Universität Hamburg - Fakultät WiSo Lösungen zum Fallskript für das Tutorium des Kurses: Grundlagen Zivilrecht WS 2011/2012 Prof Dr. Udo Reifner 28.10.2011 Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Inhalt Lösungen zum Fall 1:Vase ........................................................................................................................ 2 Lösung zu Fall 2: Am Ende wird aufgerechnet ......................................................................................... 7 Lösung Fall 3: Gebrauchter Porsche ....................................................................................................... 10 Lösung Fall 4 :Der eifrige Meier ............................................................................................................. 19 Lösung Fall 5: Der Konzertflügel ........................................................................................................... 25 Lösung zu Fall 6: Das Sektenmitglied ..................................................................................................... 32 Lösungen zu Fall 7: Versprechen ins Blaue ............................................................................................. 35 Lösung zu Fall 8: Schlechte Konjunktur ................................................................................................. 42 Lösung zu Fall 9: Die Bürgschaft ............................................................................................................ 45 Lösung zu Fall 10: Freie Preisbildung ..................................................................................................... 50 Lösung zu Fall 11: die falsche Handtasche .............................................................................................. 56 Lösung zu Fall 12: Die falschen Schuhe .................................................................................................. 61 Lösung zu Fall 13: Advent, Advent ......................................................................................................... 67 Lösung zu Fall 14: Abgebrannt ............................................................................................................... 71 Lösung zu Fall 15: Die Wochenendfahrt ................................................................................................. 75 Lösung zu Fall 16: Kurzfristiger Lockführerstreik ................................................................................... 78 Lösung zu Fall 17: die Bananenschale ..................................................................................................... 82 Lösung zu Fall 18: Das Sonnenverdeck .................................................................................................. 88 Lösung zu Fall 19: Versprechen ins Blaue II ........................................................................................... 91 Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösungen zum Fall 1:Vase Anspruch auf Kaufpreiszahlung: 1. Kaufvertrag zwischen V und K (+) Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung 2. Erlöschen des Anspruchs wg. Unmöglichkeit (-) Gefahrübergang; Ware wurde bereits übergeben 3. Ergebnis: V steht ein Anspruch gegen K auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 100,- € gemäß § 433 Abs. 2 BGB zu Schadenersatz gem. § 823 Abs. 1 BGB 1. Verletzung eines Rechtsgutes Vase (+) 2. Verletzungshandlung Anrempelung (+) 3. Haftungsbegründende Kausalität; Verknüpfung Handlung und Rechtsgutverletzung (+) 4. Rechtwidrigkeit; keine Rechtfertigungsgründe(+) 5. Verschulden des D; Fahrlässigkeit (+) 6. Schaden; unfreiwillige Vermögensverringerung (+) 7. Haftungsausfüllenden Kausalität; Verknüpfung Rechtsgutverletzung und Schaden (+) 8. Kein Mitverschulden (-) 9. Fristsetzung, ggf. Entbehrlichkeit (+) 10. Ergebnis: D hat dem K gemäß §§ 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB Schadensersatz in Höhe von 5.000,- € zu leisten. I. Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung aus Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2 BGB Zu prüfen ist, ob gemäß § 433 Abs. 2 BGB ein Anspruch des V gegen K auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 100,- € besteht. 1. Anspruch entstanden? Es muss zunächst untersucht werden, ob der Anspruch auf Kaufpreiszahlung entstanden ist. Dazu müsste ein Kaufvertrag gemäß § 433 BGB zwischen K und V zustande gekommen sein. Ein Vertrag ist zumeist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, bei dem durch mindestens zwei übereinstimmende Willenserklärungen ein bestimmter rechtlicher Erfolg erzielt werden soll (so genannter Vertragswille). Der Vertrag kommt demnach grundsätzlich durch den Antrag (auch Angebot genannt) der einen Vertragspartei und durch die vorbehaltlose Annahme dieses Antrags durch die andere Vertragspartei zustande. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Am 1. Oktober 2007 bot der V dem K die Vase zum Preis von 100,- € an; der K erklärte sich mit dem von V verlangten Kaufpreis einverstanden. Hierin liegen zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme) vor und der Kaufvertrag ist zustande gekommen. Durch den zustande gekommenen Vertrag hat V - als Verkäufer - sich gemäß § 433 Abs. 1 BGB verpflichtet dem K das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Dieser Verpflichtung kam V zu dem Zeitpunkt nach, als er dem K die verpackte Vase übergab.1 Gemäß § 433 Abs. 2 hat sich K - als Käufer - durch den geschlossenen Kaufvertrag verpflichtet den Kaufpreis zu zahlen. Gemäß § 433 Abs. 2 BGB ist somit ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe vom 100,- € entstanden. 2. Anspruch erloschen? Der Anspruch auf Kaufpreiszahlung könnte allerdings gemäß § 326 Abs. 1 BGB erloschen sein. Dies setzt einen gegenseitigen Vertrag voraus, bei dem die Gegenleistung gemäß § 275 BGB unmöglich geworden ist. Unmöglichkeit bedeutet, dass die Leistungserbringung nicht möglich ist. Sofern der Schuldner die Leistungserbringung wegen Unmöglichkeit verweigern kann, entfällt auch der Anspruch auf Gegenleistung für ihn. Dies würde für den vorliegenden Sachverhalt bedeuten, dass aufgrund der zerstörten Vase (der Verkäufer konnte keine mangelfreie Sache liefern) auch kein Anspruch auf Kaufpreiszahlung für den V besteht. Ein solcher Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn gemäß § 446 S. 1 BGB die Sache schon übergeben wurde. Mit Übergabe geht beim Kaufvertrag über eine Sache die Preisgefahr2 auf den Käufer über, § 446 BGB. Dem Käufer wird das Risiko des zufälligen Untergangs auferlegt, weil der Verkäufer sich mangels Sachherrschaft nach der Übergabe nicht mehr gegen dieses Risiko schützen kann. Übergabe bedeutet daher grundsätzlich die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes gemäß § 854 BGB an der Kaufsache. Mit Überreichen der verpackten Vase ging die Gefahr des zufälligen Untergangs auf K über. Erst nachdem die Vase übergeben wurde und zeitgleich der Gefahrübergang erfolgt ist, wurde die Vase zerstört. Somit ist der Anspruch auf Kaufpreiszahlung nicht nach § 326 Abs. 1 BGB erloschen. 3. Ergebnis Dem V steht ein Anspruch gegen K auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 100,- € gemäß § 433 Abs. 2 BGB zu. 1 Ein möglicher Eigentumsvorbehalt ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. (Solch ein Vorbehalt würde den Eigentumsübergang in dem Moment bewirken, in dem der Kaufpreis bezahlt wäre. Dann wäre K bis zur vollständigen Bezahlung lediglich unmittelbarer Besitzer der Vase.) 2 Preisgefahr bedeutet, dass trotz Untergang der Sache der Käufer den Kaufpreis zahlen muss. Er trägt also die Gefahr. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner II. Schadensersatzanspruch des K gegen D gemäß § 823 Abs. 1 BGB K könnte von D Schadenersatzersatz wegen des an seinem Eigentum entstandenen Schadens gemäß § 823 Abs. 1 BGB verlangen. Erforderlich hierfür wäre eine Verletzungshandlung, durch die ein Rechtsgut verletzt wurde. 1. Verletzung eines Rechtguts Gemäß § 823 BGB stellt die Verletzung des Eigentums eine Rechtsgutsverletzung dar. Mit Übergabe der Vase durch V an K ging diese in das Eigentum des K über. Diese Vase wurde anschließend zerstört, was eine Verletzung des Eigentums von K zur Folge hatte. 2. Verletzungshandlung Die erforderliche Verletzungshandlung, durch die ein Rechtsgut verletzt wurde, müsste ebenfalls vorliegen. Es müsste eine deliktische Handlung vorliegen. „Handlung“ bedeutet ein menschliches Verhalten, das der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist. Das mit dem Zurückgehen verbundene Anrempeln des K durch D betraf ein Verhalten, das vom D steuerbar war. Somit liegt eine Handlung i. S. d. § 823 BGB vor. 3. Haftungsbegründende Kausalität Grundlage einer gesetzlichen Haftung auf Schadensersatz ist eine Handlung (Tun oder Unterlassen) des Schuldners, die zu einem Verletzungserfolg geführt und einen Schaden nach sich gezogen hat. Dies wurde wie oben beschrieben geprüft und für den vorliegenden Sachverhalt bejaht. Die notwendige Verknüpfung zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden nennt man Kausalität (Ursächlichkeit). Haftungsbegründende Kausalität ist die Verknüpfung zwischen einer Handlung und dem Erfolg (der Rechtsgutverletzung). Hierbei muss diese Handlung auch im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen. Aufgrund des Anrempelns des D im Zurückgehen zerbrach die Vase. Diese Handlung stellt das schädigende Ereignis dar, infolge dessen die Vase zerbrach. Der Schaden hieraus ist somit kausal zu der Handlung. Es ist weiter auch nicht ungewöhnlich, dass bei einem solchen Zusammenstoß Gegenstände zu Bruch gehen. Daher war die Handlung adäquat kausal für die Rechtsgutverletzung. Die haftungsbegründende Kausalität ist gegeben. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 4. Rechtswidrigkeit Mangels Vorliegen von Rechtfertigungsgründen war das Handeln des D rechtswidrig. 5. Verschulden Den D müsste Verschulden treffen. Er haftet für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. D hätte nicht zurücktreten dürfen ohne sich zu vergewissern, dass er durch diese Handlung einen Dritten bzw. dessen Rechtsgut verletzt. Aufgrund dieser Unaufmerksamkeit hat er damit zumindest leicht fahrlässig gehandelt. Ein Verschulden des D liegt also vor. 6. Schaden Es müsste ein Schaden eingetreten sein. Hierunter ist ein unfreiwilliges Vermögensopfer zu verstehen. Nach der Differenzhypothese wird das Vermögen in seinem Zustand nach dem schädigenden Ereignis mit der (hypothetischen) Vermögenslage verglichen, wie sie bestanden hätte, wenn das die Schadensersatzpflicht begründende Ereignis nicht eingetreten wäre. Ohne die Zerstörung der Vase wäre K Eigentümer eines Gegenstands im Wert von 100,- €, unter bestimmten Umständen im Werte von 5.000,- €, gewesen. Sofern der tatsächlich objektive Wert der Vase über dem Kaufpreis liegt, wäre der Schaden höher anzunehmen. Der K glaubt das die Vase ein besonders wertvolles Exemplar darstellt, deren Wert mindestens 5.000,- € beträgt. Insofern wäre sein Eigentum nicht nur um 100,- € durch den Erwerb erhöht worden, sondern tatsächlich um 5.000,- € (abzüglich des zu zahlenden Kaufpreises). Insofern wäre D gemäß § 252 BGB auch zum Ersatz des nichterzielten Gewinnes verpflichtet. Demnach hat der K einen Schaden in eben dieser Höhe erlitten. 7. Haftungsausfüllende Kausalität Anders als bei der haftungsbegründenden Kausalität, die die Verknüpfung zwischen Rechtsgutverletzung und Handlung beinhaltet, ist für die haftungsausfüllende Kausalität der Zusammenhang zwischen der Rechtsgutverletzung und dem hieraus entstandenen Schaden entscheidend. Für die Kausalität gelten die oben genannten Kriterien. Der Wertverlust in Höhe von 100,- € war eine unmittelbare Folge der Zerstörung des Eigentums. Daher liegt auch die haftungsausfüllende Kausalität vor. 8. Kein Mitverschulden Ein Schadensersatzanspruch kann eingeschränkt werden, wenn der Geschädigte sich ein Mitverschulden an der Schadensverursachung anrechnen lassen muss. Dies bedeutet für den Geschädigten, dass er sich unter Umständen immer dann einen Teil des Schadens zurechnen lassen muss, wenn er nicht die übliche Sorgfalt angewendet hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in dieser Situation beachtet hätte. Gemäß § 254 BGB sind hierbei 3 Tatbestände zu unterscheiden: Mitwirken des Verletzten bei der Rechtsgutverletzung Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Unterlassung der Wahrung durch den Geschädigten Unterlassung einer Schadensabwendung oder -minderung. Einer dieser Tatbestände oder weitere Anhaltspunkte die ein Mitverschulden des K gemäß § 254 BGB begründen könnten sind nicht ersichtlich. 9. Fristsetzung gem. § 251 I BGB Grundsätzlich besteht beim Schadenersatz Anspruch auf Naturalrestitution, d. h. auf Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand (§ 249 BGB). Ist dies nicht möglich, oder für den Geschädigten nicht ausreichend, so muss der Schaden in Geld ausgeglichen werden. In den Fällen, in denen eine Naturalrestitution nicht möglich ist, kann der Geschädigte gem. § 251 I BGB ohne eine Fristsetzung Schadenersatz in Geld fordern. In dem vorliegenden Fall wurde die Vase zerstört. Eine Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand ist bei solchen Schäden aufgrund der Beschaffenheit der Vase nicht möglich. Insofern kann K von D Ersatz des Schadens in Geld ohne eine weitere Fristsetzung verlangen. 10. Ergebnis Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB sind gegeben. Folglich hat der D dem K gemäß §§ 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB Schadensersatz in Höhe von 5.000,- € zu leisten. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 2: Am Ende wird aufgerechnet Anspruch auf Darlehensrückzahlung 1. Wirksamer Darlehensvertrag Darlehensforderung (+) (+) 2. Anspruch erloschen wg. Aufrechnung a. Gegenseitige Forderungen b. Gleichartige Forderungen c. Fällig und durchsetzbar d. Aufrechnungserklärung 3. Ergebnis: Der Insolvenzverwalter hat einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 6.000,- € zzgl. Zinsen gegen Hilbert. Anspruch auf Zinszahlung 1. Restforderung aus Darlehensvertrag 5 % Zinsen von 6.000,- € für ein Jahr 5 % Zinsen von 6.000,- € für Zeitraum Darlehensgewährung und Aufrechnung 2. Ergebnis: Der Insolvenzverwalter hat am 01. Oktober 2007 einen Anspruch gegen Hilbert auf Zahlung von insgesamt 6.450,- € (Darlehen zzgl. Zinsen). I. Anspruch des Insolvenzverwalters gegen Hilbert gem. § 488 Abs. 1 S.2 BGB Der Insolvenzverwalter könnte einen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens in Höhe von 12.000,- € gegen Hilbert haben. Als Anspruchsgrundlage kommt § 488 Abs. 1 S. 2 BGB in Betracht. 1. Zwischen Hilbert und der Bau-Fix GmbH, gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG vertreten durch ihren Geschäftsführer Gnau, wurde ein Darlehensvertrag über 12.000,- € zu einem Zinssatz von 5 % vereinbart. Mit Ablauf eines Jahres war das Darlehen am 1. Oktober 2007 zurückzuerstatten. Eine Darlehensforderung in Höhe von 12.000,- € zzgl. Zinsen ist somit entstanden. 2. Der Anspruch auf Zahlung der Darlehensforderung könnte jedoch wegen Aufrechnung gemäß § 389 BGB erloschen sein. Sofern zwei Personen gegenseitig eine gleichartige Leistung (insbesondere Geld) schulden, so kann jeder Teil einseitig seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sofern die eigene Forderung voll wirksam, einredefrei und fällig ist. a) Zu prüfen ist somit, ob hinsichtlich der Vergütung für ausgeführte Installationsarbeiten mit Abnahme im März 2007 die Voraussetzungen einer Aufrechnung in Höhe von 6.000,- € erfüllt sind. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner aa) Haupt- und Gegenforderung standen im Verhältnis der Gegenseitigkeit, da die Bau-Fix GmbH einen Anspruch gegen Hilbert auf Rückzahlung des Kredits hatte und Hilbert gegen die Bau-Fix GmbH gemäß § 631 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Werklohnes zustand. bb) Da es sich jeweils um Geldforderungen handelt, ist die Gleichartigkeit des Leistungsgegenstands zu bejahen. cc) Des Weiteren müsste die Gegenforderung fällig und durchsetzbar gewesen sein. Durchsetzbarkeit setzt gemäß § 390 BGB voraus, dass der Gegenforderung keine Einrede entgegenstehen darf. Nach § 641 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Vergütung bei Abnahme fällig. Die Abnahme erfolgte am 31. März 2007. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Geltendmachung einer entgegenstehenden Einrede (Verjährung, Zurückbehaltungsrecht o. ä.). Damit war die Gegenforderung mit Abnahme des Werks am 31.03.2007 fällig und durchsetzbar. dd) Die Hauptforderung müsste ferner im Zeitpunkt der Aufrechnungslage erfüllbar gewesen sein. Hilbert war nach der Darlehensvereinbarung zu jederzeitigen Tilgung berechtigt. Am 31. März 2007 war daher eine Teilrückzahlung des gewährten Darlehens möglich. Die Erfüllbarkeit der Hauptforderung war somit gegeben. ee) Ein Aufrechnungsverbot besteht nicht. ff) Zu untersuchen ist schließlich, ob die Aufrechnung gemäß § 388 BGB erklärt wurde. Die Aufrechnungserklärung stellt eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Gemäß § 133 ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Nach allgemeiner Auffassung kann zudem die Auslegungsregel des § 157 BGB, wonach Verträge nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen sind, auch auf die einzelne Willenserklärung angewendet werden. Hilbert weigerte sich unter Hinweis auf die von ihm erbrachten Handwerkerleistungen zu zahlen. Zwar verwendete er nicht ausdrücklich den Begriff „Aufrechnung“. Seine Aussage ist jedoch eindeutig so zu verstehen, dass er wegen der entgegenstehenden werkvertraglichen Forderungen die gegen ihn gerichteten Darlehensforderungen als erloschen betrachtet. Deshalb ist seine Einlassung als Aufrechnungserklärung auszulegen. b) Fraglich ist aber auch, ob Hilbert bezüglich der Reparaturarbeiten in der Eigentumswohnung des Gnau ein Aufrechnungsanspruch zusteht. Diese setzt die Gegenseitigkeit der Forderungen voraus. Das bedeutet, dass der Aufrechnende Schuldner der Hauptforderung Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner und Gläubiger der Gegenforderung sein muss, während sein Vertragspartner Gläubiger der Hauptforderung und Schuldner der Gegenforderung ist. Die Hauptforderung in Form der Darlehensrückzahlung bestand zwischen der Bau-Fix GmbH und Hilbert. Bei den Reparaturarbeiten handelte es sich um einen Auftrag, der von Gnau erteilt wurde. Aus den Umständen des Vertragsschlusses ist nicht ersichtlich, dass Gnau dabei für die Bau-Fix GmbH handelte. Vielmehr ging es um einen Werkvertrag, bei denen Leistungen für die Eigentumswohnung des Gnau erbracht werden sollten. Hieraus ist zu schließen, dass Gnau den Werkvertrag im eigenen Namen schloss. Also ist die Bau-Fix GmbH nicht Schuldnerin der vereinbarten Vergütung. Ein Aufrechnungsanspruch des Hilbert aus dieser Forderung gegen die Bau-Fix GmbH besteht daher nicht. c) 3. II. Folglich ist aufgrund der Aufrechnung die Forderung auf Rückzahlung des Darlehens bezüglich eines Betrags von 6.000,- € mit Wirkung zum 31. März 2007 erloschen. Dies bedeutet im Zwischenergebnis, dass der Insolvenzverwalter einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 6.000,- € zzgl. Zinsen gegen Hilbert hat. Zu klären bleibt weiter, in welchem Umfang die Zinsforderung gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB besteht. 1. Bezüglich der Restforderung in Höhe von 6.000,- € sind die Zinsen von 5 % für ein Jahr zu entrichten, was einen Betrag von 300,- € ergibt. 2. Hinsichtlich der getilgten Forderung in Höhe von ebenfalls 6.000,- € besteht die Zinsforderung von 5 % nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Tilgung des Darlehens erfolgte. Nach § 389 BGB gelten die Forderungen in dem Zeitpunkt als erloschen, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind. Dies war am 31. März 2007 der Fall. Es müssen somit Zinsen von 5 % für die Monate Oktober 2006 bis März 2007, also für ein halbes Jahr, bezüglich einer Darlehenssumme von 6.000,- € gezahlt werden. Dies entspricht einem Betrag von 150,- €. 3. Es besteht somit eine Zinsforderung von insgesamt 450,- €. Ergebnis: Somit kann der Insolvenzverwalter am 01. Oktober 2007 von Hilbert insgesamt die Zahlung von 6.450,- € verlangen. (Sofern Hilbert dieser Zahlungsverpflichtung nicht nachkommt, könnte die Zinshöhe weiter steigen.) , Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung Fall 3: Gebrauchter Porsche A. Herausgabe des Porsches 1. Eigentümer ursprünglicher Eigentümer Eigentumsübergang (2 übereinstimmende WE) Übergabe 2. Ergebnis B. Anspruch auf Übergabe und Übereignung 1. Schuldrechtlicher Vertrag; hier Kaufvertrag (+) 2. Anspruch erloschen durch Leistung (-) 3. Zurückbehaltungsrecht b. fehlender Gegenleistung (-) 4. Ergebnis: Anspruch auf Übergabe und Übereignung (+) Lösung Grundfall: A. Eigentumslage hinsichtlich des Porsche (für die Prüfung des Eigentums empfiehlt sich die historische Prüfungsreihenfolge) Kunze könnte gegen Albrecht einen Anspruch auf Herausgabe des Porsche gemäß §§ 985, 986 Abs. 1 BGB haben. I. Eigentümer Fraglich erscheint allerdings, ob Kunze zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens Eigentümer war. 1. Ursprünglicher Eigentümer Mangels weiterer Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass Albrecht zunächst Eigentümer des Porsche war (zugunsten eines Eigenbesitzers [vgl. § 872 BGB] stellt auch das BGB in § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB diese Vermutung auf). 2. Eigentumsübertragung an Kunze Albrecht könnte jedoch das Eigentum rechtsgeschäftlich an Kunze übertragen haben. Dies setzt gemäß § 929 S. 1 BGB die Übergabe des Porsche und die Einigung hinsichtlich des Eigentumsübergangs voraus. Die Einigung besteht aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen in Form von Angebot und Annahme i. S. d. §§ 145 ff. BGB (Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag und damit das sachenrechtliche Äquivalent zum schuldrechtlichen Vertrag, bei dem sich Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner die Parteien lediglich verpflichten eine Leistung zu erbringen). Weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Einigung lässt sich dem Sachverhalt entnehmen. Keinesfalls liegt die Einigung im Abschluss des Kaufvertrages – schuldrechtlicher Vertrag und sachenrechtlicher Vertrag sind stets getrennt voneinander zu prüfen (Trennungsprinzip). Schließlich fehlt es auch an einer Übergabe (Übergabesurrogate kommen nicht in Betracht, da Albrecht weiterhin vollen Besitz behält und Kunze keinerlei Besitzrechte eingeräumt wurden). II. Ergebnis Albrecht ist Eigentümer des Porsche und Kunze hat dementsprechend keinen Herausgabeanspruch gemäß §§ 985, 986 Abs. 1 BGB. B. Ansprüche Kunze gegen Albrecht I. Anspruch des Kunze gegen Albrecht auf Übergabe und Übereignung des PKW aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB Kunze könnte einen Anspruch gegen Albrecht auf Übergabe und Übereignung des Porsche aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB haben. Den dazu erforderlichen Vertrag haben die Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen gemäß §§ 145, 147 BGB geschlossen. Dieser ist dem Inhalt nach als Kaufvertrages gemäß § 433 BGB zu qualifizieren, so dass Kunze gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB von Albrecht Übergabe und Übereignung des Porsche verlangen kann. II. Rechtsvernichtende Einwendungen Wie soeben geprüft, wurden weder Besitz (i. S. v. § 854 Abs. 1 BGB) noch das Eigentum an Kunze übertragen, so dass der Anspruch auch nicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen ist. III.Einreden Dem Albrecht könnte ein Zurückbehaltungsrecht an dem Porsche aus § 320 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen. Wie zwischen den Parteien vereinbart, darf der Kunze den Porsche jedoch schon am 30.10.2007 mitnehmen und muss ihn erst einen Monat später bezahlen. Damit ist Albrecht zur Vorleistung verpflichtet und kann nicht die Einrede der „Zug-umZug“-Erfüllung geltend machen. IV. Ergebnis Kunze hat einen Anspruch gegen Albrecht auf Übergabe und Übereignung des Porsche aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB. Strikte Trennung von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft! Das Trennungsprinzip besagt, dass das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (zum Beispiel der o. g. Kaufvertrag), in dem sich jemand einem anderen gegenüber zu etwas verpflichtet, und das dingliche Verfügungsgeschäft (z. B. eine Übereignung i. S. d. § 929 BGB), mit dem jemand Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner die Rechtsverhältnisse an einer Sache ändert, zwei gesonderte und daher streng voneinander zu trennende Rechtsgeschäfte sind. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag handelt es sich um ein schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft, aus dem die in den §§ 433 ff. BGB normierten Pflichten der Vertragspartner folgen. An der sachenrechtlichen (dinglichen) Zuordnung des PKW ändert sich dadurch hingegen (noch) nichts. Das heißt, trotz eines wirksam geschlossenen Kaufvertrages ist Albrecht noch Eigentümer des Porsche. Durch einen Kaufvertrag wird also niemals Eigentum erworben oder verloren. Der Eigentumsübergang richtet sich stets nach den Vorschriften der §§ 929 ff. BGB und erfordert eine Einigung über den Eigentumsübergang und die Übergabe der Sache bzw. ein Übergabesurrogat. Wichtig ist, dass sich sowohl der schuldrechtliche, als auch die dingliche Vertrag i. S. d. §§ 929 ff. BGB nach den §§ 145 ff. BGB richten. Das Abstraktionsprinzip schließt sich an diese Trennung von dinglichem Verfügungs- und schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft unmittelbar an und besagt: Ein Fehler auf der einen Ebene (schuldrechtlich oder dinglich) wirkt sich grundsätzlich nicht auf die andere Ebene (schuldrechtlich bzw. dinglich) aus. Die Verfügung ist unabhängig von der (Un) Wirksamkeit der zugrundeliegenden Verpflichtung. Es wäre beispielsweise denkbar, dass Kunze aufgrund eines Irrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) zur Anfechtung des Kaufvertrages berechtigt ist und anders als im Ausgangsfall nunmehr eine Übereignung des Porsche stattgefunden hat. Übt Kunze sein Anfechtungsrecht aus, so ordnet die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes an. Hier setzt nun das Abstraktionsprinzip an: Die Unwirksamkeit des anfechtbaren Kaufvertrages lässt die dingliche Seite des Rechtsgeschäftes (hier die Übereignung des Wagens) unberührt, mit der Folge, dass Kunze durch die vorherige Übereignung nach wie vor Eigentümer des Wagens bleibt. Allerdings entfällt mit dem unwirksamen Vertrag auch die Grundlage für das „Behaltendürfen“ des Wagens. Dieser ist gemäß §§ 812 ff. BGB zurückzugewähren. Lösung Abwandlung 1: [Anspruch des Kunze auf Herausgabe des bezahlten Geldes] A. Anspruch aus §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB Kunze könnte von Albrecht die Herausgabe der Geldscheine verlangen. Als Anspruchsgrundlage kommen §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht.3 Der Herausgabeanspruch aus § 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass Kunze zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens noch Eigentümer der Geldscheine ist, Albrecht dagegen lediglich Besitzer ohne Recht zum Besitz. 3 § 985 und § 986 BGB sind stets zusammen zu prüfen, da der Eigentümer nur dann vom Besitzer die Herausgabe verlangen kann, wenn der Besitzer kein Recht zum Besitz hat. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner I. Besitz Albrecht ist derzeit Besitzer der Geldscheine, da er die tatsächliche Sachherrschaft hierüber ausübt. II. Eigentum Fraglich erscheint allerdings, ob Kunze weiter Eigentümer der Geldscheine4 ist. 1. Ursprüngliches Eigentum an den Geldscheinen Ursprünglich war Kunze Eigentümer der Geldscheine. 2. Verlust des Eigentums durch Übereignung Das Eigentum könnte Kunze aber durch wirksame Übereignung gemäß § 929 S. 1 BGB an den Albrecht verloren haben. a) Einigung und Übergabe Voraussetzung wäre einerseits die Übergabe der Scheine, andererseits die Einigung über den Eigentumsübergang. Die Einigung i. S. v. § 929 S. 1 BGB erfordert einen dinglichen Vertrag, der auf die Übertragung des Eigentums gerichtet ist, d. h. Angebot auf Übereignung durch den Eigentümer (oder einen sonst Berechtigten) und dessen Annahme durch den Erwerber (§§ 145, 147 BGB). Dieser Vertrag kann auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) geschlossen werden, meist bei Gelegenheit der Übergabe. Vorliegend wurden die Geldscheine von Kunze an Albrecht übergeben. Gleichzeitig gingen beide Parteien davon aus, dass der Albrecht Eigentum daran erwerben sollte, so dass konkludent die Einigung über den Eigentumsübergang geschlossen wurde. (Indiz hierfür ist, dass Kunze mit der Übergabe seine Pflicht aus § 433 Abs. 2 BGB erfüllen wollte). Einigung und Übergabe liegen somit vor. b. Wirksamkeit der Einigung Die Übereignung könnte aber gemäß § 138 Abs. 2 BGB die Verfügung eines „Bewucherten“ darstellen und damit nichtig sein. [HINWEIS: Bei § 138 Abs. 2 BGB ist neben dem Verpflichtungsgeschäft auch das Verfügungsgeschäft des Bewucherten nichtig; vgl. Wortlaut „versprechen und gewähren lässt“. Dies ist eine der wenigen Ausnahmen zum Abstraktionsprinzip. Das Verfügungsgeschäft des „Wucherers“ ist hingegen wirksam.] Ein auffälliges Missverhältnis ist anzunehmen, wenn der Wert der Leistung den der Gegenleistung um 100 % übersteigt. Dies ist vorliegend gegeben. Zudem müsste Albrecht unter Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche des Kunze gehandelt haben. Ausbeutung setzt voraus, dass sich der Albrecht die Unerfahrenheit 4 Geldscheine sind Sachen i. S. d. § 90 BGB und die Eigentumsübertragung richtet sich folglich nach den §§ 929 ff. BGB – die Eigentumslage wird historisch geprüft. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner usw. bewusst zunutze gemacht hat. Nach dem Sachverhalt hat Albrecht sich den Reichtum des Kunze zunutze gemacht, von Unerfahrenheit ist keine Rede.5 Eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB scheidet damit aus. [HINWEIS: § 138 Abs. 1 BGB erfasst lediglich den schuldrechtlichen Vertrag und ist daher nicht i. R. d. Eigentumsverhältnisse zu prüfen. Es gilt das Abstraktionsprinzip!] III.Ergebnis Albrecht hat wirksam Eigentum an den Geldscheinen erworben, Kunze ist nicht mehr Eigentümer und kann aus §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB nicht Herausgabe verlangen. B. Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB – Leistungskondiktion Kunze könnte aber einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auf Herausgabe von Eigentum und Besitz an den Geldscheinen gegen Albrecht haben. I. Etwas erlangt Albrecht hat Eigentum (s. o) und Besitz (in Form der tatsächlichen Sachherrschaft) an den Geldscheinen erlangt. II. Durch Leistung Das Eigentum und den Besitz an den Geldscheinen müsste Albrecht durch Leistung des Kunze erlangt haben. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Kunze hat das Vermögen des Albrecht in der Annahme gemehrt, seine Kaufpreisschuld zu tilgen, worin eine Leistungshandlung zu sehen ist. III.Ohne rechtlichen Grund Die Leistung müsste ohne rechtlichen Grund erfolgt sein. Hier kommt als rechtlicher Grund der zwischen Albrecht und Kunze geschlossene Kaufvertrag in Betracht. Dieser könnte jedoch wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. [HINWEIS: Das „Rechtsgeschäft“, welches in § 138 Abs. 1 BGB „nichtig“ ist, ist lediglich der schuldrechtliche Vertrag. Es gilt das Abstraktionsprinzip, so dass der dingliche Vertrag hiervon nicht betroffen wird. Dies ist der große Unterschied zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 138 BGB. In seinem Tatbestand ist Abs. 2 enger als Abs. 1, so dass trotz fehlender Nichtigkeit wegen Wuchers Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB vorliegen kann.] Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Diese Generalklausel wurde von der Rechtsprechung konkretisiert. Besonders wichtig ist die Fallgruppe des besonders groben Missverhältnisses. In diesem Fall besteht eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung, so dass i. d. R. eine weitere Prüfung der subjektiven Voraussetzungen entfällt.6 5 Bei entsprechender Begründung wäre es vertretbar, hier auch zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Anders ist die Situation, wenn der Benachteiligte Kaufmann ist. Dann kann aus dem besonders groben Missverhältnis nicht auf eine verwerfliche Gesinnung geschlossen werden [BGH NJW 2003, S. :2230, 2231: Die 6 Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Soweit der Wert der Leistung „knapp“ doppelt so hoch ist wie die Gegenleistung, liegt nach dem BGH ein besonders grobes Missverhältnis vor, so dass ein solches auch im vorliegenden Fall anzunehmen ist. Mangels Kaufvertrags bestand folglich kein Rechtsgrund für die Leistung des Kunze. IV. Herausgabeumfang Soweit die konkreten Geldscheine noch unterscheidbar im Vermögen des Albrecht vorhanden sind, muss er diese herausgeben. Soweit er diese Geldscheine ausgegeben hat, ist der Wert der Geldscheine zu ersetzen, § 818 Abs. 2 BGB. Die Berufung auf Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB ist dem Albrecht versperrt, da er die Nichtigkeit des Kaufvertrages von Anfang an kannte (=bösgläubig war) und damit gemäß §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB verschärft haftet. Dieser Verweis auf die Haftung nach „den allgemeinen Vorschriften“ bedeutet in concreto, dass Albrecht die Geldsumme ab Empfang mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (d. h. derzeit insgesamt 8,19% p. a.) zu verzinsen hat, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.7 V. Ergebnis Kunze hat Anspruch auf Übereignung und Übergabe der Geldscheine (bzw. Wertersatz) aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. [Anspruch des Albrecht auf Herausgabe des Porsche] C. Anspruch aus §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB Albrecht könnte von Kunze Herausgabe des Porsche gemäß §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB fordern. Der Anspruch aus § 985 setzt voraus, dass Albrecht noch Eigentümer, und Kunze Besitzer ohne Besitzrecht am Porsche ist. I. Besitz Kunze ist derzeit Besitzer des Porsche, da er die tatsächliche Sachherrschaft hierüber ausübt. II. Eigentum Fraglich erscheint allerdings, ob Albrecht weiter Eigentümer des Porsche ist. 1. Ursprüngliches Eigentum am Porsche Ursprünglich war Albrecht Eigentümer des Porsche. 2. Verlust des Eigentums durch Übereignung Das Eigentum könnte Albrecht aber durch wirksame Übereignung (§ 929 S. 1 BGB) an den Kunze verloren haben. Voraussetzung wäre einerseits die Übergabe des Autos, Vollkaufmann-Eigenschaft des Benachteiligten begründet in aller Regel die widerlegliche Vermutung, dass der Begünstigte nicht in verwerflicher Weise eine persönliche oder geschäftliche Unterlegenheit des Benachteiligten ausgenutzt hat]. 7 Da Kunze der Übervorteilte eines wucherähnlichen Geschäftes gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist, ist die Saldotheorie zu seinen Lasten vorliegend nicht anwendbar. Es gilt insoweit die Zweikondiktionentheorie. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner andererseits die Einigung über den Eigentumsübergang. Vorliegend wurde das Fahrzeug übergeben, wobei beide Parteien davon ausgingen, dass der Kunze Eigentum erwerben sollte. Hierauf deutet nicht nur hin, dass die Übergabe zum Zweck der Erfüllung eines Kaufvertrags erfolgen sollte (aus dem der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 BGB die Eigentumsverschaffung schuldet), sondern auch die Übergabe des Fahrzeugbriefs, der typischerweise nur ausgehändigt wird, wenn man das Eigentum übertragen will. Der dingliche Vertrag ist auch wirksam. Der Sittenverstoß, der nach § 138 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts führen kann, betrifft lediglich den schuldrechtlichen Vertrag, während der dingliche Vertrag – der nichts mit dem Austauschverhältnis zu tun hat – hiervon nicht betroffen wird. Somit hat Kunze wirksam Eigentum an dem Porsche erworben. III.Ergebnis Albrecht ist nicht mehr Eigentümer und kann daher nicht aus §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 Herausgabe verlangen. D. Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) Albrecht könnte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen Kunze auf Herausgabe des Eigentums und Besitzes am Porsche haben. I. Etwas erlangt Kunze erlangte das Eigentum an dem Fahrzeug. II. Durch Leistung Mit dem Eigentum und dem Besitz am Porsche hat Albrecht bewusst und zweckgerichtet das Vermögen des Kunze gemehrt, indem er den Zweck verfolgte, die einem Kaufvertrag grundsätzlich entspringende Verpflichtung zu erfüllen (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB). III.Ohne rechtlichen Grund Der allein als rechtlicher Grund in Betracht kommende Kaufvertrag zwischen Albrecht und Kunze ist wegen überhöhten Kaufpreises gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Somit ist der Kunze grundsätzlich zur Herausgabe des rechtsgrundlos Erlangten verpflichtet. Der Anspruch könnte jedoch gemäß § 814 Fall 1 BGB ausgeschlossen sein, da Albrecht die Umstände kannte, die zur Sittenwidrigkeit des Vertrages führten. Als Ausnahmevorschrift ist § 814 Fall 1 BGB jedoch eng auszulegen, so dass die bloße Kenntnis der Tatsachen nicht genügt; vielmehr muss der Leistende auf Grund der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ positiv wissen, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Davon ist bei Albrecht nicht auszugehen. IV. Ergebnis Demnach hat Kunze dem Albrecht den Porsche zurückzugeben und das Eigentum durch Abschluss eines weiteren dinglichen Vertrags nach § 929 S. 1 BGB wieder zurück zu übertragen. Soweit der Porsche in natura nicht mehr herausgegeben werden kann (z. B. weil dieser zwischenzeitlich bei einem Unfall zerstört worden ist), müsste Kunze nach Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner § 818 Abs. 2 BGB grundsätzlich Wertersatz leisten; da er jedoch gutgläubig ist, stünde dem vorliegend § 818 Abs. 3 BGB entgegen und er wäre von einer Haftung befreit. [Grundsätzlich müsste Kunze auch gezogene Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 BGB ersetzen, die dann gemäß § 818 Abs. 2 BGB durch Wertersatz abgegolten werden. Aber auch hier greift zugunsten des gutgläubigen Kunze § 818 Abs. 3 BGB ein.] Zulasten des „Wucherers“ gilt hier zudem die Saldotheorie, die als logische Folge des Synallagmas beim gegenseitigen Vertrag gilt. Trotz Rechtsgrundlosigkeit bleiben danach die beiderseitigen Leistungen durch den Austauschzweck auch i. R. d. Bereicherungsausgleichs miteinander verknüpft. Soweit es sich – wie vorliegend – um ungleichartige Ansprüche handelt, kann jedoch keine Saldierung im eigentlichen Sinne erfolgen. Die Herausgabe des Porsche kann allerdings von vornherein nur Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Geldes geltend gemacht werden, ohne dass dazu die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts erforderlich wäre. Lösung Abwandlung 2: A. Ansprüche des Albrecht I. Anspruch des Albrecht auf Herausgabe des Kfz nach §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB Für den Anspruch aus §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB müsste der Albrecht Eigentümer und Kunze der Besitzer des Porsche ohne Recht zum Besitz sein. 1. Eigentum am Porsche Albrecht war ursprünglich Eigentümer des Porsche, könnte das Eigentum aber durch Übereignung (Einigung und Übergabe, § 929 S. 1 BGB) an den Kunze verloren haben. Vorliegend fehlt es indes an einer wirksamen Einigung über den Eigentumsübergang, da der Kunze unerkannt geisteskrank und seine Willenserklärung unwirksam war, §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift des Allgemeinen Teils des BGB gilt nicht nur für schuldrechtliche, sondern ebenso für dingliche Verträge. Daraus folgt, dass der Albrecht noch immer Eigentümer des Porsche ist, da er es trotz Übergabe auch des Fahrzeugbriefes (Ergänzung: Der Eigentümer eines Fahrzeugbriefes ist nicht zugleich auch Eigentümer des PKW´s) mangels Einigung nicht an den Kunze verloren hat. Auch eine Eintragung im Fahrzeugbrief ändert an dieser Rechtslage nichts.8 2. Besitz ohne Recht zum Besitz Auch der geisteskranke Kunze kann die tatsächliche Herrschaft über eine Sache ausüben und damit Besitzer des Porsche sein. Die Willenserklärung des Kunze im Rahmen des Kaufvertrags ist ebenfalls gemäß §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 BGB nichtig, so dass er hieraus kein Recht zum Besitz abzuleiten vermag. 8 Der Kfz-Brief ist nur ein Hilfspapier. Die Rechtsprechung hat allerdings das sachenrechtliche Schicksal von Fahrzeug und Papier als derart miteinander verbunden gesehen, dass § 952 BGB entsprechend anwendbar ist (Palandt – Bassenge § 952 Rn 7). Hier gilt der Grundsatz: „Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier.“ Das bedeutet, dass derjenige, der tatsächlich Eigentümer des Kfz ist, ein Recht am Kfz-Brief hat. Der Erwerber hat ein Recht auf Übergabe des Kfz-Briefes und Eintragung seiner Person im Brief. Er hat daher den Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeugbriefs gemäß § 985 BGB gegen den Besitzer des Briefes. Derjenige, der im Kfz-Brief steht, hat jedoch kein Eigentumsrecht am Kfz. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3. Ergebnis Albrecht kann als Eigentümer von Kunze Herausgabe des Besitzes am Porsche nach §§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB verlangen. II. Anspruch auf Herausgabe des Besitzes nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB Albrecht könnte auch einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB haben, da er durch die Übergabe im Hinblick auf den Besitz am Fahrzeug das Vermögen des Kunze bewusst und zweckgerichtet gemehrt hat. Wegen der Nichtigkeit des Kaufvertrags fehlte es insoweit an einem Rechtsgrund. Kunze hat demzufolge den Besitz herauszugeben. (Dem Wertersatzanspruch auf Entschädigung für gezogene Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB, steht zugunsten des gutgläubigen Kunze die Geltendmachung von Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB entgegen.) B. Ansprüche des Kunze Für die Ansprüche des Kunze wegen des gezahlten Kaufpreises gelten grundsätzlich dieselben Grundsätze. Da auch insoweit die Übereignung unwirksam ist (§§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 BGB), hat Kunze das Eigentum an den Geldscheinen nicht verloren und kann diese nach § 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB herausverlangen. Ebenso kann die Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB aus Leistungskondiktion verlangt werden, da auch der schuldrechtliche Vertrag unwirksam ist. (Hier haftet Albrecht nicht verschärft, da Kunze ja gerade unerkannt geisteskrank war.) Da der Nichtigkeitsgrund in der vorliegenden Konstellation sowohl das schuldrechtliche als auch das dingliche Rechtsgeschäft erfasst, spricht man von einem Doppelmangel. Aus didaktischen Gründen sind in den Fallvarianten einige Ausnahmen vom Abstraktionsprinzip dargestellt, um das Prinzip zu erläutern. Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Ausnahmen handelt und das Abstraktionsprinzip den Grundsatz enthält. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung Fall 4 :Der eifrige Meier Holzinger könnte gegen Klotzke einen Anspruch auf Zahlung von 6.000,- € gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben. Voraussetzung hierfür wäre Ein rechtsgültig geschlossener Kaufvertrag. Ein Vertrag ist zumeist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, bei dem durch mindestens zwei übereinstimmende Willenserklärungen ein bestimmter rechtlicher Erfolg erzielt werden soll (so genannter Vertragswille). Der Vertrag kommt demnach grundsätzlich durch den Antrag (auch Angebot genannt) der einen Vertragspartei und durch die vorbehaltlose Annahme dieses Antrags durch die andere Vertragspartei zustande. I. Angebot Holzinger unterbreitete ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags über Bauholz zum Preis von 6.000,- €. II. Annahme Fraglich ist jedoch, ob eine Annahme dieses Angebots durch Klotzke erfolgte. Dazu müsste Meier den Klotzke gemäß § 164 Abs. 1 BGB wirksam vertreten haben. 1. Willenserklärung des Meier Meier erklärte gegenüber Holzinger sein Einverständnis zu einem Kauf in Höhe von 6.000,- €, womit eine Willenserklärung vorliegt. 2. Zurechnung der Willenserklärung gem. § 164 I BGB Eigene Willenserklärung Damit die von Meier abgegebene Willenserklärung wirksam dem Klotzke zugerechnet werden kann, muss Meier eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Würde er lediglich die Willenserklärung des Klotzke wiedergeben, würde es sich bei Meier um einen Boten handeln. Dies bedeutet, dass ein Bote lediglich vorgegebene Parameter für den Kaufvertrag übermittelt, ein Vertreter aber einen gewissen Entscheidungsfreiraum zur Bildung seiner Willenserklärung hat und haben muss. Meier hatte lediglich die Vorgabe eine bestimmte Menge Bauholz zu kaufen, er besaß also einen Entscheidungsfreiraum und gab daher eine eigene Willenserklärung ab. Offenkundigkeitsprinzip Ferner muss für eine wirksame Stellvertretung das so genannte Offenkundigkeitsprinzip gewahrt sein. Dies bedeutet, dass der Vertreter gegenüber der anderen Vertragspartei klar zu erkennen geben muss, für und gegen wen sich dieses Rechtsgeschäft richtet. Indem Meier für Rechnung des Klotzke den Kaufvertrag schloss, gab er damit zu erkennen, dass er als dessen Stellvertreter handelte. Somit ist ein Handeln in fremden Namen und damit das Offenkundigkeitsprinzip gewahrt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Zwischenergebnis Für eine wirksame Vertretung ist die Abgabe einer eigenen Willenserklärung in fremden Namen notwendig. Dies ist vorliegend von Meier so geschehen, so dass eine wirksame Vertretung vorliegt. 3. Vertretungsmacht Fraglich bleibt allerdings, ob Meier innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht handelte. a) Diese könnte sich aus § 54 Abs. 1 HGB ergeben. Hierzu müsste der Meier zur Vornahme einzelner zu einem Handelsgewerbe gehöriger Geschäfte ermächtigt worden sein, ohne dass ihm Prokura erteilt wurde. Diese Vollmacht kann auch auf ein einziges Rechtsgeschäft beschränkt werden. Hinweise, dass Meier als Prokurist im Handelsregister eingetragen ist, bestehen nicht. Klotzke betreibt als Inhaber einer Baufirma ein Handelsgewerbe (§ 1 HGB). Indem Klotzke den Meier mit dem Kauf einer bestimmten Menge Bauholz beauftragte, erteilte er ihm eine Innenvollmacht zum Abschluss eines entsprechenden Geschäfts. Dieses Geschäft gehörte zum Handelsgewerbe des Klotzke. Folglich liegt eine Bevollmächtigung gemäß § 54 Abs. 1 HGB vor. b) Zu prüfen ist, ob Meier seine Vertretungsbefugnis überschritt und deswegen eine wirksame Stellvertretung ausscheidet. Gemäß § 54 Abs. 3 HGB wirkt eine Überschreitung der Vertretungsmacht nur im Innenverhältnis, soweit der Vertragspartner die Begrenzung der Vollmacht nicht kannte oder kennen musste. Mitarbeiter Meier überschritt seine Vertretungsbefugnis, indem er die Ware zu einem höheren Preis, als ihm von Klotzke vorgegeben war, kaufte. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Holzinger diese Vorgabe von Klotzke kannte oder er sie hätte kennen müssen. Dementsprechend wirkt die Überschreitung der Vertretungsbefugnis von Meier nicht im Außenverhältnis zu Holzinger. c) Also handelte Meier [im maßgeblichen Außenverhältnis] innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht. Folglich hat Meier in wirksamer Stellvertretung für Klotzke das Vertragsangebot angenommen. 4. Sittenwidriges Rechtsgeschäft gem. § 138 I BGB Der zwischen Klotzke und Holzinger geschlossene Kaufvertrag könnte aber gem. § 138 I BGB nichtig sein, wenn der Abschluss dieses Rechtsgeschäftes gegen die guten Sitten verstoßen würde. Sofern Meier und Holzinger bewusst zusammengewirkt haben, mit dem Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Ziel dem Klotzke zu schaden, würde dies gegen die guten Sitten verstoßen und die Nichtigkeit des Kaufvertrages auslösen. Ein solches Zusammenwirken ist jedoch nicht zu erkennen. 5. Anspruch erloschen / durchsetzbar Der Anspruch des Holzinger ist nicht erloschen, jedoch könnte Klotzke gem. § 242 BGB die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung erheben, soweit ein Fall des Missbrauches der Vertretungsmacht vorliegt. 1. Voraussetzung ist zunächst, dass der Vertreter die Grenzen seines rechtlichen Dürfens (Innenverhältnis) objektiv in einer solchen Weise überschreitet, dass beim Geschäftspartner berechtigte Zweifel entstehen müssten, ob das Verhalten des Vertreters ordnungsgemäß ist (grobe Fahrlässigkeit). 2. Ordnet das Gesetz die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht gegenüber Dritten an (§§ 50, 126 II HGB/ Prokura) so ist nach ständiger Rechtsprechung zusätzlich erforderlich, dass der Vertreter bewusste(vorsätzlich) seine im Innenverhältnis beschränkbare Vertretungsmacht überschreitet. In dem vorliegenden Sachverhalt sind keine Anhaltspunkte gegeben, die zu dem Schluss führen könnten, dass Holzinger den mit Meier als Vertreter geschlossenen Kaufvertrag für so außergewöhnlich erachten musste, dass ihm Zweifel an der Vertretungsmacht des Meier hätten kommen müssen. Klotzke kann vorliegend nicht die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB erheben. III.Ergebnis Holzinger kann von Klotzke gemäß § 433 Abs. 2 BGB die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 6.000,- € verlangen. B. Holzinger => Meier, 6.000,- € (= Erfüllung Kaufvertrag!), § 179 Abs. 1 BGB Fraglich ist, ob Holzinger gemäß § 179 Abs. 1 BGB auch gegen Meier einen Anspruch auf Zahlung von 6.000,- € hat. Dazu müsste Meier als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt haben. Die Überschreitung der Vertretungsbefugnis durch Meier im Innenverhältnis zu Klotzke wirkt sich nicht auf das Außenverhältnis zu Holzinger aus. Bei einer Vertretung ist strikt zwischen einer Innen- sowie einer Außenvollmacht zu unterscheiden. Beide stehen losgelöst nebeneinander. Damit handelte Meier (im maßgeblichen Außenverhältnis!) mit Vertretungsmacht, so dass ein Anspruch aus § 179 Abs. 1 BGB ausscheidet. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner C. Gesamtergebnis Holzinger hat lediglich gegen Klotzke einen Anspruch auf Zahlung von 6.000,- €. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 433 Abs. 2 BGB. Lösung Abwandlung: A. Holzinger => Klotzke, 6.000,- €, § 433 Abs. 2 BGB Holzinger könnte gegen Klotzke einen Anspruch auf Zahlung von 6.000,- € gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben. Voraussetzung hierfür wären zwei sich deckende Willenserklärungen von Holzinger und Klotzke zum Abschluss eines solchen Kaufvertrags. I. Angebot Holzinger unterbreitete ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags über Bauholz zum Preis von 6.000,- €. II. Annahme Fraglich ist jedoch, ob eine Annahme dieses Angebots durch Klotzke erfolgte. Dazu müsste Meier den Klotzke gemäß § 164 Abs. 1 BGB wirksam vertreten haben. 1. Willenserklärung des Meier Meier erklärte gegenüber Holzinger sein Einverständnis zu einem Kauf in Höhe von 6.000,- €, womit eine Willenserklärung vorliegt. 2. Handeln in fremdem Namen Diese Willenserklärung müsste von Meier im Namen des Klotzke abgegeben worden sein. Indem Meier für Rechnung des Klotzke handelte, gab er damit zu erkennen, als dessen Stellvertreter handeln zu wollen. Ein Handeln in fremden Namen ist folglich ebenfalls gegeben. 3. Vertretungsmacht Fraglich bleibt allerdings, ob Meier innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht handelte. a) Indem Klotzke den Meier mit dem Kauf einer bestimmten Menge Bauholz beauftragte, erteilte er ihm eine Innenvollmacht zum Abschluss eines entsprechenden Geschäfts. Die Vollmacht bezog sich jedoch nur auf einen Kauf zu einem Preis von bis zu 5.000,- €. Diese Vorgaben wurden von Meier nicht beachtet. Also überschritt Meier seine Vertretungsmacht. b) Allerdings könnte die Willenserklärung des vollmachtslosen Vertreters dennoch wirksam werden, wenn diese vom Vertretenen gemäß § 179 Abs. 1 BGB genehmigt wird. Genehmigung bedeutet nach der Legaldefinition des § 184 Abs. 1 BGB eine nachträgliche Zustimmung. Indem der Klotzke äußert, den Vertrag rückgängig machen zu wollen, Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner verweigert er konkludent die nachträgliche Zustimmung zum Kaufvertrag. Daher liegt keine Genehmigung vor. III.Ergebnis Ein Kaufvertrag kam somit nicht zwischen Klotzke und Holzinger zustande. Holzinger kann folglich nicht von Klotzke gemäß § 433 Abs. 2 BGB die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 6.000,- € verlangen. B. Holzinger => Meier, 6.000,- € (= Erfüllung Kaufvertrag!), § 179 Abs. 1 BGB Fraglich ist, ob Holzinger stattdessen gemäß § 179 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen Meier auf Zahlung von 6.000,- € hat. I. Abschluss eines Vertrags als Vertreter ohne Vertretungsmacht Dazu müsste Meier als Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Vertrag geschlossen haben. Indem Meier auf Rechnung des Klotzke einen Kaufvertrag über Bauholz zum Preis von 6.000,- € schloss, überschritt er seine diesbezügliche Vertretungsmacht. Das erforderliche Handeln eines vollmachtlosen Vertreters ist somit gegeben. II. Keine Genehmigung des Vertretenen Der in seinem Namen geschlossene Kaufvertrag wurde von Klotzke nicht genehmigt. [Hinweis: Der Kaufvertrag wird dadurch endgültig unwirksam; ebenso wurde kein Kaufvertrag zwischen Holzinger und Meier geschlossen, da Meier nicht im eigenen Namen eine entsprechende Willenserklärung abgab.] III.Ergebnis Holzinger steht ein Wahlrecht zwischen Erfüllung und Schadensersatz zu. Indem er erklärte, am Vertrag festhalten zu wollen, entschied er sich für die Erfüllung des Vertrags. Damit hat er einen Anspruch auf Zahlung von 6.000,- € (Zug-um-Zug gegen Lieferung der Kaufsache an Meier). C. Gesamtergebnis Holzinger hat lediglich gegen Meier einen Anspruch auf Zahlung von 6.000,- €. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 179 Abs. 1 BGB. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Ergänzung: Überblick zur Abgrenzung Bote – Stellvertreter Stellvertreter Begriff Bote -Handeln im fremden Namen - Handeln in fremden Namen - für fremde Rechnung - für fremde Rechnung - durch eigene WE - durch Übermittelung einer fremden WE - mit Vertretungsmacht - mit Botenmacht Anforderung an die Geschäftsfähigkeit mindestens beschränkte Geschäftsfähigkeit erforderlich, § 165 BGB auch ein Geschäftsunfähiger kann Bote sein mit Zugang beim Stellvertreter sobald mit Weiterleitung an Geschäftsherren zu rechnen ist, bzw. wann tatsächlich zugegangen ist Auslegung der WE Empfängerhorizont des Stellvertreters Empfängerhorizont des Geschäftsherrn Fehler bei der Willensübermittelung abzustellen ist auf den Vertreter, § 166 I BGB abzustellen ist auf den Auftraggeber (aber § 120) Zugang und Wirksamkeit einer WE Gut- und Bösgläubigkeit „Ist das Kindlein noch so klein, kann es dennoch Bote sein.“ maßgeblich ist Kenntnis bzw. maßgeblich ist Kenntnis bzw. Kennenmüssen des Kennenmüssen des Vertreters, § 166 I, außer: Auftraggebers Vertreter mit gebundener Marschroute, § 166 II Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung Fall 5: Der Konzertflügel Konz Vollmer Außenvollmacht Innenvollmacht Stark Übersicht Anspruch auf Kaufpreiszahlung I. Kaufvertrag 1. Angebot a) Eigene Willenserklärung des Vertreters (+) b) Handeln im Namen des Vertretenen (+) c) Im Rahmen der Vertretungsmacht (+) 2. Annahme (§ 147 Abs. 2 BGB) (+) II. Ergebnis Abwandlung I. Anspruch auf Kaufpreiszahlung 1. Willenserklärung im Namen des Vertretenen 2. Vollmachtserteilung 3. Erlöschen der Vertretungsmacht a)Erlöschen durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses? (Vorsicht: Abgrenzung zw. Innen- und Außenvollmacht) b) Fortbestand der Vertretungsmacht gem. § 170 BGB c) Fortbestand der Vertretungsmacht gem. § 171 BGB d) Unanwendbarkeit des § 171 BGB wegen fahrlässiger Nichtkenntnis des Erlöschens 5. Zwischenergebnis II. Keine Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB III. Ergebnis Ausgangsfall Anspruch von Vollmer gegen Konz aus § 433 Abs. 2 BGB Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Vollmer könnte gegen Konz einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises und Abnahme des Instruments aus einem Kaufvertrag (§ 433 Abs. 2 BGB) haben. [Hinweis: Manchmal ist es für den Verkäufer wichtiger, dass die Sache abgeholt wird, als dass er dafür Geld bekommt. Hier ist zu bedenken, dass die Kosten für den Abtransport eines Flügels beträchtlich sind.] I. Kaufvertrag Dann müsste zwischen Vollmer und Konz ein Kaufvertrag zustande gekommen sein. Ein Kaufvertrag setzt Angebot und Annahme voraus, §§ 145, 147 BGB. 1. Angebot (§ 145 BGB) Konz hat Vollmer gegenüber allerdings selbst kein Angebot abgegeben. Fraglich ist daher, ob ihm die von Stark abgegebene Erklärung nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zugerechnet werden kann. Das setzt voraus, dass Stark mit dieser Erklärung eine eigene Willenserklärung im Namen des Konz abgegeben und dabei mit Vertretungsmacht gehandelt hat. a) Eigene Willenserklärung des Vertreters Eine eigene Willenserklärung hat Stark abgegeben, wenn er aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Lage des Vertragspartners Vollmer nicht nur Bote einer Willenserklärung des Konz war. Dabei kommt es insbesondere darauf an, welchen Entscheidungsspielraum der Stark aus Sicht von Vollmer hatte. Es ist nicht ausdrücklich geschildert, wie Stark dem Vollmer gegenüber aufgetreten ist. Konz hat Stark aber gerade wegen seines Geschicks mit den Verhandlungen beauftragt. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass Stark in einer Weise aufgetreten ist, die ihn nur wie den Überbringer fremder Willenserklärungen erscheinen lassen musste (insoweit hätte ja auch der Preis schon feststehen müssen). Auch die Formulierung des Stark, er vertrete die Interessen des Konz, lässt auf einen eigenen Entscheidungsspielraum schließen. Stark gibt also mit der Einigungserklärung eine eigene Willenserklärung ab. [Hinweis: Die Abgrenzung zwischen Stellvertreter und Boten ist theoretisch einfach, praktisch aber manchmal sehr schwierig. Der Bote ist immer nur „Sprachrohr“ des Erklärenden. Mittels Auslegung (§§ 133, 157 BGB) ist bei Zweifeln zu klären, wie der Empfänger einer Willenserklärung das Verhalten des Erklärenden verstehen durfte. Das lässt sich bei schriftlichen Erklärungen im Allgemeinen leicht feststellen, da sich aus der Urkunde selbst ergibt, wer die Willenserklärung formuliert hat. Schwieriger kann es aber bei mündlichen Erklärungen sein. Nur selten wird sich eine Person so klar ausgedrückt haben: „Ich erkläre im Namen der X“ (Stellvertreter) oder „Frau X lässt sagen“ (Bote). Als Kriterien kann man vielfach die soziale Stellung, die Bedeutung des Rechtsgeschäfts, die Kompetenz und das Alter des Erklärenden heranziehen (vgl. zur Abgrenzung von Stellvertretung und Botenschaft: Musielak, 10. Auflage, Rn. 808).] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner b) Handeln im Namen des Vertretenen Stark müsste im Namen des Konz gehandelt haben. Nach diesem sog. Offenkundigkeitsprinzip soll gewährleistet sein, dass dem Vertragspartner darüber Aufschluss gegeben wird, mit wem er in eine rechtliche Beziehung tritt. Stark hat im Namen des Konz gehandelt, denn auf Nachfrage von Vollmer hat Stark erklärt, er vertrete die Interessen von Konz. Hierdurch wurde das Offenkundigkeitsprinzip (und damit auch die Interessen des Vollmer) gewahrt. c) Im Rahmen der Vertretungsmacht Schließlich muss sich Konz die Willenserklärung von Stark nur zurechnen lassen, wenn Stark auch mit Vertretungsmacht gehandelt hat. Vorliegend kommt eine rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht (=Vollmacht, vgl. Legaldefinition in § 166 Abs. 2 S. 1 BGB) in Betracht. Eine Vollmacht kann gemäß § 167 Abs. 1 BGB als Innen- oder Außenvollmacht erteilt werden. Konz hat seinem Vertreter selbst gegenüber die Bevollmächtigung erklärt und damit eine Innenvollmacht erteilt, § 167 Abs. 1, 1. Alt. BGB. Diese Vollmacht war unbeschränkt, so dass auch der Kauf gedeckt war. [Hinweis: Eine Außenvollmacht gem. § 167 Abs. 1, 2. Alt. BGB liegt dann vor, wenn die Bevollmächtigung dem späteren Geschäftspartner gegenüber erklärt wird. Sie erlöscht ebenso erst dann, wenn dies dem Geschäftspartner in der gleichen Form mitgeteilt worden ist.] Das von Stark abgegebene Angebot wirkt also gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 BGB für und gegen Konz. Ein Angebot des Konz liegt also vor. 2. Annahme (§ 147 Abs. 2 BGB) Dieses Angebot hat Vollmer auch innerhalb der gesetzten Annahmefrist gemäß § 147 Abs. 2 BGB angenommen, so dass ein wirksamer Kaufvertrag zwischen Konz und Vollmer zustande gekommen ist. II. Ergebnis Vollmer kann von Konz Zahlung des Kaufpreises und Abnahme des Konzertflügels aus einem Kaufvertrag (§ 433 Abs. 2 BGB) verlangen. Abwandlung Anspruch von Vollmer gegen Konz aus § 433 Abs. 2 BGB Fraglich ist, ob Vollmer gegen Konz einen Anspruch auf Zahlung aus § 433 Abs. 2 BGB hat. Dazu müsste zwischen Vollmer und Konz ein Kaufvertrag zustande gekommen sein. Da Konz nicht selbst den Vertrag geschlossen hat, ist zu prüfen, ob das Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags von Stark dem Konz gemäß § 164 Abs. 1 BGB als Vertreter zugerechnet werden kann. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 1. Willenserklärung im Namen des Vertretenen Stark hat eine eigene Willenserklärung im Namen von Konz abgegeben. 2. Vollmachtserteilung Indem Konz den Stark mit dem Kauf des Flügels beauftragte, hat er ihm eine sog. Innenvollmacht gem. § 167 Abs. 1, 1. Alt. BGB erteilt. 3. Erlöschen der Vertretungsmacht Um den Konz wirksam vor Vollmer vertreten zu können, hätte diese Innenvollmacht aber auch noch in dem Zeitpunkt, in dem Stark den Flügel „für Konz“ erwarb, fortbestehen müssen. a) Erlöschen durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses? Nach § 168 S. 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsgeschäft. Konz hatte noch vor dem Kauf des Flügels durch Stark bei Vollmer das Angestelltenverhältnis des Stark gem. § 626 BGB fristlos gekündigt. Der Stark war nur deshalb zum Kauf des Flügels von Konz beauftragt worden, weil er als Angestellter bei Konz gearbeitet hat. Mit Kündigung des zugrunde liegenden Angestelltenverhältnisses, ist damit an sich auch die Vollmacht des Stark zum Kauf des Flügels erloschen, § 168 S. 1 BGB. b) Fortbestand der Vertretungsmacht gem. § 170 BGB Im Falle der Außenvollmacht bleibt diese gem. § 170 BGB jedoch solange wirksam, bis deren Erlöschen angezeigt wird. Vorliegend wurde die Vollmacht jedoch dem Vertreter Stark gegenüber erteilt und lediglich dem Vollmer diese Bevollmächtigung mitgeteilt. Dieser Fall ist nicht von § 170 BGB erfasst. (Merke: Innen- und Außenvollmacht sind insofern unabhängig von einander und stehen nebeneinander. Durch den Wegfall der Innenvollmacht, wird die wirksame Außenvollmacht nicht betroffen.) c) Fortbestand der Vertretungsmacht gem. § 171 BGB Hat der Vollmachtgeber gegenüber einem Dritten kundgegeben, dass er einen anderen bevollmächtigt habe, so wird gem. § 171 Abs. 1 BGB das Bestehen der Vertretungsmacht so lange fingiert, bis die Kundgebung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird (vgl. § 171 Abs. 2 BGB). Der Konz hatte dem Vollmer telefonisch mitgeteilt, dass er Stark mit dem Kauf des Flügels beauftragt habe. Diese Kundgebung des Konz hat dieser bisher auch noch nicht gegenüber Vollmer widerrufen. Folglich wird das Bestehen der Vollmacht für Stark trotz des Wegfalls des zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses zwischen ihm und Konz als fortbestehend fingiert. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner d) Unanwendbarkeit des § 171 BGB wegen fahrlässiger Nichtkenntnis des Erlöschens Allerdings findet die Regelung des § 171 Abs. 2 BGB gemäß § 173 BGB dann keine Anwendung, wenn der Vertragspartner das Erlöschen der Vertretungsmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts kannte oder hätte kennen müssen. Nach der Legaldefinition des § 122 Abs. 2 BGB bedeutet Kennenmüssen die fahrlässige Unkenntnis des relevanten Umstands. Fahrlässigkeit ist das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Vollmer hatte keine Kenntnis von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem damit verbundenen Erlöschen der Innenvollmacht für Stark. Fraglich ist jedoch, ob er dies hätte erkennen müssen. Dies ließe sich annehmen, wenn der Vertreter durch sein Verhalten deutliche Hinweise dafür liefert, dass er nicht mehr mit Vollmacht des Vertretenen handelt. Hierfür spricht, dass Konz mit Vollmer zuvor bereits – wenn auch beiläufig – besprochen hatte, dass der Flügel um die 10.000,- € Wert sei. Daher musste es sich dem Vollmer aufdrängen, dass der Stark bei einem Kaufpreis von 15.000,- € außerhalb einer ihm erteilten Vollmacht handeln musste. Die Evidenz des Missverhältnisses hätte den Vollmer dazu veranlassen müssen, sich zu vergewissern, ob Stark tatsächlich im Rahmen einer erteilten Vollmacht handelte. Indem Vollmer dies unterließ, verletzte er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Ihn trifft damit Fahrlässigkeit bezüglich seiner fehlenden Kenntnis vom Erlöschen der Vollmacht. Folglich findet gemäß § 173 BGB die Vorschrift des § 171 Abs. 2 BGB keine Anwendung. [Hinweis: Mit guten Gründen ließe sich das gegenteilige Ergebnis begründen, dass Vollmer keine Kenntnis vom Erlöschen der Vollmacht hatte. Dann wäre die Prüfung wie im unten dargestellten Hilfsgutachten fortzusetzen.] 5. Zwischenergebnis Stark handelte außerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht, da die erteilte Innenvollmacht durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses erloschen ist. Zwar würde die im Telefonat gegenüber Vollmer kundgegebene Vollmacht nach § 171 Abs. 2 BGB solange weiter bestehen, bis sie ihm gegenüber widerrufen wird. Da der Vollmer das Erlöschen der Vollmacht jedoch hätte erkennen müssen, bleibt gemäß § 173 BGB die Vertretungsmacht nicht fortbestehen. Stark gab somit eine Willenserklärung als vollmachtloser Vertreter ab. IV. Keine Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB Der Kauf des Flügels für 15.000,- € wurde auch nicht nachträglich noch von Konz genehmigt (vgl. § 177 Abs. 1 BGB), so dass das Angebot von Stark dem Konz nicht gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zugerechnet werden kann. Ein Kaufvertrag kam folglich nicht zustande. V. Ergebnis Der Vollmer hat damit keinen Anspruch gegen Konz auf Zahlung von 15.000 € aus § 433 Abs. 2 BGB. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Verneint man abweichend von der hier vertretenen Auffassung eine fahrlässige Nichtkenntnis vom Erlöschen der Vollmacht, so wäre die Vollmacht nicht erloschen. Dennoch gelangt man in diesem Fall letztlich zum gleichen Ergebnis über folgende Hilfsprüfung: (Fortsetzung hinter III. 5.). IV. Handeln im Rahmen der Vertretungsmacht Trotz bestehender Vertretungsmacht ist fraglich, welchen Umfang diese hat, was durch Auslegung (§ 133, 157 BGB) zu ermitteln ist. Bei der reinen Innenvollmacht kommt es auf die Verständnismöglichkeit des Bevollmächtigten an. In den Fällen der – wie hier – nach außen kundgegeben Vollmachtserteilung ist aus Gründen des Verkehrsschutzes hingegen auf den Geschäftsgegner abzustellen. Dem Vollmer wurde lediglich mitgeteilt, dass Stark bevollmächtigt ist, für Konz zu handeln. Die beiläufige Unterhaltung über den Wert, war aus Sicht von Vollmer nicht als Beschränkung zu verstehen. Vorliegend wurde dem Stark damit von Konz unbeschränkte Vollmacht erteilt und diese lediglich im Innenverhältnis auf 10.000,- € beschränkt. [Hinweis: Diese Unterscheidung ist wichtig, da eine auf 10.000,- € beschränkte Vollmacht den Konz bei einem Kauf von 15.000,- € nicht verpflichtet hätte.] V. Missbrauch der Vertretungsmacht Fraglich ist nunmehr, welchen Einfluss die Verletzung der Pflicht aus dem Innenverhältnis hat, als Stark den Flügel für 15.000,- € erwarb, obwohl mit Konz ein Maximalpreis von 10.000,- € vereinbart war. Im Grundsatz hat die Überschreitung der Beschränkung im Innenverhältnis keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Vertretung. Das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht trägt damit der Vertretene, so dass ein Kaufvertrag zwischen Konz und Vollmer über den Flügel zum Preis von 15.000,- € zustande gekommen wäre. Von diesem Grundsatz gelten aber für zwei Fallgruppen Ausnahmen, die im Folgenden zu prüfen sind: 1. Ausnahme: Kollusion, § 138 Abs. 1 BGB Zum einen wird der Vertretene für den Fall der sog. Kollusion nicht durch das abgeschlossene Geschäft verpflichtet. Dabei wirken der Vertreter und der Vertragspartner bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammen, so dass der Vertrag gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Dieser Fall ist vorliegend nicht gegeben, da Vollmer keine Kenntnis von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. den Motiven von Stark bei der Vertragsverhandlung hat. 2. Ausnahme: Offensichtlicher Missbrauch, § 242 BGB Die zweite Ausnahme erfasst den Fall des sog. offensichtlichen Missbrauchs. Danach verstößt die Inanspruchnahme des Vertretenen gegen § 242 BGB, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass sich dem anderen Teil der begründete Verdacht eines Treueverstoßes aufdrängen musste. Dem Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Vertragsgegner obliegt aber keine Prüfungspflicht, erforderlich ist vielmehr eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs. Da Konz mit Vollmer zuvor bereits – wenn auch beiläufig – besprochen hatte, dass der Flügel um die 10.000,- € Wert sei, musste es sich dem Vollmer aufdrängen, dass der Stark bei 15.000,- € außerhalb einer intern erteilten Beschränkung handeln musste. Der Missbrauch war somit objektiv evident. [Hinweis: Nur im Falle der gesetzlich unbeschränkten Vertretungsmacht des Handelsrechts, z. B. Prokura gem. §§ 49, 50 HGB, erfordert die Rechtsprechung des BGH zusätzlich, dass der Vertreter bewusst zum Nachteil des Vertretenen gehandelt hat. Diese Voraussetzung ist – wie hier – jedoch in aller Regel erfüllt.] Es liegt damit ein Fall offensichtlichen Missbrauchs vor, so dass Stark gem. § 177 Abs. 1 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht agierte. VI. Keine Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB Der Kauf des Flügels für 15.000,- € wurde auch nicht nachträglich noch von Konz genehmigt (vgl. § 177 Abs. 1 BGB), so dass das Angebot von Stark dem Konz nicht gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zugerechnet werden kann. Ein Kaufvertrag kam folglich nicht zustande. VII. Ergebnis Der Vollmer hat damit keinen Anspruch gegen Konz auf Zahlung von 15.000 € aus § 433 Abs. 2 BGB. [Hinweis: Vollmer kann sich auch nicht gem. § 179 Abs. 1 BGB an Stark halten, wonach derjenige, der als Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Vertrag geschlossen hat, dem anderen zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn der Vertretene die Genehmigung verweigert. Denn diese Ansprüche bestehen dann nicht, wenn der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hat (§ 179 Abs. 2 BGB) – hier nicht einschlägig – oder wenn der Vertragspartner den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste (§ 179 Abs. 3 BGB). Letztere Fallgruppe ist vorliegend gegeben, da ein für den Vertragspartner evidenter Missbrauch vorliegt und damit dieser den Mangel der Vertretungsmacht jedenfalls auch kennen musste (=grob fahrlässig nicht kannte, vgl. Legaldefinition in § 122 Abs. 2 a. E. BGB).] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 6: Das Sektenmitglied [Vgl. zum Eigenschaftsirrtumsirrtum auch Musielak, 10. Auflage, Rn. 338 ff.] A. Arbeitsvertrag Zu prüfen ist, ob ein Arbeitsverhältnis zwischen Frau Heintze und K besteht. Zunächst wurde am 11. September 2007 ein wirksamer Arbeitsvertrag zwischen Frau Heintze und K geschlossen. Dieser Vertrag könnte jedoch gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig sein. I. Anfechtungsgrund: § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB K müsste zunächst ein Anfechtungsgrund zustehen. In Betracht kommt zunächst eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB. Die Täuschung kann in einer Irrtumserregung, -verstärkung oder -erhaltung bestehen. Neben aktivem Tun besteht also auch die Möglichkeit einer Täuschungshandlung durch Unterlassen/ Verschweigen. Ein derartiges Verschweigen von Tatsachen stellt aber nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Grundsätzlich müssen ungünstige Eigenschaften nicht ungefragt offenbart werden. So verneint das LG Darmstadt (NJW 1999, S. 365, 366) eine Offenbarungspflicht hinsichtlich einer Sektenmitgliedschaft mit Verweis darauf, dass es Sache jeder Partei sei, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Mit dem Verzicht auf eine entsprechende Frage durch K würde demnach keine Täuschung vorliegen, da Frau Heintze lediglich einen Umstand verschwiegen hat, über den sie nicht von sich aus aufklären musste. [Hinweis: Mit guten Argumenten ist hier ebenso das gegenteilige Ergebnis vertretbar: So kann argumentiert werden, dass es sich bei der religiösen Anschauung von Frau Heintze um einen besonders wichtigen Umstand für K handelte. Auch ließe sich anführen, dass die Tätigkeit mit Kindern ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetze, das hier nicht gewahrt werde. Bei Bejahung einer Aufklärungspflicht muss allerdings zudem auch Vorsatz nachgewiesen werden, der nicht nur das Wissen um die verschwiegenen Umstände, sondern auch das Bestehen einer Aufklärungspflicht umfasst.] II. Anfechtungsgrund: § 119 Abs. 2 BGB Fraglich ist ferner, ob K wegen eines Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB anfechten kann. Dies setzt voraus, dass K sich bei Abgabe der Willenserklärung im Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Frau Heintze befunden hätte. 1. Verkehrswesentliche Eigenschaft Zu prüfen ist, ob es sich bei der Sektenmitgliedschaft um eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person handelt. a) Eigenschaft einer Person Eigenschaften einer Person sind neben den auf ihrer äußeren Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch ihre tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen zur Umwelt, mit anderen Worten, ihre prägenden Merkmale, sofern sie der Person von gewisser Dauer anhaften. Auch religiöse Überzeugungen sind Eigenschaften einer Person, da sie – zumindest üblicherweise – von bestimmter Dauer sind. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner b) Verkehrswesentlichkeit Verkehrswesentlich ist eine Eigenschaft dann, wenn sie für den Abschluss des konkreten Geschäfts von Bedeutung ist. Die Mitgliedschaft bei der S-Sekte ist für die Einstellung der Frau Heintze als Kindergärtnerin in einem kirchlichen Kindergarten gerade von besonderer Bedeutung, also verkehrswesentlich. Aufgabe der K ist es nämlich, den ihr anvertrauten Kindern eine christliche Erziehung zukommen zu lassen. Dies erscheint nicht gewährleistet, wenn Frau Heintze einer Glaubensgemeinschaft angehört, die der christlichen Lehre entgegen gesetzte Ziele verfolgt. Im Übrigen hätte die K die Abmeldung von Kindern aus dem Kindergarten und eine Schädigung ihres Rufs zu befürchten, wenn sie ihre Einrichtungen mit Hilfe von Mitgliedern der S-Sekte betreibt. 2. Irrtum Die K unterlag auch einem Irrtum, da ihr die Sektenmitgliedschaft der Frau Heintze bei Abgabe der Willenserklärung unbekannt war. Dabei ist gem. § 166 Abs. 1 BGB auf den Mitarbeiter abzustellen, der die Frau Heintze damals eingestellt hatte. 3. Kausalität Dieser Irrtum berechtigt auch zur Anfechtung, da er kausal für die Abgabe der Willenserklärung der K war. Bei verständiger Würdigung des Falles hätte K Frau Heintze bei Kenntnis von der Zugehörigkeit zur S-Sekte nicht eingestellt. III. Anfechtungserklärung, § 143 Abs. 1 BGB Weiterhin müsste K gegenüber Frau Heintze die Anfechtung i. S. v. § 143 Abs. 1 BGB erklärt haben. Dabei ist es nicht notwendig, dass die K das Wort „Anfechtung“ gebraucht. Vielmehr ist im Wege der Auslegung ihrer Erklärung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, welcher rechtliche Erfolg ihre Erklärung zukommen sollte. Indem K der Frau Heintze in dem Brief mitteilte, dass sie bei vorheriger Kenntnis von Frau Heintzes Mitgliedschaft in der S-Sekte sie niemals eingestellt hätte und Frau Heintze nicht mehr auf der Arbeit zu erscheinen brauche, hat sie der Frau Heintze zu verstehen gegeben, dass sie aus einem bestimmten Grunde nicht mehr an das Arbeitsverhältnis gebunden sein will. Eine Anfechtungserklärung liegt damit vor. Diese Erklärung hat K gegenüber ihrer Vertragspartnerin Frau Heintze, und damit auch gegenüber der richtigen Anfechtungsgegnerin, gem. § 143 Abs. 1, Abs. 2 BGB erklärt. IV. Anfechtungsfrist Die K hat Frau Heintze einen Tag, nachdem sie Kenntnis von der Sektenzugehörigkeit der Frau Heintze erfahren hat die Anfechtung erklärt. Ein derartiger Ablauf ist als unverzügliche Anfechtungserklärung i. S. d. § 121 Abs. 1 BGB zu werten. V. Ergebnis Aufgrund wirksamer Anfechtung ist der Arbeitsvertrag daher von Anfang an nichtig. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner B. Schadensersatzanspruch von Frau Heintze gegen K gemäß § 122 Abs. 1 BGB? Fraglich bleibt, ob Frau Heintze von K das Novembergehalt als Schadensersatz verlangen kann. Als Anspruchsgrundlage kommt § 122 Abs. 1 BGB in Betracht. I. Wirksame Anfechtung K hat den Arbeitsvertrag gemäß § 119 Abs. 2 BGB wirksam angefochten (s. o.). II. Kenntnis oder Kennenmüssen der Anfechtbarkeit Ein Schadensersatzanspruch könnte jedoch gemäß § 122 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein. Demnach tritt die Schadensersatzpflicht nicht ein, wenn der Geschädigte den Grund der Anfechtbarkeit kannte oder diesen kennen musste. Kennenmüssen bedeutet, dass infolge von Fahrlässigkeit keine Kenntnis von der Anfechtbarkeit bestand. Frau Heintze wusste um ihre Mitgliedschaft bei der S-Sekte. Fraglich ist lediglich, ob ihr auch bewusst war, dass dieser Umstand zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigen würde. Im Regelfall muss es einem Sektenmitglied klar sein, dass für einen kirchlichen Kindergarten diese Mitgliedschaft von zentraler Bedeutung ist, der zu einer Nichteinstellung führt. Selbst wenn man jedoch zugunsten von Frau Heintze unterstellen würde, dass sie sich hierüber keine Gedanken gemacht habe und folglich kein Vorsatz vorläge, läge zumindest fahrlässige Unkenntnis vor. Daher ist ein Schadensersatzanspruch gemäß § 122 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. III. Ergebnis Frau Heintze kann das Novembergehalt nicht von K als Schadensersatz verlangen. [Weiterführender Hinweis: Anders als in § 142 Abs. 2 BGB vorgesehen, wirkt im Arbeitsrecht bei tatsächlich in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnissen die Anfechtung nicht rückwirkend, sondern im Hinblick auf den Charakter des Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung nur für die Zukunft. Soweit der Arbeitnehmer bereits gearbeitet und der Arbeitgeber schon gezahlt hat, ist ein sog. faktisches Arbeitsverhältnis entstanden, das grundsätzlich nicht mehr rückwirkend beseitigt werden kann. Das Arbeitsverhältnis ist folglich für die Vergangenheit so zu behandeln, als wäre es fehlerfrei zustande gekommen. Der vorliegende Fall ist jedoch so konzipiert, dass keine faktische Arbeitsleistung erbracht wurde.] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösungen zu Fall 7: Versprechen ins Blaue Anspruch des Blau gegen Aust auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB Blau könnte einen Anspruch gegen Aust auf Zahlung von 10.000,- € aus § 433 Abs. 2 BGB haben. I. Anspruch entstanden Aust und Blau haben einen Kaufvertrag über den A6 zum Preis von 10.000,- € miteinander abgeschlossen, so dass ein Anspruch des Blau gegen Aust auf Zahlung von 10.000,- € zunächst gemäß § 433 Abs. 2 BGB entstanden ist. II. Anspruch untergegangen Fraglich ist jedoch, ob sein Anspruch wieder untergegangen ist. In Betracht kommt ein Untergang des Anspruchs gemäß § 142 Abs. 1 BGB aufgrund einer Anfechtung der Willenserklärung durch Aust. 1. Willenserklärung Die Anfechtung betrifft die Willenserklärung von Aust zum Abschluss eines Kaufvertrags. 2. Anfechtungsgrund Zu prüfen ist, ob der Aust einen Anfechtungsgrund hat. In Betracht kommt eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB, wozu Blau den Aust arglistig getäuscht haben und der Aust durch diese Täuschung zur Abgabe einer Willenserklärung bewogen worden sein müsste. a) Täuschung Eine Täuschung ist ein Verhalten, das bei einem anderen durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen einen Irrtum erregt oder aufrechterhält. Gleichgültig ist dabei, um welche Art von Irrtum es sich handelt, so dass auch ein Motivirrtum relevant ist. Blau sagte dem Aust, dass der Wagen ganz sicher noch keinen Unfall gehabt habe. Tatsächlich war der A6 jedoch in einen Unfall verwickelt, der zu einem starken Heckschaden geführt hatte. Aust unterlag folglich einem Irrtum über die vermeintliche Unfallfreiheit des Wagens. Damit hat der Blau den Aust getäuscht. b) Arglist Überdies müsste der Blau auch arglistig gehandelt haben. Fraglich ist, ob dies auch bei einer sog. Behauptung ins Blaue hinein der Fall ist. Arglist erfordert einen Täuschungswillen, d.h. der Handelnde muss die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen. Insoweit genügt jedoch bedingter Vorsatz, so dass Arglist auch vorliegt, wenn der Täuschende, obwohl er mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, ins Blaue hinein unrichtige Behauptungen aufstellt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Wichtig ist, um die Arglist zu bejahen, dass der Täuschende wusste, dass die Willenserklärung des Getäuschten nicht oder mit einem anderen Inhalt abgegeben worden wäre. Blau wusste nicht, ob der Wagen einen Unfall hatte oder nicht und hat es damit bei Abgabe seiner Erklärungen gegenüber Aust in Kauf genommen, dass der Wagen bereits einen Unfall gehabt hat. Ferner wusste Blau auch, dass die Zusicherung „Unfallfreiheit“ den Aust zum Abschluss des Kaufvertrages bewegen würde. Er handelte somit bedingt vorsätzlich und damit auch arglistig gemäß § 123 Abs. 1 BGB. c) Kausalität Durch die arglistige Täuschung des Blau ist der Aust ferner dazu bewogen worden, mit Blau den Kaufvertrag abzuschließen. Aust steht damit ein Anfechtungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 BGB zu. d) Widerrechtlichkeit Die Widerrechtlichkeit der Täuschung ist unproblematisch zu bejahen. 3. Anfechtungserklärung und Anfechtungsfrist Ferner müsste Aust dem Blau zunächst gemäß § 143 Abs. 1 BGB die Anfechtung erklärt haben. Aust teilte Blau mit, dass er sich nicht mehr an den Vertrag halten werde. Damit hat er die Anfechtung, auch gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner, i. S. v. § 143 Abs. 1 BGB erklärt. Aust hielt auch die Anfechtungsfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB ein, wonach die Anfechtung einer nach § 123 BGB anfechtbaren Willenserklärung binnen Jahresfrist zu erfolgen hat, indem er noch am Tag der Kenntnisnahme von der fehlenden Unfallfreiheit des Autos die Anfechtung erklärte. Aust hat den Kaufvertrag mit Blau gemäß § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten. Dadurch gilt der Kaufvertrag als von Anfang an nichtig, § 142 Abs. 1 BGB. III. Ergebnis Der ursprünglich entstandene Kaufpreisanspruch des Blau gegen Aust ist durch die Anfechtung des Aust wieder untergegangen, so dass der Blau keinen Anspruch gegen Aust auf Zahlung der 10.000,- € hat. [Hinweis: Anstelle einer Anfechtung käme auch ein Rücktrittsrecht aus Sachmängelgewährleistung in Betracht. Dies soll zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden.] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lex Speziales A. Rücktritt des Aust vom Kaufvertrag gem. §§437 Nr. 2 1.Alt, 440, 323, 326 V Aust könnte einen Anspruch auf Rücktrittsrecht von dem Kaufvertrag gem. §§437 Nr. 2 1.Alt, 440, 323, 326 V zustehen. Voraussetzung wäre einwirksame Kaufvertrag sowie eine mangelhafte Kaufsache. 1. Kaufvertrag Dafür müsste zwischen den Parteien ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen worden sein. Aust und Blau schließen am 05.11.2007 einen Kaufvertrag über ein PKW. 2. Sachmangel Voraussetzung ist weiter, dass der Kaufgegenstand gem. § 434 BGB nach Gefahrübergang mangelhaft ist. Gem. § 434 BGB ist eine Sache mangelhaft, wenn sie nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweißt (subjektiver Fehlerbegriff). Vorliegend könnten die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung über die Unfallfreiheit des Wagens geschlossen haben. Durch das Aussage des Blau macht dieser deutlich, dass der Wagen die Eigenschaft der Unfallfreiheit anhaftet. Da die Unfallfreiheit für den Wert einer Sache eine erhebliche Rolle spielt, ist davon auszugehen, dass sich ein Gebrauchtwagenhändler diesbezüglich einen Rechtsbindungswillen aufweist. Mit dem Kaufvertrag zwischen Aust und Blau haben sie daher auch konkludent eine Beschaffenheitsvereinbarung geschlossen. Jedoch war der Wagen nicht wie vereinbart unfallfrei, so dass er nicht die von Aust und Blau vereinbarte Beschaffenheit aufweist. Der Kaufgegenstand ist somit mangelhaft. 3. Gefahrübergang Der Mangel muss jedoch bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben, dies bedeutet, dass der Wagen bereits bei Übergabe am 05.11.2007 mangelhaft gewesen sein muss. Die Beweißlast hierfür trägt grundsätzlich der Käufer. Dies gilt jedoch nicht in den Fällen, in denen es sich bei dem Kaufvertrag um einen s. g. Verbrauchsgüterkauf handelt. Verbrauchsgüterkauf Ein Verbrauchsgüterkauf liegt dann vor, wenn es sich bei dem Käufer um einen Verbraucher i. S. d. § 13 BGB und bei dem Verkäufer ein Unternehmer i. S. d. § 14 BGB handelt. Aust handelt bei Abschluss des Kaufvertrages als Verbraucher, da er weder in gewerblicher noch in selbständiger Absicht handelt. Blau ist als Gebrauchtwagenhändler ein Unternehmer i. S. d. § 14 BGB. Es handelt sich somit um einen Verbrauchsgüterkauf, die §§ 474 ff. sind anwendbar. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Beweislastumkehr Grundsätzlich ist es die Obliegenheit des Käufers nachzuweisen, dass ein vorliegender Sachmangel bereits bei Gefahrübergang bestand, damit er weitere Ansprüche gegen den Verkäufer geltend machen kann. Diese Beweislast wirkt gemäß § 476 BGB umgekehrt, wenn sich ein Mangel innerhalb von 6 Monaten nach Gefahrübergang zeigt (widerlegbar vermutet). Diese Beweislastumkehr bedeutet also, dass nunmehr der Verkäufer nachweisen muss, dass die Sache bei Übergabe mangelfrei war. Daher wird in dem vorliegenden Sachverhalt Blau beweisen müssen, dass der Wagen bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit aufwies. Dies wird ihm nicht gelingen, so dass davon auszugehen ist, dass der Wagen bei Gefahrübergang mangelhaft war. 4. Gewährleistungsausschluss Aust und Blau könnten aber einen Gewährleistungsausschluss vereinbart haben, was eine Nacherfüllung ausschließen würde. Da es sich jedoch vorliegend um einen Verbrauchsgüterkauf handelt und es sich bei solch einer Vereinbarung um eine für den Verbraucher nachteilige Vereinbarung handeln würde, wäre diese gem. § 475 I BGB unwirksam. Ein Gewährleistungsausschluss liegt daher nicht vor. 5. Fristsetzung gem. § 323 Abs.1 BGB Der Gläubiger kann gem. § 323 Abs. 1 BGB nur von dem Vertrag zurücksetzen, wenn er dem Schuldner eine erfolglos verstrichene Frist gesetzt hat. Eine Fristsetzung wäre aber gem. § 326 Abs. 5 BGB entbehrlich, wenn der Schuldner gem. § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht leisten muss. 5.1. Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB Unmöglichkeit, und damit ein Leistungsverweigerungsrecht, liegt dann vor, wenn die Leistung nicht erbringbar ist. In dem vorliegenden Sachverhalt handelt es sich um einen nicht reparierbaren Mangel. Insofern ist fraglich, ob es überhaupt für den Schuldner möglich ist, seine Pflicht aus dem Schuldverhältnis (Lieferung einer mangelfreien Sache) nachzukommen. Es ist zu prüfen, ob es sich vorliegend um eine Stück- oder um eine Gattungsschuld handelt. Würde es sich um eine Stückschuld handeln, deren Mangel nicht behebbar ist, wäre es für den Schuldner unmöglich eine mangelfreie Sache zu liefern. Bei einer Gattungsschuld hingegen, könnte der Schuldner unter Umständen durch Lieferung einer neuen, diesmal mangelfreien Sache, seiner Pflicht nachkommen. Eine Gattungsschuld liegt dann vor, wenn sich die Parteien nicht auf eine konkrete Sache geeinigt haben (Bsp. 3 Fass von dem Rotwein). Der Schuldner kann dann frei wählen, welche Sache er definitiv liefert (Bsp. welche Fässer). Dies gilt jedoch dann gem. § 234 Abs. 2 BGB Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner nicht mehr, wenn der Schuldner bereits eine Sache geliefert hat (s.g. Konkretisierung). Dann beschränkt sich das Schuldverhältnis auf eben diese Sache. Aust als Autoliebhaber und Blau haben zudem einen Kaufvertrag eben über den Audi A6 geschlossen, der von Blau angeboten wurde. Insofern liegt eine Stückschuld vor; gleichzeitig liegt auch eine Unmöglichkeit vor, da Blau die sachmangelfrei Lieferung nicht leisten kann. Eine Fristsetzung durch Aust ist somit gem. § 326 Abs. 5 BGB entbehrlich. 6. Unerheblichkeit des Mangels § 323 Abs. 5 S.2 BGB Ein Rücktrittsrecht gem. § 323 BGB würde dann ausscheidet, wenn die Pflichtverletzung unerheblich wäre. Für Aust war es entscheidend, ob der Wagen einen Unfall hatte oder nicht. Dies ist zudem eine wertbestimmende Angabe, die als erheblich anzusehen ist. Somit ist der Mangel erheblich, ein Ausschluss des Rücktrittsrechtes gem. § 323 Abs. 5 S. 2. BGB liegt nicht vor. 7. Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB Für einen wirksamen Rücktritt ist es erforderlich, dass der Käufer diesen gegenüber dem Verkäufer erklärt. Es handelt sich hierbei um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Aust hat dem Blau bereits schriftlich mitgeteilt, dass er sich nicht mehr an den Kaufvertrag halten will. Durch konkludente Auslegung liegt hierin die Rücktrittserklärung des Aust. Der Rücktritt ist somit gem. § 349 BGB wirksam erklärt. 8. Wirkung des Rücktritts gem. § 346 BGB Nach erfolgter Rücktrittserklärung sind die bereits empfangenen Leistungen zurückzugeben. Aust muss somit dem Blau den PKW zurückgeben. Ergebnis: Dem Aust steht ein Rücktrittsrecht gem. §§ 437 Nr. 2 1. Alt, 440, 323, 326 V BGB zu. Er kann daher den Wagen zurückgeben und muss sich nicht länger an den Kaufvertrag gebunden halten. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Abwandlung Anspruch des Blau gegen Claas auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB Blau könnte einen Anspruch gegen Claas auf Zahlung von 10.000,- € aus § 433 Abs. 2 BGB haben. I. Anspruch entstanden Ein Kaufvertrag ist zwischen Aust und Claas i. S. v. § 433 BGB zustande gekommen. Der Kaufpreisanspruch des Claas aus § 433 Abs. 2 BGB gegen Aust ist damit zunächst entstanden. II. Anspruch untergegangen Fraglich bleibt jedoch, ob der Anspruch des Claas wieder untergegangen ist. 1. Willenserklärung Die Anfechtung betrifft die Willenserklärung von Aust zum Abschluss eines Kaufvertrags. 2. Anfechtungsgrund Als Anfechtungsgrund kommt eine Anfechtung des Vertrages durch Aust gemäß § 123 Abs. 2 S. 1 BGB in Betracht. Dazu muss ein Dritter die Täuschung verübt haben. Ferner ist erforderlich, dass derjenige, gegenüber dem die Erklärung abzugeben war, die Täuschung kannte oder er diese hätte kennen müssen. Blau hat den Aust arglistig getäuscht (s. o.). Fraglich erscheint jedoch, ob der Blau auch Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist. Als Dritter im Sinne dieser Vorschrift gilt nur der am Geschäft Unbeteiligte; kein Dritter ist hingegen, wer auf Seiten des Erklärungsgegners steht und maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages mitgewirkt hat. Blau steht in den Diensten des Claas. Er ist damit nicht Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern wird dem Blau gemäß § 166 Abs. 1 BGB analog zugerechnet, so dass sich der Rücktrittsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB richtet. Wie oben dargestellt, liegt somit ein Anfechtungsgrund in Form der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB vor. [Hinweis: Claas wird rechtlich so behandelt, als habe er selbst dem Aust gegenüber die „Unfallfreiheit“ erklärt. Gänzlich unbeteiligt wäre beispielsweise ein zufällig im Laden des Claas anwesender anderer Kunde. Dann käme es darauf an, ob Claas die Täuschung kannte oder kennen musste, § 123 Abs. 2 BGB.] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3. Anfechtungserklärung und Anfechtungsfrist Eine Anfechtungserklärung des Aust gemäß § 143 Abs. 1 BGB liegt vor. Er hat dabei auch die Anfechtungsfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB eingehalten, wonach die Anfechtung einer nach § 123 BGB anfechtbaren Willenserklärung binnen Jahresfrist zu erfolgen hat. III. Ergebnis Claas hat keinen Kaufpreisanspruch gegen Aust aus § 433 Abs. 2 BGB. [Alternativ könnte Aust das gleiche Ergebnis auch über das Sachmängelgewährleistungsrecht erreichen, das neben § 123 BGB Anwendung findet. Der Unfall stellt eine negative Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit und damit einen Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Ein Fahrzeug, das erhebliche Unfallfolgen aufweist, wieder unfallfrei zu bekommen, ist unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB), so dass sich die Nacherfüllung auf die Lieferung einer mangelfreien Sache beschränkt, d. h. eines gebrauchten unfallfreien A6 mit den gleichen Eigenschaften. Dafür müsste Aust dem Blau gemäß § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich eine Frist zur Nacherfüllung setzen. Aufgrund der vorangegangenen Täuschung greift vorliegend allerdings die Ausnahme gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB bzw. § 440 S. 1 Var. 3 BGB ein, so dass Aust sofort zurücktreten kann. Dieser Weg erweist sich dann als besser, wenn Aust zusätzlichen Schadensersatz geltend machen will, da dieser gemäß § 325 BGB neben dem Rücktritt möglich ist. Die Anfechtung vernichtet hingegen den Vertrag und damit die Grundlage der vertraglichen Schadensersatzhaftung.] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 8: Schlechte Konjunktur Überblick Anspruch auf Kaufpreiszahlung I. Kaufvertrag Anspruch entstanden (+) II. Nichtigkeit Anspruch erloschen (?) 1. Anfechtung 1.1. Erklärungsirrtum (-) 1.2. Inhaltsirrtum (-) 1.3. Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaften (-) 2. Zwischenergebnis III. IV. Wegfall der Geschäftsgrundlage 1. Veränderungen von Umständen nach Vertragsschluss 2. Geschäftsgrundlage 3. Kausalität 4. Unzumutbarkeit Ergebnis Anspruch des H gegen B auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 Abs. 2 BGB H könnte von B die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 50.000,- € gem. § 433 Abs. 2 BGB verlangen, wenn zwischen beiden ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde. I. Kaufvertrag H und B haben unstrittig einen Kaufvertrag über einen LKW gemäß § 433 BGB geschlossen. II. Nichtigkeit wegen Anfechtung? Fraglich erscheint, ob der Kaufvertrag aufgrund einer Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an unwirksam war. Dazu müsste B ein Grund zur Anfechtung seiner Willenserklärung auf Abschluss eines Kaufvertrags zustehen. (Beachte: Sofern ein Anfechtungsgrund besteht, damit die Anfechtung ermöglicht werden würde, ist gem. § 122 BGB von dem Anfechtenden der s. g. Vertrauensschaden zu ersetzen.) 1. Mögliche Anfechtungsgründe: 1.1. Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB Denkbar wäre das Vorliegen eines Erklärungsirrtums. Ein Irrtum liegt vor, wenn Wille und Erklärung unbewusst auseinanderfallen. Beim Erklärungsirrtum entspricht dabei der äußere Tatbestand der Erklärung nicht dem Willen des Erklärenden, beispielsweise wegen eines Versprechens oder Verschreibens. B wollte den Kauf eines LKWs erklären. Somit war es sein Wille, diesen Kaufvertrag abzuschließen, was er auch genau so in seiner Willenserklärung äußerte. Folglich liegt kein Erklärungsirrtum vor. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 1.2. Inhaltsirrtum, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB In Betracht käme ferner das Vorliegen eines Inhaltsirrtums. Beim Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden, dieser irrt aber über Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Nicht umfasst ist hierbei allerdings der sogenannte Motivirrtum, der eine falsche Beurteilung der für die Willensbildung maßgeblichen Fakten betrifft. Der B irrte sich nicht darüber, einen bestimmten LKW zu kaufen. Sein Irrtum betraf die konkrete Nutzung des Fahrzeugs, das er nur in einer stabilen konjunkturellen Situation ausreichend nutzen kann. Damit irrte B nicht über den Inhalt seiner Erklärung, sondern sein Irrtum betraf die Motivation seiner Kaufentscheidung. Somit scheidet ein Inhaltsirrtum aus. 1.3. Verkehrswesentliche Eigenschaft, § 119 Abs. 2 BGB Es könnte schließlich noch ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache gegeben sein. Verkehrswesentliche Eigenschaften sind neben den auf der natürlichen Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit von Bedeutung sind. Es bleibt also festzuhalten, dass jeder wertbildende Faktor einer Sache eine verkehrswesentliche Eigenschaft sein kann. Bei der Verkehrswesentlichkeit ist nach Sinn und Zweck des § 119 Abs. 2 BGB von dem konkreten Rechtsgeschäft auszugehen. Ergeben sich hieraus keine besonderen Anhaltspunkte, bleibt allein die Verkehrsanschauung Beurteilungsgrundlage. Die Rechtsprechung versucht zudem eine Abgrenzung zwischen Eigenschaften, die eine unmittelbare Beurteilung der Sache haben und solchen, die hierauf nur mittelbar Einfluss ausüben und deswegen nicht als verkehrswesentlich anzusehen sind. Der Konjunkturverlauf und die damit verbundene Möglichkeit, den gekauften Gegenstand wirtschaftlich einsetzen zu können, weisen nur einen mittelbare Beziehung zum Kaufgegenstand auf. Unmittelbare Faktoren wären insofern die technische Leistungsfähigkeit des gekauften LKWs. Diese steht hier aber nicht in Frage. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass bei den Verkaufsverhandlungen die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Fahrzeugs eine Rolle gespielt hätte. Folglich stellt der vorliegende Irrtum des B über die Verwertbarkeit des LKWs keinen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft dar. Ein Anfechtungsgrund besteht also nicht. 2. Zwischenergebnis Durch das Fehlen eines Anfechtungsgrundes kann B den geschlossenen Kaufvertrag mit H nicht anfechten. Dieser bleibt daher unverändert bestehen, wodurch der Anspruch auf Kaufpreiszahlung ebenfalls weiter besteht. III. Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1 BGB? Zu prüfen bleibt, ob B einen Anspruch auf Anpassung des geschlossenen Kaufvertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB hat. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 1. Veränderung von Umständen nach Vertragsschluss Dazu müsste sich eine schwerwiegende Veränderung von Umständen nach Vertragsschluss ergeben. Dies setzt eine objektive Erheblichkeit der fraglichen Umstände voraus. Der Konjunktureinbruch ergab sich nach Abschluss des Kaufvertrags, allerdings vor Lieferung der Kaufsache. Die Heftigkeit des Konjunktureinbruchs lässt den Schluss zu, dass dieser objektiv erheblich war. Damit ist eine schwerwiegende Veränderung von Umständen nach Vertragsschluss gegeben. 2. Geschäftsgrundlage Des Weiteren ist erforderlich, dass die Änderung die Geschäftsgrundlage betrifft. Die geänderten Umstände dürfen dabei nicht Vertragsinhalt geworden sein, müssen allerdings dessen Grundlage gebildet haben. Der Konjunkturverlauf war nicht Inhalt des geschlossen Kaufvertrags, bildete aber die Grundlage für den Abschluss des Geschäfts. Die Geschäftsgrundlage war somit durch die konjunkturelle Entwicklung betroffen. 3. Kausalität Der Wegfall der Geschäftsgrundlage muss kausal für den Vertragsschluss gewesen sein. Dies bedeutet, dass die Vertragsparteien bei Voraussehen der Veränderung den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten. Hätten B und H den Konjunktureinbruch vorhergesehen, wäre es nicht zum Abschluss des Kaufvertrags gekommen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage war daher kausal für den Vertrag. 4. Unzumutbarkeit Schließlich muss ein Festhalten am Vertrag unter den geänderten Umständen für eine Partei unzumutbar sein. Bei der Unzumutbarkeit sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere auch die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung. Die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Kaufgegenstands stellt ein typisches Risiko jedes Käufers dar. Zwar besteht hier die besondere Situation, dass zwischen Vertragsschluss und Lieferung mehrere Monate liegen. Dieser Zeitraum war beiden Seiten bei Vertragsschluss jedoch bekannt. Umgekehrt wäre es das Risiko des Verkäufers gewesen, wenn beispielsweise wegen anziehender Konjunktur die Nachfrage nach LKW und damit zugleich der Preis solcher Fahrzeuge steigt. Daher ist ein Festhalten an den ausgehandelten Vertragsbedingungen nicht als unzumutbar zu werten. Eine Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB scheidet somit aus. IV. Ergebnis Ein Anspruch des H gegen B auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 50.000,- € ist folglich zu bejahen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 9: Die Bürgschaft Ausgangsfall: [Vgl. zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaftsverpflichtung auch Musielak, 9. Auflage (in der 10. Aufl. nicht mehr behandelt!), Rn. 946 ff.] Anspruch der B-Bank gegen Tina Geyer aus § 765 Abs. 1 BGB Die B-Bank könnte einen Anspruch gegen Tina Geyer auf Inanspruchnahme aus der Bürgschaft gem. § 765 Abs. 1 BGB haben. I. Wirksamer Bürgschaftsvertrag? Dazu müsste zunächst ein wirksamer Bürgschaftsvertrag zwischen der B-Bank und Tina Geyer zustande gekommen sein. Für einen wirksamen Bürgschaftsvertrag bedarf es einer Willenserklärung des Bürgen, die gem. § 766 S. 1 BGB den Schriftformerfordernissen genügen muss. 1. Wirksam entstandener Bürgschaftsvertrag gem. § 765 BGB 1.1. Die B-Bank, vertreten durch Müller gemäß § 164 Abs. 1 BGB, und Tina Geyer müssten die für einen Bürgschaftsvertrag erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärungen gemäß §§ 145, 147 BGB abgegeben haben. Der Bürge muss eine Willenserklärung abgeben, dessen Inhalt zum einen der Wille, für eine fremde Schuld einzustehen, Name des Gläubigers, Name des Hauptschuldners sowie die zu besichernde Forderung ist. Der Bürgschaftsnehmer muss diese Willenserklärung durch seine eigene Willenserklärung annehmen. Tina Geyer hat eine Willenserklärung mit dem entsprechenden Inhalt abgegeben. Meyer, als Vertreter der B-Bank hat diese angenommen. 1.2. Schriftform Die in § 766 S. 1 BGB vorgesehene Schriftform auf Seiten der Tina Geyer als Bürgin wurde gewahrt. (Die Willenserklärung der B-Bank als Gläubigerin der Bürgschaftsforderung musste hingegen nicht schriftlich erfolgen, da es hier lediglich um die Annahme der zuvor schriftlich geäußerten Willenserklärung geht.) 2. Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit? Fraglich ist jedoch, ob der Vertrag zwischen Tina Geyer und B-Bank auch wirksam ist. Der Wirksamkeit des Vertrages könnte ein Verstoß gegen die guten Sitten und damit die Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB entgegenstehen. Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Was Sittenwidrigkeit bedeutet, bedarf der Auslegung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner „Bürgschaftsentscheidung“ (BVerfGE 89, S. 214-236) erneut klargestellt, dass das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts enthält. Diese Grundentscheidungen entfalten sich durch das Medium derjenigen Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, und haben vor allem auch Bedeutung bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln. Indem § 138 und § 242 BGB ganz allgemein auf die guten Sitten, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Die Zivilgerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln die Grundrechte als "Richtlinien" zu beachten. Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen stellt einen Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit dar. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet daher die Privatautonomie als "Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben". Im Vertragsrecht ergibt sich der sachgerechte Interessenausgleich aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner. Beide binden sich und nehmen damit zugleich ihre individuelle Handlungsfreiheit wahr. Hat einer der Vertragsteile dabei ein so starkes Übergewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lässt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muss die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und ggf. im Rahmen der Auslegung von Generalklauseln Korrekturen ermöglichen. Aus diesen Gedanken hat die Rechtsprechung den Begriff der Sittenwidrigkeit für sogenannte Angehörigenbürgschaften konkretisiert. Angehörigenbürgschaften sind dann als Verstoß gegen die guten Sitten zu werten, wenn sie den bürgenden Angehörigen krass überfordern und weitere Faktoren wie beispielsweise ein unlauteres Einwirken auf den Willen gegeben ist. 2.1.Angehörigenverhältnis Zwischen Volker Geyer und Tina Geyer müsste danach ein Angehörigenverhältnis bestehen. Nach dem Gesetz besteht zwischen Volker Geyer und Tina Geyer gem. § 1589 S. 1 BGB ein Verwandtschaftsverhältnis in gerader Linie. Bei der Frage des Angehörigenverhältnisses kommt es jedoch entscheidend auf die zwischen dem finanziell überforderten Bürgen (Mithaftenden) und dem Hauptschuldner bestehende emotionale Verbundenheit an, so dass sich ein in diesem Sinne erforderliches Angehörigenverhältnis auch außerhalb der gesetzlichen Verwandtschaftsvorschriften ergeben kann (z. B. Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft). Die Umstände der Bürgschaftsunterzeichnung lassen darauf schließen, dass die Tina Geyer sich darauf lediglich aufgrund ihrer emotionalen Verbundenheit zu ihrem Vater eingelassen hat, was die Bank insoweit für ihre Zwecke ausgenutzt hat. Ein Angehörigenverhältnis besteht demnach zwischen Volker Geyer und Tina Geyer. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 2.2. Krasse Überforderung Des Weiteren müsste eine krasse Überforderung der Tina Geyer bestehen, die insbesondere dann angenommen wird, wenn der Bürgende voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld zu tilgen vermag. Die Tina Geyer hat lediglich ein geringes monatliches Ausbildungsgehalt i. H. v. 600,- €. und verfügt über keine weiteren Geldmittel. Demgegenüber müsste sie bei einer jährlichen Verzinsung von lediglich 6 % monatlich 600,- € aufbringen, um die laufenden Zinsen zu tilgen. Eine krasse Überforderung der Tina Geyer liegt damit vor. (Es ist auch kein anerkennenswertes Interesse der Bank zu erblicken, wie es etwa beim Schutz vor Vermögensverlagerungen angenommen wird. Aber selbst in diesem Fall müsste der beschränkte Haftungszweck unzweideutig vertraglich festgelegt werden.) 2.3. Unlauteres Einwirken auf den Willen Die verwerfliche Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit der Tina Geyer seitens der B-Bank ist typischerweise gegeben, wenn das Risiko der Mithaftung verharmlost oder schwerwiegende Risiken verschwiegen wurden. Durch den Hinweis des Bankangestellten Müller, der Abschluss des Bürgschaftsvertrages sei lediglich „für die Akten“, wird das Risiko für die Tina Geyer bagatellisiert, so dass auch in unlauterer Weise auf ihre Entscheidungsfreiheit eingewirkt worden ist. Die Bürgschaft der Tina Geyer für die Darlehensschuld ihres Vaters verstößt damit gegen die guten Sitten i. S. v. § 138 Abs. 1 BGB und ist damit nichtig. [HINWEIS: Aufgrund von Beweisschwierigkeiten im Prozess hilft der BGH vorliegend mit einer großzügigen Vermutung: Wird der Angehörige durch die von ihm übernommene Bürgschaft krass überfordert, besteht eine tatsächliche (widerlegliche) Vermutung, dass die Mithaftung ohne rationale Einschätzung der Interessenlage und der wirtschaftlichen Risiken aus emotionaler Verbundenheit übernommen worden ist, und dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Mithaftendem in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.] II. Ergebnis Die B-Bank kann nicht aus der Bürgschaft gem. § 765 Abs. 1 BGB gegen die Tina Geyer vorgehen. Abwandlung: A. Zustandekommen eines Bürgschaftsvertrags, § 765 BGB? Fraglich ist, ob zwischen Tina Geyer und der B-Bank ein Bürgschaftsvertrag gemäß § 765 BGB geschlossen wurde. Fallskript zum Tutorium I. WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Angebot der B-Bank, § 145 BGB Durch ihr Schreiben vom 22.11.2007 hat die B-Bank ein wirksames Angebot i. S. d. § 145 BGB abgegeben. II. Annahme durch T, § 147 Abs. 2 BGB Zu prüfen ist jedoch, ob dieses Angebot wirksam angenommen wurde. 1. Unterzeichnung Vertrag / Fax Dies könnte durch die Unterzeichnung des Bürgschaftsvertrags und die Zusendung per Fax an die B-Bank geschehen sein. Mit der Unterzeichnung des Vertrags hat Tina Geyer eine entsprechende Willenserklärung zur Vertragsannahme abgegeben. Das Originaldokument ist der B-Bank jedoch nicht zugegangen, so dass insofern die Willenserklärung nicht wirksam geworden ist. Fraglich bleibt, ob das der Bank zugegangene Fax die nach §§ 766 S. 1, 126 BGB erforderlich Schriftform wahrt. Die B-Bank hat jedoch nicht das Originaldokument erhalten, sondern lediglich eine Kopie (Fax = Fernkopie vom Original) hiervon. Eine Kopie stellt keine eigenhändige Unterschrift dar. Somit ist durch Unterzeichnung des Vertrags und die Zusendung per Fax kein wirksamer Zugang der Vertragsannahme erfolgt. 2. Eigenhändig unterschriebenes Schreiben an B-Bank Das Schreiben vom 25.11.2005 könnte ebenfalls eine Annahmeerklärung darstellen. Auch insofern gilt jedoch das Schriftformerfordernis der §§ 766 S. 1, 126 BGB. Gemäß § 126 Abs. 2 BGB muss bei einem Vertrag mit Schriftformerfordernis die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Diese Anforderungen erfüllt das Schreiben der Tina Geyer vom 25.11.2005 nicht da hier lediglich ihre Unterschrift vorliegt. 3. Rechtsfolge: Nichtigkeit der Willenserklärung, § 125 S. 1 BGB Folglich ist die Annahmeerklärung nach § 125 S. 1 BGB wegen Formmangels nichtig. [HINWEIS: Der Sachverhalt wurde von mir leider nicht präzise genug formuliert; würde Tina Geyer unter den Kaufmannsbegriff fallen, fänden §§ 343, 350 HGB Anwendung: Bürgschaften als Handelsgeschäfte eines Kaufmanns bedürfen demnach nicht der Schriftform. Im Folgenden soll unterstellt werden, dass Tina Geyer stille Gesellschafterin i. S. d. § 230 HGB ist. Damit fällt sie nicht unter die Kaufmannsdefinition des § 1 HGB und § 350 HGB findet keine Anwendung.] III. Ergebnis Somit ist kein Bürgschaftsvertrag zwischen Tina Geyer und der B-Bank zustande gekommen. B. Tina Geyer => B-Bank, Herausgabe: 1.000,- €, § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt BGB? (-) Tina Geyer könnte gegen die B-Bank einen Herausgabeanspruch über 1.000,- € gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zustehen. Fallskript zum Tutorium I. WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Etwas erlangt Die B-Bank erhielt von Tina Geyer 1.000,- € und hat somit einen vermögenswerten Vorteil erlangt. II. Durch Leistung Dies geschah auch durch Leistung von Tina Geyer, da sie das Geld mit der Absicht zur Erfüllung ihrer Bürgschaftsverpflichtung an die B-Bank zahlte. III. Ohne rechtlichen Grund Fraglich erscheint jedoch, ob dies ohne rechtlichen Grund geschah. 1. Nichtigkeit Bürgschaftsvertrag, §§ 766 S. 1, 125 S. 1, 126 BGB Wie oben dargestellt, war der Bürgschaftsvertrag nach §§ 766 S. 1, 125 S. 1, 126 BGB nichtig. 2. Heilung des Formmangels, § 766 Abs. 3 BGB Der Formmangel könnte jedoch geheilt worden sein. Nach § 766 Abs. 3 BGB ist dies der Fall, soweit der Bürge erfüllt. Indem Tina Geyer zur Erfüllung ihre Bürgschaftsverpflichtung 1.000,- € an die B-Bank zahlte, heilte sie insofern den bestehenden Formmangel. Ein rechtlicher Grund für die Zahlung von 1.000,- € war also gegeben. 3. Keine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB Soweit der Bürgschaftsvertrag wirksam geworden ist, liegt auch keine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB vor. Hiergegen spricht vor allem, dass Tina Geyer aufgrund ihrer Teilhaberschaft an der Firma ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Kreditvergabe hatte. Folglich bestand für die Zahlung der 1.000,- € ein rechtlicher Grund, da der Bürgschaftsvertrag insoweit wirksam war. IV. Ergebnis Ein Herausgabeanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB besteht somit nicht. [Hinweis: Die Heilung bezieht sich nicht auf den Bürgschaftsvertrag insgesamt, sondern lediglich auf die bereits erfüllte Verbindlichkeit. (Vgl. den Gesetzeswortlaut: „Soweit der Bürge erfüllt, wird der Mangel der Form geheilt.“) Die B-Bank kann somit mangels wirksamer Bürgschaftsverpflichtung über die bereits geleistete Teilsumme von 1.000,- € hinaus keine Ansprüche gegen T geltend machen!] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 10: Freie Preisbildung FRAGE 1: Welchen Anspruch hat F? Fa. Flink => Paul, Kaufpreiszahlung, 660,- €, § 433 Abs. 2 BGB Flink könnte gegen Paul ein Anspruch auf Zahlung von 660.- € aus dem Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2 BGB zustehen. I. Kaufvertrag Voraussetzung dafür ist, dass ein Kaufvertrag zwischen Flink und Paul über 220.- € je Tür wirksam vorliegt. Ein Vertrag ist zumeist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, bei dem durch mindestens zwei übereinstimmende Willenserklärungen ein bestimmter rechtlicher Erfolg erzielt werden soll (so genannter Vertragswille). Der Vertrag kommt demnach grundsätzlich durch den Antrag (auch Angebot genannt) der einen Vertragspartei und durch die vorbehaltlose Annahme dieses Antrags durch die andere Vertragspartei zustande. Hierbei müssen alle Vertragsbestandteile (s.g. essentialia negotii) übereinstimmen. Ein Kaufvertrag über die Türen ist daher geschlossen worden, bezüglich des Preises wurde jedoch nur eine Einigung über 200.- € pro Tür erzielt. II. Vertragsanpassung durch AGB? Fraglich ist, ob Flink einen Anspruch auf den höheren Preis durch die Preisanpassungsklausel der Ziff. 3 der Verkaufs- und Lieferbedingungen hat. Dazu müsste es sich um eine Klausel handeln die zudem wirksam Vertragsbestandteil geworden ist. 1. Vorliegen von AGB Zu prüfen ist zunächst, ob eine AGB gemäß § 305 Abs. 1 BGB vorliegt. Eine Klausel sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (der Verwender) der anderen Partei bei Abschluss eines Vertrages einseitig auferlegt.9 Vorliegend ist dies ist der Fall, da es sich bei der Klausel in Ziff. 3 der Lieferbedingungen um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelt, die von F gestellt wurden10. Damit finden die Regelungen über AGB uneingeschränkt Anwendung. 2. Kein Ausschluss der Klausel gem. §§ 310 BGB Die AGB würden keine Anwendung finden, wenn es sich bspw. um einen Unternehmer als AGB-Nehmer handeln würde (§ 310 Abs. 1 BGB). Ebenso wäre ein Ausschluss der AGB bei bestimmten Vertragsgegenständen gem. § 310 Abs.2 & 4 BGB gegeben. Diese Tatbestandsmerkmale sind vorliegend nicht gegeben, so dass die Regelungen über AGB Anwendung finden. 9 Die Klauseln müssen dabei nicht schon mehrfach verwendet werden. Auch eventuell individuell auszufüllende Passagen innerhalb eines Formulars können bereits AGB sein. 10 Auf die Beweisregelung des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB, die auf den vorliegenden Verbrauchervertrag anwendbar ist, kommt es also nicht an. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3. AGB als Vertragsbestandteil Weiterhin müssten die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein (§ 305 Abs. 2 BGB). § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB setzt voraus, dass bei Vertragsschluss ausdrücklich durch einen deutlich sichtbaren Aushang am Orte des Vertragsschlusses auf die AGB hingewiesen wird. 11 Sofern ein ausdrücklicher Hinweis aufgrund der Art und Weise des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, genügt ausnahmsweise ein deutlich sichtbarer Aushang (Parkhausbenutzung etc.). Bei Vertragsabschluss zwischen Flink und Paul wurde nicht ausdrücklich auf die AGB hingewiesen. Auch ist nicht ersichtlich, dass ein ausdrücklicher Hinweis den Vertragsabschluss unzumutbar erschwert hätte. Folglich konnte der Hinweis auch nicht durch den deutlich sichtbaren Aushang ersetzt werden. § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nicht erfüllt. Daher ist die Klausel nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden. III. Ergebnis Fa. Flink hat gegen Paul lediglich einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB in Höhe von 600,- €. FRAGE 2: Was wäre, wenn auf dem Bestellschein und der Quittung in Fettdruck auf die Lieferbedingungen hingewiesen wurde? Fa. Flink => Paul, Kaufpreiszahlung, 660,- €, § 433 Abs. 2 BGB Flink könnte gegen Paul ein Anspruch auf Zahlung von 660.- € aus dem Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2 BGB zustehen. I. Kaufvertrag Voraussetzung dafür ist, dass ein Kaufvertrag zwischen Flink und Paul über 220.- € je Tür wirksam vorliegt. Ein Vertrag ist zumeist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, bei dem durch mindestens zwei übereinstimmende Willenserklärungen ein bestimmter rechtlicher Erfolg erzielt werden soll (so genannter Vertragswille). Der Vertrag kommt demnach grundsätzlich durch den Antrag (auch Angebot genannt) der einen Vertragspartei und durch die vorbehaltlose Annahme dieses Antrags durch die andere Vertragspartei zustande. Hierbei müssen alle Vertragsbestandteile (s.g. essentialia negotii) übereinstimmen. Ein Kaufvertrag über die Türen ist daher geschlossen worden, bezüglich des Preises wurde jedoch nur eine Einigung über 200.- € pro Tür erzielt. II. Vertragsanpassung durch AGB? Fraglich ist, ob Flink einen Anspruch auf den höheren Preis durch die Preisanpassungsklausel der Ziff. 3 der Verkaufs- und Lieferbedingungen hat. Dazu müsste es sich um eine Klausel handeln die zudem wirksam Vertragsbestandteil geworden ist. 11 Es muss für den AGB-Nehmer in zumutbarer Weise möglich sein, von den AGB-Inhalt Kenntnis zu erlangen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 1. Vorliegen von AGB Zu prüfen ist zunächst, ob eine AGB gemäß § 305 Abs. 1 BGB vorliegt. Dies ist der Fall, da es sich bei der Klausel um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelt, die von F gestellt wurden (auf die Beweisregelung des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB, die auf den vorliegenden Verbrauchervertrag anwendbar ist, kommt es also nicht an). [Damit finden die Regelungen über AGB uneingeschränkt Anwendung, da weder § 310 Abs. 2 und Abs. 4 BGB (kein dort genannter Vertragsgegenstand) noch § 310 Abs. 1 BGB (Paul kein Unternehmer i. S. v. § 14 BGB) erfüllt sind.] 2. AGB als Vertragsbestandteil Weiterhin müssten die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein (§ 305 Abs. 2 BGB). § 305 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. BGB setzt voraus, dass bei Vertragsschluss ausdrücklich auf die AGB hingewiesen wird. Ferner muss gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft werden, in zumutbarer Weise vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen. Schließlich ist erforderlich, dass die andere Vertragspartei mit der Geltung der AGB einverstanden war. Dies ist bei Vorliegen eines ausdrücklichen Hinweises dann der Fall, wenn die AGB zur Einsicht ausliegen oder aushängen. Im Verkaufsraum der F hängt an zentraler Stelle ein Aushang zu den Verkaufs- und Lieferbedingungen. Auf diese wurde sowohl auf dem Bestellschein als auch der Quittung in Fettdruck hingewiesen. Das Einverständnis von Paul mit diesen AGB ergibt sich konkludent daraus, dass er in Kenntnis dieser Verkaufs- und Lieferbedingungen den Kaufvertrag schloss. Die fragliche Klausel wurde somit gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB Vertragsbestandteil. 3. Keine vorrangige Einzelvereinbarung, § 305b BGB Sofern die Vertragsbedingungen einzeln ausgehandelt worden sind, haben diese Vorrang vor den AGB. Solche Vertragsbedingungen, auch Individualabreden genannt, sind eigens für diesen Vertrag und für diese Parteien ausgehandelt und bewirken daher, dass entgegenstehende oder anders lautende AGB keine Anwendung finden würden. Eine vorrangige Einzelvereinbarung gemäß § 305b BGB besteht vorliegend jedoch nicht. 4. Keine überraschende Klausel, § 305c BGB Es müsste sich um eine objektiv ungewöhnliche Klausel handeln. Das Vorliegen einer ungewöhnliche Klausel ergibt sich aus dem Gesamtumstand , dabei kann sich die Ungewöhnlichkeit mit dem Leitbild des Vertrages, der Höhe des Entgeltes oder auch aus einem Widerspruch der Vertragsverhandlungen ergeben. Hinweise darauf, dass es sich um eine überraschende Klausel nach § 305c BGB handeln könnte, liegen jedoch nicht vor. 5. Verstoß gegen Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit Es könnte jedoch ein Verstoß gegen § 309 BGB vorliegen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner a) Abweichung gemäß § 307 Abs. 2 BGB Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 309 BGB ist, dass eine Abweichung gemäß § 307 Abs. 2 BGB besteht. Dazu müsste eine von Rechtsvorschriften abweichende oder den Verbraucher benachteiligende Regelung vorliegen.12 Mit Ziff. 3 der Verkaufs- und Lieferbedingungen wird ein verbindlich vereinbarter Kaufpreis abgeändert. Damit handelt es sich um eine Abweichung i. S. d. § 307 Abs. 2 BGB. b) Verstoß gemäß § 309 Nr. 1 BGB In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 309 Nr. 1 BGB. Die Vorschrift betrifft kurzfristige Preiserhöhungen. Unwirksam ist demnach eine Bestimmung, welche die Erhöhung des Entgelts für Waren oder Leistungen vorsieht, die innerhalb von vier Monaten nach Vertragsschluss geliefert oder erbracht werden sollen. 13Zwar erfolgt die Lieferung im vorliegenden Fall erst nach fünf Monaten. Dies ist für die Prüfung eines Verstoßes gegen § 309 BGB irrelevant. Selbst wenn sich die AGB-Klausel nur in einem theoretischen Fall als unwirksam erweist, führt dies zu ihrer Unwirksamkeit. Diese Klausel wurde daher zu keinem Zeitpunkt wirksam Vertragsbestandteil. Die Klausel in Ziff. 3 der Verkaufs- und Lieferbedingungen gilt ebenfalls für Fälle, in denen die Lieferung innerhalb von vier Monaten nach Vertragsschluss erfolgen soll. Das ist jedoch nach § 309 Nr. 1 BGB unzulässig. Folglich ist die gesamte Klausel von Anfang an unwirksam. III. Ergebnis Fa. Flink hat gegen Paul lediglich einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB in Höhe von 600,- €. FRAGE 3: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn kein Hinweis auf Bestellschein oder Quittung erfolgte, der P jedoch Bauunternehmer wäre und schon seit Jahren von F Waren für sein Bauunternehmen bezieht? Fa. Flink => Paul, Kaufpreiszahlung, 660,- €, § 433 Abs. 2 BGB Flink könnte gegen Paul ein Anspruch auf Zahlung von 660.- € aus dem Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2 BGB zustehen. 12 Durch die Regelungen in den §§ 305 ff. BGB soll der zumeißt schwächere Verbraucher gestärkt werden. Jegliche Klausel, die ein dem Verbraucher zustehendes Recht einschränkt, unterliegt daher der Inhaltskontrolle (§§ 307, 309 BGB) 13 Dieses Verbot gilt jedoch nicht bei Waren oder Leistungen, die im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen geliefert oder erbracht werden. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner I. Kaufvertrag Voraussetzung dafür ist, dass ein Kaufvertrag zwischen Flink und Paul über 220.- € je Tür wirksam vorliegt. Ein Kaufvertrag über die Türen ist geschlossen worden, bezüglich des Preises wurde jedoch nur eine Einigung über 200.- € pro Tür erzielt. II. Vertragsanpassung durch AGB? Fraglich ist, ob Flink einen Anspruch auf den höheren Preis durch die Preisanpassungsklausel der Ziff. 3 der Verkaufs- und Lieferbedingungen hat. Dazu müsste die Klausel Vertragsbestandteil geworden sein. 1. Vorliegen von AGB Zu prüfen ist zunächst, ob eine AGB gemäß § 305 Abs. 1 BGB vorliegt. Dies ist der Fall, da es sich bei der Klausel um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelt, die von F gestellt wurde (die Beweislastregel des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB fände hier keine Anwendung, da es sich nicht um einen Verbrauchervertrag handelt). 2. AGB als Vertragsbestandteil Weiterhin müssten die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein. Vorliegend ergibt sich jedoch eine Besonderheit, da es sich bei dieser Fallkonstellation um zwei Unternehmer handelt. Nach § 14 BGB sind Unternehmer natürliche oder juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständig beruflichen Tätigkeit handeln. Dies ist in der vorgegebenen Fallkonstellation gegeben, da Baumann Unternehmer ist und als solcher handelt. Jedoch ist § 305 Abs. 2 BGB nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nicht anwendbar, wenn die AGB gegenüber einem Unternehmer verwendet werden. Somit wären die AGB bereits dann einbezogen worden, wenn sich Flink und Baumann entsprechend geeinigt hätten. Zwischen Flink und Baumann bestehen langjährige Geschäftsbeziehungen, so dass Baumann mit der Geltung von AGB rechnen musste. Außerdem ist bei Kaufleuten die Verwendung von AGB üblich. Damit sind diese durch konkludente Einigung in den Vertrag einbezogen worden. 3. Keine vorrangige Einzelvereinbarung, § 305b BGB Eine vorrangige Einzelvereinbarung gemäß § 305b BGB besteht nicht. 4. Keine überraschende Klausel, § 305c BGB Hinweise darauf, dass es sich um eine überraschende Klausel nach § 305c BGB handeln könnte, liegen nicht vor. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 5. Kein Verstoß gegen Klauselverbot mit und ohne Wertungsmöglichkeit Ein Verstoß gegen § 309 bzw. § 308 BGB scheidet aus, da diese Vorschriften nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB keine Anwendung finden (s. o.). 6. Verstoß gegen Generalklausel, § 307 BGB Es könnte jedoch ein Verstoß gemäß § 307 BGB vorliegen. a) Abweichung gemäß § 307 Abs. 2 BGB Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 307 BGB ist ebenfalls, dass eine Abweichung gemäß § 307 Abs. 2 BGB besteht. Dazu müsste eine von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelung vorliegen. Mit Ziff. 3 der Verkaufs- und Lieferbedingungen wird ein verbindlich vereinbarter Kaufpreis abgeändert. Damit handelt es sich um eine Abweichung i. S. d. § 307 Abs. 2 BGB. b) Unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB Jedoch könnte die Klausel gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB verstoßen. Das wäre der Fall, wenn die Klausel den Partner unangemessen benachteiligen würde. Laut Klausel sind bzgl. Zeitpunkt sowie die Höhe unbegrenzte Preisänderungen möglich. Dem Kunden wird damit jede Kalkulationsmöglichkeit bezüglich des Einkaufpreises genommen. Seine Möglichkeit, eigene Preise zu kalkulieren, wird dadurch unzumutbar erschwert. Dies stellt eine unangemessene Benachteiligung des Kunden dar. Folglich ist Ziff. 3 der Lieferbedingungen unwirksam. III. Ergebnis Fa. Flink hat gegen Paul lediglich einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB in Höhe von 600,- €. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 11: die falsche Handtasche Frage 1: Anspruch von Q. gegen Kauder auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB I. Wirksamer Kaufvertrag Für einen wirksam geschlossenen Kaufvertrag ist das vorliegen zweier übereinstimmender Willenserklärungen (Angebot und Annahme) erforderlich. Somit ist vorrangig zu prüfen, ob zwei übereinstimmende Willenserklärungen vorliegen. Bei dem möglichen Kaufvertrag zwischen Q. und Kauder über die Schrankwand ist gem. §§ 133, 157 BGB auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Q. musste das Scheiben des Kauder als Angebot (§ 145 BGB) auf Abschluss eine Kaufvertrages über eine Schrankwand („Nr. 57221251“) verstehen, das er durch die Auftragsbestätigung angenommen (§ 147 BGB) hat. Anspruch auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 Abs. 2 BGB ist zunächst wirksam entstanden. II. Anspruch erloschen durch Widerruf gemäß §§ 355 Abs. 1 S. 1, 312d Abs. 1 BGB Es könnte ein Widerrufsrecht gemäß §§ 355 Abs. 1 S. 1, 312d Abs. 1 BGB bestehen, das zum Erlöschen des Anspruchs auf Kaufpreiszahlung führen würde. Voraussetzung wäre nach der Definition in § 312b Abs. 1 BGB, dass es sich um einen Vertrag über die Lieferung von Waren handelt, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wurde. 1. Kauder ist Verbraucher, § 13 BGB (natürliche Person; Rechtsgeschäft ohne Bezug zu gewerblicher / selbstständiger gewerblicher Tätigkeit; hier: Hobby) 2. Q ist „Unternehmer“, § 14 BGB (juristische Person => GmbH; Abschluss des Rechtsgeschäfts in Ausübung der gewerblichen Tätigkeit => Versandhandel) 3. Nach § 312b Abs. 2 BGB fallen unter Fernkommunikationsmitteln nur solche Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss des Vertrags ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, also insbesondere Briefe. Diese wurden hier verwendet. 4. Der Vertrag muss ferner unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden sein. Das ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn mindestens eine der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen in anderer Form übermittelt worden ist. Zwar verwendeten Q. und Kauder jeweils ein Fernkommunikationsmittel in Form eines Briefes. Indem Kauder den Brief in der Filiale von Q. einem Mitarbeiter übergab, kam es zu einem persönlichen Kontakt zwischen ihm und einem Erfüllungsgehilfen von Q. Damit ist das Angebot von Kauder nicht unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner [Hinweis: Nach Sinn und Zweck der Regelung ließe sich auch das gegenteilige Ergebnis begründen und Kauder würde ein Widerrufsrecht zustehen, das er ausüben und so von dem Vertrag zurücktreten könnte] Folge: Kein Widerrufsrecht gemäß § 312d BGB II. Anspruch wieder untergegangen durch Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB Kauder könnte jedoch seine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung wirksam angefochten haben. Dann wäre seine Willenserklärung als von Anfang an nichtig anzusehen, § 142 I BGB. 1. Anfechtungsgrund in Form des Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB (Irrtum = unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung; Erklärungsirrtum = Erklärende wollte zwar eine rechtlich bedeutsame Erklärung abgeben, vergriff sich aber in der Erklärung) Für eine wirksame Anfechtung bedarf es zunächst eines Anfechtungsgrundes. In dem hier vorliegenden Fall kommt der Anfechtungsgrund des Erklärungsirrtums in Betracht. Bei einem Erklärungsirrtum fallen Erklärtes und tatsächlich Gewolltes auseinander. Oftmals liegt ein Erklärungsirrtum beim Versprechen oder Verschreiben vor. Kauder erklärte, dass er den Artikel mit der Bestellnummer „57221251“ (Schrankwand) kaufen will. Tatsächlich wollte er jedoch den Artikel mit der Bestellnummer „57221215“ kaufen. Daher fallen Erklärtes und Gewolltes auseinander, es handelt sich somit um einen Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB der zu Anfechtung berechtigt. 2. Anfechtungserklärung, § 143 Abs. 1 BGB Der Anfechtende müsste die Anfechtung gegenüber dem Anfechtungsgegner erklärt haben, § 143 BGB. Für die Erklärung ist es nicht zwingend notwendig, dass der Anfechtende das Wort „anfechten oder Anfechtung“ verwendet, sondern nur, dass im Sinne einer Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist, was mir der Erklärung gewollt wurde. Kauder erklärte, er erachte den Vertrag als „null und nichtig“. Hierdurch ist für einen objektiven Dritten deutlich zu erkennen, dass Kauder nicht an dem Vertrag festhalten will. Ferner muss die Anfechtungserklärung auch gegenüber dem Anfechtungsgegner erfolgen, was regelmäßig der Vertragspartner ist, § 143 Abs. 1, Abs. 2, 1. Alt. BGB. Kauder hat aber nicht direkt gegenüber Q. seine Anfechtungserklärung abgegeben, sondern gegenüber einem Boten des Q, der als Erfüllungsgehilfe des Q. dessen Pflichten aus dem Kaufvertrag erfüllen sollte. (Als Erfüllungsgehilfen werden Personen bezeichnet, die mit Wissen und Wollen im Pflichtenkreis des Schuldners tätig sind und diesem bei der Erfüllung seiner Pflichten helfen.) Da dieser Bote jedoch Vertretungsmacht durch seine Stellung als Erfüllungsgehilfe besaß, ist die Anfechtungserklärung dennoch gegenüber dem Anfechtungsgegner erfolgt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3. Anfechtungsfrist Die Erklärung des Kauder muss zudem noch fristgerecht erfolgt sein. Gem. § 121 Abs. 1 BGB muss die Anfechtungserklärung unverzüglich, d. h. nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, erfolgen. Kauder wandte sich unmittelbar, nachdem er die Schrankwand erhalten hatte, an den Q. und erklärte seine Anfechtung. 4. Rechtsfolge Der Kaufvertrag ist durch die wirksame Anfechtung des Kauder gem. § 142 Abs. 1 BGB ex tunc (= von Anfang an) nichtig. III. Ergebnis Q. hat keinen Anspruch gegen Kauder auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB. Frage 2: Anspruch von Q. gegen Kauder auf Ersatz der Transportkosten, § 122 Abs. 1 BGB Q. könnte von Kauder den Ersatz der Transportkosten (s.g. Vertrauensschaden) gem. § 122 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen. Voraussetzung wäre, dass Kauder einen zuvor bestehenden Vertrag gem. § 119 BGB angefochten hat. Dies ist –wie oben dargestellt- geschehen, so dass Q. nunmehr den Ersatz des Vertrauensschadens von Kauder verlangen kann. Hierbei ist der Umfang des Anspruches beschränkt auf den Vertrauensschaden, d. h. die Nachteile, die durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages entstanden sind (s. g. negatives Interesse) Q. vertraute darauf, dass das Angebot des Kauders (Bestellkarte mit Artikelnummer) auch tatsächlich das Gewollte wiedergab. Er nahm das Angebot an und lieferte pflichtgemäß eine Schrankwand an Kauder, wodurch Transportkosten entstanden sind. Somit kann Q. von Kauder gem. § 122 Abs. 1 BGB Ersatz der entstandenen Transportkosten in Höhe von 200,- € verlangen. (Anhaltspunkte für einen Ausschluss nach § 122 Abs. 2 BGB sind nicht ersichtlich.) Frage 3: Anspruch von Kauder gegen Q. auf Lieferung der Handtasche, § 433 Abs. 1 S. 1 BGB Kauder hätte gegen Q. einen Anspruch auf Lieferung der Handtasche gem. § 433 Abs.1 S.1 BGB, wenn ein wirksamer Kaufertrag vorliegen würde. Für einen wirksam geschlossenen Kaufvertrag bedarf es zweier übereinstimmender Willenserklärungen (Angebot u. Annahme). Kauder hat zwar ein Kaufangebot abgegeben, jedoch mit dem Inhalt, dass er einen Kaufvertrag über eine Schrankwand wolle. Das er tatsächlich eine Handtasche kaufen wollte, dies jedoch nicht nach außen erklärt hat, ist unerheblich. Folglich fehlt es schon an der ersten erforderlichen Willenserklärung. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Ein Kaufvertrag zwischen Kauder und Q. über eine Krokodillederhandtasche wurde nicht geschlossen. Eine Lieferungspflicht des Q. besteht daher nicht. Frage 4: A. Anspruch von Q. gegen Kauder auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB I. Wirksamer Kaufvertrag Kaufvertrag zwischen Q. und Kauder über die Schrankwand: s. o. Anspruch auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 Abs. 2 BGB zunächst (+) II. Anspruch erloschen durch Widerruf gemäß § 355 Abs. 1 S. 1 BGB 1. Widerrufsrecht, § 312d Abs. 1 BGB Voraussetzung wäre nach der Definition in § 312b Abs. 1 BGB, dass es sich um einen Vertrag über die Lieferung von Waren handelt, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wurde (s. g. Fernabsatzvertrag). 1.1. Persönlicher Anwendungsbereich a) Hierzu müsste es sich bei dem Käufer um einen Verbraucher im Sinne des § 13 BGB handeln. Ein Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, das weder einem gewerblichen noch einer selbständigen Tätigkeit zuzurechnen ist. Kauder ist leidenschaftlicher Handtaschensammler und betreibt diese Vorliebe (mangels weiterer Hinweise) als Hobby. Daher ist Kauder bei Vertragsschluss als Verbraucher i. S. d. § 13 BGB anzusehen. b) Weiter müsste es sich bei Q um einen Unternehmer i. S. d. § 14 BGB handeln. Ein Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person, die bei Abschluss eines Vertrages in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit handelt. Q ist eine juristische Person deren Geschäftszweck der Versandhandel ist. Somit ist Q als Unternehmer i. S. d. § 14 BGB anzusehen. 1.2. Sachlicher Anwendungsbereich a) Nach § 312b Abs. 2 BGB fallen unter Fernkommunikationsmitteln nur solche Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss des Vertrags ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, also insbesondere Briefe. Der Vertrag muss ferner unter ausschließlicher Verwendung solcher Fernkommunikationsmittel geschlossen worden sein. Das ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn mindestens eine der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen in anderer Form übermittelt worden ist. Q. und Kauder verwendeten jeweils ein Fernkommunikationsmittel in Form eines Briefes. Der Vertrag ist damit unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner b) Es muss sich gem. § 312b Abs. 1 BGB zudem um die Lieferung von Waren oder Dienstleistungen handeln. Der Kaufvertrag zwischen Q und Kauder beinhaltet die Lieferung einer Schrankwand, somit die Lieferung einer Ware. c) Ein Fernabsatzvertrag scheidet jedoch trotz ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln dann aus, wenn der Unternehmer für diese Handelsform kein eingerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem installiert hat (bspw. unregelmäßige telefonische Bestellannahme). Q hat aber gerade den Geschäftszweck des Versandhandels für sich bestimmt, so dass davon auszugehen ist, dass er auch über ein eingerichtet System bereitstellt. d) Ebenfalls kein Ausnahmetatbestand nach § 312b Abs. 3 oder 4 BGB gegeben. 2. Widerrufserklärung § 355 Abs. 1 S. 2 BGB: Textform oder Rücksendung der Ware (beides erfüllt; bei Schreiben ist dieses nach §§ 133, 157 BGB auszulegen => gewollt war eine Lösung vom Vertrag, hier also durch Widerruf) 3. Widerrufsfrist Die Widerrufserklärung muss aber zu ihrer Wirksamkeit auch fristgerecht erfolgen. Gemäß § 355 Abs. 1 S.2 BGB beträgt die Frist 2 Wochen. Da die Belehrung dem Kauder aber 3 ½ Wochen vor Lieferung zuging, wäre die Widerrufsfrist bereits bei Warenlieferung abgelaufen. Gemäß § 355 Abs.1 S.2 BGB beginnt die Frist aber nicht vor Warenzugang an zu laufen. Es kommt somit nicht darauf an, wann die Belehrung erfolgte, sondern ab wann der Verbraucher die Möglichkeit hatte, die gelieferte Ware zu prüfen. Folglich war die Widerrufserklärung fristgemäß. III. Ergebnis Q hat gegen Kauder kein Anspruch auf Kaufpreiszahlunggem. § 433 Abs. 2 BGB, da der Kaufvertrag wegen Widerrufs erloschen ist. B. Anspruch von Q. gegen Kauder auf Ersatz der Transportkosten, § 357 Abs. 2 BGB Ein Anspruch auf Ersatz der Transportkosten besteht nach § 357 Abs. 2 BGB nicht, da die Schrankwand weder durch Paket versandt werden kann (S. 1) und der Kaufpreis mehr als 40,€ beträgt, der zudem noch nicht gezahlt wurde. C. Anspruch von Kauder gegen Q. auf Lieferung der Handtasche, § 433 Abs. 1 S. 1 BGB Ein Kaufvertrag wurde nicht geschlossen (s. o.) Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 12: Die falschen Schuhe Übersicht Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises I. Fernabsatzvertrag 1. Persönlicher Anwendungsbereich (+) 2. Sachlicher Anwendungsbereich (+) II. Widerruf 1. Widerrufsfrist (+) 2. Widerrufsausübung (+) III. Rechtsfolge IV. Ergebnis Anspruch auf Erstattung der Portokosten I. Verbrauchervertrag II. Widerrufsrecht 1. Widerrufsausübung (+) 2. Widerrufsfrist 3. Fristaussetzung III. Ergebnis Ausgangsfall: A. Anspruch von Frau Alt gegen die Blitz OHG auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 357 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 346 Abs. 1 BGB Frau Alt könnte einen Anspruch gegen die Blitz OHG auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 357 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 346 Abs. 1 BGB haben. I. Verbrauchervertrag: Fernabsatzvertrag Dann müssten Frau Alt und die Blitz OHG zunächst einen Verbrauchervertrag gem. § 355 Abs. 1 BGB miteinander abgeschlossen haben. In Betracht kommt insoweit ein Fernabsatzvertrag zwischen Frau Alt und der Blitz OHG gem. § 312b Abs. 1 S. 1 BGB. Dazu müsste Frau Alt Verbraucherin und die Blitz OHG Unternehmer sein, und sie müssten unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln einen Vertrag über die Lieferung von Waren abgeschlossen haben. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 1. Persönlicher Anwendungsbereich Verbraucher ist gem. § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Die Frau Alt hat sich als natürliche Person die Schuhe zu ihrem Privatvergnügen bestellt und ist somit Verbraucherin gem. § 13 BGB. Gem. § 14 BGB ist ein Unternehmer u. a. eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss des Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Die Blitz OHG ist als Offene Handelsgesellschaft gem. §§ 105 Abs. 1, 124 Abs. 1 HGB eine rechtsfähige Personengesellschaft und hat bei Abschluss des Vertrages mit Frau Alt außerdem in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit gehandelt. Die Blitz OHG ist damit Unternehmer gem. § 14 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 BGB. 2. Sachlicher Anwendungsbereich Des Weiteren müssten Frau Alt und die Blitz OHG unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln einen Vertrag über die Lieferung von Waren abgeschlossen haben. Der Vertrag zwischen Frau Alt und der Blitz OHG über die Lieferung der Schuhe ist ausschließlich über das Internet und damit über ein Fernkommunikationsmittel gem. § 312b Abs. 2 BGB zustande gekommen. Der Versand erfolgte zudem im Rahmen eines Fernabsatzsystems Überdies liegt kein Ausschluss nach § 312b Abs. 3 BGB vor und das Widerrufsrecht ist auch nicht nach § 312d Abs. 3 oder Abs. 4 erloschen. Da die Schuhe nicht eigens angefertigt wurden, besteht insbesondere kein Ausschluss des Widerrufrechts nach § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB. Folglich haben Frau Alt und die Blitz OHG einen Fernabsatzvertrag gem. § 312b BGB und damit einen Verbrauchervertrag i. S. v. § 355 Abs. 1 BGB abgeschlossen. II. Widerruf des Vertrages Fraglich ist jedoch, ob Frau Alt diesen Vertrag wieder wirksam widerrufen hat. Zunächst steht ihr ein solches Widerrufsrecht gem. §§ 355 Abs. 1 i. V. m. § 312d Abs. 1 S. 1 BGB zu. 1. Widerrufsfrist Frau Alt müsste den Vertrag mit der Blitz OHG fristgerecht und in der richtigen Form widerrufen haben. Fraglich ist somit zunächst, ob die Frist für den Widerruf von Frau Alt bereits abgelaufen war. Hiefür muss zunächst geprüft werden, wann die Frist überhaupt zu laufen beginnt. Nach § 355 Abs. 1 S. 2 HS. 1 BGB ist der Widerruf innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären, wobei die Frist nach § 355 Abs. 2 BGB in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung in Textform über sein Widerrufsrecht erhält, die ihn u. a. über den Fristbeginn und darüber belehrt, in welcher Form er innerhalb von zwei Wochen den Widerruf erklären kann. Der Verbraucher soll also nicht nur in Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Kenntnis darüber gesetzt werden, dass er ein Widerrufsrecht hat, sondern vielmehr auch wie er es genau ausüben kann. Nach § 355 Abs. 3 S. 1 BGB erlischt das Widerrufsrecht spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss; nach § 355 Abs. 3 S. 2 BGB beginnt die Frist nicht vor dem Empfang der Leistung. Selbst diese großzügigen Fristenregelungen helfen Frau Alt vorliegend nicht. Das Widerrufsrecht von Frau Alt erlischt jedoch überhaupt nicht, soweit der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 3 S. 3 HS. 1 BGB belehrt worden ist.(Beachte: Es handelt sich hier um eine Belehrungspflicht, die der Gesetzgeber dem Unternehmer auferlegt hat. Eine nicht rechtskonforme Widerrufsbelehrung stellt daher eine Pflichtverletzung dar.) Die Blitz OHG hat Frau Alt entgegen § 355 Abs. 2 S. 1 BGB aber gerade nicht darüber belehrt, wann die Frist für ihren möglichen Widerruf zu laufen beginnt. Aufgrund dieser nicht ordnungsgemäßen Belehrung hat die Widerrufsfrist für Frau Alt folglich noch gar nicht zu laufen begonnen und ist somit auch noch nicht abgelaufen. 2. Widerrufsausübung Der Widerruf kann u. a. durch Rücksendung der Ware innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erklärt werden, wobei zur Einhaltung der Frist die rechtzeitige Absendung genügt (vgl. insoweit § 355 Abs. 1 S. 2 BGB). Folglich hat Frau Alt durch die Rücksendung der Schuhe an die Blitz OHG den Vertrag mit der Blitz OHG wirksam gem. § 355 Abs. 1 S. 1 BGB widerrufen. III. Rechtsfolge des Widerrufs Nach § 357 Abs. 1 BGB finden auf das Widerrufsrecht die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. Nach § 346 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. [Hinweis: Soweit Frau Alt ihren Widerruf schriftlich erklärt hätte, wäre sie gem. § 348 S. 1 BGB zur Rückgabe der Schuhe Zug-um-Zug gegen Rückzahlung der 39,- € verpflichtet.] IV. Ergebnis Frau Alt hat einen Anspruch gegen die Blitz OHG auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 357 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 346 Abs. 1 BGB. B. Anspruch von Frau Alt gegen die Blitz OHG auf Erstattung der Portokosten aus § 357 Abs. 2 S. 2 BGB Frau Alt könnte einen Anspruch gegen die Blitz OHG auf Erstattung der Portokosten aus § 357 Abs. 2 S. 2 BGB haben. Danach trägt im Falle eines Widerrufs die Kosten und die Gefahr der Rücksendung grundsätzlich der Unternehmer. Jedoch dürfen nach § 357 Abs. 2 S. 3 BGB dem Verbraucher bei einer Bestellung bis zu einem Betrag von 40 € die Kosten der Rücksendung vertraglich auferlegt werden. Die Schuhe von Frau Alt haben 39,- € gekostet, so dass die Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Rücksendungskosten grundsätzlich Frau Alt hätten auferlegt werden können. Jedoch müsste der Vertrag zwischen Frau Alt und der Blitz OHG diese vertragliche Abrede enthalten, dass die Rücksendungskosten bis zu einem Betrag von 40,- € dem Verbraucher, also Frau Alt, auferlegt ist. Eine solche Regelung enthielt der Vertrag zwischen Frau Alt und der Blitz OHG jedoch nicht. Folglich hat die Blitz OHG die durch die Rücksendung der Schuhe entstandenen Portokosten von Frau Alt zu tragen. Abwandlung: Anspruch von Frau Alt gegen die Blitz OHG auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 357 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 346 Abs. 1 BGB Frau Alt könnte einen Anspruch gegen die Blitz OHG auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 357 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 346 Abs. 1 BGB haben. I. Verbrauchervertrag Frau Alt und die Blitz OHG haben einen Fernabsatzvertrag gem. § 312b Abs. 1 BGB, der einen Verbrauchervertrag i. S. v. § 355 Abs. 1 BGB darstellt, miteinander geschlossen (s. o). II. Widerruf Fraglich ist, ob Frau Alt diesen Vertrag wirksam widerrufen konnte. Ein solches Widerrufsrecht steht Frau Alt gem. §§ 355 Abs. 1 i. V. m. § 312d Abs. 1 S. 1 BGB zu (s. o.). 1. Widerrufsausübung Die Frau Alt hat die Schuhe sieben Monate nach Erhalt wieder zurückgesandt. Diese Form der Ausübung des Widerrufs ist in § 355 Abs. 1 S. 2 HS. 1 BGB ausdrücklich vorgesehen. 2. Widerrufsfrist Der Widerruf müsste jedoch auch fristgerecht erfolgt sein. Fraglich ist damit, wann die Frist für den Widerruf zu laufen begann bzw. wieder endete. Nach § 355 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Widerruf zunächst innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären, wobei die Frist nach § 355 Abs. 2 BGB in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht erhält, die ihn u. a. über den Fristbeginn und darüber belehrt, in welcher Form er den Widerruf erklären kann (vgl. insoweit § 355 Abs. 1 S. 2 BGB). Nachdem über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt wurde, läuft grundsätzlich die zwei-Wochen-Frist, die bereits verstrichen ist. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3. Fristaussetzung Nach § 312d Abs. 2 BGB beginnt die Widerrufsfrist abweichend von § 355 Abs. 2 S. 1 BGB jedoch nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gem. § 312c Abs. 2 BGB, bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Problematisch ist insoweit, dass das Schreiben der Blitz OHG bzw. ihr Paket mit den Schuhen an Frau Alt, ebenso wie sämtliche Informationen im Internet zu dem Versandhandel der Blitz OHG auch bereits bei Vertragsschluss keine Angaben zu der vertretungsberechtigten Person der Blitz OHG enthielten. § 1 Abs. 1 Nr. 3 BGB-InfoV sieht aber vor, dass Personenvereinigungen und gruppen – worunter auch die OHG fällt – den Verbraucher bei Fernabsatzverträgen auch über Vertretungsberechtigte Personen (samt ladungsfähiger Anschrift) zu informieren hat. Diese Bestimmung wurde durch die Blitz OHG nicht eingehalten, womit eine Verletzung der Informationspflichten durch die Blitz OHG vorliegt. Da die Blitz OHG seine Informationspflicht aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 BGB-InfoV verletzt hat, hätte die Widerrufsfrist für Frau Alt weder zu laufen begonnen noch ist sie bereits abgelaufen. Fraglich ist jedoch, wie sich der Umstand auswirkt, dass seit Erhalt der Schuhe und Rücksendung derselben bereits sieben Monate vergangen sind. Nach § 355 Abs. 3 S. 1, S. 2 BGB erlischt das Widerrufsrecht spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss bzw. Eingang der Warenlieferung beim Empfänger. Danach wäre das Widerrufsrecht zum Zeitpunkt der Rücksendung der Schuhe durch Frau Alt bereits erloschen. Entscheidend kommt es daher auf § 355 Abs. 3 S. 3 HS. 1 BGB an, wonach das Widerrufsrecht fortbesteht, wenn (und nur dann) wenn Frau Alt nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt worden ist. Eine Verletzung der Informationspflichten des Unternehmers führt hingegen nicht dazu, dass gleichsam die Belehrung des Unternehmers über das Widerrufsrecht insgesamt fehlerhaft ist. Vielmehr kann eine Belehrung auch bei Verletzung der Informationspflichten durch den Unternehmer ordnungsgemäß sein. Die vorliegende Belehrung durch die Blitz OHG enthielt ordnungsgemäße Angaben über Beginn und Ende der Widerrufsfrist. Dass der Name der vertretungsberechtigten Person nicht genannt wurde, hindert die Ausübung des Widerrufes nicht.(siehe auch oben: Sinn einer Belehrung ist, dass der Verbraucher in die Lage versetzt wird, sein ihm zustehendes Recht auszuüben. Hierfür ist es nicht grundlegend erforderlich, die vertretungsberechtigte Person des Unternehmens zu kennen.) Folglich ist die Frist für den Widerruf von Frau Alt gem. § 355 Abs. 3 S. 1 BGB nach sechs Monaten abgelaufen, so dass Frau Alt mit der Rücksendung der Schuhe nach sieben Monaten den Vertrag mit der Blitz OHG nicht wirksam widerrufen konnte. Ihr Widerrufsrecht war erloschen. III. Ergebnis Mangels eines noch bestehenden Widerrufsrechtes von Frau Alt konnte diese den Vertrag mit der Blitz OHG durch Rücksendung der Ware sieben Monate nach Erhalt derselben nicht widerrufen. Folglich hat Frau Alt keinen Anspruch gegen die Blitz OHG auf Rückzahlung des Kaufpreises. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner [Hinweis: Frau Alt kann jedoch ihre bereits zurückgesendeten Schuhe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen.] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 13: Advent, Advent I. Juwelier B. => P., Schadensersatz, § 280 Abs. 1 BGB Der Juwelier B. könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gegen Frau P. haben. Als Anspruchsgrundlage kommt § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. 1. Pflichtverletzung im Rahmen eines Schuldverhältnisses Dazu müsste Frau P. eine Pflicht i. S. d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB im Rahmen eines Schuldverhältnisses verletzt haben. Gemäß § 241 Abs. 2 BGB kann ein Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teil verpflichten. Zu derartigen Nebenpflichten gehören insbesondere Schutzpflichten, mit denen Verletzungen von Personen, Eigentum und sonstigen Rechtsgütern der anderen Vertragspartei abgewendet werden sollen. Zwischen Frau P. und dem Juwelier B. bestand ein Schuldverhältnis, indem Frau P. als selbstständige Reinigungskraft für B. tätig wurde. Im Rahmen dieses Schuldverhältnisses ließ Frau P. eine Kerze brennen. Ein solches Verhalten stellt eine Verletzung von Schutzpflichten dann dar, wenn diese Kerze nicht beaufsichtigt wurde und dadurch zu Bränden führte. Frau P. war als Reinigungskraft als Hauptpflicht zur Reinigung der Geschäftsräume verpflichtet. Daneben besteht eine Sorgfaltspflicht der Gestalt, dass Frau P. die Kerze hätte auspusten müssen um mögliche Schäden durch einen Brand zu verhindern. Eine Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ist somit gegeben. 2. Vertretenmüssen Zu prüfen ist ferner, ob Frau P. die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Schadensersatzanspruch ausgeschlossen, wenn ein Vertretenmüssen nicht vorliegt. Die negative Formulierung zeigt, dass ein Schuldner das Nichtvorliegen dieses Tatbestandsmerkmals nachweisen muss. Aus der Pflichtverletzung des Schuldners folgt somit die Annahme, dass er die Verletzung der Pflicht zu vertreten hat. a) Fahrlässigkeit Nach § 276 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Gemäß der Legaldefinition des § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Das unbeaufsichtigte Brennen lassen einer Kerze stellte ein sorgfaltswidriges Verhalten von Frau P. dar, die damit fahrlässig handelte. b) Schuldfähigkeit Fraglich bleibt allerdings, ob mangels Schuldfähigkeit ein Vertretenmüssen ausscheidet. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB verweist insofern auf §§ 827 f. BGB. Nach § 827 BGB ist für einen eingetretenen Schaden nicht verantwortlich, wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit handelte. Hat sich die handelnde Person durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen solchen vorübergehenden Zustand versetzt, so ist sie für einen in diesem Zustand rechtswidrig verursachten Schaden in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihr Fahrlässigkeit zur Last fiele. Diese Verantwortlichkeit tritt jedoch nicht ein, wenn die handelnde Person ohne Verschulden in den Rauschzustand geriet (insofern trifft die schädigende Person die Beweislast). Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Mit einer Blutalkoholkonzentration von 3,0 Promille befand sich Frau P. im Zustand absoluter Schuldunfähigkeit. Indem sie eine entsprechende Menge alkoholischer Getränke zu sich nahm, versetzte sie sich selbst in diesen vorübergehenden Rauschzustand. Anhaltspunkte für ein fehlendes Verschulden im Hinblick auf die Alkoholisierung sind nicht vorhanden. Die Verantwortlichkeit für ihr Handeln wird somit nicht durch die Alkoholisierung von Frau P. ausgeschlossen. 3. Schaden Zu bestimmen ist der Umfang des Schadensersatzes. Dieser ergibt sich aus §§ 249 ff. BGB. Nach § 249 Abs. 1 BGB hat der Schadensersatzpflichtige den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (s. g. Naturalrestitution). Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Gläubiger bei Beschädigung einer Sache statt der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands den hierzu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach § 252 BGB ist auch der entgangene Gewinn – also der Betrag, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden könnte. Die genauen Schäden werden im Sachverhalt nicht benannt. Soweit zerstörte Gegenstände zu ersetzen und der Brandschaden am Juwelierladen zu beheben ist, kann B. diese nach § 249 Abs. 2 BGB ersetzt verlangen. Als entgangener Gewinn sind die Einnahmeverluste infolge einer durch den Brand hervorgerufenen vorübergehenden Schließung des Juweliergeschäfts zu ersetzen. Insofern abzugsfähig sind die entgangenen Roherlöse abzüglich ersparter Betriebskosten. Bei der Schätzung des Schadens ist von dem Betriebsergebnis in den letzten Jahren vor dem schädigenden Ereignis auszugehen. 4. Mitverschulden Anhaltspunkte für ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB, das zur Verringerung des Schadensersatzanspruchs führen könnte, sind nicht ersichtlich. Zum einen kann aus den vorliegenden Informationen keine Verantwortlichkeit des Juweliers für die Alkoholisierung von Frau P. abgeleitet werden. Zum anderen stellt allein die Tatsache, dass ein Juwelierladen besonders gesichert ist und deswegen die Bekämpfung des Brandherds mit größeren Schwierigkeiten verbunden war, keinen Umstand dar, der ein Mitverschulden begründen würde. Hinsichtlich des entgangenen Gewinns muss B. allerdings geeignete Maßnahmen (beispielsweise Verkauf in einem provisorischen Verkaufsraum) treffen, um eine Vergrößerung des Schadens zu vermeiden. 5. Ergebnis Der Juwelier B. hat einen Anspruch gegen Frau P. gemäß § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des ihm durch den Brand entstandenen Schadens. II. Juwelier B. => P., Schadensersatz, § 823 Abs. 1 BGB Des Weiteren kommt ein Schadensersatzanspruch des B. gegen Frau P. aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 1. Rechtsgutverletzung . Für einen Schadensersatzanspruch müsste ein Rechtsgut gem. § 823 Abs. 1 BGB verletzt worden sein. Zu den absolut geschützten Rechtsgütern gehört u. a. das Eigentum, ferner der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Beide genannten Rechtsgüter wurden durch den Brand verletzt, welcher durch das Brennen lassen der Kerze durch Frau P. ausgelöst wurde. 2. Durch eine Handlung Diese Rechtsgutverletzung müsste weiter durch eine zurechenbare Verletzungshandlung begangen worden sein. Solche eine Handlung liegt in einem Verhalten, das eine nachteilige Beeinträchtigung eines Rechtsgutes verursacht. Unter Handlung ist ein der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegendes und beherrschbares Verhalten zu verstehen. Frau P. hat durch ihr Verhalten die Beeinträchtigung (Zerstörung) des Rechtsgutes begangen. 3. Haftungsbegründende Kausalität Grundlage einer gesetzlichen Haftung auf Schadensersatz ist eine Handlung (Tun oder Unterlassen) des Schuldners, die zu einem Verletzungserfolg geführt und einen Schaden nach sich gezogen hat. Dies wurde wie oben beschrieben geprüft und für den vorliegenden Sachverhalt bejaht. Die notwendige Verknüpfung zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden nennt man Kausalität (Ursächlichkeit). Haftungsbegründende Kausalität ist die Verknüpfung zwischen einer Handlung und dem Erfolg (der Rechtsgutverletzung). Bei einer Unterlassung ist die haftungsbegründende Kausalität dann gegeben, wenn bei pflichtgemäßem Handeln der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Vorliegend ist durch die vergessene und noch brennende Kerze der Brand ausgelöst worden. Hätte Frau P., wie es ihre Pflicht gewesen ist, die Kerze ausgepustet, hätte kein Brand ausgelöst werden können. 4. Rechtswidrigkeit Die Verletzungshandlung wurde auch rechtswidrig begangen; es bestehen keine Rechtfertigungsgründe. 5. Verschulden Wie zudem oben dargelegt, hat Frau P. den Brand gemäß § 827 S. 2 BGB zu verantworten. 6. Schaden 6.1. Der Schaden Es müsste ein Schaden eingetreten sein. Hierunter ist ein unfreiwilliges Vermögensopfer zu verstehen. Nach der Differenzhypothese wird das Vermögen in seinem Zustand nach dem schädigenden Ereignis mit der (hypothetischen) Vermögenslage verglichen, wie sie bestanden hätte, wenn das die Schadensersatzpflicht begründende Ereignis nicht eingetreten wäre.Der Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Brand hat daher zum Einen dazu geführt, dass die Geschäftsräume und damit das Inventar verbrannt sind, weiter aber kommt u. U. weiter in Betracht, dass das Unternehmen in seiner Tätigkeit beeinträchtigt ist und hierdurch weitere Vermögenseinbuße zu erwarten sind. 6.2. Haftungsausfüllende Kausalität Ferner muss die Rechtsgutverletzung auch den Schaden ausgelöst haben. Durch den Brand wurden die Vermögensgegenstände des Juweliergeschäftes zerstört. Die Rechtsgutverletzung war somit kausal zu dem eingetretenen Schaden. 6.3. Mitverschulden Ein Mitverschulden, dass den Umfang des Schadenersatzes verringern könnte, ist nicht ersichtlich. 7. Ergebnis B. kann von Frau P. somit ebenfalls Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB verlangen. Der Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB tritt neben den Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB [B. kann die Forderung somit auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützen, aber natürlich nur einmal den Schaden ersetzt verlangen]. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 14: Abgebrannt Überblick Anspruch auf Lieferung des Fahrzeugs I. wirksamer Kaufvertrag (+) Anspruch entstanden II. Unmöglichkeit (+) Anspruch erloschen Anspruch auf Schadenersatz 1. Schuldverhältnis (+) 2. Pflichtverletzung (+) 3. Vertretenmüssen (+) 4. Schadenersatz statt der Leistung bei Unmöglichkeit (+) 5. Haftungsausfüllende Kausalität (+) 5.Ergebnis Anspruch des Veith auf Zahlung des Kaufpreises Frage 1: Anspruch des Kruse gegen Veith auf Lieferung des Pkw gemäß § 433 Abs. 1 BGB (Primäranspruch) I. Anspruch entstanden Kruse könnte gegen Veith einen Anspruch auf Lieferung des Pkw gemäß § 433 Abs. 1 BGB haben. Zwischen den Parteien wurde ein Kaufvertrag geschlossen, von dessen Wirksamkeit mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt ausgegangen werden muss (vgl. BGB AT Angebot und Annahme, §§ 145 ff. BGB). Damit ist ein Anspruch des Kruse nach § 433 Abs. 1 BGB auf Lieferung des Pkw entstanden. II. Anspruch erloschen Der Anspruch könnte jedoch wieder erloschen sein. Als Erlöschensgrund kommt vorliegend § 275 Abs. 1 BGB in Betracht; danach ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für jedermann unmöglich ist. § 275 Abs. 1 BGB gilt für alle Fälle dauernder Unmöglichkeit: * nachträgliche und anfängliche (vgl. § 311a Abs. 1 BGB) * vom Schuldner nicht zu vertretende und zu vertretende * objektive und subjektive (= sog. „Unvermögen“) Nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses obliegt Veith die Pflicht zur Übereignung des gebrauchten Pkw der Marke Audi, der von den Parteien besichtigt worden war. [Soweit die Parteien einen Kaufvertrag über irgendeinen gebrauchten Pkw der Marke Audi geschlossen hätten, läge eine Gattungsschuld nach § 243 Abs. 1 BGB vor. Das würde grundsätzlich keine Unmöglichkeit zulassen, solange es noch gebrauchte Pkw der Marke Audi am Markt gibt.] Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Der ausgewählte Pkw der Marke Audi wurde am 30. Okt. bei einem Brand zerstört. Da die Leistung somit dauerhaft nicht mehr erbracht werden kann, besteht ein Leistungshindernis in Form der Unmöglichkeit. Mithin ist der Anspruch des Kruse gegen Veith auf Lieferung des Pkw gemäß § 433 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Frage 2: Anspruch des Kruse gegen Veith auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. § 283 BGB (Sekundäranspruch) Kruse könnte gegen Veith einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. § 283 BGB haben. Grundvoraussetzung des Anspruchs auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB - Vorliegen eines Schuldverhältnisses, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB - objektive Pflichtverletzung, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB - Vertretenmüssen der Pflichtverletzung (wird vermutet), § 280 Abs. 1 S. 2 BGB Diese drei Voraussetzungen sind stets zu prüfen! Weitere Voraussetzungen für einzelne Arten des Schadensersatzes: ● Wird Schadensersatz wegen Verzugs geltend gemacht ist § 280 Abs. 2 BGB zu prüfen, dieser verweist auf § 286 BGB. ● Wird Schadensersatz statt der Leitung geltend gemacht ist § 280 Abs. 3 BGB zu prüfen, dieser verweist auf §§ 281, 282 bzw. 283 BGB, d. h. es muss nach der Art der Pflichtverletzung differenziert werden: - § 281: nicht oder nicht wie geschuldet erbrachte Leistung (Fristsetzung) - § 282: Verletzung einer Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB (Zumutbarkeit) oder - § 283: Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB (Unmöglichkeit) I. Voraussetzungen § 280 Abs. 1 BGB 1. Schuldverhätnis Zunächst müsste zwischen Kruse und Veith ein Schuldverhältnis bestehen, welches in dem wirksamen Kaufvertrag liegt. 2. Pflichtverletzung Veith müsste zudem eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Die Unmöglichkeit als Hindernis der Leistungserbringung ist eine objektive Verletzung der Pflichten aus dem Kaufvertrag, vgl. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine Pflichtverletzung liegt somit vor. 3. Vertreten müssen Das Vertretenmüssen dieser Pflichtverletzung wird von Gesetzes wegen vermutet [kann aber widerlegt werden; soweit Angaben zum Vertretenmüssen im Sachverhalt angesprochen werden, Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner ist daher stets das Verschulden im Einzelnen zu prüfen]. Grundsätzlich hat gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Vorliegend ist der Brand auf die fehlerhafte Installation einer Lampe durch Veith zurückzuführen. Dieses unsachgemäße Verhalten des Veith stellt einen Sorgfaltspflichtverstoß dar, der den Schluss auf Fahrlässigkeit zulässt. 4. Schadenersatz statt der Leistung bei Unmöglichkeit gem. § 280 Abs. 3 BGB Vorliegend kann Kruse das Auto als Hauptleistung nicht mehr entgegennehmen und will „stattdessen“ seine Mehraufwendungen ersetzt bekommen. Für diesen Schadensersatz statt der Leistung sind gem. § 280 Abs. 3 BGB weitere Voraussetzungen zu prüfen. Für den hier einschlägigen Fall der Unmöglichkeit greift § 283 S. 1 BGB ein, der lediglich verlangt, dass der Schuldner von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB befreit sein muss. Dies ist gegeben, denn die Lieferung des Pkw ist dem Veith nach § 275 Abs. 1 BGB infolge des Brandes unmöglich geworden [vgl. oben unter I.; die weiteren Verweisungen in § 283 S. 2 BGB sind vorliegend nicht relevant]. 5. Haftungsausfüllung, §§ 249 ff. BGB Infolge der Pflichtverletzung des Veith sind dem Kruse Mehraufwendungen für die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges entstanden. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um einen Schaden i. e. S., sondern um eine Aufwendung, da Kruse diese „freiwillig aufgewandt“ hat. Soweit Aufwendungen jedoch erforderlich waren, um einen konkret drohenden Schaden zu verhindern, sind sie ebenfalls ersatzfähig, allerdings ist die Ersatzpflicht beschränkt auf Aufwendungen, die ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Die Mehraufwendungen des Kruse für einen neuen Pkw erfüllen diese Voraussetzungen und sind damit als ersatzfähige Aufwendung einzustufen. Der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Schaden und Verzug wird durch den Willensentschluss des Kruse nicht unterbrochen. Er war insoweit nicht frei, sondern wurde durch das Verhalten des Veith (Nichtlieferung des Pkw) wesentlich bestimmt. 6.Ergebnis Kruse hat einen Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen als Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. § 283 BGB. Frage 3: Anspruch des Veith auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 Abs. 2 BGB (Gegenleistung) Zwischen Veith und Kruse ist ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen worden. Ein Anspruch des Veith gegen Kruse auf Zahlung des Kaufpreises ist somit gemäß § 433 Abs. 2 BGB entstanden. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Der Anspruch auf den Kaufpreis (=Gegenleistung) könnte jedoch infolge Unmöglichkeit der Leistungspflicht nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB wieder erloschen sein. Dies setzt zunächst gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass der Schuldner gem. § 275 Abs. 1 bis 3 BGB von seiner Leistungspflicht befreit ist. Die Leistungspflicht des Veith (= Schuldner) ist nach dem Kaufvertrag die Übereignung und Übergabe des Pkw, § 433 Abs. 1 S. 1 BGB. Da der Pkw am 30. Okt. verbrannt ist, ist ihm diese Leistung unmöglich geworden, so dass Veith gem. § 275 Abs. 1 BGB grundsätzlich von seiner Leistungspflicht befreit ist. Des Weiteren dürfte die Ausnahmeregelung des § 326 Abs. 2 BGB nicht eingreifen. Da Kruse (= Gläubiger) für die Zerstörung des Pkw weder allein, noch weit überwiegend verantwortlich war und sich auch nicht im Verzug der Annahme befand, liegen die Voraussetzungen des § 326 Abs. 2 BGB nicht vor. Kruse muss seine Gegenleistung somit gem. § 326 Abs. 1 BGB nicht mehr erbringen, d. h. den Kaufpreis nicht mehr bezahlen. Ergebnis: Veith hat keinen Anspruch gegen Kruse auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 15: Die Wochenendfahrt Überblick: Anspruch Ersatz der Mietwagenkosten 1. Schuldverhältnis (+) 2. Pflichtverletzung (+) 3. Voraussetzungen § 280 Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB 3.1. Nichtleistung trotz Möglichkeit (+) 3.2. Fälligkeit (+) 3.3. Leistung auch durchsetzbar (+) 3.4. Mahnung durch Gläubiger (-) (hier: entbehrlich) 3.5. Vertretenmüssen (+) 3.6. Zwischenergebnis 4. Haftungsausfüllung gem. §§ 249 ff. BGB 5. Ergebnis Anspruch des Klose gegen Vollmer auf Ersatz der Mietwagenkosten gem. § 280 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB Klose könnte gegen Vollmer einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten haben. Als Anspruchsgrundlage kommen §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB in Betracht. 1. Schuldverhältnis Zunächst müsste zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis bestehen, vgl. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Vollmer und Klose haben am 22. Okt. einen Kaufvertrag gem. § 433 BGB geschlossen. Anhaltspunkte, dass der Kaufvertrag nicht wirksam zustande gekommen sein könnte, liegen nicht vor. Im Rahmen dieses Schuldverhältnisses verpflichtete sich Vollmer den Gebrauchtwagen an Klose zu übergeben und zu übereignen. 2. Pflichtverletzung Ferner müsste Vollmer eine Pflichtverletzung zur Last fallen. Eine Pflichtverletzung ist ein Oberbegriff aus dem Leistungsstörungenrecht. Demnach ist eine Pflichtverletzung eine Nichterfüllung einer Leistungspflicht. Vollmer verpflichtete sich durch den Kaufvertrag zur Lieferung des Wagens. Dieser Pflicht kam er jedoch nicht nach, so das hierdurch die Pflichtverletzung begründet wurde. [Hinweis: Bei allen auf einen Leistungserfolg gerichteten Pflichten stellt bereits der Nichteintritt des Leistungserfolgs eine Pflichtverletzung i. S. d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB dar.] 3. Voraussetzungen § 280 Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB Der von Klose geltend gemachte Schaden beruht allein auf der Verzögerung der Auslieferung Seitens seines Schuldners Vollmer, so dass für diesen Anspruch gem. § 280 Abs. 2 BGB die Voraussetzungen des § 286 BGB erfüllt sein müssten. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3.1. Nichtleistung trotz Möglichkeit14 Der Schuldner müsste trotz der Möglichkeit nicht seiner Lieferpflicht nachkommen. Vorliegend könnte Vollmer den Gebrauchtwagen wie im Kaufvertrag vereinbart übergeben, jedoch kommt er dieser Pflicht nicht nach. 3.2. Fälligkeit Die Leistung durch den Schuldner müsste auch fällig sein. Die Fälligkeit bestimmt sich nach der Leistungszeit, die von den Parteien frei vereinbart werden können. [Anmerkung: Gem. § 271 Abs. 1 BGB wird die Leistung des Schuldners sofort fällig, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Wenn eine Zeit für die Leistung vereinbart ist, kann der Schuldner im Zweifel dennoch vor dem Fälligkeitstermin erfüllen, der Gläubiger die Erfüllung dies jedoch nicht verlangen, § 271 Abs. 2 BGB.] Vollmer und Klose vereinbaren als Leistungszeit (Übergabe) den 02. November. Somit ist die Leistung zu diesem Zeitpunkt fällig. 3.3. Leistung auch durchsetzbar Ferner müsste die fällige Leistung auch durchsetzbar sein. Durchsetzbar wäre eine Leistung dann nicht, wenn ihr Einreden (z.B. Verjährung) gegenüber stehen. Vorliegend hat Vollmer jedoch keine Einreden geltend gemacht, so dass die Leistung auch durchsetzbar ist. 3.4. Mahnung durch Gläubiger Erforderlich ist nach § 286 Abs. 1 S. 1 BGB zudem grundsätzlich eine Mahnung. Hierunter versteht man eine an den Schuldner gerichtete eindeutige Aufforderung des Gläubigers, die geschuldete Leistung zu erbringen. Eine solche ist nicht erfolgt. Allerdings könnte die Mahnung hier (ausnahmsweise) entbehrlich sein, wenn ein Fall des § 286 Abs. 2 BGB gegeben ist. Hierzu zählt nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB die Möglichkeit einer Bestimmung der Leistungszeit nach dem Kalender. Vereinbart war eine Übergabe des Pkw am 2. November, so dass sich gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Mahnung erübrigte. 3.5. Vertretenmüssen Schließlich setzt Verzug gem. § 286 Abs. 4 BGB Vertretenmüssen des Schuldners voraus, welches jedoch vermutet wird [aber widerleglich, d. h. auch hier ist bei näheren Angaben im Sachverhalt weiter zu prüfen]. Dies bedeutet, dass der Schuldner die Pflichtverletzung auch verschulden muss. Gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB hat Vollmer grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Vollmer hatte statt den Liefertermin einzuhalten, sich bewusst und gewollt für ein verlängertes Wochenende entschieden. Vollmer handelte also vorsätzlich und damit schuldhaft i. S. d. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB. [Weiterer Hinweis: Das Verschulden muss sich nur auf den Eintritt des Verzuges, nicht jedoch auf die Entstehung des Schadens beziehen. Es ist auch gleichgültig, ob der Schaden für den Schuldner voraussehbar war.] 14 Anders als die Unmöglichkeit, bei der als Rechtsfolge gegenseitige Ansprüche erlöschen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3.6. Zwischenergebnis Die Voraussetzungen für einen Verzug gem. § 286 BGB liegen folglich vor. 4. Haftungsausfüllung §§ 249 ff. BGB Verzugsschäden werden i. d. R. nach § 251 Abs. 1 BGB berechnet, da eine Naturalrestitution fast immer ausscheidet. Allerdings handelt es sich bei den Mietwagenkosten nicht um einen Schaden i. e. S., sondern um eine Aufwendung, da Klose den Leihwagen freiwillig gemietet hat. Soweit Aufwendungen jedoch erforderlich waren, um einen konkret drohenden Schaden zu verhindern, sind sie ebenfalls ersatzfähig, allerdings ist die Ersatzpflicht beschränkt auf Aufwendungen, die ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Die Ausgaben des Klose für den Mietwagen waren durch eine dringende Geschäftsreise bedingt und sind damit als ersatzfähige Aufwendung einzustufen. Der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Schaden und Verzug wird durch den Willensentschluss von Klose nicht unterbrochen. Er war insoweit nicht frei, sondern wurde durch das Verhalten von Vollmer (Nichtlieferung zum vereinbarten Termin) wesentlich bestimmt. 5. Ergebnis Klose hat gegen Vollmer einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten nach § 280 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 16: Kurzfristiger Lockführerstreik I. Anspruch von X gegen Y auf Ersatz des Verzugschadens § 280 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB X könnte gegen Y einen Schadensersatzanspruch hinsichtlich des Produktionsausfalls in Höhe von 1.000.000,- € haben. Als Anspruchsgrundlage kommen §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB in Betracht. 1. Schuldverhältnis Zunächst müsste zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis bestehen, vgl. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Es ist davon auszugehen, dass zwischen X und Y ein Dauerschuldverhältnis in Form eines sogenannten Sukzessivlieferungsvertrags besteht, in dessen Rahmen der Y zur Lieferung von Produktionsteilen verpflichtet ist. 2. Pflichtverletzung Des Weiteren müsste Vollmer eine Pflichtverletzung begangen haben, die vorliegend in der Nichterfüllung der Leistungspflicht zum vereinbarten Zeitpunkt zu sehen ist. Die Lieferung des Y kam nicht am Freitag, den 16.11.2007, bei X an. [Hinweis: Der Sachverhalt gibt keine genauen Angaben zur geschuldeten Leistung. Im Folgenden wird unterstellt, dass es sich hier um eine Bringschuld handelt, womit die rechtzeitige Absendung der Waren nicht ausreichend ist.] 3. Voraussetzungen § 280 Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB Für einen Schadensersatz wegen Verzögerung der Auslieferung, ausgelöst durch den Schuldner Vollmer, müssen gemäß § 280 Abs. 2 BGB die Voraussetzungen des § 286 BGB erfüllt sein. a) Mögliche, fällige und durchsetzbare Leistung Es müsste daher zunächst eine Nichtleistung trotz bestehender Leistungsmöglichkeit sowie Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Leistungsanspruchs vorliegen. Y wurde nicht von seiner Pflicht zur Leistung gemäß § 275 BGB frei, da die Lieferung der Produktionsteile prinzipiell weiter möglich war und ist. Aufgrund der weiterhin bestehenden Verwendungsmöglichkeit verspätet gelieferter Produktionsteile, handelt es sich auch nicht um ein absolutes Fixgeschäft, bei dem im Fall der Nichteinhaltung der Leistungszeit Unmöglichkeit eintritt. Es ist somit kein den Verzug ausschließender Fall von Unmöglichkeit gegeben. Der Sukzessivlieferungsvertrag sah eine Anlieferung bestimmter Produktionsteile jeweils freitags vor, so dass eine solche Pflicht zur Lieferung auch am Freitag, 16.11.2007, bestand. Entgegenstehende Einreden, die der Durchsetzbarkeit der Leistung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Eine mögliche, fällige und durchsetzbare Forderung liegt also vor. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner b) Mahnungserfordernis Erforderlich ist nach § 286 Abs. 1 S. 1 BGB zudem grundsätzlich eine Mahnung. Hierunter versteht man eine an den Schuldner gerichtete eindeutige Aufforderung des Gläubigers, die geschuldete Leistung zu erbringen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Mahnung erfolgte. Allerdings könnte die Mahnung hier (ausnahmsweise) entbehrlich sein, wenn ein Fall des § 286 Abs. 2 BGB gegeben ist. Hierzu zählt nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB die Möglichkeit einer Bestimmbarkeit der Leistungszeit nach dem Kalender. Vereinbart war eine Lieferung jeden Freitag, woraus sich die Leistungserbringung für den 16.11.2007 errechnen lässt. Eine Mahnung erübrigte sich somit gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. c) Vertretenmüssen Schließlich setzt Verzug nach § 286 Abs. 4 BGB Vertretenmüssen des Schuldners voraus, welches jedoch vermutet wird. Gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt nach der Definition in § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Nach den vorliegenden Angaben ist davon auszugehen, dass Y die Waren rechtzeitig los sendete und diese lediglich aufgrund des Lokführerstreiks verspätet eingingen. Fraglich bleibt aber, ob die Lieferung früher hätte versendet werden müssen. Wenn für Y erkennbar gewesen wäre, dass wegen eines Streiks die Sendung verspätet eingehen könnte, hätte er Vorkehrungen treffen müssen, um ein rechtzeitiges Eintreffen sicher zu stellen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Y die „Just-in-time-Produktionsweise“ von X kannte und somit besondere Sorgfalt hinsichtlich des pünktlichen Eintreffens erforderlich war. Andererseits wurde der Streik im vorliegenden Fall erst so spät angekündigt, dass die Lieferung bereits auf dem Weg war. Für Y bestand somit überhaupt keine Möglichkeit, hierauf noch zu reagieren. Daher ist davon auszugehen, dass Y der Gegenbeweis gelingt, nicht fahrlässig gehandelt zu haben. [Hinweis: Die Sachverhaltsangaben sind hier recht dünn; es könnte beispielsweise entgegengehalten werden, dass angesichts der Tarifauseinandersetzungen mit der kurzfristigen Ansetzung eines Streiks hätte gerechnet werden müsse und daher vorsorglich eine frühere Versendung notwendig gewesen wäre. Angesichts dieser offenen Frage ließe sich auch das gegenteilige Ergebnis, dass fahrlässiges Verhalten zu unterstellen ist, gut vertreten.] 4. Ergebnis Ein Schadensersatzanspruch von X gegen Y gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB besteht nicht. II. Rücktrittsrecht von X gemäß § 323 Abs. 1 BGB Fraglich ist ferner, ob X ein Rücktrittsrecht gemäß § 323 Abs. 1 BGB zusteht. 1. Gegenseitiger Vertrag Dazu müsste es sich zunächst um einen gegenseitigen Vertrag handeln. Wie bereits erwähnt, handelt es sich um einen Sukzessivlieferungsvertrag, bei dem fortlaufend bestimmte Waren gegen Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Zahlung des vereinbarten Preises geliefert werden. Ein synallagmatisches Vertragsverhältnis besteht also. 2. Nichterbringung einer fälligen und möglichen Leistung Weitere Voraussetzung des § 323 Abs. 1 BGB ist, dass eine fällige und mögliche Leistung nicht erbracht wurde. Wie oben gezeigt, war Lieferung der Produktionsteile am 16.11.2007 fällig und auch prinzipiell möglich. 3. Erfolglose Setzung einer angemessenen Nachfrist Grundsätzlich bedarf es für die Erklärung eines Rücktritts die vorherige Setzung einer angemessenen Nachfrist, die aber erfolglos blieb. Es bestehen keine Hinweise darauf, dass eine derartige Nachfristsetzung durch X gegenüber Y erfolgte. Allerdings könnte die Nachfrist nach § 323 Abs. 2 BGB entbehrlich sein, wenn entweder eine Erfüllungsverweigerung (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB), ein relatives Fixgeschäft (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder besondere Umstände (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB) gegeben sind. Eine Erfüllungsverweigerung scheidet aus, da Y (rechtzeitig) leisten wollte. Ein relatives Fixgeschäft wäre gegeben, wenn die Leistung zu einem bestimmten Termin erfolgen sollte und der Gläubiger im Vertrag den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hätte. Für X ist die pünktliche Lieferung von zentralem Interesse, so dass die Aufnahme einer derartigen Vertragsklausel sicherlich sinnvoll wäre. Allerdings liegen keine konkreten Hinweise über die tatsächliche Vertragsgestaltung vor. Daher kann die Vereinbarung eines relativen Fixgeschäftes nicht angenommen werden. Es könnten aber besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB um eine Auffangvorschrift handelt, die ausnahmsweise ein Abweichen von der Setzung einer angemessenen Nachfrist erlaubt. Dem Schuldner ist grundsätzlich die Möglichkeit zu geben, den bestehenden Vertrag erfüllen zu können. Das sollte ihm insbesondere dann ermöglicht werden, wenn er von seiner Seite aus an sich alles getan hat, um unter normalen Umständen rechtzeitig zu leisten. Andererseits erscheint für X aufgrund der „just-in-time“Produktion Pünktlichkeit derart wichtig, dass ein sofortiger Rücktritt gerechtfertigt sein kann, um weitgehende Schäden zu vermeiden. Daher ist die Setzung einer angemessenen Nachfrist entbehrlich. [Hinweis: Die Gesetzesbegründung nennt „Just-in-time-Verträge“ als Beispiel für besondere Gründe gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Eine andere Auffassung erscheint jedoch in diesem Fall gut vertretbar.] 4. Problem der Teilleistung Nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB ist im Fall einer Teilleistung ein Rücktritt vom ganzen Vertrag nur möglich, wenn der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse hat. Dies setzt zunächst eine Teilbarkeit der Einzelleistungen voraus. Nach dem Vertrag von X und Y waren jeden Freitag bestimmte Leistungen (in Form der Lieferung von Produktionsteilen) zu erbringen. Die Verwendung der bereits rechtzeitig erbrachten Leistungen in der Vergangenheit entsprach den Interessen von X. Ein Rücktritt vom ganzen Vertrag scheidet aufgrund fehlenden Interesses des X daher aus. Der Rücktritt ist somit auf die verspätete Lieferung beschränkt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 5. Ergebnis Ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag besteht lediglich hinsichtlich der verspäteten Lieferung vom 16.11.2007, die erst am 19.11.2007 bei X eintraf. Ein Rücktritt vom gesamten Vertrag scheidet hingegen aus. Der Rücktritt bezüglich der verspäteten Lieferung würde erst durch eine entsprechende Rücktrittserklärung von X gegenüber Y wirksam. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 17: die Bananenschale I. Anspruch der A gegen die O-AG auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld aus Verletzung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II i. V. m. § 31 BGB A könnte gegen die O-AG einen Anspruch aus der Verletzung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II i. V. m. § 31 BGB auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld haben. 1. Schuldverhältnis, § 311 II Nr. 2 BGB Dann müsste die O-AG eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt haben. Zwischen Sorglos und der O-AG könnte ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach §§ 241 II, 311 II BGB bestanden haben. Vertragsverhandlungen i.S.v. § 311 II Nr. 1 BGB haben noch nicht stattgefunden. Möglicherweise ist aber § 311 II Nr. 2 BGB einschlägig. § 311 II Nr. 2 BGB erfasst Konstellationen, in denen zwar (noch) keine Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, die Parteien aber geschäftliches Interesse wegen eines Näheverhältnisses eingegangen sind, bei dem Gefahren für die eigenen Rechte, Rechtsgüter und Interessen entstehen können. Es geht also um die Fälle einer potenziellen rechtsgeschäftlichen Beziehung. Typisch ist die Eröffnung eines Geschäftslokals für den Kundenverkehr. Nachdem Sorglos das Geschäft der O-AG zum Einkaufen betreten hatte, bestand zu Gunsten der Sorglos Schutzpflichten der O-AG nach §§ 311 II Nr. 2, 241 II BGB. 2. Pflichtverletzung Weitere Voraussetzung für die Haftung der O-AG ist die schuldhafte Verletzung einer Obhutspflicht (vorvertragliche Pflichtverletzung), §§ 280 I 2, 241 II BGB, durch die die körperliche Integrität der A verletzt worden sein könnte. Die Pflichtverletzung ist als objektiv nicht dem Schuldverhältnis entsprechendes Verhalten definiert. Bei der Verletzung von Schutzpflichtverletzungen i. S. v. § 241 II BGB ist positiv festzuhalten, worin die Pflichtverletzung an sich besteht. Da es sich um ein Merkmal des anspruchsbegründenden Tatbestands handelt, liegt die Beweislast hierfür beim Anspruchssteller. In Betracht kommt eine Verletzung der Pflicht, den Boden ihres Geschäftslokals rutschfrei zu halten. Die O-AG trifft im Rahmen ihrer vertraglichen und vorvertraglichen Beziehungen zu ihren Geschäftskunden die Pflicht, Gefahren für die körperliche Integrität der Kunden in den Geschäftsräumen zu vermeiden und abzuwenden. Der starke Publikumsverkehr in einem Selbstbedienungsladen setzt die Kunden einer erhöhten Gefährdung aus. Dabei kann jederzeit beim Entnehmen oder Einpacken der Ware etwas zu Boden fallen und zu Rutschgefahr führen. Der Kauf lässt sich aber nur dann sinnvoll durchführen, wenn der Käufer in hinreichendem Maße vor derartigen Gefahren geschützt wird. Hierzu gehört auch, den Boden von Glätte durch umherliegendes Obst etc. freizuhalten, damit kein Kunde darauf ausrutscht und sich verletzt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 3. Vertreten müssen Die O-AG als juristische Person (§ 1 Abs. 1 S. 1 AktG) vermag allerdings nicht selbst zu handeln und folglich auch keine Pflicht zu verletzen. Fraglich ist daher, ob ihr ein etwaiges Fehlverhalten des L nach § 31 BGB zugerechnet werden kann. Dazu müsste die O-AG ein "Verein" im Sinne des § 31 BGB und L ihr verfassungsmäßig berufener Vertreter sein und dieser müsste bei der Ausführung einer ihm zustehenden Verrichtung eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen haben. a) Zunächst ist zu prüfen, ob die O-AG ein Verein im Sinne des § 31 BGB ist. § 31 BGB gilt seinem Wortlaut nach nur für Vereine i. S. d. §§ 21 ff. BGB. Der Verein stellt jedoch die Grundform aller Körperschaften dar, ebenso wie die BGB-Gesellschaft als Grundform aller Personengesellschaften angesehen werden kann. Zweck der Vorschrift ist es, den eingetragenen Verein als juristische Person nicht schlechter, aber auch nicht besser zu stellen als eine natürliche Person, indem ihm die Handlungen seiner Organe als eigene Handlungen zuweist. Dieser Gedanke wird in § 86 BGB ausdrücklich auf Stiftungen und in § 89 BGB auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgedehnt. § 31 BGB gilt nach allgemeiner Meinung daher für alle Körperschaften, also auch für die GmbH, AG und eG, da diese als juristische Personen ebenfalls nicht besser stehen sollen als eine natürliche Person. b) Des Weiteren ist § 31 BGB auf alle diejenigen Personen analog anzuwenden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der Körperschaft zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, die gleichsam als Repräsentanten des Unternehmens auftreten. Im Falle der Filiale der O-AG lässt sich Filialleiter L, der üblicherweise den Betrieb vor Ort im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit selbstständig leitet, als Repräsentant der O-AG und damit als verfassungsmäßiger Vertreter im Sinne des § 31 BGB ansehen. c) Kausalität der Handlung Weiterhin ist eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des L erforderlich. Aus dieser Formulierung des Gesetzestextes ergibt sich, dass § 31 eine haftungszuweisende Norm ist. Die persönliche Haftung eines Repräsentanten der Körperschaft wird dieser zugerechnet. Voraussetzung für eine Haftung der O-AG ist damit, dass L in seiner Person einen Haftungstatbestand vollständig verwirklicht hat und damit der A zum Schadensersatz verpflichtet ist. Die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des L besteht möglicherweise darin, dass er keine Vorsorge für einen rutschfreien Fußboden in den Geschäftsräumen getroffen hat. L hätte entweder selbst in regelmäßigen Zeitabständen den Boden von herumliegendem Obst freihalten oder einen Angestellten damit beauftragen und diesen regelmäßig überwachen müssen. In jedem Fall hat L durch das Liegenlassen des Obstes eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen. d) Die Schädigung vollzog sich auch in Ausführung der dem L zustehenden Verrichtungen als Filialleiter. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 4. Naturalrestitution Der Schadensersatzanspruch richtet sich grundsätzlich gemäß § 249 S. 1 BGB auf die Herstellung des Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Nach § 249 S. 2 BGB kann jedoch bei einer Körperverletzung auch der für die Behandlung erforderliche Geldbetrag verlangt werden. Für ein Mitverschulden der A (§ 254 Abs. 1 BGB) oder der M (§§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB) enthält der Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Also kann A von der O-AG Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld verlangen. II. Anspruch der A gegen die O-AG auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld aus Verletzung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II i. V. m. §§ 276, 278 BGB Hinsichtlich eines Anspruchs der A gegen die O-AG aus Verletzung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II i. V. m. § 278 BGB muss zunächst die Anwendbarkeit des § 278 BGB überprüft werden. § 278 greift zwar grundsätzlich innerhalb bereits entstandener gesetzlicher Schuldverhältnisse, also auch der c. i. c., ein. Abgesehen von der Frage, ob L Erfüllungsgehilfe der O-AG ist, könnte § 278 BGB jedoch vorliegend durch die entsprechende Anwendung des § 31 BGB ausgeschlossen sein. § 278 BGB ist nicht anwendbar auf verfassungsmäßig berufene Vertreter einer juristischen Person (PalandtHeinrichs, 62. Auflage, § 278 BGB, Rn. 6.). Da diese als Organe anzusehen sind, gilt ihr Verschulden nicht nur bei unerlaubten Handlungen, sondern auch innerhalb bestehender Schuldverhältnisse als eigenes Verschulden der juristischen Person (dazu oben). Ist § 278 BGB aber hier nicht anwendbar, so haftet die O-AG der A nicht aus Verletzung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses i. V. m. § 278 BGB. III. Anspruch der A gegen die O-AG auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld aus §§ 823 Abs. 1, 31 BGB A könnte gegen die O-AG einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 31 BGB auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld haben. § 31 BGB findet auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse Anwendung. Voraussetzung für eine Verantwortlichkeit der O-AG ist, dass L in Ausübung der ihm zustehenden Verrichtungen der A eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung zugefügt hat. L könnte den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB verwirklicht haben. 1. Verletzung eines Rechtsgutes Gemäß § 823 BGB stellt die Verletzung des Eigentums, des Körpers oder der Gesundheit eine Rechtsgutsverletzung dar. Die A bricht sich ihren Arm, hierdurch wurde ihr Gesundheitszustand verletzt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 2. Verletzungshandlung / Pflichtverletzung Es müsste eine deliktische Handlung vorliegen. „Handlung“ bedeutet ein menschliches Verhalten, das der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist. Diese Handlung kann auch in einem Unterlassen begründet sein. Die O-AG hat es versäumt, eine Banane, von der eine Rutschgefahr ausging, zu beseitigen. Da es hier um eine deliktische Haftung geht, kommt eine Ableitung von Verhaltenspflichten aus der vorvertraglichen Sonderverbindung nicht in Betracht. Die Auferlegung einer bestimmten Verhaltenspflicht ist letztendlich eine Wertungsfrage, die nach zahlreichen Gesichtspunkten zu entscheiden ist. In der Rechtsprechung hat sich eine umfangreiche Kasuistik zur sogenannten Verkehrssicherungspflicht herausgebildet. Im Interesse der Rechtssicherheit sind diese Verhaltenssätze vorrangig heranzuziehen. Danach muss u. a. derjenige, welcher einen bestimmten Sachbereich beherrscht, aus dem sich Gefahrenquellen für Dritte ergeben können, oder der einen Verkehr für die Allgemeinheit oder einen bestimmten Personenkreis eröffnet, dafür Sorge tragen, dass diejenigen Personen, die in berechtigter Weise mit dem Sachbereich in Berührung kommen, vor nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahrenquellen geschützt werden. Gerade in Geschäftsräumen von Selbstbedienungsläden besteht eine erhöhte Gefahr des Ausgleitens, so dass dem für die Geschäftsräume Verantwortlichen die Pflicht zur besonderen Aufmerksamkeit und zu besonderen Vorkehrungen aufzuerlegen ist, da nur er dieses Risiko beherrscht. Damit hatte L als Filialleiter die Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Boden regelmäßig vom umherliegenden Obst befreit wurde, denn breitgetretenes Obst stellt eine erhebliche Gefahrenquelle für die in den Geschäftsräumen befindlichen Personen dar. Dieser Pflicht ist L nicht nachgekommen, so dass eine Pflichtverletzung zu bejahen ist. 3. Haftungsbegründende Kausalität Dieses Unterlassen/ Pflichtverletzung müsste auch kausal zu dem eingetretenen Rechtsgutverletzung sein. Durch die liegengelassene Banane rutschte die A aus und brach sich ihren Arm. Hierdurch hat die Pflichtverletzung die Rechtsgutsbeeinträchtigung bei A auch verursacht, denn hätte die O-AG für die Reinhaltung des Bodens Sorge getragen, so wäre A nicht auf dem Obst ausgerutscht. 4. Verschulden Den D müsste Verschulden treffen. Er haftet für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. L hat durch das Liegenlassen der Banane seine Pflicht die Kunden vor Gefahren zu schützen verletzt. Die Banane kann auch nicht gerade eben zu Boden gefallen sein, da diese bereits breitgetreten war. Er hat daher die im Verkehr übliche Sorgfalt außeracht gelassen und handelte daher fahrlässig. Ein Verschulden des L ist dadurch gegeben. 5.Ergebnis Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt. Anhaltspunkte, die die Rechtswidrigkeit oder die Schuld der O-AG ausschließen, sind nicht ersichtlich. L haftet der A Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner folglich aus § 823 Abs. 1 BGB. Wie schon erläutert, rechnet § 31 BGB der O-AG diese Haftung zu, so dass die O-AG der A auf Schadensersatz gem. §§ 31, 823 Abs. 1 BGB haftet. Damit kann A von der O-AG Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld aus §§ 823 Abs. 1, 31 BGB verlangen. IV. Anspruch der A gegen die O-AG auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, 229 StGB Ein Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld könnte sich ebenso aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, 229 StGB ergeben. Dazu müsste § 229 StGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen. § 229 StGB bezweckt den Schutz der körperlichen Integrität des Einzelnen, indem er die fahrlässige Körperverletzung unter Strafe stellt und somit jeden bei Vermeidung einer Geld- oder Freiheitsstrafe dazu anhält, einen anderen nicht fahrlässig am Körper zu verletzen. Die Voraussetzungen des § 229 StGB sind vorliegend erfüllt; L hat die A fahrlässig am Körper verletzt, ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund greifen nicht ein. Für diese zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des L ist die O-AG analog § 31 BGB verantwortlich. Folglich hat A einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, 229 StGB gegen die O-AG. V. Anspruch der A gegen die O-AG auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB A könnte gegen die O-AG einen Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB auf Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld haben. Hierzu müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: L müsste Verrichtungsgehilfe der O-AG sein und er müsste in Ausführung der Verrichtung der A widerrechtlich einen Schaden zugefügt haben. An der Einordnung des L als Verrichtungsgehilfe bestehen Zweifel. Verrichtungsgehilfe ist, wer im Einflussbereich eines anderen steht und von dessen Weisungen abhängig ist. Für die Frage der Weisungsgebundenheit kommt es darauf an, ob der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann. Den Gegensatz bilden diejenigen, die Zeit und Umfang ihrer Tätigkeit frei bestimmen können. Danach können auch leitende Angestellte zu den Verrichtungsgehilfen zählen. Gleichwohl muss berücksichtigt werden, dass die Rechtsprechung § 31 BGB auf Funktionsträger, die einen eigenen wichtigen Aufgabenbereich selbständig und eigenverantwortlich wahrnehmen, ausdehnt. Ein solcher Funktionsträger kann nicht gleichzeitig Verrichtungsgehilfe im Sinne des § 831 sein, auch wenn er einer gewissen Weisungsgebundenheit unterliegt, denn das Ziel der analogen Anwendung des § 31 BGB auf selbständig arbeitende Funktionsträger ist es, die Exkulpationsmöglichkeit des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB für leitende Funktionsträger abzuschneiden. Eine Hilfsperson kann folglich nur entweder Verrichtungsgehilfe oder leitender Funktionsträger sein. Ein Filialleiter einer Lebensmittelmarktkette nimmt für seinen Bereich eine leitende Funktion wahr, innerhalb derer er praktisch frei von direkten Weisungen ist. Zwar ist er möglicherweise hinsichtlich einzelner Vorgaben, wie Warensortiment und Preisgestaltung, gebunden, letztlich aber nimmt er die Organisation des Marktes in eigener Verantwortung wahr. Ein Filialleiter einer Lebensmittelmarktkette ist daher kein Verrichtungsgehilfe, sondern ein Funktionsträger Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner miteigenständigem Aufgabenbereich, auf den § 31 BGB analoge Anwendung findet (Palandt Heinrichs, 62. Auflage, § 31 BGB Rn. 9). Folglich ist L nicht Verrichtungsgehilfe der O-AG. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB scheidet damit aus. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 18: Das Sonnenverdeck A. Anspruch Klose gegen Veith auf Zahlung von 500 € wegen Minderung gemäß §§ 437 Nr. 2, 441 BGB I. Kaufvertrag Zwischen Klose und Veith müsste ein wirksamer Kaufvertrag gem. § 433 BGB geschlossen worden sein. Ein Kaufvertrag besteht aus Angebot und Annahme. LautSachverhalt schließen die Parteien einen solchen Vertrag. II. Sachmangel gem. § 434 BGB Die Kaussache müsste einen Sachmangel gem. § 434 BGB aufweisen. Ein Sachmangel ist jede Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit. Die Parteien vereinbarten jedoch keine Beschaffenheit, so dass § 434 Abs. 1 BGB ausscheidet. Jedoch liegt gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ein Sachmangel auch dann vor, wenn die Kaufsache keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der geleichen Art üblich ist. Ein Sonnenverdeck lässt sich üblicherweise öffnen. Das Verdeck des von Klose gekauften Fahrzeugs lässt sich hingegen nicht öffnen. Ein Sachmangel liegt somit vor. III. Gefahrübergang Der Sachmangel müsste jedoch auch schon bei Gefahrübergang gem. § 446 BGB vorgelegen haben. Das Verdeck ließ sich vorliegend auch bei Gefahrübergang nicht öffnen. Der Sachmangel bestand also schon bei Gefahrübergang. III. Erfolglose Fristsetzung Um einen Minderungsanspruch bejahen zu können, müssen die Voraussetzungen für einen Rücktritt geprüft werden. (gemäß § 441 Abs. 1 S. 1 BGB kann Minderung „statt“ Rücktritt verlangt werden)1. Fristsetzung Gemäß § 323 Abs. 1 BGB hat der Gläubiger dem Schuldner eine angemessene Frist zu Nachbesserung zu setzen. Der Schuldner soll hierdurch seine Pflichtverletzung erkennen und beseitigen können. Klose hat dem Veith keine Frist nach § 323 Abs. 1 BGB gesetzt. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner 2. Entbehrlichkeit der Fristsetzung Eine Fristsetzung wäre gem. § 323 Abs. 2 BGB dann entbehrlich, wenn der Schuldner seine Leistungspflicht ernsthaft und endgültig verweigert. In diesen Fällen wäre eine Fristsetzung sinnlos und würde nur zu einer Verzögerung führen. Veith hat jedoch nicht ernsthaft und endgültig verweigert, so dass die Fristsetzung nicht entbehrlich wurde. 3. Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 440 S. 1 Var. 2 BGB Eine Fristsetzung ist jedoch gem. § 440 S. 1 Var. 2 BGB entbehrlich, wenn eine vorangegangene Nachbesserung nach erfolglosem zweiten Versuch fehlgeschlagen ist. Veith hat bereits zweimal das entsprechende elektronische Teil ersetzt. Jedoch funktioniert das Verdeck noch immer nicht, so dass diese Nachbesserungsversuche erfolglos blieben. Hierdurch wird eine erneute Fristsetzung durch Klose entbehrlich. (Erheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist i. R. d. Minderung wegen § 441 Abs. 1 S. 2 nicht zu prüfen.) IV. Höhe der Minderung Die Höhe der Minderung muss für jeden Sachverhalt bestimmt werden. Der hier angegebene Reparaturaufwand in Höhe von 500,- € ist als Minderwert anzusehen, da Klose diese Summe aufwenden muss, um ein sachmangelfreies zu erhalten. Minderwert kann Reparaturaufwand sein (hier: 500 €) V. Ergebnis Klose hat gegen Veith einen Anspruch auf Zahlung von 500 € gemäß §§ 437 Nr. 2, 441 BGB. B. Anspruch des Klose gegen Veith auf Schadensersatz wegen Schlechtleistung aus §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB Klose könnte ebenso einen Schadensersatzanspruch gegen Veith zustehen. Hierfür bedarf es zunächst eines Schuldverhältnisses, sowie einer Pflichtverletzung. I. Schuldverhältnis Ein Schuldverhältnis zwischen Klose und Veith liegt hier in dem geschlossenen Kaufvertrag begründet. Fallskript zum Tutorium II. WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Pflichtverletzung Ferner müsste Veith eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. Veith verpflichtete sich durch den Kaufvertrag zur Lieferung eines sachmangelfreien Kaufgegenstandes. Tatsächlich lieferte er jedoch einen PKW mit einem defekten Sonnenverdeck. Diese mangelhafte Lieferung begründet die Pflichtverletzung. (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB) III. Verschulden Ein Verschulden des Veith wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet („Dies gilt nicht…“ bedeutet, dass grundsätzlich von Vertretenmüssen auszugehen ist) (+) Überdies hat Veith den branchenüblichen Test des Sonnenverdecks vor Verkauf des Wagens vergessen und damit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, so dass fahrlässiges Handeln positiv festgestellt werden kann (vgl. § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB). IV. Fristsetzung Nach § 280 Abs. 3 BGB ist bei Schadensersatz wegen Schlechtleistung die Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 1 S. 1 BGB als besondere Voraussetzungen zu prüfen: hier ist Fristsetzung jedoch entbehrlich wegen § 440 S. 1 Var. 2 i. V. m. S. 2 BGB (siehe oben!) V. Ergebnis: Klose hat einen Anspruch gegen Veith auf Zahlung von 500 € aus §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB C. Gesamtergebnis Klose steht gegen Veith ein Anspruch auf Zahlung von 500 € gemäß §§ 437 Nr. 2, 441 BGB bzw. §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB zu Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Lösung zu Fall 19: Versprechen ins Blaue II (Abwandlung/Erweiterung zu Fall 7) Abwandlung Anspruch des Blau gegen Claas auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB Blau könnte einen Anspruch gegen Claas auf Zahlung von 10.000,- € aus § 433 Abs. 2 BGB haben. I. Anspruch entstanden Ein Kaufvertrag ist zwischen Aust und Claas i. S. v. § 433 BGB zustande gekommen. Der Kaufpreisanspruch des Claas aus § 433 Abs. 2 BGB gegen Aust ist damit zunächst entstanden. II. Anspruch untergegangen Fraglich bleibt jedoch, ob der Anspruch des Claas wieder untergegangen ist. 1. Willenserklärung Die Anfechtung betrifft die Willenserklärung von Aust zum Abschluss eines Kaufvertrags. 2. Anfechtungsgrund Als Anfechtungsgrund kommt eine Anfechtung des Vertrages durch Aust gemäß § 123 Abs. 2 S. 1 BGB in Betracht. Dazu muss ein Dritter die Täuschung verübt haben. Ferner ist erforderlich, dass derjenige, gegenüber dem die Erklärung abzugeben war, die Täuschung kannte oder er diese hätte kennen müssen. Blau hat den Aust arglistig getäuscht (s. o.). Fraglich erscheint jedoch, ob der Blau auch Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist. Als Dritter im Sinne dieser Vorschrift gilt nur der am Geschäft Unbeteiligte; kein Dritter ist hingegen, wer auf Seiten des Erklärungsgegners steht und maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages mitgewirkt hat. Blau steht in den Diensten des Claas und damit in dessen Lager. Er ist damit nicht Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern wird dem Blau gemäß § 166 Abs. 1 BGB analog zugerechnet, so dass sich der Rücktrittsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB richtet. Wie oben dargestellt, liegt somit ein Anfechtungsgrund in Form der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB vor. [Hinweis: Claas wird rechtlich so behandelt, als habe er selbst dem Aust gegenüber die „Unfallfreiheit“ erklärt. Gänzlich unbeteiligt wäre beispielsweise ein zufällig im Laden des Claas anwesender anderer Kunde. Dann käme es darauf an, ob Claas die Täuschung kannte oder kennen musste, § 123 Abs. 2 BGB.] 3. Anfechtungserklärung und Anfechtungsfrist Eine Anfechtungserklärung des Aust gemäß § 143 Abs. 1 BGB liegt vor. Er hat dabei auch die Anfechtungsfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB eingehalten, wonach die Anfechtung einer nach § 123 BGB anfechtbaren Willenserklärung binnen Jahresfrist zu erfolgen hat. III. Ergebnis Claas hat keinen Kaufpreisanspruch gegen Aust aus § 433 Abs. 2 BGB. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Ergänzung Anspruch des Blau gegen Aust auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB Blau könnte einen Anspruch gegen Aust auf Zahlung von 10.000,- € aus § 433 Abs. 2 BGB haben. I. Anspruch entstanden Aust und Blau haben einen Kaufvertrag über den A6 zum Preis von 10.000,- € miteinander abgeschlossen, so dass ein Anspruch des Blau gegen Aust auf Zahlung von 10.000,- € zunächst gemäß § 433 Abs. 2 BGB entstanden ist. II. Anspruch untergegangen Fraglich ist jedoch, ob sein Anspruch wieder untergegangen ist. In Betracht kommt ein Untergang des Anspruchs gemäß § 346 Abs. 1 BGB. Dazu müssten die Voraussetzungen des §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB vorliegen und Aust nach § 349 BGB den Rücktritt erklärt haben. 1. Sachmangel, § 434 Abs. 1 S. 1 BGB als Rücktrittsgrund Der Gegenstand des Kaufvertrags müsste dazu einen Sachmangel aufweisen. Dies ist nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB gegeben, wenn bei Gefahrübergang die Ist-Beschaffenheit von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit abweicht. Vereinbart war der Verkauf eines unfallfreien Wagens. Diese Unfallfreiheit war nicht gegeben und stellt somit eine negative Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit dar. Ein Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB liegt somit vor. Der Schuldner hat eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis nicht erbracht (vgl. § 323 I 1 BGB) 2. Fristsetzung Gemäß § 323 I 1 BGB ist für einen wirksamen Rücktritt neben der Pflichtverletzung eine Fristsetzung erforderlich. Diese Frist muss ferner erfolglos verstrichen sein. Fraglich ist, ob Aust dem Blau tatsächlich eine Frist setzen musste, damit dieser seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag (sachmangelfreie Kaufsache gem. § 433 I 2 BGB) erfüllen konnte. Hier ist mithin der Sinn einer solchen Fristsetzung zu berücksichtigen. Der Schuldner soll in die Lage versetzt werden, seiner Pflicht aus dem gegenseitigen Vertrag nachzukommen. Ist dies für in nicht möglich, scheidet eine Fristsetzung aus. 2.2 Entbehrlichkeit der Fristsetzung wegen Unmöglichkeit gem. § 275 I-III BGB Fraglich ist somit, ob eine Fristsetzung wegen Unmöglichkeit ausscheidet. Unmöglichkeit bedeutet gem. § 275 BGB die Nichterfüllbarkeit einer Leistungspflicht. Nach § 275 I BGB ist eine Leistungspflicht ausgeschlossen, soweit ihre Erfüllung für den Schuldner (subjektive U.) oder für jedermann (objektive U.) unmöglich ist. Der Begriff „Unmöglichkeit“ wird als dauerhafte Nichterbringbarkeit des geschuldeten Leistungserfolges verstanden. In dem vorliegenden Sachverhalt ist der Kaufgegenstand nicht unfallfrei. Ferner kann dieser Sachmangel auch nicht behoben werden, wodurch die objektive Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB begründet ist. Gemäß § 275 II BGB ist die Leistungspflicht nicht automatisch ausgeschlossen. Der Wortlaut des § 275 II BGB begründet ferner ein Leistungsverweigerungsrecht („Der Schuldner kann die Leistung verweigern“). Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Somit ist die Fristsetzung durch Aust entbehrlich. 3. Rücktrittserklärung gemäß § 349 BGB Gemäß § 349 BGB hat die Rücktrittserklärung gegenüber dem Vertragspartner zu erfolgen. Daher müsste Aust lediglich gegenüber Blau seinen Rücktritt von dem Kaufvertrag erklären. Rechtsfolgen gem. § 346 BGB Gemäß § 346 I BGB haben beide Vertragsparteien die durch den ursprünglich bestehenden Kaufvertrag empfangene Leistungen zurückzugeben. Dau Aust den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat, muss hier lediglich die Kaufsache zurückgegeben werden. I Schadenersatz gemäß §§ 311a BGB Aust könnte gegen Blau einen Anspruch auf Schadenersatz statt der ganzen Leistung § 311a BGB haben. (Exkurs: Im Gegensatz zu § 280 I, III, 283 S.1 BGB ist der §311a BGB immer dann vorrangig, wenn das Leistungshindernis schon vor oder bei Vertragsschluss bestand) Hierfür müsste der Anspruch zunächst entstanden sein. Aust und Blau haben einen Kaufvertrag über ein PKW geschlossen. Für einen Schadensersatz statt der Leistung müssten die Voraussetzungen gemäß § 311a BGB vorliegen. Voraussetzungen des § 311a I, II BGB Zunächst muss es sich um ein Rechtsgeschäft handeln. Der vorliegende Kaufvertrag zwischen Aust und Blau stellt ein solches Rechtsgeschäft dar. Ferner muss das Leistungshindernis in Form der Unmöglichkeit bereits bei Vertragsschluss bestanden haben. Auch dies ist vorliegend zu bejahen, da das Fahrzeug bereits bei Gefahrübergang nicht unfallfrei war. Fraglich ist jedoch, ob dem Blau auch ein Verschulden trifft (§ 311a II 2 BGB), da der Schuldner bereits bei Vertragsabschluss über das Leistungshindernis Kenntnis haben musste. Für diese Bestimmung sind die §§ 276 ff. BGB anwendbar, so dass es sich vorliegend um eine Beweislastumkehr handelt. Das Verschulden des Schuldners wird widerlegbar vermutet. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Blau die Zusicherung der Eigenschaft „unfallfrei“ abgibt, ohne seiner Sorgfaltspflicht –den Wagen auf vorherige Unfälle zu untersuchen- nachkommt. Insofern ist das Verschulden des Blau zu bejahen. Fallskript zum Tutorium WS 2011/2012 Prof. Dr. Udo Reifner Schadenersatz gemäß § 281 BGB Fraglich ist jedoch, ob Aust durch die Pflichtverletzung des Blau einen Schaden erlitten hat, bzw. in welcher Höhe dieser Schaden besteht. Ursprünglich hätte Aust durch den Kaufvertrag einen PKW erhalten, der ohne Unfallschaden einen Verkehrswert von 11.000,- € hätte. Bei einer erfolgten pflichtgemäßen Leistung des Blau wäre das Vermögen des Aust um 1.000,- € (Verkehrswert 11.000,- € - 10.000,- € Kaufpreis) erhöht worden. Somit stellt dieser Differenzbetrag einen Schaden des Aust dar. Weiter darf die Pflichtverletzung nicht nur unerheblich gem. § 281 I 3 BGB sein. Der Wagen ist trotz der Zusicherung nicht unfallfrei, was eine erhebliche Pflichtverletzung des Blau begründet. Somit ist der Anspruch des Aust gegen Blau entstanden. Er ist ferner auch nicht untergegangen und auch durchsetzbar. Ergebnis: Aust hat gegen Blau einen Anspruch auf Schadenersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 III, 280, 281, 311a BGB in Höhe von 1.000,- €. Alternativ könnte Aust das gleiche Ergebnis auch über das Sachmängelgewährleistungsrecht erreichen, das neben § 123 BGB Anwendung findet. Der Unfall stellt eine negative Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit und damit einen Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Ein Fahrzeug, das erhebliche Unfallfolgen aufweist, wieder unfallfrei zu bekommen, ist unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB), so dass sich die Nacherfüllung auf die Lieferung einer mangelfreien Sache beschränkt, d. h. eines gebrauchten unfallfreien A6 mit den gleichen Eigenschaften. Dafür müsste Aust dem Blau gemäß § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich eine Frist zur Nacherfüllung setzen. Aufgrund der vorangegangenen Täuschung greift vorliegend allerdings die Ausnahme gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB bzw. § 440 S. 1 Var. 3 BGB ein, so dass Aust sofort zurücktreten kann. Dieser Weg erweist sich dann als besser, wenn Aust zusätzlichen Schadensersatz geltend machen will, da dieser gemäß § 325 BGB neben dem Rücktritt möglich ist. Die Anfechtung vernichtet hingegen den Vertrag und damit die Grundlage der vertraglichen Schadensersatzhaftung.]