsch-borussische Schule (Sybel, Treitschke) die Frage nach möglichen Alternativen zur Bismarckschen Reichsgründung lange Zeit kaum ernsthaft verfolgt. Erst nach 1945 veränderte sich die Perspektive durch das Scheitern deutscher Großmachtpolitik. Wichtig wurde Franz Schnabels Kritik am kleindeutschen Geschichtsbild, die sich jedoch nicht voll durchsetzen konnte. Erst seit den siebziger Jahren diskutierten vor allem österreichische Historiker verstärkt über mögliche Alternativen zur Lösung von 1866. Ihre Thesen von einer Reformfähigkeit des Deutschen Bundes stießen allerdings sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik auf Kritik. Die neueren Forschungen zur Geschichte des Deutschen Bundes (vor allem die Arbeiten von Jürgen Müller) heben nun aber die Offenheit der Situation viel stärker hervor, sind allerdings auch auf Kritik gestoßen. Zur Debatte: Hans-Werner HAHN, Zukunftslose Vorstufe des kleindeutschen Nationalstaats oder entwicklungsfähige föderative Alternative?. In: Hans-Jürgen Becker (Hrsg.), Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte. Berlin 2006, S. 41-69. Jürgen MÜLLER, Der Deutsche Bund 1815-1866. München 2006. Ders., Deutscher Bund und deutsche Nation 1848-1860. Göttingen 2005. Helmut RUMPLER (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815-1866. Wien u. München 1990. Anselm DOERING-MANTEUFFEL, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871. München 1993. III. Auseinandersetzungen um die Bundesreform 1. Die Triaskonzepte: Anfang 1860 legte Preußen einen Plan zur dualistischen Reform der Bundeskriegsverfassung vor. Er stieß auf Kritik der Mittelstaaten, die ihre Eigenständigkeit bedroht sahen, zugleich aber nun selbst stärker die Notwendigkeit einer größeren Vereinheitlichung betonten. Unter Führung des sächsischen Ministerpräsidenten Beust kam es 1 zu einer Neuauflage der TRIASPOLITIK. Auf den Würzburger Konferenzen der Trias 18591861 (Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover, hessische Staaten und einige andere Kleinstaaten wie Sachsen-Meiningen) forderte man die Reform der deutschen Militärverfassung, Vereinheitlichung des Handelsrechtes sowie des Maß-, Münz- und Gewichtssystems, Schaffung einer gesamtdeutschen Justizverfassung (Bundesgericht und Zivil- und Strafrechtsordnung) und eine an der Gesetzgebung zu beteiligende Delegiertenversammlung. Letztere sollte aber nicht direkt vom Volk gewählt werden, sondern von den einzelstaatlichen Landtagen. Die mittelstaatliche Politik lief zwar auf eine Stärkung der Bundeskompetenz hinaus, hielt aber an einem streng föderativen Ausbau des Deutschen Bundes fest, der die staatliche Eigenexistenz der Mittelstaaten nicht in Frage stellte. Der Reformelan der Mittelstaaten wurde durch ihre innere Uneinigkeit wie durch die mangelnde Unterstützung ihrer Schutzmacht Österreich wieder gebremst. 1860/61 verhandelte Österreich mit Preußen zeitweise über eine Defensivallianz und eine dualistische Bundesreform, die aber an zu weitgehenden Forderungen Preußens und dem österreichischem Dominanzanspruch scheiterte. 2. Kleindeutsche Alternativkonzepte: 1861 legte der Außenminister des liberal regierten Baden, von Roggenbach, einen Reformplan vor, der im Grunde auf eine preußischkleindeutsche Lösung mit weiterem Bund (1848er Gagern-Modell) hinauslief. Er enthielt die Forderung nach einem direkt gewählten Nationalparlament als Motor des Einigungsprozesses, wie es auch dem Konzept des Nationalvereins entsprach. Ende 1861 gab es ähnliche Forderungen des neuen preußischen Außenministers von Bernstorff, der eine preußische Hegemonie über das nichtösterreichische Deutschland anstrebte. Diese Pläne stießen im antipreußischen Lager auf große Ablehnung und begünstigten 1862 ein engeres Zusammengehen zwischen Österreich und den wichtigsten Staaten Würzburger Konferenzen. Im Februar 1862 protestierten sie in "identischen Noten" gegen das preußische Reformkonzept. 3. Frankfurter Fürstentag 1863: Seit Ende 1861 gab es verstärkte Anstrengungen Österreichs und der Mittelstaaten um eine Bundesreform. Im Oktober 1861 legte der sächsische Ministerpräsident Beust einen Plan vor, der ein Triumvirat als Exekutive, ein Bundesparlament aus Delegierten der einzelstaatlichen Parlamente und umfassende Rechtsvereinheitlichungen vorsah. Im Sommer 1863 unternahm Österreich selbst neue Anstrengungen, um angesichts des preußischen Verfassungskonfliktes die deutschlandpolitische Initiative durch einen großen Bundesreformplan zurückzugewinnen. Kaiser Franz Joseph lud die deutschen Monarchen zum Frankfurter Fürstentag im August 1863 ein, um über die Pläne zu beraten. Der preußische König Wilhelm I. schlug auf massiven Druck Bismarcks diese Einladung aus. In Frankfurt einigte sich der Großteil der deutschen Staaten auf einen Bundesreformplan. Die Reformakte sah unter anderem vor: Ausweitung des Bundeszweckes, Vereinheitlichungsversprechen auf vielen Gebieten (Bundesgericht), sechsköpfiges Direktorium als Exekutive des Deutschen Bundes (Österreich, Preußen und Bayern als ständige Mitglieder), Versammlung von 302 Bundesabgeordneten aus einzelstaatlichen Parlamenten, die an Gesetzgebung mitwirken soll. Der Bundesreformplan wurde von 24 der 30 anwesenden Staaten angenommen. Baden, Sachsen-Weimar, Waldeck und Reuß jüngere Linie (Parteigänger Preußens) sowie Luxemburg und MecklenburgSchwerin lehnten ab. Von den übrigen stimmten viele nur unter dem Vorbehalt zu, dass auch Preußen für den Plan gewonnen werden müsse. Damit waren die österreichischen Hoffnungen gescheitert, notfalls einen eigenen engeren Sonderbund mit den deutschen Mittel- und Kleinstaaten eingehen und Preußen unter Druck setzen zu können. 2 4. Reaktionen der öffentlichen Meinung: Österreichs Vorstoß fand in der Öffentlichkeit eine eher schwache Resonanz. Die Frankfurter Reformakte wurde nicht nur von Preußen, sondern auch von dem Großteil der Nationalbewegung abgelehnt, weil sie den "wahren Bedürfnissen der Nation" nicht weit genug entgegenkomme. Nationalverein und Fortschrittspartei übten heftige Kritik an der unzureichenden Exekutive, an der zu großen Rücksicht auf die partikularen Kräfte und an der vorgeschlagenen Lösung des Repräsentationsproblems. Die Nationalbewegung forderte eine direkt und nach dem Maßstab der Bevölkerungszahl gewählte Nationalvertretung. Preußen schloss sich dieser Haltung an. Trotz der gemeinsamen Ablehnung der Bundesreformpläne bestanden zu diesem Zeitpunkt aber wegen des Verfassungskonfliktes tiefe Gegensätze zwischen Preußen und der Nationalbewegung. Der Nationalverein forderte deshalb nun noch stärker die Erfüllung der Reichsverfassung von 1849. IV. Die handelspolitischen Vorentscheidungen 1860-1865 Helmut BÖHME, Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848-1881, Köln/Berlin 1966. Hans-Werner HAHN, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. Seit den 1960er Jahren fanden die sozialökonomischen Aspekte des deutschen Einigungsprozesses verstärkte Beachtung in der historischen Forschung. Spätestens um 1850 war der von Preußen gegründete und geführte Deutsche Zollverein zu einem wichtigen Faktor im preußisch-österreichischen Dualismus geworden. Österreich, das dem Zollverein 1834 nicht beigetreten war, suchte vor allem auch aus machtpolitischen Gründen seit der Revolution von 1848/49 den Anschluss an den Zollverein. Preußen wehrte diesen Versuch aus denselben Motiven ab und verteidigte in der Zollvereinskrise zu Beginn der fünfziger Jahre seine wirtschaftliche Führungsrolle in Deutschland. Es musste in einem Handelsvertrag von 1853 Österreich aber Sonderkonditionen einräumen und versprechen, ab 1860 wieder über einen österreichischen Zollvereinsbeitritt zu verhandeln. In den fünfziger Jahren wies die preußische Wirtschaft ein deutlich höheres Wachstum auf als die ebenfalls expandierende Wirtschaft der Habsburger Monarchie. Die preußische Politik verfolgte deshalb das Ziel, durch einen entschiedeneren freihändlerischen Kurs, den das stark protektionistische Österreich noch nicht mitgehen konnte, den österreichischen Beitrittswunsch abzublocken und den Zollverein zur Durchsetzung der eigenen Einheitspolitik zu nutzen (moralische Eroberungen). Preußen profitierte dabei von der freihändlerischen Grundstimmung in der öffentlichen Meinung und den Forderungen, den Zollverein zum Ausgangspunkt der politischen Einigungspolitik zu machen (Kongress der Volkswirte). Wegen des zu erwartenden Widerstandes der Mittelstaaten konnte Preußen eine freihändlerische Tarifreform auf dem im Zollverein üblichen Wege allerdings nicht durchsetzen (Einstimmigkeit). Deshalb nutzte es den Weg über die Handelsvertragspolitik. 1860 war es zum Abschluss des freihändlerischen Cobden-Vertrages zwischen England und Frankreich gekommen. Die englische Wirtschaft erhielt einen erleichterten Zugang zum französischen Markt, das brachte die zunehmend exportorientierte deutsche Wirtschaft in Zugzwang, die die gleichen Vorteile wollte. Preußen nutzte diese wirtschaftlichen Sachzwänge und verhandelte seit 1861 über einen Handelsvertrag mit Frankreich. Auf beiden Seiten dominierten im Grunde die machtpolitischen Ziele. Preußen hoffte, dass nach Abschluss des Handelsvertrages Österreich der Weg in den Zollverein versperrt sei und auch sein politischer Führungsanspruch in Deutschland leichter abzuweisen sei. Napoleon III. wollte mit dem Handelsvertrag Preußen politisch stärker an Frankreich binden und aus den dann folgenden deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen Kapital schlagen. Im März 1862 wurde der Handelsvertrag, der ab 3 1.1.1866 umfassende gegenseitige Zollsenkungen vorsah und die Meistbegünstigungsklausel enthielt, paraphiert. Durch letztere wäre die von Österreich 1853 erzielte bevorzugte Stellung zum Zollverein wieder hinfällig und die kleindeutsche Wirtschaftseinheit befestigt worden. Deshalb wurde die preußische Handelspolitik von Österreich und den deutschen Mittelstaaten erbittert bekämpft. Am Ende konnte sich Preußen aber aus mehreren Gründen klar durchsetzen: - der Großteil der deutschen Wirtschaft war für die neue Freihandelspolitik; typisch hierfür war die Haltung des hochindustrialisierten Königreichs Sachsen, wo Beust trotz seiner antipreußischen Bundespolitik frühzeitig die Zustimmung zum Handelsvertrag signalisierte. - der Großteil der öffentlichen Meinung, auch die eigene liberale Opposition, stellte sich voll hinter die neue Handelspolitik. - Preußen erklärte gegenüber den anderen Zollvereinsstaaten, den 1865 auslaufenden Zollverein nur auf der Basis der neuen Handelspolitik zu erneuern. - einen Zerfall des Zollvereins konnten sich die opponierenden Mittelstaaten weder wirtschaftlich noch finanziell leisten. Österreichs Angebot einer eigenen österreichischmittelstaatlichen Zollunion war keine realistische Alternative. - innerhalb der österreichischen Wirtschaft gab es zudem starke Kräfte gegen einen Anschluss an den Zollverein, weil man sich der dortigen Konkurrenz nicht gewachsen fühlte. Im Herbst 1864 kam es zur Erneuerung der Zollvereinsverträge zu den preußischen Bedingungen. Im April 1865 wurde ein Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und Österreich geschlossen, in dem das frühere Zollunionsversprechen von 1853 auf einen phrasenhaften Rest reduziert war. Man hat deshalb auch vom "handelspolitischen Königgrätz" gesprochen. Mit dem Sieg der preußischen Freihandelspolitik war nicht nur die preußische Hegemonie im Zollverein bestätigt. Auch die Voraussetzungen für eine aktive Deutschlandpolitik hatten sich weiter verbessert. Die handelspolitische Vorentscheidung im preußisch-österreichischen Führungskampf war folglich alles andere als unwichtig. Sie zog allerdings keineswegs automatisch neue Schritte in Richtung politischer Einheit nach sich. Die Mittelstaaten waren weiterhin bemüht, einen eigenen politischen Kurs zu steuern. Österreich war politisch noch nicht aus dem Spiel. Die endgültigen Entscheidungen in der deutschen Frage fielen folglich nicht auf dem handelspolitischen, sondern auf dem politischen und militärischen Feld. V. Die Schleswig-Holstein-Krise 1864/65 1. Außenpolitische Lage Preußens um 1863 Preußen hatte zwar durch seine klare Absage an die österreichisch-mittelstaatlichen Bundesreformpläne und den sich abzeichnenden Erfolg im Zollverein seine Positionen verbessert. Ein grundlegender Durchbruch war aber nicht in Sicht, zumal auch Frankreich deutlich machte, dass es trotz des Handelsvertrages von 1862 Preußen nicht vorbehaltlos unterstützen würde. Napoleon favorisierte eine europäische Kongresslösung, die alle strittigen Fragen klären und eben auch Frankreich einen Anteil an der "Beute" zukommen lassen würde. Dies fand bei den anderen europäischen Großmächten aber keine Unterstützung. Eine wichtige Weichenstellung für die preußische Außenpolitik ergab sich aus dem Anfang 1863 ausbrechenden polnischen Aufstand im russisch beherrschten Teil Polens. Bismarck schloss mit Rußland am 8. Februar 1863 die Alvenslebensche Konvention, in der gegenseitige Hilfe bei der Niederschlagung des polnischen Freiheitskampfes vereinbart wurde. Der praktische Nutzen der Vereinbarung war sehr gering. Bismarck erzielte aber außenpolitisch insofern 4 einen Erfolg, weil er vorerst eine engere Kooperation zwischen Rußland und dem propolnischen Frankreich verhinderte. 2. Die Schleswig-Holstein-Frage Der erneute Ausbruch des Schleswig-Holstein-Konfliktes brachte 1863 neue Bewegung in die scheinbar festgefahrenen deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen und stärkte zugleich Bismarcks Stellung im preußischen Verfassungskonflikt. Schon 1848 hatte es Krieg um die Stellung des Herzogtums Schleswig gegeben, weil die dänische Nationalbewegung die vollständige Integration des Herzogtums in den dänischen Gesamtstaat anstrebte. Dagegen beriefen sich die Mehrheit der Schleswiger und die deutsche Nationalbewegung darauf, dass Schleswig seit dem Ripener Freiheitsbrief von 1460 mit dem zum Deutschen Bund gehörenden Herzogtum Holstein vereint sei (up ewig ungedeelt) und vor allem durch den politischen Willen seiner Mehrheit zu Deutschland gehören möchte. 1850 und 1852 hatten die europäischen Großmächte in den Londoner Protokollen einen Ausgleich versucht, der allerdings nicht lange hielt. Nach dem Tod des Dänenkönigs Friedrich VII. setzte sich König Christian IX. auf Druck der "Eiderdänen" über die Londoner Protokolle hinweg und beschloss die Einverleibung Schleswigs in den dänischen Gesamtstaat. In der deutschen Öffentlichkeit wurde dieser Schritt heftig kritisiert und zugleich verlangt, dass Schleswig und Holstein aufgrund eines anderen Erbrechts (keine weibliche Erbfolge) künftig von einer anderen Linie des dänischen Herrscherhauses (dem Erbprinzen Friedrich von Sonderburg-Augustenburg) regiert werden müsse. Dessen Vater hatte freilich 1850 auf seine Herrschaftsrechte verzichtet. Während auch die deutschen Mittelstaaten die Augustenburger-Lösung favorisierten, entschied sich Bismarck ganz anders. Er berief sich nicht auf die nationalen Interessen der Deutschen und ging nicht auf die Schleswig-HolsteinBewegung zu, sondern machte allein das internationale Vertragsrecht (Londoner Protokoll) zur Grundlage seines Handelns. Er bot Österreich an, dieses Recht gemeinsam in SchleswigHolstein durchzusetzen. Österreich ging auf das Angebot ein, weil ihm eine Regelung durch die Großmächte besser erschien als ein Erfolg nationaler Kräfte. Gegen die Mehrheit des Bundestages nahmen die beiden deutschen Großmächte die Sache alleine in die Hand. Im Februar 1864 rückten preußische und österreichische Truppen unter dem General Wrangel nach Schleswig vor. Am 18. April 1864 wurden die Düppeler Schanzen gestürmt, wo sich der Großteil des dänischen Heeres verschanzt hatte. Nach Verhandlungen zwischen den europäischen Mächten und neuen militärischen Niederlagen musste Dänemark am Ende die preußisch-österreichischen Bedingungen akzeptieren. Der Dänenkönig musste beim Vorfrieden im Sommer 1864 und im Frieden von Wien (30. 10) auf seine Herrschaftsrechte in Schleswig-Holstein verzichten. Vergeblich hatte Dänemark auf die 1848/49 noch gewährte Unterstützung anderer europäischer Mächte gehofft. Für Bismarck war dieser Ausgang aus mehreren Gründen ein großer Erfolg: 1. Der Sieg des preußischen Heeres in einem von der Nationalbewegung als ungemein wichtig angesehenen Konflikt verschaffte ihm auch bei innenpolitischen Gegnern ein gewisses Ansehen. 2. Österreich hatte zwar auch gesiegt, war aber in einer Ecke Deutschlands gebunden, zu der es keinen Bezug hatte. 3. Bei den zu erwartenden Konflikten um die künftige Stellung Schleswig-Holsteins hatte Preußen gegenüber Österreich die besseren Karten. 5 VI. Der deutsch-deutsche Krieg von 1866 1. Vorbereitung des Krieges Es zeigte sich sehr schnell, dass die preußisch-österreichische Kooperation nicht von Dauer sein sollte. Im Frühjahr 1865 schwenkte Österreich wieder um und setzte sich nun gemeinsam mit den deutschen Mittelstaaten für die Augustenburger-Lösung ein: Herzogtum SchleswigHolstein unter Friedrich von Sonderburg-Augustenburg. Umgekehrt ging Preußen nun auf Konfliktkurs, da es seine Positionen im Norden nicht mehr räumen wollte und auch einen Krieg mit Österreich immer weniger ausschloss. Am 14. August 1865 kam es im Vertrag von Gastein zwar nochmals zum Kompromiss (Teilung der Beute, Holstein fällt an Österreich, Schleswig an Preußen), aber Bismarck blieb in der Offensive. Bevor er den Konflikt mit Österreich eskalieren ließ, bemühte er sich um eine außenpolitische Absicherung des Krieges sowie um die richtige innenpolitische Vorbereitung (überzeugender Kriegsgrund). Englands und Rußlands Neutralität waren relativ sicher. Frankreichs Forderung nach territorialen Zugeständnissen lehnte Bismarck Ende 1865 in Biarritz gegenüber Napoleon III. ab. Frankreich schloss dann im Juni 1866 sogar einen geheimen Neutralitätspakt mit Österreich, auf dessen Sieg Napoleon setzte. Frankreich stellte sich aber nicht offen gegen Preußen, sondern hoffte auf eine Schiedsrichterrolle. Wichtig war ferner das am 8. April 1866 geschlossene geheime preußisch-italienische Angriffsbündnis, in dem sich Italien für eine begrenzte Zeit verpflichtete, im preußisch-österreichischen Kriegsfall eine zweite Front zu eröffnen. Innenpolitisch bereitete Bismarck den bewaffneten Konflikt dadurch vor, dass er seit Frühjahr 1866 verstärkt für seine Vision eines neuen Deutschland warb. Am 9. April 1866 forderte Preußen beim Bundestag ein nach allgemeinem gleichen Wahlrecht und direkt gewähltes deutsches Parlament. Allerdings gelang es Bismarck nicht, die deutsche Öffentlichkeit damit bereits auf seine Seite zu ziehen. Im Juni 1866 spitzten sich die Dinge zu, als Österreich gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag den Schleswig-Holstein-Konflikt im Sinne der Augustenburger-Lösung zu bereinigen suchte und Preußen den Kontrahenten dieses Recht bestritt. Preußen kündigte den Einmarsch in Holstein an und legte einen detaillierten eigenen Bundesreformplan vor. Am 11. Juni 1866 stellte Österreich einen Mobilisierungsantrag beim Bundestag, um eine Bundesexekution gegen Preußen einzuleiten. Die Mehrheit der Bundesversammlung stimmte am 14. Juni diesem Antrag zu. Preußen erklärte daraufhin den Bund für erloschen. Damit war der Krieg unvermeidlich geworden. 2. Der Krieg von 1866 Österreich zählte 13 weitere Bundesstaaten, darunter alle Mittelstaaten, zu seinen Bündnispartnern. Hinter Preußen standen 18 Bundesstaaten, vor allem die kleineren mittelund norddeutschen Staaten. In der öffentlichen Meinung war der Krieg – auch bei vielen kleindeutschen Liberalen – unpopulär. Angesichts der kurzen Dauer blieben die realen Belastungen jedoch vergleichsweise gering. Nachdem Preußen die Mittelstaaten in seinem engeren Umfeld - Hannover, Sachsen, Kurhessen - rasch bezwungen hatte, konzentrierte sich das eigentliche Kampfgeschehen auf Böhmen. Generalstabschef Moltke rückte mit drei Armeen vor und besiegte am 3. Juli 1866 die österreichische Armee bei Königgrätz. Mit dieser Schlacht, der den besseren Waffen und der besseren Taktik der Preußen zu verdanken war, waren die wichtigsten Würfel gefallen. Österreich konnte sich zwar in Italien durch Siege (Custozza und Lissa) noch behaupten, blieb aber auf dem deutschen Kriegsschauplatz ohne Chance. Um ein Eingreifen Frankreichs zu verhindern, setzte Bismarck auf eine rasche Einigung mit dem geschlagenen Österreich in Form eines Verständigungsfriedens und wies die Forderung 6 seines Königs nach einem Vormarsch bis Wien ab. Schon am 26. Juli wurde der Vorfrieden von Nikolsburg geschlossen. Am 23. August 1866 folgte der Friede zu Prag. Österreich stimmte der Auflösung des Deutschen Bundes ebenso zu wie der Schaffung eines Norddeutschen Bundes unter Führung Preußens, dem alle Staaten nördlich des Mains angehören sollten. 3. Erste deutschlandpolitische Weichenstellungen. Bismarck begrenzte die deutsche Einigungspolitik auch nach dem Militärerfolg zunächst auf den Norden. Erstens musste er ein Eingreifen Frankreichs verhindern, das vom raschen Ausgang des Krieges völlig überrascht war und sich um seine Vermittlerrolle geprellt fühlte. Zweitens wollte Bismarck zunächst den Norden konsolidieren, weil die Stimmung in Süddeutschland ausgesprochen antipreußisch war. Langfristig führte aber nach Ansicht Bismarcks an der Integration des Südens und der Vollendung des deutschen Nationalstaates kein Weg vorbei, weil nur so ein dauerhafter Ausgleich mit der nationalen Bewegung möglich war. Auch durch den inneren Ausbau des weiter existierenden Zollvereins und den Abschluss sogenannter Schutz- und Trutzbündnisse wurden die von Preußen geschlagenen süddeutschen Staaten nach der Entscheidung von 1866 fester als zuvor an den Norden gebunden. Bismarcks Hauptaugenmerk lag aber zunächst auf der Neuordnung im Norden Deutschlands. Mit der Annexion der Herzogtümer Schleswig und Holstein sicherte sich Preußen eine neue Machtbastion an der deutschen Küste. Gleichzeitig wurden das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt von Preußen annektiert. Preußen hatte nun ein geschlossenes Staatsgebiet und stellte von den 30 Millionen Einwohnern des Norddeutschen Bundes allein 25 Millionen. Die Entthronung von legitimen deutschen Monarchen wurde von konservativer Seite, gerade von den preußischen Hochkonservativen (Gerlach), als "Revolution von oben" interpretiert. Sie stärkte auf der anderen Seite damit Bismarcks Ansehen bei den Liberalen, denn gerade die Annexionen unterstrichen, dass Preußen ungeachtet historischer Rechte nationale Politik betrieb. Die Hauptmotive Bismarcks für die Annexionen lagen freilich eindeutig in dem Ziel einer Vergrößerung Preußens und Festigung seiner Machtstellung. 4. Deutschlandpolitische Bedeutung des Jahres 1866. Mit den Entscheidungen des Jahres 1866 war die Geschichte des Deutschen Bundes zu Ende. Der Nationalstaat hatte sich auch im deutschen Raum durchgesetzt. Von nun an gab es einen Deutschlandbegriff, der Österreich ausschloss, wenngleich engere Beziehungen zwischen dem deutschen Nationalstaat und der Habsburger Monarchie bestehen blieben und schon bald wieder ausgebaut werden sollten. Historiker haben oft über Alternativen zur kleindeutschen Lösung diskutiert: in Form einer großdeutsch-föderalistischen Ordnung oder in Form einer großdeutsch-demokratischen Einigung von unten. So bedenkenswert solche Überlegungen sind, so wenig ist zu übersehen, dass die kleindeutsche Lösung durchaus eine gewisse Sachlogik besaß. Sie entsprach eher den geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, in deren Gefolge Österreich doch mehr und mehr an den Rand Deutschlands gerückt war. Die neuere Forschung spricht deshalb auch nicht mehr nur von der Reichsgründung von oben, sondern hebt hervor, dass der Lösung von 1866 auch eine Art innerer Reichsgründung – eine gesellschaftliche Vorbereitung – vorausging (Langewiesche, Fehrenbach, Gall), ohne die Bismarck nicht zum Erfolg gekommen wäre. Sehen muss man bei all dem allerdings, dass es Bismarck gleichzeitig durch "seinen" Erfolg von 1866 gelang, den mit dem Nationalstaat verbundenen Parlamentarisierungs- und Demokratisierungswünschen deutliche Grenzen zu ziehen. 7 Zur Forschung vgl. die schon zitierten EDG-Bände von Fehrenbach und DoeringManteuffel. 8